Re: Saxonia Bohemia Velogida

von: veloträumer

Re: Saxonia Bohemia Velogida - 11.01.17 20:41

KAPITEL SBV-4
Drei-Länder-AusKLANG im Riesenformat mit Westerzgebirge und Vogtland mit Musikerwinkel und sächsischem Bädereck

Das Vogtland beginnt eigentlich bereits in Schwarzenberg, andererseits reicht das Westerzgebirge noch bis in den Musikerwinkel bei Klingenthal. Die Schlussakkorde der Tour sind einerseits wortwörtlich im Sinne der Musik zu nennen, andererseits aber auch schon ein Abgesang der Tour, die nun wettertechnisch sich immer ungünstiger gestaltete. So ist dann die Vogtland-Erkundung nicht viel mehr als ein Epilog der Tour und hat doch ein gewisses Gewicht.

Musiktipp: Eigentlich eröffnet dieses Kapitel alle denkbaren Querbezüge, nimmt man den Museumsbesuch zur Grundlage. Musikinstrumente zogen aus in alle Welt und mutierten immer wieder zu neuen Klanggebilden, die reich das Echo der Kulturen der Welt zurückwerfen. Sehnsuchtsvoller als der Tango kann kaum eine Musik die Wehmut ausdrücken, die Wehmut, die auch bei jedem Abschied einen überfällt. Ein Bandoneon-Meister des Tango Nuevo mit einer deutschen Cellistin lassen hier zwei Instrumente erklingen, die sehr typisch für den vogtländischen Musikerwinkel sind. Dino Saluzzi & Anja Lechner: “Gabriel Kondor“ (6:05 min.)

Sa 26.11. Nejdek – Jindrichovice – Kraslice – Klingenthal – Zwota – Gopplasgrüner Höhe (725 m) – Markneukirchen – Adorf – Bad Brambach
B: Musikinstrumentenmuseum Markneukirchen 7,50 € (m. Fotografieren)
Ü: H Jungbrunnen 40 € mFr
AE (dito): Schlachtfest -Büffet, Bier 25 €
68 km | 860 Hm | 13,7 km/h | 5:01 h

Sehr angenehm war der Aufenthalt in Nejdek, direkt im Hotel gab es heimischen Honig und Schokoladen mit historischen Stadtmotiven. Den Sinn für grüne Fassaden haben sie zu beiden Seiten der Grenze – in Sachsen wie in Tschechien, doch liebt der Tscheche die Farbe noch mehr. Der Reiseführer macht ihnen sogar den Vorwurf, wertvolle alte Häuser mit billiger greller Farbe zu verunstalten (so schreibt Bussmann/Tröger über As). Ich sagte mir da beim grünen Haus ausgangs Nejdek – soll das heißen, ich solle wiederkehren, es ist deine Farbe, also auch dein Land?



Teiche und kleine Seen, auch in den Orten, sorgen immer wieder für kleine Liebkosungen in der Landschaft, die sich ein wenig ändert, etwas Wildheit verliert, weniger markante Element in sich trägt. Vor Kraslice gelangt man nochmal abwärts in ein enges Flusstal, dass eine gute Bahnverbindung zwischen den Ländern ermöglicht. Kraslice steht Nejdek kaum nach mit hübschen Villen und Bürgerhäusern, mit Fachwerk, Türmchen oder Pastelltönen in Szene gesetzt. Selbst die modernen Plattenbauten haben einen eigenen Charakter – mögen sie nicht zu schnelle vermodern.

Auch dieser Grenzübergang kennt wieder ein ausgelöschtes Dorf – Markhausen. Zu den schönsten Zeiten des 20 .Jahrhunderts, den freien und Kunst-Jahren, den Jahren des ausschweifenden Lebens, also um 1930, gab es in dem Ort zwei Musikkapellen und acht Gaststätten, in die man von weit her gerne zum Tanzen kam. Wie freudlos 90 Jahre später – ein Stein am Straßenrand, wo LKWs achtlos vorbeirauschen. Wie sich die Zeiten ändern.

Bereits Kraslice und die Umgebung ist ein Zentrum der Musikinstrumentenindustrie gewesen und bediente als Zulieferregion viele der prominenteren Musikinstrumentenfabrikanten zur anderen Grenzseite in Klingenthal, Schöneck oder Markneukirchen. Sogar sollen sie die Zulieferer damals ausgebeutet haben, weil es die großen Fabrikanten oder Händler mit den Exportkompetenzen waren, die die Preise bestimmen konnten. Solches und anderes erfährt man im Musikinstrumentmuseum in Markneukirchen. Mit über 3000 Instrumenten kann es zwar mit dem Nussknackermuseum nicht ganz mithalten, aber die Exponate (etwa 1000) sind dafür handwerklich deutlich aufwändiger gefertigt.

In das Vogtland kamen einst die böhmischen Instrumentenbauer und ließen sich dort nieder. Auch heute blüht diese Industrie wieder auf und sorgt für eine Dichte der Instrumentenhersteller, wie man sie woanders nicht mehr findet. In einer alten Bürgervilla werden heute junge Leute im Fach ausgebildet. Neben der Konzentration des Handwerks in einer Region waren es vor allem besondere Fähigkeiten, die Instrumente aus dem Vogtland zu einem weltweiten Exportschlager machten. So wurden Sägewerke gebaut, die jene feinen, dünnen Hölzer zuschneiden konnten, wie man sie etwa für Gitarren oder Geigen brauchte. Gleichwohl fanden Blechblasinstrumente und Harmonikas ebenfalls hier einen fruchtbaren Boden.



Rekorde denn auch hier: Die Riesentuba (Subkontra B) stellt sich mit 50 kg und 2,o5 m Höhe doppelt so groß wie eine normale Tuba auf. Die Luftsäule darf dabei einen Rohrweg von 11,20 m passieren. Das Mundstück ist zwar nicht direkt, aber doch mittels Adapter spielbar. Eine Sache für konditionsstarke Radler sicherlich, wobei ich es mit Rücksicht auf mein schwache Winterkondition nicht versucht habe. Die größte spielbare Geige findet sich gleich daneben. Die 4,27 m Holz und Leim brauchen zwei Etagen im Museum, die 131 kg habe ich nicht geprüft. Den über 5 m langen und fast 16 kg schweren Bogen müssen dann gleich mehrere Personen spielen, da braucht es viel Feingefühl in der Abstimmung. Pizzicato müsste aber einfach bleiben, wenn man nicht zu klein gewachsen ist.

Das Museum, in zwei schmucken Bauten, dem Gerberhaus und dem Paulusschlösschen, untergebracht, wurde bereits 1883 gegründet und konnte sein Stellung als gewichtige Sammlung stets ausbauen. Auch in DDR-Zeiten konnte sich das Museum als bedeutende Kulturstätte halten und Fördergelder gewinnen. Die Zahlen der Besucher sind heute niedriger als zu DDR-Zeiten (40000:100000) – eine Folge der neuen Reisefreiheit, die auch viele andere Sehenswürdigkeit betrifft, etwa auch die Sächsische Schweiz (Zahlen dazu kann man z.B an der Oberen Schleuse der Kirnitzschklamm nachlesen).

Die Sammlung umfasst neben den Werkstätten samt der Schilderung der sozialen Verhältnisse eine Reihe exotischer Exponate. Eine historische Handorgel, eine alte Drehleier sowie das selbstspielende Pianola wurden auch vorgeführt. Sehen kann man so ungewöhnliche Instrumente wie Cister, Mandoloncello, Tripelgitarre, Stockgeige, Serpent oder Klappentrompete. Der Formenvielfalt sind keine Grenzen gesetzt und manches Instrument wurde vor allem der Schönheit wegen gebaut, wie die Ziergeigen vermuten lassen. Noch mehr Kuriositäten bietet die Sammlung außereuropäischer Instrumente, die bereits kurz nach Gründung des Museums angelegt wurde. Der Museumsshop hält neben spezifischer Literatur, diversen Souvenirs, echten Mundharmonikas auch handwerklich hochwertige Miniaturen einiger Instrumente bereit, eine E-Gitarre als Uhr ziert jetzt meinen Schreibtisch.



So trüb war schon lange kein Tag, ich überlegte kurz sogar die verfrühte Abreise, was aber mangels ausreichender Verbindungen nicht mehr möglich war. Da ahnte ich schon den Folgetag. Adorf, auch als schöne Stadt empfohlen, zeigt sich ähnlich wie Markneukirchen recht still. Nun legte ich mich als Ziel auf Bad Brambach fest, im Zweifel auch noch ein Bade-Sauna-Besuch. Zu dem kam es dann nicht, denn mein Landhotelwirt eröffnete mir, dass es Schlachtfest gäbe und wenn ich wolle, mich dort am Buffet beteiligen könne. Quasi passend zum Tage spielte eine traditionsbewusste Truppe zünftige vogtländische Volksmusik – der Älteste der Musikanten mit Akkordeon war gleichzeitig der schlüpfrige Geschichten- und Witzedompteur. Geschmacklich war ich vom Schlachtfest nicht so angetan, obwohl natürlich alles von hauseigener, bester Qualität war. Der Abend brachte mich aber noch mit Bayern und Einheimischen zusammen, was ein paar interessante Ansichten vermittelte. Insofern auch ein stimmiger Teil von Saxonia Bohemia Velogida.

So 27.11. Bad Brambach – Oberreuth – Horni Paseky – As – Neuhausen – Rehau – Wurlitz – Kautendorf – Tauplitz – Hof
51 km | 755 Hm | 12,9 km/h | 3:59 h

Nein, es war noch nicht Ende. Ich musste noch einmal raus. Die erste Nacht mit Frosttemperaturen und gleich drauf der Regen bei 3 °C – mal nieselig, mal schneematschig und auch mal als Eisregen – kurz: sehr ungemütlich. Ich war aber gut vorbereitet, denn schließlich hatte ich im „Jungbrunnen“ genächtigt. Leider bekamen es die Brambacher nicht auf die Reihe, mir die korrekte Ausfahrt aus dem kleinen Kurort zu weisen. Ich hatte wegen Dunkelheit am Abend zuvor gar keine Orientierung, wo ich eigentlich war.



Schließlich fand sich der Weg auch deswegen so schlecht, weil die kürzeste Verbindung nach As eigentlich keine durchgehende Straße ist. Auch hier wieder Mängel in der infrastrukturellen Zusammenarbeit der Länder. Ein kleines Stück war schottrig und matschig, vorbei wiederum an einem „vergessenen“ Dorf. As ist sehr belebt, aber nicht so einladend trotz einiger schöner Bürgerhäuser. Auch dort war eine zuverlässige Auskunft für den Weg nach Rehau nicht zu bekommen. Gleichgültigkeit und Unfreundlichkeit fand ich dabei etwas befremdlich, kennt man aus romanischen Ländern anders. Auch hier musste ich eine matschige Waldpistenpassage überwinden, wohl auch weil die Straßenkarte Mängel hat.

In Bayern wirkt alles sehr gediegen, brav und wohlhabend – es ist im Vergleich zu Tschechien, aber auch zu vielen Regionen in Sachsen sehr auffällig. Die Angleichung der Lebensverhältnisse ist doch noch asymmetrisch. Spaß hatte ich dann aber kaum noch, zum Schluss verhagelte mir der Eisregen die Laune auf eine Besichtung oder einen gemütlichen Ausklang in Hof und nutzte einen ungeplant frühen Zug zur Rückkehr. Das war’s schon fast – eine Kleinigkeit gibt es noch, auch wenn Weihnachten schon vorbei ist…

Bildergalerie SBV-4 (117 Fotos):



Fortsetzung folgt