Re: Mentale Ausdauer

von: iassu

Re: Mentale Ausdauer - 31.01.21 00:35

Nun wurde ja zu dieser Frage schon sehr vielseitig geantwortet. Gemeinsamer Tenor ist klar die auf die Ausgangsfrage folgende Frage: warum fährst du, fährt jemand überhaupt über mehr als einen Tag los. Warum tue ich mir das an? Diese Frage ist nicht banal.

Radfahren ist eine ziemlich unbequeme Art, von A nach B zu gelangen, wenn man nicht, warum auch immer, gerade dazu gezwungen ist. Menschen, meistens in Ländern der 2. oder 3. Welt, stellen diese Frage normalerweise direkt oder unausgesprochen an den vorbei kommenden Reiseradler, weil für sie jede Alternative außer Zufußgehen attraktiver ist. Wenn man denen erzählt, daß man zuhause sogar ein Auto hat, verstehen sie garnichts mehr.

Nun muß man ja hier im Radreise-Forum nicht prinzipiell erklären, was das Erstrebenswerte am Radreisen ist/sein kann zwinker . Hingegen kann sich einem diese Frage unterwegs durchaus stellen, obwohl man sie sich im Allgemeinen natürlich schnell beantwortet haben würde.

Was soll/will ich gerade jetzt gerade hier? Krise?

Ich setze das hier jetzt persönlich aus meiner Sicht fort. Ich mache Radreisen aus im wesentlichen drei Gründen.

1. Weil mir das Erfahren fremder, wenn auch nicht notwendigerweise unbekannter Gegenden mit dem Fahrrad große Freude und Vergnügen bereitet.

Das bedeutet automatisch, daß Alternativen irrelevant sind. Auto, Zug oder Anderes können das nicht liefern. Schneller, bequemer, effektiver von A nach B zu kommen, reizt mich dann nicht. Allerdings: diese Motivation kann unterwegs gerne mal in den Hintergrund treten. Verschiedene, hier banal bekannte Gegebenheiten wie Wetter, Höhenmeter, Kondition, Tageslänge usw können im Vordergrund stehen und dominieren.

Aber auch eine ganz andere Problematik kenne ich von mir. Ich bin dann zu flüchtig eingestellt. Ich denke innerlich vielleicht ans Ankommen am Abend, oder an die Anforderungen der nächsten Tage, bin irgendwie im Streß, meinetwegen navigationsmäßig, bin aus anderen Gründen irgendwie nicht richtig im Hier und Jetzt. Wenn ich das merke, sage ich mir: du wolltest das genau so. Du hast dich seit Monaten drauf gefreut. Du hast dir oftmals vorgestellt, wie gerne du jetzt hier radfahren würdest. Dann freu dich auch, und zwar jetzt. Die Gelegenheit kommt nicht mehr so schnell wieder.

Das klappt dann meistens auch ganz gut so mit mir selber.

2.Aus gesundheitlichen Gründen.

Aufgrund verschiedener chronischer Erkrankungen ist eine mehrwöchige Radreise für mich ein Jahreshighlight. Nie geht es mir allgemein körperlich so gut und nie kann ich zB regelmäßig so gut schlafen wie auf der Radreise. Ich versuche, das so lange noch durchzuführen, wie es möglich ist. Alternativ zuhause ein ähnliches Bewegungspotential zu realisieren, scheint mir kaum realistisch.

Daraus folgen mehrere Konsequenzen. Elektrounterstützung ist für mich uninteressant. Es kommt nicht darauf an, daß ich irgendwo ankomme. Aus gesundheitlichen Gründen kommt es darauf an, daß ich das aus eigener Kraft mache. In Phasen der Ermüdung, vielleicht der Übersättigung, der Verschlechterung der äußeren Bedingungen kommt selbstverständlich auch der Gedanke an Abkürzung oder Erleichterung auf und ich gebe dem nicht so ganz selten auch nach. Aber mir ist dabei bewußt, daß ich mir dadurch keinen Gefallen tue.

3. Und da ist dann tatsächlich noch ein Restposten: der sportliche Aspekt.

Es befriedigt mich ungemein, wenn ich mir etwas abverlangt habe, was im Moment der Durchführung lästig war, uncool, qunbequem. Durch ein doch sehr vorübergehendes "Leiden" durchzugehen ist definitiv für mich hinterher attraktiver als ein Genuß, der ansonsten verlockender wäre.

Hier scheiden sich natürlich die Geister. Ich kenne im privaten Umfeld eigentlich kaum Menschen, die das nachvollziehen können. Wenn dann eine Tagesausfahrtsfahrt am Sonntag nicht mehr nur aus lächeldem Dahinrollen besteht, wird dem Projekt der Sinn entzogen und das Jammern fängt an. Das große "warum-sollte-ich-mir-sowas-antun? wird alleinbeherrschend.

Da kann man dann nichts machen.

Fazit: aus einer höheren oder meinetwegen tieferen Ebene heraus weiß ich, daß das gut und richtig so ist, will sagen, authentisch genau mein eigenes Anliegen darstellt, auch wenn eine banalere Befindlichkeitsebene lautstark andere Töne anschlägt. Durchaus nicht immer wird diese Befindlichkeitsebene überstimmt, aber das Bestreben ist da. Denn die Freude am Ende ist größer. Eine Art Taktik.