Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien

von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 15.12.15 18:28

KAPITEL VIII
Die Alpe-Adria-Radautobahn connected by sideway channels:
Friulanisches Endspiel Tarvisiano – Udine


Das letzte Kapitel ist zu einem kleinen Gemischtwarenladen geworden, soweit ich auch nicht alle Wertungspunkte der Tour erreichen konnte. Tolmezzo ist noch ein Hauptort Karniens, das Àupa-Tal ist aber schon dem Tarvisiano zuzuschlagen. Das Tarvisiano war auch schon Teil des 3. Kapitels, dort aber als Rückseite des Triglav-Nationalparks, der nur deswegen nach Norden begrenzt ist, weil dort die Landesgrenze verläuft. Andere Teile des Schlusstages würden auch ins 6. Kapitel passen, insbesondere die Weingebiets-Beradlung der nördlichen Colli Orientali nochmal und Udine müsste eigentlich in einer erweiterten Tour etwas zu einem neu gedachten Kapitel zur friulanischen Ebene beitragen. Auch stand zur Diskussion, den Regional-Beamer in Tarvisio zu starten, was aber einige, recht komplizierte Verwicklungen ergeben hätte und zum Ausschluss von Udine geführt hätte, was wiederum Teil des Forschungsauftrag sein sollte.

Fr 17.7. Paularo – Tolmezzo – Moggio Udinese – Val Àupa – Sella di Cereschiátis (1066 m) – Studena Alta – Pontebba – via CAAR – Ugovizza – via CAAR – Sella di Camporosso (816 m) – Valbruna – Val Saisera – Malga Saisera – Valbruna – Ugovizza – via CAAR – ~Pontebba
W: bis ca. 30 °C, schwül, diesig, meist sonnig, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Ranzo, Valbruna): Tagliatelle m. Garnelen, Hirschgulasch m. Polenta, Zucchini, Pannacotta, Rotwein 29,50 € (***)
111 km | 13,5 km/h | 8:08 h | 1425 Hm

Das Incaroio-Tal, auch Chiarsò-Tal genannt, verlasse ich diesmal über die flottere Talstraße, die – wie schon erwähnt – weniger reizvolle Momente liefert als die Dörferstraße oberhalb. Tolmezzo ist ein willkommener Verpflegungsort mit einer opulent bestückten Früchtehalle und besonderen Gebäckspezialitäten. Amaro darf noch auf die größere Felskulisse gegen Norden verweisen, danach bleibt die Sicht meistens im Schatten der Nordberge stecken. Rennradler werden zur Brücke nach Carnia (Ort) abzweigen müssen. Das gilt auch für die offizielle CAAR-Route, die hier nicht als Radweg ausgebaut ist und auf der SS 13 bis Resiutta abgeradelt werden muss, oder alternativ für diese Route hier mit Brücke retour nach Moggio Udinese. Dabei ist die Staatsstraße durch die ebenfalls taleigene Autobahn entlastet. Die Benutzung der Staatsstraße ist die Empfehlung der CAAR-Verwalter und wird so in Pontebba auf einer Litfasssäule angezeigt. Alternativ ist aber auch eine Schotterstraße machbar, wobei die Qualität mittelprächtig ist, aber breitere Straßenreifen ausreichend sind. Diese Schotterstraße (geringer lokaler Autoverkehr) befindet sich auf bereits beradelter Seite – es braucht also keine Brückenquerung über die Fella. Der Abzweig liegt unmittelbar dort, wo es den Brückenabzweig nach Carnia gibt.

Auf Schotter gibt es kleine Passagen mit wildwuchernden Büschen, die ein schattiges Dach bilden, aber meist brennt die Sonne hinein und wird vom weißen Kalkstein grell zurückgeworfen. Die Fella liegt manchmal ganz frei zur Rechten als glitzerndes blaues Band und bildet manchmal Badeplätze – hier alles ähnlich zu Tagliamento, in den die Fella nur wenig unterhalb mündet. Einige Male, mit sehr kurzen, aber auch mal giftigen Steigungen, wechselt man die Seiten zwischen Hanglage und Flussroute, bzw. tauscht die Position mit der Autobahn. Ein reizvolles Tal mit blau- bis smaragdfarbenen Lagunenbadeplätzen und Gumpen zieht sich entlang dem Glagno, den man an seiner Mündung über eine Brücke überquert, die oberen Teile sind per Stichstraße erreichbar, vermutlich allerdings nur unter zusätzlichen steilen Fußabstiegen von der Straße zum Fluss.

Moggio Udinese ist mehr ein ruhiger Wohnort als ein Einkaufszentrum, auch der CAAR-Tourismus wird hier nur bedingt genutzt, weil eben nicht an der Hauptroute. Das Àupa-Tal, wieder zu beiden Seiten des Passes so bezeichnet, ist ein ziemlich steiniges, geröllhaftes Flusstal, in dem fast alle Kaskaden verbaggert und betoniert wurden, um der Wildnis ein Ende zu bereiten. Die Felsenwelt lässt sich aber ihren strahlenden Glanz nicht nehmen, der die unteren Teile beherrscht. Man kommt kaum an den Fluss, nicht weil zu hohe Ufer, sondern wegen der ungünstig geschaufelten Blocksteine einerseits und der permanenten Leitplanken, deren Sicherheitsdiktat für ein solch einsames Tal unangemessen scheint. Die oberen Passagen tauchen in Wald ab, wie auch die Passhöhe nur ein kleines Aussichtsspalier noch Osten zulässt. Die Ostrampe unterscheidet sich deutlich mit weiten Almwiesen und herrlichen Bergkulissen, auch gibt es eine typische, wenn auch spärliche Verteilung von Almen oder kleineren Bergsiedlungen.

Pontebba, zum Zweiten – jetzt mit Ortsdurchfahrt. Unübersehbar ist Pontebba zu einer Radlerschnittstelle geworden, unterschiedlichster Radlertypen – viele auch mit Gepäck, kreuzen die Ortsachse. Die meisten, gewiss, bewegen sich auf dem Alpen-Adria-Radweg. Zusätzlich bildet Pontebba natürlich auch das Drehkreuz heute und vortags gefahrener drei Pässe und bietet sich mit weiteren Varianten als vielfältiger Basisort für ambitionierte Tagestouren an. Das Radlerleben tut Pontebba wirtschaftlich gut, aber die Transitachsenlage ist vielfältiger, was sich unschwer an zahlreichen Schienensträngen des Bahnhofs und dem Brückengewirr der Straßen erkennen lässt. Die Experimentalforschung zum CAAR fällt hier weitgehend mit positivem Urteil aus, bis auf eine etwas verwirrende Wegführung aus Pontebba raus oder dort hinein. Es bietet sich ggf. an, die östlichen Meter vor Pontebba über Straße zu fahren. Sonst aber bietet der CAAR ruhiges Radeln, natürlich nicht Stille – dazu ist das Tal zuviel Verkehrsachse. Abschließend ist nicht einmal alles zu bewerten, denn einige Teile waren noch nicht fertig gestellt. Mancher Schilderwald könnte bescheidener ausfallen – hier sind aber internationale Schilder-Regime wohl auf breiter Front in Europa zu mächtig. Auch gibt es mal eine Extraleibungsübung mit Rad-in-die-Hand-nehmen mit Treppenlauf – so allerdings erst am nächsten Tag südlich Pontebba vorgefunden. Ein bisschen schwach ist die Ausschilderung der Gastbetriebe und einige Orte laufen Gefahr, durch das Vorbeigeleiten von radtouristischen Erträgen ungerecht abgeschnitten zu werden – etwa Malborghetto, das zur anderen Talseite liegt und kaum ausgeschildert ist (Brücke ist aber da).

Das durch die Straßen etwas unschön zerschnittene Tal quert man auf dem CAAR mal zur Nordseite, mal zu Südseite. Picknickplätze sind vorhanden, wobei ich einen davon als Notschlafplatz missbrauchte. Auch Brunnen liegen an der Strecke, aber seltener als erwartet – da wäre mehr drin gewesen. An den Kulturinformationen könnte noch gearbeitet werden, insbesondere an der schon eingangs kritisch reflektierten Ignoranz gegenüber den Besonderheiten des historischen Alpen-Adria-Raumes und seiner karantanischen Wurzeln, was dem Namensetikett mehr Substanz verleihen würde. Die wissenschaftliche Exposé des CAAR wäre nicht komplett, wenn der Hinweis auf die Zählstationen fehlen würde. Eine solche befindet sich kurz nach dem Sella die Camporosso, ein kaum wahrnehmbarer Sattel dieser fast ebenen Gleitstrecke. Der Digitalzähler wurde in einem riesigen Holztor verbaut und lässt sich schlecht manipulieren, wie ich durch Hin- und Herschieben des Rades versucht hatte. Der Zähler beharrte darauf, mir nur eine Wertung zuteil werden lassen, hatte ich doch darauf gehofft, als Alien mindestens das doppelte Zählgewicht verdient zu haben.

Mit dem Blick auf Camporosso wendete ich mich zur Umkehr und dem Val Saisera via Valbruna zu. Ähnlich wie am Vortag überrennt mich aber die Dämmerung und lässt das Erlebnis im eindrucksvollen Felskessel ziemlich abgedimmt zurück. Die Straße ist zwar nicht extrem steil, muss aber in ein paar steileren Schüben auch erstmal bewältigt werden. Unten ausgewiesen, gibt es Straßenverlauf fünf Parkplätze, was auf die große Beliebtheit als Wanderrevier deutet. Der unterste bietet elementaren Campingfunktionen für Wohnmobilisten, am obersten sammeln sich abends die Sonnenuntergangs- und Sonnenaufgangsgenießer, was zu einem geisterhaften Sprachgewirr an einem vermeintlich einsamen Ort führt, obwohl man in der Dämmerung kaum jemand sieht – nur die weiß abstrahlenden Autos. Bereits zur Mitte hin hörte ich große Stimmenvielfalt von einem wilden Zeltlager, zur anderen Seite tobten mit Stirnlampen Motocrossfahrer durch Steingeröllfelder. Im Zwist über ein eventuell berauschendes Erweckungserlebnis am Morgen oder einem köstlichen Abendmahl entschied ich mich für das Ess- und Trinkbare, für das ich nochmal bei Dunkelheit ins Tal runter musste.

Sa 18.7. Pontebba – Dogna – Sella di Sompdogna (1392 m) – Dogna – Chiusaforte – Resiutta – Val Resia – Sella Carnizza (1092 m)
W: bis ca. 32 °C, teils windig, sehr sonnig
Ü: C wild (Baita Botton d'Oro) 0 €
AE (dito): Gnocchi m. Käse, Salat, Hirschgulasch m. Polenta, Rotwein, Cafe 23 € (-)
80 km | 11,2 km/h | 7:07 h | 1850 Hm

Als ich in Pontebba frühstückte, näherte sich mir ein Alienfreundin aus Villach, ganz von meinen Grüntönen überwältigt. Ich musste ihr Modell stehen und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich mein Alien-Porträt in Carinthia verbreitet hat. Gegen diesen karantanischen Geist kann ich natürlich nichts einwenden und stelle mich so gerne der Alien-Werbeaktionen zur Verfügung. Es lässt sich kaum vermeiden, dass man weitere Radler trifft oder kreuzt, wie den Italiener, der sich talabwärts mit magerem Gepäck nach Grado bewegte. Ich hätte ihn weiter begleiten können, wenn ich nicht meiner Aufgabe zu fotodokumentarischen Arbeiten betraut gewesen wäre. Auch wäre es nicht mehr weit gewesen zur Trennung der Wege.

Das Val Dogna ist vom Canal del Ferro (Eisental) fast abgeriegelt. Erst nach einem Tunnel wird klar, dass hier noch ein weit reichendes Tal liegt, dessen Faszination gleich in den untersten Etagen seinen Anspruch auf Extraklasse anmeldet. Die Gebirgskulisse ist überwältigend, die Trasse der ehemaligen Militärstraße verwegen bis brisant, kehrenreich in Fels gehauen, wenn auch nicht mehr überall original geführt und auch deswegen wohl in der Asphaltqualität deutlich besser als etwa der Lanzenpass. Es gibt einige museale Reste aus Kriegszeiten wie etwa die mächtigen Betonpfeiler einer ehemaligen militärischen Bergbahn. In einigen Felsnischen der Kurven finden sich Wasserfälle, davon eine mit badegerechten Gumpen auf mehreren Etagen. Nicht nur hier ein Fest für nackte Aliens. Die Versorgung ist über einige Gasthäuser möglich, auch mit Nachtlagern, wobei sich die zwei beliebten Wandertreffpunkte auf die oberen Bereiche konzentrieren, eine davon das Rifugio Grego leicht oberhalb der abschließenden Passhöhe. Der weitere Weg ist per Wanderstiefel oder Mountainbike abwärts ins Val Saisera möglich (also dem Ort des Vorabends). Die Recherchen sagten, von Reiseradquerungen abzusehen, wobei weder unten noch hier oben sich eindeutige Hinweise finden, wie gut die Strecke radelbar wäre oder nicht. Aufgrund der Bewaldung ist es aber eher eine logistische Luxusfrage, die Bergszenarien sind mit beiden Stichrouten erschöpfend mit den befähigsten Malstiften gezeichnet.

Es war ein Tag der heißen Luft, wobei das sehr wörtlich gemeint ist. Das Canal del Ferro bleibt zwar noch schmal eingerahmt wie einem Kanaltal zugestanden, weitet aber schon mal die Kiesbänke des Flusses oberhalb von Chiusaforte. Für die Autobahn hat man mehrfach stereophile Löcher in den Berg gestochen, was wieder eigene Reize schafft. In Chiusaforte herrscht großer Müßiggang, ein dem sanften Charme einer provinziellen Armut – leicht fällt es dem Unbeteiligten die ärmliche Entschleunigung höher zu bewerten als die kommerziell erfolgreiche Geschäftigkeit. Wieder sehe ich Teile des neuen CAAR, verpasse aber die Auffahrten – da könnten noch mehr Verbindungen zwischen Straße und Radweg hergestellt werden. Resiutta hat sich jedenfalls bereits mit Gastbetrieben auf die radelnde Meute der moderaten Alpenquerer eingestellt.

Das Val Resia beginnt in der ersten Kehre mit beliebten Badestellen, grün leuchtende Vertiefungen bieten jugendlichen Felsspringern die geeignete Tauchwanne. Lieblich leuchtet das Tal dann in Silbertönen, die den Fluss als Buschwerk fast komplett verdecken. Das Tal lockt noch weiter zu fahren, der Ort Resia hingegen liegt über dem Tal, nicht einsehbar. Auch am Abzweig zum Sella Carnizza sind nochmal Badestellen mit Blocksteinromantik besucht. Der Fels rückt nun näher und der Alienmuskel wird nochmal gefordert. Eine letzte Zwischenebene wird von wenigen Familien bewohnt – dort findet sich ortsausgangs der Wanderwegabstecher zum Wasserfall Barman mit einem großen Pool. Die Wanderung dorthin musste ich der fortgeschrittenen Tageszeit allerdings opfern.

Es war intuitiv die richtige Wahl, den Carnizza-Pass noch in den Tag zu packen und nicht zu döselig den Tag in Resia zu beenden. Ich hatte es nicht wirklich erwartet, aber der Sella Carnizza zeigte nun auf den letzten, bewaldeten Kilometern die Zähne eines Mörderhais. Das Straßenschild begnügt sich mit 12 % – doch die Zoncolanischen Kategorien sind hier nochmal voll wirksam. Wir wissen ja mittlerweile, dass die Vermesser auf dem Erdenball nicht immer die besten sind. Es gab zwar keinen Brunnen an dem Aufstieg , das war – zumindest für evtl. folgende Erdenmenschen – nicht nötig, produzierte ich doch reißende Flutbäche von gesalzenem Alienwasser, welches das Tal noch tagelang geflutet haben dürfte.

Auch diesmal war die Dämmerung eingefallen, als ich die Passhöhe erreichte, die recht weitläufig die einzige Versorgungsmöglichkeit durch zwei Almwirtschaften bietet – allerdings ohne Übernachtungsgelegenheit. Ich suchte wohl wieder instinktiv einen Alienfreund, auf dessen Hüttenterrasse eine kleine Festgemeinde tafelte und mir zunächst bei den Mahlzeiten nur geringe Achtsamkeit einbrachte. Ohne die Kochkünste loben zu können, bot mir der Almwirt aber seine Weiden als Zeltstatt an – und zwar direkt neben einem Lamborghini. Ich hatte mal von Erdenbürgern vernommen, dass es sich dabei um besondere Fahrwerke handeln soll. Also ein Ehrenplatz.

So 19.7. Sella Carnizza – Uccea – Passo di Tanamea (851 m) [24] – Vedronza – Zomeais – Tarcento – Sedilis – Nimis – Zompitta – Ribis – Udine [22:45 h || per DB-Beamer || Green Devil Mo 20.7. 10:10 h]
W: bis ca. 36 °C, sehr schwül, sonnig bis sonnig, teils sehr diesig
AE (R Odeon): Spaghetti m. Muscheln/Garnelen, Rinderfilet m. Steinpilzen, Ciocoletta Vesuvio, Cafe 41,70 € (****)
72 km | 15,0 km/h | 4:35 h | 520 Hm

Der Almweiler am Carnizza-Pass ist nur teilweise nachts belebt, die meisten verlassen die Häuser zur Nacht, so auch der Wirt der Baita Botton d'Oro. Der Name der Hütte bezeichnet die Trollblume, die auch als Goldköpfchen bekannt ist. Es muss eine Fügung mit karantanischem Blumenzeichen zum freundlichen Abschied gewesen sein, dass ich an solchem Platze ausgerechnet am Tag der Abreise nächtigte – noch dazu der Morgen sich gleichermaßen golden sonnig zeigte. Die Abfahrt ist halblicht mit wechselnden Baum- und Wieseneindrücken, eine Schlucht liegt zu fern unten, um sie begutachten zu können. Uccea wirkt verlassener als ich vermutete und es ist unwahrscheinlich, dort Kaffee oder Mahlzeiten gereicht zu bekommen. Ein schneller Weg zu Infrastruktur würde wegführen westlich nach Bovec in Slowenien, das Tal dort hin wirkt recht dicht belaubt ohne große Ausblicke.

Zum Tanamea-Pass fährt es sich angenehm bei mäßiger Steigung durch lichten Wald, ein wenig Bergbachblick nach unten. Zuoberst wiederum eher verlassene Gebäude – vielleicht gibt es zu besseren Zeiten eine Einkehrmöglichkeiten. Immerhin sind einige Wanderer unterwegs, wie auch bei einer weiteren Anlage auf der Westseite, wo man sich eher einen Gasthof vorstellen kann, wenn auch hier geschlossene Türen nicht richtig erahnen lassen, worum es sich nebst Forstverwaltung dabei noch handelt. Das Tal entblößt sich nun als Felsenmeer mit Bergkulissen und zuweilen gleißend hellen Geröllböden, auf denen sich einzeln gesetzte Kiefern verteilen und ein mediterranes Flair unter Himmelazur verströmen.

Erst beim Abzweig Musi, schon recht weit unten, ist ein erster erkennbar geöffneter Gasthof zu finden. Unmittelbar dort befindet sich eine Kluse, die ein kleine Schlucht einleitet, dann sich wieder als breiteres Bergwiesenland mit Buschwerk weitet, mit einigen gut gesuchten Badestellen. Der erste klein Ort, mit Tankstelle und zwei Bistros, ist Pradielis, wo ich nebst italienischen Rennradlern ein kleines Frühstück finde. Nochmal Käse und Joghurt der Zore-Alm gibt es sogar im Sonntagsverkauf direkt an der Straße ausgangs Vendronza, wo sich weitere Badestelle in ein Nebental rein finden. Schon nur wenig weiter schließt sich der Kreis zum 6. Kapitel mit der Verzweigung nach Villanova. Die Badestellen des Fiume Torre in der Nähe der Brücke in Zomeais sind mit Rad auch schiebend nicht zu erreichen, sodass ich eine etwas mückenreiche Nischenalternative in einem Nebental vorziehe.

Die Schwüle des Tages lässt weitere Ambitionen für die Alienmuskeln erschlaffen. Kaum mehr als ein guter Kilometer, schleppe ich mich in Tarcento zu einem Café mit selbstgemachten Eis. Die Kühlung hält allerdings nur wenig vor, das Eis schmilzt bereits während des gierigen Schleckens. Da die Ebenenstrecke keinerlei Schatten verspricht, entscheide ich mich doch noch zu einer Hügelfahrt, die gleich unter dichtem Buschwerk, allerdings auch mit heftiger Steigung beginnt. Eine kleine Passage ist sogar nur schiebend zu überwinden – es sind die letzten Hechelzungen der Reise, die ich zu vergeben habe und sie sind jenseits der fahrbaren 5er-Grenze. Erheitert wird die kleine Rampenfahrt durch bemalte Häuser, auf einem dieser ein zwergiger Kletterer mit Seilzeug versucht den übermächtigen Busen einer Frau zu erklimmen. Ich fühle mich dem Kletterer gleichgestellt, obwohl ich die verheißungsvolle Wonnebrust des Weinberges nicht finden kann.

Das streng begrenzte Ramandolo-Anbaugebiet (es werden aber auch noch andere Weine produziert) beschreibt nochmal eine kleine Hügelwelt, die aber dem Collio des Goriska Brda landschaftlich nicht ebenbürtig sein kann – schön ist es aber auch. Im Gegensatz zu Slowenien, ist es schwer, Weinproben mal so nebenbei zu finden. Es gibt fixe Besuchszeiten, nicht mal der Weinverkauf wird von den Winzern flexibel gehandhabt. So ist es sonntags nahezu unmöglich, direkt bei einem der Winzer reinzuschauen. Die einzige Weineinkehr bietet ein Agriturismo-Betrieb, der aber mehr eine klassische Gaststätte ist – eine Weinprobe mit Erläuterungen gibt es auch hier nicht. Stattdessen kann man sich die Hausweine mit einer Vesper aus gutem Schinken reichen lassen – alles zu regulären Gastronomiepreisen, versteht sich – von dem persönlichen Charme ein Probe hat das aber wenig. Ich erwerbe schließlich einen Ramandolo als kleine, güldene Forschungsprobe für die Green Devil.

Nun ist es unvermeidlich, durch ebene wie offene Sonnenblumen- und Maisfeldlandschaften zu fahren, aus denen überall die typischen Campanile der herausragen. Die Landschaft hat in der milden Abendsonne ihren speziellen Reiz – eine ländliche Gelassenheit, ein untrüglicher Goldglanz. Es gibt eine weites Kanalsystem zur Bewässerung, das bis in die Stadt Udine reinreicht – dort als erfrischende Klimaanlage gedacht, was sich zusammen mit den Schattenbäumen auch gut verwirklicht. Die lebenswerten Außenbezirke stehen im Zeichen studentischer, multikultureller Bewohner, alles ist äußerst gepflegt. Den Eindruck bestätigt auch die Altstadt, wo nur noch selten Kanäle offen liegen. Die gesamte Altstadt ist für Radler ein mittlere Hölle, da es nur Pflastersteine gibt. Meistens kann man zwischen zwei Arten Pflaster wählen – die Demokratie der Hölle. Obwohl man in Italien schon mal sonntags geöffnete Läden finden könnte, beschränkt sich das in Udine auf einige Allzweckläden im Bahnhofgebiet, das fest in der Hand internationaler Drittlandbewohner ist – vor allem Afrikaner und Inder und ein paar andere Asiaten. Hier verirrt sich allerdings kein Ureinwohner Karantaniens – als wäre es eine komplette Fremdzone. Einzige Fressbuden sind Fastfood-Baracken aus Amerika und China.

Erstaunlich dünn ist die Anzahl der Restaurants um die große Piazza und dem südlichen Altstadtkern. Von den hübschen Trattorien, die ich bei der Einfahrt genüsslich sah, sie aber ausschlug, um mir zunächst den Weg zum DB-Beamer zu optimieren, fand ich alsbald nichts mehr wieder. Die Udineser sitzen an Plätzen und schauen und trinken Kaffee, Grappa oder Aperol-Spritz – eventuell stochern sie auch in einem Eis herum, wobei es vielfach um den Wettbewerb um den langsamen Genuss geht, den es gilt mit möglichst vielen Worten zu begleiten. Gemessen an den Möglichkeiten, die Trieste bietet, ist hier fast provinzielle Leere und Stille. Die Gebäude bilden eine durchaus formidable Kulisse, jedoch ohne großes Theater – eine recht unitalienische Großstadt. Es ist eben Karantanien, in dem leise und gut gelebt wird, fast ein bisschen schweizerisch – auch immer etwas geheimnisvoll. Das Furlanische soll ja dem Rätoromanischen ähnlich sein. So finde ich doch noch eine versteckte Laubenecke, hinter der sich ein Tempel mit kostbar mundenden Gerichten befindet. Es soll halt nicht jeder sehen, welchen Genüssen man sich hingibt.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Forschungsauftrag ‚Das ehemalige Königreich Karantanien in der republikanischen, nationalstaatlichen Neuzeit in seinen bergigen und marinen Rad-Perspektiven einer kapriziösen Naturwunderwelt als europäisch wegweisendes Kontinuum transkultureller, friedlicher Koexistenz vielsprachiger Volksgruppen der historischen wie modernen Alpen-Adria-Region unter spezieller Berücksichtung von visuellen, poetischen und gastronomischen Genussmerkmalen’ beendet. Letzte vulkanische Dessertpartikel in Speiseröhre. Bitte um Wiederaufnahme auf die Green Devil mit DB-Beamer, Lokalsegmentkennung Udine Stazione!“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Irdische Bankomatenlizenz abgemeldet. DB-Beamer geschaltet. Keine Wartezeit vorhanden, sofort Beamer-Station aufsuchen! Beamer arbeitet im unsichtbaren Nachtphasenmodus. Erwarte ausführlichen Forschungsbericht über Karantanien! Good luck and welcome back on Green Devil!“



Studiae extensii abgeschlossen.
„Leiht mir neue Wörter,… drei, vier Wörter und sonst nichts…“ (vgl. Eingangszitat) – nun, das Angebot geliehener Wörter war doch etwas größer als erwartet. Melde mich daher nochmal mit einer komprimierten Schlussbetrachtung. Auch eine weitere Abteilung der Green Devil soll noch eine Nacharbeit angemeldet haben.

Musik: Der Triester Jazztrompeter Enrico Rava hat sich als einer der großen Stilikonen im Gefolge von Chet Baker und Miles Davis platzieren können und schafft berührende Stimmungen mit dem Horn. Hier im Quartett ebenso sensibel begleitet von Stefano Bollani, p, Giovanni Tommaso, b, und Roberto Gatto, dr – der Hauch des Sommers auf der Haut: Enrico Rava „Profuma Di Donna” (5:04 min.)

Bildergalerie Kap. VIII (112 Bilder):



Fortsetzung folgt