Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien

von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 10.12.15 21:17

KAPITEL IV
Die facettenreiche Poesie des Oberkrainer Voralpenlandes:
Stadt-Land-Fluss-Perlen in Jelovica, Skofjelsko Hribovje & Tolminske


Di 30.6. Ukanc – Ribcev Laz – Bohinjska Bistrica – Rovtarica – Raztovka (1122 m) – Drazgose – Podblica – Log – Kranj – Skofia Loka
W: bis ca. 24 °C, sonnig oder heiter, windig
Ü: H Turizem Loka 30 € mFr (normal 50 €)
AE (Gostilna Kasca): Pilzsuppe, slow. Ravioli m. Kart.füllung u. Gorgonzolasauce, Käsekuchen m. Blaubeeren & Erdbeersauce, Rotwein 23,90 € (****)
81 km | 13,0 km/h | 6:07 h | 1025 Hm

Nach den mystischen Stimmungen am See, vom sich langsam auflösenden Nebel inszeniert, verstärkt in Ribcev Lav eine Open-Air-Fotoausstellung die Naturstimmungen. Bohinjska Bistrica liegt schon eine recht weit vom See entfernt. Trotzdem ist es auch noch Touristenzentrum für den See und die Berge umher. Mehr aber ist die Stadt auch ein lokales Wirtschaftszentrum, sodass in den Cafés auch viele Einheimische den Tag einläuten. Ein kleines Geschäft bietet spezielles Handwerk der Region an. Viele Dinge sind der Dekoration des Heims gewidmet, anderes ist schönes Spielzeug für Kinder.

Die nächste Auffahrt braucht nicht lange, die offenen Wiesen zu verlassen und in Wald einzutauchen. Noch halblicht am Fels vorbei, erreicht man bald den Abzweig, wo es alternativ nach Süden über den Bohinjska sedlo (Sorica Planina) mit Anschluss nach Petrovo Brdo oder Zali Log gibt. Petrovo Brdo kann man von Bohinjska Bistrica per Bahn erreichen, die den Berg durch einen Tunnel durchsticht. Der Abzweig Rovtarica geht bald in Piste über, wobei alle Abschnitte gut fahrbar sind. Der Asphalt kehrt zurück auf dieser Route bei Drazgose, wobei von mir gewählte Variante, die nicht über Rudno führte, mit Abkürzung gegen Ende etwas rumpeliger ist. Wald beherrscht die gesamte Pistenstrecke, der Mischwald mal mehr Laub-, mal mehr Nadelbäume, teils auch recht dunkel etwa nach der nicht in Betrieb befindlichen Hütte Rovtarica. Die nackte Haut prickelt schon fast etwas frisch, da es nur in der Sonne tatsächlich heiß wird. Auf der gesamten Strecke gibt es keine Bewirtung, gestört wird man auf dem Pistenteil von maximal einer handvoll Autos, unter die sich aber auch mal ein übel staubender Holzlaster mischt.

Mit dem Asphaltbeginn bei Drazgose endet auch die Waldphase und das Auge schweift weit über immer wieder neue Variante leuchtenden Hügelgrüns, auf dem sich mehrere kleine Dörfer und Weiler verstreuen, die über manchmal nicht unmerkliche Rampen verbunden sind. Im tiefen Tal unten erkennt man die schon etwas größere Stadtsiedlung von Zelezniki. Ein monumentales Partisanendenkmal inmitten dieser Hügellandschaft setzt da einen ziemlich martialischen Kontrast, ohne dass aber die offene Betonkugelkonstruktion die Landschaft zu stören vermag. Drazgose wurde im Zweiten Weltkrieg auch ein Opfer der Nazis, nachdem die Partisanen eine starke Gegenwehr gezeigt hatten, wurden alle Hütten des Ortes niedergebrannt und die Bewohner deportiert.

Ein langer Schwung führt nun durch das Hügelland nach unten, nochmal in ein schattigres Flusstal, bis man auf eine Bahnlinie und fast überraschend auf Kranj stößt, ohne dass es vorher Ausblicke auf die Stadt gibt. Der Autoverkehr um Kranj ist schon recht ordentlich, der Kern der Stadt aber alles Fußgängerzone. Kranj zeigt sich eingangs als Bankenstadt, viele Institute ballen sich an einer Ecke – dabei auch die Hypo Alpe Adria – ob sie in Slowenien noch einen gesunden Kern hat? (Viele Mafiosi in den dubiosen Bankengeschäften waren übrigens Slawen, sprich Kroaten.) Die Einkaufsmeile ist nur mäßig belebt, auch Touristen sind in den Abendstunden schon eher selten, offenbar bleiben nicht viele über Nacht. Umso mehr sind die offenen Sommerkneipen angenehmer Genuss für die Einheimischen. K.u.k.-Architektur ist zwar überall, aber nicht protzig in Szene gesetzt. Insgesamt ist Kranj weniger pittoresk als Skofia Loka, aber bedeutender als Kulturzentrum.

Zu den großen Söhnen der Stadt gehört France Preseren, Sloweniens bedeutendster Dichter – auch weil er das slowenischen Nationalgefühl mitgeprägt hat. Preseren war gelernter Advokat, lange in Wien geschult und tätig, und erst in seinen letzten Jahren Bürger von Kranj. Das Preseren-Haus ist abends leider nicht mehr geöffnet, ich finde jedoch in der Touristinfo einen schönen Band seines Sonettenkranzes in Deutsch (vgl. Buchtipps unter E.4). Seine Skulptur ist überlebensgroß im großen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen vor dem nach ihm benannten Theater platziert. Sein üppiges, leicht gelocktes Haar lässt kein Klischeebild eines Poeten aus, dessen Hymnus eigentlich nur der Liebe gewidmet sein kann – umso mehr wundert, dass er seine Julia trotz der lyrischen Umgarnung nicht erobern konnte.

„Blaßfeucht erblüht der Strauß der Poesien,
die längst dir mein Geheimnis offenbarten.
Mein Herz gleicht einem Acker, einem Garten,
dort sät jetzt eine Liebe Elegien.



Wie oft treibt mein Verlangen nach dir Schönen
mich durch die Stadt. Umsonst ist mein Bemühen,
mein Wunsch nach dir bleibt unerfülltes Sehnen.“

(aus: France Preseren „Sonettenkanz“)

Soweit mir als Alien ein irdisches Sehnen überhaupt zusteht, blieb es in Kranj gleichermaßen unerfüllt. Kranj liegt auf einem kleine Bergrücken und eine komplette Ansicht der Stadt erhält man erst, wenn man auf der Gegenseite der Sava die obere Kehre erreicht hat und die gesamte Stadt fast wie auf einem Tafelberg wahrnimmt und der deutsche Name Krainburg sinnbildlich wird. Unschön ist dann die Strecke nach Skofia Loka zu fahren, weil es viel Verkehr gibt und die Gegend topfeben keine Abwechslung bietet. Der Weg ist aber kurz. Die alte Bischofsstadt, für viele Jahrhundert der lange Arm des bajuwarischen Bistums Freising, wirkt auch nach den 12 Jahren bei der Wiederkehr unverändert. Die roten Ziegeldächer leuchten in der Abendsonne und selbst die alte Fabrikanlage am Ortseingang hat ihren historischen Charme. Erst am nächsten Morgen erkenne ich einige Neustadtteile, die erst jüngst entstanden sein dürften, sich aber immer noch gut ins Gesamtbild einbinden.

Nach einem ersten Stadtrundgang versuche ich eine noch nähere Basis zum Aufstieg des nächsten Tages zu finden. Doch ist die einzige Gostilna in dem weiten Auental in Zminec geschlossen und sonst keine einladenden Gasthöfe zu erkennen. Ich kehre etwas ratlos noch Skofia Loka zurück, ohne zu wissen, wo ich die Nacht zubringen sollte. In Skofia Loka selbst sind erstaunlich wenige Restaurants vorhanden – auch hier rächt sich der kurzweilige Tagestourismus, die Busse verschwinden am Abend. Dem Einheimischen, darunter mehrfach Rennradler, reicht abends die Eisdiele. In der guten Gostilna in einem historischen Turmgebäude erkundige ich mich beim Wirt nach Unterkunftsmöglichkeiten, nachdem mir Commander speichen-08/15-kracher aufgrund meiner Forschungsergebnisse zur slowenischen Lyrik (ich hatte ihm eine Leseprobe des Liebesgedichtes per Laserscantransmitter zuteil werden lassen) erneut eine Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz bewilligte. Die günstigste Pension des Ortes war aber überraschend ausgebucht. Einzige verbleibende Möglichkeit schien eine Art Ferienhaus, eher am Stadtrand. Außen leuchteten schon vier Sterne, die Gästeautos zeugten von gehobenem Mittelstand – ich klopfte dennoch.

Die Gastgeberin eröffnete mir Angebot für 50 Euro. Ich wehrte ab und sagte, es mache mir nichts, irgendwo ein Zelt aufzustellen. Darauf zuckte die Frau schaudernd zusammen und meinte, sie könne mich da nicht in die Nacht (es war gegen Mitternacht) hinausschicken, das würde sie nicht übers Herz bringen. Ich solle mein Limit nennen. Ich nannte 30 Euro – eine eigentlich für das heutige Slowenien zu tiefe Grenze, wofür man an vielen Orten kein Hotelzimmer mehr bekommt. Das war mir so klar noch nicht, ich dachte in den Kategorien früherer Planetenjahre. Die Frau schlug widerstandslos ein und sagte mir: „30 Euro, mit Frühstück.“ Ich war über diese freundliche Wendung doch sehr überrascht, zumal bei näherer Begutachtung das Zimmer ein 4-Zimmer-Apartment mit Küchenanlage und großem Bad war, alles edel und liebvoll gepflegt, fast schon ein Tanzsaal, in abgestimmten Blautönen, ein Gegensatz zu meinen Grüntönen. Wie ich aber schnell erkannte, passt auch Grün zu Blau – blue notes sind ja auch eine musikalisch offenherzige Spielart des Tons. Auch sind blue notes karantanische Farbsignale, wenn man an deren musikalischen Charakter denkt. Das Frühstück – ich brauche es wohl kaum zu erwähnen – war formidabel, andere Gäste kamen nebst Slowenien auch aus den Niederlanden – ein bekanntlich, wie die alten Karantanier, tolerantes, weltoffenes Volk. Trotz meines Armutsbeitrages für die Gastfreundschaft wurde ich sehr wohlwollend verabschiedet. Möglicherweise wurde hier mein Alienherkunft schlagartig erkannt und hoch geschätzt.

Mi 1.7. Skofia Loka – Gabrovo – Zapreval – Murave – Crni kal (1119 m) – Potok – Davca – Davca slapovi – Zgaga – Petrovo Brdo (803 m) – Podbrdo – Korotnica – Kneza – Podmelec – Slap Sopota (Wanderung, ca. 0,5 h) – Poljubnj
W: 16-24 °C, meist heiter, teils bewölkt
Ü: C wild (H/R Kobala) 0 €
AE (dito): Salat m. Schinken, Pasta m. Tomatensauce, Rotwein 10,50 € (***)
82 km | 10,9 km/h | 7:28 h | 2000 Hm

Skofia Loka zieht viel Pendlervolk an, die Altstadt selbst bietet zu wenig Platz für neuen Wohnraum. So finden viele Häuslebauer in dem Tal Richtung Ziri oder Cerkno Entfaltungsraum, welches dann auch eine wichtige Lieferachse bildet. Das macht sich morgens recht dramatisch bemerkbar, staut sich doch der Verkehr an einem Nadelöhr an der Ecke der Altstadt, für die noch keine Umfahrung gebaut wurde, auch keine Ampeln installiert sind. Offenbar folgen die Slowenen hier dem alten karantanischen Geist, von einer obrigkeitshörigen Kanalisierung des Lebens möglichst abzusehen, solange es mit kooperativen Arrangements auch noch geht. Strenge Regelwerke widersprechen diesem Geist.

Der Abzweig nach Gabrovo ist nicht weit, dort steigt es gleich an, eher mittelsteil, auch wechselnd stark. Es gibt viele Wald-, einige Wiesenpassagen, Ausblicke mehr nach oben – irgendwo lugen Kapellchen hervor, die kleine Siedlungen vermuten lassen. Es finden sich bereits anfangs Hinweise auf ein ausgeschildertes Radroutennetz (Loska Kolesarska Pot), das zwar nicht lückenlos, aber doch recht ordentlich ausgeschildert ist. Ich treffe gleich zwei radelnde Feengestalten, wie ich denn die slowenische Frau recht häufig alleine auf Fitnesstour unterwegs antraf. Erstere war von solch durchtrainierter Physis, dass ich mit ihr nicht annähernd mithalten konnte, weswegen sie mir schnell davon eilte, aber auf der vorberuflichen Fitnessrunde (im Pflegedienst tätig) nochmal auf ihrem Rückweg entgegen kam, um dann mit der zweiten, die sich als Tina vorstellte, über meine Routenpläne zu diskutieren, gar zu streiten, welche Variante für mich Alien besser sein sollte. Erstere meinte auch, dass von mir gewählte Route zu kompliziert sei, wobei sie sich offenbar auch nur in den klassischen Tagesentfernungen zu ihrer Heimstatt sicher auskannte. So waren ihr die Davca-Wasserfälle nicht bekannt und wohl auch die Davca-Schlucht nur unzureichend ein Begriff. Tina verabschiedete sich schließlich auf ihrer Tour zum Berg Lubnik, der per Stichstraße erreichbar ist.

Da die Auskünfte der Damen eher verwirrend waren, blieb ich meiner geplanten Linie treu, die sich als durchaus ausreichend geradlinig erwies. Einfach ist der Weg allerdings nicht. Der zunächst bewaldete Pistenabschnitt noch leichter, folgen heftige Rampen wieder auf Asphalt, etwa bei Zapreval (4 hechelnde Zungen von 5 möglichen), von Murave nach Gornja Zetina (5 Zungen), von Gorenja Zetina (bereits im Ort ansteigend) zum Crni kal (5 Zungen). Zur Orientierung seien nochmal die wichtigsten Punkte genannt: Gabrovo (obwohl man nicht hinfährt), Stari vrh (der Skiberg bei Zapreval, den man auch nur unterhalb umfährt), Javorje (obwohl man knapp oberhalb in Murave verbleibt), Blegos (der Berg, den man ab Crni kal ebenfalls per Stichstraße erreichen kann, mit beliebter Berghütte, ebenfalls hier nicht gefahren). Am Hochpunkt oder Pass bei Zapreval, Abzweig Stari vrh, findet sich sogar ein Kontrollstelle mit Stempel (vgl. Bildergalerie) des Loska Kolesarska Pot, der in mehreren Varianten Rundkurse ab Skofia Loka beschreibt.

Mehrfach werden die Gäste euphorisch mit großen Lettern begrüßt – so etwa in Gorenja Zetina oder später in Davca. Die wenigen Gäste sind wohl häufig exotisch, nicht nur als Alien. In Gorenja Zetina (Gaststätte und Bauernhofverkauf von Käse etc. vorhanden) treffe ich eine Bergbewohnerin mit Kleinkind aus mir recht vertrauter Region der alpinen Eidgenossenschaft. Sie sind regelmäßige Sommergäste eines Bauerhofes, wohl aber ein wenig unglücklich, dass sie niemand richtig versteht. Vor allem der Kleinen scheint die Umgebung fremd zu bleiben. Die Ruhe und Freundlichkeit der Karantanier lockt die Schweizerin aber immer wieder an. Sie ist überglücklich, mit mir in dieser entlegenen Region jemanden zu treffen, der sie versteht, sogar noch bei der Andeutung eidgenössischer Dialekte. Sicherlich war sie sich über meine Alienherkunft nicht im Klaren.

In den wieder gemäßigten Steigungs- und Gefällstrecken beim Crni kal stößt man wieder auf Kies- und Waldpiste, etwas kruder ist der Abstieg nach Potok, bleibt aber auch noch reiseradtauglich. Mit den ersten Heugabeln, die die Bauern am steilen Hang schwingen, beginnt in Potok wieder Asphalt. Man fährt unterhalb nochmal durch ein enges Tal mit Bach aus Treppenkaskaden, bis man auf eine Kreuzung in etwas ebener Umgebung stößt, wo man entweder nach Zali Log gelangen kann, oder leicht aufwärts nach Davca. Davca ist die flächenmäßig größte Gemeinde Sloweniens, so sagt mit der Wirt auf der Passhöhe Petrovo Brdo, ist aber alles andere als eine geschlossenes Dorf. Die Siedlungsbereich verteilen sich überall mit einzelnen Weilern und die Unterbezeichnungen sind etwas verwirrend. Die Davski slapovi sind aber oben ausgewiesen, im Zweifel orientiert man sich auch an Porozen oder einem ausgeschilderten 3-Sterne-Gasthaus, ganz zum Schluss gelangt man zu den Wasserfällen über eine Stichstraße ohne Infrastruktur, dann auch Piste.

Während die untere Davca-Route durch die Schlucht neu asphaltiert wurde (veraltete Darstellungen im Internet), verbleiben zum Finale einige schwierige Pistenabschnitte. Dazu zählt die vollständige Erkundung der Davca-Fälle, sodass ich mich mit dem erstem, unteren Fall begnüge. Der Anstieg zur zweiten Ebene führt über groben, losen Schotter, der zwar Geländewagen offen steht, nicht aber dem Alien zur Verfügung gestelltes Fahrradgerät. Die Überfahrt nach Zgaga ist aufwärts auf Asphalt (steil) möglich, abwärts geht es aber weitgehend bei extrem steilen Gefälle (mindestens 5 Zungen) über recht grobes Schottergeröll, das von anliegenden Bauern mit grobstolligen Traktoren gelegentlich befahren wird. Wahrscheinlich wäre es vernünftig gewesen, weiter bergauf über den Berg Porezen zu fahren – hier besteht wahrscheinlich ein asphaltierter Übergang direkt nach Petrovo Brdo und/oder Podbrdo zur westlichen Passseite. Mein Kartenmaterial zeigte hier aber Lücken und Widersprüchliches.

Der Vorteil dieser Route ist, dass man noch einen kleinen Eindruck der östlichen Talseite vom Petrovo-Brdo-Pass bekommt – ein schattig-feuchtes Biotop, in dem riesige Wiesenblattwerke gedeihen. Eine etwas anspruchsvollere Steigung gibt es nur auf den zwei Schlusskehren. Almweiden öffnen dort goldgrüne Lichtspiele, oben ein Gasthof mit einer umfangreichen Straßenverzweigung. Der Wirt erkennt gleich meine besondere Abstammung und bietet mir an, bestes Quellwasser abzufüllen. Bereits unten zur Mühle Zgaga gab es aber bereits ausreichend von dieser lokalen Köstlichkeit. Trotz der strategischen Transitlage wollte der Deutschland-erfahrene Gastwirt über die wirtschaftliche Lage nicht ganz glücklich sein. Er wählte die neue Selbstständigkeit, nachdem er jahrelang Heizplatten zwischen Stuttgart-Vaihingen bzw. Bretten und einer slowenischen Firma transportiert hatte. Es drang bei ihm die Vermutung heraus, dass es im modernen Slowenien einige Habgierige gäbe, die die Taleranhäufung auf Kosten des Gemeinwohls kultiviert hätten. Eine wohl nicht ganz unbekannte Erscheinung in vielen Teilen des Erdenballs.

Nunmehr entwickelt sich ein großer Talrausch, obwohl die Passhöhe doch noch unter 1000 m gelegen hat und das Gefälle sicherlich nicht enorm ist. Den Kehren durch Wald liegen Schluchtgründe zutage, Wasserfälle nicht immer einsehbar. Fast Kitschiges findet sich im milden Abendlicht in Podbrdo an Straße, das Bergtal bleibt eng, aber nicht unbedingt schluchtig, wenige Häuser verteilen sich teils in den Hanglagen, manche sind im Tal aus ehemaliger Mühlenwirtschaft verblieben. Die Eisenbahnlinie sorgt immer wieder für spezielle Momente im Tal wie etwa durch reizvolle Stahlgrätenbrücken. Züge indes verkehren wenige. Den einzigen, den ich gewahr werde, ist eine Mischung aus Personen- und Gütertransport – kleine Länder praktizieren pragmatische Kombinationslösungen. Die Orte strahlen mediterrane Gelassenheit mit Bergkulisse aus. Nach einer Abzweigmöglichkeit durchs Tal zur anderen Seite nach Bukovo hoch, dessen Kirche deutlich hervorlugt, wendet sich nochmal eine steilere Kehre nach Kneza herunter. Nun meint man, es müsse doch schon Meeresniveau sein. Aber immer noch führen reizvolle Stichtäler in den Triglav-Nationalpark nach Norden.

Obwohl rasches Rolltempo, hatte ich die Strecke unterschätzt. Die Dämmerung beginnt sich über die Landschaft zu legen. Eine Alternative nach Tolmin zu gelangen, ohne den Flussbogen über Most na Soci auszufahren, ist eine abwechslungsreiche Empfehlung. Man quert in mehreren Auf und Abs Hügel, ein paar kleine Dörfer und ein eindrucksvolles Labyrinth aus Kalkfels, dass das Dämmerlicht heller werden lässt. Unbedingt wollte ich den Slap Sobota begutachten, von der Straße über einen relativ steilen Waldtrail zu erreichen. Es kostet mich wohl ein vollständiges Menü auf gehobenen karniolischen Niveau.

Als ich den vorausgewählten Gasthof Kobala im oberen Ortsbereich von Poljubnj erreiche, sind die Köche des Hauses schon verschwunden. Ich bekomme von der Wirtin des Hauses noch das, was in ihren Fähigkeiten und ihrer verbliebenen Assistentin steht. Auch diese Resteküche ist noch deliziös, umso mehr trauere ich um die Köstlichkeiten, die mir wohl vorenthalten wurden. Die Unterkunftsmöglichkeiten sind aber beschränkt, denn eine MTB-Gruppe aus München hat die meisten Zimmer bereits besetzt. Es würde ein Apartment für 54 Euro verbleiben. Weil ich am heutigen Tag keine spektakulären Forschungsergebnisse an Commander speichen-08/15-kracher übermitteln konnte, blieb die Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz aus. Ich erbettelte mir schließlich einen kostenlosen Zeltplatz auf der Gartengrund des Hotels, direkt neben der Terrasse und dem Jacuzzi-Bad.

Während sich die Gastgeberin karantanischen Geist und Aliensympathie unter Beweis stellte, verschlug mir manches, was die Bajuwaren aus ihrem Munde verlauten ließen, die Sprache, abgesehen davon, dass sie auf eine merkliche Distanz zu meinen Alienhäuten achteten. Die allesamt mit gut dotierten Berufen beglückten Bayern, gar dem Hochdeutschen mächtig, fragten mich, warum ich mit soviel Gepäck reise. Sie erklärten schließlich Regenklamotten für überflüssig, die sie in ihren Autos in Villach zurückgelassen hatten. Das Argument war: „Wenn wir radeln, regnet es nicht!“ Immerhin gestanden sie mir zu, wenn ich statt 7 Tage fünf Wochen unterwegs sei, das Risiko unterschiedlicher Witterungen etwas anders bewerten zu müssen. Sie hatten sich eine MTB-Route von Villach an die Adria überlegt, Wege, die ich nicht fahren kann, aber auch sehr kurze Etappen mit genügend Zeit, sich den Genüssen hinzugeben. Alle Etappenorte waren vorgebucht. So hatten sie auch vortags bei Ana Ros des Gourmettempels Hisa Franko in Kobarid gespeist – ein mir noch bevorstehender Höhepunkt, wie ich dachte (der aber scheiterte).

Der kulturelle Horizont der Wortführer der Gruppe blieb etwas vernebelt – wohl konnten sie ihre Grundintelligenz nicht auf alle Ebenen des Lebens anwenden. So fragte mich einer tatsächlich, ob ich Slowenien für ein zivilisiertes Land hielte – und das war die Frage eines Bajuwaren! Meine Bejahung dieser Frage ließ ihn missfällig schlucken und die Rückfrage stellen: „Wirklich?“ Ich konnte es nicht fassen, dass sich intelligente Menschen in den besten Hütten eines Landes an allen Genüssen und Annehmlichkeiten labten, die zu weiten Teilen Germaniens nicht mal üblich sind, ohne ihren Gastgebern den entsprechenden Respekt zukommen zu lassen. Auch am Folgeabend planten sie Station in Smartno zu machen, dort im schmucksten Feinschmeckertempel des slowenischen Collio-Bereichs. Man kann sich so gut vorstellen, welche Unruhe einst die arroganten Bajuwaren in die Bescheidenheit des alten Karantaniens gebracht haben mögen. Leider, so ist es häufig in der Geschichte, dürften die Arroganten auch noch recht bekommen und aufgrund ihres Reichtums sich übergebührlich Platz verschafft haben. Diese MTB-Bajuwaren dürften ohne Regen an die Adria gekommen sein, weil die Schlechtwetterfront der Vortage schlicht zufällig verschwunden war – was sie aber ihrer eigenen Kompetenz eines Besservolkes zuordneten. Ein postimperialer Tiefpunkt in meiner Karantanien-Reise.

Do 2.7. Poljubnj – Slap Beri (Wanderung, ca. 1 h) – Poljubnj – Tolmin – Zatolmin – Hudicev most/Tolminska korita (Wanderung, ca. 1 h) – Zatolmin – Volarje – Kamno – Vrsno (591 m) – Smast – Kobarid – Stara Selo – Kobarid – Camp Lazar
W: 18-28 °C, sonnig, schwül, später bewölkt, abends Gewitter
Ü: C Lazar 10 € (SP wegen später Ankunft)
AE (H/R Topli Val): Tintenfischrisotto, Wildfilet, Knödel & Cannelloni Kobarid-Art, Nussteigtaschen Kobarid-Art, Rotwein, Cafe 41 € (*****)
B: Tolminska Korita 4 €
38 km | 11,3 km/h | 3:15 h | 675 Hm

Der Vortag endete ja quasi mit einem Wasserfall, und der neue Tag mit einem weiteren. Waren die Wasserpräsentationen der Tauern vielleicht die dramatischsten Bühnendarstellungen, so spielt die Tolminske/Kobarid-Region mit der wohl farbenreichsten Wassermystik. Insofern habe ich den Kozjak-Wasserfall des nächsten Morgens auch noch diesem Kapitel inhaltlich sinnvoll und abschließend Höhepunkt-fordernd angestellt. Der Kozjak-Wasserfall war ein Tipp der Münchner MTB-Gruppe, die sich so wieder mit ein paar karantanischen Bonuspunkten aufwerten konnte.

Der Wandertrail zum Slap Beri ist schnell erreicht, weil die Pension Kobala nahe dem oberen Ortsende liegt. Es ist wassertaugliches Schuhwerk erforderlich. Gleich zuunterst ist es von Vorteil, das Wasser zu durchwaten (Knöcheltiefe). Zunächst erinnert der Weg etwas an die Urwald-Beschreibungen zur Entdeckung alter Maya-Tempel in Karl Rudolf Seuferts „Schätze von Copán“. Das Geheimnisvolle weicht dann etwas dem Geröllhaften der Berghänge – als häbe es hier zuletzt einen harschen Erdrutsch gegeben. Hat man den Bergbach mittels einer kleinen Hängebrücke überquert, steigt man durch lichten Feenwald, ein Rauschen nun vernehmbar, kleine Wassergardinen über kohlgroße Flusssteine verschönern den Mikroblick. Der Slap Beri schließlich ist ein mittelfeiner Strahl, einmal kurz vom Fels aufgehalten und vom unteren Hauptstrahl verdeckt gehalten zwei Hintergrund-Kaskaden, die dem ganzen ein ästhetisches, barockes Glockenvolumen geben, ohne dass die geradlinige Eleganz des Falls darunter leiden würde. Allein schon im feinen Gestäube des Falls lässt sich die nackte Alienhaut benetzen. Das Morgengedicht (erster Teil).

Der Markt in Tolmin ist recht klein, die Stände verteilt auf verschiedene Ecken. Eher weniger schöne Einkaufshallen bilden das geschäftliche Zentrum, vom Autoverkehr durchflossen, sehr funktional. Ich wende mich nach Zatolmin für einen kleiner Zwischenanstieg, auch steil, dann fällt die Straße zwischenhügelig wieder zur Tolminka ab, die unterhalb der Stadt in die Soca mündet. In Zatolmin findet sich die Käserei Kramar, deren hervorragende Trinkjoghurts in vielen Geschäften zu erhalten sind, aber auch nicht ganz billig (um 1,80 €) und natürlich Herstellungsort des Tolminc, einem charaktervollen Hartkäse aus traditioneller Produktion.

Die Tolminka-Schlucht, auch Tolminer Klammen oder besser Tolminska korita heute landstypisch benannt, bezeichnet ein Labyrinth aus steilen Felstoren, die durch Treppenstiege und Brücken trocken begehbar sind. Auch kann man bedingt in den Wasserläufen waten, wobei die gewichtigsten Einblicke nicht unbedingt zugänglich sind. An den überhängenden Felsen werden Kletterkurse abgehalten. Die eingeschnittenen Kalkfelsen der wilden Tröge, teils als glatt geschmirgelte, metallisch glänzende Hundertwasser-Wandformen herausgearbeitet, da und dort tiefgehend grün verschleiert, in den Gucklöchern mit fließenden Smaragdtönen ausgemalt, sind das Erosionsergebnis aus Tolminka und Zadlascica, am tiefsten und südlichsten Punkt des Triglav-Nationalparks – nur 180 m über Meereshöhe, dessen Grenzen ich hier nur für kurze Zeit nochmal überschreite. Das Mittagsgedicht.

Die Hitze des Tages treibt mich zu einem Wasserloch. Das finde ich zunächst nicht auf der linksuferischen, verkehrsarmen Straße der Soca, die man von Zatolmin, vorbei quasi hinter dem Burgberg Kozlov rob. Die Zugänge der Soca sind durch abgezäuntes Weideland selten, bei Volarje finde ich eine Stelle nahe dem Zufluss des gleichnamigen Nebenflusses. Hier ist die Soca ein geradliniges blaues Band, teils mit hoher Fließgeschwindigkeit, aber weit verteilt auf einem Bett von Kugelsteinen. Die Sonne hat das Wasser stark empor gehoben, so verdichten sich Wolken bei großer Schwüle zunehmend zu Gewitteranleihen. Ich fahre auf nach Vrsno, eigentlich mit dem Ziel Krn in den Felskessel des vom Krieg zerschossenen Berges. Allein die Auffahrt nach Vrsno erfordert fünf Hechelzungen, der Kampf nach ganz oben könnte im Unwetter enden, das Panorama ohnehin diesig eingetrübt, sodass ich es beim Ort Vrsno belasse. Neben Kriegsopferstätten und Bienenhäusern findet sich ein hübsches Haus, dem äußerlich Liebe zugedacht wird. Ich entdecke den Namen Simon Gregorcic, der auch als Skulptur in Kobarid unten zu sehen ist. Gregorcic ist einer der bedeutendsten Dichter Sloweniens – seine Wortballette geben seiner Heimat unvergessliche Gesichter, die jeder auch heute noch wiederfinden kann, der sie sucht. Und ja, Simon Gregorcic zollte der Schönheit dem Fluss Tribut – fast unvermeidlich-, von dessen farblichen Glanz kaum ein Besucher nicht mit Faszination gefangen genommen wird – der Soca. Da heißt es in der Ode „An die Soca“ nahezu hineintauchend:

„Gern blick’ ich in die muntren Wellen,
wenn grünblau sie vorüberschnellen:
Des Alpengrases dunkles Grün,
der blauen Höhen klares Glühn
sind hold in dir versunken;
an heitrer Höhen Himmelsblau,
an grünen Bergeshänge Tau
hast Schönheit du getrunken,
du herrlich Alpenkind!“

(in: Lojze Wieser „Karst“, S. 178 f)

Das Abendgedicht, erster Teil.

Unten in Kobarid habe ich noch Zeit für das kulinarische Tagesziel, das Restaurant Hisa Franko, von Sloweniens bester Köchin Ana Ros, die mittlerweile ein weiteres Restaurant in Ljubljana führt. Der Weg führt über eine nahezu flache Alleestraße in Richtung italienische Grenze und Natisone-Tal – jetzt aber unter dunkelsten Wolken, fast unwirklich. Das Restaurant liegt unscheinbar etwas zurückversetzt an der Straße, in rötlichem Pastell äußerlich gehalten und mit größerer Gartenlaube. Die Autokennzeichen zeigen internationale Gäste an, nicht nur Italien ist vertreten, auch Belgien oder Österreich. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, auch ohne Reservierung einen Platz zu erhalten, es hängt aber vom Andrang ab. Der Servicemann erläutert mir, dass leider heute alle Positionen ausgebucht sind, ich könne mich aber für den nächsten Abend vormerken lassen. Nun, da wird der Alien wieder einen Ort weiter sein. Schade.

Der Rückweg scheint nochmal dunkler, obwohl immer noch Sommerabendzeit, die hell sein könnte. Das älteste Gasthaus Kobarids, gleichwohl die Wiege der Kobarider Gourmetküche im Jungstaat Slowenien, auch von einer Frau als Restaurant für Fischspezialitäten geführt (Lilijaner Kavcic), ist geschlossen – vermutlich Betriebsferien . Nicht nachstehen möchte Topli Val, etwas weniger charmant als nüchternes Hotelgebäude mit Speiseterrasse an der Straße. Dem drohenden und bald auch folgenden Gewitter muss ich Tribut zollen und in die Innenräume ausweichen. Das Menü zeigt Ansätze von Gourmetklasse, sicherlich ein wenig überambitioniert, mit der man sich der übermächtigen Konkurrenz erwehren möchte, dafür aber mit authentischen Kobarider Teigspeisen – sowohl in der herzhaften wie der süßen Art. Das Abendgedicht, zweiter Teil.

Dem noch nicht genug, füge ich das Morgengedicht, zweiter Teil, aus vorgenannten Gründen hinzu, allerdings am Folgetag absolviert. Vom etwas abseits des Ortes, direkt an der Soca gelegenen Kamp ist es nur kurz zur Brücke über die Soca, dann auf einen Weg mündend, den man zumindest teilweise auch per Rad ab dem anderen Kamp folgen könnte. Er ist aber steinig genug, das viele Teile nur MTB-tauglich sind, den Schlussakkord würde man ohnehin zu Fuß gehen müssen. Überhaupt ist es ratsam, sich für den Weg Zeit zu nehmen. Der Kozjak-Bergbach bildet zahlreiche Zwischenkaskaden, teils mit großen Becken, immer wieder faszinierende Wasserstrahle, breite Gefällfronten wie schmale Rieselduschen. Das alles findet geheimnisvoll düster beleuchtet unter Blätterwerk statt, sodass nur wenige Gumpen tagsüber als Badestelle geeignet wären. Überhängende Felsen ziehen die Kletterer an. Das Finale – auch hier sinnvoll mit Wasserschuhen unterwegs – versteckt sich bis zum letzten Bohlensteg, der sich um Fels windet und den Blick in eine schwarze Steinkathedrale öffnet, ein Lichtloch gen Himmel gerichtet und den Segen von oben heruntergegossen als wäre es ein galaktischer Beamer-Strahl, der in eine blau-grüne Lagune hineinstößt, begleitet von berauschender Höhlenakustik – einem melodischen Donner von Unendlichkeit. Auf der Green Devil kam es zu turbulenten Jubelszenen, als ich die Bilder davon zeigte. Besonders die technischen Designer machten sich vielfältige Kopien, um die spröden Regional-Beamer in biophysikalische Modellvarianten dem Wasserfall nachzubilden.

Musik: Slavko Avsenik, einst auch Skispringer, kreierte mit seinen Original Oberkrainern einen eigenen Volksmusiksound, der charakteristisch war für den Übergang der provinziellen, traditionalen Volksmusik in eine kommerzialisierte volkstümliche Musik auf großen Bühnen. Der slowenische Chor Perpetuum Jazzile liefert hier eine fulminante A-cappella-Version von Avsenik-Kompositionen und führt die Musik wieder mehr auf seine traditionellen volkstänzerischen Wurzeln zurück: Perpetuum Jazzile „Avsenik Medley“ (3:26 min.)

Bildergalerie Kap. IV (123 Bilder):



Fortsetzung folgt