Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien

von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 09.12.15 20:52

KAPITEL II
Musenklang und Traumidylle für Auserwählte:
Das Kärntner Seenland und die Falle seiner Wohlstandspleite


Do 18.6. Malta – Eisentratten – Nöringsattel (1665 m) – Radenthein – Döbriach – via Radweg Millstätter See Südufer – Schlossvilla – Egelsee – Molzbichl – Mauthen – Zlan – Hochegg
W: 11-21 °C, lange kalt, bewölkt, nachmittags teils aufgeheitert
Ü: privat (GH Sonnenhof) 0 €
AE (dito): Hasenfilet, Kroketten, Rotkohl, Bohnen, Schokopfannkuchen, Cafe 30,80 € (***)
69 km | 10,0 km/h | 6:53 h | 1880 Hm

Nochmal quere ich das Künstlerstädtchen Gmünd und gebe mich mal einheimisch – es ist mir doch noch recht kalt am Morgen. Man setzt sich ins Café und wartet darauf, Freunde zu grüßen. Mir gegenüber sitzt der Sonnenbrillen-Hans-im-Glück-nichts-tu-kenne-alle-Griüaß-diieer-Macho-Typ. Dieser hier hat etwas Pech und die Grußfreunde schlafen noch. Beim zweiten Kaffee wendet er sich etwas verzweifelt mir zu, obwohl er sich mit meinem Fahrgerät nicht identifizieren kann. Vielleicht leiht er sich manchmal einen Porsche aus Gmünder Tradition, um ein paar Freundinnen zu beeindrucken. Mit dem Frühstück des Cafés wäre Radeln auch kraftlos. Schwäbische Sparsamkeit bei der Marmelade, Nobelcafé mit 08/15-Frühstück – meinen Commander wird’s freuen, das zu hören. Gegenüber gibt es ein Bäckercafe, schon auf der Hinfahrt geschätzt, wiederhole ich den Besuch – sehr guter Nusskuchen – Empfehlung! Damit keine Verwirrung aufkommt: Nussbaumer ist das zweifelhafte Edel-Café ohne Nusskuchen, Pietschnig die Bäckerei mit dem delikaten Nusskuchen.

Dem Brückental der Lieser folge ich nur ein kleines Stück, in Eisentratten der Abzweig zum unbekannten Nöringsattel. Asphaltiert ist die Strecke, eher steil, bis Pabstratte, einem Spiel-, Picknick- und Wanderparkplatz. Zuvor passiert man noch unscheinbare Gehöfte und auch einen Gasthof. Von nun an Forststraße, was wörtlich zu nehmen ist – sprich dichter Wald. Attraktiv ist die Nordseite weniger, im Süden wird es ein bisschen schluchtig und felsig – auch mehr Panorama, soweit die Piste etwas rüder als im Norden, der Asphalt dann auch zunächst recht brüchig. Auf der Passhöhe selbst, ein unscheinbarer Sattel, liegt ein zutrittsverbotenes ehemaliges Bergbaugebiet, hochwertige Steine werden hier gerne gesammelt, wie das Granatium im unten liegenden Radenthein eindrucksvoll zeigt. Weitere Almwegverzweigungen bei Nöringsattel Richtung Millstätter und Schwaiger-Hütte erschienen mir nicht vertrauenswürdig.

Die Dunst- und Wolkendecke ist mächtig, dennoch wärmte es am See ein wenig nicht nur durch die Wasserfläche, sondern auch durch erste Sonnenstrahlen, die sich durchgebohrt haben. Das Südufer des Millstätter Sees ist nicht mit Auto befahrbar, aber der Uferweg radtauglich. Man teilt das Vergnügen mit Joggern und Wanderern, Seezugänge sind aber Mangelware. Der Wald reicht meist steil bis direkt ans Ufer. Wo Wiesenflächen auftauchen und Stege in den See stechen, liegt Privatgelände, das man bisweilen mühsam umgehen muss, dort aber Asphalt. Es geht immerzu etwas auf und ab, mal auch eine Rampe dabei.

Bei der Schlossvilla gibt es dann drei Möglichkeiten, die Radreise fortzusetzen. Bereits in Döbriach zu Beginn des Uferweges wird der Radler gewarnt, dass die Durchfahrt nach Seeboden steile Rampen enthält, aber eine Ausweichmöglichkeit per Schiff nach Millstatt besteht. Der Radtransport über den See ist unkompliziert. Fährt man ab Schlossvilla die Rampe an, gibt es wenig später einen Abzweig nach Seeboden. Der Geheimtipp zur ruhigen Perle führt aber weiter recht steil auf. Man muss dann auf der Straße unweit Rothenthurm auf den Waldwegabzweig achten, wo auch ein kleiner Parkplatz ist. Dort geht es – bereits eingangs ein erstes Sumpfgewässer – zum Egelsee. Die Forstpiste ist aber nochmals ein in Stufen steil ansteigender Weg, sogar eine Schiebeeinlage muss her. Regulär lässt sich der Egelsee besser von Süden erreichen. Der Pistenanteil ist dort vom Asphalt (Gasthof weit oben) nur klein und weniger steil, dafür die Straße Egelsee – Baldersdorf extrem steil im Gefälle.

Am Moorsee kam es zu einer tiefgehenden Begegnung, die auf der Green Devil in der Galaxie der Siebentausend Grünen Froschlöcher zu erhöhtem Interesse auf allen Decks führte. Ich folgte den Tönen der Moor-Dur-Froschkonzerte und trat den von Gelbgrün über Tannengrün bis Blaugrün schimmernden Quakgestalten gegenüber. Ihre Augen übersetzen die sonst schwer verständliche Sprache: „Sei willkommen, lieber Alien. Wir sind die Urbewohner Karantaniens. Du scheinst vom gleichen Geschlechte und Geiste unserer Mütter und Väter. Nehme als Zeichen unserer Freundschaft ein Bad in unserem schleimigen Moore. Deine Poren werden trinken und deine Haut wird unseren Geist weiter ins Universum tragen.“ Ich tat, wie mir angetragen. Ich lauschte durch die Holzbohlen, es ward bald nur noch plätschern. Ich spürte danach ein Prickeln der Häute, ein wohliges, bei dem ich anfing zu träumen. Das Moor birgt die Geheimnisse und Botschaften – hier muss man horchen und träumen! Das Bellen eines Hundes weckte mich wieder ziemlich jäh.

Baden tun hier wenige Einheimische, die späte Milde des Tages lockte noch einige Abendsonnenbader. Die Froschumgebung ist wortwörtlich sagenhaft – man kann den Geschichten auf Infotafeln folgen. Nach der Sage vom Hochgosch fand hier ein Bauer ein funkelndes Kreuzlein, mit dem er sich von der eigenen Armut befreite und gleichwohl einen Ritter von seinen blutigen Qualen erlöste. Ein Umstand, der Güldenes und Reichtum vermuten lässt, wie auch eine Umgebung, in der der Blutzoll durch Mitmenschlichkeit besänftigt wurde. Die Frösche scheinen Wahres gesprochen zu haben. Tatsächlich erreicht man zur anderen Seite nebst Baldersdorf Molzbichl, eingangs genannten Fundort von karantanischen Relikten, dort in einem Museum gesammelt. Die Zeitfolge des Tages machte den Besuch aber unmöglich.

In der Ebene glänzt der Weizen golden – als wäre überall noch der Glanz des Königreichs Karantanien. Sogar die Güterzüge sind hier übermäßig lang wie Schlangen, die sich sich durch fruchtbare Paradiese schlängeln können. In Ziebl hat man noch mal eine kleine Campingmöglichkeit halbhoch mit Ausblick – aber keine Gaststube. Der letzte Landgasthof unten in Mauthbrücken. In Zlan, weiter hoch, auf einem Zwischensattel zum Weißenbachtal gelegen, findet sich nur eine Gaststube, die kaum Speisen zubereitet. Ich treffe einen Einheimischen, was ist wo noch in der Zeit machbar? Den Hügel hinunter ins Weißenbachtal, also falsche Richtung – oder der Gasthof Sonnenhof in Hochegg. Aber schaffe ich das noch zu Sandmännchenzeiten? Der Zlaner ruft für mich beim Sonnenhof an. Ich kündige an eine Stunde zu brauchen. Ja, Essen werde ausgegeben, höre ich.

Um den Gastwirt milde zu stimmen, pedaliere ich auf Hochleistungsniveau. Die Alienhäute spritzen das Schweißwasser aus den Poren, eine Salzspur legt sich auf die Straße. Wie der Einheimische versprach, nimmt die höllische Steigung der unteren Anfahrt ab. Kaum in den brennenden Augen zu erkennen, baut sich der Sonnenhof wie ein karantanischer Bergtempel vor mir auf. Ich bin noch nicht zu gemäßigten Atemzügen gewechselt, begrüßt mich der Hauswirt und Koch des Sonnenhofes. Ich bin der einzige Gast fürs Abendessen – und auf den hat er nun auch noch gewartet. Ob er mich als Alien erkannte und mir deswegen besondere Gastfreundschaft zuteil werden lassen wollte? – Ein Alienfreund – fürwahr.

Ich bespreche die Lage, Zeltplatz auf seiner Hotelwiese, geht das? – Ja, kein Problem. Ich atme auf, die steilen Wiesen umher bieten nicht gerade viele Möglichkeiten sonst. Als ich Hasenfilet bestelle, meint er: „Sie essen aber auch nur das Beste!“ Ja, Alien können nur mit gehobener Kulinarik überleben, deswegen müssen sie beim Schlafen sparen. Ich trage in meinen Notizen ein: „Paolo Santonino hätte sich auch die Finger hier geleckt.“ Als ich alle Köstlichkeiten aufgeleckt habe, bietet mir der Gastwirt an, im Wintergartenteil des Restaurants (von der Hotelbar abgetrennt), mein Nachtlager aufzuschlagen. Auch das eine Wohltat, da sich in der Nacht mal wieder die Regenwolken heimlich heranschoben. Wenn ich Zeit häbe, würde er noch einen Kaffee mit mir morgens trinken, bevor er den Sohn zur Schule fahren müsse. Bin aber doch früher weg. Von der nun abgetrennten Hotelbar drang dann noch lange Feierbierlaune rüber – zum Umtrunk ist es dem Kärntner nie zu spät.

Fr 19.6. Hochegg – Goldeck-Seetal (1895 m) – Goldeck-Gipfel/-Panorama-Alm (2140 m) – Zlan – Stockenboi – Weißensee (Ost) – Farchtensee – Boden (1044 m) – Kreuzen – Windische Höhe (1110 m) – Kerschdorf – Wertschach
W: 9-19 °C, weitgehend kühl, abends kalt, weitgehend regnerisch, kurze Aufheiterungen
Ü: C Alpenfreude 12,30 €
AE (Gailtaler Hof): Wienerschnitzel, Pommes, Rotwein, Eis m. Himbeeren, Cafe 22,40 € (*)
78 km | 11,3 km/h | 6:53 h | 1795 Hm

Die Mautstelle zur Goldeck-Panoramastraße liegt nur wenig weiter oben. Noch hat der Pförtner sein Amt angetreten. Zunächst unscheinbar mit Tannen, breiten sich bald goldfarbene Blumenwiesen aus. Es regnet nur kurz nach verlassen des Gasthofes und endet erst für eine Weil in der oberen Straßenzone. Das goldene Leuchten geht weiter – trotz der Wolkengebilde, die hier schöner über den Tälern zu beiden Seiten liegen – Drau- und Weißenbachtal. Mal wandelt man auf der einen Seite des Kamms, mal auf der anderen – meistens jedoch eher zum Weißenbachtal hin. Es leuchten Lärchen – grün wie goldfarben, es leuchten oben offene Felswände – schon ein Hauch Sonne reicht zum schimmernden Glanz. Der Berg Goldeck selbst bleibt lange versteckt, wird mit seinem Sendemast erst am Seeplatz sichtbar.

Hier liegt eine Kabinenbahn verödet, die Straße endet nun. Wieder verbleiben mehrere Almpiste, gut geschottert und doppelt gespurt. Zur nächsten Wanderhütte mal wieder ein deutliches Radverbotsschild. Und wieder kommen Anrainerautos, die durchfahren. Zum Goldeck hoch gibt es zwar eine Weidesperre, aber kein Verbotsschild – so richtig klar ist das nicht. Ich frage einen Bauern mit Traktor, der herunter kommt, ob die Qualität passabel sei. Er stimmt zu, ich solle es probieren. So ist die Piste zum Goldeck rauf weniger steil als die Straße zuvor, die einen großen Kampf erforderte. Man fährt nur noch durch offene Bergwiesen im Goldeck-Goldgrün. Der Berg selbst wirkt durch den Sendemast und die Bergbahnanlage (funktionierend zur Nordseite, aber auch nicht in Betrieb) leicht verunstaltet, doch die umgebenden Berge sind unberührt und auch in Form und Gestalt schöner gefaltet.

Der Landwirt der Panoramahütte grüßt alle Leute freundlich – er macht keinen Unterschied zu Aliens mit Velo. Es gibt hier einen Germknödel mit schmackhafter dunkler Schokoladensauce, auch leckere Kaffee- und Trinkschokoladenvarianten. Die Besucherklientel in der Hütte ist recht gemischt, vom heimischen Seniorenwanderer mit bergfrischer Altersjugend bis zum Sachsenpaar, das sich erstmals in die Berge begeben hat und nicht mehr aus dem Staunen herausfinden mag, was die Bergwelt bereit hält. Bergab, noch auf der Piste, treffe ich auf einer wanderndes Hamburger Jungpaar, das mich schon als Radelpaar am Millstätter See beobachtet hatte. Wohl ist ihnen die besondere Alienfarbe ins Auge gestochen. Der Umstand der verbotenen Radforst- und Almstraßen ist ihnen bekannt. Kärnten, so meinen sie, sei in Sachen Mountainbiking das Schlusslicht in Österreich. Aber die Tourismuswerbung für Kärnten ist doch sehr exklusiv? Kärnten – vielleicht ein Land für Auserwählte? Und Radler gehören nicht dazu?

Die Käseversorgung auf einer urigen Alm etwas unterhalb des Straßenhochpunktes ist recht kärglich – trotz angeschriebener Bergspezialitäten herrscht fast ärmlicher Notstand, es sieht mehr nach Eigenbedarf aus. Die Gegend ist nicht gerade von Konsumrausch übermannt. So reibe ich verblüfft die Augen, als ich in Stockenboi im Weißenbachtal mehrfach Hinweise auf „Kaufhäuser“ finde, auch mal in Verbindung mit einer Gaststätte oder einem Tonstudio. Dort bekommt man aber nicht mal ein Stück Brot. Vielleicht ein regionaler Schnaps (irgendwo gibt es den Wegweiser „Schnapsakademie“), vielleicht auch mal ein vergessener Apfel. Eher sind die „Kaufhäuser“ Armenhäuser. Das Niveau erreicht eine Produktdichte, die man aus ehemaligen sozialistischen Ländern kannte – ja, unterschreitet diese manchmal. Und das im wilden „Woodstockenboi“. Kärnten – ist das Land jetzt reich oder arm? Auserwählter Adel oder Hippies?

Mit Superlativen schmückt sich der Weissensee – Supersee, höchst gelegener Badesee der Alpen – ist das Paradies dann noch genießbar? Die Anfahrt ist eher leicht durch das lange Tal, Schlussakkorde setzten ein paar Schluchtfelsen und ein markanter Wasserfall. Nur auf zwei Arten geht es unmittelbar am See weiter – mit dem Schiff nach Techdorf, wo wieder Straßenanschluss besteht (Radtransport über den See problemlos) oder per Wanderschuh am Nordufer. Der Weg ist nicht nur radfahrungeeignet, sondern natürlich auch zum Radfahren verboten. Eine Alternative zum Westufer zu Radeln gibt es aber dennoch, wenngleich man dazu zunächst Richtung Weißenbach bzw. Farchtensee radeln muss, wo sich ein unscheinbarer Abzweig befindet. Dort sollte man mit kleineren Rampen rechnen – ob asphaltiert, musste ich ungeprüft lassen.

Das Paradies Weissensee schüttet dem Betrachter leuchtende Smaragdfarben ins Auge, selbst bei trübem Regenlicht. Sicher, die Möglichkeiten sind hier arg eng und begrenzt, der Strandzugang nur über ein öffentliches Eintrittsbad oder ein Hotel. Die größten Regentropfen passe ich im Campingrestaurant ab. Mal wieder eine Warterunde, der bald ein zweite folgt. Am Farchtensee, kaum zugänglich wegen der Privatgelände, dennoch unverbaut sehr natürlich und einsam liegend, schüttet es bald erneut in großen Strömen. Die Warterei – immerhin lau warm genug für ein kleines Bad – bringt wiederum ein Leuchten – diesmal in den bunten Prismenfarben des Sonnenlichtes als Torbogen des feuchten Lebensquells. So schön ist hässlicher Regen!

Es geht nach leichtem Hochpunkt durch recht wild wucherndes Waldtal, als Bärengebiet gekennzeichnet. Ein Brummen bleibt aus – kein Bär verlässt heute die überdachte Höhle. An der Kreuzung scharfe Wende, schluchtig wieder aufwärts, teils auch steil, zur Windischen Höhe, oben unscheinbar, aber nun mit dem Gailtal unten den Blick auf den Grenzkamm der Karnischen Alpen freigebend – ein gleißend heller Fels – nun angestrahlt von der Abendsonne. In Wertschach nehme ich gleich nach Bezahlung der Campinggebühr Kurs auf den örtlichen Gasthof. Dort hat man die Küche soeben mal eine Stunde vor den angegeben Schließzeiten geschlossen. „Heute war nicht viel los“, sagt die Wirtin. Logisch, der Abend hat ja gerade erst angefangen und der Gast ist jetzt da. Nun sind Kärntner nicht nur faul, sondern auch gastfreundlich bemüht. Ich erhalte also noch Aufwärmgerichte – immerhin ein Wiener Schnitzel (besser: paniertes Schweinschnitzel), mit Plastikflasche Senf und Ketchup auf den Tisch – Bumms-faldara-Gourmet. Wir wollen aber nicht meckern. Eis mit Heißen Himbeeren – eine meiner Götterspeisen, mundet abschließend noch ausgezeichnet und die Wirtin ist freundlich – wir sind ja doch auch in Karantanien.

Sa 20.6. Wertschach – Bad Bleiberg – via Forststraße – Villacher Alpenstraße/Dobratsch – Roßtratte (1742 m) – Villach – Puch – Krastalsattel (654 m) – Köttwein – Arriach
W: 9-18 °C, meist kalt, windig, morgens Gewitter, oft regnerisch, abends aufgeheitert
Ü: GH Alte Point 37 € mFr
AE (dito): Selleriecrèmesuppe m. Birne, gebackene Reinanke m. Nüssen, Bratkart., Rotwein, Panacotta m. Erdbeeren ca. 34 € (****)
70 km | 10,9 km/h | 6:59 h | 1725 Hm

Bad Bleiberg, über eine relativ kurze Steigung zu erreichen, präsentiert sich als Museumsort des Bergbaus, wirkt aber zunächst recht verfallen und verarmt. Der Ort streckt sich lang, die Einkaufsmeile und der bessere Teil befindet sich im Osten. Ein gewisser Neureichtum war die Folge eines Bergwerkunglücks – ein Wassereinbruch in einer Grube brachte Thermalwasser ans Tageslicht. So hat sich ums moderne Bad eine Kurecke gebildet, ohne das überzeugende Mauerwerke dabei entstanden.

Für den harten Schotteraufstieg trübt der kurze Sonnenmoment wieder ein, die Wolken verdichten sich zu einem Gewitter und mitten in den steilsten Pistenabschnitten schüttet es aus Eimern – Schutz vergeblich. Eine Ausschilderung gibt es nicht wirklich und ob ich hier die angedachte Route gefunden habe, ist schwer zu sagen. In den Hochalmwiesen hat man mehrere Sperren zu überwinden – auch muss ich einmal das Gepäck abwerfen, um die Schranke zu passieren. Ist man weiter oben, entfalten sich blumenreiche Bergwiesen nebst Lärchenhainen und zeigen die spezielle Schönheit der Naturschutzzone. Ein Förster mit Auto ist um mein Leben besorgt ob der Gewitter. Aber wie dann überhaupt sich durchs Land bewegen? – Der Zorneshimmel hält ja jeden Tag Gericht ab – da muss jemand anderes etwas Schlimmes verbrochen haben. An Radlern, die verbotene Wege kreuzen, kann es nicht liegen.

Mit der letzten Schranke bin ich auf der Mautstraße mit dem den Schlussanstieg. An der Roßtratte ist nicht nur für Autos Ende, auch das bekannte Radverbotsschild für den Aufstieg zum Dobratsch ist schon da. Verbotsschildermacher sind fleißige Leute in Kärnten – überdurchschnittlich fleißig! Natürlich auch hier wieder eine gute Fahrpiste mit Anrainer- und Lieferverkehr – schließlich ist oben ein recht beliebtes Ausflugslokal. Gemessen an dem geringen Wandereraufkommen (man muss bei guter Witterung mit größeren Massen rechnen, viele Busse auch) hätte ich das Verbrechen, den Dobratsch zu erradeln, durchaus riskieren können. Die wechselhafte Witterung (Wolken, Sonne, Wind, auch noch Regen) und schon teils durchnässte Kleiderstücke verunsicherten mich aber so, das ich nur noch die Talfahrt suchte, nachdem ich den schlimmsten Schüttelfrost abgelegt hatte.

Eine Besonderheit liegt mitten auf der Strecke: eine riesige Abbruchkante, ein rote Felswand, Folge eines Bergsturzes im Jahre 1348. Die Katastrophe fiel damals geringer aus als man vermuten könnte, eher gab es indirekte Schäden durch Brände. Schon damals aber suchte man aus Schaden Kapital zu schlagen. So wurden die Schäden urkundlich höher und umfangreicher beziffert, um mehr Vergünstigungen zu erhalten, auf die das Patriachat Aquileia tatsächlich reinfiel und dem Kloster Arnoldstein Schulden erließ und gleich ein ganzes Kloster (Hermagor) vermachte. Man denke an die Versicherungsbetrüger im 20. Jahrhundert – alles hat seine Tradition.

Nicht nur hier bei der Roten Wand, auch noch später, gibt es Aussichtspunkte, von denen man großartiger Panoramablicke auf Karawanken, die Julischen Alpen dahinter in der zweiten Reihe, aber höher und pittoresker, sowie ins Gailtal hat. Später ergeben sich auch weite Blicke auf die großen Kärntner Seen wie Ossiacher See und Wörthersee und natürlich auf das Stadtareal von Villach. Unten in Villach steigen die Temperaturen immerhin auf übliche Raumtemperaturen. Die Stadt lässt sich gut im Nordwesten umfahren, wobei die Benutzung der verkehrsreichen Bundesstraße hilfreich ist. Für die Reststrecke entlang der Drau lohnt es kaum, den Wicklungen des Drau-Radweges zu folgen. Bleibt man auf der Straße, fährt man durch ein Blauweiß moderner Industriekultur eines Kalk- und Marmorbergwerkes. Der Steinbruch indes war schon bei den Römern bekannt.

Der Krastalsattel wäre kaum zu erwähnen, läge an ihm nicht eine Folge von Skulpturen internationaler Künstler. Auch die blieben unbedeutend, gäbe es nicht die besonderen Skulpturen mit den Nachbildungen der Green Devil und des Regional-Beamers, wie eingangs gezeigt. Diese galaktische Skulptur befindet sich bereits auf der Ostseite des Sattels. Nach Süden ist das Tal geweitet zum Ossiacher See hin, nach Norden bildet der Afritzerbach schnell eine Kluse, in der schattig auch ein Gasthof liegt. Der Abzweig nach Arriach ist unübersehbar, weil der Ort bereits hier auf sein Gravitationszentrum aufmerksam macht – den Mittelpunkt Kärntens. Die Steigung im schattigen Bachtal ist kräftig, die dann in den offenen Bergwiesen zur Ortsmitte oberhalb des Tales noch mehr. Abgekämpft, von Gewittern und Winden zermürbt, konnte ich bei Commander speichen-08/15-kracher erneut eine Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz erwirken, um ein schönes wie geräumiges Balkonzimmer im Gasthof Alte Point zu erhalten. Lediglich lokale Festivitäten zur Sonnenwendfeier inklusive Musikcorps ließen die Aufmerksamkeit des Personals etwas überfordert erscheinen, sonst aber fand ich hier eine ausgezeichnete Küche vor, die auch einige Prämierungen erfahren hat.

Schon am Abend saß mir gegenüber ein in sich gekehrter, ebenfalls mit Notizen beschäftigter einzelner Herr. Am nächsten Morgen entpuppte er sich als Alpen-Adria-Trail-Wanderer, der schon zuvor ebenso im Mallnitzer Eggerhof übernachtet hatte. Mein Klagen über die Besenkammer konnte er nicht nachvollziehen, gab er an ein komfortables Zimmer erhalten zu haben. Da sieht man mal, was 5 Euro Verhandlungsrabatt Unterschied machen – oder lag es daran, dass ich als Alien erkannt wurde? Dass die Qualität des Essens hier aber deutlich besser sei als die im Eggerhof, darüber wurden wir uns einig.

So 21.6. Arriach – Wöllaner-Nock-Straße – Waldener Hütte (1960 m) – Arriach – Innerteuschen (1051 m) – Himmelberg – Flatschacher See – Feldkirchen
W: 5-18 °C, sehr kalt, meist bewölkt, abends heiter & milder, am Wöllaner Nock Eisregen
Ü: privat (Alien- & Radlerfreund) 0 €
AE (privat): Gemüsesuppe, Pizza, Kirschkuchen, Rotwein 0 € (*)
57 km | 10,5 km/h | 5:22 h | 1575 Hm

Die Herausforderung der Wöllaner-Nock-Straße, gleichwohl wieder eine Mautstraße – allerdings weitgehend nicht asphaltiert, doch gut gewalzt mit einigen Aufweichungen, lag nicht alleine in einer durchgehend anspruchsvollen Steigung. Schon aus der Nacht heraus lag eine polare Kälte über den Bergen. Als ich schließlich die Walderhütte erreichte, die wegen Renovierung geschlossen war, fegte aus Norden ein Eisregen über den Bergkamm, vor dem ich sofort zurück ins Tal flüchtete. Dabei konnte ich weitere exkursive Forschungen zum Wöllaner Nock nicht durchführen, inwieweit ein radlerischer Übergang nach oder von Norden (Bad Kleinkirchheim) machbar wäre. Zumindest bei der Walderhütte schien mir die Piste bis zur Bergkehre oberhalb fahrbar, wenngleich schwieriger als die Strecke zuvor. Einzig offen war die weiter unten liegende Geigerhütte, allerdings nur mit zusätzlichen Höhenmetern zu erreichen und möglicherweise überfüllt, da eine Schülergruppe unterwegs, sodass ich von einer Aufwärmpause absah.

Die Haidenbach-Variante, den Wöllaner Nock ins Tal nach Osten zu verlassen, wurde mir schon vom Arriacher Gastwirt nicht empfohlen – wiederum gesperrte Privatstraße, und offenbar ein Besitzer, mit dem nicht zu spaßen ist – ein kranteliger Kärntner also. Die Wegequalität und Topographie schien aber auch einige Hürden zu beinhalten, sodass die schlichte Rückfahrt mit anschließender Sattelquerung auf der Straße nach Osten die sicherlich schnellere Wahl ist. Zur Südseite des Innerteuschener Sattels tut sich der Gerlitzen auf, der mit einer Panoramaauffahrt lockt, die wohl offener als die Südseite ist, die ich bei einer der früheren Erdenbesuche erklommen hatte (ein reiseradlerischer Übergang besteht aber nicht). Die Innerteuschen-Route ist geradezu verlassen, nach Osten noch mehr als nach Westen (die Gerlitzen-Bergbahn wird eher von Westen angefahren). Es folgen ein Schloss in Himmelberg, bald eine Feldlandschaft, über die man zum Flatschacher See gelangt, ruhig neben Wäldern mit Heidelbeeren gelegen. Der See ist allerdings nicht wild, sondern eine gepflegte Badeanlage, wenngleich frei zugänglich.

In Feldkirchen, mir eher von einem Sonnenbrillen-Hans-im-Glück-nichts-tu-kenne-alle-Griüaß-diieer-Macho-Typ in Erinnerung, bin ich am Ortsausgang verunsichert über den Weg zur Nebenroute über Glanhofen zum Tauerneck. Die Luft ist hier jetzt mild und mein Zeitpolster vielleicht nach ausreichend, über den Umweg den Ossiacher See zu erreichen. Zwei Radler wollen mir helfen. Wir kommen ins Gespräch, weil sie auch Radreisen machen, wenngleich mit Rennrädern und eher auf Tagesrundkurse ohne Gepäck beschränkt. Etliche Alpenpässe sind ihnen bekannt und ein gewisses velophiles Fachwissen spricht aus ihren Mündern. Als ich schon eine gute Zeit verquatscht hatte, luden sie mich schließlich ein, den Abend in Feldkirchen zu verbringen. Ich willigte ein und beschloss den Tag also eher hälftig zu beenden.

So lerne ich das private Feldkirchen kennen, ein Haus in einem Vorort mit Ausblick auf die Stadt, die Wohnung karg eingerichtet, aber überall hochwertige Räder und Radteile umherstehend. Beide, Manfred und Rainer, sind leidenschaftliche Radbastler, auf den Fensterbänken liegen alle erdenklichen Radmagazine. Technisch ausgereifte Linien sind Manfreds Lieblinge, teils nostalgische Radkonstruktionen, aber mit Liebe, Eleganz und Know-How gebaut. Die Detailliebe spiegelt sich auch in seinem Erwerbsberuf als Uhrmacher wieder. Während Manfred die Logis für mich spendiert, gibt es bei Rainers Muttern das Abendmahl, wobei der selbst gemachte Kirschkuchen einer besonderer Hervorhebung bedarf.

Mo 22.6. Feldkirchen – Glanhofen – Tauernteich/Tauerneck (910 m) – Ossiach – St. Andrä – Wemberg – Stallhofen – Köstenberg – Ebenfeld – Forstsee – Pörtschach – Krumpendorf – Klagenfurt – Viktring – Keutschacher See/Camping Sabotnik
W: 11-20 °C, teils bewölkt, teils heiter, sehr windig, kühl
Ü: C Sabotnik 14,10 €
AE (dito): Grillteller, Pommes, Gemüse, Most 16,50 € (-)
91 km | 12,4 km/h | 7:21 h | 1225 Hm

Mal wieder ein Keim der Hoffnung – ein herrlicher Sonnenmorgen. Der Anstieg zum Tauerneck, in einigen Schüben zu absolvieren, ist durchaus als prominent zu bezeichnen. „Kleine Dorfidylle trifft auf liebliche Ausblicke“ beschreibt den ersten Teil, im zweiten erklimmt man durch Wald die kleine Hochebene mit Kapelle und einem Weiler, alsbald in den Wald eintauchend, wo sich abwärts zum Ossiacher See eine Schlucht bewandern lässt, zur anderen Seite aber das kleine Idyll des Tauernteiches funkelt. Die Abfahrt schlicht durch Wald, mit weitgehend starkem Gefälle, auch unasphaltiert, in Gegenrichtung eine herbe Herausforderung. Ein Panorama auf den Ossiacher See gewinnt man kaum – da ist man schon fast unten.

Ossiach mehr ein künstlicher Ort um ein Klostergebäude, in dem klassische Musikfestspiele stattfinden, einst Friedrich Guldas Festival genreübergreifender Musik bis zu Jazz und Pop von den bürgerlichen Weißwesten von diesem Kloster am Feine-Leute-See in die zweite Reihe nach Viktring vertrieben. Symbol des Musikalischen sprudelt aus einem Harfenbrunnen – die Saiten als Wasserstrahle arrangiert. Fast unheimlich wird mir bei soviel gehobener Kunst, auch noch die Heiligen Gestade zu finden. Ich schaue genauer. Die Heiligen Gestade sind – Privatbesitz! Warum auch sollte das göttliche Geschlecht hier anders behandelt werden als sonstige talerarme Gäste – schon gar nicht in Kärnten. Heilige Gestade für Auserwählte – Gebete helfen nicht.

Der Reichtum der Auserwählten hat in Kärnten seine Geschichte. Villach zog im 15. Jahrhundert viele Kaufleute aus unterschiedlichen Regionen an, insbesondere Kapitalisten aus Innerösterreich. Der aus Aquileia gesandte Paolo Santonino vermerkte in seinen Reisetagebüchern Schönheit und Reichtum von Villach und bescheinigte den Kaufleuten dort, dass sie besonders reich seien und ihre Heimat verlassen würden, um sich in Villach niederzulassen (also wieder ein historisches Flüchtlingsproblem). Sie seien mit Bürgern von Laibach, Graz, Pettau, Zagreb, Gemona und Nürnberg verwandt. (vgl. dazu Gernot Heiß in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 194)

Die Frage ist heute vielmehr, wie trotz der Insel der Auserwählten das Land Kärnten verarmen kann. Es scheint dabei so, als dass die Privatgelände, die Eintritte an die Seeufer, die abgeriegelten Gärten der Schlossvillen auch den Geldfluss symbolisieren: Es dringt nichts ins Land raus. Nur die dürfen am Wohlstand lecken, die auf gleicher Stufen stehen. So bleiben Reiche unter sich und das Volk ärmelt drumrum, bekommt kleine Placebos, während die Infrastruktur und Kultur ausgehöhlt wird. Natürlich gibt es auch wiederum Kultur – auserwählte Kultur. Sie darf aber nicht aufrütteln oder revoltieren – sie muss angepasst bleiben. Natürlich spielt in dem System die Korruption eine große Rolle, die sich Rahmen der Krise der Hypo-Alpe-Adria-Bank zu einem Flächenbrand ausbreitete, weil sich die oberste politische Klasse – genannt Volksvertreter – darin selbst badete.

Mit dem Stichwort „baden“ kehren wir zu der Seeseite Kärntens zurück. Der Ossiacher See – das muss gar herausgestellt werden – lässt vom Südufer nach freie Seeblicke zu, sogar ein Strandbad ist gratis. Wohl ist die Südseite natürlicher und ruhiger als die Nordseite. So richtig idyllisch ist es aber hier auch nicht. Alles ist zu aufgeräumt, eingeteilt, eingezäunt. Ein Hochblick erfreut das Auge bereits abseits vom Südwestufer – die Burgruine Landskron. Eine Auffahrt ist möglich, ein gutes Restaurant soll oben thronen. Im Hitzestau treibt es mich weiter ohne Bergprüfung. Man kreuzt unter oder über zwischen Straßen verschiedener Art – auch die Autobahn ist dabei. Dazwischen liegt ein Landgasthof mit Metzgerei – besondere Kärntner Bauernprodukte, eine lohnenswerte Einkaufsquelle – der Gasthof soll sogar rund um die Uhr Gerichte servieren. Das scheint schon fast unglaubhaft für Österreich oder gar Kärnten. Wenig weiter geht eine Route ins Hinterland, die Hügel ziehen sich hinauf, zur anderen Seite läge das Tauerneck. Quer führt durch Heidelbeerwald eine Verbindung zu einer kleinen Dörferkette, bescheidene Wohngebiete im Halbschatten des mondänen Wörthersees. Auf der abtauchenden Straße kann man zum Forstsee abzweigen, ein Stausee oberhalb eines alten Mühltals, wo die Mühlen nur noch als Ruinen existieren.

Der Forstsee hat das, was die großen Seen nicht mehr haben, freie Seezugänge, wilde Strandnischen – mal felsig, mal sandig. Allein der Wind ist so stürmisch, dass es wenig Spaß macht zu baden. Der Wind – auch hier – vertreibt nicht die Wolken, sondern er bringt sie – dramatisch sogar, wie der nächste Tag zeigen wird. Der Kontrast nach Waldabfahrt ist dann am Wörthersee offensichtlich. Bahnlinie, Straßentrasse, Zäune – ob Johannes Brahms heute immer noch die Melodien zufliegen würden, die ihn einst in Pörtschach fast betäubt haben sollen? Die Auserwählten habe zu viele (un)schöne Spuren hinterlassen – der Luxus stößt an seine ästhetische Grenze. Und wo darf der Radler hin? – Nirgendwo. Ich erreiche einen Platz, wo sich rundum Hotel und Schiffanlegestelle erreichen lassen, natürlich finden auch Autos hierhin und von weg. Aber das Rad ist verboten zu allen Seiten. Kreisrund verteilen sich sechs Verbotsschilder – der Radler muss hier fliegen können, wie kam ich hierhin? Radler – das wird klar, gehören nicht ins Land der Auserwählten. Wäre ich Erdenmensch, würde Aktien von Verbotsschildmanufakturen in Kärnten kaufen. Zwei Hundefrauen vom Wörthersee-Paradies sind erstaunt, dass ich nicht begeistert bin. Dann nickt eine doch noch mit Kopf – ja, schön sei es hier – für Auserwählte, ja, gewiss.

Klagenfurt hat keine Strandpromenade, das Zentrum ist seefern. Der Camping muss sich zwischen große Festzelte zwängen – es drohen große Horden von Hippie-Kulturen. Idyllischer ist’s am Kanal, wo man auf Surfbrettern stehend Paddelsport betreibt. Die Straße ins Keutschacher Seental ist dann etwas einfacher als erwartet, aber das Panorama auf tief liegende kleine Seen eingeschränkt. Das Camp der Nackten erreiche ich noch rechtzeitig fürs Abendmahl – allein ahnte ich nicht, dass dieser Weg hierher so ziemlich eine Mischung aus Wasserreinfall und Ärgernis sein würde. Der Wirt warnte mich aber schon mal, am nächsten Tag kommt Regen – viel Regen, ich solle lieber ein Zimmer nehmen statt zu zelten. Er warnte wohl auch vor sich selbst.

Di 23.6. Keutschacher See/Camping Sabotnik
W: Dauerregen, windig, nachmittags kurze Regenpause
Ü: C Sabotnik 14,10 €
AE (dito): Kässpätzle, Salat, Rotwein 14,80 € (*)
ME (dito): Bohnensuppe, Spaghetti Frutti di Mare, Salat, Rotwein, Cafe (-)
0 km | – km/h | – h | 0 Hm

Was macht ein Alien-Solist bei Dauerregen? Nicht mal der geplante Ausflug zum Pyramidenkogel war möglich, ganz zu schweigen von einem Stadtbesuch in Klagenfurt, was manche Campinggäste mit Auto nutzten – vor allem die Damen zum Shopping. Danieder lag der See, ein Weinen fürwahr der ganzen Leiden aller Erdenkinder. Der Tag bestand aus Mahlzeiten, die es galt geschickt zu verteilen, ohne dass die aufgenommene Energie verbraucht werden konnte. Dabei hielt sich alles in engen geschmacklichen Grenzen. Die kurze Regenpause erlaubte immerhin den Badesteg zu begutachten, kaum nackt auszuhalten, zu windig und kühl auch die Luft. Der Badesteg ist kein Liegesteg, so ist zu lesen. Die Campingruhe in der Mittagszeit wird sogar mit Zusatz „hoheitlich“ verordnet. In Kärnten ist auch der Zeigefinger der Polizeigewalt in privaten Händen. Naja, nicht so verwunderlich, eine Polizeiwache ist ja schließlich nicht bedeutender als die Heiligen Gestade.

Mi 24.6. Camping Sabotnik – Plaschischen – Pyramidenkogel (Besichtigung, ca. 0,5 h) – Plaschischen – Reifnitz (Wörthersee) – Maiernigg – Gustav-Mahler-Komponierhäuschen (Besichtigung, ca. 0,5 h) – Maiernigg – Viktring – Lambichl – Gaisach – Wegscheide – Burg Hollenburg – Kirschentheuer – Ferlach – via Radweg – Tscheppaschlucht (Wanderung, ca. 1,5 h) – via Loiblpassstraße – Kirschentheuer – Freistritz im Rosental
W: 12-19 °C, heiter, Luft aber kühl
Ü: C Juritz 13,10 €
AE (dito): Kohlrabicrèmesuppe, Kalbsrahmgeschnetzeltes, Rösti, überbackene Erdbeeren m. Vanilleeis, Rotwein 51 € (*****)
B: Pyramidenkogel-Turm 11 €
B: Gustav-Mahler-Komponierhäuschen 2 €
B: Tscheppaschlucht 7,50 €
68 km | 13,7 km/h | 4:53 h | 910 Hm

So viel Aderlass des Himmels muss Spuren hinterlassen – blaue Azurspuren öffneten allmählich den Vorhang. So kam es gut, nicht aber beim Frühstück. Nachdem ich quasi wie schon am Vortag auf der Terrasse meinen Capuccino bestellt hatte, dazu Brötchen aus dem Camping-Shop verkostete, die auch die Nachschubbasis des Frühstücksbuffets für die Pensionsgäste bilden, keimte bei einigen Gästen der Verdacht auf, ich würde mich kostenlos des Frühstücksbuffets bedienen und ihnen die Brötchen von der Kopfhaut abknabbern. Ob es sich dabei um Kärntner handelte, blieb mir verborgen – in jedem Fall Krantler aus Österreich, wobei es keine Unterschiede im Geschlecht gab. Das instrumentalisierte den Kellner, ein ungarischer Emigrant – also jenes unwirsche Reitervolkes, was die Karantanier schon häufig ausplünderte und niederstach –, der mich gleichermaßen des unredlichen Verhaltens bezichtigte. Dabei hatte ich nicht mal einen Blick auf das Buffet geworfen – wusste der Ungar doch bestens selber um meine Kleinzeltlage ohne Tisch und Stuhl, um meine wohlwollende Gastrolle, die auch kleines Trinkgeld trotz geschmacklich eingeschränkter Kost beinhaltete. So entwickelten die Krantler innerhalb einer Minute eine feindselige, geradezu giftspeiende Alienallergie, die sie geschickt vor den germanischen Gäste versteckten, derweil diese freundlich blieben wie etwa das Paar aus Recklinghausen.

Einige bauten weitere Verdächtigungen aus dem Nichts auf wie etwa „Was Sie sich in den Tagen hier erlaubt haben!“, hoben dabei Regenschirm und Zeigefinger, ohne sich einer Gegenfrage stellen zu wollen. Man darf sich an andere Märchenbildungen erinnert fühlen, die offenbar gerne Flüchtlingen angedichtet werden, wenn man seine eigene Unredlichkeit und Unzufriedenheit auf den Fremden zu lenken versucht – ja ihm gar Dolche in die Brust rammt, um den Sündenbock für das Böse zu brandmarken oder mit Genugtuung ihn in die Inquisition zu treiben. Ich hatte vorher noch keine Vorstellung, wie die Atmosphäre am Fegefeuerbalken sein würde – hier erlebte ich den ersten Vorgeschmack. Es ist die alte Geschichte vom Sündenbock, mit der Unruhe gestiftet wird, die dann Gewalt auslöst und am Ende Krieg und Vertreibung bringt. Ich flüchtete noch mit halboffenen Taschen.

Ich verließ den Ort in großem Groll, und auch wenn meine Beschwerde an der Rezeption auf verständnisvolles Gehör traf („Das geht natürlich gar nicht, da bin ich auf Ihrer Seite!“) mit der Ankündigung, der Sache nachzugehen, allerdings der Restaurantbetrieb und der Camping in getrennter Obhut seien. Auch wenn dem so so sei, muss ich vom Besuch dieses Campings Sabotnik abraten. Selbst wenn das Personal hier ausgetauscht würde, die meisten der kranteligen Stammgäste dürften wiederkehren. Den Ärger konnte ich bereits auf der Straße zum Pyramidenkogel ausschwitzen – es ist eine recht steile Strecke, besonders im letzten Abschnitt. Noch ist der Andrang am Morgen etwas geringer. Ob man Fahrstuhl fährt oder die muskulär anspruchvolle Begehung der 441 Treppenstufen bevorzugt, spielt für den Eintrittspreis keine Rolle – Anstrengung will auch gut gekauft sein. Die Geschichte des Holzturms ist erschreckend kurz. Der erst 2013 fertig gestellte, 100 m hohe Holzturm hatte bereits sei 1950 zwei Vorgänger, die den Lauf der Zeit nicht überstanden haben. Der Turm bietet fast jeden Schritt lang neue Ausblicke und auch sein Innenleben hat den genetischen Illustrationscharakter einer DNA-Helix wie die verdrehte Außenansicht ebenfalls. Kinder können durch ein Spiralrohr auf dem Hosenboden wieder runter. Die höchste Plattform dieses insgesamt höchsten Holzaussichtsturmes der Erde liegt bei 70 m, wobei die Vogelperspektive auf den Wörthersee am meisten beeindruckt.

Der Weg nach Reifnitz am Wörthersee ist unspektakulär. In Reifnitz steht dann ein Denkmal der Auserwählten, die die Geschicke des Wörthersees merklich mitbestimmen. Es sind international verbündete Bürger mit speziellen Vorlieben für besonders distinguierte Motorengeräusche und entsprechend angepasstem Macho-Verhalten. Dazu wird alljährlich hier die weltweit größte VW-Zusammenkunft veranstaltet, besser bekannt als GTI-Treffen. Diesem VW-Modell sind schon ganze Generationen von vermeintlichen Asphalthelden auf den Leim gegangen. Das Fest dieser Auto-Gockelei soll 200000 (!) Menschen anlocken – das sind mehr als die Einwohner von Klagenfurt und Villach zusammen genommen. Da ist fraglich, ob der karantanische Geist überleben kann.

Es wäre falsch, den Wörthersee als vollständig abgeriegelte Luxusbadewanne zu betrachten. Die Südseite hat durchaus ihren Charme – auch einen unspektakulären, recht idyllischen. In Maiernigg steht eine größere Villa mit gelber Fassade, im typischen Stil der Seegebäude, nicht zutrittsfähig. Hier wohnte viele Sommer einst Gustav Mahler. Er komponierte nicht in der Seevilla. Ihn zog es in den Wald hinauf, wahrscheinlich ist er den kürzesten, steilen Pfad gelaufen, denn er war ein guter Wanderer, Schwimmer, auch Ruderer. „Zu schlendern vermochte Mahler überhaupt nicht… Bergan stieg er viel zu rasch. Ich vermochte ihm kaum zu folgen… Sein Bad begann gewöhnlich mit einem mächtigen Kopfsprung… Mit Mahler gemeinsam zu rudern, war kein Vergnügen“, so konstatierte Alfred Roller in seinen Bildnissen von Gustav Mahler, zitiert in dem Museumsexposé des Kulturamtes der Landeshauptstadt Klagenfurt. Dort im Wald, kaum die Seefläche durch volles Laub zu erkennen, setzte er sich in sein Komponierhäuschen – nur Platz für Schreibtisch und etwas Abstellfläche. Er arbeitete streng nach Plan – nichts sollte ihn ablenken können. Das Komponierhäuschen ist heute auch über ein Piste erreichbar (kurz und steil). Auch zur Westseite findet sich ein Waldweg zur Uferstraße, dieser ist aber nicht ausgeschildert.

Es gibt wenige Orte, die solche Inspiration verkörpern, wie dieser Platz. Es wäre nicht mal nötig, von dem berühmten Komponisten etwas zu wissen – schon der Platz ist poetische Muse pur, lässt still Geigen und Hörner aus dem Wald erhorchen oder steigen Paukengeister aus dem Seegrunde den Hang hinauf. Das kleine Museum zeigt Briefschriften, Partituren, Fotos und Abbildungen samt Büste, einen Pressespiegel der Zeit, seine selbstbewusste Frau – eine nicht einfache Beziehung – Alma Mahler darf nicht fehlen. Mahler pflegte auch zu dichten – ein guter Poet soll er gar gewesen sein. Eine besondere Beziehung pflegte er zu Friedrich Rückert, dessen Werke er zahlreiche Vertonte, darunter die schicksalhaften Kindertotenlieder. Der Ort hier, ihn könnte kaum etwas besser wiedergeben als eine Strophe aus Rückerts „Ich bin der Welt abhanden gekommen“:

„Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!“


Der Museumswärter arbeitet nur saisonweise, im Winter ist das Häuschen geschlossen. Er ist selbst Musiker, für einen Mahler-Freund nicht ganz fern Trompeter. Engagements sind aber schwer zu bekommen, reichen nicht zum Überleben. Der Kulturetat wird im Land der Auserwählten immer mehr zusammengestrichen. Neben dem Zubrot aus der Museumsbeschäftigung verdingt er sich als Musikerlehrer. Auch das ist aber eine hartes Geschäft, weil die öffentlich geförderten Musikschulen Unterricht ein Drittel günstiger anbieten können. So graben sich alle das Geld irgendwie gegenseitig ab, während die Goldkugeln in einem anderen Topf landen, der nicht allen zugänglich ist.

Noch mehr Musik findet sich im Stift von Viktring – zumindest beim Grenzenlos-Festival, das allerdings etwas später im Sommer veranstaltet wird. Das ist das bereits angesprochene, von Friedrich Gulda initiierte Festival, das vom Ossiacher See flüchten musste, nicht nur, weil es dort zuviel vermüllte Unordnung am Seeufer gebracht haben soll, sondern auch, weil der eine oder andere über die musikalischen Ausrichtung die Nase rümpfte. Heute haben sich die aufschäumenden Notenwellen eher angeglichen, Musikkultur ist den Menschen kein Skandal mehr wert – man ipoded und streamed sich in die kulturelle Beliebigkeit.

Das Viktringer Kloster ist sonst im Jahr ein Schulgebäude mit vielen idyllischen Plätzen zwischen Wasserkanälen, Parkbäumen und Stiftarkaden. Es gibt in der Region ausreichend Radmechaniker – ich besuchte einen Laden in Viktring und einen Lambichl, bei letzterem konnte ich schöne Handschuhe erwerben, die aber trotz einer bekannten Handschuhmarke bereits nach zwei Wochen an den Nähten Fäden zogen. Während der Mensch auf dem Erdenball immer länger lebt, werden seine Produkte immer kurzlebiger. Der Lambichler Radmechaniker hat sich sein Geschäft jahreszeitlich aufgeteilt – im Winter gibt es dort Langlaufski. Später in Kirschentheuer treffe ich auch noch einen Rumänen, der ein leidenschaftlicher Pässefahrer ist und auch den schlechten Service in Kärnten bemängelt. Auch die Radler Manfred und Rainer aus Feldkirchen bemerkten schon, es mache keinen Spaß mehr, in Kärnten Urlaub zu machen.

Urlauber aus Linz an der Donau treffe ich auch in Lambichl wenige Meter später. Der Ort, der zunächst mal zum Anhalten auffordert, leuchtet mit roten Totenlichtern, überall sind Blumen verteilt. Auf einem Buch aus Stein verkündet aufgeschlagen: „In Erinnerung an einen wundervollen Menschen“. Wer ist dieser Mensch? Zahlreiche Fotos sind gesteckt, auch ohne weitere Hinweise würde das Geheimnis gelüftet. Es ist Jörg Haiders Unfallstelle, zuletzt als Landeshauptmann und Rechtspopulist zur Kärntner Institution geworden, obwohl er gar nicht aus Karantanien stammte. Das Paar aus Linz schüttelt den Kopf über den Totenkult der zwielichtigen Gestalt, der – wie sie sagen – Kärnten zum ärmsten Bundesland Österreichs gemacht hat (vgl. dazu auch Anmerkungen in E.1 & E.2).

Die Loibl-Passstraße lässt sich hier gut bis fast zur Drau umfahren. Die Felderhügel lohnen auch deswegen, weil man über Wegscheid an der Hollenburg vorbei kommt, die man sonst nur ehrfürchtig über dem Drautal bewundert. Die Burganlage ist zwar in privater Hand, man kann aber einige alte Kutschen und deren Geschichte im Torgang begutachten sowie sich von einem Blick in den wunderbaren Arkadenhof verzaubern lassen. Kirschentheuer unten an der Drau gibt sich hübsch und ruhig, hat eine einladenden Gasthof mit Gartencamping und ein Museum zu der süßen Köstlichkeit des Rosentals – dem Honig. Auch ohne Eintritt darf man die alten bemalten Bienenkästen anschauen, den Honig gibt es in einem kleinen Laden gegenüber. Ich fahre auch hier nicht die etwas betriebige Loibl-Passstraße, sondern folge der Empfehlung des Migrations-Rumänen über Ferlach. Dort bekomme ich vom Banker vor der Sparkasse den fortführenden Tipp zum Radweg zur Tscheppa-Schlucht, der allerdings phasenweise zum nicht vollständig radelbaren Waldpfad mutiert. Für die Rückfahrt nehme ich daher die Loibl-Straße, die sich über einen Abzweig wenig unterhalb des unteren Tscheppaschlucht-Eingangs findet. Man kann die Tscheppa-Runde auch mit Bus gestalten – der ist im Ticketpreis inklusive. Man muss dann aber die Fahrtzeiten im Auge behalten. So gesehen ist man per pedes im Schnitt eher schneller. Der Weg zieht sich allerdings recht lang, bevor sich die Wasserwelten entfalten, zunächst flach. Dann steigt man über Stege und Treppe recht intensiv auf und teils auch wieder ab. Langsam nehmen die rauschenden Kaskaden zu, die schönsten Ensembles inklusive dem Tschaukofall warten dann am Ende und quasi direkt bei der Loibl-Passstraße.

Die unscheinbare Sensation für meine Forschungsreise ist aber ein andere, die sich gleich beim Eingangskiosk unten befindet und mir erst auf dem Rückweg ins Auge sprang. Sie erforderte sofortige Kontaktaufnahme mit der Green Devil, in diesem Zusammenhang sei auch auf die einleitenden Bemerkungen unter E.0 verwiesen.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Goldenes Bründl gefunden, nur noch wenige Taler in vermutlicher Staatskasse. In dunkler Ecke seltsames Skelett zu sehen, mit goldener Königskugel in den Handknochen, aber noch fest im Griff. Vermutung auf König und Kaiser Arnulf. Bründl-Staatskasse könnte aus Alt-Karantanien stammen, die glänzende, fast neuen Münzen könnten aber auch auf aktuelle Kärntner Bundeslandkasse verweisen. Leider keine sonstigen sachdienlichen Hinweise. Kioskfrau ist schon im Sandmännchen-Feierabend.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Fotografische Beweissicherung starten. Taler in Bründl belassen, da sonst Zukunft von Karantanien gefährdet. Interview mit König Arnulf versuchen!“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Nichtpersonale Beweissicherung ausgeführt. Interview nicht möglich – das Skelett spricht nicht. Aber empathisches Lichtzeichen aus Kugel registriert.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Auch gut. Klasse! Erweitere Bankomatenlizenz für Festessen heute Abend. Guten Appetit!“


Um keine Zeitverluste für das Festmahl zu erleiden, nutze ich für das Finalstück die Straße statt den Drau-Radweg. Es ist auch kein Fehler, denn das Rosental wiegt sich lieblich – im Gegenteil ist man am Drau-Radweg manchmal von den weiten Talsichten mit den Dörfern und Bauerhäusern, sogar von den Karawankenblicken durch zuviel Uferwaldgehölz abgeschnitten. Glitzernd liegt noch ein Badesee dazwischen, ähnlich einladend aber auch der Camping in Freistritz (mit Pool), ein Arrangement mit einem edlem Restaurant. Nach Angaben des Wirtes ergänzt sich die Kombi nicht unbedingt, der Campinggast sei doch nicht das Klientel des Restaurants. Das Geschäft laufe vor allem über die heimischen Stammgäste, die aber im Sommer selbst in Urlaub sind. Ohnehin, so meint er, würde der Drau-Radweg vom Land Kärnten zu wenig beworben. Das Engagement Kärntens für Radfahrer und Mountainbiker sei schlicht dürftig – da findet sich die Einschätzung des Hamburger Wanderpaares vom Goldeck wieder. Und, so lässt er mich weiter wissen, sei die Heutezeit auch von der Idee vom Leben mit verschiedenen Kulturen weiter entfernt als das Habsburger Reich. Das ist nun auch nicht die erste Ansicht dieser Art – offenbar weint man dem karantanischen Geist im heutigen Kärnten sehr nach, weil die Macht- und Verwaltungsträger der Neuzeit die selbstgenügsame Politik der Auserwählten betreibt.

Do 25.6. Freistritz/Rosental – Maria Elend – Mallenitzen – Oberferlach – Egg/Faaker See – Drobolach – via Radpiste Faaker See – Faak am See – Finkenstein – Susalitsch – Korpitsch – Radendorf – Wurzenpass (1071 m) Podkoren – via D2-Radweg/Adria Bike – Ratece – via D2 – Valico di Fusine Retece (1073 m) – via D2/FVG1a – Fusine (Locanda Mondi)
W: 14-23 °C, sonnig, später bewölkt, Luft weiterhin kühl
Ü: H Locanda Mondi 40 € mFr/mAE (ohne Rw)
AE (dito): Polenta m. Hackfleisch, Pasta m. Wildragout, Gebäck, Früchte-Fondue m. Schokosauce, Rotwein (**)
74 km | 11,2 km/h | 6:29 h | 1260 Hm

Die Drau-Stimmung verbreitet Momente der Ruhe. Für eine längere Passage scheint mir aber auch hier der Drau-Radweg weniger empfehlenswert – eingeschränkte Sicht, Kiesbelag und tatsächlich fehlen in den Orten vielfach Hinweise zum Drau-Radweg, sodass man Schwierigkeiten hat, zwischen der einsamen Flussroute und den Versorgungsmöglichkeiten der Dörfer zu pendeln. Ein Rosental ohne Rosenmuseum – das wäre ja fad. Was das Rosenmuseum bietet, bleibt aber hinter verschlossenen Toren geheim. Nach Frühstück und Proviantaufstockung in St. Jakob ergibt sich bald eine Radrouten-Abkürzung zum Faaker See, etwas Radweg, meist aber ruhige Nebenstraße. Organische Ortschaften sind am Faaker See nur schwer zu finden. Zwar gibt es Kirchlein und Kapellen, die Bebauung folgt jedoch Ferienhaus-kompatibel auf lose verteilten Privatgeländen. Um den Faaker See fotografieren zu können, hat man insgesamt maximal drei Positionen zur Wahl, wobei die einzige, die 10 m Breite überschreitet, am Südufer als Parkplatz an einem Bootssteg liegt. Die Ausblicke sind also so exklusiv, dass es mich wundert, dass es keine Fotogebühr zu entrichten gibt. Gleich bei Erreichen des Ostufers stoße ich auf einen Halli-Galli-Camping, der mit jedem italienischen Animations-Camping in Lautstärke und Kitschtrubel mithalten kann. Am idyllischen Nordufer – ich riskiere für ein Foto das Betreten einer Privatanlage – kann man als Tagesgast einen Seewellness-Arrangement mieten – es gibt für schlichte 18 Euro einen Liegestuhl, Meditationsmusik und sogar einen Blick auf den türkis schimmernden See! Mir fällt bald ein Wortspiel ein:

„Faaker See, ach du liebe Kacke
F-u-c-k that lake, meine Backe!“

Dem Spruch tut auch die Wander-/Radroute genüge auf der Westuferseite, das Ufer indes durch Wald und eine breiten Schilfgürtel auch nicht zu Fuß erreichbar ist. Selbst auf vermoosten Waldtrails kommt man noch vor dem Schilf in eine Sumpfzone, in der man als Moorleiche enden könnte. Der besagte Rundweg ist zum Radeln alles andere als schön. Durch den Wald bietet er keinerlei Aussicht wie die Ringstraße nur wenig weiter östlich auch. Man quält sich dabei über reichlich Wurzelwerk und Schottervarianten. Trotzdem lassen es sich Familien mit Leihrädern nicht nehmen, den Lobversprechungen der Tourismusprospekte gerecht zu werden und schneiden fröhliche Grimassen. Einen weiteren Seezugang könnte man sich ergattern, wenn man eine Einladung ins Bundesleistungssportzentrum erhält, dass per Stichstraße sich im südöstlichen Schilfgürtel etwas versteckt. Zwar fühle ich mich spontan den Auserwählten der österreichischen Elitekörper zugehörig, muss aber dann doch vor den Zäunen des Hochsicherheitstraktes kapitulieren, einen dort vorgelagerten Badesteg zu erreichen, wo einige wenige Badenixe ihre formschönen Kurven der Sonne zugeneigt haben. Alien, soviel ist klar, haben auch in Leistungssportzentren nichts zu suchen.

Nach einem Kurzgespräch mit einem Alpenpässeradler aus Österreich am Süduferblickpunkt finde ich etwas ermattet eine verwunschene Privateinfahrt zwischen Schilfrohren. Während ich an der abgeschlossen Holzpforte eingeschlafen bin, rappelt es bald in meinen Ohren. Der Eigentümer wollte mit seinem Auto rausfahren. Ungewöhnlicherweise krantelte er nicht, sondern beließ es bei einem freundlichen Lächeln, obwohl ich doch seinen Privatweg missbraucht hatte. Langsam aber drang die Seefeuchte sogar durch den befestigten Zufahrtsweg, sodass ich den Weg lieber auf dem Sattel fortsetzte. Die Wolken wurden nun bedrohlich, blieben aber ohne Lochbildung – selbst auf der slowenischen Seite, wo es schon mehr Schwarz als Grau wurde.

Der Waldtrail im Rahmen der Faaker-See-Runde hatte mich doch zuviel Zeit gekostet, die Alienmuskeln ob der Schwüle schlapp, wenngleich es merklich kühler wurde. So ließ ich die Runde über die Ruine Altfinkenstein ausfallen – einem reizvollen Panoramafestspielort, dessen Veranstaltungen aber ebenfalls zu späteren Sommerzeiten stattfinden. Die Körner brauchte es unbedingt noch für den Wurzenpass, eine doch recht heftige Rampe, die sich durch die relative Kürze etwas entspannter zeigte als ich es erwartet hatte. Eine slowenische Radlerin mit E-Bike pausierte in der Kehre vor der heftigsten Rampe – wie sie dann mir preis gab, wartete sie auf ihren Mann mit Auto, weil der Saft aus dem E-Bike raus war und aus den Muskeln wohl auch. Insofern bin ich meinem Commander speichen-08/15-kracher dankbar, dass er mir das E-Bike für die Radreise nicht aufgenötigt, sondern nur empfohlen hatte. Die Begeisterung auf der Green Devil war euphorisch, als ich berichten konnte, dass selbst ein Alienmuskel dem E-Bike noch immer überlegen sei. Über zukünftige Entwicklungen will ich natürlich nicht spekulieren.

Noch vor dem Wurzenpass folgte ich einer etwas entlegenen Dörferroute über Halbhöhen, die im Zeichen der slowenischen Minderheiten des Rosentals stehen. Die Dörfer haben einen sehr zurückhaltenden Charme, Orte großer Bescheidenheit, aber auch von freundlichen Bewohnern bevölkert – ganz wie man es in einem Ur-Karantanien erwarten würde. Die besondere Haltung dieser Region wird gestützt von dem Kärntner Abwehrkampf mit Volksabstimmung nach Ende des Ersten Weltkrieges, über die eine detaillierte Geschichtstafel informiert. In Südkärnten wollte man die Menschen selbst abstimmen lassen, zu welchem Land die jeweiligen Volksgruppen fortan gehören wollten. In einem aufgewühlten Diskussionsprozess entschieden sich bei 96 % Wahlbeteiligung auch die slowenischen Volksgruppen, im Bundesland Kärnten zu verbleiben und nicht dem neuen Jugoslawien zugehörig sein zu wollen. Das war nicht selbstverständlich – sah sich schon damals Kärnten einer großen Armut mit sehr unsicherer Perspektive gegenüber. „Das Ergebnis der Volksabstimmung war ein Erfolg der Bemühungen von Menschen unterschiedlicher Muttersprache, die in Kärnten und in der jungen Republik Österreich friedlich miteinander leben zu wollen“, heißt es dort abschließend. Vor diesem Hintergrund erhält der minderheitenfeindliche Schilderstreit der jüngeren Zeit eine noch größere Kopfschütteldimension, verdanken doch die heutigen Kärntner einen Teil der Fläche Südkärntens der multikulturellen Haltung ihrer slawischen Bevölkerung.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Schwerpunktforschung Carinthia mit positivem Karantanien-Geist abgeschlossen. Übertritt zu neuem Schwerpunkt Carniola mit Extremsteigung verbunden, an Grenze schweres Kriegsgerät vorhanden. Panzer aber außer Gefecht gesetzt. Gehobener Erschöpfungszustand.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Große Begeisterung. Gratuliere auch zur körperlichen Standfestigkeit. Langfristige meteorologische Prognoseperspektive erkennbar verbessert. Kurzfristige Einbrüche aber nicht ausgeschlossen. Für Nächtigung begrenzte Bankomatenlizenz erweitert.“


Die slowenische Seite lässt die Berge nun näher ranrücken, die Horizontlinien verändern sich. Während Karawanken und Karnische Alpen zur österreichischen Grenze hin ein Kammgebirge bilden – zwei langgetreckte, undurchdringlich erscheinende Felswandketten, so tauchen nun Ensembles von pittoresken Gipfeln und Zinken auf, die alle ihren eigenen Charakter haben. So sind die Julischen Alpen schon in ihrer Bergstruktur alpiner, aber auch in ihrer absoluten Höhe denen der nördlicheren Gebirgszüge überlegen. Der Alpenraum bekommt als höhentechnisch zwischen Tauernbarriere und seiner südlichsten Bergkette ein Art Delle, die Kärnten daher gerne als abgeschlossenen Kessel erscheinen lässt.

Typisch für die slowenische Seite sind zunächst mal weniger Verbotsschilder – das letzte Beeren- und Pilzsammelverbotsschild ist gerade noch auf der Kärntner Grenzseite am Wurzenpass aufgestellt. Die zweite Typik sind die Heuharfen mit ihren waagerechten Balken und kleinen Trockendächern darüber. Und schließlich überraschen die slowenischen Orte durch mehr k.u.k.-Architektur und geschlossene Ortskerne als man zuvor auf der Südkärntner Seite wahrnehmen konnte. Auch fallen beliebte Restaurants auf, der Zulauf ist größer als auf der Kärntner Seite und, wie mir die Herbergsfrau in Fusine später erklärt, auch belebter als auf italienischer Seite, wie viele Autokennzeichen untermauern. Die Ursache sei, so die Herbergsfrau erläuternd, ein vehementer Unterschied in den Steuern, der es den Slowenen ermöglicht, Essen deutlich günstiger als in Italien anzubieten. Qualität und Service sind dabei meist nicht schlechter, eher häufig noch besser. Der Vorteil beschränkt sich aber auf gut zugängliche Grenzorte, abseits der Hauptlinien wird auch das slowenische Geschäft deutlich schwieriger.

Das Stichtal Planica, vom Pässefahrer am Faaker See mir empfohlen, nicht zuletzt weil er sich als Skisprungfan bezeichnete, musste ich etwas wehmütig auslassen, machte es am Taleingang doch einen vielversprechenden Eindruck. Nach Fusine gelangt man auf recht edlen Radwegen, zur slowenischen Seite auf dem D-2, zugleich adria-bike, auf italienischer der FVG 1a, Zubringer zum CAAR, den man in Tarvisio erreicht. Es handelt sich um eine ehemalige Bahntrasse und man darf das ganze ohne Anstrengung absolvieren. Die Radinfrastruktur konkurriert über die Grenzen hinweg, Leihräder gibt es an der Strecke, Picknickeinrichtungen, Informationstafeln zu Flora und Fauna oder einen Irrgarten. Beliebt scheint die Route zu sein, zumindest bei Tagesradlern, trotz der trüben Witterung und späten Stunde begegne ich noch Rennradlern und Familien.

Bei Fusine nimmt man den Bogen Richtung der Seen (Laghi di Fusine oder Weißenfelser Seen). Dort ausgewiesen auch eine nagelneue Radlerherberge. Die Duschen sind noch ohne Vorhänge oder Scheiben, sodass das Bad schnell unter Wasser steht, auch die Heizungsanlage ist defekt, weswegen die Herberge demnächst nochmal geschlossen wird um die Mängel zu beseitigen. Es gibt einige hübsche Details, wie Zimmerschlüssel mit unterschiedlichen, lustigen Motiven oder die originellen Kunstteppiche. Ich erfahre, erst der zweite Radelgast zu sein – noch hat sich die Institution nicht rumgesprochen. Als Höhepunkt des Abendessens vermerke ich Früchte-Schokoladen-Fondue – im Baudurcheinander alles mit viel Liebe dargereicht. Am Morgen gibt es als Gastgeschenk ein binationales Erste-Hilfe-Set – mal was Praktisches für Radler. Lob für soviel Aufmerksamkeit! – hoffentlich geht’s weiter bergauf mit der Herberge.

Musik: Gustav Mahler komponierte in Maiernigg u. a. die Rückert-Lieder, dem von ihm geschätzten Dichter. Die Poesie ist für den Ort wie geschaffen – zu jeder Zeit.
Gustav Mahler/Friedrich Rückert „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ (6:35 min.), Elisabeth Schwarzkopf, Bruno Walter/Wiener Philharmoniker


Bildergalerie Kap. II (167 Fotos):



Fortsetzung folgt