Re: Die Legende von Pirineosaurus

von: veloträumer

Re: Die Legende von Pirineosaurus - 14.12.14 19:21

KAPITEL 3 – CATALUNYA III
Schluchtenparade und Stauseenromantik, Wanderschuh und Gipfelpanorama, Bergseen und Alpenrosen: Von Cardona entlang der Noguera-Täler und durch die Sierra de Montsec in die Hochpyrenäen mit dem NP Aigüestortes

Di 24.6. Cardona – Solsona – Collada de Clarà (880m) – Sant Tirs – Madrona – C14 – Ponts – Artesa de Segre – Cubells
83 km | 13,6 km/h | 6:15 h | 1150 Hm
W: leicht sonnig, dann bewölkt, später starker Landregen, Wolken sehr tief, 22-16 °C
Ü: H Roma 33 € o.Fr.
AE (H): Crevettencocktail, Hähnchen, Pf, Crème Catalán, Rw, Cafe 15,30 €

Man mag es ja nicht glauben, aber auch eine Stadt auf einem Hügel bietet noch Nischen zum Zelten. Sogar Traumplätze. Einen kleinen Mangel hatte der Platz direkt am Brunnen. Der Burgberg spuckt im Laufe der Nacht immer mehr Wasser aus dem Brunnen, die der Sickerboden nicht mehr aufnehmen konnte und bald die gesamte Kiesfläche unter Wasser stand. Morgens wachte ich neben einer kleinen Seelache auf – um Haaresbreite entging Pirineosaurus dem Tod durch Ertrinken. Es wäre ein untypischer Tod für einen Saurier gewesen – alle Lehrbücher der Saurierwissenschaften hätten umgeschrieben werden müssen.

Ungeachtet dessen wieder ein Morgen zum Singen. Verfallene Brücken liegen im Tal, Kornblumen umgeben das Gold der Felder mit blauen Bändern. Mit Solsona verbindet sich die kunsthandwerkliche Tradition von Riesenköpfen wie sie vielfach vom Karneval bekannt sind und auch dem Karneval von Solsona seine überregionale Bedeutung geben. Die folklore Tradition der Riesenköpfe geht auf das 17. Jahrhundert zurück, entwickelte sich aber erst im 20. Jahrhundert zu seiner heutigen Formen- und Motivvielfalt. Über 40 Jahre lang prägte Manel Casserras i Boix den Stil der Riesenköpfe, dessen Stil auch heute fortgeführt wird. Eine Stadt der Narren also, deren Fest als äußerst bunt gilt und für bissige Satire steht. Anscheinend hat man auch hier prähistorische Kenntnis von Pirineosaurus, der in einem Schaufenster als Abbild einer seiner vielen Gestalten zu finden ist. Pirineosaurus bekommt heimelige Gefühle und genehmigt sich ein gaumenfreudiges Patisserie-Frühstück. Großartig! A-STONE-ishing!

Die schwüle Luft dieser Tage ist zunehmend schwer geworden und nunmehr verdichten sich Wolken zu tiefdunklen Wasserbeuteln, nachdem ich von der einsamen Querverbindung durch das Madrona-Tal auf die C14 stoße, eine besser frequentierte Transitstrecke nicht zuletzt nach Andorra im Norden und Lleida oder Barcelona im Süden. Der Rialb-Stausee ist nur kurz zu sehen, verschwindet dann hinter einer Hügelkette. (Anm. veloträumer: Insider aus dem Forum haben mir berichtet, dass Pirineosaurus eine saurischere Route entlang des Seeufers nach Süden hätte fahren können. Warum er das nicht tat, ist nicht überliefert. Vermutlich spielen die folgenden dramatischen Klimaerscheinungen eine Rolle.)

In Ponts öffnen dann die Schleusen des Himmels ihre Tore und schließen sich nicht mehr – weder dieses Tags noch des Nachts. Es geht nur noch darum, die Saurierhaut vor dem Aufweichen zu schützen – ein zerflossener Pirineosaurus wäre auch kein Edeltod. So warte ich den großen Schüttregen ab, versuche aber den gemäßigten Landregen zum Fortkommen zu nutzen. Durch den Fluss Segre gibt es zwar überall bescheidenen Tourismus zwecks Rafting und anderem Wassersport, doch sind das nur ausgewählte Flecken und oft am Fluss, der nicht unmittelbar an der Transitachse liegt.

Im Regen wird Pirineosaurus zum gewalttätigen Massenmörder. Es knackt alle paar Sekunden unter seinen Pneus. Es bedeutet das Aus für Tausende von Schnecken mit eher kleinen Spiralhäusern, farblich zu erkennen, als wären es Hagelkörner oder Kieszugaben im Asphalt. Bei dem Hundewetter ist jedoch keine Polizei unterwegs und Pirineosaurus kommt ungestraft davon. In Saurierzeiten hieß es immer noch „Schneckentod ist Ehrenmord” – schon allein, weil die schleimigen Viecher dafür sorgten, dass zahlreiche Plattfußsaurier auf ihnen kläglich ausrutschten. Pirineosaurus ist aber schon von der Überempfindlichkeit des neuzeitlichen Weicheimoralismus infiziert und versucht sogar mit waghalsigen Lenkmanövern die Schneckenhäuser zu Umfahren. Allein dieser Slalom war nicht von Erfolg gekrönt, das Knacken des Todes siegte über die Moral. Erschöpft von der immer tiefer durchhängenden Saurierhaut, ließ sich Pirineosaurus schließlich unter dem festen Dach eines Hostals nieder.

Mi 25.6. Cubells – Camaras – Alt de Fontllonga (671m) – Pas de Terradets – Cellers – Guàrdia de Noguera – Coll de Fabregada (942m) – Alsamora – Punta de Mont-rebei – Puente de Montanaña
83 km | 11,7 km/h | 7:04 h | 1450 Hm
W: Nebel, tiefe Wolken, danach heiter bis sonnig, morgens kühl, später bis 28 °C, abends kühl
Ü: C wild 0 €
ME (Cellers/H/R Terradets): Westernkartoffeln, Calamares, Zitronenlimonade 9,80 €
AE: Hähnchenschnitzel, Pf, Spiegelei mit kl. Steaks, Rw, Crème Caramel, Cafe 14,60 €

Noch morgens nieselte es und selbst die kleinen Hügel im Ort lagen in tiefen Wolken, die Sichtweite erreicht nicht mal 100 Meter. Pirineosaurus musste aber wieder raus, er ist kein Stubensaurier. Langsam hob sich die Feuchte vom Boden und immer mehr kamen wieder Heuballen zum Vorschein – weite Flächen von Ackergold in einer ganz eigenen Stimmung der Nebelwolken. Versprach doch das heimelig wirkende Hügeldorf Camerasa vor der sich großartig auftuenden Pallaresa-Schlucht ein Frühstück oder zumindest eine Bäckerei, so gab es dort nahezu nichts. Die Backstube konnte erst zu Mittag Brot versprechen. Immerhin findet hier Pirineosaurus ihm vertraute Medienformen: Morgens erklingt Musik aus Lautsprechern, die am Kirchturm und andere Stellen im Ort installiert sind. Danach erhebt sich eine Stimme und trägt wichtige Mitteilungen vor, die sich allerdings der Kenntnis von Pirineosaurus entziehen.

Der ausgehungerte Pirineosaurus, der eigentlich von Ponts über den Coll de Corniols zur Staumauer des Pantà de Terradets gelangen wollte, wurde nun vom geleiteten Schicksal mit grandiosen Momenten der a-STONE-ishing-Sammlung belohnt. Ich hätte mich schlagen können, wenn ich die geplante Route gefahren wäre und nicht diese Schluchtenparade. Die Fahrt hat zudem von Süd nach Nord noch eine Dramaturgie, ein Crescendo der sensationellen Felsgestaltungen, von den weiß-gräulichen Stiften und Säulen noch im unteren Teil, über den gigantischen Canyon mit roten Felsorgelwänden nach der ersten Staumauer, wo die doppelten Orgelpfeifenreihe über dem Seespiegel die Jubeltöne gen Himmel empor treibt – wer möchte da noch zum Grand Canyon nach Amerika! – bis zu der Kletterklause unterhalb der Terradets-Staumauer bei der Font de les Bagasses mit einem rot-violetten Steinfigurenkabinett, der himmelstrebenden rotbraunen Klippentürmen, der malerischen Steinbogenbrücke, zur Tagesfeier Ton-in-Ton eingefärbt in das Ockergold der gewaltigen Sedimentschwemmmasse des Flusses, die die Unwetter aus den Bergen mitgerissen haben, und der filigranen, avantgardistischen, chromblitzenden Brunnenkonstruktion für das köstliche Quellwasser. Pirineosaurus kann nur juchzen und jauchzen, ein kaum endender Trommelwirbel der a-STONE-ishing things. Saurierland, superb, grandissimo!

Am Terradets-Stausee gibt es teils neben der Straße einen Radweg, auf dem man mal durch Schilf und mal über ein Holzbohlenbrücklein fährt. An Rastplätzen gibt es Fahrradständer. Alles recht hübsch, aber wo kein Platz mehr ist, ist dann auch Ende – vielleicht auch eine Fehlinvestition. Ich hege Zweifel, dass da viele Räder unterwegs sind. Einzige Verpflegungsmöglichkeit am See besteht in Cellers, direkt an der Straße, wo ein moderner Hotelkomplex mit Restaurant, Bar-Bistro und Swimming-Pool (letzterer auch per Eintritt für Nicht-Hotelgäste) die sonst dürftige Versorgungslage der Region entschärft. Es ist die einzige gesicherte Einkehrmöglichkeit zwischen Balaguer und Tremp – eine Strecke von immerhin mindestens 55 km. (Einen Camping mit kleinem Laden und Restaurant fand ich auch noch am Abzweig nach Ager, dort war aber weder Büro noch Laden besetzt und Gäste hatte es quasi keine. Ähnliches vermute ich für die Campings an der Noguera Pallaresa südlich von Camerasa.)

Die Hitze des Mittags war erschlagend. Der unübliche warme Mittagstisch sollte neue Flügel verleihen, stattdessen nahm die Müdigkeit noch zu. Auch eine kurze Rast am See (praktisch kein Zugang zum Wasser, nicht als Badesee gedacht) bringt Pirineosaurus nicht wieder auf Normalniveau. Umso schwerer kämpfe ich mich zu dem kleinen Bergdorf Guàrdia de Noguera hoch, das unweit über dem See liegt. Ich bin mangels Kartendaten verunsichert und möchte von einem Einheimischen bestätigt bekommen, dass die Strecke am Castell de Mur vorbei nach Figols asphaltiert ist. Ich springe lebensmüde vor ein Auto, da hier nicht gerade das pralle Volkstreiben herrscht. Der Einheimische erweist sich als kompetent. Zwar ist die Strecke asphaltiert, sagt er, meint aber, dass das vielleicht zu steil wäre. Nun ja, ein Pirineosaurus in besserer Verfassung hätte gemurmelt „der kennt mich wohl nicht”. Aber diesmal nehme ich seine Empfehlung an, die ebenfalls in der Karte nicht durchgehend ausgewiesene Route über Alsamora, Mont-rebei und schließlich nach Puente de Montanaña. Mont-rebei soll ganz toll sein, sagt er. Auch hier erweist sich die schicksalsgelenkte Änderung der Route als Gewinn für den saurischen Geschmack.

Nur anfangs ist die Steigung stärker, danach sind die Auf und Abs gemäßigter, sodass ich mich etwas erholen kann. Kleine Dörfer liegen am Hang, rote Erde entfaltet abstrakte Muster aus der Vogelperspektive. Schäferidylle, alsbald die Wiesen lieblicher, in der Ferne ein markanter Gipfel. Alsamora weckt wiederum die Lebensgeister von Pirineosaurus, im milden Licht der Abendsonne ein scheinbar ganz verlassenes Dorf. Ein Postkartenmotiv für die saurische a-STONE-ishing-Sammlung.

Für Mont-rebei braucht es eigentlich mindestens einen Halbtag zu einer Bewanderung der Schlucht, die atemberaubende Überkopf-Felsen, steile Schluchtabgründe und waghalsige Hängebrücken aufweisen soll. Besonders abgedrehte Todesmutige riskieren sogar eine MTB-Fahrt über den schmalen Pfad. Doch selbst ohne diese Schluchterfahrung lohnt der Weg über den nördlichen Rand von Mont-rebei. Die Straße bohrt sich in riesige Felskurven hinein, leuchtend grüne Laubbänder bereichern die felsigen Ansichten darunter. Nach Westen schweift der Blick über den Seeausschnitt zu einer Burg, nicht die einzige auf den Hügel hier. Vom Aussichtspunkt blickt man über die Seefläche, die von buschigen Schwammtupfern überzogen ist – geflutete Bäume. Die Schluchtverengung im Süden ist eine ganze Ecke weit weg. Die Abendsonne schmeichelt mit sanften Lichttönen. Die geschwemmte Einlauffläche zum See hat ihren eigenen Liebreiz durch die grünen Pockenmuster auf blaugrünem Wasserspiegel, goldgelb der Schimmer am Horizont. Ein hochkarätiges a-STONE-ishing-Erlebnis!

Leider gibt es hier wiederum keinerlei Einkehrmöglichkeiten. Durch die schlechten Einkaufsmöglichkeiten des Tages habe ich auch keine größeren Vorräte mehr, um ggf. Am Parkplatz des Sees ein saurisches Nachtlager aufzuschlagen, was eine offenbar germanische Blechkistengruppe gemacht hat. Puente de Montanaña ist nun auch nicht gerade ein Ort großartiger Gasthöfe, aber immerhin leistet ein Bistro-Restaurant direkt an der Transitstraße zwischen Frankreich, Vielha-Tunnel und Lleida die Minimalleistung für ein Abendessen. Saurisches Nachtquartier an für Menschen nicht erlaubtem Ort – mehr gibts nicht.

Do 26.6. Puente de Montanaña – Sopeira – Pont de Suert – Barruera – Boí – Taüll (1480m)
61 km | 11,4 km/h | 5:18 h | 1235 Hm
W: teils sonnig, nachmittags Regen, Gewitter, sehr kühl 18-13 °C
Ü: C Taüll 10,60 €
AE: Kroketten, Entrecôte, Bratkart., Gemüse, Ananas, RoseW, Cafe 18,75 € (–)

Pirineosaurus wird langsam unruhig. Ich spüre das Kribbeln, das die großen Berge ankündigt. Berge mit Schneegipfeln, das Donnern der Bergflüsse, der Geruch von Hochgebirgskiefern. Es wäre aber eine Strafe für Pirineosaurus, die folgende Anfahrtspassage zum Vall de Boí auszublenden. Schon die gemäßigten Morgenstimmungen über Kornfeldern vermögen Pirineosaurus in helle Aufregung zu versetzen. Sopeira schließlich ist wieder ein Ort mit Prädikat a-STONE-ishing. Der Ort zieht sich verschlafen den Hang hinauf bis zur kaum sichtbaren Straße, höher streben die Felsen in den Himmel, die dem Ort erst spätes Morgenlicht gewähren. Die kleine Kirche beim Schwimmbad liefert die Anmut vor der aufgestemmten Felsmacht. Ein Ort für entschleunigte Stimmungen – ganz zaghafter Pensionstourismus nebenbei.

Das zweite a-STONE-ishing-Erlebnis liefert die Straße nur wenig oberhalb, über brückiges Straßengeflecht, durch Tunnels mit Felszapfen darüber hindurch, und um einen gigantischen Bergzylinder herum. Die Staumauer in diesem Felsensemble wirkt kühn, so man die Wassermassen oberhalb ahnt. Gleich Nummer Drei der Steinwunder ist etwas verwässert, nämlich der Pantà d’Escale. Im Norden ragen amorphe Felsmuster aus See hervor, im Seeblau wie ein Hauch Costa Brava. Blumen sind reichlich – auch mitten im Blickfeld von Pirineosaurus. An der Nordseite steil hinauf betreibt ein Geier Brutpflege, über dem See gleitet ein anderer – vielleicht ein Schmutzgeier mit seinen hellweißen Flanken.

Pont de Sort ist dann wieder ein Schnittpunkt mit der 2011er-Tour. Obwohl der Ort einen mittelalterlichen Kern mit Arkaden hat, würde er kaum auffallen. Doch macht ihn ein Ei berühmt. Die neue Kirche, am Platz der alten gebaut, besteht aus drei Teilen. Neben dem separaten Glockenturm aus einer grauen Steinsäule und der wulstigen Kathedrale, die ein Zelt sein könnte, steht ein im gleichen Minzpastell gehaltenes Ei, das durch die vielen Kreuzschlitze längst ausgelaufen sein sollte. Pirineosaurus ist entsetzt. Es könnte ein junger Pirineosaurus darin gewesen sein! Das hier Pirineosaurus an seine frühkindliche Phase im Ei erinnert wird, ringt ihm immerhin ein a-STONE-ishing ab, auch wenn er den christlichen Missbrauch nicht billigen möchte.

Dieser Protest von Pirineosaurus löste in den Himmelsgestaden entschiedene Gegenreaktionen aus. Die Wolken quollen zu dunklen Trauersäcken auf und entluden gewaltige Wassermengen, die allerdings Pirineosaurus am nächsten Tag mehr berauschende Gefühle zu Gehör bringen werden. Der Protestregen kostete so zwei akademische Stunden in einem Café/Restaurant im Vall de Boí, wo er sich in Zeitschriften über Pirinexus, den pirineosaurischen Radweg, kundig machen konnte – also Theorie zur bereits zurückliegenden Praxis.

Das Vall de Boí wurde zum UN-Welterbe erhoben ob seiner romanischen Kirchen, über die jedes Dörflein verfügt. Sie stecken wie dezente kleine Bleistifte zwischen den Häusern der Bergdörfer – alles in unverputztem, felsangepasstem Granitgrau oder in Sandsteinfarben gehalten. Von unten wirkt da jedes Bauwerk wie eine Miniatur, eine Spielzeuglandschaft, wie man sie auch häufiger in der Schweiz empfindet, wenn sie vor mächtigen Bergkulissen den Betrachter zur Demut verpflichten. Ja, diese Steinhausdörfer mit ihren Kirchlein werten die kahlen Berghänge nochmal auf, zumal die schneeberieselte Gipfelkulisse nicht immer zur Verfügung steht. Zu häufig verschleiern die Wolken das denkbare Postkartenpanorama.

In Taüll sind zwei romanische Kirchlein zu finden, darunter die berühmteste aller: Sant Climent. Klar, auch ein Postkartenklischee. Sogar der Himmel ist zum Abend blau geworden. Es sind nur wenige Schritte zum Camping einerseits und in den steil ansteigenden Ort andererseits. Fürs Kopfsteinpflaster empfiehlt denn auch ein Rundgang ohne Rad. Von den vielen malerischen Winkeln in den Dörfern Boí und Taüll ist Pirineosaurus ganz angetan und vergibt ein gehobenes a-STONE-ishing – die Kirchlein eingeschlossen, trotz seines Ärgers über das missbräuchlich genutzte Ei durch die Himmelswächter zuvor.

Fr 27.6. Taüll – Boí – Aigüestortes (Parkplatz Zubringerbus, ca. 1800m) – (exc. Wanderung Aigüestortes: Estany Llong – Estany Redó & retour, ca. 7 h) – Barruera – Les Bordes – Camping Baleira – Hotel Montsana – Camping Baleira
54 km | 14,2 km/h | 3:49 h | 885 Hm
W: meist bedeckt, sehr windig, sehr kühl, unter 18 °C
Ü: C Baleira 10,40 €
AE (H/R Montsana): Oliven, Schnecken in Kräutersauce, Ente mit Rosinen, Pilzen & Kart., Crème Caramel, Cafe 32,30 € (+)
B: NP Aigüestortes 0 €

Die Nacht war merklich kalt und das gilt auch für den Morgen, der selbst Saurierfinger frieren lässt. Auch taucht man erst mal tief ab in ein steiles Tal Richtung Norden (Caldes de Boí), das spät von Sonne gefüllt wird. Etwas mehr Licht dringt schon wenig später ins Tal Sant Nicolau, welches per Abzweig recht streng nach Osten führt. Gleichan nimmt auch die Steigung zu. Privatautos müssen bei der Schranke mit Info-Häuschen parken (Palanca de la Molina). Die Zubringerpendelbusse aus Taüll oder Barruega dürfen weiter, Velos auch. Die Auffahrt auf der sehr engen Straße ist ein Gedicht – Blumen- und Morgentauimpressionen in allen schillernden Varianten. Pirineosaurus kommt kaum voran – zuviel der irisierenden Licht- und Farbmomente.

Von der ersten Steilphase kann man sich beim Estany de Llebreta etwas erholen. Gleich an geht es aber wieder heftig zur Sache. Dabei hört Pirineosaurus ein Grollen und Donnern, als würden die für das Sauriersterben verantwortlichen Vulkanausbrüche näher rücken. In mehreren gewaltigen Schwallen ergießt sich die Cascada de Sant Esprit. Dank der vielen Himmelsschüttungen der Tage waren die Rohre besonders voll. Stäubende Gischt, in der sich blaue Lippenblütler laben. A-STONE-ishing! Zwischen den Felsen schäumen saurische Whirlpools, die aber Pirineosaurus hinwegreißen würden. Kein Badeplatz, wie übrigens das Baden in allen Seen des Nationalparks offiziell verboten ist.

Von dem Wasserfall blickt Pirineosaurus auf das tiefe Azurblau des ersten Sees zurück, eingebettet in die hellen Grüntöne der Bergweiden und die dunkelgrüner Schleifen der Tannen. Fortan windet sich die Straße alsbald Berghänge hinauf, der Fluss bleibt im Tal zurück, sein Wasser nimmt einen anderen Bogen als die Straße. Schließlich erreiche ich die Hütte, wo sich die Wanderer aus den Taxibussen sammeln, ebenso wie hier der Radler das Velo parken muss. Dazu steht auch ein Radständer bereit, wo tatsächlich schon ein MTB drin klemmt. Das Mädel kommt mir später entgegen, sie war ohne jedes Gepäck unterwegs. Pirineosaurus muss sich gut überlegen, wie er sich auf den Fußweg umstellt, denn das ist für seine Saurierfüße ebenso unpraktisch wie das Gedöns, dass er sich auf den Rücken binden soll, damit er nicht verhungert, verdurstet und – sich nicht erkältet. Denn bei dem kalten Wind ist die sonnengierende Saurierhaut von unangenehmen Rötungen gefährdet. Jeder Sonnenstrahl allerdings bringt wieder schnell einen Temperaturschub. Also braucht es Kleidung für alle Fälle.

Anfangs stolpert Pirineosaurus noch unbeholfen über Stock und Stein, obwohl der Weg fast eben ist. Bald aber delektiere ich mich an den archaischen Baumskulpturen, die aus saurischen Zeiten stammen. Zwischen dem kurzen grünen Gras plätschert der Bergfluss sanft, weil wenig Gefälle, entwickelt helle Blau- und Grüntöne, ein Schillern wie die Federn eines Eisvogels. Die Ufer umsäumen Alpenrosen in pastellenem Leuchtrotrosa. Das sind längst nicht alle Farben, die hier aufleuchten – nein, die kann selbst Pirineosaurus nicht alle aufzählen. Brücklein und Bohlenwege schaffen sogar für Behinderte die Möglichkeit, die saurischen Gebirgswelten zu erfahren. Die Brunnen sind nicht zahlreich, einer liegt noch an der Straße, recht weit oben, einer ganz unten, zudem einer am Fußweg, eher unteres Drittel – gemessen am Weg zur bewirteten Berghütte. Aus den Bächen und Wasserfällen lässt sich natürlich auch trinken.

Nach Kuhweiden und gefluteten Wiesen sind die steileren Passagen auf das letzte Viertel oder Fünftel beschränkt. Das Refugi, kurz vor dem Estany Llong gelegen, ermöglicht Übernachtungen in einfachem Hüttenambiente. Streng wird auf Sauberkeit geachtet, in den Schlafräumen dürfen keine Schuhe verwendet werden (es gibt Hauspantoffeln) und auch der Rucksack muss draußen bleiben. Es ist kaum wärmer als draußen, aber immerhin ohne Wind. Softgetränke haben Nachtclubpreise und auch das Brot mit Schinken oder Käse ist unter seinem Talerwert. Für Nachthüttengäste gibt es auch eine Art Menü, das scheint noch preislich okay, dürfte aber gemäß der Qualität des Sandwichs zu urteilen nicht für die Gourmetzunge von Pirineosaurus geeignet sein.

Die Hütte hatte ich erst bei der Rückkehr besucht. Ich wanderte nicht nur zum Hauptziel der meisten Fußgänger, dem Estany Llong, sondern entschied noch einen weiteren See anzuhängen. Als Pirineosaurus den Estany Llong in der alpinen Felskulisse mit dem Auge erfasste, die Gipfel mit noch erklecklichen Schneeresten, den Silberglanz des Seespiegels und das Alpenrosenleuchten davor, durchstach ihn ein Gefühl großer Glückseligkeit, ein innerer Jubel drückte gegen den Gedankendeckel, als wolle eine Sprungfeder die überbordenden Gefühle herausschnellen lassen, in der Seele tanzten die Elfen und seine Iris überzog ein dünnes, kaum sichtbares Rinnsal kleiner Tränen, die nichts anderem als der schlichten Freude geschuldet sein sollten. Superior, bellissima, A-STONE-ishing!

Wenn schon die Witterung das Festkleid purer Saurierhaut verhindert, so wollte Pirineosaurus wenigstes das weiche Gras der kleinen Hochebene am nackten Fuß spüren. Es ist wie das Schweben der Seele, die hier das Saurierherz überall erfasst. Am Estany Llong entzweigen sich die Wege. Die Hauptroute führt über den Portarro d’Espot auf die Ostseite von Aigüestortes mit dem Estany Sant Maurici, Espot und der Bonaigua-Passstraße. Ich wähle nach Norden den Weg zum Estany Redó, ein kleiner Rundsee, nicht weniger paradiesisch ein Silberstück wie der Estany Llong. Dorthin ist der Weg schon einsam, nur noch harte Mehrtageswanderer laufen dort. Der Pfad führt steil durch einen Niedernadelwald, der zur westlichen Seite auf großer Fläche von einem Gardinenwasserfall durchflossen wird. Am Redó-See versucht Pirineosaurus ein saurisches Bad, muss sich aber schütteln ob der eiszeitlichen Temperaturwerte des Wassers. So bleibt es bei einem erneuten Ausruf: A-STONE-ishing!

War schon in den Bergtourismus-Hotspots von Boí, Taüll und Barruera eine äußerst bescheidene Gästezahl zu beobachten, setzt sich der Eindruck der Folgen der wirtschaftlichen Krise wenig weiter im Ribagorçana-Tal fort: Gegenüber dem Camping hat ein neu eingerichtetes Restaurant geschlossen. Wenig weiter, ebenfalls an dieser Transitachse, hat man mangels Gäste unspanisch schon längst vor Sonnenuntergang die Küche geschlossen. Es ergibt sich ein unbequemes Hin und Her zwischen Camping und der einzigen Nahrungsquelle zur entgegengesetzen Richtung. Pirineosaurus kann sich allerdings auf eine gelungenes Festmahl freuen, das dem Tag und den kulinarischen Entsagungen der letzten Tage mehr als angemessen ist. Besonders freut ihn, mal wieder seine schon benannte, saurisch veranlagte Rache an Schnecken auszuüben, indem er sie mit würziger Kräutersauce aufspießt und genüsslich dem Gaumenschlund zuführt. Echt saurisch!

Die zahlreichen Höhepunkte, die Pirineosaurus in diesem Kapitel ein laut pochendes Saurierherz schenkten, verlangen nach einem passenden Musikstück quasi „on the rock“. Der französische Bass-Virtuose Renaud Garcia-Fons, ein ebenso kosmopolitischer Weltengänger wie auch mit den väterlichen Heimatwurzeln verbunden (ein katalanischer Maler), lotet immer wieder neue klangmalerische Möglichkeiten des geradezu saurischen Instrumentes aus. Mit seinem Marcevol-Konzert 2011 in einem Kloster in den Pyrenäen gegenüber dem mystischen Canigou setzte er Maßstäbe für den Solo-Bass – ziemlich exakt einen Monat später, nachdem ich an dem Berg des Klosters vorbeigeradelt bin. Ein wahrlich pirineosaurisches Alter Ego: Renaud Garcia-Fons „Rock Wandering” (2:14 min., aus dem Marcevol-Konzert).

Bildergalerie zu Kapitel 3 (186 Fotos):



Verantwortlich gezeichnet
Pirineosaurus Rex

Fortsetzung folgt