Re: Pyrénées Cathares-Catalán

von: veloträumer

Re: Pyrénées Cathares-Catalán - 04.12.11 18:00

In Antwort auf: Oktoberkind
„Wir harren sabbernd der Fortsetzung!“ Dem schließe ich mich an.

Zum zweiten Advent dann:

TEIL 2 Riesige Weinfässer, Malerwinkel und Flüchtlingswege: Das Roussillon mit dem spanischem Grenzland rund um die Monts Albères und Côte Vermeille

Di 21.6. Corneilla-la-Rivière - Thuir - Col de Llauro (380m) - Céret - Col de Boussells (286m) - Col de Pla Boulet (640m) - Col de Llausse/de'en Llemosl (692m) - Col de la Brousse/Brossa (860m) - Coll de Mirailles (710m) - Las Illas - Coll del Figuer (704m) - Coll de Manrella (710m) - Agullana – Espolla
98 km | 14,2 km/h | 6:52 h | 1.550 Hm
W: anfangs sonnig, dann stark bewölkt, heiß, schwül
B: Cave Byrrh 2 €
E: Steak, PF, Salat, Eis, Rw 10 €
Ü: C wild 0 €

Dieser Tag ist landschaftlich ziemlich vielgestaltig, obwohl ich nicht wie geplant das Meer erreichte. Zwischen Corneilla und Thuir gibt es jede Menge Obstplantagen – vornehmlich Nektarinen und Pfirsiche. Danach folgt eine recht ruhige Hügellandschaft über den Col de Llauro. Um Céret herum tobt ein heftiger Verkehr, den man aber schnell auf den innerstädtischen Platanenplätzen hinter sich lässt. Erst recht die Fahrt nach Spanien über den Coll de Manrella (das ist der eigentliche Grenzpass) ist geradezu einsam. Die Auffahrt auf der französischen Seite enthält nur eine Zwischenabfahrt (die anderen Pässe sind nur Quer- oder Tangentialpässe) und ist insgesamt anspruchsvoll. Vielfach bietet ein Mischwald mit viel Kastanie Schatten – was aber bei der schwülwarmen Luft nicht viel Abkühlung brachte. Von Norden drohten sogar schwere Gewitterwolken, denen ich aber offenbar mit dem Weg über den Pyrenäenkamm entkam.

Während auf der französischen Seite eine enge, ruppige Straße existiert, die zum Ende hin oberhalb von Super Las Illas nur noch unasphaltierte Piste ist, beginnt exakt mit dem spanischen Territorium eine aalglatte, der Bevölkerungsdichte unangemessen breite Straße, auf der ich dann schneller als erwartet die Talsohle an der Nord-Süd-Verkehrsachse südlich von La Jonquera erreiche. Oberhalb von Las Illas gibt es auch noch einen Übergang über den Col de Lli, der aber offenbar ein reiner Wanderpass ist. Dieser wird gelegentlich mit dem Coll de Manrella verwechselt, weil er in der Michelin-Straßenkarte bezeichnet ist, der Straßenpass hingegen nicht. Über die Qualität dieses Übergangs kann ich leider nichts sagen. Vom Col de la Brousse führt laut Karte auch noch eine wohl unasphaltierte Piste hinüber wahlweise nach Macanet oder La Vajol in Spanien – auch diese Strecke habe ich nicht angetestet.

Der Anstieg zum Col de Banyuls folgt erst ab Espolla, der letzte Ort überhaupt vor der Grenze und immerhin noch mit einer Kneipe mit allerdings etwas rustikaler Küche. Wer etwas besser essen will, sollte zuvor in Sant Climent bleiben oder in Capmany, wo es auch einen Camping gibt. Zwischen der Talsohle mit der Autobahn/N 2 und Espolla gibt es ein paar leichtere Hügel, geprägt von Felswürfeln, von leicht geschwungenen Weinanbaugebieten, von mediterranen Pinien und Korkeichen, von Megalithen als Zeichen einer frühen Besiedlung und vom Blick auf das Albères-Massiv im Norden.

Zu den Städten: Thuir ist eine Stadt, die trotz ihrer Geschäftigkeit einen angenehmen Charme verströmt. Da ich für die Besichtigung der Cave Byrrh länger warten musste, kam ich unerwartet in den Genuss offener französischer Schularbeit. An diesem Tag rückten die Schulklassen aus, um in der Stadt Kostproben ihres musikalischen Könnens zu geben. Das war sehr anrührend, wie eine Musiklehrerin samt engagierter Akkordeonspielerin ein einstudiertes Chorsingen von kleinen Mädchen und Jungen mit leidenschaftlicher Profession dirigierte und damit die Kleinen in ihren Bann zog. Anfangs machten die meisten noch ein undisziplinierten, nicht ganz gewillten Eindruck, doch mit zunehmender Dauer und anwachsendem Publikum bekamen sie alle leuchtende Augen und gaben sichtlich ihr Bestes. Später sah ich eine Blockflötenklasse etwas älterer Schüler, die ich aber nicht mehr anhören konnte.

Die Cave Byrrh ist kein öffentliches Museum, sondern ein weltbekannter Hersteller von Aperitifs. Wieder eine Weinprobe? – Ja und nein, denn die Hauptattraktion liegt in einem Weinfass – dem größten (im Gebrauch befindlichen) Eichenholzfass der Welt mit über einer Million Liter Fassungsvermögen. Zwar gibt es größere Holzfässer, die sind aber nie zur Weinlagerung benutzt worden wie z. B. das in Bad Dürkheim, das als Restaurant dient. Die Führung ist zwar französischsprachig, jedoch bekommt man den Inhalt auch als deutschen Text. Neben den eindrucksvollen Fässern erfährt man auch etwas über das Herstellungsverfahren einschließlich der aufwändigen Aromatisierung des Traubensaftes. Am Schluss steht natürlich die Kostprobe der verschiedenen Produkte, verbunden mit der Hoffnung, dass die Gäste auch ein paar Flaschen kaufen. Zum Glück für den Betrieb sind nicht alle Besucher lastenscheue Radler. schmunzel Lieferungen sind aber weltweit möglich.

Es ist sicherlich bedauerlich, dass ich für die andere Stadt, für Céret, weniger Zeit aufwenden kann, um nicht ganz aus dem Takt zu geraten. Bedauerlich deswegen, weil es einer der bedeutendsten Künstlerorte der Malereigeschichte ist. Picasso arbeite hier in eine seiner wichtigsten Phasen und begründete zusammen mit anderen von hier aus den Kubismus. Obwohl ich das Museum für Moderne Kunst nicht besuche, bekomme ich doch noch einen Hauch Kunstgeschichte mit, denn an vielen Stellen in der Stadt finden sich ausführliche Tafeln zu berühmten Künstlern der Moderne. Keine Frage, dass das Künstlerische und die Muße das gesamte Flair der Stadt mit seinen zahlreichen Restaurants und Cafés prägen.

Mi 22.6. Espolla - Col de Banyuls (357m) - Banyuls-s-Mer - Col de Llagastera (255m) - Col de Cascons (387m) - Tour Madeloc (652m) - Coll de Tallferro (322m) - Coll de Mollo (231m) - Coll de la Serra (406m) - Coll d'en Calvo (162m) - Collioure - Argeles-s-Mer - St-Genis-des-Fontaines - Maureillas-las-Illas - La Clapère
79 km | 12,7 km/h | 6:03 h | 1.205 Hm
W: sonnig, drückend-heiß, abends bewölkt, kühler, etwas Regen
B: Chemin W. Benjamin 0 €
E: SV
Ü: C La Clapère (FKK) 25 €

Der Col de Banyuls ist von Südwesten leichter zu befahren als von der Meerseite. Noch vor dem offenen Passanstieg liegt ein Feuchtbiotop unterhalb der Straße, dass offenbar sehr vogelreich ist. Seltsame, aber markante „U“-Rufe vernahm ich im Ohr und wenig später konnte ich meine ersten Wiedehopfe im Leben beobachten. schmunzel Leider blieben sie selbst für mein Teleobjektiv etwas außerhalb brauchbarer Reichweite, zur Dokumentation reicht die Auflösung aber schon. Offenbar hatte sich ein Pärchen gerade sehr viel zu sagen, das um einen Hof ständig herum flog, leider mit hohen Zäunen unüberwindbar abgetrennt.

Die Meerseite des Banyuls-Passes ist ein enges, rumpeliges Sträßchen – aber um so hübscher in die eher steilen, in Mauerstufen gestaffelten Rebenhänge eingebunden. Auf dem Pass haben die Spanier Gedenk- und Infotafeln zu den vor Franco geflüchteten Republikanern aufgestellt, die allerdings bereits von neofaschistischen Knallköpfen stark verkratzt wurden. In dem Bürgerkrieg verloren insgesamt 700.000-800.000 Menschen das Leben und etwa 480.000 flüchteten ins Exil. Es gehört zu den verblüffenden Erscheinungen der Weltgeschichte, dass das faschistische Spanien hingegen Fluchtland für die von den Hitler-Faschisten Vertriebenen war – wenn auch überwiegend nur als Durchgangsland, meist auf dem Weg nach Amerika. Das lässt sich mitunter dadurch begründen, dass Franco gegenüber Hitler eine persönliche Abneigung hegte und anders als etwa der italienische Duce trotz diverser Kooperationen nicht zu einem Gefolgsmann des deutschen Rassenwahns wurde (wenngleich er davon wusste und ihn nicht bekämpft hat).

Wie schon eingangs erwähnt, folgt so z.B. das Mahnmal an den Flüchtlingsstrom der Nazi-Verfolgten und der Resistance als „Chemin Walter Benjamin“ weit unterhalb in Puig-del-Mas (nicht an der Strecke, Abzweig in den Ort notwendig und dann bereits ortsausgangs Richtung Süden, später Wanderweg über den Rumpissa-Pass). Etwas früher findet man einen weiteren chemin de liberté, der über Col del Tourn führt (anfangs Piste, später wohl nur Wanderweg).

Was die Tortur der Flüchtlinge als Fußgeher am Rumpissa-Pass bedeutet haben mag, kann der Radfahrer am besten mit der Auffahrt zum Tour Madeloc nachempfinden. Diese verkehrsarme Panoramastrecke bietet traumhafte Blick auf das Meer, windet sich weitgehend durch Weinberge, zu denen es Info-Tafeln am Straßenrand gibt. Ist die Straße als solche schon anstrengend, so ist der asphaltierte, aber für Autos gesperrte Stichstraßenabzweig zum Tour Madeloc eine Rampe, an der mehrere Teufel gleichzeitig gebaut haben müssen, wenngleich man dem Himmel deutlich näher kommt. teuflisch Oder anders ausgedrückt: Die Rampe zur Château de Quéribus ist die Trainingsstrecke für dieses Filetstück. Mancher Rennradler fährt lieber unten weiter. Mir begegnete ein deutsches, junges Ehepaar, das mich – bereits auf dem Weg nach Collioure abwärts – nach Abzweig und Straßenzustand fragte, um mit den auf dem Auto montierten Rennrädern einen kurzen Turmausflug zu starten. Sie kamen kurze Zeit später unverrichteter Dinge zurück. grins

Wie die Weite des Meeres die Gedanken auf dem Tour Madeloc beflügelt, so eindringlich froh stimmen die Perspektiven in dem Künstlerstädtchen Collioure mit einer einmaligen Meereskulisse. Man mag zur Reisezeit die Mengen an Touristen beklagen, den charmanten Reiz verliert dieser Ort trotzdem nicht – auch nicht, wenn man wie ich zum zweiten Male dahinkommt. Dieses Hafenstädtchen ist ein großes Mosaik aus lauter kleinen Blickwinkeln, ein ewiger Regenbogen aus betörenden Pastellfarben, ein verträumtes Atmen poesieschäumender Meeresluft. Es gibt nur wenige Orte, die ich spontan als Wohnort bei einer Wahl ohne Rücksicht auf Beruf und Finanzen sofort wählen würde – Collioure gehört dazu. Auch wenn nur kurz – ein Bad im Meer musste ich hier nehmen, wenn auch das einzige auf dieser Reise.

Die Vorstellung, dass hier nur Kopisten das immergleiche Motiv der Wehrkirche am pittoresken Hafen abmalen, kennt die menschliche Kreativität nicht. Schaut man sich in einigen der vielen Verkaufsgalerien um, so stößt man auf eine Schwindel erregende stilistische Vielfalt. Es gibt wohl kaum ein Bauwerk, das in so vielen Facetten künstlerisch variiert wurde wie diese Wehrkirche von Collioure – vom Eiffelturm vielleicht mal abgesehen. Der Inspiration der großen Maler kann man auf dem „Chemin de Fauvisme“ folgen, auf dem die Blickwinkel der Kunstmotive durch einen offenen Rahmen betrachtet werden können. Dazu gibt es ein Abbild der daraus entstandenen Kunstwerke. Es gibt offenbar einen solchen kostenpflichtigen Weg, dessen Eingang ich aber nicht gesehen habe. Andererseits gibt es aber auch solche frei zugänglichen Rahmen. Was wie zusammenhängt, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Vielleicht mal genauer beim nächsten Mal schauen. Die malerischen Ergebnisse der 20 Blickwinkel von Henri Matisse und André Derain findet ihr auf dem Video Chemin de Fauvisme (knapp 2 Min.).

Do 23.6. La Clapère - Maureillas-las-Illas - Col du Perthus (271m) - Fort de Bellegarde (420m) - Col de l'Quillat (936m) - St-Jean-des-Albères - Maureillas-las-Illas - La Clapère (ohne Gepäck)
55 km | 13,9 km/h | 3:50 h | 1.330 Hm
W: bewölkt, sehr kühl, auch teils sehr windig bis stürmisch
B: Fort de Bellegarde (außen) 0 €
AE (La Clapère): Salat Ziegenkäse/Schinken, Gambas flamb., Eis, Rw 27 €
Ü: C La Clapère (FKK) 25 €

Was am Vortag innerhalb der Etappe liegen sollte, holte ich an diesem vermeintlichen Ruhetag nach. Die trübe, kühle Witterung war ein herber Kontrast zum Vortag, kündigte sich aber bereits am Abend vorher an. Und der Folgetag war dann auch wieder einen Sonnentag, sodass ein solcher ganzer Tag in nackter Lebensweise so ziemlich daneben ging.

Nach dem noch etwas aufgeheiterten und trödeligen Vormittag und der kleinen Reifenpanne beherzigte ich dann das eher Sportliche, in dem ich ohne Gepäck den Col de l’Quillat in Angriff nahm. Für ein noch weitere Fahrt zum Pic Neulos oder gar der gut fahrbaren Piste, die bis zum Col des 3 Hetres führt, reichte es aber nicht mehr. Auch die Forststraße nach Norden, die ich eigentlich vortags aufwärts fahren wollte, nahm ich nicht zur Abfahrt, weil ich mit Blick auf das Abendessen schneller den Berg herunter musste. Die Forststraße machte aber trotzdem einen passablen Eindruck von oben aus gesehen. Nur einen Teil muss ich als Stichstraße fahren. Gegenüber der südlicheren Route aufwärts gibt es für den Rückweg eine nördlichere, welligere Variante über St-Jean. Das Albères-Massiv bietet viel Schatten, die unteren Passagen sind teils stark von Korkeichen geprägt und geben ein uriges Bild ab. Nicht umsonst gibt es in Maureillas ein Korkmuseum, dass ich aber auch verpasste zu besuchen.

Nur von außen hatte ich vor dieser Passfahrt noch das Fort de Bellegarde besucht. Die mächtige Festung wurde im 17. Jahrhundert von Vauban errichtet und diente u.a. der Gestapo im 2. Weltkrieg als Gefängnis für Kriegsgefangene. Die steile Rampe zum Fort ist nur kurz, der Col du Perthus an sich ist ein extrem harmloser Pass, allerdings dicht befahren trotz paralleler Autobahn.

Spätestens nach der doch überraschend flotten Auffahrt zum Col de l’Quillat und dem Sieg über den Tour Madeloc am Vortag schöpfte ich wieder neues Selbstvertrauen. Bei Rainer (Axurit) hatte ich noch Zweifel geäußert, überhaupt so einen Berg mit rauer Piste wie den Collade des Roques-Blanches (TEIL 3) anzugehen. Zu schlecht schien meine Form, zuviel Zeit hatte ich fast jeden Tag verloren gegenüber geplanten Strecken, zu schwierig schien das alles zu werden. Doch trügte der Eindruck auch unter den Umständen, war dem vielen Wind und den steilen Burgrampen geschuldet, den unerwartet langen Besichtungen und vielen Fotos geopfert. Ich wusste, dass ich insgesamt langsamer als in den Vorjahren war, aber ich wusste nun auch wieder, dass die Bergziege in mir noch lebte. schmunzel Der schließlich erste gelungene Restaurant-Abend der Reise stimmte mich optimistisch auf neue große Taten ein.

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Fortsetzung folgt