Re: Westalpen 2009

von: veloträumer

Re: Westalpen 2009 - 21.09.09 22:11

Meine Sommerreise geht trotz Herbstanfang noch weiter. Mit dem Weg nach Norden (oder Wetterwechsel?) nimmt die Gewitterneigung ab. Dafür bestimmen heftige, kalte Winde die Höhenlagen und auch in den Tälern sind die Nächte sehr kalt.

TEIL 5: COTTISCHE & GRAJISCHE ALPEN

Mi, 8.7. Guillestre – Arvieux – Col d'Izoard (2360m) – dev. route Gondran – Col du Gondran (2347m) – Col de Montgenèvre (1854m) – Briancon – Chantmerle (~1350m) – Briancon – Las Chapas (~1350m)
C: Champ de Blanc 12,10 €; AE: SV
93 km – 11,6 km/h – 8:01h – 2560 Hm

In der Combe de Queyras, die ich schon zweimal in umgekehrter Richtung durchquert habe, ist durch die hohen Felswände am frühen Morgen noch kaum Sonne. Anfangs hat die Schlucht rötliches Gestein, danach sind die Felsen grau, einige kleine Felstunnels sind zu durchfahren. Die Steigung ist sehr moderat, erst kurz vor der Verzweigung Queyras/Izoard beginnen ernsthafte Prozente. Im unteren Teil der Anfahrt zum Izoard ist die Weidelandschaft weit geformt, Waldanteile verhindern aber teils ausladendende Vorausblicke. Schon sehr offen liegt Arvieux, neben einem alten Ortskern verteilen sich zahlreiche Ortsteile an den Hängen, die vor allem dem Wintersport dienen. In Arvieux gibt es einige empfehlenswerte Läden mit einem sehr guten Angebot regionaler Produkte. Génepi, Frucht- Liköre, Käse, Würste, Torten, Marmeladen, Honig, Kunsthandwerk, schöne Postkarten und spezielle Alpenliteratur. Von der Faszination Sonnenuhren angeregt erwerbe ich ein Buch zu den Sonnenuhren in der Region Queyras. Ein Ortsteil weiter gibt es einen Laden mit originellem Holzspielzeug aus eigener Fabrikation.

Mit den ersten Kehren ändert sich die Landschaft. Blumenwiesen und Waldpassagen rücken näher an die Straße, erste markante Felsformation werden sichtbar. Bei einem Zwischenpass öffnet sich die aparte, erodierte Steinlandschaft, die den Izoard zu einem der eindrucksvollsten Alpenpässe macht: die Casse Déserte. Neben zahlreichen Rennradlern sehe ich auch einige Reiseradler vor der grandiosen Felskulisse. Nach kurzer Zwischenabfahrt geht es vorbei an dem Memorial für die verblichenen TdF-Veteranen Fausto Coppi und Louison Bobet, an urigen Felszapfen, an zackigen Extremitäten aus Stein und an wüstenhaften Geröllhängen. In dieser Umgebung kommt die Passhöhe fast zu früh. War es vor vier Jahren hier heiß genug, dass sich einige italienische Rennradlerinnen bis aufs Bikini-Outfit entledigten, herrscht diesmal biestig kalter Wind trotz des fotofreundlichen Sonnenlichtes. Mit einem mürrischen englischen Reiseradler ist kaum zu sprechen, sodass ich bald weiterfahre.

Auch auf der Nordseite stechen noch Steinwüsten und die markanten Felszacken des Talkessels ins Auge. Gleichzeitig beginnt unterhalb des Refuge Napoléon (guter Kuchen, man kann auch übernachten) ein lichter, lieblicher Nadelwald auf leuchtend-grünem Grasteppich. Weiter unten gibt es zaghafte Schluchtansätze. Hier irgendwo suche ich den Abzweig zum Col du Gondran. Dazu habe ich mir eine ausführliche Beschreibung von quaeldich.de ausgedruckt. Der Hinweis auf die Militärstraße ist nicht zu übersehen.

Die Straße ist tatsächlich in schlechtem Zustand und für eine Abfahrt sicherlich unangenehm. Zum Raufradeln mit Reiserad aber völlig ausreichend. Es gibt keine Erholungspausen auf der Strecke, allerdings ist die Steigung akzeptabel (etwas schwerer als der Izoard, aber nicht unangenehm „rampig“). Zwei oder drei Autos begegnen mir – weiter oben gibt es auch noch vereinzelte Bergbauernhäuser. Lange Zeit ist die Straße mit Kiefernzapfen übersäht. Lehmige und brüchige Felsen ragen nah an die Fahrbahn, kleine Felsbogentunnels öffnen Torblicke, weiße Doldengewächse wechseln mit Rosa- und Gelbtönen vielfältiger Blumen auf halbtrockenem, dezent ockerfabenenen Felsuntergrund. Die Ausblicke variieren – mal über das Durance-Tal hinweg zum Massif des Écrins, dann immer mehr nach Süden zu kratzigen Abbruchkanten am Izoard, schließlich über weite offene Blumenwiesen auf grüne Berghügel mit geheimnisvollen Gebäuden – sei es vom Militär, sei es für wintersportliche Nutzung. Irgendwo erschrickt ein Reh ob des seltsamen Pedalisten. :fragend: Noch weiter über das hochebene Hügelland gefahren, erhebt sich gegen Osten der Janus-Berg mit einem Dracula-ähnlichem Fort – wie eine Halluzination wirkt diese verlassene Burg am Horizont. Es ist wohl auch eine militärische Einrichtung (gewesen?), die man per (schwieriger) Schotterpiste erreichen kann. Schon mit Rücksicht auf meine Sehnenreizung unterlasse ich aber die ohnehin nicht geplante Exkursion.

Mit Erreichen der Passhöhe endet der Asphalt, ein nummerierter MTB-Wegweiser zeigt, dass hier Radler durchaus häufiger hinkommen. Die Piste abwärts ist zunächst gut, wird aber zunehmend schlechter. Teils sandiger, lockerer Schotter – insbesondere im unteren Bereich – macht das Ausbalancieren schwierig und verhindert schnelleres Abfahren. Weite Bergblumenwiesen – Augenschmauß pur. Oben weidet ein riesige Schafherde – die Schäferin widmet sich ungestört einem Buch – schönes Berufsleben. Ein Fuchs kreuzt meinen Weg, ist aber derart feige, dass er selbst meinem schnellen Kameragriff entkommt. Die Murmeltiere sind zwar wachsam, aber doch etwas erfahrener im Umgang mit Radlern und lassen sich vom Genuss der wärmenden Abendsonne nicht abbringen. schmunzel Bei einem See sind unansehnliche Liftanlagen – die Piste auch hier noch schlecht – aber es wird offenbar an besseren Zufahrten gebaut. Wenn auch die Nordseite des Passes nicht so beeindruckend ist – allein die Südwest-Auffahrt des Col du Gandron hat große Klasse.

Der Col de Montgenèvre gehört zu den farblosen Alpenpässen, die aber als Verbindungsachse auch für Reiseradler immer wieder gebraucht werden – ein größere Ortschaft, ein Golfplatz und eine Untertunnelung für den Durchgangsverkehr. Vom Pass hinunter ist Briancon schnell erreicht. Bereits zum vierten Mal komme ich durch diesen wichtigen Kreuzungspunkt großer Alpenpässe mit seinem mächtigen Fort und den engen, steilen Gassen, in denen sich ein lebhaftes Treiben abspielt. Immer wieder entdeckt man kleine, neue Details.

Nach dem Einkauf fahre ich zunächst nach Chantmerle – nur sehr moderat ansteigend. Dort befindet sich wider Erwarten kein Camping. Eigentlich wünsche ich eine Dusche und einen Picknickplatz, fahre daher zurück. Die Campings in Briancon liegen allerdings sehr ungünstig für mich. Der mir bekannte Platz in St-Blaise im Süden liegt weit unten, wären zusätzliche Höhenmeter für den nächsten Tag. Aber auch die Suche nach dem nördlich gelegenen Platz entpuppt sich als Höhenmeterlieferant. Zunächst schon in der Talsohle des unteren Teils von Briancon, steigt der Weg danach nochmal ordentlich an.

Es ist äußerst unangenehm kalt und windig – das Essen macht selbst mit allen Jacken und Hosen keinen großen Spaß – zumal ich die Wege auf dem Camping sehr schmerzhaft abhumpeln muss. Als dann auch noch die Dusche abgeschlossen ist, nachdem ich mit dem Abendmahl fertig bin, ist meine Stimmung ziemlich weit unten. Ich hatte ja ausdrücklich noch nach den Duschen gefragt – kein Hinweis auf das frühe Abschließen. Da hätte ich auch wild campieren können (und das wäre in der Tat bei Chantmerle sinnvoll gewesen). Für eine wirkunsgvolle, morgendliche Beschwerde fehlt mir das sprachliche Know-How. Dieser Camping aber ist ein Fall für die rote Liste. Für das anstehende Projekt wäre es wohl ohnehin ratsamer gewesen, den Camping in Le Monêtier-les-Bains in Richtung Col du Lautaret anzusteuern.

Do, 9.7. Las Chapas – Briancon – Chantmerle – Col de Granon (2413m) – Val-des-Prés – Nevache – Col de l'Echelle (1766m) – Bardonecchia – Salbertrand
C: Gran Bosco 13 €; AE: Spaghetti ragu, Steak, Pf, Eis 13 €
79 km – 11,7 km/h – 6:38h – 1595 Hm

Auch dieser Tag bleibt durchgehend sonnig und auch die Luft ist ein wenig wärmer als vortags. Den Abzweig zum Col de Granon kann man leicht übersehen: Er befindet sich südeingangs von Chantmerle und an der Straße von St-Chaffrey. Es ist sinnvoll, entsprechend die Lautaret-Straße vorher und mit der Ortsdurchfahrt von St-Chaffrey zu verlassen. Die Straße hinauf zum Granon ist in gutem Zustand. Nicht nur einige Ansiedlungen, auch reger Ausflugsverkehr führt bisweilen zu mehr Verkehrsfrequenz als für diese Sackgasse zu erwarten ist. Die Stärken der Westseite liegen in den weiten Panoramen. Sind unten noch Blicke auf die gegenüberliegenden unansehnlichen Skigebiete bestimmend, schälen sich in der Mitte immer mehr die weißen Spitzen des Massif des Écrins heraus. Nach ein paar schattigen Hainen ist bald die Berglandschaft offen, unscheinbare Viehweiden, die nach oben hin sich mehr und mehr mit Blumen schmücken. Auch der trockene Boden wandelt sich oben zu teils wasserdurchflossenen Hängen, an denen sogar Sumpfdotterblumen wachsen. Kleine glitzernde Idylle. Noch davor zweigen bei einem Parkplatz mehrere Pisten ab, die möglicherweise reiseradlerisch fahrbar erscheinen. Auf diesen Pisten lassen sich noch weitere offene Bergpässe erradeln oder erwandern.

Auf der Passhöhe tauschen zwei französisch Rennradler ihre Bestzeiten aus – für die ist hier die Fahrt zu Ende und es geht den gleichen Weg wieder zurück. Ich kann dem leckeren Himbeerkuchen im Rifugio nicht widerstehen und mache dort ein kleines Mittagsfrühstück nebst Postkartenschreiben. Die Sonne brennt und doch kann man nur im Windschutz sitzen. Die folgende Piste ist zunächst in sehr gutem Zustand – auch das Gefälle ist gering. Herrliche Bergblumenwiesen kontrastieren die herbe Nacktheit von dunklen Bergfelsen, irgendwo wieder ein militärisches Gebäude auf einer grünen Bergkuppe geometrisch angeordnet am Horizont. Farben und Panoramen von bizarrer Schönheit. Einige Wanderer unterwegs, ein entgegenkommendes MTBer-Paar gratuliert per aufgestellten Daumen.

An einer Verzweigung liegen MTBs quer auf der Wiese – die italienischen Fahrerinnen und Fahrer daneben wie von schweren Lasten erschlagen. Sie sind die Strecke aus dem Clarée-Tal hinaufgefahren. bravo Wie schwer diese Strecke ist, erlebe ich ja nun erst danach. Denn ab hier nimmt das Gefälle erheblich zu und die Wegbeschaffenheit ab. Tiefe, ausgewaschene Rinnen verlangen ständige Seitenwechsel auf der Piste, rutschiger Schotter und kantige Wurzeln sorgen für schwierige Balanceakte. Blumen und Wald wechseln mehrfach ihr Gesicht – doch lässt sich das kaum genießen – zu anspruchsvoll die Konzentration auf die Fahrtechnik. Es ist wohl kaum zu vermeiden, auf einer solch langen Strecke mit übelster Piste zu stürzen. So passiert mir dies auch im unteren Drittel. Die niedrige Geschwindigkeit und die Packtaschen sorgen wieder für einen weitgehend „sanften“ Niedergang – doch wieder hat sich der rechte Brems- und Schaltheben deutlich nach innen gedreht. verärgert Diesmal habe ich Glück und an einem Brunnen an der Einmündung auf die Straße vom Vallée de la Clarée treffe ich zwei Schweizer Rennradler. Sie haben den passenden Inbusschlüssel auch in der nötigen Länge dabei. So ist dann alsbald alles wieder geradegerückt. Ich halte die Ostseite des Col de Granon nicht für reiseradtauglich, man kann aber eine Abfahrt bei gutem Wetter riskieren, wenn man mehrere hundert Höhenmeter lang auf die Bremse drücken will. Eine Auffahrt mit einem voll beladenen Reiserad halte ich für undurchführbar (ist schon für MTBer schwierig genug).

Nahezu lieblich fließt die Clarée neben der Straße dahin, die Berge begrenzen das Tal zu beiden Seiten ohne weite Ausblicke. Zahlreiche Sand- und Kiesbänke bereiten Bade- und Picknickplätze, was auch intensiv genutzt wird. Die Straße hat nur geringe Steigung, einige Passagen sind ganz flach. Irgendwo steht ein Käseverkaufswagen – nur Ziegenkäse in allen erdenklichen Variationen und Geschmack pur. Das lässt mein Herz höher schlagen. In Nevache richte ich dann mein Picknick ein, muss aber wegen der langsamen Abfahrt zuvor auf das weitere Erkunden des Clarée-Tales verzichten. Schöne Holzarbeiten in einem kleinen Laden in Nevache.

Von der Talöffnung um Nevache mit den regelmäßigen Feldmauern auf den Weidehängen führt ein sehr gut ausgebaute Straße (neu asphaltiert) zum Col de l’Echelle. Einige Felsen mit Rundlöchern und markanten Zapfen prägen den unteren Teil, danach bestimmt eher langweiliger dunkler Nadelwald die Szenerie. Ausblicke gibt es dann erst wieder auf der Abfahrtsseite nach Norden. EU ohne Grenzen? – Nun, hier an der französisch-italienischen Grenze werde ich tatsächlich vom Zoll kontrolliert. Bardonecchia wird von den Bergen fast erdrückt – zumal hier die Trassen von Autobahn und Eisenbahn Richtung Tunnel de Fréjus breiten und hohen Raum einnehmen.

Am rauschenden Bergfluss geht es eher reizlos, dafür flott Richtung Oulx. Auf den Bergen sind hier die modernen Hochbauten von Sestrière deutlich zu sehen. Ohne in den Ort zu fahren, geht es unauffällig und parallel zur Autobahn weiter Richtung Salbertrand. Hier liegt so etwas wie ein Transit-Camping – ideal für Durchreisende den anliegenden Transitrouten – entsprechend auch viele deutsche Motorradler. Nicht so schön, aber nützliche Lage – sehr gute Sanitäranlagen, Restaurant dabei. Selbst die kleinen Wege auf dem Camping werden mir zur schmerzhaften Tortur. Was ist, wenn der Sehnenschmerz auch beim Radeln auftauchen sollte? Erstmals stelle ich die ernsthafte Frage nach dem Tourabbruch. traurig Tal ausfahren nach Turin und Zug zurück?

Fr, 10.7. Salbertrand – Susa – Novalesa – Montcenisio (~1400m) – Bar Cenisio – dev. Lac du Mont Cenis (Südroute) – Col du Petit Mont Cenis (2182m) – Col du Mont Cenis (2084m) – Lanslevillard
C: Municipal 7,60 €; AE: Salat Käse/Schinken/Ananas, Rw, Steak/Käsesauce, Pf, Schoko-Ku/Vanilles., Cafe 34,60 €
87 km – 11,3 km/h – 7:38h – 2225 Hm

Die folgende Strecke nach Susa bin ich zwar bereits 2002 geradelt, mancher Abschnitt scheint aber nicht im Gedächtnis geblieben zu sein. Ohne Spektuläres, ist die Strecke durch das Naturschutzgebiet Gran Bosco doch ganz ansehnlich. Ein großes Fort kann in Exilles besucht werden, hin und wieder ragt eine Autobahnbrückenkonstruktion ins Tal. Flach ist die Strecke auch nicht, es gibt mäßige Steigungen, das stärkste Gefälle liegt gegen Ende Richtung Susa.

In Susa führt mein erster Weg zur Apotheke. Die Salbe, die ich erhalte, hat allerdings allenfalls gelegentlichen Placebo-Effekt. Tatsächlich kann sie keine Besserung bis zum Ende der Tour bewirken. Nach Frühstück an der zentralen Piazza und Stadtbesichtung (lohnenswert!) wähle ich gegenüber 2007 eine Alternativroute Richtung Col du Mont Cenis. Sie führt zunächst durch ein flaches Wiesental und später mit mäßigem Anstieg über Novalesa. Für den weiteren Verlauf über Moncenisio versichere ich mich bei einem Radhändler in Susa, ob die Strecke ordentlich befahrbar ist – ist sie, durchgehend ordentlicher Asphalt, wenn auch sehr enge Straße. Allerdings: Die Steigung ist hier um einiges anspruchsvoller als auf der Hauptstrecke zum Col du Mont Cenis – und die ist ja auch bereits im unteren Teil ziemlich anspruchsvoll. Wer die Strecke ebenfalls fahren möchte, sollte also auf ein lange, heftige Rampe vorbereitet sein. Nach Moncenisio erleidet man einen merklichen Höhenmeterverlust, bevor man die Passroute wieder wenig unterhalb von Bar Cenisio erreicht. Dafür erlebt man aufregende Wasserfälle, ein üppiges Schmetterlingsflattern, mystische Steinbrocken-Waldlandschaft und eine feine Kehrenfahrt. Moncenisio selbst bietet ein paar hübsche Häuser und wenig danach zwei kleine, idyllische Seen. Die Reststrecke verläuft wasserfallreich durch dichten Laubwald.

Der Rest der Strecke bis zu den Hotels unterhalb der Staumauer des Lac du Mont Cenis überschneidet sich mit meiner 2007er-Route, die allerdings damals in großen Teilen durch Wolken und Nebel führte. Diesmal also klare Sicht – auf die Panoramen ringsum, auf die Tunnelreste der legendären Mont-Cenis-Bahn aus dem 19. Jahrhundert, auf die eindrucksvollen, nahezu symmetrischen Kehren aus der kleinen Zwischenebene herauf Richtung Staudamm und den überall sprudelnden Wassern – vom rauschenden Strahl bis zum glitzernden Niesel über brüchigen Fels. Bei den Hotels versuche ich eine Essenspause im Schutz einer Holzbaracke – Versuch insofern, dass trotz Sonne ein extrem heftiger Wind und sehr kalte Luft das ungeschützte Sitzen unmöglich macht. verärgert

Bei einer alten Kirche und einem aufdringlichen Hund böse zweigt die Piste zum westseitigen Ufer des Sees ab, ist allerdings nicht ausgeschildert und mehrere Pisten liegen zwar offen, aber doch verwirrend vor einem. Vermutlich könnte man auch die Straße zunächst weiter hoch fahren und über den Staudamm gleichermaßen zu derPpiste gelangen. Um den Col du Petit Mont Cenis anzufahren bedarf es letztlich aber nicht dieser mäßigen Piste – unweit des Col du Mont Cenis kann man rein asphaltiert und dann als reine Stichstraße auch dorthin gelangen. Die Westpiste führt auch nicht am See entlang, sondern hinter ein paar Hügeln, zwischen denen man gelegentlich den See erblickt. Teils ist die Piste stark sandig und entsprechend schlecht zu fahren. Das Hauptproblem ist aber der Wind. böse Er erreicht zuweilen Sturmstärke und ich muss allein deswegen häufiger anhalten, was wiederum meiner Sehne nicht gut tut. An einer Gabelung treffe ich auf ein deutsches Wanderpaar mit Hund, bei denen ich mich nochmal für die richtige Pistenwahl rückversichere. Sie haben ihr Auto irgendwo geparkt und laufen so immer wieder entlegende Routen ab. In die Hexengegend von Trioria wollen sie auch noch. grins Der Reiz der Strecke liegt in den grünen Hügeln, die mit einem Rausch an Alpenrosen übersäht sind.

Irgendwann mündet die Piste auf die asphaltierte Stichstraße zum Col du Petit du Mont Cenis. Die Steigungen sind zwar unrhythmisch, aber durch das wellenartige Terrain launig zu fahren. In den grünen Hügeln halten sich viele Murmeltiere auf. Ein Rifugio liegt etwas abseits bereits vor dem Pass, am Pass selbst gibt es aber auch eine Ess-, aber keine Übernachtungsgelegenheit. Imponierend ist eine Bergformation mit zwei Pyramidenbergen und einem mehrzackigen Zylinderberg – wobei die Perspektivwechsel immer wieder aufs Neue faszinieren. Vom Col du Petit Mont Cenis führt ein nicht langer Wanderweg nach Le Planay, den ich ursprünglich notfalls schiebend „beradeln“ wollte. Auch wenn an der Passhöhe die Piste fahrbar aussieht, kann ich das Risiko mit dem Fuß nicht eingehen. Bei der Rückfahrt sollte man Abflussrinnen nicht vergessen, sonst kann man leicht stürzen. Die Asphaltstraße am Nordwestufer ist ebenfalls wellig und noch recht lang, bevor man den Col du Mont Cenis erreicht. Die Mont-Cenis-Route markiert auch die Grenze zwischen Cottischen und Grajischen Alpen. Zentrum der Grajischen Alpen sind die Nationalparks Vanoise (frz.) und Gran Paradiso (ital.). Einen weiteren wichtigen Teil bildet das Gebiet am Kleinen St. Bernhard.

Die Nordseite des Col du Mont Cenis kann den Vergleich mit Südseite nicht halten – große Kehren mit starkem Gefälle führen durch ziemlich belanglosen Nadelwald. (Ich empfehle daher stets denPass von Süd nach Nord zu fahren.) In den letzten Abendstunden hat sich der Himmel zugezogen und die windige Kälte wirkt jetzt auch noch psychisch deprimierend. Die Hoffnung auf ein wärmendes Tal erfüllt sich nicht. traurig Das Zelt stelle ich etwas unverschämt umittelbar im Windschatten eines Wohnwagens auf. Ein sehr schwerer Tag – allein die Steigungen schon – dazu noch zerrissen von Kälte, Wind und Schmerzen – da genehmige ich mir ein sehr gutes Essen, das wieder etwas versöhnt. :zufrieden:

Sa, 11.7. Lanslevillard – Col de la Madeleine (1756m) – Bessans – Col de l'Iseran (2764m) – Val d'Isère – Ste-Foy – Montvalezan – la Rosière – Col du Petit St-Bernard (2146m) – La Thuile
C: Rutar 12,50 €; AE: SV
107 km – 13,4 km/h – 7:58h – 2620 Hm

Auch an diesem Morgen sorgt die Kälte für einen langsamen Start. Eine Besonderheit für Iseran-Fahrer steht gleich am Anfang an: Die D 902 steigt gleich nach Lanslevillard an, um dann nach einer Zwischenhöhe in eine längere Talebene bei Bessans wieder abzufallen. Diese Erhöhung stellt keinen Pass dar – sehr wohl aber der kaum höhere Hochpunkt auf einer parallelen Straße, die durch ein kleines Tal mit den typisch üppig-gemischtfarbigen Vanoise-Wiesen führt. Diese kleine Nebenstrecke dürften die meisten Iseran-Fahrer verpassen. An dem dortigen Col de la Madeleine (einer von vielen gleichen Namens) befindet sich eine kleine Siedlung mit einer historische Kapelle.

Der weitere Verlauf durch die Zwischenebene ist durchaus reizvoll, Bessans auch als Etappenziel charmant. Die großen Bergblickpanoramen beginnen jedoch erst mit dem Anstieg nach Bonneval-sur-Arc, das über eine alte römische Brücke verfügt. Mit den ersten Kehren entwickelt sich ein eindrucksvolles Panorama nach Süden samt schöner Bergblumenhänge. Mit dem Erreichen einer grün-wiesigen Zwischenebene (wird gerne auch zum Picknicken und Sonnen genutzt) und durchschäumenden Wasserfällen wird diese Perspektive langsam abgeschnitten. Der Blick richtet sich nun auf eine Engstelle samt kleinem Steinbogentunnel. Der letzte Teil zum Iseran besteht aus einer Steinwüstenlandschaft und ggf. Schneefeldern. Hier haben die Murmeltiere so wenig Scheu, dass sie sogar den Motorrad- und Autoverkehr aufhalten. lach

Die Auffahrt entwickelt sich im letzten Teil zur Tortur. Der Wind erreicht wieder bedenkliche Stärke und kühlt merklich aus. Auf der Passhöhe muss ich aufpassen, dass mir die Kamera nicht aus der Hand geweht wird. Mittlerweile ist es auch sehr wolkig geworden. Abgesehen von den weiten Bergpanoramen ist die Nordseite des Iseran in puncto Vegetation wenig aufregend. Markant ist ein gestufter Wasserfall unweit Val d’Isère, den man aber von der Straße nur unzureichend bewundern kann.

Bei der Abfahrt begegnen mir zwei Reiseradler, zwar nicht im sportlichen Outfi, aber doch sichtbar „erfahren“. Der Gruß wird auch gleich erwidert und wir kommen zu einem kurzen Gespräch. Es sind Franzosen (können gut Englisch), die gerade mit der Passüberquerung ihre Radreise beenden wollen – eine Radreise von Indien ausgehend. Sie berichten z.B. über Pakistan als ein schönes Radreiseland. Mit Hinweis auf das Radreiseforum und in gegenseitiger Bewunderung trennen wir uns – würde ich doch nie solche exotischen und „gefährlichen“ Touren angehen wollen – so würden anderseits diese beiden nicht eine solch aufreibende Pässejagd absolvieren mögen.

In Val d’Isère muss ich erstmal meine Fingerkuppen wiederbeleben – sie sind nahezu abgestorben. böse Der Wind aber auch hier im Ort noch in jeder geschützten Ecke zu spüren. Obwohl Val d’Isère eine schon fast städtische Ansammlung an Hotels, Shops, Ferienchalets und Wintersporteinrichtungen ist, strahlt es doch einen versöhnlichen Charme aus – denn auch die modernen Häuser sind savoyardisch im grauen Stein oder in warmer Holzbauweise gestaltet. Val d’Isère ist für mich ja auch ein Schicksalsort – habe ich dort doch meine (analoge) Spiegelreflexkamera im Jahre 2005 liegen lassen.weinend

Der weitere Verlauf am Lac du Chevril vorbei führt durch zahlreiche Tunnelpassagen. Ins Wintersportgebiet nach Tignes hinauf ergeben sich weite Bergpanoramen, die Vegetation an der Strecke ist allerdings wenig aufregend. Bei Ste-Foy-Tarentaise führt eine Straße über Montvalezan auf die Südwestseite des Col du Petit St-Bernard. Das ist eine Abkürzung sowohl in Kilometern als auch in Höhenmetern, sofern man nicht auf einen Zwischenstop in Seez angewiesen ist. Diese Route ist nicht allen Reiseradlern bekannt, wie ich 2005 feststellen konnte. Selbst diese Abkürzung verzweigt sich aber nochmal. Durch mangelnde Ausschilderung bin ich die südlichere, flachere Route gefahren, tatsächlich gibt es ein steile, kürzere Rampe, mit der man etliche Serpentinen der regulären Passroute einsparen würde. Die Serpentinenauffahrt nach La Rosière 1850 gestaltet sich aber sehr einfach bei flottem Bergtempo.

Wenn auch weiterhin moderat in der Steigung, ist die finale Gerade zum Col du Petit St-Bernard ziemlich zäh, weil das Ziel lange im Auge und doch noch nicht da. Auf der italienischen Seite kann man Übernachten und Speisen und ich hatte es bei diesem Kältetag (ein Abschnitt am Nachmittag beim Montvalezan war allerdings tatsächlich heiß) schon erwogen – vor großer Bergkulisse nach Norden. Doch der Weg hinunter nach La Thuile ist schnell gefahren. Der Camping liegt ortsauswärts im Südosten direkt am Fluss an der Straße zur Rutorgruppe.

So, 12.7. La Thuile – Colle San Carlo (1971m) – Morgex – Aosta – Chambave – Verrayes – Grand-Villaz – Champlong (~1600m) – Col de St-Pantaleón (1648m) – Antey-St-André – Valtournenche
H: B&B/Chocolaterie/Creperie ? 40 €; AE: Pizza, Rw, Panna Cotta, Cafe 16,70 €
107 km – 12,3 km/h – 8:34h – 2295 Hm

Diesmal ist es morgens nicht nur kalt – auch die Sonne ziert sich hinter Wolken. Zum Aufwärmen erst ein Kaffee und Warten auf etwas Grundwärme. Die Auffahrt zum Colle San Carlo ist anspruchsvoll, wenngleich von Osten noch schwieriger. Über die gerade gemähten Almwiesen fällt der Blick durch Tannenbäume auf spitze, weiße Bergzacken, die sich aber alsbald auch wieder in Wolken verhüllen. Im oberen Teil fährt man ohne Ausblick durch Nadelwald zum Pass, wo ein kleiner See den Blick auf ein Molch verspricht – von ihm ist natürlich nichts zu sehen. traurig Die Passhöhe ist beliebter Wanderausgangspunkt etwa zum Lago d’Arpi. Eigentlich hatte ich auch auf eine denkbare Pistenfahrt oder eine Wanderung dorthin spekuliert, aber nicht mit diesem Sehnenproblem.

Die Abfahrt hat starkes Gefälle, verschiedene Waldabschnitte wechseln mit kleineren Bergwiesen – derweil ergeben sich weite Panoramablicke auf die Bergketten ums Aosta-Tal. Kurz nach Morgex halte ich bei einer Käserei mit Mont-Blanc-Käse und anderen regionalen Käsespezialitäten. Ganz lecker sind im Aosta-Gebiet auch die selbstgemachten Joghurts – sind aber im Gegensatz zum Käse nicht ganz so billig. Ich könnte sie aber endlos schlürfen. schmunzel

Das Aosta-Tal ist nun eine gewichtige Verkehrsader. Bei flottem Abwärtstempo ist es aber gut zu fahren, anders herum können einem die motorisierten Blechkisten schonmal auf den Wecker gehen. Das Tal ist fruchtbar und es wird intensiv Obst- und Weinanbau betrieben. Das Aosta-Tal ist aber auch ein Burgenland. Unzählige Burgen zieren der vorbeiziehenden Horizont. Obwohl es mit einer Dunstglocke leicht schwül ist, bleiben die Tempraturen doch auffällig moderat. Bei richtiger Sommerluft würde es an solchen Tag hier unerträglich heiß.

Aosta ist eine sehr sehenswerte Stadt. Viele Kirchen, Verzierungen auch in entlegenden Hinterhöfen, Lauben- und Tunnelgänge, das römische Erbe und die pittoresk-romantischen Perpektiven auf die Bergwelt zwischen den engen Häuserzeilen hindurch erfreuen das Auge. Mit entsprechendem Kleingeld macht auch das Shoppen hier Spaß. Originelles Kunsthandwerk, schicke Kleider, elegantes Schuhwerk und feine Spezialitäten warten überall verführerisch in den Läden. Und man ist stets erfinderisch: Selbstgemachtes Eis am Stiel ist die Attraktion einer Konditorei.

Der Verkehr nimmt weiter talbwärts natürlich noch mehr zu. Das Valle d’Aosta bildet hier die Grenze zwischen Grajischen (Süden) und Walliser Alpen (Norden). Mit der Auffahrt bei Chambave beginne ich die Fahrt durch die Walliser Alpen und damit bereits den sechsten und letzten Teil der Reise. Diese sehr steile Auffahrt führt zunächst durch lockeres Siedlungsgebiet mit Obstanbau. Weiter oben dominieren Wiesen und Weiden. Mein Weg an dem Picknickplatz Champlong vorbei sollte folgend der Ansicht des Naturreservates Lago di Lozon dienen. Dort gibt es aber nichts zu sehen außer einer Schilfwiese ohne See. Insofern reicht es auch, direkter über den Pantoleón-Pass zu fahren. Man hat zahlreiche Perspektiven auf die Bergketten nach Süden und nach Osten. Große Vegetation hat der Pass aber nicht zu bieten. Die Abfahrt ins Valtournenche geht bei starkem Gefälle schnell.

Ich hoffe auf weitere Restaurants oberhalb von Antey-St-André. Dort folgen aber nur noch wenige Gelegenheiten, und diese haben bereits alle ihre Küche geschlossen. Irgendwo bei einem Wasserfall dann ein Camping mit Restaurant. Das Ganze ist aber ein Cmaping ausschließlich mit Wohnwagen und Chalets. Als ich mit Zelt übernachten will, entstehen große Diskussionen. Schließlich akzepiert der Campinghirte eine Nacht (was sonst?). Doch dann will ich auch noch bezahlen (nanu?). Geht nicht – morgen, nicht vor neun Uhr. Meine Absicht zwischen 7:30 und 8:00 Uhr abzureisen führt zu weiterem Entsetzen. Nicht möglich. Die insgesamt unfreundliche Atmosphäre beende ich schließlich mit einem unfreundlichen Gruß. Ich bin hier einfach nicht erwünscht. verärgert Zuvor hat mir einer der Stammgäste gesagt, dass es im Restaurant noch mindestens ein Stunde lang was zu Essen gibt. Als ich dort hinein will, heißt es, es sei jetzt geschlossen. Na, weiß hier überhaupt jemand, was er sagt? – Zuguterletzt schließt mich die Frau auch noch ein und ist mürrisch, das sie den Torschlüssel holen muss. Blind ist sie auch noch gewesen. wirr

Ich fahre durch die Dunkelheit und ausgerechnet nun folgt der steilste Teil des Valtournenche. Auf der Höhe eines Sees beim Ort Valtournenche gibt es nochmal ein Hotel/Ristorante – auch kein Essen mehr. Der Camping liegt zwar hier am See, aber der Ortskern liegt zwei heftige Kilometer aufwärts – der Hotelwirt hat Schwierigkeiten mein Problem zu verstehen. Ich fahre auch diesen Teil noch hoch. Im Ort finde ich tatsächlich noch eine Pizzeria, die mir was zubereitet. :zufrieden: Für italienische Verhältnisse schon eine sehr seltsame Odyssee. Nunmehr müde, abgearbeitet, bei Kälte, ohne Wildcampinggelegenheit wähle ich eine Bed-& -Breakfast-Gelegenheit, wobei das „Breakfast“ eher symbolischen Charakter hatte. Immerhin bekomme ich ein paar hauseigene Pralinien geschenkt. schmunzel

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