Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien

von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 05.12.15 19:00

E.1 Von Karantanien zur Alpen-Adria-Region zur Krise der Nationalstaaten – Eine unterschätzte Friedensgeschichte

Wo liegt Karantanien und was hat es damit auf sich? – Karantanien, wie oben schon erwähnt, ist ein alter Siedlungsraum, der im Kern die heutigen Regionen und Länder Karnien (Carnia), Kärnten (Carinthia) und Slowenien (Karniola, Carniola) umfasst (daher auch Car(n)-Länder). Dabei sei Karnien auf das heutige Friaul erweitert und Karniola (für das es noch weitere historische Bezeichnungen gibt) mit Krain übersetzt, welches weitgehend dem heutigen Slowenien entspricht.

Exkurs Schreibweisen/Sprachen im Bericht: Spielerisch variabel, wo zweisprachige Namen häufig nebeneinander verwendet werden (z. B. Tarvisio, Tarvis). Generell werden die geografischen Namen der heutigen Erstsprache verwendet, was bedeutetet, dass Furlanisch unberücksichtigt bleibt außer bei spezifischen Kulturgutnamen oder Zitaten. Ansonsten werden übliche Duden-Regeln verwendet, nach denen für einige Großstädte, teils historisch abgeleitete Varianten bestehen (z. B. Triest, allerdings nur gering verschieden von Trieste). Soweit sinnvoll, wird die jeweilige Zeitgeschichte berücksichtigt, also kontextbezogene, historische Namen. Der behandelte Siedlungsraum weißt Spuren bis in die altrömische Epoche auf, wobei sich Wortstämme gleichwohl aus der Zeit gehalten haben, wie auch andere mehrfach verändert wurden. Emona hieß einst das römische Ljubljana, das die Habsburger-Epoche als Laibach erlebte, während geradezu verwirrend Oberlaibach heute Vrhnika heißt, während wiederum deren italienischer Name Nauporto mit nochmal einem anderen Wortstamm auf die heute kaum mehr zu erahnende Bedeutung als Binnenhafenstadt im Römischen Reich verweist. Es braucht also eine gewisse Sprachdisziplin, um die zeitgemäße Verständlichkeit zu garantieren.

Namen sind auch immer ein Spiegel der Geschichte, dem Wandel der Zeiten, also immer nur kontextbezogen zu ihrem zeitgeschichtlichen Gebrauch sinnstiftend zu verwenden! Schließlich gilt es auf Zeichenkompatibilität zu achten. Es gilt z. B. für den Fluss Soca: Soča (slow., hier immer Soca geschrieben, da Sonderzeichen nicht mit Forumssuchfunktion kompatibel – gilt für alle slow. Namen!), Isonzo (it., insbesondere im Zusammenhang mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs), Lusinç (furl., selten zu finden, weil im Friaul ital. dominiert), Sontig (dt., trotz sonst dt. Ortsnamen auch historisch selten ), beide letzteren Varianten werden hier nicht verwendet. Analoge Überlegungen für andere Beispiele seien dem Leser überlassen.


Die Region um die Soca in Slowenien war denn je nach Zeit Einflussbereich des heutigen Friauls bzw. Triests oder der Krain. Das alte Kärnten ist historisch zu fast allen Zeiten größer gewesen als das heutige Kärnten. Ohne auf alle historischen Schwankungen einzugehen, sei vermerkt, dass eine gewichtige Zeit Karantanien und eben auch Kärnten noch zusätzlich die Steiermark umfasste. Trotzdem bleibt der karantanische Kern mit eine gewissen Unschärfe letztlich das heutige Dreigestirn Friaul-Kärnten-Slowenien. Die Ablöseprozesse der Steiermark und des Friauls waren keineswegs kriegerische, sondern friedliche Prozesse, sodass es auch immer wieder zu reversiblen Bünden kam, um sich gegen Awaren, Venezianer oder auch das manchmal ausscherende Fürstentum Görz (Gorizia) zu wehren. Karantanien, das sei angefügt, wurde erstmals als Provinz in einer Urkunde unter Karl dem Großen erwähnt – also im 8. Jahrhundert und noch vor der kurzen Episode als Königreich.

Für die Betrachtung eines „heutigen“ Karantaniens ist die Steiermark jedoch nicht minder von Bedeutung. Denn Karantanien erfuhr immer wieder eine Erneuerung als gemeinschaftlicher Siedlungs- und Kulturraum über den ursprünglichen Kern hinaus. National definierte Abgrenzung spielte dabei keine Rolle, nicht zuletzt weil das vielvölkische Gebilde eine lockere, eher dezentrale Machtstruktur aufwies, die weitgehende Freiheiten zuließ. Der slowenische Patriotismus entwickelte sich erst in der Folge der verstärkten nationalen Strömungen im 19. Jahrhundert. Friaul/Julisch Venetien war trotz bedeutender italienischsprachiger Teile lange nicht vom italienischen Nationalismus berührt bis zur Neuordnung des Raumes 1866 (als das Friaul mit den Bergregionen und die Ebene an Italien fiel) sowie nach dem Ersten Weltkrieg (mit der Zuteilung von Julisch Venetien mit Gorizia, Trieste und Istrien sowie weiterer kroatischen Teile an Italien, die nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum an Jugoslawien abgetreten werden mussten.)

Nicht nur deswegen, sondern auch etwas abseits der expansiven Machtzentren Venedig, Byzanz oder Wien, führte die Region, die relativ geringe strategische Begehrlichkeiten bei den potenziellen Feinden weckte, jahrhundertelang weitgehend ein Leben in friedlicher Koexistenz, wie es erst in der Neuzeit mit dem vereinten Europa als EU wieder als Überwindung nationalstaatlicher Egoismen entdeckt wird, wie denn auch Peter Stih ausführt, nachdem er die besonders intensive Kommunikation nach außen wie auch innerhalb des Alpen-Adria Raumes im Laufe der Jahrhunderte herausgestellt hat: „Einerseits wurde dadurch eine schnelle Übermittlung von Außeneinflüssen ermöglicht, andererseits machte das den Alpen-Adria-Raum, der ohnehin Randbereich von vier geografischen Systemen liegt, noch zur Peripherie von großen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Räumen. Man könnte sogar sagen, dass gerade der Peripheriecharakter zu den stärksten ausgeprägten Merkmalen dieses an sich ziemlich zentral gelegenen europäischen Raumes bildet.“ (in: Platzer/Wieser „Alpen Adria“, S. 232)


Wien ist näher als Venedig: K.u.k.-Architektur prägt die Alpen-Adria-Südmetropole Trieste

Die Habsburger Donaumonarchie stellte dabei die Schutzmacht für diesen Alpen-Adria-Raum dar, wie er als nie offiziell dem Namen nach institutionalisierte Staatsregion, aber als Kulturraum und auch politisch als Meta-Einheit durchaus jahrhundertelang funktionierte und existierte. Noch im 19. Jahrhundert gedeihte dieser Alpen-Adria-Raum unter Kaiser Franz Josef trotz des aufkeimenden Nationalismus, entwickelte sich mit dem Bau der Südbahn Wien – Trieste zu einem modernen Wirtschaftsraum. Die k.u.k.-Architektur Wiens sorgte für prachtvolle Städte im Süden wie in Ljubljana, dem früheren Laibach, Maribor, dem damaligen Marburg oder eben gar an der Adria in Triest. Triest bildete eine ziemlich kleine Insel in der Abgrenzung zur Macht der Dogen der alten Seemacht Venetien, die die kroatische Küste beherrschte. Istrien ist dabei ein Sonderfall und historisch gesehen zählt es auch zum Alpen-Adria-Raum, wenn auch der venezianische Einfluss deutlich wirksamer dort waltete als der der Habsburger (auch die slowenisch-istrische Adria ist venezianisch geprägt, vgl. Koper, Piran). Einige, wie eine Tourismus-Frau auf der Stuttgarter CMT als Vertreterin des Landes Kärnten, verneinen sogar, dass Istrien Teil des Alpen-Adria-Raumes sei.

Neben den Machtstrukturen und architektonischen Merkmalen dieses gemeinsamen Alpen-Adria-Raumes gibt es kleine, versteckte verbindende Kulturhinweise, die man als Reisender wahrnehmen kann. Wien – Triest war nicht nur eine Bahnverbindung zweier majestätischer Städte, sondern sind nicht zufällig auch die beiden Kaffee-Hauptstädte der Welt. So mondän die Wiener Kaffeehauskultur ist, kaum weniger Künstler und Dichter haben sich in den Triester Cafés die Zeit vertrieben, um neue Inspirationen im mediterranen Algengeruch zu gewinnen. Von Triest heißt es, dass man darüber diskutiere, ob die Löffeldrehung nach Eingabe des Zuckers in den Espresso links oder rechts rum für den guten Geschmack geeigneter sei. Tatsächlich sind aber solch zeitverlorene Techteleien seltener geworden, modische Cafés mit geeignetem Fastfood für den eiligen Erlebnis-Touristen verdrängen zunehmend den traditionellen Café-Stil, selbst in den historischen Cafés passt man sich modernen Gewohnheiten an. Eine andere, noch kleinere Getränke-Gemeinsamkeit sagt man dem Teran-Wein nach, wie mir der Winzer Strekelj in Gorjansko erzählte: „Teran-Wein trinkt man nur in ganz wenigen Regionen, hier im Karst – und in Wien!“ – Alpen-Adria ist ergo auch Kaffee & Wein und damit Sinnbild für den allzu viel bemühten Begriff einer „Genussregion“.


Trieste und Wien verbindet eine jeweils eigene wie einmalige Kaffeekultur

Die Alpen-Adria-Region der Neuzeit umfasste also mehr Land als das alte Karantanien, nebst Friaul, Kärnten, Slowenien eben auch zuweilen Istrien, die Steiermark in jedem Fall. Der Alpen-Adria-Raum erfuhr nach dem Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg und den dann nationalstaatlichen Gebilden schließlich 1978 eine Neubelebung durch die Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria (kurz ARGE Alpen-Adria oder hier ARGE AA). Dieser Verbund verfolgte sowohl kulturelle wie auch infrastrukturelle, seltener ökonomische Ziele, die die Region enger verbinden sollte. Zu den herausstehenden Verkehrsprojekten gehörte z. B. der Bau des Karawankentunnels – ein Beispiel, das zeigt, dass dazu nicht unbedingt eine separate Organisation nötig ist, werden andernorts solche Projekte doch binational oder auf EU-Basis umgesetzt.

Die ARGE AA entwickelte sich schnell weit über den historischen Alpen-Adria-Raum hinaus und leidete daher zunehmend an der fehlenden Spezifizierung einer regionalen Identität – zumal die Konkurrenz der EU wirtschaftliche Aufgaben weitgehend selbst absorbierte. Nicht nur zählte neben den alten Kernländern des Alpen-Adria-Raumes nunmehr ganz Kroatien dazu und zwei ungarische Provinzen, die ja durchaus k.u.k.-Vergangenheit haben, sondern schlossen sich auch Oberösterreich, Venetien (der ehemalige Antipode der AA-Region) und die Lombardei an. Mittlerweile (2013) wurde die Struktur nochmals umgebaut zu einem moderner ausgelegten Netzwerk, der so umbenannten Alpen-Adria-Allianz, die wieder eine Straffung zu den ursprünglichen Mitgliedsregionen mit sich brachte, aber sicherlich durch die Unstetigkeit des Verbundes kaum größere Beachtung erwirken konnte und kann.

ARGE AA hat den Krieg auf dem Balkan nicht verhindern können – ein Zeichen der Schwäche dieser supranationalen Organisation, die sie mit anderen wie der UNO oder EU teilt. Auch ein Zeichen der Schwäche des Kulturellen – soweit der Arbeitsschwerpunkt der ARGE AA sich zunehmend auf das Kulturelle konzentrierte –, ein Zeichen der Schwäche des Wortes, was sich immer mehr den wirtschaftlichen Kürzungen unterwerfen soll und muss, dass sich dem Rausch der digitalen Hypes fügen muss, der Oberflächlichkeit weicht und nicht mehr da ist, wenn es wichtig wäre. Das Sterben der gedruckten Bücher, der Zeitungen und Zeitschriften ist nicht trivial und mehr als nur ein wirtschaftlicher Strukturwandel. Es ist ein Kampf des nachdenklichen Wortes gegen das flüchtige Bild, ein Kampf des überlegten Gedankens gegen spontane Beliebigkeitsfloskeln, ein Kampf des langen Gedächtnisses gegen das des kurzen, ein Kampf der Geschichte gegen Geschichtslosigkeit und Geschichtsvergessenheit.

Viel mehr könnten wir aus der Alpen-Adria-Geschichte lernen. Die Nationalstaaten halten keine Visionen mehr bereit für die Probleme der Zukunft. Die Alpen-Adria-Historie hingegen hat schon eine wegweisende Alternative durchlebt. Zu wenig werden jedoch die Hintergründe studiert. Es geht nicht darum, neue nationalistische Regionen zu begründen, sondern mit Minderheiten auskömmlich nebeneinander – miteinander zu leben. So vermerkt Marija Wakounig zu den markgräflichen Herrschaftserweiterungen im mittelalterlichen Karantanien: „Das Regieren eines Fürsten in zwei oder mehreren Territorien des Alpen-Adria-Raumes hatte nicht zur Folge, dass eine Region ihre spezifische Identität verlor und den Gewohnheiten des Beherrschenden unterworfen wurde. Integrieren hieß nicht einfach aufgeben, sondern gemeinsam das Eigene für etwas Neues einzubringen.“ (in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 125).


Entzündete jahrzehntelang eine neuzeitliche, fremdenfeindliche Debatte um die Rechte der slowenischen Minderheit in Kärnten, die einst im alten Karantanien die Bevölkerungsmehrheit stellten: Zweisprachige Ortsschilder

Slowenische Minderheiten in Kärnten z. B. brauchen keine nationalen Institutionen oder Zuordnungen, um ihre bescheidenen kulturellen Werte ausleben zu können. Eine Zweisprachigkeit in Grenzregionen ist ohnehin eine Lebensnotwendigkeit modernen Wirtschaftens. Anachronistisch sind da Versuche, wie etwa zur Jahrtausendwende, in der globalisierten Postmoderne die slowenische Sprache in Kärnten diskriminieren zu wollen (Stichworte: Ortstafelstreit, Jörg Haider, beigelegt erst 2011), obwohl doch die Siedlungsgeschichte der Slawen dort gar länger zurück reicht als er bajuwarischen Kärntner. So hörte ich nicht zu Unrecht vom Maltaer Staudammführer, dass es unter Kaiser Franz Josef schon bessere Zeiten des gegenseitigen Respekts gegeben häbe als in der Moderne mit den national-populistischen Züngeleien – um nicht zu sagen Zündeleien. Was für das moderne Kärnten gilt, gilt aber heute auch für Verirrungen ex-jugoslawischer Staaten oder anderer Regionen, die einzig in der nationalen Identität ihr Heil suchen, ohne sich den modernen Herausforderungen ausreichend flexibel zu stellen.

Noch mehr zeigen Blicke in die ältere Geschichte, dass die alten slawischen Stämme zu Zeit der karantanischen, nichtnationalen, polyethnischen Volksgruppenbildung im 8. Jahrhundert ein diskursiveres, demokratischeres Gewohntheitsrecht pflegten als das obrigkeitshörige Rechtssystem der eindringenden Bajuwaren: „Bei Rechtshandlungen wurden diese Slaven nicht, wie die Bayern, ‚an den Ohren gezogen’ (testes per aures tracti).“ (Harald Krahwinkler/Herwig Wolfram in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 103) Nicht zuletzt zementierten die Vorgänger nationalstaatlicher Strukturen in den Teilregionen des Alpen-Adria-Raumes bereits im Spätmittelalter wie in der zeitlichen Folge ins 18. Jahrhundert hinein zum modernen Staat der Neuzeit asymmetrische Machtverhältnisse zwischen Herrschern und Volk. „Idealtypisch … waren [in den modernen Flächenstaaten] einheitliche Territorien, im Inneren administrativ durchorganisiert und nach außen abgeschlossen. In genau gezogenen Grenzen hatte sich in diesen Staaten ein einheitliches Recht gegen lokale Rechtsgewohnheiten sowie der staatliche Alleinanspruch aus Gewaltausübung durchgesetzt. Eine zentral geleitete, flächendeckende Administration mit schriftlich kommunizierender und regelmäßig entlohnter Bürokratie regelte Abläufe im Inneren des Staates.“ (Gernot Heiß in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 176)

Was sich zunächst aus der Sicht des demokratischen Verwaltungs- und Nationalstaates des 20. Jahrhunderts vorbildlich anhört, hatte dabei aber eben seine Kehrseite, die über die Andeutung der Entfremdung zwischen Verwaltung und Volk hinausging. Das Hauptziel der Regierenden war dabei „die eigene ökonomische und militärische Macht durch zentralstaatliche Organisation zu stärken. Dieses Ziel der Machterweiterung wurde auch auf das Gemeinwesen projiziert, und für dieses hatte der einzelne Untertan verfügbar zu sein. Aus der Sicht der Verwaltung entstand ein (einheitlicher) Untertanenverband, dem auch Ansätze eines Landesbewusstseins zugeschrieben wurden.“ (ebd.) Der Einheitlichkeit wurde die eigenbestimmte Pluralität der Volksgruppen geopfert und persönliche wie wirtschaftliche Freiheiten beschnitten. „Verloren gingen auf diesem Weg nicht nur Regionalismen, wie Privilegien des Adels oder kommunale Autonomien, sondern auch Freizügigkeit von Personen und Waren sowie alle Kommunikationswege und Handelsbeziehungen über die Landesgrenzen hinaus.“ (ebd.)

So setzten, wie Heiß fortführt, mit der Normierung und Disziplinierung nach innen sowie Abgrenzung gegen außen einige Entwicklungen im Alpen-Adria-Raum ein, die heute noch nachdenklich stimmen müssen, ergreifen doch immer wieder Stimmungsparameter Partei für solche historisch als kontraproduktiv enttarnte Wege. Es kam so zu Entwicklungen wie etwa dem Ausbau von Grenzen, dem Wachsen der Militärmächte, die sich aggressiv nach außen positionierten, während sie den inneren Frieden versuchten zu stabilisieren. (vgl. immer noch in Moritsch, S. 176) Abschottung und Krieg nach außen für innenpolitische Zwecke – eine offensichtlich sich stets wiederholende Strategie einfacher Lösungen, von der wenige Auserwählte profitieren, der aber viele auf den Leim gehen.

Die Frage, bildet der Nationalstaat die Grundlage der Demokratie, muss so neu gestellt werden – genauso wie sich die Demokratie in der Moderne als nicht unfehlbar erwiesen hat, hat sie sich doch schon mehrfach selbst und ihre ethische Basis abgeschafft. Es gibt keine politische Kultur, keine administrative Gesellschaftsform, ohne die Frage nach ihren Grundwerten, die sie aus ihrer Geschichte heraus stellen und beantworten muss.


Religiöse Institutionen pflegten Allianzen quer zu kulturellen und staatlichen Herrschaftsstrukturen: Das Bistum Freising in Bayern prägte entscheidend die geistliche Kultur von Bischofslack (Skofia Loka), über eine lange Zeit

Lange prägten dann die Diözesen zu Salzburg und Aquileia nach einer massiven Christianisierung der heidnischen Slawen etwa bei der oberen Drau den geistlichen Einfluss von Norden und Süden. Damit reichte ein „adriatisches“ Moment bis an die Tauern-Barriere. Nichtsdestotrotz kreuzte bayerischer Einfluss die Geschicke Karantaniens noch mehr. Bischofslack (Skofia Loka) war einst ein Ableger des Bistums Freising, König Arnulf gar ein bajuwarischer Abkömmling und die Bayern emigrierten in den einst vornehmlich slawischen Raum in Kärnten und der Krain. Charakteristisch waren nichtstaatliche Formen des Zusammenlebens, die sich im Gegensatz der vormals römischen Verwaltungsstrukturen unkonventionell gebildet hatten – gleichwohl deswegen nicht immer den strenger organisierten Eindringlingen wie dem östlichen Reitervolk der Awaren die Stirn bieten konnten.

Trotz gelegentlicher Scharmützel und Knicke: Die friedliche Koexistenz ohne Unterjochung ist möglich – über Jahrhunderte. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind gerade dabei, sich von Nationalismen aushöhlen zu lassen – eine Schizophrenie zur Begeisterung, mit der Noch-nicht-Mitglieder in das vereinte Europa strömen, ohne den Wertekanon zu verinnerlichen. Andere mittlerweile etablierte EU-Staaten machen es aber kaum besser – bis in die Regionen hinein wie etwa Schottland, Katalonien oder Bayern. Die moderne, schneller und gewaltiger gewordene Migration aus Armut- und Kriegsgründen wird den Gedanken nationaler Identitäten immer mehr schwächen, wird neue staatliche Organisationsformen und empathische Gesellschaftsformen eines Miteinanders erfordern.

Migration und Integration ist ein steter geschichtlicher Prozess. Migration und Integration eines funktionierenden politischen Raumes sind dabei zwei sich ergänzende Merkmale: „Mit der Ansiedlung der Slawen und Ungarn und mit der bayerischen Expansion in den ehemals römisch-romanischen Alpen-Adria-Raum trafen in diesem Gebiet vier große europäische Sprachgemeinschaften aufeinander – die romanische, die slawische, die germanische und die urgofinnische – und konnten sich bis heute halten. Damit trafen in diesem Raum auch zunächst stark voneinander abweichende politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Welten aufeinander, die sich allerdings allmählich stark aneinander anglichen.“ (Peter Stih in Platzer/Wieser, S. 232 f.) Und weiter in der spezifischen Bewertung für die historische Einordnung: „Dabei hat zweifellos die größte Rolle die Integration des Alpen-Adria-Raumes in das Frankenreich gespielt, in dem der Raum Ende des 8. Jahrhunderts erstmals nach der Antike in einem politischen Rahmen zusammengeschlossen war.“ (ebd.) Das war denn der Beginn die Zeit des alten Karantaniens.


Die Zukunftsfrage nicht nur des Alpen-Adria-Raumes: Nationalstaat vs. multistaatlicher Allianzen vs. supranationaler Staatenbildung: Das Rad für Frieden und Freundschaft dreht sich um vielgestaltige Lehren aus der Geschichte, in der Migration stets eine herausragende Rolle von Völkerverständigung und Entwicklung bildete (Veloskulptur nahe dem Lanzenpass, Friaul)

Nationalstaaten und nationalistische Identität sind zementierte Stereotype einer kleinen historischen Episode, die sich als nicht anpassungsfähig für die globalisierte Moderne erwiesen haben und erweisen werden. In Afrika zuweilen aufgrund der willkürlichen ehemaligen Kolonialgrenzen schon fast lächerlich, ergibt sich selbst in für Europa, der Keimzelle des modernen Nationalstaates, ein kaum besseres Bild. Der heutige Zustand aufbegehrender nationalstaatlicher Prioritäten innerhalb der EU bleibt auch für den heutigen Alpen-Adria-Raum (und nicht nur den) ein Sprengstoff, über den man sich ob der vielen Opfer im 20. Jahrhundert bewusst werden sollte. „Die Herausbildung von Nationen und ihr Wunsch nach eigenen Staaten verursachten Konflikte und Kämpfe, die den Raum durch scharfe Grenzen zerstückelt und aus Nachbarn Feinde gemacht haben. Dieser Zustand wurde dann auch zurück in die Vergangenheit projiziert und gerade in dieser modernen Zeit ist die Vorstellung von einem andauernden geschichtlichen Antagonismus zwischen verschiedenen sprachlichen und ethnischen Gemeinschaften aufgekommen, welche die Geschichte der Zusammenarbeit, Solidarität und Einheit der Menschen des Alpen-Adria-Raumes völlig verdrängt. Helmut Rupler hat diese Geschichte als ‚verlorene Geschichte’ bezeichnet, die in die Zeit des europäischen Zusammenschlusses wohl wieder zu finden und wieder bewusst zu machen ist.“ (Peter Stih in: Platzer/Wieser, S. 235)

Veit Heinichen, schriftstellerischer Exil-Alemanne in Triest, aufgewachsen im Basler Dreiländereck, spricht vom „Luxus, über [Grenzen] hinwegzuschreiten, Neues zu sehen und zu lernen, dass Diversität Reichtum ist. Europa [gemeint sind die Römischen Verträge zur Gründung der EWG] war eine faszinierende Idee, eine Vielfalt der Kulturen, der Sprachen, der Lebensmittel, der Klänge und Farben.“ Und wie er fortführt, sieht er in „seiner“ Stadt an der Adria die Vorbildfunktion erfüllt: „eine Stadt wie Triest birgt dies im Besonderen, in ihrer jungen Geschichte hat sie alles widergespiegelt, wofür Europa steht.“ (in: Platzer/Wieser „Alpen Adria“, S. 83 f.)

Den Alpen-Adria-Raum zu bereisen, heißt Friedensgeschichte zu erkunden, Grenzen zu überwinden, (richtig verstandene) Toleranz zu üben. Man muss nur Augen und Ohren aufmachen. Und die Botschaft übermitteln. Auf der Green Devil wunderte man sich nicht über meine Forschungsergebnisse, sondern über die Sturheit und Ignoranz der heutigen Erdenbewohner, ihre Chancen zu solidarischen Gemeinschaften zu vergeben und ihre Synergiekräfte nicht zu nutzen. Die Theatergemeinschaft der Green Devil plant ein Trauerschauspiel dazu aufzuführen, in dem sich auch Elemente meiner Karantanien-Erlebnisse wiederfinden sollen.

Fortsetzung folgt