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#996403 - 10.12.13 23:05 die 11. Tür engelsgleich [Re: veloträumer]
veloträumer
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KAPITEL V
Kotor-Bucht und Lovcen-Berge: Pittoreske Küstenorte, beschauliches viva maritima, Spitzkehrenolympiade, Felsenlabyrinth und ein Dichterfürst über den Wolken

Wie kein anderer vermag Renaud Garcia-Fons Kulturen und Atmosphären rund um das Mittelmeer in imaginäre Folklore umzusetzen. Mit katalanischem Hintergrund und in syrischer Musik geschult, versteht der Pariser Kontrabassvirtuose immer wieder den Bogen von der maurischen Tradition des westlichen Mittelmeeres bis über den Bosporus hinaus zum Nahen und Mittleren Osten scheinbar grenzenlos zu spannen. Auch gut geeignet um die Meeresstimmungen der Kotorbucht zu reflektieren und das Nachbarland anzusteuern: Renaud Garcia-Fons „Oriental bass“ (6:39 min.).

Do 4.7. Budva-Jaz – Tivat – Lepetani – Kotor – Krstac (945 m) – Njegusi – Cekanje (1248 m) – Cetinje
87 km | 11,9 km/h | 7:18 h | 1335 Hm
W: heiter, schwül, später bewölkt, Lovcen-Straße windig, max. ca. 30 °C
E (R im Zentrum): Grillteller, PF, Gem., Rw, Eis, Cafe 17,30 €
Ü: PZ 20 € o. Fr.

Fr 5.7. Cetinje – Ivanova Korita – Jezerski Vrh (1565 m) – Krstac (945 m) – Kotor – Perast – Risan – Donji Morini – Bijela – Zelenika
100 km | 14,1 km/h | 7:03 h | 1165 Hm
W: sonnig, bewölkt, windig, in der Boka heiß, nachts min. 27 °C, heißer Wind
E (R Moretto): Kalbsmedaillons, Reis, PF, Salat, Bier, Cafe 14 €
Ü: C Zelenika 7 € (kalte Du.)
B: Mausoleum Njegosev 3 €

Die Boka-Runde

Die Kotor-Bucht – Boka kotarska, kurz Boka – ist eigentlich mehr als eine Bucht – es sind mehrere Buchten bzw. ein verzweigtes System von Meerarmen – ein Fjord. Die Seeschiffe fahren bis in den letzten Winkel, den weitest entfernten Punkt vom offenen Meer – bis nach Kotor. So liegen in der engen, steil von den Lovcen-Bergen umragten Kotorbucht i.e.S. mit der pittoresken Altstadt und seinen an den Hang heraufgezogenen Festungsmauern riesige, der binnenseeähnlichen Stimmung unpassend überdimensionierte Hotelschiffe des internationalen Kreuzfahrtzirkus’. Wer die Boka beradelt, steht vor der Frage, alles oder nur einen Teil – was lohnt, was nicht?

Kurz: Abkürzungen zu fahren sind Frevel. Allein um die verschiedenen Stimmungen dieses kleinen Binnenmeeres einzufangen, braucht man Zeit – wohl bin ich noch viel zu schnell gewesen. Was der Rest von Montenegro nur selten zu bieten hat, gibt es hier im Übermaß: pittoreske Orte mit typisch dalmatinischem sprich venezianischem Charme. Die betriebsamen und größeren Orte Herceg Novi und Tivat als die beiden Eingangstore zur Boka-Rundfahrt gehören ebenso zu den Perlen, wie die stilleren Flecken Perast, Orahovac, Muo, Prcanj, Donje Stoliv, Donja Lastva oder die beiden Inseln Sveti Dorde und Gospa od Skruplje. Jedes unvollendete Bilderbuch wird hier die weißen Seiten problemlos füllen können.

Kotor selbst vermittelt eine ganz andere Atmosphäre als Budva, das Hippe und Glamouröse fehlt hier gänzlich – soweit es die Touristen hineintragen, verschlucken es die engen Häuserschluchten und werden organischer Teil des Stadtbildes. Da auch jenseits der Stadtmauern der Platz fehlt, gibt es kaum internationale Shops und Hotels, stattdessen sorgen kleine Läden, Restaurants und Ateliers für heimelige Winkel. Wer in der Stadt wohnt, tut es in engen Mauern, Gepäck wird per Lastenrad transportiert, Autos sind ausgeschlossen.

Die Boka über die offizielle Magistrale abzukürzen, wäre die schlechteste Routenwahl, wenn man auswählen müsste. Die Magistrale verläuft nicht durch Kotor, sondern von Herceg Novi über die Fähre zwischen Kamenari und Lepetani via Tivat weiter nach Budva. Dabei ist die Strecke zwischen Jaz und dem Flughafen Tivat die langweiligste – auch ohne Meersicht, aber auch keine echten Berge. Auch wenig reizvoll, aber mit Bindung zum Meer ist die Strecke zwischen Kamenari und Herceg Novi. Dabei kann man auf die Küstenpromenaden ausweichen, was aber nicht zu empfehlen ist, weil das Menschengedränge ein Vorankommen nur schwer zulässt.

Der geringst besiedelte und daher die meiste Ruhe verströmende Teil liegt zwischen Kamenari und Risan. Zwischen Risan und Kotor sind die Orte dichter, etliche Buchten werden bereits intensiver zum Baden genutzt, Massentourismus gibt es aber auch hier nicht. Zwischen Donji Orahovac und Kotor nimmt der Badebetrieb an den kleinen Mauerstränden zu. Weitgehend besteht eine Fahrstraße unmittelbar am Meer parallel zu der Hauptstraße, die etwas oberhalb liegt. Es lohnt diesen Fahrweg auch zu nutzen, auch wenn man mal etwas langsamer wegen der Strandgäste radeln muss. Mir persönlich hat die Strecke zwischen Kotor und Tivat am besten Gefallen, weil sich die kleinen, heimeligen Dörfchen mit Kirchtürmchen, roten Ziegeldächern, südländischen Zypressen und bunten Oleanderbüschen wunderbar mit den stillen, lieblichen Meeresstimmungen und den fast bedrohlichen, majestätischen Lovcen-Berghängen in perfekter Symbiose verbinden. Dabei ist die Strecke zwischen der Fähre bei Lepetani und Kotor für LKWs gesperrt, also überraschend ruhig, für den Rest nach Tivat gibt es wiederum eine meergebundene Fahrwegalternative.

Die Lovcen-Runde

Wer die komplette Lovcen-Runde an einem Tag fahren möchte, sollte das vielleicht am besten von Kotor aus tun. Von Cetinje aus ohne die Serpentinenstraße würde man ein echtes Highlight ausblenden. Die doppelte Beradlung der Lovcen-Serpentinen ist auch keineswegs langweilig – abwärts darf man genießen, was man aufwärts genauer in Augenschein genommen hat. Sicherlich muss man nicht die Runde komplett fahren, denn beide Strecken zwischen Krstac und Cetinje führen durch ein eigentümliches, für den Lovcen typisches Felsenmeer aus Karstgestein. Dabei ist letztlich die südliche Nationalparkroute die eindrucksvollere, die man noch durch eine sportliche Bergfahrt aufpeppen kann – zum Mausoleum zu Ehren des Fürstbischofs und Nationaldichters Petar II Petrovic Njegos, dessen Geburtshaus in dem Schinkenort Njegusi steht. Das pathetisch überdimensionierte Denkmal lohnt nur, wenn man noch mehr Aussicht haben möchte – eigentlich ist das aber schon mit der Serpentinenauffahrt zuvor ausreichend abgedeckt. Zum Mausoleum zahlt man Eintritt, während der Rest der Lovcen-NP-Straße für Velos frei ist, Autos zahlen Maut. Die Lovcen-Runde ist nirgendwo flach, also immerzu anspruchsvoll, wobei die aufsteigenden Serpentinen aus der Kotorbucht martialischer wirken als sie sind. Hingegen könnte man die Auf und Abs in der Lovcen-Höhe unterschätzen. Neben der bereits beschrieben Anfahrtsmöglichkeit vom Skadarsee gibt es auch noch eine einsame Nordanfahrt vom Slansko jezero bei Niksic, die ebenfalls durch ein Felsenmeer führt – soweit mein Auge das überblicken konnte.

Unterkünfte finden sich in Ivanova Korita (Bed-&-Bike-Betrieb, Skiresort), Njegusi (u. a. größeres Hüttencamp) und Cetinje – Selbstversorgung ist nur in beiden letzteren Orten möglich, in Cetinje gibt es auch einen gut bestückten Markt. Das berühmte Rauchfleisch, den Schinken und Käse aus Njegusi bekommt man natürlich nicht nur dort, aber in Njegusi gibt es viele Eigenvermarkter, meistens gibt es auch noch selbstgemachte Schnäpse in der Auswahl und hier ist es leichter, ein Schwätzchen zu halten. Weitere Esslokale gibt es am Krstac-Pass und nochmals etwas abseits und oberhalb von Njegusi. Ein Motel-Schild irritiert kurz vor der Abfahrt nach Cetinje einsam an der Straße. Unten befindliche Hütte ist nicht mehr als ein Picknickplatz mit einer Junggesellen-Küche und wohl ein paar Hüttenschlafplätzen – vielleicht eine Option für Selbstversorger, scheint mir aber etwas dubios. In Ivanova Korita findet sich nebst bereits bestehendem Gastbetrieb und dem neu gebauten, noch nicht im Betrieb befindlichen 5-Sterne-Hotel eine kleine Nationalparkverwaltung mit Karten, Souvenirs und Infos. (Für Gruppen können wohl auch Video-Präsentation gebucht werden). Direkt gegenüber dem Hotel ist auch der einzige Brunnen auf der gesamten Lovcen-Runde zu finden.

Bildergalerie zu Kapitel V (132 Fotos):



Fortsetzung folgt
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Matthias
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#996406 - 10.12.13 23:15 Re: Radtransport im Flugzeug [Re: Tigram]
veloträumer
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Beiträge: 17.178
In Antwort auf: Tigram
Ich bin im Juni von Olbia(Sardinien) nach Stuttgart zurückgeflogen und habe mein Rad NICHT verpackt und es ging!!! Ich habe nur den Lenker quergesetzt, die Luft etwas abgelassen und mein Rad war nicht beschädigt.

Solche Erfahrungen habe ich auch schon, weil ich bei Rückflügen mit einer Ausnahme noch nie verpackt habe. Es verbleibt aber immer eine Restrisiko abgewiesen zu werden, weil die Bestimmungen eben anders sind. Da ich eine negative Service-Entwicklung beobachte (nicht nur im Flugverkehr), werde ich auch immer ängstlicher, dass es eines Tages nicht mehr klappt. Gibt leider hier im Forum auch immer wieder Leidberichte darüber.
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Matthias
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#996565 - 11.12.13 15:40 Re: Das 2. Türchen [Re: veloträumer]
Juergen
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Beiträge: 14.208
Hallo Matthias,

vor ein paar Jahren war ich in Dubrovnik und musste weinen, als ich in dem kleinen Museum im Sponza-Palast stand, in dem Bilder der zerstörten Stadt und der Toten zu sehen sind. Ich war sehr bedrückt über meine Unkenntnis der Jugoslawienkriege, die ich nur wenig in meiner damaligen beruflichen Situation auf dem Schirm hatte peinlich Jetzt bin ich wieder gerührt über Deine sehr persönliche Er-Fahrung, die mich an meine damaligen Eindrücke in Kroatien auf dem Weg nach Griechenland erinnert. Ich danke dir dafür ganz herzlich.
Dass das Vergessen des Krieges im Vordergrund steht, kann ich bestätigen. So erzählte mir meine Zimmervermieterin, dass der Krieg Geschichte und damit Vergangenheit sei. Basta!
Das habe ich mit den Erlebnissen unserer Mütter und Väter verglichen, die sich auch erst Jahre später, wenn überhaupt, mit ihrer Rolle im dritten Reich auseinandersetzten konnten und damals nur vergessen wollten.

Herzlichen Dank für Deinen Bericht, der mich allerdings vielfach an meine Grenzen bringt schmunzel

Gruß
Jürgen

ps: die Helden meiner Kindheit werden heute 50 Jahre alt lach und konnten mir auf einem Ritt gegen die Bora auch nicht helfen
° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° °
Reisen +
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#996594 - 11.12.13 19:15 Re: Das 2. Türchen [Re: Juergen]
veloträumer
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In Antwort auf: Juergen
vor ein paar Jahren war ich in Dubrovnik und musste weinen, als ich in dem kleinen Museum im Sponza-Palast stand, in dem Bilder der zerstörten Stadt und der Toten zu sehen sind. Ich war sehr bedrückt über meine Unkenntnis der Jugoslawienkriege, die ich nur wenig in meiner damaligen beruflichen Situation auf dem Schirm hatte peinlich Jetzt bin ich wieder gerührt über Deine sehr persönliche Er-Fahrung, die mich an meine damaligen Eindrücke in Kroatien auf dem Weg nach Griechenland erinnert.

Mir geht es nicht viel anders, mir waren die Fronten in den Ex-Jugoslawien-Krieg manchmal einfach nur zu widersprüchlich und kompliziert, sodass ich manches ausgeblendet hatte, obwohl ich zu dieser Zeit internationale politische Wissenschaften studiert hatte. Eher habe ich andere Themen gesucht innerhalb der EU oder außerhalb in der Welt. Ich erinnere mich auch eines (auswärtigen) Dozenten, der mal davon sprach, dass Urlaub in Kroatien billig sei und er dahin gefahren sei, da keiner hin wolle, weil im Hinterland gerade Krieg sei, nicht aber an der Küste. Damals fand ich das cool, heute denken ich da etwas anders.

Auch auf meiner 2003er-Reise habe ich mich kaum mit den Kriegshintergründen beschäftigt, da bin ich ja mehr oder weniger auch nur durch das touristische Blendwerk gefahren. Natürlich habe ich ich im Angesicht der zerschossenen Häuser auf dem Weg nach Plitvice oder in der Ervenik-Region schon die "Warum?"-Frage mit einer gewissen Gänsehaut gestellt, aber das zog schnell vorbei. Tatsächlich muss man die Wunden, die man sieht, auch mal hinterfragen. Die Reise ist allerdings nur ein kleiner Gedankenkreis um die Probleme - ein paar Denkanstöße, ein paar Kommentare - keine Kriegsaufarbeitung. Es bleibt letztlich eine Radreise, in der alles etwas flüchtig behandelt wird.

Ebenso liegt mir aber auch an der Aufbruch-Vision, wie es eben unter dem Etikett "Via Dinarica" formuliert ist. Es ist auch nie klar, ob eine gute Aussöhnung und Versöhnung eine gute Grundlage zum Aufbau eines Landes wird. Südafrika ist z.B. ein tragisches Beispiel dafür, wie trotz einer fast idealen Form von Versöhnung eine ungünstige soziale Entwicklung eingetreten ist, indem soziale und wirtschaftliche Asymmetrien zu neuer Gewalt mit neuen Trennlinien zwischen sozialen und ethnischen Gruppen geführt haben. Insofern könnte ich mir auch vorstellen, dass ein positive ökonomische Entwicklung innerhalb der EU auf den Balkan manche Schuld ungefragt hinwegspült - also zuerst einmal die Wohlstandsmehrung wichtig ist. Auch die Geschichtsaufarbeitung in Deutschland entwickelte ihr selbstkritisches Bewusstsein erst richtig nach der ersten Wirtschaftswunder-Nachkriegszeit, sprich nach der Adenauer-Zeit. Die Adenauer-Zeit war eine Ära, in der vieles vertuscht und verdrängt wurde. Trotzdem wurde die deutsche Nachkriegsgeschichte auch zu einem Vorbild für Friedensentwicklung. Vollendet werden konnte sie aber nur durch die Schuldeingeständnisse später - z.B. wie durch Brandts Kniefalll von Warschau oder den endgültigen Verzicht der Ostgebiete oder die Enttabuisierung der Judenvernichtung im Bürgertum durch die 1968er-Bewegung.
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Matthias
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#996659 - 11.12.13 23:06 12 Tore nun schon [Re: veloträumer]
veloträumer
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KAPITEL VI
Multikulturelles Intermezzo in der Herzegowina: Sehenswerte Städteperlen zwischen Ruinen und Aufbruch, fruchtbare Poljen, schäumende Wasserspiele und liebliche Weingärten

Wohl ist die Mostar Sevdah Reunion mehr als nur eine Band, vielmehr ist sie ein Symbol für Versöhnung und Aufbruch der einst kriegsgebeutelten Stadt an der Neretva. Sie versucht der Stadt Mostar wieder zu einem lebenswerten, fröhlichen akustischen Gesicht zu verhelfen. Dragi Sestic, selbst Vertriebener und immer noch darunter leidend, belebt mit seiner Band den Sevdalinka- Stil, ein wohl auf das Mittelalter zurückgehende Musik, die ihre Wurzeln in arabischer Liebeslyrik hat. Dieser schwermütige Balkan-Blues steckt voller Melancholie, die in vertonten Gedichten aus der guten alten Zeiten Mostars stecken – in der Hoffnung, dass diese wiederkehren mögen. Obwohl ich Mostar um einige Kilometer entfernt umfahren habe, findet sich in diesem Bandprojekt der Geist des Via Dinarica kaum mehr wieder als irgendwo sonst: Mostar Sevdah Reunion „Cudna jada od Mostara grada“ (8:23 min.).

Sa 6.7. Zelenika – Herceg Novi – Kameno – Javor (839 m) – Trebinje – ? (605 m) – Mosko (Motel) – Bileca
80 km | 11,4 km/h | 6:58 h | 1465 Hm
W: sonnig, bewölkt, leichtes Gewitter, 24-29 °C
E (R Jezero): Steak m. Käse/Champ., PF, Gem., Ww, Eis Bananasplit, Cafe 32,50 KM
Ü: C wild 0 €

Die Nacht auf dem spartanisch ausgestatteten Camp in Zelenika war eine Vorgeschmack auf das Fegefeuer: Vom Meer rasten heftige Windböen auf das Land, die heiße Saharaluft mit sich trugen. So konnte man schon aus mehrfachen Gründen die Nacht nicht schlafen, sank das Thermometer nicht unter 28 oder 27 °C, zerrte der Wind am Zelt wie ein Wolfsrudel, fiel immerzu ein Schein der hellen Campinglichter durch die Feigenbaumdächer und – als wäre das noch nicht genug – blieben die Moskitos die ganze Nacht auf Blutbeutezug, da der Wind wohl auch ihnen die Nachtruhe geraubt. böse

So erklimme ich nach der Besichtigung von Herceg Novi und einem Abschiedskaffee auf Montenegro die Binnenberge nicht nur bei schweißtreibenden Temperaturen, sondern auch mit einem ziemlich ermatteten Körper und Geist. In Kameno kann man nochmal ein paar Kleinigkeiten erwerben – vor allem hier und jetzt ein Eis! Die Straße nach BiH ist relativ schwach befahren und führt alsbald durch typischen Oberflächenkarst, die das Orjen-Massiv hier aufgeworfen hat. Das Orjen scheint dem Lovcen ähnlich zu sein – ob jetzt wirklich eine nähere Beradlung und Erwanderung gelohnt hätte, ist von dieser Straße her nicht einzuschätzen. Eine Einmündung einer richtigen Straße aus dem Orjen, letztlich vom Orjen Sedlo kommend, wie auf den Karten verzeichnet, habe ich auf der Herzegowina-Seite nicht gesehen. Was ich gesehen habe, waren allenfalls ruppige Pisten, die Bergbauern dienen könnten, aber nicht einer touristischen Erkundung.

Der heutige und auch noch ein Teil des nächsten Tages führt durch die Herzegowina, der verwaltungstechnisch zur Republik Srpska gehört. Auffällig wird man an der Grenze in der „Republik Srpska“ willkommen geheißen, einschließlich serbischer Beflaggung – nicht in Bosnien-Herzegowina, dessen Staatssymbol gänzlich fehlt! Die serbische Prägung spürt man in der zurückhaltenden, eher ruhigen Atmosphäre auch in den größeren Orten (Bileca, Trebinje – wie auch schon anfangs der Reise in Foca), während sich die muslimischen und kroatisch geprägten Teile der Herzegowina sich lebendiger und „südländischer“ geben. Landschaftlich gelangt man zunächst in eine weichere Hügellandschaft mit teils weiten flachen Feldern und Wiesen.

Trebinje strahlt eine lebenswerte Atomsphäre aus durch großzügige Freizeiteinrichtungen (Bad, Park) und die idyllischen Plätze am allseits spiegelnden Fluss mit Terrassencafes und überhängenden Weiden, der kleinen Altstadtkulisse, in Berghöhen eingebettet, die von schmucken Festungen, Klöstern und Kirchen bestückt sind, sowie nicht zuletzt durch eine pittoreske Bogenbrücke (Arslanagica most) etwas außerhalb. Die Brücke hat man dem selben Mehmet Pasa Sokolovic zu verdanken, der auch jene Drina-Brücke in Visegrad in Auftrag gab, die zur Romanvorlage von Ivo Andrics Werk „Die Brücke über die Drina“ wurde. Die sonnendurchfluteten Hänge begünstigen Weinbau und guter Trank und feine Speisen lassen sich die besseren Kreise bereits sichtbar in entsprechend gepflegten Lokalen schmecken. Das beeindruckende Stadtpanorama verdankt man auch dem riesigen Friedhof, dessen Tote ja bekanntlich nicht alle eines natürlichen Todes gestorben sein dürften. Friedhofskultur zugleich als Landschaftsmerkmal wie als Mahnmal.

Der Übergang zum Bileca-See ermöglicht vom aufsteigenden Karsthang jenes weite Stadtpanorama, aber auch einen schönen Blick in das Trebisnjica-Tal, dem man weiter folgen könnte über einen Pass nach Niksic in Montenegro. Zum Bileca-See ist nur eine mäßige Zwischenhöhe zu erklimmen, mitten auf der Strecke liegt einzeln ein recht einladendes Motel (Mosko). Es öffnen sich sodann mehrere Seeblicke, inmitten findet sich eine kleine Insel mit orthodoxer Kirche. Man gelangt schließlich auf Seehöhe hinunter, umfährt den See nebst Steinbruchabbauhalden, passiert ein Fischlokal, das wohl schwer um wenige Gäste kämpfen muss und gewinnt wieder an Höhe, um zur Stadt Bileca zu gelangen, die oberhalb des Sees liegt. Mein Abendmahl finde ich gelungen direkt vor den Toren der Stadt, anbei ist gleich ein Picknickplatz samt Wiesenquelle, an dem mein Zeltgrund mit Seeblick jeden 5-Sterne-Camp schlagen würde. schmunzel

So 7.7. Bileca – Plana – Divin (648 m) – Berkovici – Prevorac (542 m) – Vrelo Bregave – Stolac – Stolovi (424 m) – Dracevo – Capljina
115 km | 14,0 km/h | 8:10 h | 1200 Hm
W: meist sonnig, auch Regen/Gewitter, kräftige Windböen, max. ca. 32 °C
E (R Pizzeria): überback. Käse/Preiselbeeren/Ananas, Kalb/Huhn/Gem., Bier 24 €
Ü: C wild 0 €

Bileca ist ein weitgehend untouristischer Ort, strahlt aber eine angenehme Ruhe trotz der recht üppigen Besiedlung aus. Ähnlich wie in Trebinje bereits, beherrscht die grüne Parkoase ein mächtiges Partisanendenkmal – die Opfergeschichte des Zweiten Weltkrieges ist auch hier lang und tragisch. Der Bileca-See staut das Wasser der Trebisnjica, dessen Flusslauf kurios ist – ein wiederum seltenes Karstphänomen. Er fließt ungefähr genauso lange unterirdisch wie überirdisch. Nach seinem Versickern bei Hutovo, kommt er gleich an drei Stellen wieder zutage – bei Capljina in die Neretva sowie bei Slano und Dubrovnik in meernahe Flüsse.

Die folgende Route, zunächst auf der Hauptachse nach Gacko weniger spannend, bekommt mit der abzweigenden Route nach Stolac ein wiederum neues Karstgesicht. Diese Strecke über eher leichte Hügel verläuft parallel zu den Bergrücken. Wahrscheinlich gibt es auch eine etwas anspruchsvollere Fahrt mehr durch die Berge, wenn man bereits in Podubovac abzweigt – vermutlich auch durchgehend asphaltiert. Was aber auf meiner Route fasziniert, sind die weiten Poljen-Landschaften – liebliche Hochebenen, auf denen sich Wasser sammelt, um Feld- und Gartenfrüchte anzubauen. Es bilden sich Auenlandschaften und zuweilen sprudelt irgendwo eine Karstquelle aus den nördlichen Gebirgszügen, die einen erfrischenden Flusslauf bildet, der irgendwo versickert. So entstehen auch an einigen Stellen schilfartige Hochgrasteppiche, die eigenwillige Farbschatten entwerfen.

Mit der letzten Passüberfahrt nimmt man bald rasante Fahrt auf, da hier das Gefälle recht stark ist. Immerhin liegt Stolac schon fast auf Meeresniveau, der Höhenunterschied summiert sich auf ca. 500 m, wobei die untere Hälfte der Strecke wieder recht flach am Fluss verläuft. Der Fluss Bregave ist wiederum ein Karstphänomen. Erst ein ausgetrocknetes Flussbett, staunt man plötzlich über den voll sprudelnden Fluss, der kleinere Wasserfälle bildet, unter verwunschenen Steinbrücken durchrauscht und dabei – nicht zugängliche – Gumpen bildet. Ein mehrteiliges Quellsystem kanalisiert hier das Sickerwasser der zuvor oben beradelten Poljen. An einer angeblichen Besichtungsstelle mit Haus markiert eine steinerne serbische Flagge das Ende der Republik Srpska. Mein Versuch, dort ein Wasserfall-Foto zu machen, wurde von einem Mann abgeblockt, der mich wild gestikulierend vertreiben wollte. Offenbar gibt es da einen Konflikt zwischen offizieller Sehenswürdigkeit, für die sogar ein Busparkplatz ausgewiesen ist, und etwas eigensinnigen Bewohnern.

Die Bregave bildet im Flacheren einige beliebte Flussbade- und Grillplätze. Stolac ist eine alte Mühlen- und Brückenstadt, wobei die Brücken oft Brückenhäuser sind – ein kleines Stück Balkan-Venedig. Aber die Zerstörung der Stadt ist extrem – Kroaten und Bosniaken standen sich hier unversöhnlich gegenüber, eine Moschee diente als Kriegskerker. Noch jetzt ist das Stadtbild ein bizarr kontrastreiches. Zahlreiche durchschossene Häuserruinen verfallen neben neuen, sogar trendy eingerichteten Cafes oder Bars. Zerstörung und Aufbau liegen dicht beieinander – beklemmend und hoffnungsvoll zugleich – Schatten und Licht in einem Bild. Für die alten Brückenhäuser werden sichtbar Renovierungsgelder bereit gestellt – die Stadt hätte sicherlich einen gehobenen Platz im Herzegowina-Tourismus verdient. Ein Tipp für die Zukunft.

Die folgende Hügelroute hatte ich in ihrer Ausdehnung unterschätzt – nicht lange Rampen sind das Problem, eher das stete, kleinteilige Auf und Ab, wobei der raue Asphalt auf dem engen Sträßlein keine schnellen Abfahrten erlaubt. Man fährt durch eine recht öde, karstige Macchia-Landschaft ohne rechte Orientierungspunkte. Ich mache mir Gedanken über die Wegweiserschilder, die im ländlichen Raum fast alle mit Nachrichten beklebt sind. Es sind aber keine Zeitungsausschnitte, sondern immerzu Totenmeldungen. Der Verstorbene wird mit Foto und seinen Lebensleistungen gewürdigt. Das ist überall so, nicht nur in Herzegowina – auch in Montenegro. Zuweilen ist der ausgeschilderte Ort dadurch nicht mehr lesbar. Was treibt die Menschen um zu solcher Totenverkündigung? Ich konnte es auf der Reise nicht herausfinden. Als ich schließlich das, sogar Nationalpark-geschützte, Seengebiet von Hutovo erreiche, ist es bereits so dunkel, dass sich alle Natureindrücke in der Nachtschwärze auflösen. Die Lichterketten an der Neretva wollen nicht näher kommen, so zäh zieht sich die Nachfahrt hin. Trotz dichterer Besiedlung liegt keine Essstube auf dem Weg, sodass ich bis nach Capljina zur späten Stunde einfahren muss.

Außer einem teuren, großen Hotel an der Brücke sah ich keine Unterkunftsmöglichkeit. Sodann fand ich offene wie verlassene Bretterbuden in systematischer Anordnung am Flussufer. Das etwas seltsame Ambiente – wie ich später erfuhr, ein Investitionsruine eines ehemaligen Eventparks für Konzerte und mondäne Partys – wurde alsdann noch mysteriöser, als sich mir eine wankende Lampe durch das Dunkel näherte. Der junge Mann erwies sich als Obdach- und Arbeitsloser, der mal im Ruhrgebiet gearbeitet hatte und entsprechend gut Deutsch sprach. Er wohnte hier mit seiner Frau und einem Kleinkind quasi in offenen Holzbaracken und wollte „eine Hütte bauen“. Als wir am Morgen etwas zusammen saßen und er eine notdürftige Kaffeebrühe ohne etwas Essbares zusammenbraute, erschauderte mich, dass das Kind mehrere Verletzungsspuren am Kopf hatte und die Frau recht schnell auch die Beherrschung verlor. Die sichtbare Armut lastete auf der Beziehung der drei, dass Streit unvermeidlich und Gewalt zu befürchten war. Mich erfüllt noch heute ein gewisser Unmut, hilflos die Situation möglichst schnell vergessend hinter mir gelassen zu haben. Was soll ich tun in einem fremden Land, dessen Sprache ich nicht kenne und in dem Sozialstaat noch eine ferne Vision ist? Sicherlich hätte ich in Deutschland ernsthaft überlegt, den Fall Polizei oder Jugendamt zu melden, denn das Kind dürfte so eine schadhafte Entwicklung nehmen. Ich hoffe insgeheim, dass der junge Mann einen festen Job findet – denn die Vernachlässigung war nicht bösartig, sondern Folge der zerstörerischen Kraft von Armut.

Mo 8.7. Capljina – Tasovici – Pocitelj – Capljina – Studenci – Stubica – Vodopad Kravica – Ljubuski – Vitina – Slap Kocusa – Klobuk – Grude
63 km | 12,3 km/h | 5:04 h | 815 Hm
W: sonnig, schwül, gegen Abend Gewitter mit Sturmböen, Wolken, 20-33 °C
E (H): Pfannengeschnetzeltes, Beilagen, RW 10 €
Ü: H (Motel) Kiwi 25 €

Trotz der traurigen Geschichte kann ich nicht umhin mit schwelgerischer Schönheit fortzufahren. Denn bereits auf der kleinen Auffahrt, um Pocitelj über eine kleine Rundfahrt zu erschließen, ergeben sich herrliche Panoramablicke über das Neretva-Tal mit der pittoresken Festungsstadt am Hang. Zunächst gelange ich zu den oberen Festungsteilen von Pocitelj und von hier aus wäre der Besuch der Stadt zu Fuß (es gibt Treppen, sehr steile Gassen, Rad schieben nicht möglich) ebenso denkbar wie von unten. Doch nehme ich einen weiteren Weg hinunter nach Pocitelj, auf dem man sich eindrucksvoll der Gesamtsilhouette nähert und sodann am unteren Eingangstor herauskommt, wo auch die Hauptstraße und die Busparkplätze liegen. Der Besuch sollte abends oder morgens geschehen, denn mit den Tagestouristen wird es hier übervoll. Als ehemalige Festungshochburg des Osmanischen Reiches dominiert natürlich das orientalische Erscheinungsbild, aber durch die enge und zweckgebunden Nachbarschaft zum Seehafen Dubrovnik kamen auch venezianische Einflüsse zum Tragen. Heute ist Pocitelj nicht nur ein Freiluftmuseum, sondern auch ein normal bewohnter Ort, sogar Gemüse und Obst wird in den kleinen Stufengärten angebaut. Die steile Hanglage lässt die totale Touristenflutung, wie sie wohl in Mostar zu erleben ist, nicht zu und jeden Abend kehrt hier die Ruhe der lieblichen Neretva in den Ort zurück.

Zurück in und aus Capljina heraus, dass keine echte Sehenswürdigkeiten aufweist, geht es durch teils dicht besiedeltes, von kleinen Weinrebenvillen geprägtes Hügelland, später Wiesen, Weiden, Auen, Ödland und unauffällige Bergzüge. Bei Studenci liegt der vermeintliche Abzweig zu den Kravica-Wasserfällen, was aber so nicht ganz stimmt. Denn tatsächlich besteht entgegen dem Karteneintrag bei den Kravica-Wasserfällen keine reguläre Brückenverbindung über das Wasser. Die Wasserfälle erreicht man geordnet per Stichstraße, die südöstlich von Ljubuski abzweigt und sodann entsprechend viele Parkplätze zu finden sind, da die Wasserfälle ein sehr beliebtes Ausflugsziel zum Baden und Picknicken sind.

Fährt man wie ich die Wasserfälle vom Südufer an, gelangt man zunächst an einen Ensemble von natürlichen und künstlichen Flussbecken mit kleinen Kaskaden, wo auch Ausflugslokale liegen und Bademöglichkeiten bestehen. Dann windet sich die Straße extrem steil nach oben, wobei man sich von der Flussschleife abwendet. Nach dem Ort Stubica quert man dann das nagelneue – zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Betrieb befindliche – Asphaltband der Autobahn Split – Mostar. Den Autobahnbau sieht man bereits zuvor bei Studenci mit den hohen Brückenpfeilern, die noch teils ohne die Horizontale unfertig in den Himmel ragen. Möglich, dass hier auch ein Abzweig mit entsprechenden Parkmöglichkeiten zu den Kravica-Fällen entsteht. Noch aber schleicht sich nur steil eine schlechte Straße nach unten, wo einige Autos auf provisorischen Wiesenstellplätzen stehen, dann beginnt Piste und schließlich nur noch eine Art Dschungelpfad mit verfallenem Mauerwerk. Ich fühle mich wie auf Stephens Entdeckerspuren zu den Maya-Schätzen von Copán, wie sie Karl Rolf Seufert mal in einem anschaulichen Abenteuerroman geschildert hat. Diese Schiebepassage ist aber nur sehr kurz und deswegen würde ich niemandem von dieser etwas prekären Exkursion abraten.

Dann steht man plötzlich an einem großen Flussbecken, das übervoll mit Badegästen ist, ein paar Bistros zu beiden Seiten und zur rechten Hand sprühender Wassernebel und schließlich eine ganze Kolonie von Wasserfällen – berauschend schön – ein wenig den Krka-Fällen in Kroatien nachempfunden, aber höhere Fallstufen. Man kann sich auch in die Kaskaden begeben und teils hinaufklettern – allerdings nicht so einfach wie an den Krka-Fällen. Doch wie komme ich mich dem Rad über den Fluss? – Ein schwankender Brettersteg verbindet die beiden Flussufer – ausreichend für Badegäste, für die ein Absturz ins Wasser keine große Gefahr darstellt außer einer ungewollten erfrischenden Dusche. Das ist aber nicht gerade so eine prickelnde Vorstellung, mit Rad samt Ausrüstung im Wasser zu landen. Und da sind ja auch noch die Massen von Besuchern – der „Gegenverkehr“. Nun schob ich das Rad im Gesamtpaket herüber und gab dann in der Mitte des Steges gegenüber zu verstehen, meinen Balanceakt abzuwarten. Nun ja, ganz so gefährlich war es nicht, aber wie immer gibt es einige ungeduldige Zeitgenossen, die sich riskant an mir vorbeidrängen mussten.

Auf der anderen Seite gibt es einen mit Naturstein gefugten Weg, dessen erste Meter allerdings so steil sind, dass ich für die Schiebeunterstützung eines Besucherpaars dankbar war. Auf der nun offenen Ebene zeichnet sich in der Ferne schnell auf einer Berghöhe eine Ruine ab, die über der Stadt Ljubuski thront und von den wehrhaften Verteidigungsanlagen der Osmanen gegenüber den Venezianern zeugt. Es folgt eine Strecke, auf der weniger bekannte, aber eindrückliche Kleinode liegen. Die Karstquelle Vriostica in Vitina, nur geringfügig abseits der Hauptstraße, ist mit einem kleinen Park und der Felsnische ein wunderschöner Träumerplatz. Dem Wasser sagt man verjüngende Wirkung nach, was meiner amtlichen Verjüngung um 15 Jahre an der albanischen Grenze (vgl. Kap. IV) nochmals Nachdruck verleiht – die Kräfte des Wassers mögen noch lange in meinen Adern wirken! schmunzel Nicht weniger eindrucksvoll ist der Kocusa-Wasserfall, der in einer breiten Front ein besonders berauschendes Schauspiel bei Veljaci bzw. Klobuk liefert. Dorthin gelangt man über eine auch als Radroute ausgewiesene, fast flache Nebenstrecke, mehrere nette Lokale liegen am Weg, auch direkt am Wasserfall. Nach dem Gewitter lieferte die Reststrecke (mäßig ansteigend) ein paar eindrückliche Stimmungen, ohne dass man eine wirklich spektakuläre Landschaft durchfährt. Das empfehlenswerte Motel mit Restaurant für den gelungenen Tagesabschluss liegt noch südöstlich vor dem Orteingang von Grude auf einer Anhöhe.

Bildergalerie zu Kapitel VI (115 Fotos, die Fotostrecke reicht noch bis zur BiH/HR-Grenze am Morgen des nächsten Tages):



Fortsetzung folgt
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Matthias
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#996697 - 12.12.13 07:54 Re: Das 2. Türchen [Re: veloträumer]
irg
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Hallo!

[zitat=veloträumer Natürlich habe ich ich im Angesicht der zerschossenen Häuser auf dem Weg nach Plitvice oder in der Ervenik-Region schon die "Warum?"-Frage mit einer gewissen Gänsehaut gestellt, aber das zog schnell vorbei. Tatsächlich muss man die Wunden, die man sieht, auch mal hinterfragen.
Ebenso liegt mir aber auch an der Aufbruch-Vision, wie es eben unter dem Etikett "Via Dinarica" formuliert ist. Es ist auch nie klar, ob eine gute Aussöhnung und Versöhnung eine gute Grundlage zum Aufbau eines Landes wird. [/zitat]

Ich denke, gerade die Kriege in Ex-Jugoslawien zeigen, dass ohne so etwas wie Aufarbeitung und Vergebung (was klingt das doch geschraubt!) Konflikte kaum sinnvoll gelöst werden können. Soviel auch an Ursachen für die letzten Kriege in den letzten hundert Jahren zu finden ist, reichen sie letztendlich weit in die Geschichte zurück. Meine Schwägerin hat in ihrer Dissertation die Zustände, die in der Krajina in der Zeit nach der Eroberung durch Österreich von der Türkei geherrscht haben, beschrieben. Seit der Unterhaltung mit ihr wundere ich mich weit weniger, wie es zu diesen Katastrophen gekommen ist.
Nachdenklich hat mich auch eine Unterhaltung mit einer in Österreich lebenden Kroatin gemacht, die mir von den seelischen Verletzungen, die die letzten Kriege hinterlassen haben, erzählt hat. Gesellschaften, die sich diesen nicht stellen, sorgen, ohne es zu wollen, für die nächste Eskalation, wie aktuell in Vukovar zu sehen ist.
Dass Aussöhnung möglich ist, zeigt z.B. die "Erbfeindschaft" zwischen Deutschland und Frankreich. Von der ist, vielleicht von dummen Witzchen abgesehen, nichts mehr übrig geblieben.

Damit möchte ich nicht die komfortable Position dessen, der sich gemütlich zurücklehnend mit dem Finger auf andere zeigen kann, einnehmen. Nach solchen (selbst gemachten) Katastrophen wird es den meisten zu viel sein, sich auch noch mit den Ursachen und eventueller eigener Verantwortung zu beschäftigen. Unsere Eltern- bzw. Großelterngeneration konnte das auch nur sehr begrenzt. Nur -wer diesen Teufelskreis durchbrechen will, wird sich den Zusammenhängen stellen müssen. Und die Zusammenhänge reichen auch weit über Exjugoslawien hinaus.

lg!
georg
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#996817 - 12.12.13 14:51 Re: Das 2. Türchen [Re: irg]
kettenraucher
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Zitat:
… Ich denke, gerade die Kriege in Ex-Jugoslawien zeigen, dass ohne so etwas wie Aufarbeitung und Vergebung (was klingt das doch geschraubt!) Konflikte kaum sinnvoll gelöst werden können …
Zustimmend eine ergänzende Anmerkung aus meiner Sicht: Aufarbeitung und Vergebung sind individuelle und kollektive psychologische Prozesse, die viele Jahre und manchmal mehrere Jahrzehnte brauchen. Ausreichend Zeit ist das menschliche Maß. Innerhalb einer Generation ist eine Feindschaft und kriegerische Vergangenheit niemals aufzuarbeiten, denn die seelischen Wunden sind viel zu tief. Sprichwörtlich soll die Zeit ja alle Wunden heilen. Ja, das stimmt, aber es braucht halt sehr viel Zeit. schmunzel
Allen gute Fahrt und schöne Reise.
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#997358 - 14.12.13 15:57 die 13. Tür - die verflixte verspätet [Re: veloträumer]
veloträumer
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KAPITEL VII
Dalmatien neu entdeckt: Teuflische Himmelsleiter im steinernen Meer, Adriaträume unter Palmen, weiße Insel-Schönheiten und vergessene Flecken im Minenland

Musik: Der in Kroatien gebürtige und in den Niederlanden lebende Gitarrist Ratko Zjaca verbindet moderne, innovative Jazztexturen zuweilen mit dezenten, dekonstruierten folkloren Elementen, wobei in der Zusammenarbeit mit dem italienischen Akkordeonisten Simone Zancchini, dem amerikanischen Drummer Adam Nussbaum und dem mazedonisch-gebürtigen, in Deutschland lebenden Bassisten Martin Gjakonovski ein vielschichtiges Kaleidoskop an Klängen unterschiedlicher musikalischer Herkunft in neu gedachter Universalität entsteht: ZZ Quartet „Twilight time again“ (6:43 min.)..

Di 9.7. Grude – Imotski – Grubine – Mikote (636 m) – Zagvozd – Turija (715 m) – Kosica – Dragljane
73 km | 13,2 km/h | 5:29 h | 1015 Hm
W: schwül, sonnig, nachmittags Wolken, Gewitter, max. ca. 35 °C
E: SV
Ü: C wild 0 €

Die auffällige Wohlhabenheit in der kroatischen Herzegowina lässt vor allem an zwei Dingen ablesen: Strohbesen und Gartenzwergen. lach Der Drang zur gefegten Sauberkeit findet immer dann statt, wenn die wesentlichen Dinge des Lebens bereits im Griff sind. Der Gartenzwerg schließlich symbolisiert die kleinbürgerliche Wohlstandgrenze. Entsprechend gut ist das Angebot aus Bau- und Gartenmärkten, alle Häuser sind auch äußerlich im Topzustand, die Gärten gepflegt und gestreichelt und auch die Autos erfreuen sich an zahlreichen Heilanstalten, wo auch Neuwagen in ausreichender Menge feilgeboten werden. Auch die Postgebäude sind in der Herzegowina proper rausgeputzt, später in Kroatien ebenso. In dieser Umgebung sind Geschenke schon fast wieder unerwartet großherzige Gesten. So wurde ich hier mit Feigen und Pflaumen von einem alten Einheimischen aus dem Auto beglückt.

Auf der Strecke bis zur Grenze finde ich gar zwei Radgeschäfte vor. Der direkt in Grude ist eher ein Schrauberladen – es scheint, dass er ausschließlich gebrauchtes Material verwertet – Neuräder sah ich nicht durch das Schaufenster. Den zweiten Laden habe ich besucht, konnte aber leider kein Gespräch mit dem Ladeninhaber führen, da er über keinerlei Englischkenntnisse verfügte. Hier gab es aber ausschließlich Neuware und zumindest schien mir das Ersatzteillager gut gefüllt (z. B. Laufräder). Ich hätte natürlich gerne etwas über den Radmarkt in der Provinz erfahren. Aber wo es Strohbesen und Gartenzwerge gibt, wird wohl auch Radgefahren. Radfahren als Zeichen des Wohlstands soll ja ein moderner Trend sein. Es gibt sogar Gerüchte, dass Markenräder Ausdruck aristokratischer Lebensweise sein sollen. zwinker

Wie schon in der Einführung erwähnt, kündigt sich Kroatien weit vor der Grenze durch allfällige nationale Symbole an. Die Grenze selbst ist dann ein Klassiker – viele Shops mit Massenware (Bekleidung), offenbar auch von Kroaten genutzt in der günstigeren Herzegowina einzukaufen. Jetzt also die dritte Währung der Reise, obwohl die Konvertible Mark in BiH eigentlich verkappte Euros sind, weil es einen fixen Wechselkurs gibt. Selbst die Kuna ist nicht so richtig frei konvertibel, der Kurs ist schon seit Jahren weitgehend stabil bis fixiert. Da sieht man auch, dass diese ganze Währungsspekulation ein exklusives Theater für Finanzjongleure ist, in dem die Zuschauer ab und zu ihre Arbeitsplätze abgeben müssen und in Armut verfallen dürfen, um am Ende der Vorstellung von den Monetenmagieren zu erfahren: „Ätsch, war nur ein Spiel. Unsere Taschen sind jetzt voll mit Dukaten, jetzt bekommt ihr euer Geld unverändert wieder.“ böse

Die Höhenzüge des Biokovo sind in der Ferne schon auf der Strecke nach Imotski zu erkennen. Zuvor aber Imotski, geschäftiges Städtchen und mit ein paar Besonderheiten. Unmittelbar am Stadtrand liegt ein großer Karsttrichter mit einem See darin – dem Blauen See. Besonders intensiv dunkel ist des Blau, in einer Parkanlage kann man den See oberhalb umrunden, aber auch nach unten gelangen und baden. Die Parkanlage geht auf einen Besuch von Kaiser Franz Joseph zurück. Der Rundgang informiert aber auch über die wehmütigen Liebesballaden, die hier im Angesicht der sagenhaften Karstphänomene gedichtet wurden. Der Blaue See kann im Sommer auch ganz austrocknen, sodann findet dort ein Fußspiel statt. Neben dem Blauen See gibt es noch ein Stück weiter den Roten See, den ich aber nicht besucht habe. Dieser Trichter ist noch extremer, zwar schmaler, insgesamt ca. 500 m tief und mit einer Wassertiefe von ca. 270 m reicht der Seeboden unter den Meeresspiegel. Verworrene Zuflüsse in großer Tiefe speisen den See mit Wasser.

Die schier unerträgliche Schwüle des Tages wird nachmittags ein wenig durch ein Gewitter weggespült. Das Donnerwetter meldet sich ausgerechnet, nachdem ich das Pfarrhaus in Zagvozd verlassen hatte, indem ich eingangs erwähntes Gespräch mit dem Zuffenhausen-erfahrenen Pfarrer führte. Man mag da wieder himmlische Kräfte vermuten, die mir irgendetwas sagen wollten. grins Zagvozd, nunmehr mit dem Straßentunnel durch den Biokovo bedeutender geworden, verfügt über eine recht eindrückliche Doppelturmkirche, ansonsten ist der Ort aber schlicht. Der Weg dorthin von Imotski führt durch recht offenes Karstland über mehrere Hügel.

Durch die Autobahn ist die Nebenstrecke über den Turija-Pass (kleiner Tunnel) ziemlich verwaist und als Radroute ausgeschrieben. Im Schatten des Sveti Jure (auch kurz im Blickfeld) radelt man ganz hübsch durch bereits typische Biokovo-Vegetation. Die Südostseite fällt steiler ab, das Tal weit geschnitten, die Autobahn thront weit oben, bis man irgendwann bei Kozica sich auf gleicher Höhe befindet. Der Versuch, diese Route und auch Nebenwege als Rad- und Wanderregion zu etablieren, ist zwar gemäß den Schildern erkennbar, aber es fehlt noch am ernsten Willen, dass auch umzusetzen. Denn viele Gastbetriebe, die demnach angeblich in Betrieb sein sollen, sind verwaist. So ist denn auch die ganze Strecke ohne jede Verpflegungsmöglichkeit – man müsste schon bis Vrgorac durchradeln. Ich begnüge mich mit meinen Vorräten an einem Brunnen und schlage in der Nähe ein wildes Nachtlager auf.

Mi 10.7. Dragljane – Vlaka – Dragljane – Ravca – Brikva – Hrastovac/Vrata Kapela (601 m) – Saranac (730 m) – Vrata Biokova (897 m) – Sveti Jurje (1762 m) – Vrata Biokova – Podgora
87 km | 10,6 km/h | 8:16 h | 1925 Hm
W: sonnig, mittags Gewitter, danach teils bewölkt, auf dem Sveti Jure windig und kühl
E (Vrata Biokova): Froschschenkel m. Kart., Polenta, Wurst, Schinken, 2 x Salbeisaft 23,30 € (+ Kräuterschnaps gratis)
E (Taverna Berak): Rumpsteak m. Trüffeln/Olivensauce, Bratkart., Bier, Eis Bananasplit 23,50 €
Ü: C Sutikla 13,10 €

Den Versuch, eine Abkürzung zwischen Vlaka und Brikva zu fahren, musste ich aufgeben. Ein Einheimischer warnte mich eindringlich den Weg einzuschlagen, da dieser bestialisch steil wäre. Wohl auch ist er nicht durchgehend asphaltiert, denn bei Brikva konnte ich später keine wirkliche Straßeneinmündung erkennen. Immerhin fand ich so über Ravca beim Aufstieg in Kljenak ein Restaurant, um ein kleines Frühstück einzunehmen, da doch mittlerweile meine Vorräte aufgebraucht waren. Meine Route hier über ein paar Zwischenhöhen ist etwas verwegen, da ich statt der offiziellen Sveti-Jure-Route die Variante über den Saranac-Pass suche. Dort zweigt eine Schotterpiste zu Vrata Biokova ab, einer Kapelle nebst dem eingangs schon vorgestellten Landgasthof an der Mautstraße zum Sveti Jure. Die Schotterpiste ist auch nicht ganz einfach, aber machbar, enthält ebenfalls eine Zwischenmulde. Man fährt durch ein grelles Steinmeer, mit einer kargen, aber doch eigenen Vegetation. Nach der Mittagsrast bei Vrata Biokova stand die große Himmels- oder auch Teufelsleiter vor meinen Augen. Nicht zuletzt auch der Inspiration des Vortages geschuldet, wirkte das Erlebnis der Auffahrt zum Sveti Jure so nach, dass ich sie am besten in einem (eigenen) Gedicht fassen kann:

Biokovo Diavolo

Der Himmel ist Stein,
Stein ist Fels,
fällt güldener Glanz,
ganz im Spiegel,
Bibel im Meer,
mehr schweigt als spricht,
nicht hört die Glocke,
locke Gottes Kapelle,
Schwelle zum Teufel,
Läufer auf Reifen,
gleich auf dem Gipfel,
der Wichtel! –
Unerhört!

Der Stille gelauscht,
berauscht die Sinne,
gewinne das Herz,
schmerzhaft spricht,
Licht im Farbenfächer,
schwächer die Sonne,
Wonne mild gelächelt,
gefällt den Lippen,
nippen am Licht,
bricht im Fels,
Fels aus Stein.
Allein! –
Dir Gehört!

Am Ende des Tages mit der rasanten Abfahrt stehen Sonnuntergangsimpressionen und der Trubelort Podgora direkt am Meer. Der übervolle Camping ist natürlich keine wirkliche Oase, Richtung Makarska aber der nächst gelegene. Auf der Uferpromenade tummelt auch noch spät das unbeschwerte Vergnügungsvolk. Die teuren Cocktailkneipen laufen aber schlechter als ihre Betreiber wünschen. Es müsste sich eigentlich mal rumsprechen, dass die Klasse der Geldschleuderer immer kleiner wird. Die auseinander schnappende soziale Schere spürt man mittlerweile an allen Urlaubsorten – von der Costa Brava bis zur Makarska-Riviera. Podgora ist letztlich mehr Jedermann-Neckermann- als Edelmann-Pullman-Tourismus.

Do 11.7. Podgora – Makarska 11:00 || Fähre 9,25 € || 12:00 Sumartin – Gornji Humac – Praznica – Pucisca – Postira – Supetar
79 km | 12,3 km/h | 6:24 h | 1250 Hm
W: sonnig, heiß, nachmittags gewittrig, abends wieder sonnig
E (Konaba Lukin): Tintenfischrisotto, Miesmuscheln im Sud, Rw, Wasser, Cafe 26 €
Ü: C Supetar 7,30 €

Podgora schläft noch, aber die Handtücher liegen schon am Strand. Teutonische Platzkarten – wohl nicht nur von Teutonen ausgelegt. Die Strandpromenaden lassen sich am Morgen gut abradeln – noch ist wenig Volk unterwegs – Joggerinnen, eine Seilspringerin, vor den Bäckereien stehen Einheimische und Touristen einträchtig in der Schlange. Die Morgenstimmungen sind wunderbar, schon ein Hauch erotischer Strandschönheiten dort, und hier auf dem Tisch der Capuccino mit Croissant. Ich lebe heute das Urlaubsklischee aus. Makarska ist schön. Die Strände, die kleinen Orte, die Promenaden, die Menschen und die Stadt selbst. Lange muss ich auf die Fähre warten, genug um Eindrücke zu sammeln – Markt, Kunst, Sommermode, Fischkutter, frischer Tintenfisch, Palmen, Tauben im Brunnen – und das Meer.

Ankunft Brac. Der Paradestrand in Bol ist mir zu weit durch die Mittagshitze entfernt, ich ziehe in Sumartin eine Strandnische vor. Ein alter, angerosteter Fischkutter liefert die Kulisse – kein Sand, kein Goldenes Horn – und doch ein Traum am Meer. Die überziehende Wetterfront ist das endgültige Aus für den Abstecher nach Bol. Doch Brac bietet mehr. Ich bin verblüfft in der Inselmitte – Praznica ist ein wunderbares Kleinod, heimelig, mediterran, bäuerlich, ursprünglich. Auch abwärts schöne Kulturlandschaft: Steinmauern, regelmäßige Olivenbaumterrassen, liebliche Weingärten. Wieder am Meer: Kalk ist Karst – ist schön: In Pucisca sind die meisten Gebäude aus dem eigenen, edlen Kalk, der an der Spitze der Bucht abgebaut wird. Pucisca ist lebenswert, auch Urlaubsort, aber nicht überlaufen. Überall gibt es Kalk als Kunsthandwerk – Vasen, Uhren, schöne Sachen – auch für die Handtasche. Der Ausflug zum Leuchtturm an die Spitze der Bucht (gegenüber der Abbauhalde) lohnt: Gestreng grüne Kiefern treffen tiefes Adriablau. Am Leuchtturm ist schon Sonnenuntergangsstimmung – einfach schön, der Inselkarst.

Die Strecke nach Supetar ist reizvoll – Postira, Splitska sind schön gelegene Orte – dazu gibt es viel unbefleckte Meerblicke, auch weit hinüber zum Biokovo drüben oder in die Zwischentäler mit noch mehr Weinbergen hier. Der Camping in Supetar ist ein angenehmer (schattiger) Kiefernplatz, offenbar gibt es sogar Radreisekollegen, bekomme sie aber nicht zu Gesicht. Ich bin spät, schon dunkel – in der Stadt tobt noch das Nachtleben. Eine Techno-Parade, DJs auf Karnevalswagen, kaum ein Durchkommen, orgiastischer Lärm, die Jugend jubelt – wo bleibt meine Jugend? – Ist Sehnsucht nach Ruhe ein Alterszeichen?

Fr 12.7. Supetar 6:30 || Fähre 9,25 € || 7:45 Split – (Klis) – Prugovo – ? (618 m) – Gornji Muc – Gornje Postinje – Gradac – Otavice – Parcic – Lemes (854 m) – Vrlika
94 km | 12,7 km/h | 7:22 h | 1520 Hm
W: sonnig, mittags Gewitter, lange regnerisch, abends sonnig, max. 30 °C
E (Konoba): Haxe, PF, Bier, Desert 11,50 €
Ü: C wild 0 €

Ich hätte zwar abends noch die Spätfähre nehmen können, doch hätte ich in oder um Split Unterkunft suchen müssen. Das ist weniger ratsam, Campingplätze sind fern der Stadt. Bereits gefrühstückt an Bord, habe ich auch so gute Startkarten. Split, 2003 bereits als Etappenort gewürdigt, versuche ich auf schnellstem Weg zu verlassen. Ich glaube über die Hauptstraßen schneller zu sein als über die Parkroute am Meer. Das ist ein Irrtum. Die Ausschilderung ist mäßig bis schlecht – zu Auto-orientiert. Statt nach Klis gelange ich auf die Kraftfahrtstraße gegenüber (noch nicht ganz fertig gebaut). Zwar ist Radfahren verboten, aber es gibt schnell kein zurück mehr. Den Berg hoch ist der Verkehr brachial, auch laute Tunnels, einige drücken noch zusätzlich auf die Hupe. böse Erst oberhalb der Klis-Höhe kommt die nächste Ausfahrt. Statt der geografisch logischen Ausschilderung Sinj hätte ich unten Richtung Trogir folgen müssen, in Solin befindet sich dann der eigentliche Abzweig nach Klis.

Wieder ist der Tag schwül, der Regen kommt diesmal recht früh. Diese Wetterlagen machen müde. Nach einer weiteren Höhe öffnet sich eine Ebene mit einem neuen Asphaltband, Windmühlen auf den Bergen. Seltsame Hochebene, ich denke an spanische Meseta. Doch die Landschaft wird wieder kleinteiliger. In Progovo gibt es einen schönen Pfarrgarten mit Lavendel – Schwalbenschwänze flattern umher. Die rechte Oase für ein kleines Nickerchen.

Nach Gornji Muc bildet die Vrba ein erstaunlich fruchtbares Tal – Gemüse, Obst, auch Weinreben werden angebaut. Keine reiche Gegend, dennoch weniger einsam als gedacht. Zagora gehört zu den weitgehend unbekannten, tourismusfernen Regionen Kroatiens. Nach einem Hochpunkt breitet sich eine Polje bei Otavice aus. Kleine Dörfer, Felderwirtschaft, liebliche Landschaftsbilder. Außerhalb von Otavice zweigt eine schnurgerade Allee von der Straße ab. Sie führt auf einen Hügel zu, auf der ein markanter, geometrisch geradliniger Kuppelbau steht. Es handelt sich um die Kirche des Heiligen Erlösers, zugleich aber auch Mausoleum und Familiengruft seines Erbauers Ivan Mestrovic, der seinerseits zu den bedeutendsten Künstlern Kroatiens zählt. Das Bauwerk kombiniert klassische antike Bauweisen und mit modernen, funktionalen geometrischen Linien. Die dekorative Besonderheit des Bauwerks, eine Tür mit Bronzereliefs mit Porträts der Mestrovic-Familie, wurde im Verlauf des Kroatienkrieges wie auch alle anderen beweglichen Teile entwendet und bis heute nicht wiedergefunden. Mestrovic war vornehmlich Bildhauer und Architekt, verfasste aber auch literarische und politische Schriften. Neben wichtigen Werken in Cavtat, Split und Zagreb wurde er international auch durch das Indianer-Denkmal in Chicago bekannt. Das Mausoleum war bereits Thema von Bilderrätsel 828.

An der Verzweigung nach Drinis und Knin ist die dritte Richtung nach Vrlika nicht ausgeschildert. Erkennbar ist die Straße daran, dass es gleich steil nach oben geht. Nach der ersten Hürde folgt endlose Weite, große Einsamkeit – eine Gerade fast ohne Horizont als wäre man in einer fernen asiatischen Steppe. Auf der Passhöhe, zuvor steil über eine große Kehre zu erklimmen, steht der Stern des Abends gerötet am Horizont, menschenleer, atemstill, mildes Licht über Minenfeldern. Ein Schild kündigt Vrlika an, mit einer Burgruine weit über der Stadt. Man trifft sich abends in Bars, Cafes – das Treiben täuscht, es gibt nicht viel Ablenkung. Das einzige Restaurant im Ort liegt unterhalb an der Transitachse Sinj – Knin. Besucher sind jedoch selten, der Verkehr ist tagsüber gering, nachts schweigt er.

Keine Unterkunft, in der Nacht erkenne ich keine freien Wiesen. So hole ich mir Beistand bei den Toten. Hinter der Friedhofskapelle gibt es sogar geeigneten Zeltgrund. Die Überraschung folgt dann am Morgen. Obwohl ich ja zu nächtlicher Stunde durch das Tor bin, war am nächsten Morgen selbiges abgeschlossen. Die Mauern hätten eine kaum überwindbare Hürde bedeutet. Dass ich nicht lange auf Türöffnung warten musste, verdanke ich einer wohl frühmorgendlichen Totenveranstaltung, die im Anmarsch war. Der Friedhofswärter machte einen Eindruck zwischen unbeteiligter Neugier und Desinteresse, als ich wie von den Toten auferstanden das nächtliche Geistertreffen mit aufgesatteltem Velo verließ. Wer hat auch schon mal einen Auferstandenen mit Fahrrad gesehen? Nicht mal von Jesus ist solches überliefert. – Das erzählt man lieber keinem, dem glaubt man eh nicht. grins

Sa 13.7. Vrlika – Vrelo Cetine – Kijevo – Krsko vrelo – Kovacic/Topolski slap – Knin – Raducic – Ervenik – Kastel Zegarski – Bilisane – Obrovac
111 km | 13,8 km/h | 8:04 h | 875 Hm
W: sonnig, heiß, später Wolken in Knin, Gewitter südlich
E: SV
Ü: C wild 0 €

Über meine neu gewonnene Freiheit darf ich mich gleich bei nebelgehauchter Morgenromantik über den Feuchtwiesen am Purucko jezero freuen. Der See ist von Vrlika und der nördlichen Umfahrung aus nicht sichtbar. Hinweis: Zum nördlichen Ufer gibt es eine Straße, auf der man zu dem Ruderzentrum Garjak gelangt. Dort bestehen verschiedene Wassersportmöglichkeiten und auch eine Festunterkunft ist vorhanden. Speise- und Campingsymbol standen nicht auf der Hinweistafel. Garantiert mit Essensmöglichkeit gibt es ein Motel an der Transitstrecke etwa mittig zwischen Vrlika und Kijevo.

Ich folge dem Oberlauf der Cetina, die zu ebenso unterschiedlichen wie stimmungsvollen Flusslandschaften im dalmatinischen Hinterland beiträgt. Während der Unterlauf bei Omis für einen Canyon mit Rafting-Möglichkeiten bekannt ist, finden sich hier im entlegenen Quellgebiet viele stille idyllische Flecken. Genau genommen verfügt die Cetina über acht Karstquellen, als die Hauptquelle gilt aber der kleine Rundsee Glavasevo, unmittel nahe auch noch eine hübsche Kirche. Das besondere Blau des Quellsees zeugt wiederum von der großen Tiefe, die etwa bei 130 m liegen soll. Bei meinem Besuch hatten Taucher dort ein Camp aufgeschlagen, die den Karstgeheimnissen auf den Grund gehen wollten. Auch oberhalb der Quellaue findet man berauschende Farbspiele vor allem in Gelb durch blumenreiche, honigduftende Hügel. Entgegen einem Karteneintrag gibt es die abkürzende Route direkt nach Kijevo nur als Schotterpiste (hier bin ich lieber den Asphaltumweg gefahren).

Diese Region der Idylle ist gleichzeitig eine Gegend des Grauens. Die Serben unter Ratko Mladic machten den Ort Kijevo dem Erdboden gleich, weil eine kroatische Insel inmitten von durch Serben bewohnten Ortschaften. Ethnische Säuberung heißt das, wie Waschmittel und Schrubber gegen Bakterien, Faulgeruch und Wollmäuse auf Bodenparkett. Der Mensch wischt den anderen Menschen weg wie Dreck und spült ihn in die Abgründe der Ewigkeit. Zurück bleibt der Saubermann, der merkt, dass er nach Putzmittel stinkt. Die Nase sagt: Der Mensch bleibt schmutzig und schuldig, solange er die Messer und Kanonen nicht vergräbt – in die Erdschichten der Ewigkeit. Und das wird wohl noch dauern. Die weithin sichtbare Kirche mit Doppeltürmen auf dem Hügel wurde mittlerweile wieder aufgebaut, jedoch zeigt sich auch das Problem der der Kriegsregionen im ländlichen Kroatien: Heute wohnt nur noch ein Drittel der Einwohner in Kijevo als noch vor dem Krieg 1991.

Ruinen von Bauern- und Mühlenhäusern finden sich sodann an der Strecke entlang der Krcic. Diese recht gut fahrbare Piste ist exklusiv als Radstrecke ausgeschildert und ein Genießertipp. Schwärme von pastellfarbenen Bläulingen bedecken den Boden. Bläulinge sind blau – so denkt man. Hier sind sie grün, orange, gelb. Farben sind nie echt. Farben sind Stimmungen, Reflektionen, Spektren verschiedener Perspektiven. Die Ruinen sind heute schon teils überwuchert und liefern ein romantisches Bild in der sich zunehmend zu einer Schlucht verengenden Route. Die wohl auch früher zur Bewässerung genutzten Staustufen kann man heute zum Teil gut erreichbar zum Baden nutzen. Weiter unten zum Schluchtende trifft die Krcic ihrerseits auf den Quellwasserfall der Krka (Topoljski buk, Topolski slap), dessen Pracht von der je nach Jahreszeit schwankenden Wassermenge abhängt. Hier wurden sogar die Häusersockel der Kriegesruinen explizit auf einheitliche Höhe abgetragen und als Badebecken hergerichtet, in denen sich die halbstarke Jugend austobt. Der Krieg geht baden!

Durch die dunklen Gewitterwolken, die vom Dinara auf Knin vorzurücken drohen, drückt eine besonders beklemmende Stimmung auf die Stadt, so als würde die Last des Krieges immer noch als Menetekel über ihr schweben – angesichts etlicher noch unbereinigter Kriegsschäden eine nahe liegende Empfindung. Die große Festung über Knin lasse ich zugunsten eines Eisbechers ungesehen zurück. Da die Strecke nach Gracac kaum interessanter scheint als die Route über Ervenik, wähle ich letztere – auch um schneller an den Rand des Velebits zu gelangen. Anfangs noch Asphalt, bleibt letztlich nur Schotterpiste bis Ervenik und auch die die Piste nach Kastel Zegarski befand sich ungeteert quasi im unveränderten Zustand gegenüber einer Dekade zuvor. Die Schule in Ervenik gibt es wohl immer noch, Entwicklung sieht aber anders aus. Neben den zerschossenen Häusern verkündet die Kneipe „Das neue Ervenik“. Optimismus oder Galgenhumor? – Eine Kneipe gab es damals da auch schon, jetzt hat der Wirt offenbar auch Grillgerichte im Angebot.

Nicht hätte ich geahnt, dass ich hier eher einen Bissen erhalten hätte als im fast edlen Obrovac. Dort nämlich hat das Hotel – einst mal in einem Radreisebericht ob seines Tresors hervorgehoben, in dem der Hotelier das Rad des Gastes sicher verschlossen hatte – seinen Betrieb eingestellt. Außer ein paar Bars, in denen nur Drinks, aber nicht mal Erdnüsse erhältlich sind, kann dieser Ort am Tor zum Rafting-Eldorado und Winnetou-Land Zrmanja nichts bieten. Supermarkt und Tankstelle haben zu meiner späten Ankunft auch schon geschlossen. Es sei erwähnt, dass die Straße von Kastel-Zegarski lange Zeit zäh nach oben führt, erst die letzten Kilometer nach Obrovac weisen nach unten. Es gibt noch einen Abzweig (Schotter), der zum Fluss führt, was landschaftlich reizvoll wäre, ich aber in der Dämmerung nicht mehr austesten wollte. Ebenso liegt am Fluss ein Camp (Stichstraße), nicht weit von Obrovac entfernt. Nach der Infotafel an der Straße zu urteilen hätte ich dort aber auch kein Abendmahl erhalten.

Bildergalerie zu Kapitel VII (145 Fotos):



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#997403 - 14.12.13 19:55 die 14. Tür [Re: veloträumer]
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KAPITEL VIII
Irisierende Bergwelten im Velebit: Weiß – Blau – Gelb – Rot – Grün – Gülden – Bunt schillerndes Blendwerk über der Adria roll over war sores

Musik: Der aus Zagreb stammende Darko Rundek ist so etwas wie ein Rockpoet, der nicht vor schrägen Tönen zurückschreckt und sowohl Anleihen in Klassik und Weltmusiken sucht. Seine oft sphärisch-bildhaften Klänge mit sprunghaften Soundwechseln prädestinieren ihn auch zum Filmmusiker. Lou Reed, Gil Scott-Heron oder Tom Waits könnten stilistisch ebenso Pate stehen wie man sich auch eine Begegnung mit Don Cherry im Paradies vorstellen könnte. Mit dem Cargo Orkestar hat er sich in eben solch mannigfache Gefilde begeben und nutzt dabei ein großes Arsenal an Instrumenten aus verschiedenen Teilen der Welt: Darko Rundek & Cargo Orkestar „Ista slika“ (4:39 min.).

So 14.7. Obrovac – Mali Alan (1044 m) – Sveti Rok – Raduc – Licki Ribnik – Gospic
80 km | 10,7 km/h | 7:29 h | 1235 Hm
W: morgens stürmisch (Bora!), bewölkt, später teils heiter, 21-23 °C
E (H): Gnocchi, Kalbsmedaillons, PF, Gem., Rw 20,70 €
Ü: H Ana 30 € (verhandelt, nach Liste 43 €)

Die geschützte Lage von Obrovac ließ mich morgens nicht ahnen, dass ich wenige Kilometer außerhalb gegen die Bora ankämpfen musste. Immerhin konnte ich mich durchkämpfen, bis endlich oberhalb der Autobahn auf der Schotterpassage zum Mali Alan der Wind einbrach. Der Mali-Alan-Pass ist Velebit pur mit seinem Felsenmeer – wie Biokovo oder Lovcen, aber die Berge zapfiger, den Dolomiten nicht unähnlich. Große Kulisse! Weniger Pistenpflege wäre schön, es liegt zu viel loser neuer Schotter. Da aber hier die Strecke weniger steil als unten auf Asphalt ist, lässt es sich doch recht gut fahren. Zwar bewegt man sich auf dieser Piste stets außerhalb des Nationalparks Paklenica, der regulär nur von der Küste zugänglich ist, erlebt jedoch den typischen Felsen-Velebit in seiner grandiosen Entfaltung hier ungeteilt nahezu einsam (einige Autos fahren schon). Wie mir die Nationalparkverwalterin des Nördlichen Velebit in Gospic zu verstehen gab, sei viel mehr auch nicht im Paklenica-Park für den Radler zu erleben – eher weniger. Paklenica ist recht massentouristisch orientiert – weil ein Kern der Karl-May-Kulisse; weil Freeclimber-Eldorado; weil kurze Wanderwege für gestresste Autofahrer; weil strandnahe Abwechslung für den Liegestuhltouristen. Paklenica ist gewissermaßen Velebit für Anfänger – Velebit piccolo.

Während es bis zur Passhöhe offen fast nur durch Stein und ein paar Bergweiden geht, ändert sich zur anderen Passseite die Landschaft deutlich, führt zunächst an den Velebit-Hängen durch dichten Laubwald. Bei Sveti Rok öffnen sich nach und nach verschiedene andere Landschaftsformen wie Heidewiesen, Sumpfgebiet um den See von Sveti Rok, das verborgen-mystische Flusssystem der Lika, weite Feld- und Wiesenebenen oder der majestätische Blickfang des Zir, ein Dolomiten-ähnlicher Berg, der fast wie eine Haiflosse unwirklich mitten aus der flachen Polje herausragt. So ist denn diese Route weit abwechslungsreicher als vermutet. Mitten in den Wiesen steht dann das schon eingangs gezeigte Panzergrab – ein besonders eindrückliches Mahnmal nicht nur für den Kroatienkrieg. Gospic, gleichwohl auch hart vom Krieg getroffen, hat sich anders als Knin schon wieder ein liebliches Gesicht gegeben, wenngleich auch hier die Ruinen immer wieder neben Neubauten verweilen und mahnen. Sogar ein bisschen Noblesse verströmen die beiden Hotels und eine beliebte Pizzeria mit gepflegtem Garten.

Mo 15.7. Gospic – Podostra – Brusane – Baske Ostarije (955m, Pass) – Baske Ostarije (Ort/Hotel/Camp) – Ostarijska vrata (928 m) – Karlobag – Prizna – Donji Bileni – Jablanac-Tankstelle – Planinarska Alan Kuca (1340 m)
87 km | 11,6 km/h | 7:29 h | 1895 Hm
W: sonnig, abends auch bewölkt, 23-29 °C
E: Gulaschsuppe, Bier, SV
Ü: Z (Kuca Alan) 22,40 € inkl. Essen
B: NP Nördl. Velebit 3,30 €

Die halboffene, nicht unbedingt so schwierige Passauffahrt (genau genommen ein Doppelpass, aber nur der erste ist eine Hürde) ist in facettenreiche Morgenstimmungen getaucht. Noch nebelrauchende Wasserläufe, alte Obstbaumwiesen, liebevolle Haustüren unter Rosenstöcken, kreative Vogelscheuchen mit Putzeimerkopf, ein Überschwall an Kornblumenblau – sogar die seltener werdenden Ruinen sinken in scheinbar schwingender Wellenpappenstruktur in kleine Dolinenlöcher in die Erde ein bis sie vielleicht ganz von der befriedeten Erde verschluckt werden. Die Blüten hier locken Schwärme von Schmetterlingen – unweigerlich typisch vor allem für die meerabgewandte Seite des Velebits, wie mir auch noch von 2003er Reise am Vratnik-Pass (von Senj nach Ototac) in Erinnerung ist. Karst goes butterflies! – unzweifelhaft verzückend.

Es sei erwähnt, dass im unteren Teil auch noch einige Privatvermieter zu finden sind und ein schöner Gasthof (Podostra?) nicht weit von Gospic. Das hätte man zuvor wissen müssen – schöner und sicherlich preiswerter als das Hotel in Gospic. Einen traumhaften Bergblick genießt man vom Camping bereits jenseits der Passhöhe, allerdings ohne Versorgungsmöglichkeit unmittelbar dort. Etwa zwei Kilometer sind es zu einem überdimensionierten Giebeldachhotel, das den Eindruck einer exsozialistischen Investitionsruine macht. Irgendwie scheint doch ein Gästepaar dort zu weilen, wenngleich die Räumlichkeiten fast verlassen wirken. Hotel mit Fragezeichen.

Die karstige Bergwelt hier fasziniert, aber es ist trocken. Ein alter Brunnen mit markanter Säule spendet kein Wasser mehr. Nicht weit ist es zum Ende der trockenen Hochweide zu einer Abbruchkante hin. Dann ist er da – ein Blick – nein, tausend Blicke! – auf eine surreale Inselwelt, wie ins blaue Meer gemalte weiß-rötliche, marmorierte Konturen von liebkosend wellig gestreichelter Tonmodellmasse, das Auge tief geblendet vom grellen Kalklicht – ein visuelles Strahlengedicht des Adriakarstes – die opiumgetränkte Betäubung der Iris des Betrachters. Hier vom Aussichtsplateau (mit Kiosk) schweifen die Blicke auch über die weiten Kehren nach unten, durch den Karst gezogen eine Panoramastrecke, die jede Neil-Armstrong’sche Apollo-Mission in den Mondschatten stellt. Wohl scheint mir dieser Blick vom Ostarijska-Pass auf Pag und seine Meeresbuchten der außerirdischste aller Adriablicke von den Höhen des Velebits – die vollendete Mars-Mission auf dem Raumschiff Erde. „Via Dinarica – oh, du Schöne!“ zirpen die Zikaden.

Weder in Karlobag noch sonst wo hier gibt es Küstenrummel. Man findet auch keine großen Strände, dafür viele kleine Buchten oder Badestellen mit Felsen. Die Siedlungen sind kleine Dörfer mit fast ausschließlich Ferienwohnungen – Hotels keine oder selten. Entsprechend wenige Möglichkeiten bestehen zum Einkaufen und ich versäumte sowohl in Karlobag als auch in Cesarica, die einzigen Supermärkte über einen kleinen Umweg anzusteuern. Ich hoffte auf einen Shop an der mir bekannten Tankstelle oberhalb von Jablanac an der Magistrale. Doch gibt es dort wenig Essbares – Snacktüten, Eis und sonst nur Getränke oder eben Benzin. Nach Jablanac sind es ca. 5 km runter und dann über 300 Hm zurück. Das wollte ich nun doch nicht, da mir ja immerhin auf der Alan-Hütte ein einfaches Mahl versprochen wurde. Zwischen Cesarica und der Tankstelle mit Abzweig zum Veliki Alan und dem Nationalpark verläuft zäh fast durchgehend aufwärts – zäh auch deshalb, weil sich ein biestiger Gegenwind trocken zwischen die Zähne schob.

Nicht weniger anstrengend ist natürlich die Auffahrt, wenngleich durch die weite Schleife die Steigung gemäßigt bleibt. Dafür dehnt sich Strecke länger, die unten ausgewiesene Entfernung ist auch nicht ganz richtig (2-3- km mehr). Dafür bekomme ich die Adria-Abendstimmung gratis. Wieder leuchtet und glitzert das Meer in goldenen Tönen, entstehen im Versteckspiel der milden Spätsonne mit den Wolken einzigartige Spiegel- und Strahlenbilder mit rötlichem Schimmer. Ein paar figürliche Felsformen wachen über meinen Aufstieg, weiter oben wächst Eichenwald an die Straße ran. Das Panorama verschwindet mehr und mehr, nach oben weist eine Almweidenlandschaft den letzten Abschnitt zur Hütte.

Unmittelbar bei der Hütte Alan endet der Asphalt wie mein Tag auch. Ein paar Wanderer sind da, die Mehrbettschlafräume reichen aber an diesem Abend für eine Zimmeraufteilung nach Gruppen aus, so bin ich alleine im Zimmer. Tatsächlich erhalte ich eine Suppe zum Essen, die Nationalparkverwalterin in Gospic hatte meine Ankunft telefonisch angekündigt und diesbezüglich nachgefragt. Eine Zugabe mit meinem Käseproviant konnte aber nicht schaden. Wer das Openair-Badezimmer in der Einführung gesehen hat, mag sich die Schwierigkeiten einer Gesamtkörperwäsche bei recht frischen Abendtemperaturen vorstellen können, was aber dringlich gemäß Schweißproduktion auf 1340 Hm am Stück unumgänglich war.

Di 16.7. Planinarska kuca Alan – Veliki Alan (1406 m) – Pl. Kuca Mrkviste – Veliki Koziak/Pl. Kuca Careva (1142 m) – Zavizan (1676 m) – Oltare – Oltare vrata (1108 m) – Krasno – Veliki Devcici? (811 m) – Svica – Kompolje – Rapain Klanac (491 m) – Prokike – Brinje
104 km | 13,2 km/h | 7:46 h | 1400 Hm
W: nachts Regen, sonnig, windig, sehr kühl, max. 22 °C
E (Pizzeria Victoria): Zagreb-Schnitzel, PF, Gem., Rw, Palatschinken 11,10 €
Ü: C wild 0 €

Einige fahrtechnische Anmerkungen für künftige Velebit-Beradler: Die Alan-Hütte ist nicht nur Unterkunft, sondern gleichzeitig auch Kassenhaus für den Eintritt zum Nationalpark, obwohl man genau genommen sich schon auf der Auffahrt innerhalb der Nationalparkgrenzen bewegt. Die anderen Eintrittsportale befinden sich in Stirovaca (keine Versorgung, asphaltiert Zufahrt von Südost/Gospic), in Krasno (Informationszentrum, komplette touristische Infrastruktur) sowie in Babic sica (Nordanfahrt von Oltari, nur Kassenhäuschen mit Basisinfos). Von der Alan-Hütte geht es via gut fahrbare Piste bis zur Mrkviste-Hütte (war geschlossen), wobei der Alan-Pass erst nach der Alan-Hütte überquert wird.

Noch vor dem Alan-Pass besteht eine Abkürzungsmöglichkeit zur Careva-Hütte (ebenfalls geschlossen). Diese Route ist aber schwieriger, da länger auf Schotter und wohl auch schlechterer Wegezustand. Der auch international bekannte Wanderweg Premuziceva staza, der unmittelbar bei der Alan-Hütte streng nach Norden zur Zavizan-Hütte führt, kann bzw. darf nicht beradelt werden (Naturschutz!) – wäre ohnehin nur als Hardcore-Trail für MTBer geeignet. Zwischen Stirovaca bzw. der Mrkviste-Hütte und Krasno besteht eine Asphaltstraße, die aber streng genommen nicht durch den Nationalpark führt, weil dessen Grenze westlich davon verläuft. Die Grenze verläuft ziemlich genau entlang der Hüttenlinie Alan, Careva, Zavizan und Babic sica, wobei nur Zavizan innerhalb der Grenze liegt. Mitten durch den Nationalpark führen nur die Wanderrouten, nicht die Fahrwege.

Kurz nördlich der Hütte Careva zweigt von der Asphaltstraße nach Krasno eine nur für Radfahrer zugelassene Piste zur Zavizan-Hütte ab (Schranke, es werden aber Ausnahmen zugelassen z. B. für Hüttenmieter oder Zelter, nur mit Anmeldung möglich – sonst verboten). Unterhalb Zavizan gibt es einen Parkplatz, da Zavizan über die Nordanfahrt per Auto angesteuert werden darf. Die Strecke ist aber oberhalb Babic sica auch nur Piste. Alle Pistenanteile sind recht gut fahrbar, die meisten Streckenteile sind nicht wirklich steil, auch wenn es mehrfach auf und ab geht. Ausnahme ist ein recht steiler, aber kurzer Schlussanstieg zur Hütte Zavizan – man muss aber nicht hoch, weil eine Stichstraße, Abzweig ist unten.

Landschaftlich wird einiges geboten, wobei es auch etliche schattige Waldpassagen gibt, wie man sie auch in einem deutschen Mittelgebirge antreffen könnte. Auch konventionelle Holzwirtschaft wird praktiziert. Besonders schön sind die Lichtspiele in der Buchenwaldpassage nördlich der Mrkviste-Hütte. Einige der eindrucksvollen Velebit-Berge, wiederum Dolomiten-ähnlich, erhascht man oft nur mit kurzem Blick zwischen Nadelbäumen. Eine der abwechslungsreichsten wie schönsten Passagen befährt man bereits kurz nach der Alan-Hütte. Hier findet man Weidemauern, dann üppige Blumenteppiche – Gelb und Blau sind die dominanten Farben, unzählbare Schmetterlinge dirigieren die Farbsinfonie. Eine andere Passage zeigt archaische, von Kerbtieren durchlöcherte Baumstammveteranen, die sich vor einem grünen Almwiesenteppich präsentieren.

So ließen sich noch andere Nuancen beschreiben. Besonders eindrucksvolle, teils endemische Blumenwelten findet man besonders nahe Zavizan, dort wo der Premuziceva-Wanderpfad auf die Piste mündet. Für noch mehr Blumenwelt muss man wandern. Den expliziten Botanischen Garten, ein Pflanzenlehrpfad unmittelbar unterhalb Zavizan, habe ich nicht besucht. An der Zavizan-Hütte gehört der Himmel dir, dem Aufsteigenden und die Aussicht reicht weit zur Insel Rab, das Adria-Blau diesmal stark gedämpft in der diesigen Sommerluft. Infotafeln informieren rundum Geologie und Bora. Enttäuschend empfinde ich dann, dass es an der Hütte Zavizan keinerlei bäuerliche Eigenprodukte gibt, genauer: überhaupt nichts außer ein paar Marken-Drinks. Schade, hier wäre doch Potenzial (Übernachtung ist aber möglich).

Die Nordroute bewerte ich als weniger attraktiv, zumindest der obere Pistenanteil – fast ausschließlich durchschnittlicher Wald. Erst zur Oltari-Passstraße hin entwickelt sich wieder eine artenreiche Blumenaura mit den allfälligen Schmetterlingskolonien. Krasno liegt dann in einer Senke, ein kleiner, gepflegter Ort, der zum stillen Verweilen einlädt. Man folgt nun einer Mischung aus Poljen, Hügellandschaft und einem geheimnisvollen Mooswald, der Feen und Kobolde vermuten lässt. Wegweiser zeugen von einer großen Ferienanlage mit vielen Sportmöglichkeiten am Krusicko-See. Ein kleiner See liegt noch auf meiner Strecke bei Svica. Hier in der Nähe von Ototac deutet sich ein gewisse Geschäftigkeit, Lebenslust und etwas Wohlhabenheit an – nicht zuletzt liegt man an einer wesentlichen Transitachse zu den Plitvicer Seen. Direkt an der Strecke findet man auch Tankstelle mit Bistro und weitere Trucker-Restaurants sowie Privatverkäufer an der Straße mit Honig, Schnäpsen und Käse. Ja, Käse muss her! Eine alte Frau freut sich.

Was einst 2003 hier noch Baustelle war, ist mittlerweile eine durchgehende, moderne Autobahn von Zagreb nach Zadar und Split, auf deren Strecke mit den Sveti Rok/Velebit (5,7 km) und Mala Kapela (5,8 km) zwei imposante Tunnels liegen, die dem Radler ungestörte Naturerlebnisse außerhalb sichern. Da ich hier meine geplanten Etappenrhythmus ändere, habe ich in den Folgetagen mit etwas unsicheren Verpflegungs- und Unterkunftsmöglichkeiten zu kämpfen. Brinje ist trotz Burgruine ein eher schmuckloser Ort, noch mit erheblichen Kriegsschäden wie auch mit einem zerfallen Sozialistenhotelkasten. Am südlichen Ortseingang gibt es zwar einen Privatvermieter mit schön hergerichtetem Haus, allerdings liegt das einzige Restaurant weit außerhalb nördlich (ca. 3 km weiter). So schlage ich meine Dackelhütte lieber irgendwo auf einer Feldwiese auf als nochmal zurückzuradeln.

Bildergalerie zu Kapitel VIII (105 Fotos):



Fortsetzung folgt
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Matthias
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Geändert von veloträumer (14.12.13 20:06)
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#997440 - 14.12.13 23:10 Tür 15 [Re: veloträumer]
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KAPITEL IX
Liebenswerter Charme im kroatischen Norden: Kleine Seen, schmucke Orte, einsame Waldrouten, kulinarische Wildgenüsse, Höhlenornamentik und ein mystischer Hexenberg

Die aus Pula stammende Tamara Obrovac steht mittlerweile meist als facettenreiche Jazzsängerin auf der Bühne, gleichwohl verfügt sie über mehr Talente, komponiert nicht nur Songs für die eigene Performance, sondern auch für Ballet und Theater. Dabei bezieht sie auch immer wieder kulturelle Wurzeln ihres Heimatlandes ein: Tamara Obrovac transhistria ensemble „Kada te nima tu“ (4:58 min.).

Mi 17.7. Brinje – Krizpolje – Jezerane – Vrh Kapela (884 m) – Modrus – Modruski – Josipdol – Ostarije – Ribarici – Jezero Sabljaci – Ogulin – Bijelsko (625 m) – Jasenak (607 m)
78 km | 12,2 km/h | 6:22 h | 1215 Hm
W: sonnig, max. ca. 30 °C
E: SV
Ü: PZ Kuca Tomic 13,10 € o. Fr.

Zwar verläuft die Strecke parallel zur Autobahn, was aber nicht direkte Autonähe bedeutet. Im Gegenteil: die wenige Blicke auf die Autobahn entpuppen sich von der Nebenstrecke aus als echter Blickfang. Die Dörfer Krizpolje, Jezerane und Modrus eignen sich für einen Kaffee – aber nicht viel mehr. Sobald die Autobahn im Tunnel verschwindet, windet man sich über den Kapela-Pass, der wie die gesamte Strecke die Gebirgsteile Mala Kapela im Südosten von Veliki Kapela im Nordwesten trennt. Wer eine ähnliche Route, aber ohne den weiten Bogen über Ogulin fahren möchte, kann auch direkt von Jezerane in die einsamen Wälder des Veliki Kapela in Richtung dem olympischen Wintersportzentrum Bjelolasica fahren.

Sowohl der Kapela-Pass, besonders aber die auch als Radroute ausgeschilderte Straße von Modrus über Modruski halten ein paar liebliche, abwechslungsreiche Hügellandschaften bereit. Bei Modruski erhebt sich eine Burgruine – unten eine Allee, kleine Nutzgärten mit Weinreben und Pflaumbäumen und immer wieder Ausblicke zur brückenreichen Autobahn. Die Nordanfahrt des Jezero Sabljaci über Gornje Zagorje gelang mir mangels durchgehender Radroutenausschilderung nicht. Stattdessen gelangte ich bei Josipdol (Hotel vorhanden, Verpflegungsmöglichkeiten) auf die Hauptstraße zurück. Auch hier Kleingärten, aber auch größere Felderwirtschaft. Ostarije, ein Marien-Wallfahrtsort, beeindruckt mit der 200 Jahre alten Marmont-Brücke über das sumpfige Flussbiotop quasi mitten im Ort.

Der gesamte Landstrich um Ogulin wird von einem Berg beherrscht: der Klek erhebt sich mit seinem Hahnenkammgipfel – man sagt auch ein versteinerter Körper – markant am Horizont als Symbol der sonst gedämpft hügeligen Waldlandschaft des Velika Kapela. Nicht zuletzt erlebt man eine besondere Atmosphäre am Sabljaci-See, als Ausflugsziel von den Städtern auch als Ogulin-Meer bezeichnet – ein ruhiges Kleinod, mehrere Bademöglichkeiten vorhanden, ein Restaurant. Ogulin entpuppt sich als lebenswertes regionales Zentrum, mit vielen Cafes und Restaurants, von der Dobra als Schlucht und mit Kaskaden mittig und fast wildromantisch zerteilt. Beherrschendes Bauwerk ist das verträumt wirkende Kastell des einstigen adeligen Gründergeschlechts der Stadt, den Frankopanen. Ein idealer Platz für ein Märchenfestival wie eines hier auch tatsächlich veranstaltet wird.

Die Straße zum Klek ist nicht sehr steil, verlangt aber eine gewisse Ausdauer. Oben breiten sich zwischen Wäldern flache Hochweiden aus und bald ergeben sich einige, wenngleich seltene Blickwinkel auf den Klek. In stürmischen Nächten, so ist zu lesen, tanzten hier einst Hexen, deren Geschrei man bis Ogulin hören konnte. Eine Legende besagt, dass eine zur Schlange verwandelte Königstochter einen Dukatenschatz in einer Gipfelhöhle bewacht. Einmal in hundert Jahren öffnet sich der Fels zu Mitternacht und ein Jüngling, der zur rechten Zeit am rechten Platz, mag die Schlange küssen, sie zur Frau verwandeln und sie heiraten können – gleich noch dazu den Schatz aus Gold. Ein bisschen hatte ich das Gefühl, dass zwei Augen aus dem Berg zu mir hinunter schauten. verwirrt Den Klek kann man bewandern, eine Stichstraße führt noch näher ran zu einer Berghütte (unbewohnt, Anmeldung erforderlich). In Bjelsko gibt es eine Hütte und ein Haus mit Ferienwohnungen, aber kein Restaurant, was auch für Jasenak und die gesamte Strecke durch den Wald bis zur Küste gilt. Bei Jasenak befindet sich ein wiederum sagenreiches Quellgebiet, die Hochpolje hier verströmt atmosphärisches Landleben in milder Abendsonne im goldgelben Glanz. Nur (noch?) die Königstochter fehlt.

Jasenak hat immerhin ein kleines Cafe zu bieten, der Shop daneben ist nur bis Nachmittag geöffnet. Hier befindet sich ein Abzweig zum Olympiazentrum Bjelolasica. Die Strecke wäre ich noch gefahren, laut Ortskundiger sind in diesem Skiresort im Sommer jedoch alle Einrichtungen einschließlich des Restaurants geschlossen. Wenn ich nun schon keine gehobenes Abendmahl bekomme, dann wenigstens ein ordentliches Zimmer. So quartierte ich mich in einem hübschen Ferienhaus mit Landidylle ein (etwas abseits der Hauptstraße), eine komplette Kücheneinrichtung war vorhanden – nur fehlten mir Hasenbraten, Kartoffelplätzchen und im Glas statt Wasser ein bisschen Wein.

Do 18.7. Jasenak – Stalak vrata? (1047 m) – Banska vrata (1083 m) – Breze – Ravno – Lic – Fuzine – Gornje Jelenje (881 m) – Drazice – Trnovica – Izvor Rjecine – Trnovica – Sarsoni – Viskovo
110 km | 13,1 km/h | 8:20 h | 1500 Hm
W: morgens Nebel, sonnig, teils windig, max. ca. 30 °C
E (Vagabund, Ravno): Grillplatte m. Gem., Reis, Polenta, Brennnesselpuffer, Radler 10,55 €
E (R Ronjgi, Viskovo): Hirschbraten, Preiselbeersauce, Gnocchi, Ww, Cafe 19,50 €
Ü: C wild 0 €
B: Spilja Vrelo (Fuzine) 3,90 €

Bereits abends legt sich über die Felder und Wiesen ein Nebelhauch, am Morgen schluckt der Tröpfchenschleier alle Blicke und Laute – bleibt die Stille. Am Cafe ist schon Betrieb, Bau- und Landarbeiter – ein internationaler Gast verirrt sich hier selten hin. Dennoch ist man auf der einsamen Strecke nie ganz allein, der eine oder andere Forstlaster verkehrt ebenso wie ein paar PKWs. Der Straßenrand bietet beerige Frühstückskost: Walderdbeeren, Himbeeren – wer ein Pfanne dabei hat: auch viele Pilze. Der Wald lässt immer wieder Licht durch für kleine Blumeninseln – ein Leuchten von Farben, an dem sich die Schmetterlinge zum Nektarsaugen einfinden. Unweit Jasenak gibt es noch einen wichtigen Abzweig – eine Schotterstraße, wohl weitgehend gut zu fahren, die am Bjelolasica westlich vorbeiführt und eine Verbindung nach Mkropalj bzw. weiter nach Ravna Gora, Delnice oder Lokve darstellt. Hier auf der Straße nach Brze hat man bis zum zweiten Pass bei eher mäßiger Steigung etwa insgesamt 500 Hm zurückzulegen.

Kurz nach Breze (Sägewerk) endet der Wald und weite Karsthänge ziehen sich in Richtung Küste. Das Meer bleibt stark im Dunst gefangen – ist noch weit. Statt Meer wähle ich Wald. Unterhalb Breze gibt es einen ausgeschilderten Abzweig nach Lukovo, Lic und Fuzine. Es sind auch zwei Gastbetriebe ausgeschildert (Vagabund und Vera), die in Ravno direkt an der Strecke liegen. Zunächst steigt man wieder durch das karstige Felsenmeer auf und taucht bald in einen teils dichten Wald ein. Hier tauchen weitere Verzweigungen auf, etwa zu einem Wildgasthaus sowie zu verschiedenen, im Wald versteckten Wohn-, Forst- oder Wochenendhäuschen. Vermooste Steinblöcke und Wurzelwerke, summende Choräle von Nektarjägern und verwunschene Waldlichtungen schaffen eine geheimnisvolle Atmosphäre eines Koboldwaldes. Hirsch und Wildschwein kann man sich gut dazu vorstellen – auch auf dem Teller. Nicht Wild, aber doch einen leckeren Mittagsteller verspeise ich dann im „Vagabund“ – eine Radnomade MUSS hier anhalten, schon des Namens Willen. Die Wirtin erzählt gleich meine kleine Radgeschichte befreundeten Gästen weiter. Wer es einplanen kann, hier zu übernachten, sollte es tun. Für Vagabunden mit Stil. Ein echter Tipp!

Bis Fuzine ist es nicht sehr weit, sowohl die Waldpassagen wie auch die offene Landschaft mit weitem Panorama auf Fuzine ist nur Mittelmaß – hier vom Norden sieht man nicht den See, sondern ein paar Gewerbebauten. Fuzine ist aber nur eine kleine Industriestadt, mehr ein eng gedrungenes Örtchen zwischen umliegend, gleich ansteigenden Hügeln und dem Stausee, der zusammen mit der Autobahnbrücke das charakteristische wie dekorative Bild entfaltet. Die kleine Senke hier bildet die Grenze zwischen Velika Kapela und Gorski kotar – soweit man die Höhenzüge bezeichnet. (Zur Verwaltungsregion Gorski kotar gehören auch Teile des Gebirgszuges Velika Kapela, indes das Velika Kapela keine Gespannschaft bezeichnet, sondern sich auf Teile der Gespannschaften Karlovac und Senj-Lika verteilt.) Unübersehbar sind die Lokalitäten, die mit Fisch- Wildspezialitäten locken und überregionalen Ruf genießen. Trotz allem scheint der Tourismus bescheiden. Der See lässt sich auf einem gepflegten Promenadenweg ganz umrunden, ebenso sind Badestellen vorhanden, soweit erkennbar wohl auch ein kleiner Camping am Westufer. Ein zweiter See schließt sich fast nahtlos über einen Kanal und ein Sumpfgebiet an, liegt aber abseits der Straße.

Unmittelbar an der Straße liegt eine unterirdische Sehenswürdigkeit des Karstes – die Tropfsteinhöhle Spilja Vrelo. Der Andrang ist so mager, dass Einzelführungen üblich sind – mit einer jungen Höhlenfee, ob der schon ihr freimütiges Lächeln in die Höhle (Hölle?) lockt. Die Höhle ist wie selten ebenerdig zugänglich und insofern besonders kinder- und behindertengerecht. Zwar fällt ihre Größe eher bescheiden aus, aber das macht sie den Frauen gleich mit hübschem Liebreiz wett. Gerne bezeichnet man sie als die kleine Schwester der Postojna-Höhle in Slowenien (Adelsberger Grotte). Dekorative Stalagmiten und Stalaktiten umgeben die lieblichen Besonderheiten der Höhle, die in einer Bergquelle, einem See und dem abfließenden Fluss bestehen. Bei starkem Quellfluss kann die Höhle komplett überspült sein. Viele Säulen- und Wandflächen sind ganz weiß – ein Zeichen für reinen Kalk, so nur selten in Höhlen zu finden. (Die Höhlenfee meinte sogar, es sei einzigartig, was aber nicht stimmen kann. Wie ich im Gespräch auch feststellte, waren ihr Höhlen außerhalb des kroatisch-slowenischen Grenzlandes gänzlich unbekannt.) Besonders stimmig ist die dezent grün schillernde Beleuchtung gewählt. Eine geeignete Atmosphäre, einen gut geschützten Lebensbund zu schließen – Hochzeiten sind hier möglich – Karstbünde, ob sie länger halten? Die Höhlenfee weiß es auch nicht.

Der Aufstieg zum Pass Gornje Jelenje ist vergleichsweise harmlos und unspektakulär. Die dichten Bärenwälder des Risnjak grüßen. Ist man auf der Verbindungsroute Delnice – Rijeka, nimmt auch der Verkehr zu. Gornje Jelenje – noch in gleicher verfallener Manier wie vor 10 Jahren – liegt diesmal ruhig und gelassen in der milden Abendsonne. So ungleich ist mir die Erinnerung im Kopf, hier einer der dramatischsten Bergfahrten gegen die Bora erlebt zu haben, zwischen Verzweiflung und Faszination hin- und hergerüttelt, mein Don-Quijote-Erlebnis der Drahteselreisen. Und nun? – Nichts, keine Gefühle. Mittelmaß. Nüchterne Analyse: Wäre schön noch in den Risnjak-Nationalpark zu fahren. Platak (ein Skiberg) vielleicht? – Die Zufahrt ist gesperrt – keine Experimente, Kurs halten heißt die Devise.

In weiten Bögen geht es zu Tal, ich tauche immer mehr unter die Karstberge, das Meer spürt man nah, die lau-schwüle Ebene, bereits ein erster Hauch von Ende – vom Ende der Reise, vom Ende des Karstes? – Noch nicht. Von oben überblickt man die Autobahn gut, bei Podhum liegt ein kleiner Flughafen. Ein ungewöhnlicher Turm, eine Art Trichterbaum aus Beton, ragt weit in den Himmel. Das Bauwerk steht hinter einer Mauer – ein niederschmetternd tristes Grau an Stein. Der Ort gemahnt an Tod – an Verbrechen – Krieg. Viel war in diesem Bericht von Kriegsverbrechen zu lesen – meist ging es um die post-jugoslawischen Zerwürfnisse. Hier geht es um die Verbrechen der Faschisten, die Spuren des Zweiten Weltkrieges.

Am 12. Juli 1942 ermordeten Armeeverbände der italienischen Faschisten 91-128 Menschen des Ortes Podhum, zerstörten 320 Häuser und deportierten die restlichen 889 Einwohner in Lager jenseits der Kvarner Küste. Die Region Gorski kotar war von faschistischen Säuberungen besonders betroffen, weil man dort Kommunisten und Partisanen vermutete. Tatsächlich hinterfragten die Faschisten die Gesinnung nicht und mordeten wahllos. Die Bevölkerung von Podhum war eigentlich prokroatisch, unterstützte also das Anliegen des faschistischen Vasallenstaates des Unabhängigen Kroatiens (der auch BiH und Serbien umfasste), der im April mit Hilfe der deutschen Wehrmacht und der Achsenmächte errichtet wurde und vorübergehend die Idee des sozialistischen Jugoslawiens zerschlug. Es wird geschätzt, dass die Zwangsitalienisierung etwa 100000 Kroaten und Slowenen das Leben kostete. Zahlreiche Repressalien wie der Entzug der eigenen Sprache in den Schulen begleiteten die Feldzüge. Auch nach der Kapitulation Italiens unterlagen Slowenen und Kroatien den Verbrechen der Faschisten – sodann der deutschen. In Istrien verloren zwischen 2500 und 5000 Kroaten und Slowenen ihr Leben an die deutschen Faschisten. Kroaten wurden auch in den KZs von Auschwitz und Dachau deportiert.








Gedenkminute – a time of memory








Ganz im Gegensatz zur tragischen Geschichte stehen die lieblichen Felder und Gärten der Umgebung. Nach Drazice gelangt man in ein enges Tal, wo kleinteiliger Weinanbau verbreitet ist. In Trnovica führt eine Brücke über den Fluss Rjecine, wo es sogleich in ein paar Serpentinen – durchaus anstrengend – über einen Berg in die Weite der Kvarner Bucht von Rijeka geht. Zuvor zweige ich aber noch in Trnovica entlang der Rjecine ab, denn hier soll am Ende des Tals noch eine Karstschönheit – ein Wasserfall – liegen. Sogar vermute ich dank schlechter Karten auch einen Übergang als Piste nach Studena oder Klana. Doch beides entpuppt sich als Phantom. Der Übergang ist nicht existent, und der Wasserfall ein Opfer der Verkarstung – Wasser gibt es nur in feuchten Jahreszeiten. Ich komme zwei Wochen zu spät – so gibt mir eine junge Feierabendgruppe auf der Wiese zu verstehen. Am Ende des Tages stehen dann Sonnenuntergang über der Adria und ein leckeres Wildessen.

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KAPITEL X
Karst-Finale in Südslowenien: Auf Bruno’s Tatzenspuren, Höhlenkunde im Riesenformat, bezauberndes Weinland geschmackvoll eingeschenkt und die Triester Dichterküste

Musik: Der slowenische Gitarrist Samo Salamon gehört zu den aktuell innovativsten Jazzgitarristen weltweit. In teils ungewöhnlichen Besetzungen wie etwa mit dem Tubisten Michel Godard oder hier mit dem Geiger Dominique Pifarély lotet er im Improvisationskollektiv neue Klangmöglichkeiten der Avantgarde aus: Samo Salamon Strings Quartet „The puffins we never saw” (7:59 min.).

Fr 19.7. Viskovo – Sarsoni – Klana – Lisac (? m) – Novakracine – ? (? m) – Rupa – ? (486 m) – Ilirska Bistrica – Sviscaki (1241 m) – Sneznik-Pass (1260 m) – Masun – Knezak – Kenzak vrata (610 m) – Ilirska Bistrica – Brce
96 km | 11,2 km/h | 8:33 h | 1650 Hm
W: sonnig, schwül, zum Sneznik regnerisch, danach kühl
E (H): Fisch, Kart.salat, Bier 15 €
Ü: H Domacija Bubec 25 € m. Fr.

Die erste Passage zurück nach Sarsoni und bis Marcelje ist recht steil, sodann sich letzte Blicke über die weite Adria-Bucht ergeben. Die nun auch stark durch Alltagsverkehr (Pendler, Lieferanten, Bauwerker) belastete Strecke lohnt zwar gemäß meinem Weg zu umfahren. Diese Alternative endet aber an einem nicht offiziellen Grenzübergang nach Slowenien, der – so die slowenische Polizei – auch nach dem Beitritt Kroatiens zur EU nicht für internationale Gäste erlaubt ist zu überschreiten. Da Kroatien noch nicht dem Schengen-Abkommen zugehörig, müssen weiter Passkontrollen durchgeführt werden. Das geht nicht an unbemannten Grenzen, die für die lokale Bevölkerung offen sind – wie zwischen Lisac und Susak. Es war insofern logisch, dass mir die Einheimischen in Klana bedeuteten, dass der Übertritt nach Slowenien auf dieser Strecke kein Problem sei. Für die Einwohner nicht, für mich schon! Der offizielle Übergang führt über Rupa.

Die slowenischen Polizei verlangte zunächst, dass ich umkehren solle, was in Anbetracht des arg groben Schotters zwischen Lisac und Susak schon fast unmöglich geworden wäre – hätte bergauf dann wohl schieben müssen (runter geht halt irgendwie). Als Alternative boten sie mir an, eine Strafe zu zahlen um freie Fahrt zu erhalten. Das stößt bei einem unterdurchschnittlich bezahlten deutschen Arbeitnehmer auch nicht auf freundliche Gegenliebe. So blieben nur der hartnäckige Hinweis auf missverständliche EU-Vorschriften und Fehlinformationen durch die lokale Bevölkerung. Schließlich wurde ich nach einer Mobilfunkrückfrage der Pilzisten mit einer Leitstelle begnadigt. schmunzel

Neben diesem Vorfall sei bemerkt, dass die Strecke zwischen dem netten Ort Klanak und Lisac eine recht hübsche Waldstrecke mit Bachlauf einen Berg hinaufführt, der Grenzort also quasi eine Passhöhe darstellt. Ebenso macht die Strecke von Novakracine zur Transitstraße zwischen Rijeka und Ilirska Bistrica Laune über einen leichten Hügel mit lichtem Kiefernwald. Slowenien – das ist gleich spürbar, ist nochmal etwas schicker zurecht gemacht als die nordkroatische Seite, ein Hauch von Schweiz liegt gediegen über den Dörfern.

Ruhe findet man auf der Transitstrecke weniger, es gilt schnell das Stück hinter sich zu bringen. Geldwechselstuben und Obststände wittern gute Geschäfte mit Adriatouristen. Ilirska Bistrica ist eine recht übersichtliche Stadt – eigentlich eher ein Städtchen – einige K&K-Spuren, ein hübsches Ortsbild durch die Kirche über der Stadt. Ich besuche auch einen Radladen unter Vortäuschung eines Kaufinteresses, um ein wenig zu schnuppern, was es so gibt. Bei der Suche nach einer Windjacke ist der Herr extrem bemüht, er scheint dem internationalen Gast eine gewisse Wichtigkeit zuzuordnen. Die Klamottenabteilung ist aber bescheiden. Besser erachte ich den Umfang der Ersatzteile, ein paar Kompletträder finde ich auch ordentlich – neben Mountainbikes auch viele Kinderräder.

Gewiss, die folgende, nicht einfache Route ist eine fast überflüssige Luxuszugabe für Bergstürmer. Ursprünglich hatte ich den Wald- und Wildgasthof Masun als Übernachtungsziel erkoren, doch war ich jetzt in einem anderen Etappenrhythmus. Fast wäre ich doch noch in im stark besuchten Masun eingekehrt, brauchte ich doch arg lang für die Piste – nicht so schlecht zu fahren, aber doch eine lange Schotterstrecke und daher zeitraubend. Hinzu kamen eine entsetzliche Müdigkeit und ein kleineres Gewitter. Die Strecke ist eher eine Waldstrecke (viel Buche, auch Tannen), anfangs hat man weite Blicke nach Süden, das schönste Zwischenstück mit alpinen Blumenwiesen ist kurz. Oben befindet sich eine Ferienwohnsiedlung mit einer großen Almwirtschaft – eine gepflegte Lichtung im Wald, offenbar recht beliebt auch im Sommer – im Winter gibt es Skitourismus. Eine abzweigende Piste könnte man wahrscheinlich auch noch bis auf den Berg Sneznik fahren.

Nach Masun geht es nicht sofort durchgehend hinunter, sondern ein kleiner Gegenanstieg mit dem effektiv höchsten Punkt folgt noch nach der Almsiedlung. Außer Wald ist dann nichts zu berichten, der Abzweig zur Burg Sneznik und weiter nach Cerknica liegt bereits oberhalb von Masun. In Masun gibt es weitere Pistenverzweigungen, auf denen man Wege durch Wald zur Burg Sneznik wie auch nach Postojna finden kann. Ab Masun ist wieder Asphalt, der Belag allerdings nicht von bester Qualität. Typisches Bärenland durchfährt man – dichte Wälder, immer wieder mit Lichtungen, auf denen ich mir vorstelle, dass Bruno herumtanzen könnte. Bruno – der berühmteste Bär zwischen dem Trentino und Bayern – der Problembär, dessen Schicksal vor einer bayerischen Flinte endete, weil er aus dem Nationalpark Adamello-Brenta ausgebüchst war – dessen Mutter tollte einst hier herum, bevor sie zum Exportbären für europäische Umsiedlungspläne wurde. Hätte sie hier Bruno zur Welt gebracht, dann würde Bruno noch heute hier herumstreichen, Bienenwaben lecken und alles wäre – null problemo.

Ein letzter Teil führt kurz noch durch einer Felderebene, bevor man in Knezak wieder auf die Transitstrecke zwischen Postojna und Rijeka zurückkehrt. Nun wollte ich weniger gern in Ilirska Bistrica nächtigen, sondern lieber in einem der beschaulichen Landunterkünfte umher. So fuhr ich etwas abseits meiner Route in ein Stichtal rein (mit Zwischenhügeln). Der Waldgasthof Bubec in Brce liegt völlig abseits allen Trubels in einem feuchten Flusstal, umgeben von Wildgehege, Pferdestall und Fischteichen. Der Fische kommt hier direkt vom Köcher auf den Grill und auf den Teller. Was eben noch gezappelt, nun liegt im Bauch des Radlers und – das muss man sagen – hat gemundet, auch wenn es herzlos ward. schmunzel

Sa 20.7. Brce – Harije – Tominje – Pregarje – Karlovica (715) – Tatre – Artvize – Matavun/Skocjanske jame (10-17 h stdl.) – (Divace) – Lokev – Lipica (8-18 h stdl.) – Sezana – Smarje – Dutovlje – Stanjel
82 km | 13,0 km/h | 6:18 h | 1090 Hm
W: sonnig, max. ca. 30 °C
E (Burg-Vinothek): kl. Aufschnitt, Rw, Sorbet 12,20 €
Ü: PZ Apartma Jera 25 € m. Fr.
B: Skocjanske jame (kl. Runde 3 h) 15 €

Der Gasthof Bubec wird von einem Italiener (Triest-Region) geführt. Er fühlt sich wohl in Slowenien und meint, dass es eher leichter sei, ein Gastgeschäft zu führen als in Italien. Die Gäste waren nicht gerade zahlreich – er meinte, sie kommen besonders am Wochenende. Einem deutschen Paar mit Auto war es zu teuer – Schnäppchenjäger? – Die Zimmer sind wunderbar, auch wenn nur Etagendusche. Die Lage ist für Märchenmacher gedacht. Der Morgen hat was Besonders, denn überall liegt Nebel in der Aue. Stimmungen wie Gedichte von Eichendorff . Neuntöter. Spinnenetze. Tautropfen. Gräser. Alte Apfelbäume, krumm gewachsen. Erwachende Dörfer. Die Sonne bricht leicht, nicht gleich, lässt Zeit. Das Einfache ist hier groß! Licht – Schatten – Stille. Die Dörflein folgen, jedes Kirchlein weiß um seine Wirkung, wo nur leichte Hügel den Horizont begrenzen, wo nur wenige Dächer Heimstatt bieten. Die Sonne wächst heraus, der Nebel weicht – es ist Slowenien vom Lande, auf Postkarte gemalt.

„Freund, du hast Zeit. Das Zeithaben war es auch, was dem Dörfler zu seinem besonderen Gang verhalf (…). Zu solch einem Gang gehörte es, dass der Gehende selbst sich in Abständen, unwillkürlich, doch umso bewusster, umblickte, nicht aus Angst vor einem Verfolger, sondern aus reiner Lust am Unterwegssein, je zielloser desto besser, mit der Gewissheit, dabei in seinem Rücken eine Form zu entdecken, sei es auch nur den Riss im Asphalt. Ja, die Gewissheit, eine Gangart zu finden, ganz Gang zu sein und dabei zum Entdecker zu werden, hob den Karst ab von den paar sonstigen freien Weltgegenden, durch die ich gekommen bin.“ – so schrieb einmal Peter Handke in seiner literarischen Reiseerzählung „Die Wiederholung“. Man möge den Gang durch das Treten und den Gehenden durch den Radler ersetzen und weiß, wie ich selbst empfunden habe.

Der Höhepunkt des Tages sollte dann die Skocjanske jame werden, ein großes Karst-Bauwerk von riesigen Ausmaßen und vom Wasser in Millionen Jahren zurecht geschliffen. Es handelt sich hier nicht um nur eine Höhle, sondern um ein ganzes System an Höhlen, Gängen, Einsturzdolinen, Naturbrücken, Schlucklöchern, Wasserfällen und Seen. Fauna und Flora sind sowohl unter- wie überirdisch teils endemisch. Wegen seiner Vielfalt und Eindrücklichkeit besitzt die Skocjanske jame ein einzigartiges Abbild von Karsterscheinungen und wurde entsprechend ins UNESCO-Welterbe aufgenommen, ebenso wie der gesamte Park als UNESCO-Biosphärenreservat anerkannt wurde. Den Kern des Parks – und dies ist auch der eintrittspflichtige Teil (Führung) – ist die Flusshöhle der Reka, die nahe dem kroatischen Klana (s. Vortag) entspringt und zunächst 50 Kilometer oberirdisch, teils stark mäandernd fließt. Sodann nimmt sie 35 km den Weg unter dem Fels und taucht erst wieder in Italien nahe der Triester Bucht auf.

In der Höhle wurde ein gesicherter, treppenreicher Weg angelegt. Er führt an Sinterterrassen und mächtigen Tropfsteinen vorbei, die teils zu orgelartigen Gebilden zusammengewachsen sind. In diesem eher der karstigen Schönheit gewidmeten Teil herrscht Stille, die dann von der Reka gebrochen wird, wenn man in die „Rauschende Höhle“ eintritt. Hatte man es vorher mit großen Sälen zu tun, folgt nun so etwas wie die große Halle des Karstvolkes – von schier gigantischer Größe, im lauten Rauschen der Mensch zur Winzigkeit erdrückt. Der größere unterirdische Höhlenteil ist für normale Besucher nicht zugänglich, kann nur von Höhlenforschern begangen werden, nur mit entsprechender Ausrüstung und Technik nicht ganz ungefährlich zu erobern. Der Weg folgt über eine 45 m hohe Brücke, die nochmal die Dimensionen verstärkt. Es sei erwähnt, dass das Fotografieren bei der Führung innerhalb der Höhle verboten ist, außerhalb natürlich wieder. Nimmt man nur die Säulenschönheiten als Maßstab, ist Postojna sicherlich wertvoller, doch gibt es hier nicht nur diese einzigartige Flusshöhle, sondern einen Variantenreichtum von Karstphänomenen zu sehen wie sonst nirgends.

Am Höhlenausgang wird man bei der Kleinen Führung entlassen und kann nach freien Stücken noch die ganzen offenen Karstpreziosen bewundern. Durch den gewaltigen Dolineneinbruch führt der Weg zum Ausgang über eine 180 m hohe Treppenorgie – die Banausen nehmen die Standseilbahn, die im Preis eingeschlossen ist. Es lohnt auch noch die oben liegende Wege zu begehen, die vor allem die Dolinenwelt eröffnen mit dem Dorfpanorama von Matavun. Ein kleines Museum ermöglicht das Studium der Siedlungsgeschichte und typischer bäuerlicher Landkultur in der Region. Das Restaurant am Kassenbereich hat gewiss typische Touristenpreise, die Naturlimonade ist aber zu empfehlen. Für die Kleine Runde sollte man mit allem Drumherum annähernd einen halben Tag einkalkulieren – auch wenn man es ggf. schneller schafft. Für die Große Runde empfiehlt sich eine Übernachtung vor Ort, um die Umgebung ausreichend in Augenschein nehmen zu können – weitere umliegende Höhlen mit exklusiveren Besuchszeiten mögen ein Anreiz für einen längere Verweildauer sein. In der Umgebung sind einige, auch recht nette ländliche Unterkünfte zu finden, einen Camping gibt es nur wenige Kilometer entfernt in Skoflje.

Bewegt man sich Richtung Lipica, wirkt die Landschaft sehr mediterran, das Meer glaubt man schon zu riechen. In dem Ort Lokov gibt es in dem auffallenden Rundturm ein recht spezielles Kriegsmuseum mit ca. 4200 Exponaten von grausamen Relikten aus dem 1. und 2. Weltkrieg einschließlich der KZ-Einrichtungen. In gewisser Weise war ich erleichtert, dass Museum geschlossen vorzufinden, obwohl der Anblick der verächtlichten Verbrechenswerkzeuge ja eigentlich zu der umfassenden Sicht meines Via Dinarica gehören würde.

Eher für die Freunde von höfischer Eleganz und muskulös schön gewachsener Zuchttiere ist das Gestüt Lipica ein Highlight. Ich war nun durch den Höhlenbesuch nicht mehr für einen Gestütsbesuch rechzeitig (dessen Pforten immerhin später schließen als die in Skocjan). Doch so wirklich reizt mich dieser höfische Dressurtrallala nicht. Es ist aber auch Genuss, die weißen Pferde auf dem weitläufigen Gestütsweiden in der milden Abendsonne zu sehen. Lipica ist eigentlich Privatbesitz, die Straße hindurch ist aber geduldet und eingeschränkt nutzbar. Auch ist Lipica ein Freizeitzentrum, für die Armen gibt es eine große Parkanlage, wo man picknicken kann. Kleingeldsammler treffen sich gerne im Casino, ein Wellnesshotel ist ebenso angeschlossen wie ein Golfplatz. Der wunderbaren Atmosphäre schadet das Luxusgewedel zum Glück nicht, ist es ja in gewisser Weise passend zu den Edelpferden, ohne die der Spanischen Hofreitschule das geeignete Huftretermaterial fehlen würde.

Sezana ist eine recht untouristische Stadt, es empfiehlt sich, weiter zu fahren auf die Weinstraße, die unmittelbar am Ortsende abzweigt (Nordost, dort dann „Kraska vinska cesta“ folgen bzw. Richtung Smarje). Gleich dann beginnt das liebliche Augengedicht von Rebstöcken und kleinen Weindörfern, deren schöne eines nach dem anderen folgen. Nicht gerade zufällig liegt hier mit Tomaje das Heimatdorf des slowenischen Dichters Srecko Kosovel, der mit einem konstruktivistischen Ansatz neue Impulse in der europäischen Dichtkunst setzte. Was könnte man hier anders in den Mußezeiten tun als Verse verfassen? Sein Wirken war nur von kurzer Dauer, starb er doch bereits mit 22 Jahren an den Folgen einer Erkältung an Meningitis. In den meisten Orten findet sich mindestens eine Speiselokalität, zum übernachten – wenn kein Hotel – ein Privatvermieter. Einige Weingüter bieten beides im Paket an, den goldenen Abendglanz über leuchtendem Weinlaubgrün inklusive. In Pliskovica soll eines der typischen Karsthäuser sogar als Jugendherberge ausgelegt sein.

Ich entschließe mich noch, bis Stanjel zu strampeln. Auf dem Hügel thront eindrucksvoll das mittelalterliche Burgstädtchen, aus dessen Silhouette vor allem die eigentümliche Kirche hervorsticht, deren Turm einer stilisierten Bischofsmütze ähnelt. Ausgerechnet hier aber wird dem Gast wenig geboten – die spärliche Kulinarik beschränkt sich auf die Vinothek, das doch wunderbare Zimmer entschädigt in gewisser Weise. Der Ort ist immer noch fast ausgestorben, was seine Ursache mal wieder in den kriegerischen Verbrechen hat. Blieb Stanjel vom faschistischen Terror verschont, übernahmen es stattdessen Titos Partisanen die Stadt niederzubrennen und sie in der gesamten Jugoslawien-Ära ein Geisterdorf blieb. Die Rückgewinnung von Einwohnern verläuft schleppend, derzeit setzt man neben Tagestouristen auf Kunst.

So 21.7. Stanjel – Branik – Griznik (298 m) – Komen – Pliskovica – Brije – Gorjanske – Brestovica – Jamlje – Duino – Sistiana – Montefalcone 16:27 h || 17:48 h Venezia Mestre 21:09 h || Mo 6:15 h München 6:48 h || 9:07 Stuttgart (Angaben planmäßig, tatsächlich 1 h Verspätung)
70 km | 14,9 km/h | 4:42 h | 765 Hm
W: nachts/morgens Regen, später sonnig, schwül, max. ca. 35 °C
E (R Columbus, V.-Mestre): Wurst m. Polenta/Pilzen, Tintenfisch Venezia-Art m. Polenta, Crème brulée m. Früchten, Cafe 38,50 €
B: Weinprobe Vina Strekelj gratis, 2 Fl. Wein 16 €

Dass es nachts und noch morgens regnete, machte mir etwas Angst, nicht mehr recht die Hügel zur Küste zu schaffen. Doch wichen die kleine Tränen des Himmels bald blendendem Sommerwetter – am Ende einer der heißesten Tage, sicherlich nicht unter 35 °C und hitzig bis in die Nacht. Noch ein Blick würdig sind in Stanjel die Ferrarigärten von Max Fabiani. Der Architekt schuf in der Zeit zwischen den Weltkriegen einen eklektischen Mix italienischer Stilepochen mit Brücken, Teichen und Säulen, nahe am Grat zwischen Renaissance-Schönheit und antikem Kitsch gebaut. Für funktionierende Wasserspiele schaffte er ein intelligentes Bewässerungssystem, das zugleich seiner Villa im trockenen Karst fließendes Wasser ganzjährig bescherte. So ist denn auch die Anlage heute ein Kultur- und Pionierdenkmal, das allerdings von der Zerstörung Stanjels auch noch nicht wieder ganz genesen ist.

Das Vipava-Tal erreicht man nach einer kleinen Abfahrt, liegt also deutlich tiefer als das zuvor beradelte Weinland. Auch hier liegt eine Weinstraße, die aber durch den Höhenzug von der südlichen getrennt ist. Branik ist der größte unter alle Karst-Weinorten, die ich durchfahren habe, schweigt aber am Sonntagmorgen auch still. Über dem Tal und der Stadt liegt eine Burg, die man im Rahmen von der Bergstraße hinter Branik per kleine Stichstraße erreichen kann. Sie ist aber unzugänglich in Privatbesitz. Während die Auffahrt unter Laubblattdächern noch Feuchte und Kühle bietet, breitet sich oberhalb trockener, aufgelockerter Kiefernwald aus. Komen, das kaum aus der Landschaft hervorsticht, ist ein kleines Infrastrukturzentrum für die südliche Karstweinstraße. Ein Restaurant verspricht gute, neue slowenische Küche. Nochmals werden die Rebenhänge in einer Talmulde von Grasland und Kieferwäldern unterbrochen, um dann erneut wieder lieblich aufzutauchen. Wer durchgehend Weinhügel sehen möchte, müsste von Dutovlje direkt nach Pliskovica durchradeln und dann weiter meinem aktuellen Weg folgen.

Bevor ich auf einem Umweg die Triester Dichterküste bei Duino und Sistiana ansteuere, liegt noch ein Exkurs zu dem Saft, aus dem die Landschaft geschaffen und die Poesie inspiriert ist – zum Wein. wein Die Weinprobe bei Jordan Strekelj dauerte inklusive kosmopolitischer Gesprächsthemen wohl ungefähr zwei Stunden (s. Einführung). Da war dann das Opfer ein ausgiebiges Abschiedsbad in der Adria, was angesichts des italienischen Strandtrubels aber recht entbehrlich war. Was man in Italien mit Kultur und Natur macht, ist ein kleines Verbrechen. Der Rilke-Pfad war offiziell gesperrt. So richtig begründet ist die Sperrung nicht, man mag sich Steinschlag denken. Eher scheint man sich nicht mehr drum zu kümmern, der Weg bringt kein Geschäft, die Kultur darf verfallen. Dagegen steht eine Strandzufahrt runter nach Sistiana-Beach mit Schwärmen von Autos und Mopedgeknatter, Parkplätze in fußballfeldgroßen Dimensionen fast bis zum letzten Kieselstein ans Meer geschoben, eine Gelärme von Bambini-Zirkus-Tollhaus, gespickt mit Zuckerkonfekt- und Buntfarbeneisbuden und am südlichen Ende ein Bauzaun, hinter dem noch mehr pervertierte Strandkultur gebaut wird. Die Steilküste mit dem fernen Schloss von Duino ist immer noch Paradeblick – die Bucht hier aber leidet, von der Poesie gänzlich bereinigt für den Kommerz. Schade. Es kostet ein leises Weinen. Der Karst wird die Tränen verschlucken. Noch einmal lasse ich es durch die großartigen Worte Srecko Kosovels sagen, was mich zum Abschied gleich so in Gedanken bewegte (aus dem Gedicht „Skizze“):

Ich weiß, diese Frage kommt noch, gewiss! Sie
kommt
um Mitternacht oder zu Mittag, still und ernst:
„Was hast du mir gegeben?“ Sie kommt. Vom
Karst.


Was soll ich dir geben? Was soll ich euch geben,
ich,
der ich euch verlassen habe?


Schau, durch meinen Arm fließt Sklavenblut,
in meinem Herzen auch. Immer muss ich
irgendwem
dienen. Jetzt diene ich dir. Dir gab ich alles – jetzt
hab
ich nichts mehr – Das Herz gab ich dir, was soll
ich dir geben?


Bildergalerie zu Kapitel X (120 Fotos):



E N D E schmunzel
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
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