Re: Das 2. Türchen

von: veloträumer

Re: Das 2. Türchen - 02.12.13 18:14

Hallo Kettenraucher,
die Verwendung des Begriffs der "ethnischen Säuberung" wird durchaus unterschiedlich interpretiert. So ganz ist mir auch die "Auszeichnung" zum Unwort des Jahres (1992) nicht klar. Im Prinzip bringt der Ausdruck für mich den faschistischen Charakter, den du beschrieben hast, gut zum Ausdruck. Dass dabei das Wort Tötung/Mord vermieden wird, sehe ich nicht als Problem an. Nicht jeder Ausdruck über barbarisches Verhalten kann das Wort "Tötung" oder "Mord" in sich tragen. Alternativ bieten die Sprachler ja "Völkermord" an, was ich als weniger spezifisch bezeichnen würde. Der spezifische Charakter in Ex-Jugoslawien war ja tatsächlich, dass - letztlich im Verlauf des Krieges alle Parteien - "ihre" Regionen "säubern" wollten. Ich werde in einem späteren Kapitel noch eine bestimmte Situation and der Cetina-Quelle beschreiben, wo es genau um diese "lokale Säuberung" geht (also einen eingegrenzten regionalen Raum).

Hingegen war der expansive Völkermord, wie ihn die Nazionalsozialisten gegenüber den Juden praktizierten ("Die totale Vernichtung der jüdischen Rasse", wobei auch die Grenzen des Deutschen Reiches überschritten werden sollten (und wurden) bis zur Weltherrschaft und Weltjudenvernichtung) so kein Ziel im Jugoslawien-Krieg. Die Nazis vernichteten auch Juden in Polen, Russland usw. Auch Kroaten und Slowenen waren betroffen (auch dazu sei auf ein späteres Kaptitel verwiesen). Durchaus wollte man in Ex-Jugoslawien (kleinere) Refugien den anderen Volksgruppen zugestehen - zweifellos der eigenen Expansionsvorstellung unterworfen. So planten weder die Serben die komplette Vernichtung der Kroaten noch umgekehrt die Kroaten die Rache an den Serben bis zur totalen Vernichtung. Der Unterschied mag marginal sein, sodass ich mit beiden Begriffen leben kann, würde aber den Begriff der "ethnischen Säuberung" nicht aus der Sprache ausschließen. Er verdeutlicht für mich den perfiden Charakter im Jugoslawien-Krieg recht genau. Jeder solch schrecklicher Einschnitt in der Geschichte hinterlässt letzlich so etwas wie eine "eigenes Wort" dafür. Für den Völkermord an den Juden steht heute meist der Begriff "Holocaust" und nicht "Völkermord an den Juden". So sehe ich aus der Geschichtswerdung heraus betrachtet auch den Begriff "ethnische Säuberung" als historische Kennzeichung des Völkermords im Zuge der post-jugoslawischen Kriege.

Als Beispiel seien andere Begriffe genannt, die ebenfalls den "Völkermord" kennzeichnen, aber das Wort "Tötung" oder besser "Mord" nicht beinhalten: (Juden)-Vernichtung, Holocaust, Massenexekution, Rassenwahn usw. Selbst ein gewichtiger Teil der historischen Sklaverei kann man als Völkermord bezeichnen - auch hier werden aber andere Begriffe verwendet. Neuerdings gibt es sogar faschistische Verbrechen, die schlicht mit "Islamisierung" bezeichnet werden (so der ansatzweise Versuch der Taliban gegen afrikanischen Völker in Mali). Ich könnte den Faden noch weiter spinnen, wenn etwa von "Beschneidungen von Mädchen" die Rede ist, derweil es sich um eine Verstümmelung und ein brutales Verbrechen handelt, welches in seiner zerstörerischen Dimension in einigen Gesellschaften noch nicht wirklich erfasst/begriffen ist. Sicherlich gibt es noch mehr Begriffe, wo die spezielle Verbrechensformen kennzeichnen und nicht immer die ganze Tragödie zum Ausdruck bringen. Wichtig ist, dass wir wissen, was sich hinter den Begriffen verbirgt. Ohne Bewusstsein für die Bedeutung eines Wortes ist jedes Wort ein leere Hülse.

Ich bin dir für diese Frage ungemein dankbar und möchte es auch jedem belassen, wie er dort mit den Begrifflichkeiten umgeht. Ebenso bedanke ich mich für die anderen Kommentare und Ergänzungen - nur so kann das Bild der Region vielfältiger und "plastischer" werden. Meine Gedanken sind nur als Anregung zu verstehen, von deren es wohl so einige geben wird.