Re: Von Wernigerode nach Nürnberg

von: Radschabe

Re: Von Wernigerode nach Nürnberg - 12.07.13 18:18

02.Juni, Tag 14
151 km nach Castillon-la-Bataille

Eigentlich will ich nach dem langen Vortag ein bisschen länger schlafen. Aber schon kurz nach 7 Uhr herrscht da, wo ich am Vorabend noch alleine mein Abendmahl genießen konnte, ein buntes Treiben. Angler treffen sich zum Frühstück. Offenbar ist hier ein kleines Wettangeln geplant. So war ich dann doch wieder zeitig auf dem Rad, plante aber auch etwas kürzer zu treten. Es war schließlich Sonntag und die Beine nicht die frischesten. Einmal mehr radelte ich bei allerbestem warmen Wetter gen Süden. Die kleinen giftigen Wellen durften genauso wenig fehlen wie der Rückenwind. Bei den ersten beiden Anstiegen hat die Optik schon fast Mittelgebirgscharakter, obwohl ich kaum über 250 Meter über dem Meeresspiegel hinauskomme. Am Morgen kreuze ich noch eine Radsportveranstaltung. Ansonsten sind auch heute Radfahrer Mangelware im Straßenbild. Am Nachmittag habe ich etwas Motivationsprobleme. Eine Mittagspause im Schatten und ruhige, aber schöne Landstraßen lösen das Problem. Was auf dieser Etappe besonders auffällt, sind die unentwegt bellenden Hunde an den Zäunen. Den ganzen Tag von früh bis spät. Einige flippten dabei regelrecht aus. Ein besonders kleines Exemplar rannte mir ein ganzes Stück hinterher. Der Besitzer hatte seine liebe Mühe den Kleinen unter Kontrolle zu bringen. Je weiter ich gen Süden vordrang, desto roter wurden die Kirschen. Zunächst musste ich mich damit begnügen, Leuten in ihrem Garten beim Pflücken zuzuschauen. Aber auch meine Stunde sollte heute noch schlagen. Es gibt nichts Schöneres, als im Sommer auf Radtouren Kirschen abzustauben. So ging es gut gelaunt Richtung Zeltplatz, den mein Navi anbot. Endlich mal wieder einer, der genau auf meinem Track lag. Aber einmal mehr hatte ich Pech. Hier hatte eine Frau das Grundstück gekauft und erklärte mir, dass es nun ihr Garten war. So ging es noch ein ganzes Stück weiter in Richtung Westen und die Etappe war doch wieder länger als gedacht. Aber OK, der nun gefundene Zeltplatz war klein und lag schön am Wasser. Außerdem lernte ich hier einen englischen Rennradfahrer mit Zelt kennen. Er hatte super leichtes Equipment und nur eine kleine Tasche auf dem Gepäckträger. Allerdings berichtete er auch, dass er wegen der Kälte der vergangenen Wochen meistens im Hotel schlafen musste. Seine Reiseausstattung war im Prinzip genau das Gegenteil von meiner. Ich erzählte ihm von meinen Plänen. Er konnte nicht verstehen, woher man 5 Wochen Zeit für so eine Reise bekommt? Für ihn endete morgen sein Urlaub, meiner ging in dritte Woche.

















3.Juni, Tag 15
217 km nach Lescar bei Pau

Nach dem Fastruhetag gestern wollte ich es heute noch mal ordentlich Krachen lassen und irgendwie in die Nähe von Pau kommen. Am Morgen schaute ich mir nochmal das eine oder andere Teil vom Engländer an. Gerade die Luftmatratze wirkte auf mich eher unbequem. Er war aber damit recht zufrieden. Nach einem „Good bye“ ging es auf zunächst welligem Terrain mäßig schnell voran. Immer wieder türmten sich 100 Meter Hügel zu wahren Bremsklötzern auf. Am Canal Lateral a la Garonne treffe ich ein älteres australisches Paar. Dass sie aus Australien kommen, ist auf Grund der starken Beflaggung nicht zu übersehen. Ein kurzer Plausch, ein schnelles Foto und weiter geht es. Da ich den Kanal nur 3 km entlang fahre, war es schon großes Glück hier jemanden getroffen zu haben. Denn für mich geht es wenig später auf Routen weiter, wo man bestimmt nicht so oft Reiseradler trifft. Ab Bazas nutze ich die großen Straßen parallel zur Autobahn in Richtung Pau. Ich habe fetten Rückenwind, allerdings auch wenig Schatten. Dennoch bereitet mir das schnelle vorankommen gute Laune. Die Route führt auch durch ein Gebiet von etwa 30 km, wo immer wieder Tiefflieger ihre Bahnen ziehen. Der Verkehr ist nicht sehr hoch und teilweise kann ich auf einem breiten Standstreifen völlig problemlos dahinradeln. Klar, für Feinschmecker ist die Strecke sicher nichts, aber heute einfach mal zweckmäßig. In einem Ort brauche ich Getränkenachschub. Ich warte ein paar Minuten, bis die Mittagspause vorbei sein soll. Aber auch dann tut sich nichts. Gerade heute will ich doch keine Zeit verschenken. Genervt radle ich weiter. Zum Glück gibt es wenig später noch einen richtig großen Markt. Es ist auch heute so ein Tag, an dem man wegen der Hitze gerne mal die Minuten im kühlen Markt genießt. Aber dann heißt es wieder „Kette rechts“. Auch am frühen Abend brennt gnadenlos die Sonne. Trotz der hohen Temperaturen fahre ich langärmlig. Ich bin erstaunt, wie viele Flachstücke es heute gibt. Erst kurz vor Pau kommen noch mal richtige Rampen mit teilweise 10 %. An der letzten Kuppe erblicke ich zum ersten Mal die Pyrenäen. Was für ein schöner Anblick, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch extrem weit entfernt sind. Kurz nach 20 Uhr bin ich Pau und der Tag wäre perfekt gewesen, wenn da nicht das leidige Thema mit den Zeltplätzen wäre. Dieses Mal sind es gleich 2 Zeltplätze, die es so in der Form nicht mehr gibt. So gibt es einen ordentlichen Zuschlag an Kilometern. Erst mit Einbruch der Dunkelheit erreiche ich meinen Schlafplatz. Schnell noch Essen und Tee gekocht, das alles bei Taschenlampenlicht. Puh, morgen wird aber definitiv ausgeschlafen.