Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013

von: Tom72

Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013 - 06.10.13 21:45



Prolog

Auf den längeren Radreisen der letzten Jahre (jeweils zwei bis drei Wochen) war ich immer in Frankreich und Spanien unterwegs (oft auch in Kombination). Die von Dresden aus „vor der Haustür“ liegenden östlichen Nachbarländer habe ich dabei sträflich vernachlässigt und war dort jeweils maximal vier Tage (entlang von Elbe und Moldau von Dresden nach Prag drei Tage, entlang der Donau von Wien nach Budapest vier Tage, von Dresden nach Breslau drei Tage, von Berlin nach Rügen mit einem Tag in Stettin sechs Tage, und von Dresden ins Riesengebirge drei Tage).

Ich hatte nun zehn Tage zur Verfügung. Da bot es sich an, einmal Polen etwas länger zu erkunden. Ziel Danzig. Aufgrund der knappen Zeit war die direkte Route vorgegeben: Über Poznań (Posen) und Torun (Thorn), Malbork (Marienburg) mit Besichtigung der Ordensburg. Die bekannten Radwanderwege in Polen (Oder/Neiße-Radweg, Ostseeküstenradweg oder R1) kamen somit, da sie erhebliche Umwege bedeutet hätten, nicht in Betracht. Aber ich mache ohnehin lieber „mein eigenes Ding“. Einen weiteren Vorteil hatte die direkte Route: Als Hobby betreibe ich Genealogie, und die Strecke würde mir Gelegenheit bieten, zahlreiche Orte anzusehen, in denen Vorfahren von mir im 19. Jahrhundert, teilweise bis zum Ersten Weltkrieg, gelebt hatten.

Ich habe also neun Fahrtage plus die einen ganzen Tag in Anspruch nehmende Rückfahrt mit dem Zug. Leider würde ich über weite Strecken große Hauptstraßen nehmen müssen mit wahrscheinlich entsprechendem Verkehrsaufkommen, da der Zeitplan es nicht zuließ, die Tour komplett über kleine Sträßchen mit entsprechend längerer Gesamtstrecke zu planen. Trotzdem war die Strecke für die neun zur Verfügung stehenden Tage recht ambitioniert, weswegen ich von vorneherein zwei „Sollbruchstellen“ eingeplant hatte, d. h. kurze Strecken, die ich mit der Bahn zurückzulegen gedachte.

Für die Rückfahrt habe ich einen Fahrradstellplatz im Berlin-Warschau-Express von Poznań (Posen) nach Berlin und im Intercity von Berlin nach Dresden reserviert. Von Danzig bis Poznań werde ich mit einmal Umsteigen mit reservierungsfreien Regionalzügen kommen. An Unterkünften habe ich nur die erste Übernachtung in Bad Muskau (Radlerrast Glockenhof, eine Pension mit Zeltwiese) und ein Hotel in Danzig für die Nacht vor der Zugrückfahrt gebucht.

Campingplätze gibt es in Polen, auch entlang meiner Route, wie eine entsprechende Internetrecherche schnell ergab, ausreichend, so daß es lohnt, das Zelt mitzunehmen. Als Kartenmaterial sowohl für die Planung als auch für die Durchführung habe ich mir „Polen Südwest“ und „Polen Nordwest“ von Michelin, Maßstab 1:300 000, besorgt. Der Maßstab ist eigentlich etwas zu klein zum Radreisen, nicht zuletzt, weil darauf die ganz kleinen Orte nicht verzeichnet sind. In Frankreich und Spanien hatte ich immer Michelinkarten im Maßstab 1: 200 000 oder gar 1:150 000, das ist völlig ausreichend. Aber für Polen fand ich nichts in dem Maßstab. Es ging trotzdem verhältnismäßig gut. Außerdem hatte ich mir zwei Reiseführer besorgt: „Posen-Thorn-Bromberg“ aus dem Verlag Trescher und „Polnische Ostseeküste“ aus dem Michael-Müller-Verlag.

Des Polnischen nicht mächtig, habe ich mir noch einen kleinen Sprachführer gekauft („Polnisch Wort für Wort“ aus der Reihe „Kauderwelsch“ (Reise-Know-How-Verlag)). Ich hatte eigentlich vor, das Buch vor und während der Reise ein wenig durchzuarbeiten, es blieb aber leider beim Vorsatz. Immerhin habe ich mir so die wesentlichen Ausspracheregeln angeeignet.

1. Tag (05.07.2013), Dresden-Bad Muskau
Srecke: 114 km
Fahrzeit: 5 Std. 37 min
Höhenmeter: 607
Durchschnittsgeschwindigkeit: 20,2 km/h


Viel später als geplant komme ich los. Ich wollte eigentlich gegen zehn Uhr starten, das Wesentliche ist seit Tagen gepackt, aber es sind noch so viele Kleinigkeiten zu erledigen, daß ich erst um halb eins reisefertig bin. Aber ich starte ja diesmal von der Haustür, so daß ich keinen Zug oder Flug erreichen muß. In wenigen Minuten bin ich am Elberadweg an der kurz vor der Inbetriebnahme stehenden Waldschlößchenbrücke. Nach jahrelanger Verzögerung soll sie tatsächlich in wenigen Wochen eröffnet werden.





Ich folge dem Elberadweg bis zur Loschwitzer Brücke (Blaues Wunder). Kaum zu glauben, daß hier das Wasser noch wenige Wochen zuvor, bei der Flut Anfang Juni, mehrere Meter über dem Radweg stand, auf dem ich nun fahre.



Da ich noch nicht zu Mittag gegessen habe, kehre ich kurz auf eine Bratwurst und eine Faßbrause im Traditionsbiergarten Schillergarten direkt am Blauen Wunder ein. Das Foto ist nicht an dem Tag entstanden, sondern einen Monat vorher, als der Biergarten komplett unter Wasser stand (Blick vom Blauen Wunder):



Der Biergarten ist bereits wieder in Betrieb, aber das Restaurant im Gebäude muß komplett renoviert werden und wird so bald nicht wieder öffnen. Der Biergarten, in dem ich nun sitze, ist dort, wo links neben dem Gebäude die Bäume aus dem Wasser ragen.

Gegen viertel nach eins rolle ich über das Blaue Wunder. Nun wird es zeitlich wirklich knapp für die lange Etappe. Von Loschwitz fahre ich den Elbhang hinauf nach Bühlau. Ich denke mir, das wird sicher der längste und von den Höhenmetern höchste Anstieg der gesamten Reise sein, denn Polen ist ja wohl überwiegend flach. Das mit dem längsten und höchsten Anstieg mag, rückblickend betrachtet, zwar hinkommen, aber es war in Polen dann doch bei weitem nicht so steigungsarm wie gedacht. Und daß die nun anstehende Lausitz extrem hügelig ist, wußte ich sowieso, da ich hier schon oft geradelt bin.

Aufgrund der knappen Zeit fahre ich bis Bautzen auf der Bundesstraße 6. Es gibt schönere und verkehrsärmere Strecken von Dresden nach Bautzen, am Anfang z. B. den Bahntrassenradweg von Weißig nach Dürröhrsdorf-Dittersbach, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit, außerdem kenne ich den schon. Immerhin hat die B 6 teilweise, aber nicht durchgehend, einen parallelen Radweg, und ich bin sie schon mehrfach, teilweise bis Görlitz, gefahren. Bereits hier weht der Wind stramm von Westen, mir entgegen, und das wird auch fast die gesamte Reise so bleiben.



In Bischofswerda ist gerade Markt, und ich kaufe mir am Stand einer Fleischerei ein paar Knackwürste.



Im Gebiet der sorbischen Minderheit gibt es zweisprachige Straßenschilder:





In Bautzen bietet sich von der Spreebrücke ein schöner Blick auf die Stadt, die Ortenburg und das Spreetal.





Ich stärke mich mit einem Weizenbier und einem Schnitzel, dann fahre ich durch holprige Altstadtgassen hinunter zur Spree und zum Spreeradweg. Den bin ich vor einigen Jahren bis Berlin gefahren, so daß ich weiterhin auf bekanntem Terrain unterwegs bin. Entlang des Stausees nördlich von Bautzen folge ich noch dem Spreeradweg, da er aber hier und, soweit ich mich von meiner Spreeradweg-Tour erinnere, auch weiter nördlich, überwiegend über unbefestigte Pfade verläuft, nehme ich ab Niedergurig die Bundesstraße 156 bis Uhyst.



Ab Uhyst nehme ich wieder den mir bereits bekannten Spreeradweg, der hier, perfekt asphaltiert, am Ufer des Bärwalder Sees entlangführt, der erst vor wenigen Jahren im Zuge der Rekultivierung eines Braunkohle-Tagebaugebietes entstanden ist (derartige Seen gibt es in der Lausitz zahlreich), immer mit Blick auf das riesige Braunkohlekraftwerk Boxberg am Horizont. Wunderschön zu fahren.







Ab Boxberg fahre ich wieder auf der B 156, die sich hier, landschaftlich eintönig, mit ziemlichem Verkehr, zwischen Tagebaugebieten, von denen man aber nichts sieht, gefühlt eine halbe Ewigkeit hinzieht. Ich verlasse jetzt erstmals bekanntes Gebiet.



Über Weißwasser erreiche ich schließlich nach 20 Uhr Bad Muskau. Ich komme auch an der Neißebrücke mit dem Grenzübergang vorbei, über den es morgen nach Polen geht. Von der Innenstadt sind es aber noch fast zehn Kilometer zur Pension „Glockenhof“ im nördlich gelegenen Stadtteil Köbeln. Im Glockenhof, der neben Zimmern auch eine Campingwiese anbietet, hatte ich ja einen Zeltplatz reserviert. Während ich auf der Suche nach der Pension durch das sehr ländliche, sich über Kilometer hinziehende Köbeln radle, zieht sich der Himmel überraschend plötzlich zu, und es beginnt zu nieseln. Das hatte der Wetterbericht nicht angekündigt. Schließlich fahre ich in strömendem Regen. Hätte der nicht noch fünf Minuten warten können? Die wenigen Minuten, bis ich den Glockenhof schließlich erreicht habe, reichen aus, um bis auf die Knochen klitschnaß zu werden. Im Glockenhof empfängt man mich freundlich, ich flüchte mich mit meinem Gepäck erstmal in den schön ausgestatteten Sanitärbereich für Camper, dusche ausgiebig und warte dort, daß der Regen nachläßt. Bei immer noch leichtem Nieselregen baue ich schließlich, möglichst zügig, mein Zelt auf der Wiese auf, wo bereits vier weitere Zelte stehen. Als der Regen schließlich aufhört, werde ich von Schwärmen von Mücken umschwirrt – das Ergebnis merke ich am nächsten Morgen, so viele Mückenstiche hatte ich lange nicht. Leider wird im Glockenhof ausgerechnet heute kein Abendessen serviert, und zu den Reisegruppen, die in der ehemaligen Scheune, in der nette Sitzgelegenheiten eingerichtet sind (es handelt sich offenbar ursprünglich um einen Bauernhof) fröhlich bei mitgebrachten Speisen und Getränken sitzen, kann ich mich auch nicht gesellen, da ich auf Selbstversorgung nicht eingestellt bin und keinen Proviant dabeihabe. Also die ganzen Kilometer bis Bad Muskau zurück; der Regen hat zum Glück endgültig aufgehört. Es ist nun gegen zehn Uhr, und es hat zunächst den Anschein, als habe nichts mehr offen. Ich finde aber noch ein offenes Restaurant und esse leckere Schweinemedaillons. Ich bin zufrieden, trotz des späten Aufbruchs ist die zweitlängste Etappe der Reise plangemäß absolviert.

2. Tag (06.07.2013), Bad Muskau-Żagań (Sagan)
Strecke: 64 km
Fahrzeit: 3 Std. 59 min.
Höhenmeter: 266
Durchschnittsgeschwindigkeit: 16.1 km/h


Am nächsten Morgen ist das Wetter wieder freundlich,



aber ich bin ziemlich zerstochen. So viele Mückenstiche am ganzen Körper hatte ich lange nicht mehr. Im Garten des Glockenhofs nehme ich ein leckeres Frühstück ein. Es sind außer mir noch weitere Radler dort, die aber im Gegensatz zu mir alle auf dem Oder-Neiße-Radweg unterwegs sind.



Die Radlerrast Glockenhof kann ich allen, die mit dem Rad in der Gegend unterwegs sind, nur empfehlen.

Ich fahre nach Bad Muskau zurück und sehe mir die Hauptattraktion der Stadt, den Fürst-Pückler-Park, an. Dieser Landschaftspark zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe. Im Park darf man radfahren.

Vor dem Alten Schloß findet eine Hochzeit statt, daher bietet ein klassischer Buick ein dankbares Fotomotiv (im Hintergrund das Neue Schloß im Zentrum der Parkanlage).



Der Park erstreckt sich auf beiden Ufern der Neiße auf deutscher und auf polnischer Seite, mehrere Fußgängerbrücken führen über die Neiße.







Bevor ich endgültig über die Straßenbrücke nach Łęknica die Grenze überquere, stärke ich mich in einem Biergarten direkt am Grenzübergang mit einem Steak. Dann geht es hinüber nach Polen.



Direkt nach der Grenze in Łęknica reiht sich über mehr als einen Kilometer ein Laden für billige Spirituosen und billige Zigaretten an den nächsten. Das ist aber im Grunde nicht anders als an jedem anderen Grenzübergang nach Polen oder Tschechien.
Eigentlich wollte ich kurz hinter der Grenze auf ein in meiner Karte verzeichnetes kleines Sträßchen abbiegen und diesem bis kurz vor Zary folgen, ich finde es aber nicht, und so bleibe ich auf der Hauptstraße (Landesstraße (Droga krajowa) 12).



Der Verkehr hält sich aber auch hier in erträglichen Grenzen. Leider fühle ich mich heute nicht besonders fit, auf der relativ langen gestrigen Etappe habe ich wohl meine Knie etwas überanstrengt, und das rechte Knie zwickt ein wenig, und der Gegenwind kommt hinzu. Der leichte Schmerz im rechten Knie verschwindet ärgerlicherweise dann auch während der gesamten Reise nicht mehr vollständig, trotz allabendlich aufgetragenem Voltaren, so daß die mäßigen, aber durchaus vorhandenen Steigungen mir im gesamten Verlauf der Reise schwerfallen. Ich beschließe, heute nur bis Żagań (Sagan) zu fahren.

Zunächst erreiche ich Zary. Hier gönne ich mir das erste polnische Bier (ich kann es sogar auf Polnisch bestellen, zumindest weiß ich, daß es „Pivo“ heißt, mit offen ausgesprochenem „o“). Es wird mit Strohhalm serviert; das scheint in Polen recht verbreitet zu sein, und diese Darreichungsform begegnet mir auch im weiteren Verlauf der Reise noch mehrfach.



Die Struktur der Altstadt folgt einem Schema, nach dem im Mittelalter fast jede Stadt im westlichen Polen (mit Ausnahme der Küstenregion) errichtet wurde, vom kleinsten Provinzstädtchen bis zu den großen Städten wie Posen und Thorn, und das ich bereits aus Schlesien kenne: Um einen großen zentralen rechteckigen Platz (Rynek, der ursprüngliche deutsche Name ist meist Altstädter Markt oder Altstädter Ring) reihen sich die repräsentativen Häuser der Bürger und Kaufleute, und in der Mitte steht, ebenfalls mit rechteckigem Grundriß, das Rathaus (ratusz), manchmal ergänzt um einige kleinere, bescheidenere Häuschen. Die Hauptkirche ist dann immer etwas abseits in einer Seitenstraße des Rynek.





Mein Etappenziel Sagan ist eine recht hübsche, aber unspektakuläre Kleinstadt.



Die Hauptsehenswürdigkeit ist das Schloß.



Ein Hotel zu finden, stellt sich als schwierig heraus. Ich lande schließlich im Hotel „Willa Park“, ein prächtiges Gebäude in einem großen Park mit mehreren Nebengebäuden. Es sieht teuer aus, umso überraschter bin ich, als ich ein Einzelzimmer für knapp 100 Złoty, umgerechnet ca. 25 €, bekomme. Die nette Dame an der Rezeption spricht Englisch und fragt mich für ihr Formular, ob ich mit dem Auto angereist sei. No, by bike. Als sie in ihr Formular irgendetwas mit „Motor“ einträgt, stelle ich klar: Not motorbike, bicycle! Rower! Ob der unerwarteten polnischen Vokabel muß sie schmunzeln und erklärt mir, daß in Sagan gerade eine große Motocross-Veranstaltung für Motorräder und Quads stattfindet, auch mit vielen Besuchern aus dem Ausland, so daß sie angenommen hatte, auch ich sei deswegen hier.

Ich beschließe diese recht kurze Etappe mit einer Pizza in der Fußgängerzone. Im Hotelzimmer sehe ich noch ein wenig fern; ich empfange mehrere deutsche Fernsehsender.

3. Tag (07.07.2013), Żagań (Sagan)-Wolsztyn (Wollstein)
Strecke: 120 km
Fahrzeit: 6 Std. 43 min.
Höhenmeter: 296
Durchschnittsgeschwindigkeit: 17,8 km/h


Obwohl ich kein Frühstück gebucht habe, beschließe ich beim Anblick der sonnigen Terrasse vor dem repräsentativen Hauptgebäude des Hotels, dies „nachzubestellen“.



Beim Frühstück erhalte ich nette Gesellschaft in Gestalt einer jungen Polin, die ebenfalls hier einquartiert ist. Sie stammt aus einem kleinen Ort kurz vor der weißrussischen Grenze. Sie spricht fast perfekt Deutsch und hat mehrere Jahre in Deutschland verbracht. Jetzt wohnt sie in der Schweiz am Bodensee und arbeitet in einer Firma, die irgendetwas mit Motorrädern und Quads zu tun hat. Sie ist also beruflich in Sagan, wegen der Motocross-Veranstaltung. Sie erzählt, daß sie gerne Rad fährt und auch gerne einmal eine Radreise unternehmen würde. So haben wir gleich ein Gesprächsthema. Ich nehme die Gelegenheit wahr und lasse mir die Aussprache des polnischen Wortes für „danke“, „dziękuję“, die ich meinem Sprachführer entnommen habe, bestätigen. „Dschäkuje“, mit nasaliertem „ä“, wie in französisch „Verdun“ oder „aucun“. Ich werde es im weiteren Verlauf der Reise noch unzählige Male anwenden.

Etwas später als geplant komme ich los. Auch heute habe ich meistens ordentlichen Gegenwind. Ich fahre etwa 20 km Richtung Nordosten auf der Woiwodschaftsstraße (Droga wojewódzka) 296 Richtung Nordosten, dann geht es über ein landschaftlich schönes, kleines Sträßchen fast ohne Verkehr und anschließend auf den Woiwodschaftsstraßen 297 und 293 (auch letzteres ist ein kaum befahrenes, landschaftlich reizvolles Sträßchen) nach Nowa Miasteczko (Neustädtel).









Auch dieses winzige Städtchen ist nach dem typischen Schema „rechteckiger Rynek mit Rathaus in der Mitte“ angelegt. Für mich ist es deswegen von Interesse, weil es der erste der zahlreiche Orte auf der Reise ist, an denen im 19. Jahrhundert Vorfahren von mir gelebt haben.



Zu meiner Überraschung haben, obwohl es Sonntag Nachmittag ist, die kleinen Geschäfte im Ort geöffnet. Ich kaufe mir ein Radler; der deutsche Begriff ist, wie man auf dem Flaschenetikett erkennt, auch in Polen geläufig. Dieses ist mit Apfelgeschmack. Lecker.



Über die Landesstraße 3 und die Woiwodschaftsstraße 292 erreiche ich Nowa Sól (Neusalz) an der Oder.



Ein Abstecher nach Otyn (Deutschwartenberg), wieder aus familienhistorischem Interesse (auch in diesem winzigen Örtchen ein sehr nett herausgeputzter Rynek mit Rathaus in der Mitte), dann geht es bei Nowa Sól über die Oderbrücke.



Jetzt geht es wieder über ein kaum befahrenes Sträßchen, das eher den Charakter eines perfekt asphaltierten Waldweges hat. Sehr schön zu fahren.



Dann geht es über die Woiwodschaftsstraße 315 (ein weiterer in meinen familiengeschichtlichen Recherchen vorkommender Ort liegt direkt am Weg) nach Wolsztyn (Wollstein). Auch hier wenig Verkehr.







Wolsztyn ist ein hübsches kleines Städtchen, das eine gewisse touristische Bedeutung hat und reizvoll an zwei kleinen Seen gelegen ist. Hier gibt es ein Bahnbetriebswerk, in dem noch Dampflokomotiven im Regelverkehr eingesetzt werden (auf der Strecke nach Poznań (Posen)). Daher ist der Ort ein Mekka für Eisenbahnenthusiasten. Der sehr nette Zeltplatz ist etwas außerhalb gelegen. Die Dame am Empfang spricht Deutsch.



Als ich mit einem Bierchen vor dem Zelt sitze, werde ich wieder, wie in Bad Muskau, von Heerscharen von Mücken massakriert. Ich habe leider kein Mückenspray dabei (ich bin aber auch nicht sicher, ob es bei dieser massiven Attacke überhaupt geholfen hätte). Im Ort beschließe ich den Tag (und die längste Etappe der Reise) mit einer Pizza.

4. Tag (08.07.2013), Wolsztyn (Wollstein)-Poznań (Posen)
Strecke: 95 km
Fahrzeit: 5 Std. 49 min.
Höhenmeter: 195
Durchschnittsgeschwindigkeit: 16,3 km/h


Zunächst sehe ich mich am schön gestalteten Ufer des nördlichen der beiden Seen um, an denen Wollstein liegt.





Dann besichtige ich das Dampflok-Bahnbetriebswerk, für das Wollstein bei Eisenbahnfans in ganz Europa bekannt ist. Laut meinem Reiseführer sind von den 30 dort vorhandenen Dampfloks 13 betriebsbereit. Irgendwo habe ich gelesen, daß europaweit nur hier noch Dampflokomotiven im planmäßigen Einsatz auf Normalspurstrecken eingesetzt werden, vor allem auf der Strecke nach Posen. Die Einschränkung auf Normalspur muß aber gemacht werden, denn allein in Sachsen gibt es mindestens drei Schmalspurstrecken, auf denen planmäßiger Dampfverkehr stattfindet, davon zwei im Großraum Dresden.

Auf dem Gelände des Betriebswerks stehen Dutzende Dampfloks und historische Personenwaggons, aber die meisten scheinen nicht mehr betriebsbereit zu sein.



Der Besuch des Betriebswerks kostet ein bescheidenes Eintrittsgeld. Man kann in die Führerstände der abgestellten Dampfloks steigen und das Innere der Waggons besichtigen. Es gibt eine Drehscheibe und einen Ringlokschuppen.





Eine Lok steht unter Dampf, und so erhoffe ich mir, sie recht bald „in Aktion“ erleben zu können. Sie ist aber noch nicht betriebsbereit, denn zwei Bahnarbeiter sind noch damit beschäftigt, ein Gelenk im Antriebsgestänge auszutauschen.



Da ich heute noch bis Posen will, wird es Zeit, aufzubrechen, und so verlasse ich das Bahnbetriebswerk, ohne eine Dampflok fahren gesehen zu haben. Interessant war es trotzdem.
Um einigermaßen zügig voranzukommen, muß ich die Landesstraße 32 nehmen. Hier herrscht recht starker Verkehr, und obwohl es teilweise separate Radwege gibt, ist es nicht besonders angenehm und auch landschaftlich ohne besonderen Reiz. Nach 24 km, in Grodzisk Wielkopolski, überlege ich mir, ob ich nicht ab hier ein paar Stationen mit dem Zug abkürzen soll; es muß ja nicht ganz bis Posen sein. Ich fahre also zum Bahnhof, um mich nach dem Fahrplan zu erkundigen. Als ich mich dem Bahnhof nähere, sehe ich einen Zug in „meine“ Richtung abfahren, gezogen von einer Dampflok. Das muß die Lok sein, deren Startvorbereitungen ich in Wollstein gesehen habe. Sie haben die Reparatur also hinbekommen. Der nächste Zug Richtung Posen geht erst in ein paar Stunden, also fahre ich weiter auf der 32. Nach etlichen Kilometern kann ich auf die Woiwodschaftsstraße 431 abbiegen. Hier herrscht deutlich weniger Verkehr, und auch die Landschaft ist ansprechend, zumal es nun durch den Wielkopolski-Nationalpark (Wielkopolski Park Narodowy) geht.





Ich beobachte ein Storchenpaar in seinem Nest auf einer kleinen Dorfkirche. Es ist eines von mehreren bewohnten Storchennestern, die ich auf der Reise sehe.



Zwischen Mosina und Rogalinek überquere ich die Warthe,



dann geht es über eine kleine, verkehrsarme Straße nach Posen. In der Stadt haben die Hauptverkehrsstraßen Radwege.



Von einer Brücke über die Warthe bietet sich ein schöner Blick auf die Altstadt.





Das Zentrum bildet auch in Posen der Altmarkt (Rynek) mit der historischen, nach dem Krieg vorbildlich restaurierten Bebauung und dem prächtigen Rathaus in der Mitte.



Hier gönne ich mir ein Bier, dann gehe ich auf Quartiersuche.



Meinem Reiseführer entnehme ich den Tipp „Hostel Cameleon“ in eine Seitengasse des Rynek. Es ist ein typisches Backpacker-Hostel mit Mehrbettzimmern, bietet aber auch sehr preiswerte Einzelzimmer, und ein solches ist auch noch verfügbar. Ich bin sehr zufrieden und verbringe den restlichen Abend auf dem Rynek. Hier herrscht reges Treiben. Fast jedes Haus am Rynek beherbergt Gastronomie. Einheimische und Touristen bevölkern die Tische vor den zahlreichen Restaurants und Kneipen, man kann bei angenehmen Temperaturen prima draußen sitzen, und so lasse ich den Tag mit einer Pizza und dem einen oder anderen Bierchen gemütlich ausklingen. Bis hier bin ich nun von Dresden aus durchgehend geradelt; morgen ist aber die erste Zugfahrt geplant, da mir sonst die verbleibende Zeit nicht reichen wird, um bis Danzig zu kommen.

Fortsetzung folgt...