Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien

von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 06.12.15 20:36

E.2 Alpen-Adria – modisches Etikett oder Heimat-Bekenntnis?

Alpe(n)-Adria ist mittlerweile zu einem beliebten Etikett in der Region geworden und nicht immer hält der Name, was der Historie angemessen wäre. Alpe Adria gibt es als Magazin, sicherlich mit auch lesenswerten Artikeln für Genießer, nicht aber ohne einen stark elitären Zug – die Anzeigenklientel muss sich wohl fühlen. Alpen-Adria gibt es als Universität wie die von Klagenfurt, als Jazz-Festival wie auch als Folklore-Festival. Alpen-Adria gibt es vielfach als Hotel- oder Restaurantbezeichnung, als kulinarischer Regionalmarkt, als Tankstelle oder Supermarkt – sicherlich nicht nur um mit einem kaum definierten Mythos zu spielen, sondern die beliebten Natur- und Urlaubsbilder aus Meer und Bergen beim Gast und Konsumenten zu einer Art doppelten Sehnsucht zu verstärken. Also mehr Monti e Mare als Alpe Adria.

Alpen-Adria gibt es als Bank – ihres Zeichens zur Skandal-Bank Kärntens auf- bzw. abgestiegen, mit unappetitlichen, mafiösen Verwicklungen von Waffenschiebern aus dem Balkan, über Verstrickungen mit den politischen Eliten des Landes – allen voran dem ehemaligen und tödlich verunglückten Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider -, mit dubiosen Geschäften des operativen Führungspersonals der Bank mit bankrotten Auffanggesellschaften und nicht zuletzt mit einem schon kabaretttauglichen Hin- und Hergeschiebe der Eigentumsanteile der Bank zwischen Kärnten und Bayern, wobei sich beide Länder ein wenig verarmt haben – die Kärntner letztlich mehr und mit sichtbaren Folgen bis heute und in die Zukunft. Kommentar eines Linzer Ehepaares an der Unfallstelle Jörg Haiders, an dem immer noch eine Heldenverehrung seiner Jünger betrieben wird: „Kärnten ist pleite! Und der da hat ordentlich Anteil daran. Österreich würde Kärnten am liebsten abgeben.“ (Böses denkt, wer sich an den EU-Griechenland-Finanzkonflikt erinnert fühlt oder an bayerische Initiativen Bremen, MäcPomm oder das Saarland aus dem Bund zu treiben.)


Peinlicher Mythos im Korruptionssumpf? – Heldenverehrung an der Unfallstelle in Lambichl (Loiblstraße) für den ehemaligen Landeshauptmann Kärntens und Rechtspopulisten Jörg Haider

Alpen-Adria – das sollte man nicht vergessen – ist für viele aber heute noch eine tief verankerte Identität, eine Aura von Kultur, ein Geschichtsbewusstsein, ein Lebensgefühl. Sicherlich hört man das in Kärnten häufiger als in Slowenien, wo man längst nicht mehr überall das Deutschsprachige als Zweitsprache pflegt (verdrängt vom Englischen, daher auch weniger mit kulturellen Bezügen zur Geschichte) und sich im Denken globalisiert. Im Friaul ist es schließlich sehr gemischt – gemäß der teils fortgeschrittenen (Zwangs-)Italienisierung, die z. B. unter Mussolini „besser“ gelang als in Südtirol. Das Friaul ist auch stärker vom Furlanischen durchsetzt als Südtirol vom Ladinischen – anders gesagt, das Deutsche hat dort nie diese Bedeutung gehabt. (Furlanisch ist eine romanische Sprache wie Ladinisch und wird zuweilen – wenn auch umstritten – zusammen mit dem Bündnerromanisch zu den rätoromanischen Sprachen gezählt.) Wie in Kärnten gibt es auch im Friaul/Julisch Venetien noch slowenische Minderheiten, was die Region sogar viersprachig macht.

Für meine Gastgeberin im Albergo/Ristorante „Da Alvise“ im karnischen Sùtrio ist diese Mehrsprachigkeit – genauer: „etwas Deutsch zu sprechen“ – ein zentrales Element des Alpen-Adria-Gedankens. Seit Generationen wäre das so. Letztlich hängt der Alpen-Adria-Gedanke aber nicht von der Zwei- oder Mehrsprachigkeit ab, denn gerade die Toleranz verschiedener Volksgruppen am selben Ort ohne Bevormundung – also auch ohne den Zwang zu einer einzigen verpflichtenden Sprache – ist ja gerade das Erfolgsmodell eines gemeinsamen, nichtnationalen Kulturraumes.


Setzte sich für den Fortbestand der mündlich überlieferten Texte als sprachbasierten Geschichtsbewusstseins ein und pflegte gleichzeitig internationale Wissenschaftskontakte zwischen Ost und West: Karl Strekelj (Denkmal in Gorjansko)

Manche Sprachen wie das Slowenische blieben lange eine orale, zumindest nicht grammatikalisch schriftlich fixierte Sprache. Darin kann man auch einen Verzicht auf Machtentfaltung sehen, denn ohne die normierte Schriftsprache standen auch nicht die Tore zu Kontrakten offen, mit denen man größere Räume beherrschen konnte. Die orale Sprachkultur mit ihrer Begrenzung auf lokale Lebensräume ist auch ein Zeichen friedlicher Koexistenz, von Machtbescheidung. Man sieht so gut, wie die Macht des Wortes durch ihre verbindliche Verfasstheit auch zwei Seiten in der Geschichte entwickelt hat. Große Verdienste macht sich Karl Strekelj (1859-1920), ein Sohn der noch heute existierenden Winzerdynastie in Gorjansko (oben bereits zitiert, vgl. auch nächste Folge und Kap. VI), der maßgeblich die Grundlagen der slowenischen Grammatik formulierte. Gleichwohl beförderte er die orale Sprachkultur, indem er eine Liedgutsammlung mit über 8300 Texten verfasste, die mehr als eine schlichte Transformation in die Schriftsprache bedeutete. Er arbeitete dabei auch die besonderen Eigenheiten und Umstände der vorgetragenen Lieder, Geschichten, Rätsel, Schimpfwörter u. a. in einem historisch-ethnischen Kontext heraus. (Nach dieser Werksammlung im Slowenischen begann Strekelj auch mit einer analogen Arbeit für das Österreichische, konnte die Arbeit aber nicht mehr abschießen.) Wie sehr sich die Forschung eines Provinzdialektes mit der Welt verbindet, zeigt die Aktivitäten von Strekelj, der lange in Wien arbeitete und Mitglied der Akademien der Wissenschaften in St. Petersburg und Belgrad war. Auch daraus könnten die Erdenkinder lernen, sich wieder mehr Geschichten abends zu erzählen oder Lieder zu singen als ideologische Schriftkataloge auszuhecken, die sie dann zur strategischen Unterdrückung und Ausbeutung benutzen. Friedrich Rückert brachte dies in einem Gedicht gut zu Reime („Kleine Stoffe“ in: F. R. „Gedichte“, S. 125):

„Wie herrlich ist die Poesie,
Daß Dinge klein und nichtig,
Ergreift sie die und schmücket sie,
Erscheinen groß und wichtig.

Du kannst, nach welchem Gegenstand
Dein Lieb die Hand mag heben,
Durch Zauber dieser zarten Hand
So starken Nachdruck geben,

Daß man mehr Anteil nimmt am Lied,
Als wenn in Zeitungsblättern
Man Heldenarm’ erhoben sieht,
Um Welten zu zerschmettern.“


Nicht zuletzt entscheiden die verschiedenen Sprachen und Dialekte über die Identität der eigenen Volksgruppe – das ist nicht nur trivial. So sind denn jüngere Sprachidentitäten, die sich gegen die nationale Vereinahmung wehren, wie die der slowenischen Minderheit in Kärnten, mehr als nur der Wunsch nach eigener Kulturerhaltung, sondern auch der Wunsch nach dem Frieden, den die lokale Identität ebenso in sich trägt wie die Gemeinschaft des Alpen-Adria-Raumes. „Heute, im vereinten Europa, leben zwischen Grenze und Pontebba vier Zungen in einem Tal friedlich zusammen,“ so resümieren Hans Messner und Michael Fleischner die Besonderheit des viersprachigen Val Canale. (in: Platzer/Wieser „Alpen Adria“, S. 203) Die lokale Identität stärkt also auch die überstaatliche Identität, überspringt das Nationale, und bekennt sich dabei noch nebenbei zum Frieden der Völker. Arturo Zardini verknüpfte so in seiner 1916 verfassten Hymne „Stelutis Alpinis“, auch als Alpen-Gebet an die Heimat (Pontebba) betitelt, das Heimatbekenntnis von dörflicher Lebenswelt und Bergnatur mit der Klage über die Leiden, die der Erste Weltkrieg ins Friaul brachte. Arturo Zardini „Stelutis Alpinis“ (3:05 min.), mit Bildern aus der Natur und vom Krieg. Schließlich schaffen wiedererstarkte Sprachidentitäten neue schöpferische Quellen gegen die nationale (italienische) Kulturdominanz wie das Beispiel der friulanischen Lyrik zeigt (vgl. Pasolini-Titel unter Buchtipps E.4).


Heimatbekenntnis ans Friaul und gleichzeitig Choralgebet gegen den Krieg: „Stelutis Alpinis“ von Arturo Zardini, berühmter Sohn von Pontebba am viersprachigen Schnittpunkt zwischen Kanal- und Eisental

Manche Dialekte entwickelten sich auf eigene Weise in recht abgeschlossenen Bergtälern und bilden heute seltsame Sprachinseln wie etwa das aus dem Altbairischen abgeleitete Zimbrische in Sàuris (Zahre) nördlich der karnischen Hauptstadt Ampezzo oder Timau (Tischelwang, lokal auch Tischlbong) an der Plöckenpassstraße. Allerdings bemerkt man schnell auch in Sàuris, dass es heute keine abgeschlossenen Täler mehr gibt – das Auto und das Mobiltelefon sind das Ende aller lokalen Geheimnisse. Radeln ist dagegen geradezu ur-saurisch! … – wenn man nur auf diese drahtlose Quasselvernetzung verzichtet!

Es gibt auch keinen echten Zusammenhang zwischen jung und alt, wenngleich der Alpen-Adria-Begriff bei Alten natürlich präsenter ist als bei jungen Menschen. Es kommt letztlich aber mehr auf die heimatverbundene Mentalität an, wie etwa beim Staudammführer an der Kölnbreinsperre im Maltatal. Mit dem Wissen um die Bergkultur ist auch das historische Wissen verbunden – Natur und Kultur gehen Hand in Hand. Diese enge Verbindung aus Natur- und Kulturraum als spezifischer, soziogeografischer Gemeinraum heben auch die Autoren der Alpen-Adria-Geschichte von Andreas Moritsch (vgl. Buchtipps unter E.4) besonders hervor. Gar gilt der Alpinist Julius Kugy mit seiner naturästhetischen Perspektive und dreisprachigen Lebensweise als ein Vordenker des modernen, wiederbelebten Alpen-Adria-Gedankens, als Vordenker der ARGE AA. Er verließ das städtische Triest zugunsten der Natur der Berge.


Entdeckte pionierhaft die Faszination der Julischen Alpen in Worten und Bergstiefeln und gilt gleichfalls als Vordenker des wiederbelebten Alpen-Adria-Gedankens des 20. Jahrhunderts: Julius Kugy (Skulptur von Jaka Savinsek an der Südflanke des Vrsic-Passes)

Das zeigt auch, dass der Alpen-Adria-Gedanke keineswegs eine urbane oder gar herrschaftliche Neuzeiterscheinung ist, die den schöngeistigen Metropolen im Habsburger-Einfluss des 19. Jahrhunderts entspringt oder nur dort gelebt worden wäre, wie vielleicht die Architektur in Wien, Ljubljana und Triest vermuten lassen könnte. Der Geist Alpe-Adria strich bereits lange durch die Bergtäler und über die ländlichen Provinzen, als man noch Mühe hatte, die urbanen Metropolen so zu verbinden, dass sie einen kulturellen Gleichklang entwickeln konnten. Nie war es der Export einer Identität, sondern immer die bereichernde Anpassung von fremden Elementen an die lokale Kulturumgebung – ob im ländlichen oder städtischen Raum.

Daraus leitet sich auch eben ab, wie vielleicht missverständlich anders verstanden werden könnte, dass der Alpen-Adria-Gedanke keinesfalls eine rein österreichische, „deutsch-kulturelle“ Idee sein könnte. Vielmehr ist der Alpen-Adria-Gedanke eine frei schwebender Geist über den Völkern Karantaniens, der über tausend Jahre verschiedene Sprachen und kulturelle Wurzeln zu einigen suchte und gar mehr dem Urnaturell der Slawen entsprach als dem der deutsch-geprägten Völker wie der Bajuwaren, sofern man es für nötig halten sollte, dies überhaupt abzuwägen. Dem Alpen-Adria-Geist liegt aber die Toleranz der Kulturen zugrunde und nicht die Bewertung und Festschreibung von kultureller Hierarchie. So ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass der Alpen-Adria-Raum sich nie vordringlich als organisierter Staatsraum festzuschreiben versuchte, weil dies wiederum die Gefahr neuer Fesseln hervorgerufen hätte. Karantanien ist also mehr die Projektion einer geistigen Haltung als eine präzise Staatsidee.

So lebt denn der karantanische Geist heute sehr alltäglich als Alpen-Adria-Idee weiter, was natürlich die Gefahr zahlreicher leerer Etiketten mit beinhaltet. Eine fortgeschriebene echte gelebte Alpen-Adria-Kultur ist dann nicht zuletzt auf leibhaftige persönliche Beziehung angewiesen. So ist bereits oben zitierte Tourismusfrau auf der CMT-Messe schon deswegen mit dem Thema vertraut, weil sie mit einem Mann aus Triest verheiratet ist. Die Wochenendfahrt vom Ossiacher See zur Triester Bucht für ein Essen, ein Konzert oder einfach für einen Blick aufs Meer – keine Frage, ein üblicher, häufiger Vorgang, ohne dass sie das Gefühl bekommt, in die Fremde zu schweifen. Die Adria als vorstädtischer Schrebergarten des Kärntner Seenlandes. Das Ländliche als Gravitationszentrum des eigenen Lebens, die Stadt als Peripherie zum Ausspannen oder zur Inspiration. Nicht nur der Heimatgedanke erweitert sich über die Gartenzwerg-Idylle hinaus. Mobilität in alle Richtungen ist wichtig.


Deutsch-altbairische Sprachinsel im Friaul in einem der abgeschiedensten Hochtäler der karnischen Alpen (Friaul): Typisches Namensschild bei Sàuris

Nicht weniger multikulturell – aber nicht nur Alpen-Adria-affin, bezeichnet sich der Triester Jazzpianist Roberto Magris, der sich gerne als „an alien in a bebop planet“ betitelt. Damit zeigt er seine internationale Musikgesinnung auf, die nationale Grenzen nicht kennt. Überall zuhause, aber auch überall etwas fremd, mit neuen Akzenten in der Tradition. Typisch Italienisches war ihm länger fremd als amerikanische Kultur, daneben gab es aber die Heimatwelt von Triest und die Welt des nahen Jugoslawiens – nicht zuletzt heiratete auch er eine Slowenin und wohnt gleichzeitig zu beiden Seiten der Grenze auf den ersten Karsthöhen. „I’m an Italian of non-Italian culture, living in Trieste, … Middle Europe.“ Der Austausch mit jugoslawischen Musikern, die wiederum ähnliche internationale Musik suchten, war ein nicht immer ungefährlicher Standard unter Tito – weit üblicher aber als es die Schwierigkeiten über die sozialistischen Grenzen hinweg vermuten ließen. Sogar hier war er manchmal näher dran als am italienischen Musiker jenseits der Triester Bucht – Rom war ziemlich fern, New York lag näher. Hier löst sich die Identität kosmopolitisch auf, ohne die Alpen-Adria-Gene zu verleugnen – nur oft ist die Welt eben noch größer und die Region zu klein. Alpen-Adria goes round the world. Der Mensch ist da beheimatet, wo „seine“ Kultur herrscht – das ist nicht an Örtlichkeit gebunden. Die gemeinsame Idee zählt. Der Jazz als globale Universalsprache – gar Harmonie in der Doppelbedeutung gemeinsamer Grammatik und gegenseitiger, zugeneigter Ergänzung als interaktiver Schöpfungsprozess.

Das Universum ist sui generis universell. Ein Alien kann überall Wurzeln schlagen.
(Nicht zuletzt deswegen verlasse ich selbst die Green Devil auch immer wieder gerne Richtung Erdenwelt oder aber auch woanders hin wie nach Marsopotanien oder zu den Jupiteriden. Allein mein Commander begrenzt meine Ausflugsneigung immer wieder ziemlich streng.)

Fortsetzung folgt