Fenster Nr. 9

von: veloträumer

Fenster Nr. 9 - 08.12.13 23:08

KAPITEL III
Das alpine Montenegro, Teil 2: Eindrückliche Viadukte, schweigende Seenspiegel, kühne Felsenklöster, alpine Dramatik grenzenlos, Canyons revisited und amerikanisches Wasser

Die einsaitige Gusla erlaubt nur geringe Tonhöhenveränderungen und ist das Begleitinstrument für eindringliche Sprechgesänge und Gedichte. Die emotionale Tiefe wächst aus der Eintönigkeit und Intensität des Vortrags. Sicherlich für den musikalisch verwöhnten Hörer ein grenzwertes Vergnügen, wie ich selbst live beim Mittagessen in Trsa erfahren konnte. Allerdings stärkt diese Tonwelt den kostbaren Kosmos des Augenblicks in der einsamen Bergwelt, in der der Zivilisationshektik und dem Konsumwesen die vermeintliche Bedeutung entzogen wird: Bozidar Djukic „Tragicna pogibija Branke Djukic” (10:01 min.).

Sa 22.6. Bioce – Klopot – Vjeternik (1072 m?/1260 m?) – Jablan – Lopate? (? m) – Verusa – Matesevo – Tresnjevik (1598 m) – Andrijevica – Murino – Plav
110 km | 12,9 km/h | 8:33 h | 2080 Hm
W: sonnig, max. ca. 30 °C
E (R Camp): Käsebuchteln, Suppe, Krautwickel m. Hackfleisch, Kuchen, Rw, Cafe
Ü: C Lake Views ca. 15 € inkl. Essen

In gewisser Weise ist der zweite Bergteil eher der unbekannte, der Entdeckerteil. Die Strecke von Bioce über Jablan und Verusa nach Matesevo ist die ruhige Alternativstrecke zur Moraca-Schlucht. Sie ist aber auch um einiges schwieriger, sind doch zwei Pässe zu überwinden, die beide über dem Niveau vom Crkvine-Pass liegen. Landschaftlich ist der Unterschied ebenfalls gravierend, sodass man grundsätzlich beide Routen zwischen Podgorica und Kolasin empfehlen muss. Im Gegensatz zur Moraca-Route steigt die Strecke unmittelbar nach Bioce an, windet sich in einem anderen Tal über offene, sonnenheiße Hänge nach oben.

Da mir das Wasser knapp wurde, habe ich in Klopot in einem Privathaus nach Wasser nachgefragt. Sie lagern das Wasser im Eiszustand in Kanistern und tauen es bei Bedarf auf. Von hier fällt der Blick über die verkarsteten Hänge auf das Mala-Rijeka-Viadukt, mit maximal 198 m das höchste Eisenbahnviadukt Europas (zweithöchstes der Welt). Im oberen Bereich nimmt die Vegetation zu, Blumen und Schmetterlinge begleiten einen am Wegesrand. Zwischen den beiden Passhöhen liegt eine feuchte, waldreiche Talmulde. Bei Lopate windet man sich eindrucksvolle Serpentinen hinauf. Bis Verusa gibt es keine gesicherte Versorgung, je eine Bar findet sich an der Straße in Bolesestra und Jablan – in letzterer könnte es auch was zu Essen geben.

Ich konnte meinen Gastgeber in Kolasin mit der Nachricht überraschen, dass die Straße durchgehend asphaltiert ist – insbesondere findet sich auf der Südseite des Vjeternik-Passes ein neuer Belag. Rakocevic meinte, dass diese Teilstrecke in üblem Schotterzustand wäre – ich solle nicht daher fahren, ich würde einen Tag von Podgorica nach Kolasin brauchen. So kam ich aber insgesamt flott an dem Tag voran, wenngleich der Asphalt bei Verusa sehr aufgerieben ist. Dort sieht man aber eine recht intensive Bautätigkeit von Wohnhäusern mit bescheidenem Wohlstand, sodass man auch damit rechnen kann, dass die Straße demnächst mal ausgebessert wird. Die Landschaft nach Norden ist mittelgebirgig, mit Weiden, Auen, Wald und dem prägenden Flusstal der oberen Tara.

Noch dichter wird der Bewuchs jenseits von Matesevo, einer Flussbrücke mit ein paar Weilern und einen Gasthof samt Übernachtungsmöglichkeit direkt an der Brücke. Die Straße schlängelt sich zunächst am Fluss entlang, windet sich dann nach oben, ein wenig anstrengend, aber keine besonders steile Auffahrt. Zunächst noch Besiedlung, Schafe, dann immer mehr Panorama auf die Schneegipfel des Komovi. Wieder wächst die Bergwelt mit jeder neuen Pedalumdrehung. Einem entgegen kommenden Montenegriner mit Plattfuß kann ich nicht helfen, weil sein Ventilstutzen für meine Pumpe zu kurz ist. Technik, die sich nicht verträgt.

Noch von den Farben der Bergwiesen euphorisiert, erreicht man die unspektakuläre Passhöhe Tresnjevik, gleich mit zwei Hütten- bzw. Gasthofeinrichtungen ausgestattet. Der Blick fällt nun auf die bewaldeten Hügelberge Richtung Lim-Tal. Die kehrenreiche Abfahrt ist launig, oben weitgehend schattig, dann folgen Bergweiden mit lockerer Besiedlung. Andrijevica ist mehr eine zersiedelte Ortschaft ohne markantes Zentrum. Verblüffend, dass ausgerechnet hier das recht populäre wie gute Hotel „Komovi“ auf Gäste wartet, liegen doch die Hauptbergziele ein wenig entfernt. Mit Kurs auf Plav fährt es sich durch ein mittelenges Tal auf einwandfreier Straße und bei geringer Steigung entspannt, ab Murino steigt die Strecke mehr an ohne jedoch zur Bergstrecke zu werden. Auch das Bergpanorama bleibt weitgehend verborgen, entfaltet sich erst am Plavsko jezero.

Für Gusinje ist es doch etwas spät und ich verbleibe am Camping in Plav. Leicht oberhalb des Sees blickt man idyllisch auf den Wasserspiegel, zum Westen hin sanfte geglättete Hügelberge, nach Süden eine Kette schroffer Berge. Die noch schneebedeckten Berge des Prokletije im Osten und Südosten liegen im toten Winkel. Den Camp (auch Hütten) leitet ein etwas eigenwilliger Herr, das Essen in der Gaststube ist mäßig und die Sanitäranlagen haben Funktionsmängel (Warmwasserbereitung klappte nicht). Unklar ist, ob die Sauna und dort bessere Duschen als Camper benutzt werden dürfen, zumindest wurde ich darauf nicht hingewiesen. Wahrscheinlich gehören diese Einrichtungen streng genommen zu einem noch nicht ganz fertig gestellten Fitnesscenter, wo bis in den Abend hinein laute Animationsmusik laufen kann. Ein Alternative – wie ich einzuschätzen vermute, die bessere – ist ein Camp an der Westuferstraße etwa 2 Kilometer von Plav entfernt – direkte Lage am See mit Terrassenrestaurant.

So 23.6. Plav – Krusevo – Ali Pasini Izvori – Gusinje – Grbaja – Gusinje – Murino – Andrijevica – Tresnjevik (1598 m) – Matesevo – Kolasin
114 km | 14,9 km/h | 7:41 h | 1410 Hm
W: schwül, heiter-wolkig, nachmittags Gewitter, auch kühl, max. 26 °C
E (R Vodenica): Salat, gem. Grillfleisch, Bratkart., Rw, Cafe, 13,40 €
Ü: PZ Rakocevic 20 € m. Fr.

Der Plavsko jezero lässt sich zu beiden Uferseiten befahren, wobei die nordwestliche Seite die bessere Fahrbahn hat und näher ans Ufer rückt, wenngleich es auf keiner Strecke sich um eine echte Uferstraße handelt. Auf der südöstlichen Seite fährt man mehr durch Besiedlung, sieht mehr Landleben. Während die einen noch Heuballen mit Schubkarren über notdürftige Bretter von Fließgewässern balancieren, haben andere protzige Villen mit edlen Schutzzäunen errichtet. In dieser muslimisch geprägten Region gibt es offensichtlich große Einkommensgegensätze.

Unweit südlich von Gusinje gelangt man mit einem kurzen Abstecher (Richtung Vusanje) auf die Ali-Pascha-Quellen, ein Sammelsurium aus Karstquellen, natürlichen und künstlichen Becken, gefluteten Wiesenflächen, kleinen Kaskaden nebst Gehöft samt Mühle. Am Horizont erheben sich massive Gipfel des Prokletije-Gebirges des grenzüberschreitenden Nationalparks zu Albanien. Je nach Lichtverhältnissen kann man herrlich blaue oder grüne Farbe erleben, leider gab es bei meinem Besuch rechte dämpfende Lichtverhältnisse. Quasi in Sichtweite gibt es auch ein Restaurant, bei dem es wohlmöglich auch auf Anfrage möglich ist, Zelte aufzustellen, wie eine Wandergruppe dort zu beobachten war.

Der Ort Gusinje ist belebter als Plav, es gibt mehr Geschäfte, Cafes und sogar guten Kuchen. Ich wollte noch eine Stichstraße in der Bergwelt des Prokletije befahren – laut Reiseführer sollte das schönste Tal das von Grbaja sein. Die Straße verläuft in unrhythmischen Schwüngen teils leicht, teils steil bis zu der kleinen Almsiedlung Grbaja, wo man essen und übernachten kann, auch finden sich mehrere Schutzhütten mit Picknickmöglichkeiten. Auf der Strecke erlebt man eine alpine Inszenierung der Extraklasse, ein sekündliches Verändern von großen Momenten mit Gipfelhorizonten, ein Genuss von Blumen- und Schmetterlingsfarben, fast schon gartengepflegte grüne Almwiesen mit dezent verteilten farbigen, neuen Häuschen und historischen Steinhütten. Die Fotografie versagt sich das Staunen standesgemäß einzufangen, sie verlangt: „Schaue hin, hier musst du gewesen sein!“

Auf dem Weg treffe ich drei Generationen einer Familie, erst grüßt mich ein Kind, dann staunt ein alter Mann mit Sense zu mir herüber und schließlich treffe ich eine Frau, die des Englischen gut mächtig, da sie der Liebe verfallen nun in Amerika lebt und gerade auf Heimatbesuch ist – hier, in dieser faszinierende Wiege geboren. Ich erfahre, das Kind ist die Tochter, der alte Mann der Vater. Nein, zurück würde sie nicht wollen, nicht aus Groll oder leidvollen Erfahrungen, sondern weil das Leben eben so spielt und es sei nun mal der Lauf der der Dinge, welcher sie auch nun in Amerika glücklich gemacht hat. Aber in die Schönheit der Landschaft sehnt sie sich schon immer mal wieder. Schöne Erinnerung ja, aber keine Wehmut. Fast scheint ihre Antwort mir zur unpathetisch, nicht ehrfürchtig genug gegenüber diesem Blick ihrer Heimat. Und doch zeigt sie sich als kluge Frau, die weiß, dass die Erfüllung des Lebens nicht von einem schönen Ort abhängt – sondern von den Menschen, mit denen man seine persönliche Heimat bildet. So ist denn auch die schönste Kindheit nur ein Teil der Vergänglichkeit des Lebens. Wie doch immer wieder die entlegenen Ecken der Erde voller Weisheit stecken.

Nach Grbaja kann der Tourenradler noch weiter fahren, die Piste ist ganz passabel fahrbar und man hat die Wahl an einem idyllischen See vor der grandiosen Bergkulisse zu pausieren oder noch weiter bis zum Ende des Talschlusses zu radeln oder gar noch Berge zu erwandern. Sicherlich würde ein Tag extra hier in dieser Gegend lohnen. Ich aber radle nach dem Aufzug der Wolken am anderen Plav-Seeufer zurück, danach auf vortags erlebter Strecke nach Matesevo und weiter bis Kolasin. Der Fluss jenseits von Matesevo zeigt breitere Kiesbänke, Angler nutzen die Abendstunden zum Fang und gar zwei fesche Jungdamen versuchen sich auf anscheinend ausgeliehen Rädern als sei es Hochseilkunst. grins Zuvor musste ich aber noch durch eine Wetterschleuse – ein heftiges Gewitter unweit von Andrijevica zwang mich zu einer längeren Pause, sodass ich den Tresnjevik-Pass mit einer gewissen Eile im schweren Wasserdampf hinaufstürmte, um Kolasin zu noch zivilen Zeiten zu erreichen.

Während bei meinem ersten Besuch das Rakocevic gut ausgelastet war, kehrte ich nun als einziger Gast ein. So bekam ich statt dem kleinen Zimmer zuvor nun das vielleicht größte Zimmer mit Balkon. Diesmal war abends nur der Sohn vor Ort, das Gastgeberpaar bei einer Hochzeit und vielleicht ein wenig geschockt, das nun der wieder früh aufstehende Gast aus Deutschland die Katernacht verkürzen würde. Doch sicherlich überwog am Morgen mehr die Freude des Wiedersehens. Ich machte dann noch den Scherz, dass ich ja vielleicht nochmal auftauchen könnte – man weiß ja nie. Den Abend versüßte ich mir in der alten, renovierten Mühle Vodenica, einem alten, eingesessenen Gasthaus, in dem nicht nur lokale Spezialitäten gereicht werden, sondern auch ein nostalgisches Ambiente im Innern mit gesammelten Fundstücken wie einem Grammophon für eine stimmige Atmosphäre sorgt. Für ein Essen draußen direkt über dem rauschenden Bach war es diesmal zu kühl und windig.

Mo 24.6. Kolasin – Crkvine (1045 m) – Mijoska – Dragovica Polje – Semoli (1300 m) – Tusina – Previs – Poscenje
76 km | 11,3 km/h | 6:46 h | 1750 Hm
W: bis mittags sonnig, danach bewölkt, windig, max. ca. 28 °C
E (R Camp): Tomatensalat, gegr. Hammelfleisch, PF, Rw 14 €
Ü: C Katun Jatak 10 €

In Kolasin versammelte sich 1943 erstmals der antifaschistische Widerstand gegen die deutsche und bulgarische Besatzung. Damit wurde hier auch der Grundstein für die Partisanenstrategie Titos gelegt. Insofern kann man Kolasin auch als die Wiege des sozialistischen Nachkriegsjugoslawiens ansehen. Einige Monumente sowie ein Museum dokumentieren diese historische Ära des Ortes. Ein gewisser verklärter Blick auf den Lauf der Geschichte ist allerdings nicht zu leugnen.

Verlässt man die Moraca-Route bei Mijoska, überwindet man zunächst eine schluchtige Engstelle, Schwalbennester kleben in den Felsnischen, Wasser tropft aus Felsen, gegenüber rauscht ein großer Wasserfall zu Tal. Bald öffnet sich eine weite alpine Almarena, das Stadionrund grenzt eine lange Bergkette vom blauen Himmelszelt ab, die Tribünenplätze der Einwohner und Bergbauern auf der Gegenkurve verteilen sich auf ehrwürdigem Wimbledon-Grün. Ich selbst habe auf der Fankurve La-Ola-La-Steigungen zu bewältigen, während das Kulissenspiel an dramatischer Zuspitzung gewinnt. Mit kraftbetonten Pedaltribblings kontere ich gegen tropfnasse Schweißnetze. Die spielerische Klasse entfaltet sich schließlich in periodisch oszillierenden Doppelpässen zwischen Auge und Landschaft. Nach den letzten Kehren mit freier Sicht in den Talkessel habe ich eine zähe Abwehrgerade zu überwinden, bis sich von lichtem Wald bekleidet Felspokale auftürmen und eine szenische Spielverlängerung mit neuen Darstellern einläuten. Es folgt eine anspruchsvolle Kehrenserie bis zur Passhöhe, die ein paar versteinerte Ehrenspielführerfiguren bereit hält. Letztmalig laufen die Spitzen der Bergarena am Horizont auf, bis sie an der sonst unscheinbaren Passhöhe unter Jubel ihre Ablöse eintauschen.

Game over? – Nein! – Aber die erste Liga hat nun spielfrei, es beginnt eine nicht zu unterschätzende Serie von Aufsteigeraspiranten im oberen Tabellenbereich der zweiten Landschaftsliga. Die Bergpanoramen bleiben zur Nordwestseite zunächst eingeschränkt, man taucht in schattigen Wald ein, sogar überquert man in einer Talmulde ein Feuchtwiesengebiet. Das Bukovica-Tal (bzw. dessen Zuflusstal bei Sirovac) gibt sich lieblich, weniger alpin, wird aber auch stumpfen, geschichteten Bergzügen eingefasst. Zur Belohnung erhalte ich unverlangt eine Meistertrophäe für meine Libero-Arbeit in den kräftezehrenden Steigungsreihen – eine dicke Dose Niksic-Bier, die mir ein unbekannter Lokalrepräsentant ohne Funktionärsorden aus dem Lieferwagen überreicht. Es war dann topografisch bedingt etwas schwierig, einen geeigneten Picknickplatz für die Meisterfeier zu finden. Das gelang mir schließlich doch noch an einer kleinen Flussbadenische hinter surrenden Bienenkästen, deren Flugbewohner auf stichhaltige Flankenangriffe verzichteten. bier

Das Tal wechselt dann mehrfach die Struktur, wird teils schroffer mit weiteren Schluchtpassagen. Man erreicht irgendwann einen Punkt, von dem aus man auf Savnik hinunterblicken kann – eine recht schmucklose Ansammlung an funktionalen Häusern, das recht schattig im Tal liegt, welches man über ein paar Kehren per Abzweig wenig weiter erreichen könnte (Fortführung z. B. nach Niksic). In einer verwirrenden Topographie von Felskesseln und kleinen Almsiedlungen auf dem Talgrund gelangt man zur neuen Durmitor-Schnellstraße, in deren unmittelbarer Nähe das Rafting-Camp „Katun Jatak“ auf wohl seltene Gäste wartet. Während das zentrale Gasthaus mit Teichtümpel davor und Lounge-Stil im Innern ein wenig Schickimicki wirkt, sind die Sanitäranlagen von sehr schlechter Qualität, obwohl es sich um ein insgesamt sehr neues Camp handelt. Das Essen fand ich auch nicht so berauschend, die Preise für Beides besonders in dieser Abgelegenheit unverhältnismäßig hoch. Ggf. lohnt es, etwas weiter zu radeln, wo Poscenj als Ort sichtbar wird und ein weiteres Camp existiert, das im Reiseführer empfohlen wird (möglicherweise nur Hütten und kein Zelten).

Di 25.6. Poscenje – (Kanjon Nevidio/Komarnica) – Duzi – Dubrovsko – Bezuje – Etno selo Izlazak – Mijkovac – (Bukovac) – Bajovo Polje – Javorak (1235 m) – Rastovac
76 km | 14,3 km/h | 8:19 h | 1350 Hm
W: regnerisch, sehr windig, sehr kühl, abends mild, 11-20 °C
E (R Camp): Hähnchen, PF, Salat, Rw, Cafe ca. 5 €
Ü: C Kvisko 5 €

Es ist wohl der insgesamt schlechteste Reisetag, soweit man das Wetter bewertet – eigentlich gab es nur zwei kurze Lichtblicke um Duzi herum und am Abend – dort allerdings schon im sicheren Abstand zur gehobenen Bergwelt. Landschaftlich ist aber der erste Teil ein außergewöhnlich dramatischer, fährt man doch fast schwindelerregend am unmittelbaren Abgrund zur Komarnica-Schlucht. Die Bezeichnung Nevidio-Canyon und Komarnica-Schlucht sind ein wenig verwirrend, bezeichnet die Komarnica eigentlich den gesamten Oberlauf der Piva diesseits des Piva-Stausees. Weite Teile davon bestehen aus einer schmalen, fast unzugänglichen Schlucht, soweit man nicht den Weg über das Wasser sucht. Eine besondere Engstelle bei Poscenje, die sich nur per abenteuerlichem Flussklettern erkunden lässt, wird als Kanjon Nevidio bezeichnet, zuweilen sind aber die Bezeichnungen Komarnica-Schlucht und Nevidio-Canyon nicht genau abgegrenzt. Im Zweifel ist der Begriff Komarnica-Schlucht der umfassendere Oberbegriff.

Die Komarnica-Schlucht ist aus Radlersicht eher eine Zugabe, da sie nur wenige – wenn auch dramatische – Einblicke gewährt. Zudem ist eine Durchfahrroute nur mit Schotteranteilen möglich. Wer mehr möchte, muss aufs oder gar ins Wasser. Abenteuerliche Trailrouten hat dort wohl eingangs erwähntes Forumsmitglied stuntzi (alpenzorro) erkundet. Schon meine Route ist aber nur als bedingt tourenradtauglich einzustufen. Dabei ist der erste Teil noch eine Spazierfahrt, wenngleich mit einer ersten kleinen Steilrampe. Vom Nevidio-Canyon sieht man hier nur unzureichend die Eingangsfelsspalten, deren Breite für Fettleibige ein unpassierbares Hindernis darstellen dürfte. (Wer sich durch diese Aussage diskriminiert fühlt, sollte sich bei den Felsenerbauern beschweren. grins)

Vom ersten Hochpunkt fährt man auf einer zwar asphaltierten, aber von Felsbrocken übersäten schmalen Straße, die kühn zuweilen bis in den Fels hinein gehauen wurde. Die Dramatik verdichtet sich nochmal mit den aufsteigenden Dampfwolken, die aus dem tiefen und trotz der bizarren Straßenführung kaum einsehbaren Canyon in einer regengetränkten, von bedrohlichen tief dunklen Wolken überschatteten Landschaft aufsteigen. Von den gedämpften Abbruchkanten des Canyons zur gegenüberliegenden Seite ziehen sich Hochebenen ins Land, die teils unbeschnitten am Horizont enden, zu anderen Himmelsrichtungen bald von nahen Gebirgsketten begrenzt werden.

Nach dem dramatischen Straßenabschnitt folgt eine Hochpoljenlandschaft mit Weidegrund und leuchtenden Blumenwiesen mit braun-goldenem Grundton. Die kleinsten Wolkenlücken blenden hier den Betrachter durch die Reflektionen der Farbspiele und lassen die Faszination der Landschaft mit dem zweiten Blick mehr loben als es vielleicht ein flüchtiger erster Eindruck tun würde. Zaghafte Zeugen einer Besiedlung wie ein Kirchlein mehren sich um Dubrovsko, dem letzten und wohl mit einigen neuen Häusern aufstrebenden Wohnörtchen an der Straße, die wenig später als Piste zu einem Hochpunkt aufsteigt, und dabei zunehmend über loser werdenden Schotter führt. Sodann ist auch die Abfahrt nicht ohne kräftige Bremsübungen möglich – eine insgesamt auch wegen der langschleifigen Führung ohne markante Orientierungspunkte sehr zeitraubende wie schwierige Überfahrt zum Piva-Stausee.

Erst kurz vor Bezuje, längst mit Weitblick die geweitete Schlucht um den See, erreicht man wieder Asphalt unter den Reifen. Es gibt zu dieser Seite keine Versorgungsmöglichkeit und man muss hier zur Fortsetzung auf weiten Schleifen mit moderatem Gefälle hinunter zum einsam liegenden Piva-Stausee, um alsgleich einen Aufstieg mit moderater Steigung – wenngleich nicht schweißlos – zum Izlazak-Camp zu bewältigen. Das recht propere Camp im traditionellen Landstil ohne Ortsanschluss bietet einen freien Ausblick hinüber zum Durmitor wie hinunter zum Stausee und eignet sich ebenso für organisierte Rafting-Touren in der Komarnica-Schlucht. In der gemütlichen Gaststube wird gute, regionaltypische Landküche gereicht. Wie der Besuch einer großen Schulklasse (Schwimmverein? Flussklettergruppe?) mit Bus zeigte, ist das Camp als Lokalität in der sonst infrastrukturarmen Gegend recht beliebt. Der Vollständigkeit wegen sei noch erwähnt, dass von Bezuje auch eine Durchfahrtsmöglichkeit zur Durmitor-Passstraße über Boricje möglich ist – allerdings auf noch schlechterer Piste als meine Route und daher nur für ausgewiesene MTB-Könner.

Der heftige Wind am Camp lässt einen bei den kühlen Temperaturen (12-14 °C) faktisch frösteln, mit Windchill-Effekt liegt die Fühltemperatur im einstelligen Bereich. Die Hochebene hier ist eher schlicht, einige Passagen der Nebenstraße erinnern an Hohlwege, selten gibt es Blick zum Stausee bzw. Canyon, weit weniger aufregend als gegenüber. In einer längeren Waldpassage suche ich häufiger Schutz unter Blattwerk, um den unrhythmisch auftretenden stärkeren Regenschüttungen zu trotzen. Ohne sommerferne Nasspassagen ist aber kein Vorankommen möglich. Zurück auf der Hauptstrecke der ersten Reisetage, die von Bosnien über Pluzine nach Niksic, Podgorica und die Adria führt, radelt man wieder auf aalglatter, breiter Straße (trotzdem relative geringe Verkehrsdichte am Nachmittag), was offenbar nicht vor selbst verursachten Autoüberschlägen schützt, wie die Unfallsituation am Straßenrand belegt. Bei Donja Brezna gibt es unweit der Hauptstraße ein weiteres, großes Ferien-Camp, das ich kurz erwog aufzusuchen und die Etappe als nasser Pudel abzubrechen.

Doch soll ich wirklich meinen Weichei-Gene nachgeben? – Nein, sagte die innere Stimme und ich quälte mich bei wirschen Wetterkapriolen über die sonst leicht zu radelnde Javorak-Passhöhe. (Eine in der Karte eingezeichnete Alternativroute über Donja Brezna gibt es meiner Einschätzung nach nicht – zumindest keine vertretbar tourenradtauglische!) Durch einige Zwangspausen des Tages und die doch recht zähe Schotterfahrt schmolz mein Zeitfenster derart zusammen, das ein Erreichen von Savnik unmöglich schien, nachdem man etliche Höhenmeter auf der Abfahrt bis zur Verzweigung verliert. Ebenso sah ich mich außerstande, das Skicentar Vucje zu erreichen, von dem ich ohnehin nicht sicher war über eine Öffnung in Sommerzeiten. Ein kläglicher Anfahrtsversuch der Strecke scheiterte noch einem anderen Element: dem Wind. Ein heftiger Fallwind hätte mich auf der Bergstrecke zur gehbehinderten Schnecke gemacht, und jeden sportlichen Ehrgeiz im Keim erstickt.

So verblieb ich auf Kurs Niksic, nochmals mit Regenpause aufgewertet. Dazu hielt ich an einer Bar unmittelbar nach der Verzweigung. Zwar stand dort etwas von „Autocamp“, doch konnte ich schwerlich Sanitäranlagen erkennen, noch ermutigte der Blick in die Bar zur Bleibe. Offensichtlich wurde hier nur das überregional bekannte Niksic-Bier angeboten, der Wirt indes war über seinem Tisch eingeschlafen, da sein Lokal nicht gerade von Gästehorden aufgesucht wird. Ich musterte die Kücheneinrichtung und kam zu dem Ergebnis, das es sich um eine Junggeselleneinrichtung handelte, in der das Zubereiten eines Spiegeleis eine mittlere bis unmögliche Herausforderung bedeutet hätte. So nahm ich nach einem kleinen Hügel noch die recht stark besiedelte Ebene oberhalb von Niksic in Angriff, mehrere in Karten und Reiseführern nicht verzeichnete Camps liegen hier an der Strecke. Unmittelbar an der Straße fand ich dann einen hübschen wie preiswerten Gartencamping (auch Zelthütten zu mieten) mit angeschlossener Wirtschaft, in der ich allerdings mal wieder einziger Gast war.

Mi 26.6. Rastovac – Lukovo – Niksic – Ridani – Slansko jezero – Orlina – 11 – Stubica (531 m) – Manastir Ostrog (900 m) – Sekulici (Danilovgrad) – Spuz – Podgorica
112 km | 14,3 km/h | 7:49 h | 1075 Hm
W: sonnig, sehr windig, Fallwind von Norden (Sturm), max. ca. 24 °C
E (R Italiano D.O.C.): Tagliatelle Kirschtomate/Shrimps, Rw, Torte, Cafe 19,50 €
Ü: PZ Villa Patria 18 € o. Fr.

Wenn auch die Sonne täuschend lachte, so hatte sich der Fallwind aus den Bergen gehalten. Auf der leicht hügeligen, einsamen und hübschen Verbindungsstrecke nach Lukovo fiel das wegen der schützenden Büsche nicht ins Gewicht. Allerdings konnte ich dann die Fahrt über den Krnovo-Pass nicht angehen, da der Weg aufwärts gegen den Wind geradezu unmöglich war. Damit bewegte ich mich nach Niksic, eine eher unauffälligen Strecke, auf der man bei der Anfahrt von Niksic einen guten Blick über die Ebene mit der Stadt hat. Niksic zeigt sich am Rande als exsozialistische Unschönheit mit verfallenen Fabrikanlagen und schmuckloser Wohnarchitektur. In der Bierstadt gibt man sich Mühe, ein modernes Bild mit lebenswerter Atmosphäre zu schaffen. Eine Fußgängerzone mit vielen Bars und Shoppingmöglichkeiten lädt zum Sehen und Gesehen-werden ein. Weitere Einkaufsmöglichkeiten sowie Gewerbegebiete ziehen sich hinaus zu allen Seiten, derweil das Stadtende nicht wirklich weit ist.

Bevor ich zum Slansko-See gelange, befahre ich eine auch als Radweg ausgewiesene Piste, die an ein paar Sehenswürdigkeiten mit Lehrtafeln vorbeiführt. Darunter befinden sich eine alte Steinbogenbrücke, ein Kapelle und vor allem ein besonderes Feuchtbiotop, das von dem Wasser aus dem Staussee bzw. dessen abzweigender Kanäle geflutet wird. Die so entstandene, noch junge Sumpflandschaft liefert ein augenfälliges Farbspiel aus Gelb, Grün und silbrigen Reflexionen. Der See (es gibt noch einen zweiten weiter nördlich) verfügt über recht steinige Ufer, die nur stellenweise zum Baden geeignet sind und offenbar wird nur wenig davon Gebrauch gemacht, den See als Freizeitrevier zu nutzen. Entwicklungspotenzial.

Man kann direkt von der Schleusenwart an der Staumauer am Rande des Sumpfbiotops auf die Nebenstraße nach Podgorica (die Hauptstraße ist nicht zu empfehlen) gelangen, wobei man allerdings eine Art Kieswerk durchfährt. Die Straße über den kurzen Stubica-Pass zeigt auf der Nordseite bereits einige Verfallserscheinungen. Für Autos besteht von der Schnellstraße zu der alten Straße eine Querverbindung, um die Ostrog-Klöster anzusteuern. Die sodann ein Stück weit hier von der Eisenbahn begleitete Strecke windet sich alsbald nach oben, um die Felsenklöster zu erklimmen. Dazu hat man die Straße exzellent ausgebaut, sodass man nunmehr auch über diese (dritte) Strecke den Weg nach Danilovgrad problemlos findet.

Das untere der Ostrog-Klöster kündigt sich durch Straßenstände mit Heiligensouvenirs an, wobei gleich alles Mögliche angeboten wird, von Honig bis zu traditionellen Musikinstrumenten wie etwa die Gusla. Das Kloster hier verfügt über einen kleinen Garten vor der Kapelle, wo gerade eine orthodoxe Abendpredigt abgehalten wird. Auch hier wird für die heilige Stimmung eine Kleiderordnung per Schild verlangt, die aber offenbar nicht so eng ausgelegt wird, soweit man in den Gartenanlagen verbleibt. (Im oberen Kloster verzichtet man schon ganz auf eine Disziplinierung der Touristen, weil das Geschäft irgendwo doch wichtiger erscheint.) In einem Nebengebäude hier kann auch übernachtet werden.

Oberhalb befindet sich noch eine weitere Klosterkapelle, wo von der Durchgangsstraße nach Danilovgrad eine Stichstraße zum oberen Kloster auf ca. 900 m hoch abzweigt. Auf dieser sind einige Kehren zu bewältigen, die vielleicht nicht so martialisch steil sind wie das in den Fels gehauene Kloster vermuten lassen könnte – anspruchsvoll ist es aber allemal. Wie ein Adlerhorst thronen im Fels zwei Klosterbauten über dem weiten Tal. Die Kühnheit der Bauten ist atemberaubend. Der Rundgang durch die weiße Klosterkirche ist eintrittsfrei, in dem anderen Klosterbau befindet sich ein Laden mit spiritistischen Souvenirs, deren echte Klosterherkunft aber in Frage zu stellen ist. Seifen, Öle und Weihwässer erfüllen den Raum mit Düften alchemistischer Geheimrezepturen, die Heilung von Geist, Seele und Körper versprechen. Dazu gibt es die glücksbringende Schmuckstücke, Rosenkränze und Kreuze, die des Erlösers Gnade anrufen helfen sollen, entsprechende Gebetsfibeln und Ikonenbilder komplettieren die Grundausstattung zur überirdischen Kontaktvermittlung.

Schnell hinunter geht es zwar meist, aber zwei Gegenanstiege muss man einrechnen, bevor man die Höhe von Danilovgrad erreicht. Man genießt einen weiten Talblick oberhalb der Eisenbahnstrecke, ohne dass es landschaftliche Highlights zu verzeichnen gibt. Irgendwo ohne Ort gibt es ein schön gelegenes Restaurant, wartet wohl auf Klosterbesuchsgäste. Mir will es zu früh sein, um den Tag zu beschließen. Sogar Danilograd lasse ich aus, fahre die Nebenstrecke weiter in die Dunkelheit hinein. Trotz dichter Besiedlung mit zahlreichen Minimarkets gibt es hier keine Gastronomie – es wäre da wohl besser, die parallele Transitachse zu nutzen.

So muss ich zwangsläufig zu später Stunde doch noch nach Podgorica einfahren, wo ich aber fast nur prall gefüllte Straßenkneipen finde. Im italienischen Restaurant erklärt mir der Kellner, dass ich mich auf der falschen Stadtseite befinde, die meisten Restaurants seien im Stadtteil auf dem rechten Moraca-Ufer. Aber hier war das Essen ja auch nicht schlecht, eben nur rein italienisch. Gegen Mitternacht war dann meine Experimentierfreude erlahmt und ich suchte die Villa Patria am nördlichen Stadtausgang auf, dessen Übernachtungsangebot mit großen Lettern mir schon bei dem ersten Podgorica-Besuch aufgefallen war. Das äußere Erscheinungsbild ist etwas besser als das innere, aber die Zimmer sind okay, Frühstück gibt es aber nicht.

Do 27.6. Podgorica – Medun – Ubli – Koci – Ducici – Medun – Podgorica – Niagara Falls – Kanjon Cijevna (Anfang) – Tuzi – Bjelo Polje – Virpazar
100 km | 13,9 km/h | 7:20 h | 915 Hm
W: sonnig, sehr windig, max. ca. 30 °C
E (R Crmnica): gegr. Paprika, frit. Fisch, Kart., Rw, Crêpes Marmelade 20,90 €
Ü: C wild 0 €

Da ich ungeplant weit vorgestoßen war, suchte ich nach einer Extrarunde. Diese sollte über Medun und Ubli führen, in deren Fortführung auch Verusa erreicht werden kann – ob durchgehend asphaltiert kann ich aber nicht versichern. Die Strecke führt mit weitem Panorama über die Ebene von Podgorica mit Flughafen und in der Ferne dem Skadarsee in weiten Bögen an einem offenen Hang nach oben. Bei Medun liegt eine geschützte Zwischenebene, die zum Gemüse- und Weinanbau genutzt wird und über der eine Burgruine thront. Die Fortsetzung ist relativ karg, sodass ich diese Variante nach Verusa jenseits von Ubli als die unattraktivste von den dreien einschätze. Für MTBer besteht noch eine vierte, aber schwierige grenznahe Trailroute, die bei Korita nach Norden abzweigt. Statt den kompletten Bogen über Korita zu fahren, suchte ich eine recht anspruchsvolle Abkürzungsschleife über Koci. Koci ist aber entgegen den Karteneinträgen eine Sackgasse, die Verbindung nach Süden existiert nicht mehr (verschüttet?), wie mir die Einheimischen zu verstehen gaben.

Es verblieb mir dann nur noch wenig Zeit für den untersten Teil des Cijevna-Canyons, ein kaum ansteigendes Tal bis zur Bergbarriere nahe an die albanische Grenze. Diese Schlucht hätte noch etwas mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt. Dort bestehen ebenso Bademöglichkeiten wie an den sogenannten Niagara-Fällen am Unterlauf in der Ebene. Eben da hat sich die Cijevna wie mit einer Rasierklinge schroff in den Fels gegraben und windet sich als tief blaues Band durch den fast schwarzen Fels. Die Felsen werden auch gerne zum Wasserspringen genutzt. Schließlich stürzt die Cijevna an einer Stelle in einem weit verzweigten Netz von Kaskaden in tiefere Becken, wobei der größte der Wasserfälle besonders breit und stäubend in einen schmalen Felsspalt donnert. Dabei erinnert die Optik an den berühmten amerikanischen Wasserfall an den Oberen Seen bei Detroit, was ihm den entsprechenden Namen einbrachte. Für die vergleichsweise niedrige Höhe der Fälle und des teils doch rechten schmalen Flussbettes erstaunen die Wassermengen schon. Direkt anbei kann auch ein Ausflugslokal mit gepflegten Badeplätzen besucht werden. Über die Ebene jenseits der Niagara-Fälle lohnt nicht groß Worte zu verlieren. Tuzi unweit der albanischen Grenze ist schon sehr muslimisch und orientalisch geprägt – das Ende von Balkan light für Anfänger scheint gekommen. Als Radler wird mir zugerufen, wo es nach Albanien geht – nur da will ich ja gar nicht hin. Offenbar haben sich die vielen Transbalkanradler schon gut eingeprägt.

Nachdem man sich etwas verwinkelt und später auf der Geraden der Hauptstraße ein wenig durchgequält hat, beginnt etwa bei Bistrice eine neue Landschaft. Die Kuppenberge um den Skadarsee bauen sich als scheinbar fast unüberwindliche Barriere auf, Möwen steigen vor der untergehenden Sonne auf, ein Geruch von Seetang erfüllt die Luft. Die schattige Abendkühle legt eine Stille selbst über den vehementen Autoverkehr, zu dem sich nebenan die Eisenbahn gesellt, die nun in enger Begleitung zur Straße die schmalen Dämme bis Virpazar überbrücken muss. Ein Meer von Seerosenblattteppichen breitet sich nebst verwunschenen Schilfzonen aus, Silberreiher und Kormorane bevölkern die verschiedenen Etagen der Sumpfbäume, flüchten schnell vor jedem noch so fernen Besucher. Nochmehr taucht die Sonne am Horizont ab und reflektiert sich in pastellenen Rot-, Violett- und Goldtönen zwischen Brückenstahl und Wolkenfiguren.

An den ersten glatten Seeflächen warten Schiffskähne mit Baldachindächern auf die Fischfangausfahrt am nächsten Morgen. Nach der ersten Brücke liegt ein kleines Fischerdorf in eine Felsbucht gedrückt, der kleine Fischerhafen schweigt sich in eine Postkartenidylle hinein. Direkt gegenüber kontrastiert die geradlinige Ordnung der Schienenstränge und fügt sich doch in Szenerie des mystischen Lichtspiels. Die Stimmung wechselt am großen Damm mit einer weiten Seefläche, schon ganz im Dämmerlicht, die Boote hier gepflegt unter der Hotelterrasse, auf der man Fischgerichte genießt. Die einst von Türken erstellte Festung Lesendro mit ihren schmalen, langen, von Bahnschotterstaub geschwärzten Mauern nimmt eine fast bedrohliche, düstere Silhouette an, als wolle sie Kerkerhäftlingen vergangener Zeiten berichten. Auf dem Uferbogen schaut man auf die Lichter in mehreren Bergetagen über Virpazar, die heimelige Zuflucht inmitten der weiten Einsamkeit des Sees versprechen. So ist denn der schmackhafte Abschluss des Tages in den Lauben des Restaurants Crmnica ein sehr gelungener. Der Wirt genehmigt mir auch noch das Zeltaufstellen auf den nächtlich nicht benutzten Parkplätzen und rät mir Obacht walten zu lassen auf Schlangen.

Bildergalerie zu Kapitel III (124 Fotos – die Bildstaffel endet bereits in Tuzi, die Abendbilder des Skadarsees finden sich in der nächsten Bildergalerie):



Fortsetzung folgt