Re: Alpenbogen Nizza – Bad-Reichenhall

von: Moarg

Re: Alpenbogen Nizza – Bad-Reichenhall - 28.10.15 20:46

Tag 04 (Do 16 Jul 15)
Abries – Ville-Vieille – Col Agnel (2.744 m) – Sampeyre – Venasca – Colletta d'Isasca (812 m) – Brondello – Saluzzo – Paesana
138 km | 6:00 h | 23,0 km/h | 2.150 Hm
Ü: Camping Valle Po | 11,50 €

Eigentlich bin ich gestern nur wegen der Grand Belvedere das Tal bis hier hoch durchgefahren. Am Abend hatte mir der junge Typ vom Tourismusbüro in Abries aber zu verstehen gegeben, dass der Fahrweg dahin eher etwas für Mountainbikes sei. Also wohl nichts für mich. Trotzdem will ich mal schauen, wie weit ich komme.

Das Zelt bleibt am Morgen also erst mal stehen und es geht das Guil-Tal weiter rauf. Bis le Echalp noch Asphalt, dann ein paar Kilometer problemlose Piste. Für Autos ist nun endgültig Schluss und auch ich gebe auf. Der nun steiler ansteigende Fahrweg sieht zwar noch gut aus und ist sicher problemlos machbar. Trotzdem scheue ich mal wieder die Pistenfahrt, einfach keine Lust. Es wären auch noch einige Kilometer bis zur Grand Belvedere zu fahren. Eine kleine „Ausrede“ habe ich, denn eigentlich darf ich gar nicht weiter. Der Weg ist abgeschrankt. Als kleinen Ersatz wandere ich noch ein kurzes Stück bis zur Petit Belvedere und rolle später dann zurück zum Campingplatz.

Bevor es richtig losgeht, kann ich in Abries sogar noch meine Reisekasse etwas auffüllen. Ein älterer Mountainbiker fragt mich nach etwas Kettenöl. Gutes Geschäft, denn der freigiebige Herr drückt mir für ein paar Tropfen glatt einen Fünfeuroschein in die Hand.

Dann zum Col Agnel, höchster Punkt meiner Tour. Leicht ist es nicht da hinauf, vor allem wegen einem heftigen Gegenwind im steilen oberen Teil. Oben ist es zwar noch relativ warm, wegen dem Wind muss ich mir für die Abfahrt trotzdem beide Jacken überziehen. Die werfe ich alsbald wieder von mir, denn die Temperaturen steigen eklatant an. Schon in Sampeyre sind es wieder über 30 °C, und das ist noch längst nicht das Ende dieser langen Gegenwind-Abfahrt.

Mehr Schwierigkeiten als die weiter steigenden Temperaturen bereiten mir die fehlenden Einkaufsmöglichkeiten. Das ganze Vareita-Tal runter gab es nichts oder hatte donnerstags Nachmittag zu. Bis Saluzzo muss ich schließlich durchhalten, dort endlich der rettende Lidl-Markt. Die Stärkung habe ich gebraucht, denn der Rest des Tages das Valle Po hinauf erweist sich mit etlichem Höhengewinn als nicht ganz einfach.


Anstieg Col Agnel



Venasca


Tag 05 (Fr 17 Jul 15)
Paesana – Crissolo – Pian del Re (2.020 m) – Barge – Bibiana – Torre Pèllice – Rifugio Barbara Lowrie (1.753 m)Villanova (1.226 m) – Villar Pèllice
114 km | 6:01 h | 18,9 km/h | 3.350 Hm
Ü: Camping Pino Blu | 10,00 €

Heute ein ganz harter Tag auf den ich mich besonders gefreut hatte. Der Ablauf ungewohnt. Drei schwere bis schwerste Anstiege, alle drei sind Stichstraßen und alle drei will ich ohne Gepäck fahren. Trotzdem ist es keine klassische Runde, denn zwischendrin ziehe ich mit Gepäck weiter vom Valle Po ins Val Pèllice.

Zunächst lasse ich das Zelt stehen und fahre zum Pian del Re. Die 1.400 Hm-Auffahrt hoch zur Quelle des Po ist sehr anspruchsvoll, landschaftlich aber lange Zeit nichts Besonderes. Grandios aber dann der offenere obere Teil und vor allem auch das Ziel selbst. Die Bergkulisse dort ist beeindruckend. Dabei kann ich sie noch nicht mal in der ganzen Pracht bewundern. Leider zu viele Wolken, welche die hohen Berge (u.a. den Mont Viso) verhüllen. Kurz bevor ich wieder aufbreche reißt es dann noch etwas auf (siehe Bild).

Zurück am Campingplatz in Paesana packe ich zusammen und starte etwas nach 12:00 Uhr in das Zwischenstück rüber ins Val Pèllice. Nach gut 30 km ist der einfache Teil des Tages bei enormer Hitze auch schon erledigt. Am Camping von Villar Pèllice kann ich ohne Probleme mein Gerödel in der Reception unterstellen. Die Leute dort hatten es mir von sich aus schon angeboten. Sie waren wohl ohnehin verwundert, was der Typ mit Rad und Gepäck schon vor 14:00 Uhr auf dem Campingplatz will...

Weiter geht es. Und zwar knallhart, denn jetzt tue ich mir mit dem Seitental hoch zum Rifugio Barbara Lowrie eine der schwersten Rampen der Westalpen an. Die ersten Kilometer sind noch einfach und gleichzeitig sehr schön. Ich bin begeistert von der wildromantischen Flusslandschaft der Pellice, besonders von den herrlichen Flussbadeplätzen. Sie zählen auf jeden Fall zu den Schönsten, die ich bis jetzt gesehen habe. Sind heute bei hochsommerlichen Temperaturen natürlich sehr gut besucht. Das sieht doch mal nach Urlaub aus, hier könnte man auch sehr gut einen ganzen Pausentag rumbringen. Zumindest müsste ich die Fahrt wenigstens für ein Weilchen mal unterbrechen, um mich auch mal in den Fluten abzukühlen. Mache ich dann nicht, bin ja nicht zum faulenzen hier. Die letzten 7 km des Anstieges stehen nun an und die sind definitiv Hors Catégorie (Schnitt um 13 %!). Wer sich daran versucht, der sollte über eine gewisse Bergfitness verfügen und schweres Reisegepäck soweit möglich unten lassen. Rückblickend wohl der härteste Anstieg meiner Tour. Aber der Kampf lohnt sich. Es ist traumhaft, auch das Ziel rund ums Rifugio Barbara Lowrie.

Zurück im Haupttal fahre ich wie geplant auch noch bis Villanova (Talschluss) durch. Dies ist auf den letzten Kilometern ebenfalls alles andere als einfach. Am Ende ein sehr anstrengender Tag mit dem ich rundum zufrieden bin. Ein paar Grad weniger hätten es sicher auch getan, ansonsten passte wieder mal alles.


Pian del Re






Das Ende der Tortur – Rifugio Barbara Lowrie





Tag 06 (Sa 18 Jul 15)
Villar Pèllice – San Secondo di Pinerolo – Sestriere (2.035 m)Col de Montgenèvre (1.855 m) – Briancon – Le Mônetier-les-Bains
123 km | 5:43 h | 21,6 km/h | 2.500 Hm
Ü: Camping Municipal les 2 Claciers | 7,20 €

Der Tag beginnt im Sauseschritt. Erst das herrliche Val Pèllice hinunter, dann weiter leicht abfallend bis San Secondo di Pinerolo. Dort werde ich dann aber jäh ausgebremst – der Hinterreifen ist platt (Glasscherbe). Das Loch ist nicht zu übersehen, leicht genervt kann ich den Schlauch gleich flicken.

Nach dem einfachen Auftakt folgt einer der längsten Anstiege der Alpen. Über 50 km zieht sich die Fahrt nach Sestriere bei allerdings nur 3 % Durchschnittssteigung hin. Sportliche Herausforderungen sehen natürlich anders aus. Die Prüfung hatte ich auch eher im Autoverkehr befürchtet. Der hält sich dann aber doch in Grenzen, kein Problem.

Ansonsten wenig Höhepunkte. Einen gibt es aber doch – die gigantische Festungsanlage Forte di Fenestrelle. Im unteren Teil schaue ich mich etwas um, habe damit aber nur einen kleinen Teil des zweitgrößten Mauerwerkbaus der Welt gesehen. Schon gewaltig, wie sich die Anlage über 600 Höhenmeter die gesamte linke Talseite nach oben schraubt.

Weiter bei meist sehr gemütlicher Steigung bis Pragelato. Dort gibt es wieder ein bisschen was zu sehen, u.a. die Olympiaschanzen von 2006. Der letzte Teil bis Sestriere ist dann etwas steiler. Sestriere selbst – naja, Skiort eben. Gut gefällt mir die folgende Abfahrt nach Cesana Torinese. Die wenig später ab Montgenèvre ist eigentlich auch gut. Es rollt aber unmöglich viel Verkehr da runter. Selten so was erlebt. Glaube aber nicht, dass das jeden Samstag so ist. Oben war irgendein Event im Gange.

Briancon erreiche ich bei aufkeimender Gewitterstimmung. Letztlich bleibe ich vom drohenden Unwetter verschont und erreiche nach etwas mühsamem Schlussteil den Campingplatz oberhalb Le Mônetier-les-Bains. Guter Platz, der Betreiber ist ein Deutscher. Im Gespräch stellt sich sogar raus, dass er jemand aus meinem Heimatdorf kennt.


Morgendlicher Blick über den Campingplatz nach Villar Pèllice


Forte di Fenestrelle


Tag 07 (So 19 Jul 15)
Le Mônetier-les-Bains – Col du Galibier (2.642 m) – Valloire – St.-Michel-de-Maurienne – Aussois – Lanslebourg-M.-C. – Col du Mont-Cenis (2.081 m) – Susa – Bussoleno
151 km | 7:05 h | 21,3 km/h | 3.050 Hm
Ü: Camping Tizianella | 14,00 €

Der Morgen zwar noch recht kühl, der klare Himmel lässt dennoch keinen Zweifel an einem weiteren Schönwettertag aufkommen. Gut für mich, denn gleich zu Beginn will ich zum berühmten Col du Galibier. Der ist zwar hoch, von meiner Seite aus gefahren aber nicht schwer. Bis zum Col du Lautaret ohnehin ein einfacher Rollerberg, ist auch der Rest bis zum Gipfel trotz windigen Bedingungen kein sonderliches Problem.

Den Col du Galibier erreiche ich nach 2001 zum zweiten Mal. Heute haben wir Sonntag, und da ist dieser Kultpass natürlich das Ziel von zahllosen anderen Radlern. Die Mehrzahl von denen ist auf Rennrädern auf der schweren Nordseite unterwegs. Im zweiten Teil der Abfahrt ab dem Col de Télégraphe kommen sogar ein paar Profis den Berg heraufgeprescht. Denke zumindest, dass es welche sind, denn sie sind im Astana-Teamoutfit incl. der Specialized-Rennmaschinen unterwegs und deren Tempo spricht auch für sich. Sonntags am trainieren – unschöne Arbeitszeiten.

Dann bei nun eingetrübtem Himmel und gelegentlichen Regentropfen das Arc-Tal hinauf. Hinter Modane nehme ich wie geplant die Alternative zur Hauptroute durchs Tal und fahre über Aussois. Sind ein paar Zusatzhöhenmeter die ganz nett zu fahren sind. In Lanslebourg fühle ich mich doch schon ganz schön müde und die zehn Kilometer hoch zum Col du Mont-Cenis rutschen dann auch nicht so wie sonst. Oben leider kein Postkartenwetter, sehr dunstig. Auffällig die Unmengen an Autos (fast ausschließlich mit italienischen Kennzeichen, vor allem Wohnmobile) welche sich entlang des Lac du Mont Cenis versammelt haben. Ohne Frage ist der See bei den Italienern ein beliebtes Wochenend-Ausflugsziel.

Dann die gigantische Abfahrt nach Susa. Wenn etwas weniger Autos unterwegs wären, könnte man es richtig krachen lassen. Aber auch so macht es Laune. In Susa habe ich keine essbaren Vorräte mehr im Gepäck und freue ich mich deshalb, dass sonntags nach 18:30 Uhr der Lidl-Markt noch geöffnet ist. Also doch wieder meine übliche abendliche Supermarkt-Kaltverpflegung. Ist mir allemal lieber als ein umständlicher Restaurantbesuch.





Col du Galibier






Entlang des Lac du Mont Cenis


Tag 08 (Mo 20 Jul 15)
Bussoleno – Meana di Susa – Colle delle Finestre (2.176 m) – Strada del Assietta – Sestriere – Oulx – Susa – Bussoleno
123 km | 7:12 h | 17,1 km/h | 2.800 Hm
Ü: Camping Tizianella | 14,00 €

Heute die erste von zwei geplanten Tagesrunden ohne Gepäck. Vielleicht liegt es am identischen Start- und Zielpunkt, auf jeden Fall funktioniert heute vom Start weg das Routing mit dem Navi nicht. Bis Susa drücke ich noch auf dem blöden Ding drauf rum. Hilft nichts, für den Rest des Tages fahre ich das Navi also mehr oder weniger nur spazieren.

Den richtigen Weg aus Susa raus Richtung Colle delle Finestre finde ich auch ohne Naviunterstützung problemlos. Dann der Monsteranstieg zum Finestre, gleich vom Start weg in Meana di Susa mit ganz harten Rampen. Nach dem Ort wird es dann etwas erträglicher, bleibt natürlich trotzdem Oberklasse. Immerhin habe ich es hier mit knapp 1.700 Höhenmetern auf gerade einmal 18,2 km zu tun. Es gibt nicht so viele Anstiege, die von der Papierform her schwieriger sind. Für mich läuft es doch erstaunlich locker, auch auf den letzten acht Kilometern im Bereich der gut fahrbaren Schotterpiste.

Dann die Strada del Assietta. Über 30 km Militärstraßenschotter sind eigentlich gar nicht mein Ding, heute will es mir aber doch mal antun. Die ersten drei Kilometer sind gleich mal ziemlich grausam, mir kommen schon Zweifel an dem Unternehmen. Danach ist es doch ganz gut machbar, natürlich ohne richtiges Tempo. Insgesamt ist es schon eine grandiose Sache, erst recht an so einem Schönwettertag wie heute. Etwas genervt von der Piste bin ich eigentlich nur am Schluss in der Abfahrt vom Colle Basset nach Sestriere. Hatte mich hier, warum auch immer, innerlich auf Asphalt eingestellt. Stattdessen ist weiterhin schwierige Schotterpiste angesagt, auf der ich vor mich hin fluchend zu Tal eiern muss.

Der Blick auf den Tagesschnitt fällt in Sestriere etwas deprimierend aus: nur knapp über 12 km/h. Das sah am Finestre sogar noch besser aus. Wenigstens geht es ab jetzt anders vorwärts, Asphalt sowieso und dazu fast nur noch bergab bis ins Ziel. Die Tatsache, dass ich heute den niedrigsten Schnitt der gesamten Tour hinlege ist freilich nicht mehr zu „korrigieren“.

Der Camping Tizianella ist ein Paradebeispiel für einen wenig einladenden Dauercamper-Platz. Die sind ja durchaus typisch für Italien. Auf Sauberkeit wird auch kein übergroßer Wert gelegt. Ich durfte mein Zelt unmittelbar neben einer der Müllecken aufstellen. Positiv ist aber die Pizzeria direkt neben dem Eingang. Klasse Pizzen zum Kampfpreis von gerade einmal 5,00 Euro - gäbe es so ein Angebot jeden Tag vor der Zelttür würde ich mich wohl drei Wochen lang von Pizza ernähren.


Oberer Teil Colle delle Finestre



Colle delle Finestre (2.176 m) - Blick zurück auf die letzten Kehren der Nordrampe






Strada dell' Assietta