Re: Von Wernigerode nach Nürnberg

von: Radschabe

Re: Von Wernigerode nach Nürnberg - 12.07.13 19:28

14.Juni, Tag 26
91 km nach Saint-Blaise bei Briancon

Ich schlafe schlecht, eigentlich fast gar nicht. Zunächst schallt eine Kilometerweit entfernte Disco über den See. Und dann muss ich noch dem nächtlichen Treiben eines holländischen Liebespärchens im Zelt nebenan lauschen. Das war nun der Preis, den ich für meinen schönen Zeltstandort zahlen musste. Da ich selber ja nun auch schon wieder 2 Jahre alleine durchs Leben gehen muss, machen mich diese Stunden alleine im Zelt ziemlich depressiv. Am Morgen ist meine Laune am absoluten Tiefpunkt angekommen. Es dauert schon etliche Kilometer, um den Kopf wieder frei zu bekommen, was eigentlich schade ist, denn so schlecht ist die Etappe ja gar nicht. Anders als geplant, mache ich einen Abstecher zum Col d'Izoard und nehme so den schwierigeren Weg nach Briancon und verlängere meinen Aufenthalt in Frankreich noch um einen Tag. Ich kriege einfach nicht genug von diesem tollen Land. Unten ist der Weg zum Pass fast eben und einmal mehr gibt es viele spektakuläre Landschaften zu sehen. Nach 15 km ist dann Schluss mit lustig. Es wird nun immer steiler, so dass auch die Rennradler ordentlich beißen müssen. Immerhin ist es jetzt nicht mehr so warm und auch die Wolken sind nicht zu meinem Nachteil. Ich muss zwar ordentlich kämpfen, viele Motorradfahrer ertragen, werde aber einmal mehr mit einer unglaublichen Landschaft belohnt. Als ich die Casse Deserte oder auch zerhackte Wüste erreiche, scheint die Zeit wirklich für einen Moment still zu stehen. Ein paar Höhenmeter muss ich von hier aus noch bis zum Pass treten. Es ist nun spürbar kälter, aber es bleibt zum Glück trocken. Lange bleibe ich nicht oben und bin so recht zeitig auf dem Zeltplatz bei Briancon. Nach einem halben Liter Tiramisu - Eiscreme ist dann auch die Laune wieder viel besser. Jetzt habe ich auch wieder meine Ruhe und genieße den letzten Abend in den französischen Alpen bei extrem süßem Minztee. Was sonst?!




















































15.Juni, Tag 27
143 km nach Caselette

Kurz vor dem Schlafengehen zog noch ein kleiner Schauer über den Campingplatz. Die Bedingungen zum Schlafen waren dadurch perfekt. Gut ausgeruht mache ich mich früh auf den Weg nach Italien. Der Verkehr am Col de Montgenèvre ist schon deutlich stärker als am Vortag. Da sich aber die Höhenmeter in Grenzen halten und auch die Temperaturen erträglich sind, komme ich hier schnell hinüber und erreiche Italien. Nach der folgenden Abfahrt befinde ich mich sofort im Anstieg nach Sestriere. Ich zögere ein paar Minuten. Will ich mir das in der Mittagshitze antun oder lieber entlang der Autobahn radeln? Ich entscheide mich doch für Sestriere und das sollte sich lohnen. Okay, ich lerne gleich mal den Umgang der italienischen Motorradfahrer mit solchen Pässen, auf denen die Straße meist schön gerade verläuft, kennen. Ich wähne mich beinahe auf einer Rennstrecke. Nerven Motorradfahrer in Frankreich schon gewaltig, ist es hier einfach ätzend. Dann kommen aber von hinten 3 Rennradler heran. Von weitem höre ich es schon: „Bravissimo!“ Sie sind ziemlich beeindruckt von meiner Leistung und wir verabreden uns oben am Pass zu einem Foto. Es dauert noch ein bisschen, bis ich oben bin. Aber geduldig warten sie auf mich, begutachten genau mein Velo und wir machen natürlich das Foto. Für mich begann nun ein wirklich schöner Teil des Tages. Etwa 70 km ging es nun fast bergab. Ich genieße die Landschaft in vollen Zügen, aber irgendwann verschwinden die Berge rechts und links aus dem Blickfeld. Damit habe ich tatsächlich die Alpen zum ersten Mal überquert. Ich komme gut Richtung Turin voran. Aber was ist das? Mein Navi kennt hier keinen Zeltplatz. Im Schnellrestaurant mache ich mich auf die Suche und werde fündig. Allerdings muss ich viele Kilometer in die falsche Richtung radeln. Zudem ist der Verkehr jetzt richtig schlimm. Es ist Samstagabend und ich komme mir vor, als wäre gerade überall Rush Hour. In Caselette auf dem Zeltplatz treffe ich Ulli aus dem Schwabenland. Er ist auch gerade angekommen. Am Abend reden wir
noch lange über viele Pässe. Beim Glandon sind wir uns einig, der ist so mit die härteste Prüfung. Er kennt sie fast alle, weil er sie schon seit 30 Jahren beradelt. Krasser Typ, so will ich auch mal werden. Zum Schlafen kommt man heute recht spät. Bis etwa Mitternacht ist es in der Umgebung sehr laut. Ulli hat so seine Erfahrungen mit Italien und meint, am Samstag ist das normal.