Re: Southern Tier - 5378 Kilometer durch die USA

von: ro-77654

Re: Southern Tier - 5378 Kilometer durch die USA - 22.02.12 09:21

DRITTER TEIL

Fotos möchte ich eigentlich nicht noch mehr einsellen, die sind alle fein säuberlich in derrichtigen Reihenfolge und beschriftet auf der Homapage. Öffnet man zwei Fenster, kann man abwechselnd Fotos gucken und lesen...
-------------

Texas (2): Jetzt - fast auf der Mitte der Strecke - wird das Klima anders. Bisher gab es offensichtlich wenig Niederschläge, nun wird es feuchter: Bei Hunt ist ein Winzer, es gibt viel Nadelwald und vor Kerrville einen schönen Fluss.
Wenig später ist "Stonehenge" zu sehen und daneben eine Figur a la Osterinsel - beides hat jemandem gut gefallen, da hat er sich das daheim mit viel Beton nachgebaut...
Björn und ich wollten uns hinter Kerrville treffen - er kommt aber nicht. Wahrscheinlich ist er in ein Motel gegangen, ich war schneller und hatte es gerade noch bis zur Dämmerung gegen 17.30 Uhr zum State Park geschafft. Wir haben seitdem nur Kontakt per E-Mail.
Ich vermeide übrigens aus Sicherheitsgründen Fahrten nach 16 Uhr: Alkohol ist beliebt - es soll angeblich viele betrunkene Autofahrer geben. Außerdem fängt ab 16 Uhr der Feierabendverkehr an und die Leute haben es eilig.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Nach Austin oder die Stadt umfahren. Ich will wegen der Musikszene hin und schlafe dort in einem Hostel. Der Abend im Jazzclub Elephant ist fantastisch: Eine Session, zig Musiker kommen auf die Bühne oder gehen nach ihrem Beitrag wieder herunter. Zwischendurch singen drei junge Frauen je ein Lied. Im Jazzclub lerne ich zwei Musiker kennen, einer ist Schwarzer. Ab Austin bis Florida leben viele Schwarze, auch in San Diego Dazwischen kaum, das hängt noch mit den Plantagen bzw. Sklavenhaltern zusammen.
Austin ist auch architektonisch interessant, es hat ein richtiges Zentrum. Die erste Stadt in der ich mich wohl fühle.

Kurz vor Austin hatte ich Probleme mit dem linken Knie - Schmerzen. Es geht im "Texas Hill County" Hügel hoch und runter, meist so sechs bis acht Prozent Steigung. Hier trainierte Lance Armstrong, der soll in Austin auch einen Radladen besitzen.
Östlich von Austin wird die Gegend sehr "europäisch" dort wohnen viele deutschstämmige Leute. Mit einigen komme ich auch ins Gespräch, in einem Laden liegt ein Buch aus, in dem sich alle Southern-Tier-Fahrer eintragen können. Ab jetzt werden die Abstände zwischen den Orten geringer, statt Rancher mit riesige Gebieten gibt es kleinere Ranches und viele Farmen.

In Austin habe ich den größten Fehler auf der Fahrt gemacht und im Rückblick meiner persönlichen Jahresbilanz den größten für 2011: Eine Mahlzeit bei Church Chicken gekauft. Das ist eine Kette, die Läden gibt es fast an jeder Ecke - wie McDonald's. Bei meiner Ankunft in Austin bin ich an keinem Geschäft vorbeigekommen, der Hunger war groß, alle Vorräte aufgebraucht - deshalb habe ich Chicken bei Church gekauft.
Wobei man das frittierte Zeug gar nicht Mahlzeit nennen soll, das ist einfach Dreck. Drei "Teile" für drei Dollar, fett panierte Hähnchenflügel oder Beine, darunter glibberiges Fleisch. Mein Körper hat sich beim Essen heftig gewehrt, das zweite Stück hat noch der Hunger rein und der Geiz runter gebracht, das dritte habe ich weggeworfen. Ein anderer Käufer am Imbiss hatte sich beschwert, das bei seiner Tüte mit ungefähr einem Dutzend dieser Teile eins gefehlt hätte. Der Mann war übergewichtig und sah auch ungesund aus, wie viele Amis: Industriefraß, Softdrinks, Alkohol, wenig Bewegung...
Gestern habe ich im Bestseller "Tiere essen" von Foer gelesen, wie die Hühner in den USA gehalten und geschlachtet werden - widerlich.


Louisiana:
Sofort nach der Staatsgrenze habe ich einen Volltreffer: Ein Nagel ist ins Hinterrad rein und wieder raus. Zwei große Löcher im Schlauch...
Dann folgt ein kleiner Laden mit Obst und Gemüse von örtlichen Farmen. Ich gehe rein, weil ich so etwas gern unterstütze. Die Frau an der Kasse schenkt mir meinen Einkauf - so zwei Dollar - weil ich Radler bin. Zum einen sind viele Amis sehr großzügig und verschenken oft Essen, zum anderen gelten Radler auch als arme Leute...
Kurz darauf führe ich an der Tourist-Info des Staates eines meiner vielen Gespräche: Der Einheimische sagt, dass sich Louisiana von den UA abspalten sollte: "In spätestens zehn Jahren haben wir Bürgerkrieg in den USA. Und der beginnt dann, wenn sie uns unsere Waffen wegnehmen wollen!" Er ist - wie fast alle Amis, mit denen ich geredet hatte - pessimistisch für die Zukunft der Vereinigten Staaten. Der Optimismus, der mal typisch für die Einwohner war (auch in Krisen!) scheint verflogen. Mehr zu dieser und anderen Begegnungen in meinem Buch...
In Louisiana ist die Kommunikation schwierig - die französischstämmigen Einwohner sprechen ein unverständliches Englisch, mit dem auch andere Amerikaner Schwierigkeiten haben. Und ab jetzt gibt es viele Flüsschen, Sümpfe, Wald, stehendes Wasser - Mücken, Mücken, Mücken. Oft flüchte ich bis Florida ins Zelt, weil die Stiche kaum auszuhalten ist. Dazu beißen mir rote Ameisen in die Füße, wen ich nur Latschen anhabe. Die juckenden roten Stellen heilen teilweise erst nach einen Monat!

Probiert habe ich in Louisiana eine berühmte Spezialität: Gumbo. Das klingt gut - schmeckt aber schlecht. Wird im Plastikbecher serviert: Heiße Flüssigkeit, die nach Fleischbrühe schmeckt, komische fleischige Brocken, Reis und alles undefinierbar scharf.

Mississippi:
Nun fahre ich Richtung Dauphin Island - die Zeit der kalte Nächte ist bis auf Ausnahmen vorbei. Es geht Richtung Küste, auf Meereshöhe und nach Süden. Ich hatte ungefähr zehn Mal Minusgrade, oft war das Zelt vereist. Und tagsüber war es in Osttexas und Louisiana oft nur 10 bis 20 Grad kühl.

Alabama:
Die kleine Insel (man kommt auf einer langen Brücke dorthin) ist sehr schön, aber der Campingplatz mit rund 26 Dollar teuer. Bis Austin habe ich meist 5 bis 10 Dollar gezahlt. Nun wird es teurer - in Florida bis zu 60 Dollar für eine Site. Darauf können mehrere Zelte und Autos stehen, es ist ein Pauschalpreis. Der Solo-Radler zahlt soviel wie zwei Leute mit Riesenwohnmobil, die ständig die Klimaanlage laufen haben.

Auf dem Campingplatz ist ein Paar aus Boston, die bis zum Frühjahr zur Westküste wollen und sehr gemächlich unterwegs sind. Für sie ist der Süden sehr exotisch, sowohl Landschaft als auch die Mentalität der Bewohner. Wir reden lange über die Waffennarren, ich war mit einigen im Gespräch. Das wäre in New England ganz anders, die Leute dort hätten eine "europäische Mentalität", sagen sie.

Dauphin Island bietet ein altes Fort - dort in der Bucht wurde das erste U-Boot der Welt im Bürgerkrieg eingesetzt und "Torpedos" genannte Seeminen - und eine Ausstellung zum Meer. Dort sind viele interessante Tiere zu sehen. Dort gelingen mir viele gute Fotos, unter anderem von einer großen Qualle.
Am nächsten Tag ist Zwangspause: Die Fähre über die Mobile Bay ist kaputt. Ein alter Kahn, der am nächsten Tag wieder flott gemacht war. In dichtem Nebel fahren wir dorthin, unterwegs begleiten Delphine den nach Diesel stinkenden Kahn.


Florida:
Ab sofort wird es touristisch: Viele Küstenabschnitte sind bebaut. Meist mit großen Häusern, oft wegen Flutgefahr auf Stelzen. An anderer Stelle stehen Bettenburgen. Vor Pensacola gibt es es mal wieder einen schönen State Park, wo ich schlafe.

Am nächste Tag geht es ins Museum der Marineflieger. Die haben dort eine riesige Basis an der Küste, die Straße dorthin ist vierspurig. Der Eintritt ist gratis, es sind über 100 Flugzeuge zu sehen, auch den ersten Düsenjäger der Welt: Eine Messerschmitt. Das Museum wäre sicher etwas für Falk!

Ich schlafe "wild" am Blackwater Trail, einem Rad/Reiter/Joggerweg hinter Milton. Solche Wege sind sehr selten - und gute Möglichkeiten zum wild zelten auch: An der mexikanischen Grenze ist die Border Patrol unterwegs, die suchen auch nachts mit Wärmebildkameras. In anderen Gegenden wird gejagt. Einmal lag ich nachts m Zelt, und die Schüsse kamen immer näher. Macht keinen Spaß, der Schlaf war unruhig.
Es gibt nachts mal wieder Frost, ich bin wieder etwas im Landesinneren.

Hinter Tallahassee habe ich ein Erlebnis in einem Mini-Statepark. Auszug aus meinem Bch:
--------------------------------------
Dann folgt der National Bridge Battlefield State Park. Das ist eine Picknickwiese samt Toiletten
und Tischen sowie ein Monument, dass an eine Schlacht im
Bürgerkrieg im Jahr 1865 erinnert (Fotos 149 und 150).

Jedes Jahr wird dort im März der Kampf zwischen Unionstruppen
und Konföderierten nachgestellt. Denkmale wie dieses gibt es
viele in Florida. Dort schlage ich mein Zelt auf – und habe bei
Einbruch der Dämmerung Besuch.

Ein Auto hält, es stellt sich heraus, dass es sich um einen
Ranger handelt, der mich freundlich begrüßt und dann sagt,
dass Zelten im Park nicht erlaubt sei. Ich könne jedoch eine
Nacht bleiben, weil es dämmert und kalt wird, sollte aber nicht
noch einmal mein Zelt aufstellen. Ich bedanke mich. Dann sagt
er noch, das er eine der beiden Toiletten nicht abschließen
würde. Es würde nämlich regnen, zur Not könnte ich dann dort
hinein. Und dann fragt er: „Sir, do you like Espresso?“ Ich bin
überrascht, sage ja. „I start to work at 6.30, I will bring you then
an Espresso.“ Schon wieder ein freundlicher Amerikaner!
Nachts wache ich auf: Gewitter mit vielen Blitzen, der Regen
trommelt aufs Zelt. Ich kann nur mir Ohropax weiterschlafen.

---------------------------------------

Einen Tag später treffe ich einen Holländer, der in die gleiche Richtung fährt. Wir radeln zwei Tage zusammen, dann mache ich wegen Knieschmerzen Pause. Zuvor sind wir am Geburtsort von Ray Charles vorbeigekommen, in Greenville.

Kurz vor St. Augustine an der Ostküste eine traurige Begebenheit: An der Straße steht ein "Ghostbike". Das sind weiß lackierte Räder zum Gedenken an tödlich verunglückte Radler. Hier starb vor wenigen Wochen ein junger Mann, der Autofahrer, der ihn auf dem Gewissen hat, hat Fahrerflucht begangen. Ich lege eine Gedenkminute ein und bin froh, dass mir nichts passiert ist. Die schnurgerade Straße beim Unglücksort hat keine "Shoulder". Mit Randstreifen wäre wahrscheinlich nichts passiert.

Nach dem Ziel St. Augustine geht es noch einige 100 Kilometer nach Orlando. Weihnachten schlafe ich in einem Orangenhain, das war schön.


Vierter Teil folgt!