Re: Von Vilnius nach Passau - Der Weg ist das Ziel

von: Keine Ahnung

Re: Von Vilnius nach Passau - Der Weg ist das Ziel - 17.10.16 18:53

... und nun der dritte Teil (Tag 7 - Tag 11) ...



DER SIEBTE TAG (31.05. – 166 KM / 476 M)

Das Gewitter des Vorabends brachte etwas feuchteres Wetter mit sich. Diesen Tag erlebte ich bis etwa 17 Uhr immer wieder einmal – zum Glück nur kurze, aber heftige – Regengüsse. Eine Nacht am Zeltplatz wäre aber sicher nicht so schön gewesen. Kein Grund zur schlechten Laune! In Mielnik gab es eine Fähre über den Bug, aber warum schon hier über den Fluss, wenn es 11 km weiter in Niemirów direkt vor der weißrussischen Grenze noch eine gab. Dazwischen lag zwar ein spürbarer Hügel, aber so etwas hat mich noch nie geschreckt. Die Fähre war dann auch bald in Sicht, sie lag am Ufer und schien nur darauf zu warten, mich über das Wasser zu bringen.



Es war aber verdächtig ruhig und als ich an der Schranke ankam, bemerkte ich einen Zettel.



Schon bevor ich meinen Google Translator befragen konnte, ahnte ich schon, was da geschrieben steht. So war es dann auch … in etwa: „Der Andrang ist uns zu gering, da haben wir keinen Bock, die Fähre in Bewegung zu setzen …“.
Na toll. Also wieder zurück über den Berg nach Mielnik. Dort gab es eine baugleiche Fähre und die Motivation der Fährfahrer war wohl etwas höher …



Wieder mit ca. 20 km mehr auf der Umwegeliste, aber immerhin drüben, konnte ich die Reise fortsetzen. Wie man schon an den geringen Höhenmetern sieht, die sich an diesem Tag akkumuliert haben, war die Fahrt entlang der Bug und damit der Grenze zu Weißrussland eher flach. Die Fahrt war zwar nicht langweilig, aber auch nicht nervenaufreibend spannend. Es sollen auch hier ein paar Impressionen nicht fehlen.











Wie man an den diversen Kreuzen und Kirchen unterwegs bemerken konnte, waren hier durch die Nähe Weißrusslands russisch-orthodoxe und katholische Christen gleichermaßen eifrig am Werk. Die rege besuchten Gottesdienste und Andachten legten davon ebenfalls Zeugnis ab.





Mein Ziel war der Campingplatz am Biale-See, den ich dann auch am späten Nachmittag erreichte. Es war offensichtlich noch nicht Hauptsaison, weshalb ich gleich von der ganzen Besitzer-Familie begeistert empfangen wurde. Sie meinten, dass es in der Nach regnen sollte und boten mir für den gleichen Preis wie den Zeltplatz eine kleine Wohnung in einem Ferienhaus an. Für etwa 7 Euro erschien mir das Angebot doch sehr verlockend und ich nahm an. Alles wirbelte umher, um die Wohnung auf Vordermann zu bringen. In der Nacht regnete es tatsächlich und als ich auf der überdachten Terrasse mein Abendessen zu mir nahm, bemerkte ich auch einen anderen Vorzug der Wohnung. Am See gab es verdammt viele Mücken, die offensichtlich auch schon sehnsüchtig auf Touristen warteten.





DER ACHTE TAG (01.06. – 142 KM / 1280 M)

Schon so viel vorweg – es war ein sehr interessanter aber auch verdammt anstrengender Tag. Kurz vor 7 Uhr ging die Tour los. Mein Übernachtungsort war nicht weit vom Konzentrationslager Sobibór entfernt und der Green-Velo-Radweg führt dort wohl auch ganz bewusst vorbei. Vom Lager ist bis auf die Laderampe, die mit dem Wissen darüber, was dort passiert ist, schon bedrückend genug war, nichts mehr übriggeblieben. Eine Gedenkstätte informiert und erinnert an die Gräueltaten, die die Nazis dort verübt haben.









Bis Chełm waren die Wege recht gut. Die Stadt selber fand ich nicht so interessant.











Nachdem ich auf dem Weg nach Chełm schon fast gefürchtet hatte, dass ich ohne gebührenden Abschied die Sandwege hinter mir gelassen hätte, meldeten sie sich zum Glück erneut zurück. Auch ein paar nette Schiebepassagen waren wieder dabei. Gegen 14 Uhr kündigte sich ein Gewitter an. Ich konnte gerade noch eine MOR-Raststelle erreichen, als es anfing, wie aus Kübeln zu regnen. Ich nutzte dieses Naturschauspiel, um unter Dach ein spätes Mittagessen zu mir zu nehmen.





Bei leichtem Regen fuhr ich weiter. Über die Straßen flossen noch Sturzbäche von Regenwasser. Schließlich erreichte ich eine der naturbelassenen Pisten. Hier merkte ich, dass ich leider keine reine Sand-Strecke vor mir hatte. Der Boden war lehmig und nach wenigen Metern hatten die Reifen mehr Gewicht zugelegt, als einer flotten Fahrt guttun konnte. Notgedrungen musste ich das Fahrrad die ganze Strecke mitten durch die angrenzenden Felder schieben. Zum Glück hatten die Bauern gerade keine Lust, durch den Dreck zu stapfen, sonst hätte ich mit größter Wahrscheinlichkeit neue Freunde in Polen dazugewonnen. Nach dieser Schlammschlacht fand ich ein Haus mit einem größeren Hof. Dort klingelte ich und fragte nach einem Wasserschlauch, um wieder alle Teile des Fahrrads sehen zu können. Der 16-jährige Sohn wurde zur Hilfe abgestellt. Er war bereits Austauschschüler in Winterlingen gewesen und hatte daher gar keine Abneigung, mit mir ins Gespräch zu kommen. Eine halbe Stunde brauchte ich, um den hervorragend haftenden Dreck von Fahrrad, Packtaschen und meinen Gamaschen zu entfernen. Nass war ich ja sowieso schon.







Zufrieden mit dem recht guten Aussehen des Fahrrads fuhr ich weiter. Nur wenige Kilometer später fiel mir auf, dass das Hinterrad irgendwie unwuchtig war. Doch noch Dreck an den Reifen? Eine kurze Inspektion führte zu einem vernichtenden Urteil. Der noch recht neue Schwalbe Mondial hatte in der Flanke einen langen Riss, so dass es nicht lange dauern konnte, bis sich der Schlauch mit einem lauten Knall den Weg in die Freiheit erkämpfen würde. Ich ließ etwas Luft ab und fuhr vorsichtig zum nächsten Ort. Nach mühsamer „Konversation“ mit einigen Einwohnern, wurde ich zu einem Hotel an der Schnellstraße geschickt. Das waren noch etwa 20 km, während derer sich der Zustand des Mantels verschlechterte. Er hielt aber durch. Im Hotel konnte ich meinen „Notmantel“ aufziehen.



DER NEUNTE TAG (02.06. – 140 KM / 917 M)

Den defekten Reifen konnte ich direkt vor dem Hotel am nächsten Tag an sehr passender Stelle zurücklassen. Im Internet hatte ich in Zamoścacute; einen Fahrradladen (Hermes) entdeckt. Ich wollte eigentlich nicht nach Zamosc, aber einen Fahrradladen brauchte ich schon.





Bei der Werkstatt war ich um 8:30 Uhr, um 9:00 Uhr sollte sie öffnen und um 8:45 kam jemand, der mir zum einen sehr billigen Reifen verkaufte (der aber dann hervorragend durchhielt) und zum anderen Werkstatt und Werkzeug zur Verfügung stellte. Ich musste also mein eigenes Werkzeug nicht einmal auspacken und konnte den Reifen schnell montieren und mit dem Kompressor bequem beide Reifen auf den Wunschdruck bringen. Die schnelle Lösung des Problems freute mich, aber ganz besonders erfreulich fand ich, dass die Stadt durchaus einen Besuch wert war. Nicht umsonst wird die Stadt auch als „Padua des Nordens“ bezeichnet und ist zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden.











Nach Zamość fuhr ich wieder auf den Green-Velo-Radweg zurück. Es ging in den Roztoczański-Nationalpark und es wurde hügeliger. Immerhin überfuhr ich die 300 Meter-Marke. Dadurch wurde die Gegend gleich abwechslungsreicher. Das Wetter war besser geworden, dennoch entschied ich mich abends auch in Ermangelung eines Campingplatzes für eine Pension in Horyniec-Zdrój, wo ich wohl der einzige Gast war.









DER ZEHNTE TAG (03.06. – 128 KM / 1037 M)

Das Wetter wurde besser, schon am Vortag hatte es kaum noch geregnet. Das Gleiche galt für die Wege. Nur einmal war ein ziemlich schlimmes Sandstück dabei. Die Gegend nahm mehr und mehr Mittelgebirgscharakter an, was man an einigen steilen Anstiegen merkte. Die 400-Metermarke wurde überschritten. Zunächst ging es aber noch recht flach bis nach Przemyśl.









Przemyśl im Karpatenvorland und nicht weit von der ukrainischen Grenze war eine Stadt, die sicher schon einmal bessere Zeiten gesehen hat. Schöne Hausfassaden waren zum Teil ziemlich heruntergekommen.









Gegen 16 Uhr entdeckte ich einen Wegweiser zum Kalvarienberg Kalwaria Pacławska. Im Internet entdeckte ich, dass es dort eine Pilgerunterkunft geben sollte. Warum nicht ein wenig pilgern? Es wäre ja nur ein Umweg von knapp 4 km. Nun, dieser Kalvarienberg musste hart erkämpft werden. Mehr als 20 % Steigung auf zum Glück guter Straße brachten mich doch kräftig ins Schwitzen. Ein Franziskaner-Mönch wies mir ein Vierbettzimmer mit Bad zu, das ich alleine für mich hatte. Der Abendgottesdienst wurde mit Lautsprechern über das ganze Gelände verbreitet. So konnte ich dann auch gleich direkt dorthin gehen. Die Aussicht von dem Berg war beeindruckend und die Atmosphäre sehr angenehm.











DER ELFTE TAG (04.06. – 110 KM / 1715 M)

Der elfte Tag begann sonnig und blieb so – der Besuch des Pilgerortes hatte wohl geholfen. Leider erkennt man ja auf Fotos Steigung nicht – vielleicht kann man sie erahnen. Die Strecke nach unten erforderte fest angezogene Bremsen, so dass dann eine kleine Pause bei einer der Kapellen willkommen war. Die Krypta war stockfinster und erst mit Blitz erkannte ich den Inhalt. Um diese Zeit (kurz nach 7:00 Uhr) waren die Kerzen der Pilger nicht mehr bzw. noch nicht an.









Der Kellerraum war kalt und auch draußen war es noch recht kühl, so dass ich froh war, unten angekommen wieder treten zu können. Der Kalvarienberg war nur der Vorbote vieler weiterer Hügel und Berge, die mich von nun an bis zur Donau erwarteten. Ich freute mich, da ich hügelige Landschaften doch irgendwie bevorzuge. Allerdings war die Tour bislang auch alles andere als langweilig. In der folgenden Serie habe ich nun auch einmal ein „Selfie“ eingebaut …







Die Hügel kamen nicht nur immer näher, es gab auch die ersten heftigen Steigungen. Einige Passagen mit mehr als 10 % führten über Schotterpassagen, die zum Glück recht festgefahren waren, sodass ich sie ganz gut fahren konnte.







Mittag machte ich am Fluss Sa(a)n. Die Gegend wurde auch etwas touristischer, was sich auch durch das Wochenende bemerkbar machte. Ich traf immer wieder auf Wanderer und Radfahrer, die die besonders schöne Natur beim schönen Wetter nutzen wollten.







Im Ciśniańsko-Wetliński Landschaftsschutzpark steuerte ich am späten Nachmittag den Campingplatz an, der zum Ort Ciśna am Fluss Solinka gehört. Der Platz war mit sehr einfachen Sanitäranlagen ausgestattet. Geduscht habe ich kalt, was bei dem guten Wetter kein Problem war. Der Besitzer bot mir an, die Wäsche in seiner Waschmaschine zu waschen, was ich dankbar annahm.







Fortsetzung folgt ...