Re: île de Beauté - Südostfrankreich und Korsika

von: Tom72

Re: île de Beauté - Südostfrankreich und Korsika - 07.10.15 22:52

14. Tag (12.09. 2014), Geléria – Porto

Strecke: 49 km

Fahrzeit: 2 Std. 51 min

Höhenmeter: 571


Die Bilder vom heutigen Tag stammen aus dem folgenden Jahr (2015), als ich dieselbe Strecke erneut geradelt bin.

Im beschaulichen Ortskern von Galéria frühstücke ich



und verbringe anschließend den Vormittag am wunderschönen Strand. Es ist wenig los, sehr angenehm. Wäre mein Zeitplan nicht so knapp kalkuliert, hätte ich hier glatt einen ganzen Tag verbringen können.



Aber ich muss weiter, es ist nun schon Mittag, ich baue mein Zelt ab, packe und mache mich auf den Weg, zunächst die Stichstraße, an deren Ende Galéria liegt, zurück zur D 81, auf der ich gestern von Calvi gekommen bin und die mich heute weiter Richtung Süden nach Porto führen wird.

Wenn man auf Korsika unterwegs ist, trifft man regelmäßig auf freilaufende Tiere (Esel, Kühe, Schweine). Hier also meine erste Begegnung der animalischen Art, eine Gruppe Rindviecher. Sie scheinen sich nicht sonderlich für mich zu interessieren, einen gewissen Respekt habe ich als Stadtmensch aber trotzdem.



Ich treffe wieder auf die D 81, bis Porto sind es noch 46 km, dazwischen liegen zwei Pässe, der Col de la Palmarella mit 405 m und der Col de la Croix mit 260 m.



Zunächst nutze ich noch eine unverhoffte Einkehrmöglichkeit für einen kleinen Snack. Hier komme ich mit einem deutschen Motorradreisenden angeregt ins Gespräch und halte mich daher länger als geplant auf.

Bis zum Col de la Palmarella verläuft die D 81 ohne Meerblick im Landesinneren. Die großartige Landschaft ist genauso einsam wie gestern, mir begegnen noch weniger Kfz als gestern und überhaupt keine Radler. Sie erscheint mir aber etwas fruchtbarer und als gestern, mit etwas üppigerer Vegetation.



Sanft ansteigend und sehr kurvig schraubt sich die Straße gemütlich auf 400 m hinauf, schließlich kommt in der Ferne der Pass in Sicht (der Einschnitt am Horizont):



Am Col de la Palmarella (405 m) stößt die Straße wieder auf die Küste. Hier verläuft auch die Grenze zwischen den beiden korsischen Départements, Haute-Corse und Corse-du-Sud.



Hier oben gibt es einen Aussichtspunkt mit herrlichem Ausblick aufs Meer.



Ich bin hier allerdings nicht allein, außer mir genießen auch die Insassen zweier großer Touristenbusse die Aussicht.

Ab hier verläuft die D 81 bis Porto entlang der Küste, der Blick aufs Meer ist durchweg atemberaubend.



Der nächste Pass ist deutlich niedriger, es geht überwiegend bergab, und nach einem kurzen Gegenanstieg ist der Col de la Croix (260 m) erreicht. Auf dem Schild ist auch die korsische Form des Namens angegeben.



Das Landschaftserlebnis ist fantastisch, die Straße verläuft nun spektakulär entlang der Steilküste.





Es geht abwärts bis fast auf Meeresniveau. Hier ist einer der für die korsische Küste typischen Genuesentürme zu sehen. Korsika ist erst seit 1769 Teil Frankreichs, davor, seit dem Mittelalter, gehörte es über Jahrhunderte zu Genua. In dieser Zeit sind entlang der gesamten Küste im Abstand von wenigen Kilometern Wachtürme zum Schutz vor Angriffen von See errichtet worden, von denen heute noch mehrere Dutzend, teils als Ruine, erhalten sind.



Es geht wieder eine Weile ordentlich bergauf, dann rolle ich endgültig abwärts nach Porto. Der Ort ist in einem tief eingeschnittenen Tal an der Mündung des gleichnamigen Flusses gelegen. Er ist touristisch sehr belebt, ganz im Gegensatz etwa zu Galéria, aber sehr sympathisch, mit zahlreichen Hotels, Campingplätzen, einem Jachthafen und einer Vielzahl von Restaurants in den netten Altstadtgassen. Auf dem sehr großen städtischen Campingplatz (Camping municipal) schlage ich mein Zelt auf und sehe mich anschließend im Ort um. In Porto bin ich vor Jahren bereits, von Süden kommend, mit dem Auto gewesen.

Die Hafeneinfahrt von Porto wird von einem weiteren genuesischen Wachturm dominiert.



Beim Blick ins Landesinnere sieht man das hier direkt auf die Küste treffende Hochgebirge, in das ich morgen vorzustoßen gedenke, über den höchsten Straßenpass der Insel, den Col de Vergio.



Beim Abendessen in einem der zahlreichen netten Restaurants nehme ich anhand meiner Karte, meines Reise- und meines Wanderführers die Detailplanung für die verbleibenden sechs Fahrtage vor, in denen ich Bastia erreichen muss, um von dort die Fähre zurück zu nehmen. Der Plan, den ich mir schließlich zurechtbastele, sieht vor, über den Col de Vergio (1477 m) ins Inselinnere nach Corte, dort ein Tag Aufenthalt zum Wandern (und eine Fahrt mit der korsischen Bahn auf dem landschaftlich spektakulärsten Abschnitt des Netzes zwischen Corte und Vizzavona) und abschließend eine Umrundung von Cap Corse, der markanten Halbinsel im Nordosten der Insel, mit mindestens einer weiteren Wanderung.

Ich kann noch nicht ahnen, dass morgen alles ganz anders kommen wird und aus den schönen Plänen bis auf Weiteres nichts wird…

15. Tag (13.09.2014) Porto – Calanches – Porto und Krankenwagen nach Ajaccio

Strecke: ca. 20 km

Höhenmeter: ca. 400


Heute will ich die Küste verlassen und ins Inselinnere vorstoßen, über den Col de Vergio, den höchsten Pass der Insel. Zunächst steht aber ein kurzer Abstecher auf der Küstenstraße Richtung Süden in die Calanches auf dem Programm, eine bizarre Felslandschaft, die ich mir auf meiner letzten Korsikareise (2001) mit dem Auto bereits angesehen habe. Die kurze Wanderung von damals, die ich als sehr reizvoll in Erinnerung habe, möchte ich wiederholen. Ich lasse also das Zelt aufgebaut und fahre mit Wanderschuhen und ohne Gepäck los. Hoffentlich bin ich einigermaßen zeitig wieder zurück in Porto, denn für die Fahrt über den Col de Vergio (1477 m, und das ab Meeresniveau, sind ja kein Pappenstiel) sollte ich nicht zu spät loskommen.

Ich bin überrascht, dass es zu den Calanches doch auf ca. 400 m hinaufgeht. Das hatte ich so nicht in Erinnerung, aber damals mit dem Auto habe ich wohl naturgemäß die Höhenmeter anders wahrgenommen als jetzt mit dem Rad. Es bietet sich ein schöner Blick zurück auf Porto.



Am höchsten Punkt der wildromantischen Felslandschaft ist ein Aussichtspunkt mit Parkplatz und einer Snackbar, wo gerade die Ladungen mehrerer Touristenbusse abgefüttert werden. Auch ich gönne mir hier einen Kaffee und eine Kleinigkeit, da ich noch nicht richtig gefrühstückt habe, und genieße den Ausblick.





Ich beschränke mich auf eine Wanderung von einer knappen Stunde, man kann in den Calanches auch einen ganzen Tag verbringen, ohne dass es langweilig wird, aber ich habe ja keine Zeit… Aber auch so bekomme ich einen guten Eindruck der bizarren Felsformationen hoch über dem Golf von Porto.









Nun genieße ich die Abfahrt zurück nach Porto. Während der Fahrt bin ich gedanklich schon bei der heutigen Tagesetappe, die ja noch vor mir liegt. Es ist nun schon fast Mittag, ich muss noch mein Zelt abbauen und packen, vor eins werde ich kaum loskommen, schaffe ich es heute noch über den Col de Vergio und bis zum nächsten Ort danach, in dem mit Übernachtungsmöglichkeiten zu rechnen ist (Calacuccia), oder sollte ich doch heute vor dem Pass auf halber Höhe in Evisa übernachten?

All diese Überlegungen sind letztlich überflüssig, denn bei der Einfahrt in den Campingplatz in Porto passiert es: Vor der Rezeption, quer über der Einfahrt, liegt ein Tau, das, schon ziemlich plattgefahren, Kfz und Wohnmobile zu langsamem Fahren veranlassen soll. Ich bin hier bereits gestern Abend und heute Morgen drübergefahren, aber dieses Mal – ich habe bis heute nicht begriffen, warum – stürze ich, und zwar richtig heftig und schmerzhaft. Das nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ich ziemlich benommen auf den Stufen der Campingplatzrezeption sitze und die Dame von der Rezeption und zwei weitere Campingplatzgäste auf mich einreden und meine Blessuren mit Desinfektionsmittel und Wattetupfern versorgen.

Da ich ja „nur“ einen kurzen Abstecher zum Wandern gemacht hatte, habe ich meinen Helm nicht aufgehabt und bin auch mit dem Kopf aufgeschlagen. Hätte böse ausgehen können, immerhin brauche ich eine Weile, bis ich wieder völlig bei mir bin und mir klarzumachen versuche, was passiert ist. Ich muss heftig auf die rechte Körperseite gefallen sein, ich habe Abschürfungen am Knie, an der Hüfte, am Ellenbogen und an der Schulter, dazu ein leichtes Veilchen ums rechte Auge und eine Beinahe-Platzwunde in der rechten Augenbraue. Ich entschließe mich, heute nicht weiterzufahren, mich erstmal in Ruhe von dem Schreck zu erholen, und buche gleich in der Rezeption eine weitere Nacht. Mist, dadurch verliere ich einen Tag und muss meine schönen Planungen entsprechend zusammenstreichen…

Am Rad ist zum Glück nichts, außer dass die Halterung für die Lenkertasche angeknackst ist (die Tasche hatte ich nicht dran). Mir ist völlig unklar, wie das Rad ausgerechnet mit dem Bereich des Lenkervorbaus auf den Asphalt knallen konnte, es muss einen spektakulären Looping vollführt haben…

Nun erst merke ich, dass das eigentliche Problem nicht die oberflächlichen Blessuren sind, denn ich habe nun das Gefühl, dass im rechten Ellenbogen irgendetwas nicht in Ordnung ist. Weniger ein Schmerz, als vielmehr ein Gefühl, dass da drinnen irgendetwas nicht stimmt. Etwa gebrochen? Das muss sich auf alle Fälle sofort ein Arzt ansehen. Ich packe also meine Gesundheitsdokumente (Impfpass, Blutgruppenausweis etc.) in meinen Rucksack und marschiere die paar Hundert Meter in den Ort zur Tourismusinformation. Hätte ich geahnt, was kommen würde, hätte ich sicher etwas mehr eingepackt.

In der Tourismusinformation heißt es, Ärzte gebe es in Porto eigentlich nicht (was mich aufgrund der touristischen Bedeutung des Ortes etwas wundert), und schon gar nicht jetzt, Samstags nachmittags. Man könne mir aber einen Rettungswagen bestellen (dafür sind hier aus irgendwelchen Gründen „les pompiers“, also die Feuerwehr, zuständig), der mich in die Inselhauptstadt Ajaccio ins Krankenhaus fahren könne. Also gut, hilft ja nichts.

Der Krankenwagen ist auch recht schnell da mitsamt Besatzung von drei Mann/Frau. Mit der netten Sanitäterin, die mich während der Fahrt betreut, unterhalte ich mich über meine Reise, meine nun in Frage gestellten weiteren Reiseplanungen und meine Enttäuschung darüber, dass das wohl nun alles Makulatur sein wird. Das hilft etwas, meinen Frust abzubauen. Auf der Pritsche liegend kann ich während der Fahrt aus dem Rückfenster immerhin die landschaftlich herrliche Strecke südwärts entlang der Küste genießen, wir fahren zunächst die gleiche Strecke an den Calanches vorbei, die ich heute Vormittag hin und zurück gefahren bin, und auch die weitere Strecke südwärts (überwiegend) entlang der Küste bis zur Inselhauptstadt Ajaccio bin ich während meines Korsikaurlaubs 2001 bereits mit dem Auto gefahren. Landschaftlich traumhaft, aber irgendwie hatte ich das anders geplant… Schließlich kommen wir auch auf halbem Wege zwischen Porto und Ajaccio durch den Küstenort, in dem ich mir 2001 mit einem Kumpel für zwei Wochen eine Ferienwohnung gemietet hatte. Aus der Erinnerung heraus erkenne ich den Ort im Vorbeifahren tatsächlich wieder.

Schließlich endet der Zuständigkeitsbereich „meiner“ Sanitäter, und in einer Feuerwache werde ich von einem schon bereitstehenden neuen Krankenwagen mit neuer Besatzung in Empfang genommen, die mich dann schließlich nach Ajaccio fahren. Die Gesamtstrecke von Porto nach Ajaccio beträgt immerhin ca. 80 km; ich hoffe immer noch, dass sie mich im Krankenhaus nicht dabehalten und ich vielleicht heute noch (und sei es um den Preis einer extrem teuren Taxifahrt) nach Porto zurückkehern kann…

In der Notaufnahme im Krankenhaus in Ajaccio (Centre hospitalier Notre-Dame de la Misericorde) komme ich recht schnell dran, dank meiner Französischkenntnisse verläuft die Verständigung problemlos. Anhand der Röntgenaufnahmen ist die Diagnose schnell klar: „Oui, le coude est cassé, il faut opérer“. Merde, also doch gebrochen. Es handelt sich, wie ich später erfahre, um eine sogenannte Olekranonfraktur, die bei Stürzen häufig vorkommt, das heißt, die obere Spitze des Ellenknochens ist (zum Glück glatt) abgebrochen. Man habe ein Bett auf der entsprechenden Station frei und könne mich gleich morgen (obwohl Sonntag ist) operieren. Mitte kommender Woche würde ich dann voraussichtlich entlassen werden. Also gut, was muss, das muss, die ebenfalls zur Wahl gestellte Alternative, den Arm provisorisch ruhigzustellen, nach Deutschland zu fliegen und mich dort operieren zu lassen, verwerfe ich schnell.

So liege ich also am Ende des Tages in einem Krankenzimmer in Ajaccio. Immerhin habe ich vom Bett aus einen schönen Blick über die Bucht von Ajaccio, und die Sonne scheint ins Zimmer, das ich mir mit einem sympathischen Korsen teile, der nach einem Autounfall ein Schleudertrauma erlitten hat. Das Personal ist ebenfalls sympathisch, und ich fühle mich gut aufgehoben.



Die schlaflose Nacht verbringe ich mit Gedanken an meine nun vereitelte weitere Radreise und mit der Frage, wie ich denn nun, nach meiner hoffentlich baldigen Entlassung (offenbar ja bereits in wenigen Tagen), gehandicapt, wie ich sein werde, mich, das Rad, Zelt und Gepäck, was ja alles noch ca. 80 km entfernt auf dem Campingplatz in Porto steht, zurück nach Deutschland bekommen soll…

Fortsetzung folgt…