Re: Pyrenäen von Ost nach West

von: Tom72

Re: Pyrenäen von Ost nach West - 04.01.18 21:33

16. Tag (31.07.2016), Canfranc-Estación – Oloron-Sainte-Marie (Zugfahrt Jaca – Canfranc-Estación)
Strecke: 65 km
Fahrzeit: 3 Std. 24 min
Höhenmeter: 532


Heute geht es über den Somport-Pass (1640 m) und damit zum vierten Mal über den Pyrenäen-Hauptkamm, nach der Überquerung der Cerdanya, des Col de la Bonaigua und (allerdings mit dem Bus) der Fahrt durch den Túnel de Vielha. Damit verlasse ich auch Spanien und setze die Tour auf der französischen Seite fort, auf der ich dann auch bleiben werde (abgesehen von einem kurzen Abstecher an der Küste nach Hondarrabia am Abend des letzten Tages).

Besonders interessiert mich der etwa auf halber Höhe des Passanstiegs gelegene imposante ehemalige Grenzbahnhof Canfranc an der seit Jahrzehnten stillgelegten internationalen Bahnstrecke über die Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien (Pau – Saragossa). Da die Strecke auf spanischer Seite von Jaca bis Canfranc noch in Betrieb ist (täglich zwei Regionalzugpaare), entschließe ich mich, von Jaca (auf ca. 800 m Höhe gelegen) bis Canfranc (ca. 1150 m) den Zug zu nehmen und erst ab dort mit dem Rad die restliche Passstrecke in Angriff zu nehmen; dadurch bleiben mir etwas mehr als die Hälfte der Höhenmeter zwischen Jaca und dem Somport-Pass. Ich hätte natürlich auch den gesamten Passanstieg mit dem Rad bewältigen können, aber die Möglichkeit der Zugfahrt ist zu verlockend, zumal ich mir vom unteren Abschnitt landschaftlich nicht allzu viel verspreche und mein Zeitplan recht eng ist.

Die Bahnlinie und die Straße folgen dem Tal des Río Aragón, der namensgebend für die Autonome Gemeinschaft Aragonien ist und unterhalb des Somport-Passes entspringt.

In Canfranc-Estación steige ich aus. Der Regionalzug (links im Bild im Hintergrund) wirkt winzig im Vergleich zum gigantischen, heute ungenutzten Empfangsgebäude.



Die umfangreichen, heute weitgehend ungenutzten Bahnanlagen mit dem eindrucksvollen, über 200 m langen historischen Bahnhofsgebäude wirken seltsam überdimensioniert und in dem engen Hochgebirgstal irgendwie deplatziert.

Die internationale Bahnstrecke Pau – Saragossa wurde 1928 eröffnet. Die Strecke von Frankreich aus führte durch einen ca. 8 km langen Tunnel unter dem Somport-Pass, dessen südliches Portal unmittelbar nördlich des Bahnhofs von Canfranc liegt. Der auf spanischem Gebiet gelegene Bahnhof Canfranc war die Grenzstation, in der aufgrund der unterschiedlichen Spurweiten umgestiegen werden musste – auf der einen Seite des Empfangsgebäudes endeten die normalspurigen Gleise der französischen Strecke nach Durchquerung des Somport-Tunnels, und auf der anderen (auf der auch mein Zug angekommen ist) endeten (und enden noch heute) die Gleise in iberischer Breitspur der spanischen Strecke von Saragossa über Jaca kommend. Der französische Abschnitt war, anders als der spanische, von Anfang an elektrifiziert.



Die Strecke hat während der gut vier Jahrzehnte ihres Betriebs nie die erwartete Bedeutung für den internationalen Bahnverkehr erlangt und hat sich wohl letztlich als Fehlplanung erwiesen. Sie konnte als Gebirgsbahn mit entsprechend langen Fahrzeiten im Endeffekt nicht mit den schnelleren Bahnverbindungen zwischen Frankreich und Spanien an der Atlantik- und der Mittelmeerküste konkurrieren. Deshalb nahm die SNCF den Einsturz einer Brücke infolge eines Bahnunfalls 1970 als willkommenen Anlass, die Strecke auf französischer Seite stillzulegen. Seitdem findet nur noch auf der spanischen Teilstrecke ein bescheidener Bahnverkehr nach Canfranc-Estación statt; derzeit täglich zwei Regionalzugpaare von Saragossa über Jaca.

Ich hatte im Vorfeld einiges darüber gelesen, dass das historische, nunmehr funktionslose Bahnhofsgebäude dem Verfall preisgegeben sei. Umso überraschter bin ich, als ich feststelle, dass offenbar in neuster Zeit mit der Renovierung begonnen wurde – der gesamte Dachbereich ist augenscheinlich komplett und originalgetreu erneuert worden.



Unmittelbar nördlich des Bahnhofs endet der Passtunnel der stillgelegten französischen Strecke. Die Gleise sind demontiert. Die Passstraße verläuft direkt oberhalb des Tunnelportals.



Ab hier geht fahre ich den restlichen Passanstieg zum Somport wieder mit dem Rad. Aufgrund des 2003 eröffneten Somport-Straßentunnels, der unterhalb von Canfranc beginnt und den Hauptanteil des Verkehrs aufnimmt, kann ich die Passüberquerung weitgehend ohne störenden Kfz-Verkehr genießen.

Auf den nunmehr verbleibenden ca. 500 Höhenmetern führt mich die Straße in mehreren Serpentinen durch die herrliche Hochgebirgslandschaft. Ein vor mir fahrendes Pärchen tut sich mit dem Tandem sichtlich schwer. Die Steigung ist aber recht moderat.



Kurz bevor ich den Pass erreiche, gerate ich in tief hängende Wolken, die mir den Genuss des Gebirgspanoramas zunehmend rauben, bis ich schließlich außer der Straße nicht mehr viel sehe. Ärgerlich. Der Berg nimmt es mir wohl übel, dass ich mich bis auf halbe Höhe mit dem Zug „heraufgemogelt“ habe…





Am Somport-Pass auf 1640 m angekommen, über den die Grenze zu Frankreich verläuft, gibt es bei dem Nebel nicht viel zu sehen; es gibt neben dem verlassenen Grenzübergangsgebäude ein einfaches Restaurant, in das ich aufgrund der wetterbedingten Kälte, die mich zum Anlegen langer Kleidung veranlasst, kurz auf ein Bier und einen Snack einkehre. Unten in Jaca hatte ich heute Morgen noch herrlichen Sonnenschein…



Jetzt habe ich die lange Abfahrt vor mir. Weiterhin verwehren mir zu meiner Enttäuschung die sich immer tiefer senkenden Wolken den Blick auf die Berge.





Schließlich stößt meine Passstraße wieder auf die aus dem Somport-Straßentunnel kommende Hauptstrecke; ein merklich höheres Verkehrsaufkommen kann ich aber zum Glück nicht feststellen. Entlang der Straße fallen zahlreiche Viadukte und Tunnel der stillgelegten Bahnstrecke zum Somport-Bahntunnel und nach Canfranc auf.







War ich bisher schon ziemlich frustriert wegen des durch die tief hängende Wolkendecke vernebelten Landschaftserlebnisses, muss ich nun feststellen, dass der Berg ob meiner Respektlosigkeit, die Passüberquerung nicht ganz aus eigener Kraft, sondern teils mit dem Zug zu bewältigen, offenbar noch erzürnter ist, als ich dachte: Ich werde nun auch noch durch einen langanhaltenden Regenguss „bestraft“. Hastig werfe ich mich in meine Regenklamotten und strample zügig in nun, am Fuß der eigentlichen Pyrenäen, ebener werdendem Gelände etwa 20 bis 30 km durch strömenden Regen in Richtung auf mein heutiges Etappenziel, das hübsche Städtchen Oloron-Sainte-Marie.



Ich habe das Hochgebirge nun verlassen; die Pyrenäen sind beim Blick zurück aufgrund des Nebels schließlich überhaupt nicht mehr zu sehen.

In Oloron-Sainte-Marie bin ich schließlich trotz der Regenkleidung ziemlich durchnässt und ausgekühlt und froh, als ich nach einigem Fragen und Suchen ein sehr nettes, wenn auch recht teures Hotel finde. Es wird von einer Deutschen geführt. Anschließend sehe ich mich noch ein wenig im Ort um (der Regen hat nun aufgehört) und esse in einem einfachen Restaurant ein leckeres Steak. Durch Oloron fließt der Gave d’Aspe, der in der Nähe des Somport entspringt und in dessen Tal ich heute vom Pass abwärts geradelt bin. Von einer der Brücken über das Flüsschen müsste sich eigentlich ein herrlicher Blick auf die nun einige Kilometer zurückliegenden Pyrenäen bieten (der Ort liegt auf einer Höhe von nur gut 200 m); wegen des schlechten Wetters ist davon aber leider nach wie vor nichts zu sehen.



Fortsetzung folgt…