Von Graz aus ins öde Flachland

von: estate

Von Graz aus ins öde Flachland - 19.11.12 13:26

Tour durch die langweiligsten Regionen von Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn.


Diesen Bericht habe ich mal in einer langweiligen schlaflosen Nacht geschrieben. Eigentlich wollte ich ihn gar nicht veröffentlichen, aber mein Schamgefühl war dann doch niedrig:

5 Uhr abends in Graz: Am Tag zuvor habe ich mir mein erstes Rennrad um 50 Euro gekauft. Irgendwie möchte ich gleich eine längere Tour damit machen, Zeit habe ich gerade genug dafür. Also kleistere ich schnell einen alten Gepäcksträger mit Kabelbindern ans Rad und packe das neue Leichtzelt samt Schlafsack ein.



Am nächsten Tag stehe ich schon sehr früh am Morgen auf und sprinte eine Stunde später um 9 Uhr los. Wohin ich will weiß ich ja noch nicht, am GPS sind jedenfalls Karten für ganz Europa, und Zeit habe ich etwa eine Woche.
Da heute Freitag ist nehme ich den Murradweg Richtung Slowenien. Heute dürfte ich nicht von anderen Radlern verseucht sein.
Ich könnte ja zu Plattensee fahren, denke ich mir. Mal sehen, ob das in 2 Tagen geht. Aber nicht durch die Oststeiermark - zu hügelig.
Als Mountainbiker der das erste Mal auf dem Rad sitzt, frage ich mich ohnehin, wieso das kleinste Kettenblatt so groß wie das größte am MTB sein muss.

Am besten ich fahre durch Slowenien - da war ich auch schon länger nicht - also nichts wie hin.
Nach einer Weile kehre ich in die Konditorei Hofer ein und kaufe mir eine Tüte fette Backwaren. Als Österreicher sage ich natürlich eigentlich Sackerl statt Tüte.


Das Fahrrad wird per Ultraleichtschloss gesichert.
(Bild Fahrradschloss)

Eine Beschreibung vom Murradweg nach Slowenien spare ich mir, jeder kann sich einen ordinären Radweg entlang eines Flusses vorstellen.
Dem glücklichen der das nicht kann, hier ist ein Bild davon:


In Spielfeld passiere ich die Grenze, und bin in Osteuropa und Balkan zugleich, zumindest aus der Sicht mancher Österreicher.

Ich kaufe mir beim Tusch Mittagessen: Banane, Pudding und frischgepressten Fruchtsaft mit der Geschmacksrichtung grün.


Ohne Menschen würde es hier so wie in Sibirien ausschauen, allerdings nicht wie der Teil wegen dem man dort hinreist.


Jetzt mal wieder die Vorräte beim nächsten Feinkostladen auffrischen.

Geile Öffnungszeiten!

Langsam wird der Zustand der Häuser schlechter, die Grenze zu Kroatien kündigt sich an.

Ich bin schon neugierig wie es in Kroatien abseits von Küsten und Karst wohl aussieht.
Zuerst muss ich aber die Grenze überwinden. Wohin ich will, werde ich gefragt - gute Frage, ich kenne doch keinen einzigen Ort hier. Es ist schon 5 Uhr abends, mal probieren ob der Beamte mir glaubt, dass ich heute noch nach Ungarn komme.
Natürlich funktioniert es, sonst hätte ich einen kroatischen Fantasienamen gekrächzt.
Mal probieren: Krushknkmanic - also zumindest ich würde mir glauben, dass das ein kroatischer Ort ist.



Jetzt mal weitersprinten, vielleicht komme ich ja wirklich nach Ungarn. Vier Länder an einem Tag sind ja auch recht nett.

So wie komme ich jetzt nach Ungarn? Der Grenzübergang ist für eine Autobahn gedacht, alle Wegweiser führen auf die Autobahn.Nach etwas herumkurven hilft mir ein alter Mann mit Inlineskatern, und tatsächlich führt ein Feldweg zur Grenzstation.

So jetzt bin ich in Ungarn, dem fünften Land bis jetzt, in dem ich eingereist bin und nicht einmal ja und nein in der Landessprache sagen kann.
In Ungarn habe ich dasselbe Problem mit der Autobahn, aber auch hier gibt es wieder einen Feldweg.



Brücke über die Autobahn - Ja wirklich für meinen Feldweg!


Als ich so durch die Dörfer rolle, frage mich, ob Ungarn eigentlich schon den Euro hat, und ob ich da morgen irgendwo einkaufen kann. Im Gegenteil von Slowenien gibt es hier nicht an jedem Ortsrand einen Hofer und Lidl.

Es wird dunkel, und ein Wald kommt mir sehr gelegen. Mit dem Rennrad zu touren macht Spaß, 180km sind es geworden, mit einem Trekking oder Reiserad hätte ich nur 100 mit dem gleichen Kraftaufwand geschafft.

Das erste Mal wird das Zelt aufgestellt. 900 Gramm wiegt es, und hat nur eine Hülle. Für mehr als 16 Euro bekommt man bestimmt mehr Zelt bekommen. Lustig finde ich, dass der Sarg für eigentlich für zwei Personen bestimmt sein soll.


Ich verkrieche mich im Schlafsack, aber ich kann nicht einschlafen. Meine Atmung wird schneller, und ich fange an zu hyperventillieren. Ich frage mich ob das von der Anstrengung der Tour kommt, oder was zum Teufel mit mir los ist. Ob das Platzangst ist? Unwohl fühle ich mich ja eigentlich nicht, hab auch noch nie etwas dergleichen verspürt. Durch enge Höhlen kriechen kann ich, aber ein kleines Zelt macht Probleme? Ich atme in den Schlafsack und irgendwann bessert es sich.
Dafür wird es im Zelt immer nässer, die Feuchtigkeit kondensiert am Zelt und es regnet von der Decke. Am Boden bildet sich unter der Isomatte eine Pfütze. Ich vertraue drauf, dass der Kunstfaserschlafsack trotzdem nass warmhält.
So döse ich herum, während es immer kälter wird. Es ist erst Mitte Mai und der Schlafsack geht trocken nur bis +10 Grad.
Als es mich um zwei Uhr nur noch schüttelt und ich am ganzen Körper vor Kälte zittere, treffe ich die Entscheidung in der Nacht zurückzufahren. Ich verlasse das Zelt und draußen ist es vergleichsweise richtig warm.

Ich sollte wohl sagen, dass ich nicht immer so mitgenommen aussehe:


Da findet wohl jemand das Zelt gemütlicher als ich.


Ich gebe im Navi einfach Graz ein, und fahre durch die Dunkelheit los. Ich hab zwar meine Stirnlampe, aber noch besser leuchtet der Mond.
Nach 30 Kilometern ist der Hinterreifen platt. Mit der Stirnlampe versuche ich den Schlauch zu flicken, was aber misslingt. Der Schlauch ist noch original und das Rad über 30 Jahre alt. Auf dem Gummi haftet nichts.
Zum Glück habe ich am Abend zuvor mir extra einen überteuerten Ersatzschlauch beim Fahrradhändler gekauft.

Lustlos trete ich in den Morgen hinein und passiere unbewachte Grenze nach Slowenien.
Komisch, im Burgenland sind derzeit noch österreichische Soldaten stationiert welche die nach Ungarn Grenze überwachen.

Meine Interpretation von ultraleichtem Kaffee.

In einer Stunde sollten die Tabletten anfangen zu wirken.

Im nächsten Laden gibt es Frühstück. Der Doseninhalt wird mit einer Semmel brav geschluckt. Was genau drin ist weiß ich nicht, aber man schmeckt, dass ich mir die billigste Konservendose gekauft habe.


Ob ich mir eine Wurst als Dessert nachwerfen soll?


So gegen 10 Uhr vormittags komme ich bei Radkersburg wieder nach Österreich. Ich fahre gleich zum Bahnhof, aber der Zug fährt erst in einer halben Stunde.
Na da kann ich ja auch gleich mit dem Rad die letzten 90 Kilometer fahren, denke ich mir. Klingt unlogisch, aber nach einer schlaflosen Nacht hat man es nicht so mit der Vernunft.
Obwohl mir mein Umfeld ziemlich wurscht geworden ist folge ich trotzdem dem Murradweg Richtung Graz.
Die Schottereinlagen nehme ich stoisch hin, nur die Familien fangen mich zu stören an, heute ist Samstag.


Das Landeswappen mit Besen auf dem Müllsack. Nicht nur das Wappen sondern auch die Tatsache, dass es Geld und Willen für individuell bedruckte Müllsäcke vorhanden ist, gibt zeigt einem, dass man wieder in Österreich ist.


In Wildon besuche ich die Fussbadbank, und mache die letzten Kilometer nach Graz in Zeitlupe.


Wenn einem die vielen anderen Radler nicht mehr stören, dann bedeutet es, dass man sehr langsam unterwegs ist. So erschöpft war ich noch nie zuvor. Obwohl heute es 10 Kilometer weniger als gestern waren, hab ich 6 Stunden länger als am Tag zuvor dafür gebraucht.

Ich schwöre mir nie wieder das Leichtzelt zu verwenden. Leider bringt das nichts, denn bis zum verfassen dieser Zeilen ist schon ein Jahr vergangen,
und ich denke jetzt gerade drüber nach wo ich mit dem Zelt im Frühling hinfahren soll.
Wird schon nicht so kalt wie letztes Mal werden!