Re: Radtour von Kassel nach Barcelona

von: tomtaurus

Re: Radtour von Kassel nach Barcelona - 14.01.13 15:58

Liebe Leute, vielen Dank für die so erfreuliche und zahlreiche Rückmeldung. Da fühlt man sich wirklich sehr freundlich willkommen in Euerer Runde. Das ist ja einfach mein leicht überarbeitetes Tagebuch von damals. Ich war mir etwas unsicher, ob das nicht zu lang und zu lang her ist für die Allgemeinheit. Aber nach so netter Resonanz kommt jetzt natürlich auch noch der lange Rest.

Fotos? Ja, habe ich natürlich reichlich, aber noch keine so rechte Ahnung, wie ich die posten soll. Kann ich die noch nachträglich in den Bericht einfügen? Vielleicht kann mir mal jemand einen Tip geben, wie das funktioniert.

Hier also geht´s weiter Richtung Barcelona:


Freitag, 8. Juni 2007
Chalezeule – Dole 72 Kilometer


Abschied vom schönen Hotel und gleich zum Start eine hammerharte Steigung, 1,5 Kilometer kämpfe ich mich bergauf – und rolle auf der anderen Seite doch mitten hinein nach Besancon. Die Hoffnung, ich könnte die Großstadt elegant umfahren hat sich leider zerschlagen. Erstaunlicherweise ist es gar nicht schlimm. Es ist relativ ruhig, die Autofahrer gehen ganz behutsam mit mir um, ich bin allerdings auch der einzige Radler weit und breit. Am Fuß der mächtigen Zitadelle (rechts) spricht mich ein älterer Franzose auf Prima Deutsch an: „Ich kann helfen“, sagt er und deutet auf meine Karte, auf der ich gerade meinen Weg suche. Dann guckt er die Karte ziemlich ratlos an, dreht sie auf den Kopf und hält sie ganz dicht vor seine alten Augen. Dabei erzählt er, dass er eine Zeitlang in Frankfurt gearbeitet hat und sich daher immer freut, etwas Deutsch sprechen zu können. Immerhin zeigt er mir dann wirklich den richtigen Weg durch den Tunnel direkt unter der Zitadelle.

Als ich da durchfahre, habe ich das erste mal richtig Schiss. Aber es klappt und schon bin ich wieder am Doubs. Dann die Freude: Der Radweg E6 nach St. Vit führt direkt am Fluss entlang, völlig getrennt vom Verkehr durch eine wunderbare Landschaft. So ein Glück, die N 73 bleibt mir also vorerst erspart.

Der Weg ist eine Wucht, brettflach, toller Belag, hervorragend ausgeschildert. Entweder führt er direkt am Fluss oder einem Kanal mit zahllosen Schleusen und hübschen Hausbooten entlang. Alle Kapitäne winken und grüßen freundlich. Papa ist stets am Steuer, Mama liegt auf Deck oder wuselt herum.

In Ranchot ist leider Schluss, der Radweg geht weiter nach Arc, ich überlege kurz, ob ich die Route wechseln soll, bleibe dann aber doch im Plan. Leider komme ich versehentlich auf die N 73, aber das erweist sich mal wieder als nicht so schlimm. Sowohl die großen Städte wie auch die breiten Straßen verlieren allmählich ihren Schrecken.

In Orchamps finde ich zurück auf die Nebenstrecke und raste unter großen Ahornbäumen direkt am Fluss. Unter mir packen deutsche Urlauber aus zwei Wohnmobilen ihre Kanus aus und bringen sie zum Fluss. Ich zögere ein wenig, ob ich die Landsleute einfach mal ansprechen soll, um mich mal wieder etwas zu unterhalten. Aber irgendwie sehen die nicht so aus, als ob sie Lust auf einen Plausch hätten, also lasse ich es.

Irgendwie fehlt mir heute die richtige Einstellung. Zudem hängen schwarze Wolken am Himmel. So viele gute Gründe, da höre ich auf meinen Bauch. Ausruhen ist angesagt.
Auf winzigen Sträßchen fahre ich bis Dole, eine hübsche kleine Stadt. Vor mir lägen jetzt noch 40 Kilometer, auf denen es vielleicht kein Hotel gibt. Also bleibe ich hier, obwohl es erst 15 Uhr ist. Ich finde ein kleines Hotel im Zentrum mit einem hübschen Zimmer nach hinten auf den Hof, also sehr ruhig. Der nette, kettenrauchende Wirt zeigt mir auch gleich eine sichere Stelle für den Trekker.

Jetzt ist es 16.22 Uhr und ich sitze bei einem halben Carlsberg. Anschließend mache ich einen Bummel durch Dole, hübsche Altstadt, netter Park, alles auf angenehme Weise unspektakulär. In einem kleinen Markt kaufe ich Käse, Wurst, Salat, ein Baguette, Bier und Rotwein. Ich muss mal ein bisschen auf die Preisbremse treten. Das ständige Menu-Essen in Frankreich bei gleichzeitig doch deftigen Hotelpreisen schlägt mir zu sehr auf die Kasse.


Die Fakten:
Unterwegs: 6:13 Stunden
Gefahren: 4:07 Stunden
Schnitt: 17,97 km/h
Max.: 40,7 km/h
Gefahren: 72 km
Navi: 1011 km !!!
Höhenmeter: 267 Meter
Höhenmeter total: 2517 Meter


Samstag, 9.Juni 2007
Dole – Bourg en Bresse 133 Kilometer



Die kurze Etappe gestern hat mir gut getan. Bin erholt und bester Stimmung, als ich um 9 Uhr aus Dole rolle. Nebel hängt über dem Land, aber die Sonne ist schon zu ahnen. Es ist herrlich flach, auf winzigen Straßen geht es südwärts. Maisfelder so weit das Auge reicht und zum letzten Mal am Doubs entlang, der hier schon viel schmaler ist. Tschüs, Doubs, war schön mit dir.

12 Uhr: Die D 3 bringt mich nach Pierre de Bresse, ein hübsches Städtchen, wo ich in der Bar Pmu Kaffee und Wasser trinke. Die ersten 40 Kilometer habe ich leicht und locker hinter mich gebracht, den Medicus im Ohr. Macht Spaß, der ist unterwegs nach Persien und ich nach Spanien.

Der Himmel ist blau, die Sonne wärmt, brennt aber nicht. Ideales Reisewetter. Die nächste Pause mache ich in St. Germain du Bois und um 14 Uhr fahre ich in die schöne alte Stadt Louhans mit ihren Kopfsteinpflasterstraßen und Arkadengängen ein. Ein richtig angenehme kleine Stadt mit netten Geschäften und sogar einigen Touristen.

Ich trinke eine Coke, aber das taugt nichts. Von dem süßen Zeug bekomme ich nur noch mehr Durst und ein Kraftspender ist es auch nicht. Noch 50 Kilometer bis Bourg en Bresse, aber mir ist nicht bange, nur sehr warm inzwischen.

Seit Louhans habe ich das Gefühl, richtig im Süden zu sein. Es wird immer wärmer. Die Straße zieht sich kerzengerade in großen Wellen vor mir hin. Kaum habe ich eine Höhe erklommen, geht´s schon wieder ins nächste Tal, hinter dem der nächste kleine Hügel wartet.

Im winzigen Ort Varennes-St. Sauveur haben sie einen riesigen Brunnen und einen kleinen Alimentari, in dem ich mir – ich gestehe, Gnade Euer Ehren – eine Dose eiskaltes Kronenbourg kaufe und es mit Genuss vor dem Laden in den ausgedörrten Körper tue.

Mit frischem kalten Wasser in der Flasche fahre ich weiter – und dann ist auf einmal dieses Gefühl da: Ich bin unterwegs und ganz und gar eins mit mir, völlig ausgeglichen und voller Zuversicht und ohne jeden Stress. Ich genieße die Zeit allein mit mir, was ich vorher nicht unbedingt erwartet habe. Eigentlich bin ich jetzt erst richtig unterwegs. Die Landschaft strahlt eine wunderbare Ruhe aus. Rob Cole ist bei mir auf dem Weg nach Persien, um Medicus zu werden. Alles passt zusammen.

Ach, ja, so ganz nebenbei bin ich wieder in ein neues Departement eingefahren, diesmal also nach Rhone-Alpes.

Um 18 Uhr bin ich Bourg-en-Bresse. Eine schöne Altstadt, aber leider sind alle Hotels voll. Das erste Mal überhaupt, seit ich unterwegs bin. Der nette Mann hinter dem Tresen des Kyriad beschreibt mir den Weg zurück, den ich gerade gekommen bin. In Virat stehen fünf Kettenhotels direkt nebeneinander. Die billigen sind alle voll, aber im Balladins finde ich ein Zimmer für 44 Euro.

Ich gewöhne mich langsam an die Preise. Seit ich nicht mehr Essen gehe, sondern mir mein Abendmahl im Supermarkt hole, bleibe ich bei etwa 50 bis 60 Euro am Tag, das geht. Direkt neben dem Balladins liegt wieder mal eines dieser absurd großen Einkaufszentren. Möbel, Wasserbetten, Fahrräder, Sport, Handwerkszeug, Baumarkt – ich bin richtig erleichtert, als ich doch noch in der Ecke des glühendheißen Parkplatzes einen Supermarkt finde.

Die Frau hinterm Hoteltresen wirkt erst so unwirsch, aber dann darf ich mein Fahrrad in ihrem winzigen Zimmer direkt neben ihrem Bett abstellen. Also doch nett.


Die Fakten:
Unterwegs: 8:56 Stunden
Gefahren: 6:36 Stunden
Schnitt: 20,62 km/h
Max: 43,6 km/h
Gefahren: 133 Kilometer
Navi: 1144 km
Höhenmeter: 361 km
Höhenmeter total: 2838 km




Sonntag, 10. Juni 2007
Bourg-en-Bresse – L´Isle de Abeau 121 Kilometer




Ich packe in Ruhe und mit inzwischen erworbener Routine und bin um 9 Uhr wohlgelaunt im Sattel. Wieder mal ein schöner Zufall: Die Straße vor meinem Hotel führt genau in meine Richtung nach Peronnas. Nun habe ich leider kein einziges Bild von Bourg gemacht, denn das liegt jetzt nicht mehr auf meinem Weg. Na ja, vielleicht ein andermal.

Im steten Auf und Ab rolle ich durch die Seenlandschaft des Bresse Richtung Chalamont. Von den vielen Seen auf der Karte sind leider in natura nur einige wenige zu sehen. Klaus schickt eine SMS: In Chalamont kocht Sarah Wiener und ihr Restaurant mit einem Radfahrer an der Fassade liegt direkt am Weg.Leider kann ich das Restaurant der Fernseh-Köchin nicht finden und erstaunlicherweise habe ich auch noch keine Lust auf eine Pause, obwohl mir die Sonne ganz schön einheizt. Also weiter.

Um 12 Uhr habe ich schon 38 Kilometer geschafft – und das bei ständigem Gegenwind. An einem kleinen See mache ich an einer recht idyllischen Stelle kurz vor Meximieux Rast.
Bisher war alles gut, jetzt ist alles Mist. Ich finde einfach den Weg nicht, fahre Riesenberge hoch und gleich wieder runter, verfranze mich total und bin immer genervter. Dabei ist auf der Karte alles so einfach, aber hinter Perouges verliere ich einfach jede Orientierung. Vielleicht habe ich auch zu wenig getrunken und der Geist macht einfach schlapp.

Ich spreche einen Mann in meinem Alter an, ein Franzose wie aus dem Bilderbuch mit Kippe im unrasierten Gesicht und einem Baskenkäppchen auf dem Kopf. Er spricht kein Wort Deutsch oder Englisch, sieht aber an, dass ich ziemlich durch den Wind bin. Also nimmt er sich unendlich Zeit mir klarzumachen, dass ich genau den Berg, den ich eben hoch und wieder runtergrollt bin, wieder hinaufmuss. Das will ich nicht, wir scheiden als gute Freunde und ich fahre genau entgegengesetzt weiter.

Plötzlich steht ich vor dem Hinweisschild, dass ich bisher offenbar immer übersehen habe. Genau: Hier geht es nach Charvieu-Chavagneux. Endlich habe ich wieder eine Richtung. Nach über einer Stunde Irrfahrt bin ich genau 3,5 Kilometer weiter von der Stelle entfernt, an der ich die Richtung verloren habe und da ist die verdammte N 73.

Wind und Berge arbeiten fleißig daran, dass sich die schlechte Stimmung einnistet. Und dann fängt es auch noch an zu regnen. Als ich endlich völlig kaputt in Villefontaine bin finde ich das Zentrum dieser elenden Stadt nicht. Nach jedem Schild Richtung Centre Ville bin ich schon wieder auf einer Ausfallstraße, natürlich immer nach einem hübschen Anstieg. Ich frage zwei Mädchen nach einem Hotel: Nein, schütteln sie den Kopf, das gibt´s hier nicht.

Wie bitte? Hallo? Eine Stadt mit 20 000 Einwohnern und kein Hotel?. Doch, unten, am Fuß des Berges stand ein Motel, an dem ich noch stolz vorbeigeradelt bin. Also wieder den Berg runter: Das Hotel ist ein Rohbau und hat noch nicht eröffnet.

Ich frage eine Gruppe Franzosen. Ja, du musst zurück vier Kilometer mach Verpilliere. Als ich da bin, Schulterzucken, hier gibt es kein Hotel, aber in Villefontaine ist das Mercure. So langsam reicht es mir.

Das Mercure ist ein drei Sterne-Schuppen mit verschlossenem Stahlschiebetor. Das rollt brav zur Seite, denn hier ist ein Zimmer frei. Es soll aber 120 Euro kosten und so kaputt, dass ich das bezahle, bin ich nun doch noch nicht. Der hilfsbereite Consierge ruft ein Nachbarhotel an und reserviert mit ein Zimmer für 65 Euro. So wie ich aussah, hat der sich gleich gedacht, dass ich bei ihm nicht bleibe.

Also noch mal weiter vier Kilometer nach Lísle d´Abeau und siehe da: direkt neben der Autobahn stehen ein Premiere 1 und ein Ibis direkt nebeneinander. Im Premiere 1 bekomme ich ein Zimmer für 32 Euro und bin wieder mit der Welt versöhnt. Schließlich liegt es genau an der Straße, auf der ich morgen weitermuss. Im Fernsehen sehe ich, wie Roger Federer das Finale der French Open gegen Natal verliert. Ich wasche meine Radlerklamotten aus und begebe mich auf die Suche nach einem Supermarkt.

Doch das Leiden hat noch kein Ende. Es ist Sonntag, kein Laden hat auf, keine Tanke mit Markt in Sicht, die ganze Stadt besteht aus tristen Wohnblocks. Rettung naht in Gestalt des Pizza Flashs. Hier bekomme ich noch eine sehr große und wohlschmeckend Pizza Catalane, Bier haben sie zwar nicht, also muss es eine Cola tun. Wenigstens muss ich nicht hungrig ins Bett.

Dann sitze ich völlig ausgedörrt in meinem Zimmer neben dem Wasserhahn. Den habe ich so lange laufen lassen, bis das Wasser wenigstens ein bisschen kühl ist. Aus dem Zahnputz-Plastikbecher trinke ich ohne Ende und sehne mich nach einem kühlen Kronenbourg. Aber das gibt´s leider nicht.Auf dem Bett lege ich einmal die Karten aneinander, auf der die Strecke eingezeichnet ist, die ich noch fahren muss. Meine Güte, ist das noch weit.



Die Fakten:
Unterwegs: 8:44 Stunden
Gefahren: 6:49 Stunden
Schnitt: 18,18 km/h
Max: 47 km/h
Gefahren: 121 Kilometer
Navi: 1265 km
Höhenmeter: 477 m
Höhenmeter total: 3315 m




Montag, 11. Juni 2007, 12. Tag
L´Isle de Abeau – Romans 110 Kilometer


Fette schwarze Wolken hängen über der Stadt, als ich um 9 Uhr in den Sattel steige. Heute kann es ja eigentlich nur besser werden als gestern, aber trotzdem bin ich etwas zittrig auf dem Rad und weiß mal wieder nicht, was der Tag bringen wird. Der gestrige Tag hat mich doch etwas erschüttert, jetzt muss ich mich erst wieder etwas aufbauen.

Bis Four geht es gleich erst mal drei Kilometer stramm bergauf und dann geht es erst richtig los. Auf winzigen Sträßchen geht es über eine harte Steigung nach Roche, dann schön flink runter nach Artas und wieder drei Kilometer bergauf nach St. Jean de Bournay. Ausgeschlossen, dass schon ein mal ein Mensch in Deutschland diese Namen gehört hat. Die Dörfchen sind hübsch, oft nur ein paar Häuser, eingebettet in Wiesen und Felder.

Inzwischen bin ich im Drome. In St. Jean trinke ich einen Kaffee und ein Mineralwasser, die nette junge Frau, die mich bedient, erprobt ihr karges Englisch. Wir plaudern, sie ist angemessen beeindruckt von meiner Fahrt. Endlich spricht mal wieder jemand mit mir. Die Einsamkeit knabbert genauso am Willen wie die Berge.

Eine schier endlose Gerade führt mich auf der D 502 Richtung Vienne. Ich fahre zwei Kilometer zu weit und muss zurück. Jetzt weiß ich auch, warum ich ständig den Weg verpasse. Die Hinweisschilder sind oft nur von der anderen Richtung aus zu sehen. Was denken die Franzosen sich eigentlich? Dass man Augen im Hinterkopf hat?
Der geplante Weg ist nicht zu finden, also fahre ich nach Meyssies, Berg hoch, Berg runter. In Meyssies fahre ich wieder falsch. Diesmal hatte jemand die Schilder einfach umgeknickt. Immerhin merke ich den Irrtum nach ein paar hundert Metern.

Der Weg nach Cour et Buis zwingt mich über die Hammersteigung schlechthin, bei vermutlich deutlich über zehn Prozent muss ich runter vom Rad und schieben. Das erste Mal.Dafür gibt es mal wieder eine berauschende Abfahrt auf einer kleinen Waldstraße und endlich, endlich bin ich auf der D 538, die ich vor ein paar Stunden einfach nicht finden konnte.

Aber jetzt bin ich richtig und ich trete rein. Aber nicht lange: drei Kilometer geht es stracks bergauf, kurbeln im kleinsten Gang und ich verfluche das überflüssige Gepäck. Zum Glück regnet es leicht, das kühlt mich wieder ab.

Eine lange, lange Regenabfahrt bringt mich nach Beaurepaire. Und wieder verpasse ich die Straße. Allmählich glaube ich, dass das nicht an der schlechten Ausschilderung liegt, sondern an mir. Irgendwie verliere ich die Orientierung, wenn ich erschöpft bin. Ein freundlicher Rennradler Mitte 40, den ich nach dem Weg frage, sagt, sie machen gerade Mittagspause, fahren dann aber auch nach Romans. Ich soll einfach warten und dann mit ihnen fahren. „Too fast for me“, sagte ich und finde auch selbst den Weg.

Doch die Berge nehmen kein Ende, liegen mir als Höhenrücken stets genau im Weg. Lange Steigungen hinter Lens-Lestang, schnell runter bis Hauterives und wieder endlose fünf Kilometer bergauf. Es nimmt einfach kein Ende, zweimal muss ich schieben.

Aber dann ist es geschafft. Eine lange, wunderbare Abfahrt mit Spitze 56 km/h ins Tag. Alles jubelt in mir. Bin so stolz, was alles in mir steckt. Nun, 17 Uhr, bin ich fast in Romans. Kurz vorher überholen mich die sechs Rennradler aus Beaurepaire. Mein Bekannter ruft: „Salut, my friend“, und schon sind sie vorbei. Im Vergleich zu denen fühle ich mich wie ein Packesel.

Romans ist eine bildhübsche Stadt mit altem Zentrum, in das ich inzwischen völlig angstfrei einfahre. Leider gibt es wieder kein bezahlbares Hotel im Zentrum.Ich spreche einen bärtigen 50er an, der gerade mit seinem Jungen redet, und erlebe Erstaunliches. Der Mann spricht Englisch und sagt: „One minute“, springt in ein nahes Restaurant und kommt mit Papier und Kugelschreiber zurück. Dann zeichnet er in unglaublicher Detaillfreude den Weg zum Formule One. „Alles andere zu teuer“, lacht er und reibt Daumen und Zeigefinger. Zwischendurch kommt seine bildhübsche Frau mit Kindern vorbei, Küsschen, aber er lässt sich nicht beirren und zeichnet mir absolut perfekt den Weg auf. Wir verabschieden uns mit Handschlag und ich finde nach der Skizze völlig problemlos das Hotel und ein Zimmer für konkurrenzlose 27 Euro.

Hinter Tresen ist eine sehr nette Schwarze, die ihre 20 Worte Englisch zusammenklaubt. Wir erzählen uns damit erstaunlich viel über unser Leben und sie zeichnet mir den Weg zum Supermarkt auf. Heute ist der Tag der Zeichnungen. Dort erstehe ich fünf Dosen Bier und einen Liter Orangensaft. Käse, Wurst und Brot habe ich von gestern über all die Berge geschleppt. Im Laufe des Abends trinke ich alles aus und muss nicht mal pinkeln.

Abends klettere ich auf die Feuerleiter des Hotels und habe die ganze Bergkette der Rhones Alpes vor mir liegen. Zusammen mit einem kühlen Guinnes ist das ein wahres Gesamtkunstwerk.


Die Fakten:
Unterwegs: 8.38 Stunden
Gefahren: 6:28 Stunden
Schnitt: 17,44 km/h
Max: 56 km/h
Gefahren: 110 Kilometer
Gesamt: 8277 km
Navi: 1375 km
Höhenmeter: 1098 Meter
Höhenmeter total: 4413 m
Größte Höhe: 472 m




Dienstag, 12. Juni 2007 , 13. Tag
Romans-sur-Isere – Montelimar 82 Kilometer




Wieder mal bin ich ein bisschen zittrig beim Start aber das legt sich gleich, als ich auf der Straße bin. Schnurgerade und flach geht die D 538 dahin. Sonne, helle Wolken, Wind von hinten, was will man mehr. Ich rolle leicht dahin. Links verschwinden die Rhone Alpes im Dunst. Dann der Schreck: Nach Montpellier noch 232 Kilometer!! Meine Güte, in zwei Tagen wäre ich schon da. Ich muss mir einen Schlenker überlegen. Vielleicht fahre ich doch noch einen Umweg durch die Carmargue. Heute ist Dienstag und am Samstag landet Peter in Montpellier. Da habe ich noch so viel Zeit.

Der Höhenmesser ist kaputt, schade, jetzt muss ich schätzen.

Vor Crest baut sich wieder ein ziemlich steil aussehender Höhenzug quer vor mir auf. Heute habe ich aber genug von Steigungen, also verlasse ich die so sorgfältig ausgetüftelte Route. Über Montmeyran und Montoison (dort eine kleine Pause am Brunne) rolle ich immer leicht bergab hinab ins Rhone-Tal. Bei Livron geht es über eine alte Steinbogenbrücke über den Drome, blauer Himmel, dicke weiße Wolken und eine schöne geschwungene Landstraße eingefasst von hohen Bergen.

Seit ich weiß, wie nah ich schon an Montpellier bin, fahre ich völlig unangestrengt dahin. Jeder Druck ist von mir abgefallen.

In Loriol-sur Drome eine Überraschung: Jumelage de Schwalmstadt Hessen steht auf dem Schild am Ortseingang. Ist das nicht verrückt? So weit weg und doch so nah. Auf der N 7 geht es besser als zu befürchten war. Alle Reisenden im Internet hatten davor gewarnt, durchs Rhone-Tal zu fahren, aber so schlimm ist es gar nicht. Der Verkehr hält sich in Grenzen und meistens gibt es einen hinreichend breiten Seitenstreifen, auf dem ich ziemlich unbehelligt vorwärts komme.

Am anderen Ufer der Rhone stehen drohend die vier Kühltürme des Atomkraftwerkes Meysse. Auf einem von ihnen ist ein spielendes Kind aufgemalt. Sieht irgendwie pervers aus.
Schon um 14 Uhr bin ich in Montelimar und checke wieder im Balladins ein. So früh habe ich noch nie aufgehört, aber ich habe plötzlich so viel Zeit. Nach einer kleinen Schlafpause fahre ich in die Stadt, nur 1,5 Kilometer.

So ist das: Nachdem ich bei drei Städten ins Zentrum gefahren bin und kein Hotel gefunden habe, habe ich diesmal gleich am Stadtrand eingecheckt. Und dabei stehen hier im Zentrum viele kleine Hotels, alle hübsch und preisgünstig und perfekt ausgeschildert. Heute hätte ich auch im Pierre für 26 Euro mitten in der historischen Altstadt wohnen können, zu spät.

Aber die Stadt ist schön. Breite, von Platanen schön beschattete Alleen mit vielen Bars und Restaurants, eine ausgedehnte Fußgängerzone mit engen, hohen Gassen und einer großen Zitadelle, die leider geschlossen ist. Ich lasse den Abend gemächlich kommen, sitze unter den Platanen und schaue dem Treiben zu.



Die Fakten:
Unterwegs: 5:40 Stunden
Gefahren: 4:38 Stunden
Schnitt: 18,36 km/h
Max: 42,8 km/h
Gefahren: 82 Kilometer
Gesamt: 8359 Kilometer
Navi: 1457 km
Höhenmeter: 140 Meter
Höhenmeter total: 4553 Meter




Mittwoch, 13. Juni 2007, 14. Tag
Montelimar – Avignon 100 Kilometer


Der Verkehr auf der N 7 ist nervig, aber vor Donzere wechsele ich auf die D 844, bin sofort weg von jedem Verkehr, bezahle dafür aber mit einem langen, allerdings moderaten Anstieg. Vorbei an Pierrelatte mit seiner offenbar in ganz Frankreich bekannten Krokodil-Farm überholen mich zahllose Autos auf der D 458. Obwohl der Verkehr bis nach Pont St. Esprit immer stärker wird, kann ich dank eines breiten Randstreifens relativ unbehelligt fahren.

Die Brücke von 1309 ist toll, 25 Steinbögen über die Rhone, in die hier die Ardeche mündet. Unter den Schatten spendenden Platanen der Stadt mache ich meine inzwischen schon übliche Kaffeepause. Sehr schön.

Der Tag wird härter als erwartet. Was wie eine Spazierfahrt aussah – keine Ahnung, wie ich auf so einen Gedanken kommen konnte – wird zu einem 100-Kilometer-Ritt unter brennender Sonne. Hinter Pont St Esprit bin ich zwar endlich wieder von den großen Straßen weg, aber es wird wirklich ständig heißer. Winzige Straßen entlang der Rhone unter mächtigen, steilen Felswänden.

Jetzt ist es 15.16 Uhr und nach 88 Kilometern gönne ich mir ein großes Panache in Sauveterre. Die wieder einmal sehr nette Wirtsfrau füllt mir meine Trinkflasche mit kaltem Wasser aus dem Tresenhahn auf. Das machen übrigens ausnahmslos alle, wenn man durstig fragt. Noch kein einziger Wirt hat mir einfach Leitungswasser eingefüllt. Radler genießen hier glaube ich großes Ansehen – vermutlich weil außer den Rennradlern kaum einer fährt.

Noch 15 Kilometer bis Avignon. Zum Glück zieht sich der Himmel mit dicken schwarzen Wolken zu. Gegen 17 Uhr sehe ich zum ersten Mal die goldene Maria auf dem Dom neben dem Papst-Palast. Über die Pont Daladier fahre ich in die Stadt. Links die berühmte Brücke aus dem Lied.

Wieder mal Glück: Ich komme genau auf die Rue Vernet, wo das im Führer genannte Innova-Hotel seinen einsamen Stern auf die Straße hält. Der Preis ist mit 45 Euro zwar deutlich höher, als Michael Müller Glauben machen will, aber der Schuppen hat Atmosphäre. Die hübsche Schwarze gibt mir mit breitem Lächeln den Schlüssel für meine acht-Quadratmeter-Butze, Zimmer 9, in dem erstaunlicherweise sogar noch Platz für eine Dusche ist. Das Fenster zeigt mir eine Altstadtstraße, das buddelwarme Bier aus der Packtasche kühlt im Becken runter. Ich bin sehr zufrieden.

Ich unternehme einen Bummel durch diese wirklich schöne alte Stadt, trinke zwei Biere in der Rue Tenturies, der alten Färbergasse unter alten Platanen, Kopfsteinpflaster und sich drehendem Mühlrad. Rings um mich herum die Boheme, man trinkt Bier und raucht Selbstgedrehte. Fühle mich sehr geborgen. Nach einer Pizza beim Mamma Leone sinke ich um 22 Uhr redlich müde ins Bett. Draußen knattern die Mopeds.


Die Fakten:
Unterwegs: 7.32 Stunden
Gefahren: 5:03 Stunden
Schnitt 20,22 km/h
Max: 51,6 km/h
Gefahren: 100 Kilometer
Gesamt: 8459 km
Navi: 1557 km
Höhenmeter: 120 m
Höhenmeter total: 4673 m




Donnerstag, 14. Juni 2007 15. Tag
Avignon – Pont du Gard – Arles 73 Kilometer


Leicht heraus aus der Stadt, es herrscht viel Verkehr, sechs-spurig ist die N 100 wie eine Autobahn, blöd zu fahren. Mit flauem Gefühl strampele ich auf dem Seitenstreifen einen langen Berg hinauf, manche hupen, eigentlich habe ich hier auch nichts verloren, aber eine richtige Alternative gibt es auch nicht.Nach 30 Kilometern bin ich um 11 Uhr am Pont du Gard, ein phantastischer Äquadukt der Römer über den Gardon. Ein Erlebnis.

Ich lasse mir richtig Zeit, fahre unter den drei großen Steinbögen über den Fluss und lasse dieses gewaltige Bauwerk auf mich wirken. 35 Steinbögen, 49 Meter hoch und trotzdem von filigraner Leichtigkeit. Unglaublich, wie die alten Römer schon rechnen konnten. Zwischen der Quelle und Niemes, dem Ziel des Wassers, beträgt das Gefälle auf 50 Kilometer gerade einmal 17 Meter, das sind 34 Zentimeter pro Kilometer. Und trotzdem flossen damals 20 000 Kubikmeter jeden Tag nach Nimes.

Ich besuche das sehr informative Museum (7 Euro) in dem sehr anschaulich gezeigt wird, mit welchen technischen Mitteln damals diese tonneschweren Quader übereinandergewuchtet wurden. Lohnt sich wirklich.

In Remoulins nehme ich, erschöpft von soviel Kultur und neuem Wissen schon mittags ein Panasche zu mir und starte um 12.45 Uhr nach Arles. Die Fahrt wird eine ausgesprochen unangenehme Angelegenheit. Ein starker Wind steht mir voll auf der Brust, obwohl es flach ist, komme ich kaum über 15 km/h hinaus. Da hilft nur ein: Ipod ins Ohr, John Katzenbachs „Der Patient“ anstellen und diesem recht spannenden Thriller lauschen. Dabei vergeht die Zeit und ich merke gar nicht, wie langsam ich nur vorankomme. Die Landschaft ist auch nicht sehr aufregend, viel Industrie und Verkehr.

Kurz nach 16 Uhr bin ich in Arles, eine knuddelige, schöne kleine Römerstadt. Dem guten Michael Müller folgend, steuere ich zielstrebig das Hotel Gaugin an, frage den dicken zahnlosen Wirt, der in kurzer Hose, mächtigem Bauch unter T-Shirt und freundliche grinsend vor mir steht nach einem Zimmer mit Balkon – und bekomme es auch.

Ach, wie schön: Unter der Decke dreht sich lautlos ein großer Ventilator, die weite Flügeltür öffnet sich und unter mir liegt ein großer belebter Platz. Kein Fernseher, kein Radio, dafür ein winzige Dusche. Ich glaube, hier bleibe ich einfach mal zwei Nächte.

Ich brauche mal eine Pause vor dem Endspurt nach Barcelona – und habe ich nicht immer von jener schmierigen kleinen Bodega in Mexico geschwärmt, wo ich unter einem quietschenden Miefquirl liege mit zwei eiskalten Dosen Budweiser auf dem Bauch? Nun ist es eben Arles statt Mexico.

Jetzt ist es 20.30 Uhr, ich sitze am Amphietheater und gönne mir ein großes Steak. Nachdem sich heute kein Schwein um mich gekümmert hat und weder SMS noch ein Anruf mich erreichte, muss ich mich eben selbst verwöhnen. Doch kaum sitze in der lauen Luft hier, sehe Fledermäusen beim Jagen zu, lärmt das Handy los, Line ruft an, und gleich darauf SMS von Axel, Peter und Klaus. Na siehste, ich bin noch nicht vergessen.



Unterwegs: 5:42 Stunden
Gefahren: 4:20 Stunden
Schnitt: 17,07 km/h
Max: 44,4 km/h
Gefahren: 73 Kilometer
Gesamt: 8332 Km
Navi: 1630 km
Höhenmeter: 130 Meter
Höhenmeter total: 4803 Meter




Freitag, 15. Juni 2007 16. Tag
Arles 0 Kilometer


Erstmals zwei Nächte im selben Bett. Ich kann es kaum glauben, dass ich heute nicht in den Sattel muss, es bekommt mir gut. Noch besser gefällt mir, dass es um 7 Uhr kräftig anfängt zu schütten. Die Blitze zucken nur so, der Donner donnert was das Zeug hält und der Regen rauscht mächtig durch die Löcher in den Dachrinnen. Ist das nicht irre? Am ersten Tag, an dem ich nicht früh auf die Straße muss, kommt der erste richtig harte Regen.

Aber ab 10 Uhr scheint schon wieder die Sonne. Ich kaufe für 9 Euro eine Eintrittskarte Parcure romain, die mir den Zugang zu römischen Stätten in der Stadt eröffnet. Ich schlendere über den römischen Friedhof außerhalb der Stadtmauern, eine Allee aus Sarkophagen, und klettere auf die Bühne des römischen Theaters. Viel Zeit nehme ich mir für das Amphietheater, das nach Rom besterhaltene überhaupt.

Nach dem Kulturtripp bringe ich ein Päckchen mit den warmen Klamotten zur Post, wo sich die Angestellten und Kunden wie in Zeitlupe bewegen. Aber die Leute stehen geduldig Schlange und ertragen es mit unbewegter Mine, wenn eine Oma 15 Minuten braucht, um ein paar Briefmarken zu erwerben. Mein Päckchen kostet tapfere 29 Euro, das Gewicht spielt keine Rolle. Hätte ich das ganze arme Zeug, das ich nicht ein einziges Mal gebraucht habe, doch gleich Zuhause gelassen.

Es schließt sich ein herrlich sonniger Nachmittag auf dem Balkon an. Ich faulenze hemmungslos, flätze mich auf dem Bett herum, trinke Bier, esse Erdnüsse, telefoniere mit daheim und mit Peter in Göttingen, der in Montpellier zu mir stoßen wird. Er packt gerade. Ich höre den halben Schamanen und schlafe selig ein. Um 5 Uhr früh wecken mit die Männer von der Müllabfuhr.



Samstag, 16. Juni 2007 17. Tag
Arles – Montpellier 118 Kilometer



Hinaus aus Arles in die Einsamkeit der Camargue. Madame serviert mir wieder ein für französische Verhältnisse üppiges Frühstück, kassiert ihre 76 Euro in Bar, denn Kartengeld kennen sie hier wohl nicht und verabschiedet mich freundlich.

Es wird die schönste Fahrt bisher: Der Himmel ist von einem lichten Blau, es ist warm, aber nicht heiß, brettflach und ein eigener Radstreifen für mich ganz allein. Reiseradler kommen mir entgegen, wir winken und lachen und zu, glückliche Gemeinschaft. Vögel zwitschern, weiße Fischreiher streichen über wasserbestandene Reisfelder. So still. Und nur noch 16 Kilometer bis nach Aigues Mortes.

In Aigues Mortes trinke ich aber nur schnell einen Panasche, es ist so touristisch. Zum Glück spielt direkt vor mir ein Straßenmusikant wirklich wunderbar Gitarre. Die Stadt mit ihrer düsteren, komplett erhaltenen Stadtmauer mit den Ecktürmen hat natürlich schon was, aber es mir einfach zu betriebsam.

In Le Grand Motte sehr ich zum ersten Mal das Mittelmeer. Es ist eine unglaublich hässliche Hotelstadt, aber mit einem schönen, feinsandigen Strand. Ich verfahre mich mal wieder und gerade kurz auf die vierspurige Schnellstraße, die für Fahrräder gesperrt ist. Ich schiebe zurück und finde mit einiger Mühe den Weg zur Grand Travers. Der Weg ist ein zehn Kilometer langer einziger Badestrand, an dem ein Auto am anderen steht. Hinter einem Dünenwall tobt das Strandleben. Ich gönne mir wegen der Gluthitze ein Panasche und lasse mir von dem netten Mädchen hinter der Strandtheke mal wieder die Wasserflaschen mit eiskaltem Wasser aus dem Hahn füllen.

So geht es weiter bis Carnon Plage. In Lattes gibt es mal wieder kein Hotel, also fahre ich weiter Richtung Flughafen. Unterwegs sehe ich ein Schild zum Kyriad-Hotel, prüfe aber erst einmal den Weg bis zur Ankunftshalle. So groß ist der Flughafen aber nicht, also rolle ich die zwei Kilometer zurück und buche bei Gloria ein sehr schönes Doppelzimmer für 55 Euro. Ab jetzt geht es ja durch zwei, da brauche ich nicht mehr so zu knausern. Gloria spricht sogar ganz gut Deutsch, hat mal bei Hannover und Stuttgart gewohnt.

Pünktlich um 18.35 Uhr bin ich mit dem Rad in der Ankunftshalle und sehe auch schon Peter mit dem Helm auf dem Kopf herankommen. Er überragt die anderen um Haupteslänge. Wir fallen uns in die Arme. So schön, nicht mehr allein zu sein. Peter montiert die Pedale, wir pumpen Luft in die Reifen und schon geht es los. Dieses Zusammentreffen, seit Monaten geplant und mit doch einige Ungewissheiten befrachtet, hat schon mal geklappt. Wir lassen uns das Menu schmecken und sinken müde in die Betten.


Die Fakten:
Unterwegs: 7:45 Stunden
Gefahren: 6:29 Stunden
Schnitt: 19,07 km/h
Max: 43,6 km/h
Gefahren: 118 Kilometer
Gesamt: 8650 km
Navi: 1748 km
Höhenmeter: 20 m
Höhenmeter total: 4823 m



Sonntag, 17. Juni 2007 18. Tag
Montpellier – Vinassan 126 km


Nach einem wirklich tollen Frühstück im Kyriad rüsten wir uns für die ersten gemeinsamen Kilometer. Mit uns waren nur noch zwei junge Franzosen im Hotel. Und die bleiben sich wirklich treu: Obwohl das Frühstücksbufett geradezu deutsche Ausmaße hat, nehmen die beiden sich nur schwarzen Kaffee und einen Croissont.

Um 8.30 Uhr sind auf sonntäglich leeren Straßen unterwegs, der Himmel ist dicht bewölkt, es bleibt aber trocken. Auf kleinen Straßen fahren wir entlang des Etang de Vic. In Los Aresquiers sehen wir das erste Mal das freie Mittelmeer, nachdem wir zuvor lange an dem Etang einer Art Binnensee, vorbeigeradelt sind. Welch ein Glück: Die Steife Brise weht von Südost und treibt uns seitlich voran. Wenn wir die auf der Brust hätten….

Sete ist nett, aber nicht wirklich hübsch. Doch dahinter beginnt eine 19 Kilometer lange Küstenstraße direkt am weiten Sandstrand. Endlos viele Wohnmobile zeigen, dass der schon längst kein Geheimtipp mehr ist. Aber Straße und Strand sind einfach ideal, um hier ein paar Sandtage im RV zu verbringen.

Peter und ich fahren gut zusammen. Er ist fit und wir haben denselben Rhythmus beim Fahren und beim Pause machen. Durchs hübsche und freundliche Agde geht es auf kleinen Straßen weiter. Ein paar Kilometer folgen wir sogar dem Canal di Midi. Daneben stehen weiße Pferde bis zu den Fesseln im Wasser und grasen friedlich. Weiße Vögel und Fischreiher fliegen zwischen ihnen dahin, fast wie in der Carmargue.

In Serignan machen wir eine Panaschee-Pause. Durch abgeschiedenes, schönes Weinanbaugebiet fahren wir weiter Richtung Narbonne. Unterwegs fahren wir an einem villenartigen Gites de Frances vorbei, zu dem auch noch ein Schild zeigt. Aber es gibt schon seit langer Zeit keine Vermietung mehr, man hat nur vergessen, das Schild vom Radweg zu entfernen. Aber ein paar Kilometer weiter werden wir in einem Nest namens Vinassan fündig, in dem wir niemals ein Hotel vermutet hätten. Die Hotelsuche in der Großstadt Narbonne bleibt uns also erspart.

Wir beziehen ein Zimmer im Erdgeschoss, alles in Gelb, aber sehr hübsch. Zu Essen gibt es hier nichts, aber der nette Mann an der Rezeption schickt uns 100 Meter hoch in den Wald, da würden wir schon etwas bekommen.

Nach dem Duschen schlendern wir in den nahen Pinienwald und erleben das abgefahrendste Restaurant-Erlebnis seit langem. Auf Plastikstühlen sitzen sonst doch so gourmetartige Franzosen und schaufeln gewaltige Portionen Fast-food in sich hinein. Die Kinder wuseln überall herum, an Getränkecontainern kann man Bier Weiß- und Rotwein tanken, so viel man will. Für 13 Euro kann man hier nach Herzenslust Essen und Trinken, die Stimmung ist vergnügt, die Kinder herzig und die jungen Eltern sehr entspannt. Wir auch. Nach den Anstrengungen des Tages ist das genau das Richtige. Wir lassen es uns völlig entspannt schmecken und sinken dann einigermaßen geschafft in die Betten.


Die Fakten:
Unterwegs: 9:23 Stunden
Gefahren: 6:40 Stunden
Schnitt: 19,32 km/h
Maximal: 55,2 km/h
Gefahren: 126 Kilometer
Gesamt: 8775 km
Navi: 1874 km
Höhenmeter: 200 m
Höhenmeter total: 5823 m



Montag, 18. Juni 2007, 19. Tag
Vinassan – Argeles 111 Kilometer


Gut geschlafen im Le Mas Pierrot und auch das Frühstück ist prima. Um 8.45 Uhr sitzen wir schon wieder im Sattel, Peter ist ein sehr disziplinierter Begleiter, der kein Stück schwächelt, obwohl es gestern gerade für ihn ein weiter Ritt gewesen ist.

Nach nur fünf Kilometern durch bäuerliches Landschaft sind wir in Narbonne, eine verschlafener Provinzstadt mit einem riesigen gotischen Dom in der Mitte. Das kleine hübsche Einkaufszentrum erwacht gerade, die Leute sitzen in den Cafes. Aber uns ist noch nicht nach Pause und so rollen wir auf einer ausgesprochen hässlichen und überbreiten Ausfallstraße mit mächtig viel Verkehr darauf gleich wieder hinaus.

Und wieder ein hübsche Überraschung: Kaum 500 Meter nach der Abfahrt von Bages umfängt uns totale Ruhe in einer wunderschönen Landschaft. Wir rollen zwischen Weinfeldern und an dem stillen Wasser des Etang de Bages vorbei. Unglaublich, nachdem wir gerade eben noch diesen tobenden Verkehr in den Ohren hatten.

Ebenso schön ist es in Peyriac de Mer, wo wir eine Frühstückspause einlegen. Ein altes Dörfchen, auf dem Platz in der Mitte hat nur das kleine Lädchen auf, alles wirkt völlig verratzt, aber für Ruhe suchende Menschen, die Spaß am Wandern entlang des Etang haben, ist das hier genau das Richtige. Peter merkt sich das schon mal für einen späteren Urlaub vor.
So schön bleibt es nicht. Notgedrungen müssen wir auf die N 9 zurück und rattern die 15 Kilometer bis Sigean in wortlosem Windschattenrennen herunter. Hier ist konzentriertes Fahren angesagt, denn der stramme Verkehr ist kaum eineinhalb Meter links von uns. Hier ist übrigens Corbiers-Land, die Quelle unseres gern getrunkenen Weins vom Schluckspecht.
In Leucate beginnt zu allem Überfluss auch noch der Regen. Hey Leute, das ist hier Südfrankreich, fast schon Spanien. Hier hat gefälligst die Sonne zu scheinen.

Das tut sie aber nicht und so strampeln wir in einem zum Glück nicht kalten Nieselregen dahin. Peter, das Frohgemüt, ist natürlich durch nichts zu erschüttern. Wir verlassen zweimal die Schnellstraße, scheitern aber jedes Mal dabei, andere Wege zu finden. Außerdem ist es nicht schön dort: Massenhafter Badetourismus, allerdings sind kaum Leute zu sehen.
Der Regen hört bald wieder auf, aber irgendwie ist das landschaftliche alles nicht so toll. Auf der Karte sah das attraktiver aus, als es in Wirklichkeit ist. In Canet-Plage, etwa auf Höhe von Perpignan holen wir uns Käse, Wurst und Bier aus einem Lidl-Markt und machen Rast auf einer Betonmauer. Ein Franzose kommt tatsächlich vorbei, um an dieser unwirtlichen Stelle seinen Hund auszuführen. Wir plaudern ein bisschen, so weit es unsere rudimentären Sprachkenntnisse zulassen.

Ziemlich flott sind wir jetzt unterwegs, der Führende fühlt sich offenbar immer verpflichtet, besonders heftig in die Pedale zu treten, der andere muss dann hinterherschnaufen.

In Argeles beziehen wir Quartier im Astoria. Die Besitzer kommen aus Luxenbourg und haben das Hotel gerade übernommen. Sie sind wirklich nett und verwalten diesen Palast in pinkfarbenen Gelsenkirchener Barock. Wer hat so was schon mal gesehen? Immerhin: Der Balkon zeigt nach Süden und dort sehen wir schon die imposante Bergkette, über die wir wohl morgen drüber müssen, um endlich in Spanien zu sein.

Nachdem Peter höchst erfindungsreich seine nassen Klamotten über der Abwärme des Kühlschranks zum Trocknen aufgehängt hat (seine sind am nächsten Morgen tatsächlich trocken, meine noch ziemlich klamm) schlendern wir ins hübsche Städtchen und finden beim Italiener ein prima Essen.


Die Fakten:
Unterwegs: 7:47 Stunden
Gefahren: 5:39 Stunden
Schnitt: 20:07 km/h
Maximal: 48 km/h
Gefahren: 111 Kilometer
Gesamt: 8887 km
Navi: 1986 km
Höhenmeter: 200 m
Höhenmeter total: 6023 m



Dienstag, 19. Juni 2007, 20. Tag
Argeles – Cadaques 77 Kilometer


Heute also steht die gefürchtete Bergetappe an – die sich später als gar nicht so schlimm erweisen soll. Bestens gestärkt vom Luxembourger Wirts-Ehepaar, die uns wirklich gut in ihrem geschmacksverirrten Hotel beherbergt haben, starten wir um 9.10 Uhr und rollen entspannt in Richtung Collioure. Die erste Steigung endet prompt an einem Aussichtspunkt.Eine echte Sackgasse am Ende eines tierischen Berges, aber der Blick auf den Strand von Racou-Plage war sehr schön. Wir rollen den steilen Hang flugs wieder abwärts und schwören uns, ab jetzt auf der Hauptstrecke zu bleiben.

Die Ausblick auf Küste und Meer sind einfach umwerfend. Dazwischen liegen immer wieder geschützte Tal-Lagen, in denen Wein angebaut wird. Es geht stetig auf und ab, doch die Steigungen sind durchweg moderat. Wir müssen nie schieben und die Abfahrten sind einfach toll. Schön auch: es gibt kaum Verkehr.

Peter erweist sich als Heizer vor dem Herren. Sowohl bergauf wie auch bergab. Den Berg hinauf kurbelt er konsequent auf dem mittleren Ritzel, die kleine Scheibe vorn lehnt er aus grundsätzlichen Überlegungen ab. Weil ich das nicht tue, enteilt er mit bei jeder Steigung nach wenigen Meter. Und da hatte ich mir Sorgen gemacht, er käme nicht hinterher… Auch bei den Abfahrten legt er in den Kurven einen Zahn vor, dass ich kaum mithalten kann. Aber insgesamt harmonieren wir prächtig, jeder fährt seinen Tritt und es gibt keinen Stress.

In Banyuls sur Mer eine Pause. Jetzt sind es nur noch ein paar Kilometer bis zur spanischen Grenze.Der Aufstieg zur Grenze ist mal wieder viel weniger anstrengend, als ich zuvor befürchtet hatte. Es geht zwar ständig bergauf, aber die Steigung ist angenehm, die Sonne gibt sich zwar schön Mühe, brennt aber nicht wirklich störend und dann plötzlich um 12.45 Uhr ist der große Moment da. Exakt bei Kilometer 2024 sind wir an der französisch-spanischen Grenze. Die ist völlig verödet, kein Grenzer weit und breit, die desolate Station ist von Grafitti überzeichent. So ist Europa heute, sehr schön.

100 Meter weiter wird es doch noch etwas feierlicher. Schöne blaue France- und Espanol-Schilder mit goldenen Europa-Sternchen, verbunden mit Gedenktafeln für katalanische Widerstandskämpfer gegen die Nazis, machen den Grenzübertritt doch noch zum erhofften Erlebnis. Dass hier schon Katalonien ist, war mir gar nicht bewusst.
Wir fliegen förmlich den Berg hinunter nach Portbou, wo wir das erste Panaschee auf Spanisch trinken (am Preis merkt man sofort, dass Frankreich hinter uns liegt) und eine gute Karte von der Costa Brava kaufen. Der erste Eindruck: Hier ist alles gut ein Drittel billiger als in Frankreich.

Hinter Colera stoßen wir auf die schöne kleine Bucht Grifeu. Hier gehen wir zum ersten Mal im Mittelmeer baden, obwohl uns eine besorgte Frau auf angebliche Feuerquallen aufmerksam macht. Allerdings sehen wir keine und das Wasser ist klar und frisch.
Schon um 15 Uhr sind wir in Llance und stellen fest, dass wir schon viel zu nahe an Barcelona sind. Wir dürfen nicht zu früh kommen, schließlich müssen die Kinder arbeiten. Wohin also?

Wir konsultieren die neue Karte und entscheiden uns für einen Schlenker auf die Creus-Halbinsel nach Cadaques. Ein Besuch beim alten Dali, genau richtig. Die Küstenstraße führt herrlich um die Bucht von El Port de la Selva herum, ab da geht es flach in den Naturpark Cap de Creus hinein. Es ist heiß und trocken, ein bisschen erinnert die Landschaft an den Südwesten der USA.

Aber flach bleibt es nicht, im Gegenteil. Rund acht Kilometer schrauben wir uns in weiten Schwingen sanft bis auf 260 Meter Höhe hinauf. Auch das ist kein Problem. Pinienwälder, Weinberge, karstige Hügel, bis auf 600 Meter über Null, viele Vögel, sonst Stille.Wir fligen fünf Kilometer den Berg hinab zu den blenden weißen Häusern von Cadaques. Direkt im Zentrum finden wir ein prima Zimmer mit Balkon und Meerblick für 45 Euro.

Abends bummeln wir durch die Stadt, der Weg Richtung Port Lligat zu Dalis Haus erweist sich aber als entschieden zu weit. Also gehen wir zurück am Meer entlang, machen eine kleine Rast auf einem hübschen Rastpunkt. Auf dem Hauptplatz bekommen wir im Restaurant einen Tisch ganz vorn.


Die Fakten:
Unterwegs: 9:08 Stunden
Gefahren: 5.06 Stunden
Gefahren: 77 km
Schnitt: 15,49 km/h
Maximal: 50,8 km/h
Gefahren: 8963 km
Höhenmeter: 1050 m
Höhenmeter total: 7073 m
Navi: 2063 km




Mittwoch, 20. Juni 2007, 21. Tag
Cadaques – Tamariu 97 Kilometer


Im Hostal Marina gibt es tatsächlich kein Frühstück. Also nehmen wir in einem Cafe gegenüber ein wahrhaft kleines Frühstück ein: ein Croissant und ein müder Kaffee müssen genügen. Im Nu haben wir die Räder bepackt und um 8.45 Uhr sitzen wir schon in den Sätteln und machen uns an den fünf Kilometer langen Aufstieg, den wir gestern so herrlich hinabgeflogen sind. Die Luft ist klar, die karstigen Berge stehen wie hingemeiselt vor dem Blau des Himmels.
Schneller als erwartet haben wir die Höhe erreicht und radeln auf einer wunderschönen Straße an der Bergflanke hoch über dem Naturpark hinweg. Hoch über Roses machen wir eine Rast, trinken Orangensaft und essen Muffins, Rennradler kommen aus dem Tal herauf, alle grüßen und freundlich. Weil wir noch viel zu viel Zeit haben, entschließen wir uns, einen Abstecher nach Figueras zu machen, um das Dali-Museum zu besichtigen.

Kaum haben wir den Berg nach einer mal wieder herrlichen Schussfahrt hinter uns, beginnt die vierspurige Straße nach Figueras, die wir im Expresstempo und konzentrierten Windschatten-Fahren hinter uns bringen. Ekelhafter Kontrast: Eben noch die Ruhe des Naturparks, jetzt ein elender Verkehr.

Vor dem Museum ist erstaunlicherweise nur eine kleine Schlange. Ein netter Mitarbeiter schließt unser Gepäck ein, die Räder ketten wir an eine Eisenstange und schon umgibt uns die wunderbar schräge Kunst von Dali. Vor fast 25 Jahren war ich zuletzt hier und es begeistert mich wie beim ersten Mal, obwohl schon reichlich Menschen da sind.

Auf winzigen Straßen geht es durch abgeerntete Getreidefelder mit mal runden, mal eckigen Strohballen weiter Richtung Süden. Ein strammer Wind bläst uns entgegen.

Die Straßen werden immer kleiner, letztlich sind es nur noch Feldwege. Ohne Peters phantastischen Richtungs- und Orientierungssinn würden wir uns wohl total verfranzen, denn die Karte ist längst keine Hilfe mehr. Orientierung bekommen wir erst wieder in Viladamat, aber die C 31 ist wirklich eine Scheißstraße. Zwei Spuren, eng, kein Randstreifen auf den man sich flüchten kann. Die Laster knattern einen halben Meter an uns vorbei und rütteln uns jedes Mal richtig durch.
Wir sind heilfroh, als wir nach Torroella de Montgri einrollen, eine richtig hübsche kleine Stadt mit engen alten Gassen und einer schönen entspannten Atmosphäre. Auf dem Kirchplatz legen wir eine Rast ein und weil wir es uns wirklich verdient haben, gönne ich mir zwei große Panaschee, halt, ab hier heißen die ja Clara. Oberlehrer Peter warnt vor den verheerenden Wirkungen des Alkohols in nachmittäglicher Hitze, was ich souverän in den Wind schlage. Das wird sich noch rächen.

Die C31 wird nicht wirklich schöner und so sind wir heilfroh, als wir Pals erreicht haben und Richtung Begur aufs Meer zufahren können. Peter hat sich an ein wunderbares Hotel in Tamariu erinnert, in dem er, Hilde und Ju vergangenes Jahr schön genächtigt haben. Und nicht mal teuer. Das also soll es heute sein.

Die lange Steigung nach Begur gibt mir den Rest. So fix und foxy war ich auf den ganzen 2000 Kilometer nicht mehr. Mit Pudding in den Beinen erstreckt sich die Steigung endlose zwei, gefühlte 20 Kilometer kerzengerade vor mir in den Horizont. Peter ist ein wahrer Freund. Er umkreist mich wie ein Schäferhunde die erschöpfte Herde, fährt Windschatten und spricht Mut zu. Endlich kommt das Ortschild von Begur in Sicht und irgendwie kehrt damit auch die Kraft zurück.

Als Sahnehäubchen kommt ein elend steiles Stück bis zum Gipfel. Kleiner Trost: jetzt schiebt auch mein Begleiter. Das Problem: kein einziges winziges Schild zeigt nach Tamariu. Als wir im Supermarkt auf des Berges Gipfel die Packtaschen mit köstlichem Dosenbier füllen, fragte Peter einen jungen, leicht übergewichtigen Spanier nach dem Weg nach Tamariu. Oh, das sei ziemlich weit weg, unkt der herum. Wie weit, fragt Peter. So gute fünf Kilometer! Peter klärt den jungen Mann über unsere Tagesetappen auf und dann geht es schrecklich viele Höhemeter wieder abwärts. Eine Asiatin rät uns, weiter talwärts zu fahren, den Weg über den Berg nach Tamariu würden wir nicht schaffen, der sei gaaaanz schlimm.

Also weiter nach unten Richtung Palafrugell. Beim nächsten Supermarkt gibt uns schließlich ein Engländer den entscheidenden Tipp: „500 Yards, left, straight ahead through the wood to Tamariu. The other way will brake your bone.“

Das wollen wir nun auch nicht, also befolgen wir den Rat, denn er stimmt genau. Nach zwei Kilometer auf staubiger Piste auf namenlosem Weg durch einen namenlosen Wald sind wir im Paradies, das hier auf den Namen Tamariu hört. Mit den Nachsaison-Preisen ist es hier allerdings nichts derzeit. Wir buchen für 136 Euro das teuerste Zimmer der Tour, aber es lohnt sich. Es ist traumhaft schön hier. Wir gehen schwimmen im unglaublich klaren Wasser und bummeln anschließend über die sehr überschaubare Promenade zu einem Aussichtspunkt mit Blick aufs Meer und beschaulich dümpelnden Booten.
Das Abendessen ist mittelprächtig, aber uns geht es richtig gut. Julia ruft aus Barcelona an und bereitet das Treffen übermorgen vor. Kaum zu glauben: Der Tripp geht dem Ende zu.



Die Fakten:
Unterwegs: 9:33 Stunden
Gefahren: 5:51 Stunden
Schnitt: 16,89 km/h
Max: 46,1 km/h
Gefahren: 97 Kilometer
Gesamt: 9060 km
Navi: 2160 km
Höhenmeter: 600 m
Höhenmeter total: 7673 Meter




Donnerstag, 21. Juni 2007, 22. Tag
Tamariu – Tossa de Mar 60 Kilometer


Wir starten mit einem morgendlichen Bad im Meer. Es ist ein bisschen frisch aber ich staune wieder über dieses absolut glasklare Wasser, in dem nicht die kleinste Trübung zu erkennen ist. Im Wintergarten des Hotels nehmen wir ein sagenhaftes Frühstück mit Blick auf das Meer ein. Hier lässt sich´s gut sein.
Wir unternehmen eine Wanderung an der felsigen Steilküste entlang. Erst breite Felsenzungen, über die wir klettern müssen, dann lichte Pinienwälder und immer wieder weite Blicke übers Meer, das mal tiefblau, mal türkis durch die Bäume schimmert, einsame Buchten, Tamariu ist wirklich ein herrliches Fleckchen.

In einer Bucht bekommt Peter nach ungefähr zwei Minuten Pause schon wieder Hummeln in den Hintern. Er will unbedingt zum Leuchtturm gehen, weil ihm den Weg dorthin Hilde und Ju im vergangenen Jahr verwehrt haben. Diesmal bin ich der Spielverderber. Ich bleibe ab kiesigen Strand liegen und schaue den Kormoranen zu, wie sie ihr Gefieder in der Sonne zum Trocknen spreizen, während Peter weitermarschiert.

Der Weg allein zurück hat auch seinen Reiz. Auf dem ersten Teil der Tour habe ich schon gelernt, mit mir allein ganz zufrieden zu sein und so macht es mir Spaß, allein auf den Felsen zurück zum Dorf zu balancieren. Kaum habe ich mich mit einer Flasche kaltem Mineralwasser (irgendwas ist als Mahnung von gestern doch hängen geblieben) niedergelassen, kommt auch schon ein erhitzter Peter an. Auch diesmal hat der den Weg zum Leuchtturm nicht geschafft. Da bleibt noch Unerledigtes zurück für den nächsten Besuch.

Um 12.30 Uhr sind wir auf den Rädern. So spät bin ich die ganze Tour noch nicht in die Gänge gekommen, aber heute haben wir ja auch nur eine kleine Etappe vor uns.Die Steigung hat jeden Schrecken verloren. Völlig entspannt kurbeln wir uns bergwärts bis zum Leuchtturm Far de Sant Sebastia, von wo wir einen tollen Blick nach Palafrugell und Calella haben. Durch den Badeort geht es im steten Auf und Ab Richtung Jardi Botanic, den wir durchqueren wollen.

Die Einfahrt in den staubigen Pinienwald ist noch toll ausgeschildert, doch ein paar hundert Meter später haben die Spanier wohl die Lust daran verloren und sie schicken uns auf eine nette kleine Odysee. So kommen wir weit oberhalb von Palamos aus dem Wald heraus, macht nichts. Durch große Badeorte fahren wir an der Küste entlang weiter bis nach Sant Feliu de Guixols, wo einmal mehr ein langer, langer Anstieg auf die Traumstraße der Costa Brava auf uns wartet.
Die Straßen haben wir fast für uns allein, denn seit im Hinterland die Autobahn gebaut wurde, fährt hier nur alle paar Minuten ein Auto entlang. Fürs Radeln ist das einfach wunderbar, da stören auch die Steigungen nicht, die ersten kurz, zweitens nicht sehr steil sind und drittens zuverlässig in erholsame Abfahrten münden. Leider scheint es überall neue Urbanicationen zu geben. Alles, so scheint es, wird hier nach und nach zugebaut.

Die Straße hält etliche Anstiege für uns bereit. Peter muss einen Hilfsmotor am Rad eingebaut haben. Kerzengerade im Sattel sitzend verschwindet sein gelbe Leibchen nach wenigen Minuten am Berg in der nächsten Kurve. Der Mann ist völlig ermüdungsfrei und das mit (fast) 62!! Sohn Philip wird sich freuen, dass er zeigt, „wie Silies Pedale treten können“.

Um 18 Uhr sind wir in Tossa de Mar und finden in einem kleinen Hostal direkt am Meer für 36 Euro ein echt schlichtes Zimmer. Peter war hier schon mal, der Wirt ist von sagenhafter Wortkargheit und herrlich unfreundlich zu seinen offenbar einzigen Gästen. Wir haben unsren Spaß daran.Abends eine kleine Wanderung zur Festung oberhalb von Tossa mit Besuch bei Peter und Hildes Lieblingsecke. Abends im Tappa-Restaurant schmeckt es prima, wir haben uns viel zu erzählen.


Die Fakten:
Unterwegs: 6:10 Stunden
Gefahren: 4:01 Stunden
Schnitt: 14,95 km/h
Maximal: 47 km/h
Gefahren: 60 Kilometer
Gesamt: 9210 km
Navi: 2220 km
Höhenmeter: 840 Meter
Höhenmeter total: 8513 m



Freitag, 22. Juni, 23. Tag
Tossa de Mar – Barcelona 95,5 Kilometer


Der muffelige Chef vom Hostal del Mar bereitet uns tatsächlich ein passables Frühstück. Während wir noch ratlos auf der Straße nach ihm Ausschau halten, biegt er mit einer großen Brötchentüte um die Ecke. Wir setzen uns auf der anderen Straßenseite an die Strandpromenade, flüchten schon jetzt von der Sonne und zahlen wenig später bereitwillig unsere 40 Euro. Der Muffelkopp ist eigentlich gar nicht so übel.

Kurz hinter dem Ortsausgang von Tossa überholen wir einen schwer bepackten Radler, der schon vor dem eigentlichen Anstieg im kleinsten Gang dahinstrampelt. Als ich vorbeifahre, grüße ich einfach auf Deutsch mit „Guten Morgen“ und siehe da, er antwortet. Die Wahrscheinlichkeit auf deutsche Fernradler zu treffen, ist halt unerreicht hoch

Der Solist kommt aus Erfurt, ist einen Tag nach mir losgefahren und will noch bis nach Malaga – müssen noch so rund 900 Kilometer sein. Sein Rad ist wirklich schwer bepackt, er schläft im Zelt und strahlt eine entspannte Ruhe aus. Nach einigen Freundlichkeiten lassen wir ihn hinter uns, wenige Minuten später entschwindet Peter weit vorn hinter einer Kurve und so sind wir an diesem schönen Sonnentag drei einsame Radler aus Deutschland, die einig und doch getrennt die Steigung angehen.

Eine lange Talfahrt bringt uns nach Lloret de Mar, das genau so grässlich ist, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir bleiben keine Minute länger als unbedingt nötig und fahren einfach durch. Die stark befahrene Nationalstraße schützt uns immerhin mit einem breiten Seitenstreifen.
Blanes ist nicht viel anders, Maigrat de Mar dagegen riesig, eine unfassbare Touristenmaschine. Immerhin kommen wir hier an den Strand, der die ganze Strecke über von der Eisenbahnlinie förmlich abgeschnitten ist.Ab jetzt wird es wieder schön, denn wir können dem kilometerlangen, weiten Sandstrand folgen. Wir fahren auf der Promenade und das geht wunderbar: Strandleben pur, entspannte Menschen, alle paar hundert Meter eine Strandbar.

Die Sonne brennt ziemlich erbarmungslos auf uns herab – und ausgerechnet heute habe ich vergessen, mich einzucremen und so handele ich mir tatsächlich am letzten Tag der Tour einen Sonnenbrand ein. Die Fahrt ist viel besser als gedacht. Immer wieder können wir von der Straße an den Strand wechseln. Das ist nicht immer einfach und wir müssen die Augen offen halten, um die Unterführungen unter Straße und Eisenbahn nicht zu verpassen. Der Wechsel zwischen dem dröhnenden Verkehr und der Ruhe nur ein paar Meter weiter ist jedes Mal faszinierend.

In Arenys de Mar kaufen wir in einem riesigen Einkaufszentrum Baguettes und Käse, und hinter Mataro schieben wir durch einen düsteren Durchlass unter der Straße zur Pause am heißen, schönen Strand, an dem nur ein paar Menschen weit verstreut herumliegen.

Ab hier wachsen die Städte so zusammen, dass man sie kaum auseinanderhalten kann. Am Strand geht das schon gar nicht, und hier kann man eigentlich durchgehend auf der Promenade fahren. Im Dunst erkennen wir schon die Türme von Barcelona. Was für ein Gefühl, wir haben es wirklich bald geschafft.

Um 16 Uhr sind wir in Badalona, wo wir uns mit Julia treffen wollen. Bei zwei großen Clara am Strand achten wir argwöhnisch auf Räder und Gepäck. Tim hat uns gewarnt: Lasst sie nicht eine Minute aus den Augen sonst sind sie weg. Das ist nicht mehr das Land, das ist B a r c e l o n a!! Und hier wird geklaut, was das Zeug hergibt. Also geht Peter allein schwimmen, während ich Wache halte.

Um 17 Uhr will Julia am Bahnhof ankommen. Wir stehen Spalier auf der anderen Bahnsteigseite, aber sie kommt nicht. Auch im nächsten Zug ist sie nicht. Peter schickt eine SMS, die Antwort bringt die Erklärung: Zugunglück. Aus unerfindlichen Gründen ist ein Lok-Führer mit seinem zum Glück leeren Zug mit Tempo 120 in eine Baustelle gerast, wo eigentlich 30 km/h vorgeschrieben waren. Der Zug verunglückte und der ganze Zugverkehr in Barcelona ist zusammengebrochen.

Julia will mit der Metro kommen, wir sollen am verabredeten Punkt, also am Bahnhof warten. Das ist aber nun gar nichts für Peter. Wir fahren zur Metro-Station, ruft er und ist schon 200 Meter weg. Also hinterher. Ich denke, das klappt nie, wie wollen wir Julia in diesem Straßengewirr finden.

Es klappt doch. Auf dem Weg zur Metro sehen wir an einer Kreuzung zwei Frauen mit ihren Rädern auf Grün warten, sich dabei angeregt unterhaltend. Peter ruft: „Julia“ und völlig überrascht liegen wir uns in den Armen. So ein Glück. Die andere Frau hatte Ju gerade kennen gelernt und sich nach dem Weg zum Bahnhof erkundigt. Zufälle gibt´s.

Jetzt ist das Glück aber perfekt. Julia lotst uns durch abenteuerliche Ecken am Strand, mit Graffiti übersäte Betonbrücken, seltsame, verlassene Hafenteile, in denen die Straßenjungs baden. Auf der Brücke hinter den drei so charakteristischen Türmen der Müllverbrennungsanlage, die abgerissen werden sollen, erreichen wir auf der Brücke die Stadtgrenze von Barcelona. Es ist geschafft, Julia hält den historischen Moment in Bildern fest.

Gemächlich rollen wir weiter zu Julias Surfclub am Strand. Hier wollen wir uns mit Tim treffen, der natürlich immer noch im Studio ist und arbeitet. Endlich kommt er an, braungebrannt auf meinem guten alten Cannondale. Jetzt sind also meine beiden Räder gemeinsam in Barcelona, das eine per Flieger, das andere per Muskelkraft. Irgendwie kann ich es noch gar nicht richtig glauben, dass ich jetzt am Ziel bin.

Nach einem Bad im Meer, bekommen wir von Tim und Ju unsere Geschenke: Zwei Zara T-Shirst mit den beiden Radfahrern aus dem Quattro Cats und der Aufschrift Kassel – Montpellier – Barceolna. So eine tolle Idee, wir freuen uns riesig und sind mächtig stolz.

Mit dem Rad fahren wir quer durch die Stadt zum Eixample. Das geht erstaunlich gut, denn seit meinem letzten Besuch hier sind überall auf den Hauptverkehrsachsen Radstreifen angelegt worden, auf denen man nahezu völlig unbehelligt vom Verkehr fahren kann. Das geht wunderbar und so sind wir nach kurzer Zeit in der Conselle de Cent und damit – daheim.




Die Fakten:
Unterwegs: 11:36 Stunden
Gefahren: 5:50 Stunden
Schnitt: 16,9 km/h
Maximal: 47 km/h
Gefahren: 95,5 Kilometer
Navi mit Peter: 566 km
Navi insgesamt: 2315 Kilometer bis Barcelona
Gesamt: 9215 Kilometer
Höhenmeter: 430 m
Höhenmeter total: 8945 Meter