Re: Korsika 2012

von: veloträumer

Re: Korsika 2012 - 10.12.12 20:10

KAPITEL 8 Felsnadeln, abgelegene Bergdörfer, Wein, Römer & Meer: Durch das Alta Rocca via Bavella-Massiv und Fiumorbo in die Plaine Orientale

Mi 11.7. U Furu - Muratello - D159/D59 - Col de Bacinu (809m) - Bocca d'Ava (740m) - Foce d'Olmo (589m) - Tirolo - Foce di Mela (620m) - Source de Caldane - D268/D69 - Loreto-di-Tallano - Zérubia - Quenza - Zonza
90 km | 10,9 km/h | 8:16 h | 1860 Hm
W: sonnig, > 30 °C, sehr heiß, abends in Zonza leicht kühl
E (L'Aiglon): grat. Tomate m. Ziegenkäse, Schnitzel an Kastaniensauce, Maispolenta, Roséw, Kastanienku., Cafe 33 € (+)
Ü: C Bellavista 8 €

Das aufgelockerte Wiesen- und Hügelland mit Korkeichen weicht mit der Anfahrt zum Col de Bacinu auf der D 59 einer Berglandschaft mit sowohl felsigen als auch bewaldeten Teilen. Der Pass ist recht unrhythmisch – es gibt unten und oben steile Passagen, in der Mitte eine recht flache Passage samt Brunnen. Nach der ersten Steilpassage fährt man durch einen kurzen Tunnel, den Scaffi d’Usciolu, der im Zweiten Weltkrieg Schauplatz von Kampfhandlungen zwischen der Resistance und Truppenteilen der Armee Rommels sowie der italienischen Faschisten war. Es sei an dieser Stelle noch der Vollständigkeit halber erwähnt, dass der ominöse „Rommel-Schatz“ – ein zeitweise mystifizierte Kriegsbeute der afrikanischen Armee der Nazis unter der Führung Rommels – irgendwo vor Korsika versunken ist und bis heute nicht aufgespürt werden konnte.

Es folgen kaum befahrene, aber weitgehend neu asphaltierte Routen im Auf und Ab mit kleinsten Dörfern. Ich befinde mich gewissermaßen im steten Wettlauf mit dem Postauto, das ja immerzu in den Orten mehrfach anhalten muss. Jenseits von Tirolo wird die Straßenqualität wieder deutlich schlechter – immer wieder taucht man unter Kastanienwalddächern in Schatten bei sehr hohen Temperaturen. Die Source de Caldane ist eine Thermalquelle – das alte Bad ist aber verfallen – ich konnte keine Zugang entdecken.

Um nach Zonza zu gelangen, hat man der Überquerung des Fiumicicoli mindestens drei Varianten zur Auswahl, von denen ich den weiten westlichen Bogen über Loreto-di-Tallano fahre. Dazu überquert man zunächst die Rizzanese-Brücke, wo es auch – allerdings überfüllte – Bademöglichkeiten gibt. Zunächst verläuft die Strecke in unbarmherziger Sonne, dann bildet der Bergrücken im Westen einen langen Schatten samt seiner Kastanienwälder. Die noch weitere Schleife über Aullène kann man über Zérubia abkürzen – als Belohnung der Tagesarbeit läuft mir hier eine griechische Landschildkröte über die Straße. Am Rande des Bergdorfes Serra-di-Scopamène steht eine renovierte mittelalterliche Mühle, in der Oliven und Kastanien gepresst bzw. gemahlen wurden. Das Wasser zum Antrieb wurde über einen Kanal zugeleitet.

In Quenza ist schon erhöhter Tourismus zu bemerken – die Wander- und Raftingregion um die Aiguilles de Bavella macht sich bemerkbar. Nach einem kleinen Schloss kommen die eindrucksvollen Felsnadeln herrlich in der milden Abendsonne zum Vorschein. Sie erinnern an Dolomitenberge – die Korsen nennen sie in ihrer Sprache auch Eselsohren. Der Weg nach Zonza ist nochmal mit einer Zwischenabfahrt verbunden. Etwa 2-3 km vor Zonza befindet sich typischer Bergsportler-Camping, für den Anschluss an den Ort Zonza mit seinem Speisestättenangebot fährt man aber besser weiter bis kurz vor den Ortseingang, wo der Camping Bellavista recht steil am Hang direkt unter der Straße liegt. Der Camping läuft unten flach auf einer Wiese aus – von dort suchen allerdings für die fast 800 m Höhe schon ungewöhnlich aufdringliche Blutsauger die kräftig pulsierenden Adern des Radlers auf. böse In Zonza hat man dann wieder Ruhe – jedenfalls vor Mücken, ansonsten ist der Ort gut besucht. Das Restaurant vom Hotel L’Aiglon kann ich dort empfehlen.

Do 12.7. Zonza - Foce di Fournu (879m) - Col de Bavella (1218m) - Col de Larone (608m) - Solenzara - Travo - Ventiseri - Serra-di-Fiumorbo - Pietrapola - Isolaccio-di-Fiumorbo
89 km | 12,6 km/h | 7:04 h | 1825 Hm
W: sonnig, > 30 °C, sehr heiß, sehr windig, Windkanal Solenzara
E: Käsepastete m. Lachs, Kalbsgulasch, PF, Roséw, Kastaniencrème, Cafe 25 €
Ü: C wild 0 €

Der Tag beginnt gemütlich in einem Café in Zonza und endet recht hektisch am Abend, weil mal wieder die Auf und Abs einen Haufen Zeit kosten. Doch steht dem ja auch ein intensives Erleben grandioser Natur gegenüber. Auf mir schon bekanntem Wege, aber doch wieder neue entdeckt, geht es zunächst durch Kiefern, dann durch Felsenland zum Bavella-Pass. Trödelt man morgens ein wenig – schon ist die Touristenkonkurrenz im Übermaß vor Ort. Der Bavella-Trubel setzt sich auch auf der Südostseite fort – die Parkplätze sind überall gefüllt – Wanderer, Bergsteiger, Canyoning-Artisten, Rafter, Badestellenfrühbucher und sogar der eine oder andere Rennradler.

Obwohl die Berge am Bavella und auch um den Bocca di Larone nicht Hochgebirgsniveau erreichen, so sind doch die Felskulissen hier alpin imposant und sorgen für fortgesetztes Staunen. Badestellen gibt es auf der Strecke nach Solenzara jede Menge – manche liegen frei und gut zugänglich quasi neben der Straße, andere sieht man gar nicht. Um einen noch halbwegs moderat besuchten Platz zu finden, muss man allerdings zur Mittagszeit schon etwas suchen. Für die besseren Plätze muss das Rad auch wieder nahe der Straße bleiben, weil man steil zum Fluss absteigen muss.

Der Weg an der Küste ist diesmal nur kurz – gleich zweige ich in Travo auf die D 45 ab. Diese verlässt kurze Zeit später den Fluss Travo und steigt mittelmäßig nach Ventiseri an, wobei man glaubt, sich mehrfach um einen Berg zu drehen. Das so angefahrene Fiumorbo ist durch sehr viele kleine Täler gekennzeichnet, die man immer wieder auf dem Weg zu den Dörfern durchfahren muss. So sammeln sich Höhenmeter nicht immer ganz vorhersehbar an. Panoramafahrten wechseln mit kleineren Waldabschnitten, ausladenden Farnhängen und tiefen Schluchteinschnitten. Die entlegene Position lässt auch heute noch die Touristen selten hierhin kommen. Das Fiumorbo war eines der letzten Rückzuggebiete der Banditen. Entgegen der Reisebuchbeschreibung habe ich im Kurort Pietrapola das Gefühl, dass es keine Essgelegenheit gibt. Ich strebe so die kaum endende Auffahrt nach Isolaccio an – in dem entlegenen Ort gibt es ein Hotel/Restaurant noch vor dem Ortseingang – weitere Gastronomie kann ich entgegen den Reiseführerangaben aber auch hier am nächsten Morgen nicht finden.

Meine schweißtreibende Eile mit der Angst, in einem entlegenen Bergdorf wohlmöglich kein Abendessen mehr zu bekommen, erweist sich als überflüssig. Hier feiert eine Festgemeinde – ein Teil ist wohl auch im Hotel untergebracht – und bei der von mir selbst als spät empfundenen Essenszeit reicht es bei den Korsen gerade mal für den Apero. Drei junge Korsen singen und spielen Gitarre – die Melodieführung empfinde ich etwas einfältig, weniger gut als die Performance in Sartène. Sie sind wohl zum Fest gebucht – die Freundinnen sitzen an einem separaten Tisch. Während bei mir schon der Espresso geleert ist, wird bei der Festgemeinde erst die Vorspeise aufgetafelt. So habe ich zwar Zeit für ausführliche Notizen und Körperpflege auf der Toilette, doch wird selbst mir der Abend zu lang. Die Crux an der Sache ist, dass ich einen Platz für mein Zelt recht unmittelbar hinter dem Hotel an einem Sportplatz ausgesucht hatte – da ist dann die Nachtruhe nicht gegeben. So muss ich mich noch weiter um die Ecke wegschleichen – dort ist dann schon wieder einer dieser bekanntlich „ästhetischen“ Autofriedhöfe – das Bild gabs ja schon eingangs. Hier war immerhin einigermaßen Ruhe.

Fr 13.7. Isolaccio - Poggio-di-Nazza - Pinzalone - Sampolo - Pinzalone - Col de Cardo (345m) - Pietroso - Vezzani - Col de Perelli (720m) - Col de Sbiro (732m) - Antisanti - Aléria - Plage de Padulone
93 km | 12,7 km/h | 7:19 h | 1380 Hm
W: sonnig, > 30 °C, sehr windig, Windkanal Inzecca-Schlucht (Abbruch)
E (Camping): Ente m. Gambas, Reis, Süßkart., Roséw, pochierte Birne in Wein, Cafe 34,50 € (Likör gratis)
Ü: C Marina d'Aléria 12,40 €

Die Hügelfahrt geht weiter – die Steigungen sind aber zunächst schwieriger als im Fiumorbo des Vortages. Die Landschaft wird nach Norden ein Stück weit mittelgebirgiger, offener, auch die Besiedlung nimmt leicht zu. Der Abschnitt nördlich des Flusses Fium’Orbo über Vezzani hinein in die Plaine Orientale ist nahezu ganz offen, das Meer meist am Horizont sichtbar. Hier wieder weniger dicht besiedelt, die Steigungen sehr moderat.

Zuvor fahre ich aber noch als Stichstrecke in die Défilé de l’Inzecca ein – eine kurze, aber trotzdem eindrückliche Schlucht. Auf die Talweitung mit dem Stausee folgt eine weitere Schlucht, die Défilé des Strette, über die man Ghisoni erreichen kann (Anschluss Kap. 5). Die geplante Stichtour musste ich aber am Stausee abbrechen – der Wind war hier so stark, dass ein Fortkommen nur noch mit unzumutbarer Qual möglich gewesen wäre. Natürlich wirken die Schluchten dabei auch als verstärkender Windkanal. Auf der Rückfahrt aus der Schlucht muss ich dann offenen Auges und wehrlos ertragen, wie ein Geschenk einer Forumsradlerin in den Abgründen der Schlucht einem langsamen Tod entgegen tritt: Das grüne Radkäppi wurde mir durch den Wind vom Kopf gerissen und blieb für mich unerreichbar zurück. traurig Nachfolgende Reisegenerationen können ja mal nachschauen, ob sie das Käppi noch entdecken können. schmunzel

Entgegen meiner Erwartung bleibt die Topographie auch nach der Abfahrt von Antisanti in der Plaine Orientale hügelig. Obstplantagen und sanft geschwungene Weinberge kündigen die fruchtbare Ebene im Osten an. Ich begebe mich gleich in Richtung Küste, da es in Aléria selbst keinen Camping gibt. Unmittelbar ans Meer grenzen beim Plage de Padulone die Weinberge ans Meer. Die Trauben hier gelangen unter dem Etikett „Corsaire – Réserve du Président“ in die Weinflaschen (vgl. Anmerkung in der Einführung).

Sa 14.7. Plage de Padulone - Aléria - Fort de Matra/Römerstadt - Aléria - Riva Bella –dev. N198/D16 - dev. D43A/N200 – Casabertola - Pont de Piedicorte
56 km | 14,6 km/h | 3:50 h | 400 Hm
W: sonnig, aber dunstig, schwül, < 30 °C, abends ein paar Tropfen, Berge wolkig
E (Camping): kors. Schinken/Wurst, Spinatcannelloni, Rw, Kastanientorte, Cafe 20,70 € (Bowle & Champagner wegen Nat.feiertag gratis)
Ü: C U Sortipiani 12 € (davon 1,50 € für Velo!)

Gewiss, der Camping hier ist ein ziemlicher Touristenbrennpunkt, für kurzweilige Zeltgäste auch kein schöner Platz (man wird auf eine Randzone verwiesen). Die Sanitäranlagen sinnd aber modern und luxuriös gestaltet und das Restaurant ist zwar nicht Oberklasse, aber ordentlich. Wie an Bambini-Strand-Ferienorten hat auch hier der Pizzabäcker die meiste Arbeit. Das Meer ist aber auch hier ob des Menschen unbeeindruckt in seiner faszinierenden rauschend-bewegten Schönheit. Das kurze morgendliches Bad weckt in mir noch mehr Lust auf Meer. Ich verschiebe die radlerischen Hochleistungsziele auf unbestimmte Zeit und beschließe einen entspannten Tag zu verleben. – Wo bin noch? – in Korsika, richtig, der Insel der Schönheit – zeitlose Schönheit natürlich.

Aléria hat ca. 25000 Einwohner, mehrere prunkvolle Paläste, Tempel, Thermen, ein großes Forum zum Polit-Plausch und Tausch von Waren, ein Amphitheater, moderne Straßenzüge, Aquädukte zur Wasserversorgung und Handwerksbetriebe mit allem, was das Herz begehrt – glaubt ihr nicht? – Doch so war das mal so, als die Römer zur Blütezeit etwa um die Wende der modernen Zeitenrechnung bzw. zu Zeiten von Kaiser Augustus dort lebten und liebten. Schon 259 v. Chr. vertrieben die Römer die Karthager, reifte zu einer mediterranen Blüte heran und nahm im 5. Jh. n. Chr. einen Abschwung durch Brand und Zerstörung der Vandalen. Man nahm das Gute und brachte das Böse – jedenfalls sorgten die Römer noch für Schrecken in Abwesenheit, weil sie zum Abschied Malariamücken in die Küstenebene einschleppten – mit negativen Folgen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.

Die Römerstadt besteht heute natürlich nur noch aus Ruinen, lässt sich aber recht gut in der Fantasie wieder aufbauen, wenn man sich die Zeit dazu nimmt. Die heutige kleine und schmucklose Neustadt ist eigentlich nur ein Versorgungszentrum für Touristen samt der Wohnungen der Beschäftigten in der entsprechenden Branche ist. Die archäologische Stätte liegt südlich auf einem kleinen Hügel mit dem Genueser Fort Matra, das ein Museum zu den Ausgrabungen beinhaltet. Drumherum liegt eine kleine Altstadt mit Gebäuden aus verschiedenen Epochen, die teils aus den Resten der römischen Bausubstanz entstanden. Von den Ausgrabungsstätten hat man auch einen schönen Blick auf die Weinberge und Hügel rund um den Étang de Diane. Sofern nicht zu viele Touristen herumlaufen, ein wunderbare Ort zum Nachdenken oder Nichtdenken.

Für die (Mehr-)Meer-Zeit fahre ich an den Strand von Riva Bella, eines der großen FKK-Feriendörfer an der Ostküste, zudem noch als Thalasso-Ressort ausgewiesen. Ob ich den Weg mitten durch das Gelände überhaupt wählen durfte, weiß ich nicht – es gab aber auch niemand der das kontrolliert hat. Ich habe den Eindruck, dass weniger Gäste als für die Jahreszeit üblich da sind. Das Gelände ist nicht nur wegen des Strandes attraktiv, sondern auch wegen der angrenzenden Brackwasserseen mit eigener Flora und Fauna. Die Lage von Riva Bella ist jedenfalls als die weiter nördlich gelegenen vergleichbaren Ressorts Tropica Corsicana und Baghera.

Die Leichtigkeit des Meeraufenthaltes lässt sich auf der Reststrecke des Tages gut konservieren. Ich nehme eine leicht hügelige Alternativvariante zur N 198, um zur N 200 im unteren Tavignano-Tal zu gelangen (dadurch muss ich nicht nochmal durch Aléria). Hier gibt es Hohlwege, Schafsweiden, Weinreben und Obstplantagen – vornehmlich Grapefruit. Die Fahrt durch das Tavignano-Tal bleibt bis nach Casarbertola eine „Tour de light“. Danach verengt sich das Tal zu einer Schlucht, die aber nicht spektakulär ist. Es gibt kleinere Steigungen, die aber harmlos bleiben. Vor Pont die Piedicorte gibt es eine alte Genueser Brücke, wenig weiter folgt der Weiler mit Camping, Pferdeweiden und ein paar Häusern. Zu Ehren des Nationalfeiertages gibt es einen Grillabend samt Bowle und Champagner. Das Festessen ist genau auf die angemeldete Personenzahl abgestimmt – so muss ich mit dem etwas bescheidenen Gerichten à la Carte vorlieb nehmen. Von den Feiertagsgetränken bekomme ich aber auch etwas ausgeschenkt. wein Der Wirt spielt Gitarre und ein junger Mann (Sohn) übernimmt den Gesangspart. Auch schön, der Abend.

Bildergalerie zu Kapitel 8 (143 Fotos):

Warnhinweis für die noch nicht geschlechtsreife Velo-Fauna: Die Galerie enthält Bilder mit sexuellen Handlungen der eindeutig schweinischen Art! grins



Fortsetzung folgt