Re: île de Beauté - Südostfrankreich und Korsika

von: Tom72

Re: île de Beauté - Südostfrankreich und Korsika - 12.10.15 22:20

16.-22. Tag (14.-20.09.2014), Krankenhaus in Ajaccio und Rückflug

Die Operation am nächsten Vormittag verläuft problemlos, ich bekomme bei regionaler Anästhesie zwei Metallstifte und eine Drahtschlinge in den Ellenbogen gebastelt, die das abgebrochene Stück des Ellenknochens, gegen den Zug der dort ansetzenden Muskeln bzw. Sehnen, an seinem Platz halten. Der medizinische Fachbegriff dafür lautet Zuggurtungsosteosynthese.

Auch mit 42 Jahren ist man noch sehr dankbar, sich in Notsituationen auf elterlichen Beistand verlassen zu können: Meine Eltern haben sofort nach kurzfristigen Flügen geschaut und für meine Mutter Hin- und Rückflug nach Ajaccio gebucht, so dass sie mich abholen kann, den Rückflug (am Samstag) sogar mit Radtransport. Nur den Rückflug für mich noch nicht, da ja erst sicher sein muss, dass ich rechtzeitig entlassen werde. Meine Mutter wird am Mittwoch in Ajaccio sein.

Die nächsten Tage im Krankenhaus gestalten sich ziemlich öde, ich bin in meinem Aktionsradius ziemlich eingeschränkt – Infusionsschläuche im linken Arm, Drainage für den Blutabfluss aus der Wunde am rechten Arm. Immerhin habe ich in diesen Tagen mehr Gelegenheit, Französisch zu sprechen, als auf der gesamten bisherigen Reise, und kann meinen Wortschatz noch um einige Kuriositäten erweitern: die Bettpfanne z. B. nennen sie hier „Pistolet“, wie die Handfeuerwaffe, wohl wegen der vage daran erinnernden Form. Ich rufe auf dem Campingplatz in Porto an, um Bescheid zu geben, dass ich mein Zelt und mein Rad bis auf weiteres stehenlassen muss und mich wieder melde, wenn ich Näheres weiß. Man versichert mir schließlich, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach am Donnerstag aus dem Krankenhaus entlassen werde.

Am Mittwoch ist schließlich meine Mutter da, als ehemalige Französischlehrerin hat sie sich gut zurechtgefunden und hat mit Hilfe eines freundlichen Taxifahrers ein Hotel für sich (und ab morgen auch für mich) gefunden. Der Taxifahrer hat ihr auch einen Kollegen vermittelt, mit dem sie für mich für Freitag die Fahrt nach Porto vereinbart hat, damit ich meine Sachen abholen kann.

Am Donnerstag werde ich tatsächlich entlassen, mein Arm ist mittels einer abnehmbaren Kunststoffschale ruhiggestellt, ich bin natürlich (als Rechtshänder) hinsichtlich aller alltäglichen Verrichtungen extrem eingeschränkt. Nun kann ich immerhin noch zwei nette Abende mit meiner Mutter in Ajaccio verbringen. Und ich kann nun auch für mich den Rückflug buchen, das kostet mich so kurzfristig allerdings über 700 Euro, immerhin bekomme ich noch einen Platz für denselben Flug, den meine Mutter (mit Fahrradmitnahme) bereits für sich gebucht hatte. Aber anders wäre es gar nicht gegangen…

Am Freitag fahre ich also mit einem freundlichen Taxifahrer nach Porto, er hilft mir, der ich ja gehandicapt bin, mit dem Zeltabbau, mit dem Packen meiner Sachen und damit, das Rad für den Flug zu verpacken (ich habe ja meine Transporthülle für den Zugtransport dabei, damit ist das Rad auch schon mehrfach geflogen). Als ich mich an der Campingplatzrezeption melde, um die für vergangenen fünf Nächte zu zahlen, meint man (wohl auch aus Mitleid), das sei nicht nötig, ich sei ja selber gar nicht dagewesen. Ich freue mich über diese Kulanz. Es geht zurück nach Ajaccio. So bin ich zum Abschluss zwar noch zweimal, hin und zurück, in den Genuss der wunderschönen, mir ja nun schon von meinem Urlaub 2001 und dem Krankentransport vor einigen Tagen bekannten Strecke zwischen Ajaccio und Porto gekommen, aber aufgrund der Entfernung (ca. 80 km für die einfache Fahrt) war es natürlich sehr teuer, ca. 260 Euro (nach Taxameter wäre es noch mehr gewesen). Aber dafür habe ich nun Rad und Gepäck in Ajaccio.

Der Rückflug am folgenden Tag gestaltet sich nochmal recht abenteuerlich, wir müssen in Paris umsteigen, vom Flughafen Orly nach Charles de Gaulle, das Gepäck und das Fahrrad werden nicht durchgestellt, so dass wir es selber im Flughafenbus transportieren müssen. Zwar zu zweit, aber mit nur drei funktionsfähigen Armen ein gewaltiger Stress, die fünf zur Verfügung stehenden Stunden reichen gerade.

Endlich in Stuttgart angekommen, verbringe ich noch ein paar Tage bei meinen Eltern, ich bin ja ohnehin noch länger krankgeschrieben und mit dem ruhiggestellten rechten Arm recht hilflos, so dass ich erstmal nicht nach Dresden zurück fahre. Meinen Eltern sei an dieser Stelle für die Unterstützung ein ganz besonderer Dank ausgesprochen. Allein hätte ich mein Gepäck mitsamt Fahrrad kaum nach Deutschland bekommen.

Intermezzo

Die Wund- und Knochenheilung verläuft planmäßig, ich bin für gut sechs Wochen krankgeschrieben, und nach längerer Physiotherapie (bis in den Januar) ist die Bewegungsfähigkeit des Arms fast zu Hundert Prozent wieder hergestellt. Ein paar Wochen vorher kann ich schon wieder radfahren.

Für das kommende Jahr (2015) ist schnell klar, wohin die jährliche Radreise diesmal gehen soll: Natürlich muss ich unbedingt die so unglücklich abgebrochene Korsikatour zu Ende führen. Ich habe gut zwei Wochen im Juli zur Verfügung. Mein Termin für die Metallentfernung ist erst einige Wochen danach, so dass die beiden Metallstifte samt Drahtschlinge im Ellenbogen noch einmal mit zurück nach Korsika reisen.

23.-28. Tag (04.07.-09.07.2015), Zugfahrt nach Marseille, mit dem Rad nach Toulon, Fähre Toulon – L’Île-Rousse, mit dem Rad nach Porto

Bei der Zählung der Tage fahre ich einfach dort fort, wo der Bericht für den letztjährigen Teil der Reise aufgehört hat. Die Fahrt nach Porto, wo mich letztes Jahr der Unfall ereilt hat und von wo aus ich meine Reiseplanungen fortführen will, sei auch nur kurz dargestellt.

Ich habe wieder den TGV von Frankfurt genommen, diesmal bis Marseille, bin in zwei Tagen landschaftlich reizvoll entlang der Küste bis Toulon geradelt, habe in Toulon die Fähre nach L’Île-Rousse genommen und bin dann dieselbe Strecke wie im Vorjahr nach Porto geradelt. In Calvi derselbe Campingplatz, dasselbe Restaurant mit dem leckeren korsischen Menü, und auch in Galéria wieder derselbe Campingplatz. Die traumhafte Strecke Calvi-Porto habe ich so ein zweites Mal genießen können. In Porto habe ich mein Zelt dann wieder auf dem Camping municipal aufgeschlagen. In der Rezeption erinnert man sich tatsächlich noch an mich und meinen Unfall vom letzten Jahr. Auch bei nochmaliger Betrachtung der Campingplatzeinfahrt wird mir nicht so recht klar, wie und warum ich hier derartig stürzen konnte.

Als das Zelt aufgebaut ist, ist es erst früher Nachmittag, und ich erfahre, dass es von Porto aus Bootsrundfahrten gibt. Eine der angebotenen Strecken führt entlang der Calanches, der wildromantischen Felsküste, die ich mir letztes Jahr am Vormittag des Unglückstages mit dem Rad und auf einer kurzen Wanderung angesehen habe. Es gibt zahlreiche Anbieter, die Preise sind bei allen ähnlich (ca. 25 Euro), so dass ich mich für diejenige Tour entscheide, die mir zeitlich am besten passt. Nun seien dem geneigten Leser auch endlich mal wieder ein paar Bilder gegönnt schmunzel :

Etwas verspätet kommt das Boot von der vorhergehenden Tour zurück.



Das Meer ist recht aufgewühlt, nichts für schwache Mägen, mir aber bereitet der Ritt über die recht heftigen Wellen besonderes Vergnügen. Im Rückblick sieht man den genuesischen Wachturm von Porto.



Es ist interessant, den Blick vom Meer auf die Felslandschaft zu genießen, die ich ja letztes Jahr schon vom Land aus kennengelernt habe.



Bisweilen fährt das Boot ganz nah an die bizarren Felsformationen heran; an mehreren Stellen haben die Brandung und die Erosion im Laufe der Jahrtausende regelrechte Tunnel geschaffen.





Mit voller Kraft geht es zurück nach Porto. Dieser Bootsausflug hat sich wirklich gelohnt.



Anschließend gönne ich mir am Strand von Porto noch ein Bad in der schäumenden Brandung.



Ich bin froh, endlich wieder in Porto zu sein; ab morgen kann ich nun endlich meine Reise, so wie ich sie letztes Jahr geplant hatte, zu Ende führen, fast so, als sei nicht passiert… Morgen geht es also tatsächlich ins Hochgebirge Richtung Col de Vergio (1477 m), wie ich es für den Nachmittag des Unglückstages geplant hatte, allerdings werde ich morgen erstmal auf etwa halber Höhe, in Evisa, übernachten.

Fortsetzung folgt…