Re: Große Jura-Prüfung 2012

von: veloträumer

Re: Große Jura-Prüfung 2012 - 05.02.13 20:14

3. Jouristische Prüfung:
Wasserfallfotografie und empirische Pharmaproduktversuchsreihe

Jura France: Träumerische Kulissen einer mysteriösen Geologie: Die großen Karstquellen und Kaskaden und andere idyllische Orte


Mi 23.5. Baulmes – Col de l'Aiguillon (1213m) – Auberson – Cluse de Joux – Pontarlier – Sombacour – Col des Roches-Sombacour (797m) – Ouhans – Source de la Loue – Ouhans – Mouthier-Haute-Pierre – Ornans
86 km | 12,7 km/h | 6:43 h | 965 Hm
W: 12/16 °C, sehr kühl, sehr windig
E: Pizza, Tee 10 €
Ü: C Ornans 12 €

Wieder mal ein Ort ohne Backstube. Ein Cafe hat geschlossen. Reichtum schützt vor Armut nicht, so lehrt es die Schweiz. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einfache Tätigkeiten und Produkte im Hochpreisland kaum noch rentabel sind. Entsprechend schlecht ist die Versorgungslage in ländlichen Gebieten, insbesondere im Vergleich mit dem angrenzenden, nicht weniger ländlichen französischen Jura. Ich spüre, dass ich zu wenig Wärme erhalte – von innen wie von außen. Zwar gibt es keinen Regen, aber der Tag bleibt trübe, trist und unangenehm kühl. Die Abwehrkräfte des Körpers scheinen nach dem ohnehin garstigen Frühjahr am Ende.

Gleich zu Beginn steigt die schmale Straße an, zwischen mehreren Steilpassagen gibt es kaum Erholung. Erst mit erreichen der Hochweiden fährt man moderat, schon fast flach, bis sich die Strecke wieder unauffällig im dann dichten Wald nach unten neigt. Verkehr gibt es kaum, aber natürlich wieder grandiose Landschaft. Unten ein Laub- und Mischwald, mit ein paar Kaskaden, Pilze, Blumen am Rand, unten wie oben ein paar einsame Weiler. Sogar eine Bahnlinie kreuzt man – sie verbindet Yverdon mit Ste-Croix in der Höhe. Dazu bewegt sich die Trasse in einer weiten Schleife um den Mont de Baulmes. Kein Berg ohne Bahn – auch das ist Schweiz. Wenn der Wald sich lichtet, ragen mächtige Felswände des Baulmes-Massivs empor. Mit einem krönenden Kreuz fühlt man sich noch erdrückter als der Berg ohnehin schon wirkt. Mit den Hochweiden mischt sich wieder das satte Grün mit dem leuchtenden Gelb des Löwenzahns. Ein wenig optischer Ersatz für die fehlende Sonne.

Es sei für wildnisliebende Eigenversorger erwähnt, dass es sowohl an der steilen Straße im unteren Bereich jenseits von Baulmes eine unbewirtete Schutzhütte (offene Bauweise) gibt, als auch im dichten Waldteil auf der Westseite des Col de l’Aiguillon – dort sogar mit elementaren Funktionen Bereiten und Essen von Speisen (geschlossene Bauweise). Dort nahe bei befinden sich Tannen, genauer: Riesentannen. Wie auch in Frankreich im Forêt de la Joux werden hier Tannen vermessen und die mächtigste unter ihnen zur Président d’Honneur auserkoren. Nicht zuletzt auch eine Verbeugung vor dem 1500 Jahre alten Holzhandwerk im waldreichen Jura. Der frei geschlagene Präsident der Tannen wird mit einem Umfang von 4,25 m und einer Höhe von 44 m angegeben – allerdings mit Datum 1996. Unklar, ob die Tanne danach nicht mehr gewachsen ist, oder die Dokumentation hier nicht fortgeschrieben wurde. Die Prämierung auf dem nagelneu erscheinenden Holzschild stammt allerdings frisch aus dem Jahre 2009. Wenn Tannen Präsident werden können, welche Bäume können dann Kanzler werden? verwirrt

Auch wenn es ein wenig hinunter geht, mündet man nach dem Waldabschnitt wieder auf einer Hochebene mit typischen Fichtenhainen und Juraweiden um L’Auberson herum. Je nach Himmelsrichtung lichte Hoffnung oder Hochnebeldepression. Nur unwesentlich aufwärts dann auch der Weg zur Grenze und dem Hochpunkt – allein das lebendigere Ortsleben in Les Fourgs verrät den Länderwechsel. Endlich wieder Zivilisation! grins Gleich an der Straße lädt eine Käsemanufaktur mit Spezialitäten der Region Franche-Comté ein. Ein Laib Comté hat die Größe eines Autoreifens, wiegt schlappe 48 kg, die aus 500-530 Liter Milch gewonnen werden. Erlaubt ist nur Rohmilch der rotbunten Rasse Montbéliarde, die Wiesengras nur von ausgesuchten Almen fressen dürfen. Wissenschaftler messen sogar, inwieweit die Kräuterdichte und Kräuterarten auf den Wiesen den Geschmack beeinflussen. So heißt es denn auch so schön, dass in jedem Laib Comté die Seele des französischen Jura steckt. Ein Laib scheint mir übertrieben für eine Person und eine Alurad, mir reicht eine Scheibe im Grammbereich. schmunzel

Die misstrauischen Blicke der Schweizer sind passé, stattdessen freundliches Lächeln im Land des einstigen Sonnenkönigs und ein kleines Schwätzchen ist auch noch drin. Dass die Käsefrau auch ein hübsches weibliches Wesen ist, das auch im Dirndl eine gute Figur machen würde, sage ich jetzt nur im Geheimen, sonst gilt es ja als sexistisch. zwinker verwirrt krank Trotz der sympathischen Ausstrahlung vermag sich das Wetter nicht anzupassen – trist, trübe, kalt, unfreundlich. Nach einer moderaten Abwärtsfahrt gelangt man zu der Cluse de Joux, trutzig von einer Burg mit der Handschrift von Vauban bewacht. Wo Vauban-Bauwerke, da auch meist Kerker – revolutionäre Geister wie Mirabeau und Heinrich von Kleist mussten hier Strafe absitzen – ob sie wenigstens die Aussicht genießen konnten?

Mit der Klus öffnet sich die Ebene um Pontarlier, das Zentrum der französischen Absinths und auch ein Ort des feinen Geschmacks im Alltag wie es Martin Jenni und Hans Ikenberg in ihrem Reiseführer für Schleckermäuler „Französischer & Schweizer Jura“ (Oase Verlag) hervorheben. Man genießt unauffällig, bodenständig, aber nicht exquisit oder luxuriös. Leider ist Mittagszeit und die guten Adressen halten konsequent ihre Genusspause ein. Da ich meiner aufkeimenden Bronchialreizung entgegen treten will, ergänze ich meine Käsespezialitäten mit etwas warmen Kaffee und Pommes frites aus einer bekannten amerikanischen Fastfood-Taverne. peinlich Nach dem etwas hektischen Verkehr um Pontarlier herum beginnt eine sehr ruhige, auch hügelige Route durch Wiesen-, Weide- und Waldland im Wechsel – lieblich und mit kleinen wohnlichen Orten – verschwiegen in die Nebelwolken getaucht. In Sombacour strebt ein Kreuzweg jüngeren Datums (1896-1956 gebaut) am Mont-calvaire empor. Vielleicht hätte ich hier ein paar Kreuze schlagen müssen, damit es nicht so Dicke am Ende des Tages kommen würde. verwirrt

Überraschend registriere ich auch in Ouhans noch wenig Betrieb, immerhin der nächste Ort hin zur Source de la Loue. Zu dieser eindrucksvollen Karstquelle, die sich wasserreich aus einer großen Felshöhle ergießt, führt eine idyllische Stichstraße. Dabei entstehen auf dem Rückweg ein paar zusätzliche Höhenmeter, aber nur ein kleines Stück unten nahe der Quelle ist steil. Das letzte Stück ist autofrei, die motorisierten Fahrzeuge muss man an einem Bistro mit Souvenirverkauf abstellen. Mit Rad kommt man also direkt bis zur Quelle. Die Höhle ist zwar zum Teil begehbar, allerdings ist der Zugang weiträumig abgesperrt. Möglicherweise gibt es Führungen, die wohl nicht zuletzt vom Wasserstand abhängig sind. Der Absinth ist übrigens dafür verantwortlich, dass die Versickerungen zur Loue-Quelle entdeckt wurden. Ein Teil des Wassers stammt aus dem Doubs, in dessen Lauf 1901 bei einem Brand einer Destillerie in Pontarlier ca. 1 Million Liter aus geplatzten Flaschen der Grünen Fee flossen. Ein Spaziergänger entdeckte die milchige Pastis-Farbe sowie entsprechenden Geruch und Geschmack an der Loue-Quelle. Der Nachweis gelang später einem Höhlenforscher mittels Farbstoff. Der Mythos um das Wasser aus den Höhlen und Felsen bröckelt, aber das Wunder bleibt – so sagt es das Auge.

Immerhin sind hier einige Touristen unterwegs – sicherlich ist das Wetter nicht nur dem Besucherstrom abträglich, sondern auch optischen Gesamteindruck. Hingegen sorgte das regnerische Wetter der Vortage und des Frühjahrs insgesamt für eine besonders berauschende Schüttung, was nicht nur für diese Quelle, sondern auch für alle folgenden Karstquellen und Wasserfälle gelten soll. Zwar nimmt im folgenden Loue-Tal der Verkehr etwas zu, es bleibt aber ländlich-französisch ruhig. An klassischen Ausflugstagen sollte man vielleicht mit etwas mehr Verkehr rechnen. Das obere Loue-Tal ist von malerischen, bewaldeten Kuppenbergen ebenso geprägt wie von markanten, senkrechten Felswänden, die zum Teil direkt senkrecht an die Straße reichen. Die Landschaft erinnert zuweilen an die Region Drôme. Ein schöner Wasserfall liegt noch direkt an der Straße, den man leicht bei Raserei verpassen könnte. Die Orte passen sich unauffällig ins Tal ein, an den Ufern der Loue gibt es idyllische Plätze mit vielen überhängenden Bäumen und einigen Mühlen. Mouthier-Haute-Pierre ist für seine Kirschen berühmt. Fährt man durch die Dörfer – Abstecher nach oben von der Hauptstraße abweichend lohnen! – so findet man charmante Winkel, unspektakulär, etwas für das stille Entdeckerauge.

Mit Ornans erreicht man eine kleine Talweitung der Loue, die dem Ort etwas mehr Entfaltungsraum bietet als zuvor. Aber auch hier ragen fast orgelartige Felsen oberhalb auf, einige Ortsteile thronen auf Kalkstein über dem Tal. Ornans ist bekannt für die spiegelnde Fläche der Loue, in deren Glitzerglanz die Häuser teils überhängend sich selbst betrachten – welches ist das Schönste im Städtle? Hier steht nicht große Architektur, sondern das Ensemble einfacher Häuser, die mehr an alte Mühlhäuser erinnern. Es ist die malerische Symbiose, die den Glanz der Schönheit in das schweigenden Wasser zeichnet. Leider führt hier das regenreiche Frühjahr dazu, dass die Strömung recht stark ist, der Fluss leicht aufgewühlt, von Erde dumpf gewaschen und so der Spiegel nicht so glanzvoll wie auf Postkarten zu sehen. Es scheint wiederum schicksalhaft, dass in diesem malerischen Städtchen 1819 auch ein bedeutender Maler das Licht der Welt erblickte. Gustave Courbet begründete den neuen französischen Realismus und setzte seiner Heimatregion zahlreiche romantische Denkmäler auf Leinwand.

Der Camping befindet sich außerhalb, flussabwärts auf dem linken Flussufer – dort auch nicht am Fluss, sondern etwas zurück am Hang. Ein kleines Bistro bietet nicht viel, eine Pizza bekommt man schon. Natürlich wäre ich eigentlich gerne in den Ort zum Essen gefahren, denn es gibt schöne Plätze zum Speisen. Doch ich kann hier dem Leser nicht ersparen, eine unschöne Entwicklung auf der Reise zu erwähnen, die mich an einen Tourabbruch hätte bringen können.

Die Erkältung, die sich spätestens seit der Nacht am Lac Taillères ankündigte, hatte längst vom Körper Besitz ergriffen. An diesem Tag überfiel mich übler Husten, die Glieder ermatteten, kaum eine Anstrengung, die nicht meinen Brustkorb über die rebellierenden Bronchien erschütterte. Noch vor Ornans fand ich gerade noch vor Betriebschluss eine Apotheke und suchte nach einem Gegenmittel. Doch die ersehnte Linderung machte erst recht krank. Ich erhielt ein scheinbar harmloses Hustenbrausepulver, das sogar spontan wirken sollte. Allerdings mit erheblichen Begleiterscheinungen. Nur einmal geschluckt, musste ich in Ornans die im Campingbistro bestellte Pizza wieder zurückgehen lassen, litt an Kopfschmerzen, Fieber und Übelkeit. Noch im Irrglauben, dass Übelkeit und Fieber der Erkältung zuzuschreiben seien, nahm ich noch eine zweite Dosis des Giftpulvers. Danach musste ich mich später mehrfach übergeben, die Nacht wurde zur Hölle. krank Mancher Campinggast mag gedacht haben, dass liebestolle Haremsplatzhirsche Brunftzeit halten – ich hatte ja eigentlich gar nichts zu erbrechen, da nichts gegessen. Als ich das letzte Mal solche Geräusche gehört hatte, war ich in Pompeji als der Vesuv ausbrach. unsicher Mein Körper spürte das Beben, ich zitterte und musste mich zuweilen am Zaun festklammern. Tatsächlich konnte ich später recherchieren, dass das Hustenbrausepulver „gelegentlich“ allergische Magen-Darmreaktionen mit Erbrechen und Fieber hervorrufen kann. Unglaublich, welche Gifte die Pharmaindustrie (Sandoz) in den Handel bringen darf. böse

Do 24.5. Ornans – Cléron – Amancey – Source du Lison – Pont du Diable – Cernans
50 km | 12,0 km/h | 4:09 h | 760 Hm
W: bis ~25 °C, sonnig, windig, später kühl
E: SV, mit Tee in Bar
Ü: C wild 0 €

Gegen die physische Schwäche versuchte ich mit wenig Schokolade (sehr gute Patisserie in Ornans!) und etwas Joghurt anzukämpfen. Es dauerte schon fast bis Mittag, bevor ich überhaupt mich aufs Rad traute um Ornans zu verlassen (und nicht zum Camping zurückzufahren, um den Tag zu verschlafen). Der Kopf aber schwirrte weiter, ich musste mich taumelig niederlegen auf einer Wiese an der ruhig dahin fließenden Loue, fing mir zunächst unbemerkt dabei eine Zecke ein. Ich fuhr fast ohne Kraft am Abend noch ein Stück zur Lison-Quelle und ein bisschen weiter. Im einem weitgehend verlassenen Ort fand ich nur eine Kneipe für einen Tee, etwas Käsevorrat aus meiner Tasche appetitlos dazu. Kann man so weitermachen?

Ungeachtet der körperlichen Leiden sei zunächst fortgefahren mit dem, was ich noch an diesem Tage gesehen habe. Die Loue ist nun schweigende Flussidylle, hügelige Wiesen und Weiden verhindern aber ein zu breites Tal. Am Ufer zu Cléron steht dann ein Märchenschloss – eigentlich eine mittelalterliche Burg, aber gut renoviert. Erst am späten Nachmittag konnte ich mich an der Loue aufraffen, wich der Schwindel, das Fieber, doch war ich ausgehungert – Mittagspause dann zur Sandmännchenzeit. Von der Loue geht es weitgehend aufwärts, aber mit Zwischentalmulden, die Steigungen bleiben aber moderat.

Vor der Lison-Quelle liegt noch ein romantisches Örtchen, Nans-Ste-Anne. Die örtliche Gîte hat entgegen der Ausschreibung keine Gastronomie – sonst hätte ich vielleicht hier den Tag beendet. So kämpfe ich mich weiter bergan, wieder liegt die Quelle am Ende einer Stichstraße, die allerdings keinerlei Steigungsspitzen enthält. An der Lison-Quelle gibt es keinerlei Infrastruktur, also weniger „kommerziell“ als die Loue-Quelle. Zur Not könnte man auf dem harten Parkplatz ein Zelt aufstellen (ein Caravan hatte sich dort zur Nacht platziert). Die Wasseradern der Lison-Quelle liegen oberhalb im Forêt de la Joux, wo sich schon besagte Riesentannen befinden. Die Höhle ist ähnlich der Loue, kann auch bei Niedrigwasser teils begangen werden, der Weg dorthin ist aber offiziell gesperrt und müsste überklettert werden (klitschig!). Die dahinsprudelnde Loue liegt hier unter einem großen, lichten Blätterdach – schattiges Picknick im Hochsommer möglich.

Zurück auf der Straße nach Crouzet-Migette ist Steigung etwas kräftiger. Auch hier herrscht ebenso wie Ste-Anne bäuerliche Einsamkeit mit ein paar Höfen und Häusern ohne Gastronomie. Die Teufelsbrücke zwischendrin lässt von der Straße nicht betrachten, man müsste dazu die Straße per Fußpfade verlassen. Doch die aufkommende Dämmerung drängt mich weiterzufahren, etwas Warmes wäre wichtig gegen die Erkältung, für das Wohlbefinden. So erreiche ich im Dunkeln noch die trostlose Bar, immer noch schwach – wird es morgen Linderung geben?

Fr 25.5. Cernans – Salins-les-Bains – D94/D107 (555m) – Arbois – Les Planches-près-Arbois/Cascade des Tufs – Belvedère Cirque du Fer à Cheval – Montrond – St-Germain-en-Montagne – Nozeroy – Conte – Source de l'Ain – Conte – Sirod – - Perte de l'Ain (Wanderung ~ 30 Min.) – Syam – Cascade de Billaudelle – Tépette – Lac de Maclu – Lac de Narlay – llay/Lac d'Ilay
95 km | 12,8 km/h | 7:20 h | 1220 Hm
W: bis ~25 °C, sonnig, windig
E: Salade Comtoise, Forelle in Cremesauce, Gem., Reis, Rw, Crème brulée, Cafe 30,20 €
Ü: H Auberge du Hérisson 45 € o.Fr.

Morgens ward es noch kalt, die Sonne aber läutete einen schönen Tag ein. Salins-les-Bains, die alte Salzstadt – Salz, das Gold in früheren Zeiten – liegt gut bewacht unter zwei Festungsanlagen – jetzt noch im Schatten. Einst durchfuhr ich den Ort unter dunklen Wolken bei fast unerträglicher Schwüle bei 33 °C. Trotz kalter Finger heute und noch ohne Frühstück zwinge ich mich noch über den nächsten Hügel nach Arbois – eigentlich mal als Etappenziel geplant, mittlerweile aber mit über einem Tag Verspätung erst erreicht. Man fährt sehr schöne über grüne Weiden, kommt in einen Wald und fährt dann durch Mesnay nach Arbois über ein liebliches Tal ein. Um mich nicht weiter zu verzetteln, hatte ich einen schöneren Umweg ausgeschlagen, deswegen sei ergänzt, dass man über die D54 (statt D 107) kehrenreicher und mit Blick auf die Weinberge von Arbois noch schöner fahren kann.

Arbois entpuppt sich sogleich als Ort für Geschmack und Genuss. Gleich am Ortseingang locken Weindegustation und Essigspezialitäten. Schon französische Könige schätzten die jurassischen Weine – etwa der vin jaune, in Nusstönen aus der Savagnintraube gekeltert, mindestens sechs Jahre in einem Eichenfass gereift und von einer speziellen Schicht aus Hefepilzen geschützt ist. Er übersteht spielend 100 Jahre. Andere typische Weine aus der Region sind fruchtig-leichte Crémants, seltene rote Troussard- und Poulsardweine von uralten Weinhügeln bei Arbois, Vin de Paile – eine Trockenbeerenauslese, Pinot Noirs und Chardonnays. Eine Reblaus im 19. Jahrhundert führte dazu, dass die jurassischen Weine zu einer fast vergessenen Nischenproduktion in Frankreich reduziert wurde. Mitten im Stadtzentrum mit kleinen Arkaden dann Brotspezialitäten, ausgewählte Käse, vieles mehr und die feine Patisserie Hirsinger – ausgezeichnet als eine der besten des süßen Handwerks in ganz Frankreich. Pflichttermin für den Autor schmunzel - auch ein Trostpflästerchen für die Leiden der vergangenen Tage. Im Ort finden sich überall schöne Ecken, lauschige Plätze an der Cuissance mit alten Mühlen, Speiseterrassen, eine stadtprägende Kathedrale, in der sogar im Sommer ein gewichtiges Orgelfestival stattfindet. Plakate verraten, dass Kunst und Kultur einen dauerhaften Platz im Stadtleben haben. Wer der Medizin zugewandt sein sollte, wird sich dem Museum von Louis Pasteur widmen wollen, der hier aufwuchs und forschte.

Es geht weiter auf kleiner Straße, linkes Cuissance-Ufer in die Reculée des Planches – ein gestufter Taleinschnitt, dessen schroffes, kantiges Ende man später nach Auffahrt als Cirque du Fer à Cheval von oben gut betrachten kann. Bei einem Hotel nach Les-Planches-près-Arbois (Durchgang erlaubt) findet sich ein wild schäumender Wasserfall nebst alter Mühle – für Picknick geeignet. Man fährt nun aber noch die Stichstraße (Piste) zu Ende, um zu einem der großartigsten Wasserfälle im Jura zu gelangen. Als große Böge, teils von bemoosten Stufen unterbrochen, ergießen sich unter leuchtendem Blattgrün die sprießenden Quellschweife der Cuissance in ein urig umwurzeltes Becken, aus dem das Wasser sodann über kleine Steinstufen weiter hinunter ins Tal getragen wird. Hinter der Cascade des Tufs aux Planches-près-Arbois befindet sich noch eine begehbare Quellhöhle, die ich aber nicht aufgesucht habe. (Ein Weg dahin zweigt wenig unterhalb des Wasserfalls von der Piste ab.) Gerade bei den bemoosten Wasserfällen wäre es von Vorteil, wenn die Schüttung etwas geringer wäre als zu diesem Zeitpunkt vorgefunden, weil dann mit mehr Grün zwischen dem Weiß des stäubenden Wassers das Farbspiel noch abwechslungsreicher wäre.

In Les-Planches geht es kurz steil hinauf zur D 469, von der man nun besagtes Talkesselpanorama genießen kann. Es folgt eher unauffälliger Wald (Grotte kann besucht werden), später Wiesen und Weiden. Nach dem Zwischenspiel auf der N 5, folgt bei St-Germain eine ansprechende, aber auch ansteigende Waldpassage. Bei Mournon entfaltet sich dann ein weites Hügelpanorama mit Weiden, Wiesen und Auenlandschaft, fern bereits schon Nozeroy auf einem Hügel zu erkennen. Das mittelalterliche Nozeroy darf man getrost noch als Geheimtipp bezeichnen, abseits der Hauptwege ruhig gelegen, das Ambiente nicht spektakulär, aber einladend, wenige, aber ausreichendes Verpflegungsangebot (dabei auch Gastronomie mittelalterliches Ambiente) und ein liebliches Hügelpanorama, das zur gegeben Zeit auch Blütenbäume einschließt. Auch ein Souvenirladen mit kunsthandwerklich ansprechenden Arbeiten findet sich. Typisch etwa sind Holzarbeiten aus den Jurawäldern, von praktischen Käseschachteln, über Tabakpfeifen, einfallsreichen Spielen und Spielzeug bis zu Musikflöten. Ich finde sogar Holzschatullen als Notizblock mit Fahrradmotiv und eine farbenfroh-schmucke Liebeserklärung zum Fahrrad – ergänzt von den geschriebenen Ansichten eines 9-jährigen Kevin. Sinngemäß heißt es da, wenn er Zeit habe zu radeln, fühle er sich glücklich, von niemanden gestört. Radelt man, sei man frei wie ein Vogel und nur wer frei sei, könne auch glücklich sein. bravo „Der Vogel muss frei sein“, so sagte es auch der Jazzklarinettist Rolf Kühn einmal. Rousseau hätte es kaum besser formulieren können. Ob Kevin die Bachstelze vom Lac Taillères ist? unsicher

Der zweitgrößte Jurafluss, der Ain, entspringt als Quelltopf nur unweit von Nozeroy, eine kleine Hügelfahrt liegt dazwischen. Will man auch die Versickerungsstelle sehen, gibt es eine weitere Stichstraße oberhalb, von der aus man dann zum Quelltopf eher matschig bis rutschig hinunter wandern kann. Der Quelltopf ist aber ebenso über eine Stichstraße (abschließend kleiner Fußweg) zu erreichen. Hier sprudelt nichts, nur ein glatter Wasserspiegel zeigt die Wiedererscheinung des Ain an. Umliegend tropft weiteres Wasser von Steinen, die Stille im dunklen Wald ist mystisch. Schnell nimmt der Ain Fahrt auf, rauscht in kleinen Stromschnellen zu Tal, gräbt sich tiefer ein, zunehmend schlechter von der Straße einzusehen.

Nochmal wechseln die Landschaftsmotive, nach einem kleinen Felstunnel verzweigt die Straße nach Richtung Champagnole oder Richtung Perte de l’Ain. Die Perte de l’Ain ist ein Engstelle der Ain, eine Klamm, an der mehrere kleine Wasserfälle bewandert werden können, teils über Stege und Stiegen, aber auch auf einem Wanderpfad. Man erhält über die Kaskaden hinaus einen Eindruck der eigentümlichen Botanik und Landschaft, kann die geheimnisvolle Atmosphäre des verschlungenen Flusses mit allen Sinnen erfahren. Infotafeln erklären die geologischen Hintergründe. Für einen kompletten Rundgang braucht man ungefähr 90 Minuten, ich bin nur im vorderen Bereich ein paar Kaskaden abgewandert. Ideal natürlich zur Rast und wohl auch Badeplätze weiter oben zu finden.

Über Syam erreicht man eine weitere Talsohle, aus der es zur 4-Seen-Ebene bei Ilay hinauf geht. Schluchteinblicke mit weiteren Wasserfallserien (Cascade de la Bidauelle) begleiten die Fahrt, auch per Treppen von der Straße aus näher zu erkunden. Erreicht man Le Pont de la Chaux (nahe bei Camping), führt die Straße zu den Lacs de Maclu (kleiner und großer See) nochmal weiter hoch – allerdings nur noch sehr moderat. An den Ostufern lassen sich die Seen auch abwandern oder beradeln – man muss aber mit Pfützen und auch mal umgefallenen Bäumen rechnen. Offiziell verboten, werden sie gerne auch zum Baden oder Grillen benutzt. Wenig weiter liegt zur rechten Hand der Lac de Narlay, mehr in einer Mulde und so auch weniger idyllisch als die Lacs de Maclu und der Lac d’Ilay, die geradezu eben zur Straße sind. Die Zufahrt zum Lac de Narlay erfolgt von Le Frasnois, ein Camping liegt unten am See. Vermutlich gibt es aber dort keine Gastronomie. Entsprechend fahre ich noch weiter bis Ilay, wo an der Kreuzung ein strategisch geschickt gelegenes Gasthaus die Touristen oberhalb der Cascades du Hérisson abfängt (eine Gîte liegt auch im Ort, weiteres Gasthaus wohl in der Nähe an der D 39). Laut Aussage der Gastwirtin in der Auberge du Hérisson war/ist (vermutlich nur Sommer?) der Camping in Bonlieu geschlossen.

Irgendwie stand ich den Tag gut durch, konnte in Nozeroy auch wieder herbe Nahrung zu mir nehmen. Vom kraftvollen Zubeißen war ich aber noch entfernt. Ausgerechnet bei der verführerisch schmackhaften Forelle in Zwiebelcremesauce (ein kulinarisches Gedicht!) bekam ich wieder Probleme mit Übelkeit und Fieber. Wieder eine kalte Zeltnacht? – Vielleicht kollabiert dann mein Immunsystem endgültig? Ich entdeckte nun auch die bereits weit gewanderte Zecke, konnte sie aber zunächst nicht entfernen. Es wurde in mir sehr düster. Nach schwierigen Verhandlungen im Hotel nahm ich schließlich das Zimmer zum reduzierten, aber immer noch nicht unbedingt günstigen Preis (45 € ohne Frühstück). In der Ruhe konnte ich schließlich auch die Zecke am Rücken herausfischen und schlief nach warmer Dusche traumhaft. Der Luxus, der nach Lesart des gemeinen Normalverdieners eigentlich gar kein Luxus war, zahlte sich aus: Ich stand am nächsten Morgen wieder fest auf den Füßen, die Erkältung hatte sich aufgelöst und ich konnte den Rest der Reise genießen – mal von einem Gewitterintermezzo abgesehen. Ich kann es nur empfehlen: Wenn ihr am Boden seid, nehmt ein paar Goldtaler in die Hand und lasst es euch gut gehen. Den Tod in Armut könnt ihr immer noch nachholen.

Sa 26.5. llay – St-Laurent-en-Grandvaux – Col de la Savine (984m) – Morbier – Lac des Mortes (1104m) – Combe des Cives (1140m) – Chaux-Neuve – Mouthe – Source du Doubs – Route forestière Source du Doubs/Chez Renaud (sommet: 1190m) – D389 – Landoz-Neuve (1260m) – Le Pont
77 km | 12,3 km/h | 6:13 h | 1055 Hm
W: 14/20/12 °C, bis mittags sonnig, dann stark bew., starkes Hagelgewitter, windig, abends wieder heiter
B: Exkursion Cascades du Hérisson (~4 h) 0 €
E (Rest. Du Lac): Melonen m. Schinken, Rinderfilet m. Morchelsauce, PF, Rw, Erdbeertört., Cafe 52,50 €
Ü C wild 0 €

Der erste Tagesteil war radlos. Ich erkundete die Cascades du Hérisson per pedes. Von den insgesamt sieben Wasserfällen kannte ich aus meiner 2004er-Reise nur den höchsten und untersten (Cascade de l’Éventail, 65 m). Für die Exkursion ab und wieder auf zurück sollte man 3-4 Stunden einplanen. Leider hatte ich mein Stativ vergessen, sodass ich nicht ganz die gewünschten Fotos machen konnte. Immerhin zeigt sich auch mal eine Wasseramsel zum Porträtshooting – und wollte nicht mal ein Honorar. schmunzel Vorteilhaft sind frühe Morgen- oder späte Abendstunden, da zumindest an Wochenenden und zu Ferienzeiten tagsüber starker Andrang herrscht. Etwa nach dem ersten oberen Drittel gibt es ein Bistro (nur über Tag geöffnet), zu dem man auch per steile Forststraße von Bonlieu gelangen kann. Am unteren Ende findet sich nach ein Maison des Cascades, in dem man gegen kleinen Eintritt noch weiter Informationen erhält (nicht genutzt). Sehr idyllisch ist auch die Anfahrt von unten, wenn etwa in Doucier bzw. am Lac du Chalain Station machen sollte.

Zum Col de la Savine (St-Laurent) hat man zwei Anstiege zu bewältigen, dazwischen liegt wiederum eine Moorweidelandschaft. St-Laurent liegt auf einer Hochebenen, ist ohne besonderen Reiz. Mit dem Col de la Savine ändert sich alsbald die Landschaft, rauscht flott in eine schluchtartiges Tal, das recht schattig ist – im Winter wahrscheinlich ohne Sonne. Mit dem Col de la Savine verdunkelte sich zudem der Himmel, dass ich mich in Morbier fast erdrückt fühlte. Ich denke: „Morbierkäse enthält eine Schicht Pflanzenasche – Zufall oder Fügung? Noch in den in den Villenbereichen außerhalb Morbiers wartete ich erste Regentropfen ab, fürchtete ein erschlagendes Gewitter auf der Hochebene. Oben war es jetzt noch dunkler als unten. Einige Rennradler schienen hingegen unbekümmert.

Auf der Hochebene geht es in weiten Schwüngen immer etwas auf und ab. Die kleinen Seen auf der Strecke sind gar nicht einsehbar. Landschaftlich bleibt die Strecke bescheiden. Kurz vor der letzten Erhebung bei Cernois erwischt mich dann das Gewitter. Gerade eben habe ich Glück, unter dem Dach eines verlassenen Hofes unterstehen zu können. In wenigen Minuten entwickelt sich ein Wolkenbruch, Hagel trommelt auf Dach und Straße, der Wind treibt Sprühwasser auch in die Unterstellecke. Fast droht es in einen heftigen Dauerregen überzugehen. Andere Reiseradler kommen vorbei – ein Paar sucht gegenüber Schutz, später zieht ein Tross unbeeindruckt durch die Gicht. Es geht weit über eine Stunde ins Land, aber immerhin endet das Teufelsgewitter.

In Mouthe ist es sogar wieder ein wenig heiter. Die Quelle des Doubs ist recht gut erreichbar, zu Füßen liegen auch ein Campingplatz und eine Gîte, Selbstversorger sind im Vorteil. Die Source du Doubs ist dann wieder unscheinbar, weder Wasserfall noch Quelltopf, nur ein Ausfluss aus dem Fels, das Rauschen stammt von einer künstlichen Fallstufe. Nun folgt eine Forststraße, die steil ansteigt und sich über die Doubs-Quelle erhebt. Im dichten Nadelwald verzweigt sich die Forststraße, ist nicht mehr ausgeschildert. Leider verfahre ich mich einmal, gelange in eine morastige Sackgasse. Sogar müsste der Waldweg zur gewünschten Straße führen, ist aber definitiv nicht mehr fahrbar. Auch zu Fuß droht man im Schlick stecken zu bleiben. Hat man den richtigen Riecher – also in meinem Fall beim zweiten Versuch –, kann man auf Asphalt auf die D 389 gelangen, spart so die Rückfahrt nach Mouthe und einen weiten Bogen um den Quellberg des Doubs. Die Steigung ist hier sehr moderat, aber die Strecke zieht sich entsprechend lang bis zur Passhöhe.

Als ich den Lac de Joux und Le Pont erreiche, ist es bereits dunkel. In Le Pont im Restaurant du Lac herrscht noch gute Stimmung, noch keine Spur von Feierabend. Mein Menü steigt im Ranking des teuersten Essens auf Radreisen zur Nummer 1 auf, die 50 Euro vom Abschiedsessen meiner großen Italienreise im Jahre 2006 in einem Fischrestaurant zu Catania wird hier knapp übertroffen – mit Trinkgeld wahrscheinlich nicht – damals war ich noch großzügiger. schmunzel (Hinweis: Die Zimmerpreise sind für Schweizer Verhältnisse äußerst moderat) Doch ist jeder Bissen hier das Geld wert – nicht nur weil ausgesprochen gut, sondern auch weil ich nach drei Abenden mit Übelkeit und Appetitlosigkeit endlich wieder genussvoll mit großer Lust zuschlagen kann. Ich empfinde wie eine Wiedergeburt – ein „résurgence“ (Wiedererscheinen) des Geschmacksgeistes könnte man in Anlehnung der Karstquelleneindrücke auch formulieren. Für das Gefühl hätte ich vielleicht sogar das Doppelte ausgegeben – der Essensgenuss ist ein großes Geschenk – wenn nicht ein Gottesgeschenk, dann ein Erdengeschenk. Im Rousseau’schen Sinne eine Sache des natürlichen und guten Gewissens. Ich sage Erntedank – und das im Mai! wein

Bildergalerie Teil 3 (190 Fotos):



Die letzte Prüfung folgt