Re: Mitteleuropa (kreuz und) quer

von: natash

Re: Mitteleuropa (kreuz und) quer - 04.09.09 12:07

Hai allerseits,
das mit den Tagesleistungen ist bei uns sehr verschieden und oft auch eine Frage von Wetter, Strassenzustand, Höhenmetern und Lust. Deshalb sind Kilometerangaben eigentlich nur begrenzt aussagekräftig. Micha und ich fahren eher gemütlich (so um 19,x km /h in hügeligem Terrain), wobei "gemütlich" natürlich eine Frage der Definition ist. Ein anderer in Baden ansässiger Reiseradler hat in 3 Tagen weniger in der gleichen Region 1000 km und viele 1000 hm mehr abgeradelt als wir. Wieder andere fahren 50km am Tag flach und besichtigen dabei lieber 20 Kirchen und haben auch ihren Spass. Vergleiche sind also immer schwierig.
Ich brauche mindestens 1-2 Kaffees am Tag und wir sind überwiegend Selbstversorger weshalb wir ziemlich viel Lebensmittel und Kochuntensilien mitschleifen. Das drückt nicht nur das Tempo, sondern begrenzt auch die Zeit, weil die abendliche Kocherei Zeit in Anspruch nimmt. Dafür sitzen wir gerne so ab halb 8 , 8 auf dem Rad. Alles in allem bezeichne ich unsere Art zu Reisen als "Komforturlaub", wobei dieser Begriff bestimmt für andere anders belegt ist.
Dass Du gerne in Tschechien unterwegs bist, legt ja schon Dein Forumsname nahe, zumal Dein Wohnort ja nicht weit entfernt ist.

Soweit so gut : weiter gehts

2.8.Stronie Slanskie-Ladek Zdroij-Zelasno-Klodzko-Szczytna Dolina-Kubin-Klodzki-Kudowa Zdroj-Nachod-Ceska Skalice 102 km



Am nächsten Morgen ist es recht frisch, allerdings haben wir auch in beachtlicher Höhe genächtigt. Eine schöne Abfahrt führt uns in den nächsten Ort, wo wir allerdings wegen der Frühe der Zeit noch keine Frühstückszutaten auftreiben können. Die von uns angepeilte Route können wir wegen einer Straßensperrung nicht fahren. Und weil wir uns im Bergland befinden und zu befürchten steht, dass hier mal wieder eine Brücke repariert werden muss, sehen wir auch von dem Versuch ab, es trotzdem zu probieren. Wir nehmen also doch die Bundesstraße, die aber an einem Sonntagmorgen nicht sehr stark befahren ist. Ich hoffe, dass alle potentiellen Automobillenker den Tag betend in der heiligen Messe verbringen mögen, je länger und ausgiebiger desto besser. Welcher Heilige wohl gegen Plattfüsse am Fahrrad hilft? Während mir derlei Gedanken durch den Kopf gehen und der leere Magen vornehmlich knurrt, passieren wir mehrere Ski- und Kurorte. In einem Dorfladen, der vor allem Alkoholika verkauft, die Kunden feiern ihre eigene Messe auf den Holzbänken dahinter, erstehen wir etwas altbackenes Gebäck . Mit dessen Hilfe lassen sich die Mägen bis Klodzko in Schach halten, wo eine Bäckerei geöffnet hat. Nach kurzer Stadtbesichtigung, es gibt eine Festung, natürlich eine prächtige Kirche und außerdem eine sehr hübsche Innenstadt, fahren wir auf kleinen Strassen Richtung Westen. Zufällig führt hier auch eine Radroute entlang und wir treffen viele Rennradler und Moutainbiker, die uns fröhlich zu winken.
Später gibt es einen längeren Anstieg in ein beliebtes Klettergebiet, das leider auch gerne mit dem Auto angefahren wird und eine rauschende Abfahrt in den Kurort Kudowa Zdroij, hinter dem wir wieder die Grenze nach Tschechien überqueren.
Bis wir am See von Ceska Skalice unser Zelt aufschlagen können, müssen wir ein Stück auf der Europa-Straße fahren. Die hat aber einen breiten Seitenstreifen und wird auch von etlichen anderen Radlern genutzt, so dass die Fahrt dort angenehmer wird, als befürchtet.



3.8.Ceska Skalice-Dvurkralove-Mostek-Jilemnice-Jablonek nad Jizerou 80 km



Die Nacht über hat es ausgiebig geregnet und weil unsere Unterlegplane mittlerweile undicht geworden ist, liegen morgens meine Füsse im Wasser. Während ich fluchend die Campingutensilien zusammenräume, sticht mich eine Wespe, die unter dem Zeltbloden Zuflucht gesucht hat in den Knöchel. Und weil es dann auch noch immer noch regnet, ist bei unserem Aufbruch meine Laune nicht gerade prächtig. Am Tag zuvor hatten wir geplant ins Gebirge zu fahren. Krkonoss steht da in unserem tschechischen Autoatlas und die Schummerung sieht sehr verlockend aus. Dass es sich um das Riesengebirge handelt, begreifen wir erst im Laufe des Tages peinlich und weil sich dort die Wolken hartnäckig halten, sehen wir von einem kleinen Gipfelabstecher ab. Nass sind wir zwar ohnehin, aber Nässe gepaart mit Kälte und einer nicht vorhandenen Aussicht sowie einer glitschigen Abfahrt gehört zu den Vergnügungen auf die wir getrost verzichten können. Wir halten uns weiter unten und begegnen in den Schluchten der Iser langfahrend sogar mehreren anderen Reiseradlern.
Am Nachmittag schlagen wir auf einem hübschen Campingplatz direkt am Fluss unser Zelt auf und weil die Sonne herauskommt, bekommen wir sogar noch unsere Sachen getrocknet und können noch einen netten Ausflug in den nächsten Ort einlegen. Auf der nagelneuen, in einem Gartengeschäft erstandenen Plane steht unser Zelt jetzt natürlich besonders gut und trocken.




4.8.Jablonek nad Jizerou-Bily Potok-Frydlant-Zgorzelec-Görlitz-Thräna 118 km



Der nächste Morgen hüllt sich in Nebel, was den Schluchten entlang der Iser eine geheimnisvolle Stimmung verleiht. Ich frage mich wie viele Sagengestalten an milchigen Nebeltagen und in düsteren Winternächten enstanden sind. Bald schlängelt sich unsere Route an hübschen Holzhäuschen vorbei bergan zu einem Bergsee, der in einer nördländisch anmutenden Nadelwald- und Heidelandschaft liegt. Ein kalter Wind bläst uns von vorne ins Gesicht, während immer dichtere Nebelschwaden heranziehen. Dafür haben wir diese idyllisch gelegene Straße ganz für uns alleine, erst bei der Abfahrt hechelt uns eine Gruppe auf rollenden Langlaufskiern entgegen.
In Frydlant angekommen, legen wir eine längere Pause mit Abstecher zu dessen geschichtsträchtigem Schloss ein und wenden uns dann auf kleinen Strassen wieder Richtung Polen. Dort fahren wir über die Brücke nach Görlitz und dann Richtung Norden in die Oberlausitz. Nach den ersten 3 Kilometern auf deutschem Boden werden wir mehrfach von wild hupenden Kraftdroschkenlenkern des Radwegs verwiesen. Wir fühlen uns herzlich willkommen und beschließen den nächsten Abend wieder im fahrradfreundlicheren Tschechien zu verbringen.
Unser Campingplatz bei Thräna hat eine radwegbegeisterte Besitzerin, die gar nicht verstehen kann, dass man lieber auf der Straße fährt und die uns einen zentnerschweren Stapel mit Broschüren über die Schönheiten der Region zukommen lässt. Ich bin allerdings vor allem von dem Werbeetat des sächsischen Fremdenverkehrsamtes beeindruckt. Druckreibesitzerin in Sachsen zu sein, scheint mir eine wirklich lohnenswerte Angelegenheit.



4.8.Thräna – Mücka- Uhyst-Neschwitz-Göda-Wilthen-Steinigtwolmsdorf-Sluknov-Brtniki-Kyjov-Doubice 127 km



Die Broschüren zeigen Wirkung. Wir wollen nun doch ein paar von den Seen anschauen und hoffen ausserdem vielleicht einen Blick auf einen Seeadler erhaschen zu können, die es, laut Broschüre, hier in größerer Anzahl geben soll. Einige Kilometer hinter Thräna weicht das Hüggelland einer komplett flachen, bewaldeten Ebene, die meisten Seen liegen im Wald verborgen. Auch wenn man jetzt einmal ordentlich Tempo machen könnte, so bleibt uns ein solches Vergnügen auf den holprigen Radwegen nicht vergönnt, weshalb wir beschließen bald wieder auf die Straße zu fahren. Verkehr ist ohnhehin so gut wie keiner und warum die einheimischen Autofahrer dermaßen penetrant auf eine Radwegbenutzung pochen, ist mir vollkommen rätselhaft. Vielleicht haben wir aber auch einfach nur Pech und begegnen heute nur engstirnigen Leuten.
Am Stausee von Uhyst führt eien nagelneue babypopoglatte Radautobahn um den See, wo man einen wunderbaren Blick auf das Kraftwerk Boxberg hat. Angesichts dieser Idylle müssen wir glatt eine wohlmundende Kuchenpause auf einem frisch gezimmerten Picknickbänkchen einlegen.
Wir haben nun doch genug vom Flachland und wenden uns wieder Richtung Süden, wo wir kurz vor Bautzen nicht nur ein paar ansehnliche Hügel, sondern auch einen Seeadler zu Gesicht bekommen.
Die Landschaft gefällt mir nun eindeutig besser, hübsche Orte schmiegen sich in die Hügel, die Straße führt kurvenreich auf und ab und interessante Veranstaltungen gibt es auch.



Bei Wilthen biegen wir zwecks Umgehung der stark befahrenen Bundesstraße auf einen geschotterten Waldweg ab, der immer steiler bergauf führt und bald mit beladenen Rädern auf Rennreifen nicht mehr zu fahren ist. “Pumphutsteig” lese ich auf einem Schild und wuchte mein Gerümpel wild fluchend hinter Micha den Berg hoch. Das nächste mal nehme ich weniger Gepäck mit, ganz bestimmt! Wir kommen aber wieder auf eine halbwegs fahrende Straße, wohingegen der Grenzübergang nach Taschechien wieder ein holpriges Wegchen ist, was abermals ein Reifenopfer fordert.
Danach geht es auf kleinen Straßen mit steiler Straßenführung und unsäglich schlechtem Belag viel auf und ein wenig abwärts in den Naturpark Böhmische Schweiz. Die engen finsteren Schluchten, der dichte Wald, die vielen Felsen und die urigen Holzhäuschen sind diesen Abstecher aber auch wirklich wert. Nur ein Laden ist nirgendwo zu finden, weshalb wir zum Abendessen ein Restaurant aufsuchen, in dem sogar vegetarische Gerichte angeboten werden, die sehr schmackhaft zubereitet sind.
Danach finden wir einen guten Zeltplatz auf einem abgeernteten Feld am Rande des Naturparks mit Berggblick. Ein hyperaktiver Rehbock röhrt uns in den Schlaf.



Fortsetzung folgt in Kürze