Re: Saxonia Bohemia Velogida

von: veloträumer

Re: Saxonia Bohemia Velogida - 10.01.17 22:09

KAPITEL SBV-2
Freundschaftstreff mit Insider-Führung in Dresden

Musiktipp: Der Dresdener Günter Baby Sommer, für kurz auch mal wohnhaft in einem meiner Heimatorte, in Konstanz am Bodensee, ist eine Institution unter den kreativen Improvisationsschlagwerkern, der nie um launige, aber auch nachdenkliche Einfälle verlegen ist. Ein Projektkünstler, ein Kommunikator, der gerne auch in den musikalischen Dialog tritt, hier mit dem französische Tubisten und Serpent-Spieler Michel Godard: “langer weg zu langer berg“ (6:51 min)

Eine Stadt zum Verlieben, mild und lieblich, am breiten Wasser gebaut, mit Panoramaterrassen, die Brücken schlagen nicht nur an andere Ufer, sondern auch Erinnerung in die Wunden der Stadt – das Blaue Wunder widersetzte sich trotzig den Sprengversuchen des soldatischen Vernichtungsfeldzuges. Es spiegelt den Menschen wieder – der Sachse, der die Freiheit sucht, widerständig, geradlinig und unbeugsam, der seinen Eigensinn in ebenso Kreatives wie genussreich Schönes zu münzen weiß. „Dresden im Barock“ im Panometer war denn auch ein ebenso symbolischer wie glanzvoller Höhepunkt der Stadtbesichtung – oder auch eine Summe der Geschichtsperspektiven des Tages in Dresden und der Festung Königstein am Vortag.

Birgit, echte Sächsin und Hans, aus Halle zugewanderter Wahlsachse, hatten ein überfülltes Besichtigungsprogramm vorbereitet, dessen Umsetzung allerdings zeitlichen Schranken gesetzt war. Am Ende nötigte die Reduktion auf Weniges einen Roten Faden ab, wie er nicht hätte besser gespinnt werden kann. Die Perspektiven auf Dresden unter und über der Kuppel der Frauenkirche spiegelten sich in der 360°-Panoramaschau im Panometer ebenso wieder wie in der grauen Taube im Schlammbad über den Elbterrassen: „Krieg verzehrt was Frieden beschert“ heißt es da im Sinnbild des Mars, dem Planeten des Krieges, wie er nicht nur in Gustav Holst’ Planetenkomposition heißt.

Wie lebendig der Gedanke an das zerstörte Dresden, den Feuersturm im Zweiten Weltkrieg, noch ist, zeigte die Andacht in der Frauenkirche. Es dürfte auch ein Zeichen der aufgeschobenen Geschichtsbewältigung sein, den die schweigende Decke des Sozialismus lähmend über den Ostteil Deutschlands für Jahrzehnte legte. Die Ablenkung des Nachkriegskonsums ließ den Westen die vergangene Schrecken schneller vergessen, die 1968er-Bewegung leitete eine breite Geschichtsbewältigung ein. Im Osten blieben viel Trümmer liegen – auch diese Kirche, die im nun glanzvoll wiederaufgebauten Zustand gar nicht verhindern kann, dass sie vordinglich ziervolles Museum und Weltgedenkstätte des Friedens geworden ist – auch wenn sie für sich den Anspruch erhebt, nur ein schlichter Ort des Gebetes und der religiösen Einkehr zu sein.



Kaum eine Kirche dürfte so das Licht dem Besucher aufdrängen wie die Frauenkirche. Das barocke Zierwerk erhellt in geradezu tänzerischer Leichtigkeit, in schwebender Lichtflut, im Sinkflug der nackten Engel – die späte Novembersonne lächelt zudem zur rechten Zeit. Die Pastelltöne – Zartrot bis Rosa (die Farbe der Bibel) über das leichte Mintgrün (die Farbe der Hoffnung) fügt sich bis in die äußerste der Doppelkuppel das Sanftblau (die Farbe des Himmels) zu einem Gedicht der malerischen Pyramide aus Gold und weißem Marmor, emporgesungen von den ebenso licht klingenden Orgelpfeifen im Auge des wahrhaftiges Tageslichtes – aber ebenso im Auge Gottes (wie heutzutage eine Überwachungskamera platziert). Wer die Orgel hören möchte, sollte die Andacht zu Mittag wählen. Es ist keine verlorene Zeit, nicht mal für einen Ungläubigen – zu eindringlich die Mahnung im Zeichen des zerstörten Kreuzes an die Opfergeschichte der Menschen in der Stadt. Umso mehr steht die Frage im Raum, was nun Menschen anzetteln, wenn sie neuen Hass säen – und das direkt vor dieser Kirche, dem Mahnmal des Krieges – Krieg, diese Inkarnation des Hasses schlechthin.

Krieg und Kampf inszeniert die Rüstkammer im Residenzschloss in so ästhetischer Weise, dass der Blutzoll von Säbel und Schießeisen fast vergessen werden könnte. In Hochglanzvitrinen reihen sich Ritter zu Pferd und zu Stiefel, nicht weit vom Pomp der verschwenderischen Hoffeste eines August des Starken entfernt. Dieser ließ schon mal Feste über Wochen abhalten, bei dem die Verschwendungssucht des Adels geheim gehalten werden sollte, um es nicht zu Volksaufständen des armen Gassen- und Landvolkes kommen zu lassen. Diese lebten nicht selten in Sichtweite der barocken Festterrassen.

Das Leben des Barocks hat Yadegar Asisi in seiner multimedialen Installation aus Malerei, Fotografie, Kostümschneiderei und Computertechnik geradezu lebendig im Panometer nachgestellt. Ausgehend von der Malerei Canalettos, der mitentscheidend für die romantische Bildsetzung Dresdens, der Festung Königstein und auch der Sächsischen Schweiz verantwortlich zeichnete, werden Leben, Landschaft und Bauwerke der Barockzeit nachgezeichnet und in verschiedenen Höhenperspektiven erlebbar gemacht. Das Ganze taucht in kurzen Abständen auf und ab zwischen Tag und Nacht. Bis zum Miau der Katze auf dem Dach hat Asisi eine detailversessene Projektionskunst aus dem Heute für das Gestern geschaffen. Barock wird hier lebendig und lässt manchen Museumsstaub um antiquarischen Plüsch vergessen. Deswegen: Beim Dresden-Besuch nicht vergessen, die Themen im Panometer wechseln im Laufe der Zeit immer mal wieder. In Zentrum des Kunstdiskurses steht allerdings bis 2022 Canaletto, wenn sich der 300. Geburtstag des Malers jährt.

War die erste Tageshälfte schon fast frühlingshaft bei allerdings auffällig föhnigem Wind, machte sich zur zweiten Hälfte regnerisches Schauerwetter breit. Am Blauen Wunder erlosch daher etwas der Elbglanz, ins Cafe Toskana mussten wir schon fast flüchten. Dem Auto sei Dank, blieben wir aber weitgehend trocken – bis auf den Abschluss im Brauhaus. Dort ist die Attraktion eine sog. Biersäule, in die mindestens 5 Liter Bier (offenbar kann man unterschiedliche Füllmengen bestellen) in einer übermannshohen Plexiglassäule eingelassen werden und zu Tische von feucht-fröhlichen Gesellen geleert werden. Manche brauchen dabei mehr als eine Säule – sächsischer Durst eben. Der Braukeller ist recht hellhörig laut, das Essen dafür zünftig gut, das Ambiente kann mit bayerischen Brauhäusern gut mithalten. Nostalgie in Form der alten Registrierkassen ist in Sachsen nicht gerade selten zu finden – man sammelt gerne Nostalgisches.

Am Beginn des Dresden-Rundgangs stand ein Besuch in der Tonne Dresden, der führende Jazzclub der Stadt. In altem Kellergewölbe versuchen eine junge Dame und ein junger Herr ein anarchisches Gegengewicht in dem von der Klassik dominierten Stadt zu setzen. Die Präsenzeleganz einer Semperoper ist schon äußerlich über einen verschämten Nebeneingang nicht annähernd erreicht, doch beinhaltet der Gewölbekeller eine stilvolle Atmosphäre zwischen der verdächtig beäugten Subkultur des Jazz und den modernen Anforderungen improvisatorischer Konzertmusik. Die Tonne wird wortwörtlich in Form einer Kugel aus einer glasummantelten Sammlung von Karten, die beweglich gelagert als modernes Kunstwerk eine leicht zu übersehende Besonderheit des Kellers darstellt.



Mein „Cityguide“ Hans füllt seine rastlose Rentnerzeit mit sehr viel Engagement für die Jazzszene in Freiberg und Dresden. Der Stellenwert des Jazz ist auch im weltoffenen Dresden noch ausbaufähig, insbesondere steht das Festival der Jazztage Dresden (im November) mit dem modernen, zeitgemäßen Jazz in der Wahrnehmung noch deutlich im Schatten des Dixieland-Festivals (im späten Frühling) als Straßen- und Dampfschifffahrtsvolksfest. Die Jazzliebe führte Hans zur anerkennend gehoben Jazzfotografie, die er nunmehr nebst diversen Publikationen im Printbereich auch schon in einigen großformatigen Ausstellungsprojekten präsentiert hat. Einen besonderen Weg beschreitet er mit Jazzfotografien im Wirtschaftsgebäude des Uniklinikums, wo ganz unbedarfte Jazzlaien mit den etwas anderen Ansichten konfrontiert werden. Dort endete fast die Tagesbesichtung – also wieder ein kleiner Roter Faden.

Tatsächlich war nebst nächtlicher Stadtansicht der Schlusspunkt der Goldene Reiter – erneut also August der Starke, gleichwohl morgens etwa in der Fresken-Collage der Fürsten und Herrscher unweit der Trinitatis-Kirche (selten: die Orgel ist gegenüber der Kanzel platziert) als auch im Panometer gesichtet. August der Starke ist bei Birgit ganz stark im sächsischen Bewusstsein verankert, ein Stück Heimatidentität ganz offensichtlich. Nicht zuletzt bedient der Kurfürst Sachsens und zeitweise auch König Polen (um 1800 herum) viele Klischees und Legenden noch heute. Sein Wirken war nichtsdestotrotz von nachhaltigem Nutzen für die Entwicklung des Landes Sachsen, z.B. indem er als Unternehmer für die Ankurbelung der Wirtschaft sorgte, darunter mit der Gründung der Porzellanmanufaktur Meißen. Seinen Beinamen verdankte er dem Umstand, Münzen und Hufeisen mit bloßen Händen verbiegen zu können. Von den ihm 354 angedichteten unehelichen Kindern können allerdings nur 9 nachgewiesen werden – die meisten sogar ehelich. Bekanntlich imponiert den Menschen aber mehr die Dichtung als die Faktenlage.

Damit sind wir wieder im Hier und Jetzt angelangt. Aufgeweckt werden könnte man etwa durch das Glockenspiel am Zwinger, wo Klöppel auf echtes Meißener Porzellan schlagen. Natürlich hatte Hans auch hier für ein exaktes zeitliches Timing gesorgt. Vom Schönklang zum Schönleben: Dazu hat Dresden zahlreiche Jugendstilvillen, pittoreske Elbschlösser und liebliche Rebenhänge, die sich am rechten Ufer leicht elbaufwärts finden. Dieses sommerfröhliche Ausflugsareal wurde weitgehend ein Opfer des Regenwassers und der fortgeschrittenen Dunkelheit.

Die Fahrradfreundlichkeit der Stadt ist mit einer solchen Kurzbesichtigung schwer einzustufen. Vordergründig sah ich zumindest recht viele Radwege, die auch einigermaßen durchdacht angelegt schienen. Die Elbufer haben natürlich viel Platz nicht nur für Radler, sondern auch für das savoir vivre. Und wer gar nicht auf Stadt steht, wird recht einfach an der Elbe mit viel Stadtnatur vorbeiziehen können. Klar aber: Velogida würde dieser Stadt weit besser stehen als Pegida.

Fr 18.11. Dresden Stadtbesichtigung per pedes & Auto: Privatführung Jazzclub Tonne, Residenzschloss (nur Rüstkammer), Zwinger (nur außen) mit Glockenspiel (Meißener Porzellan), Frauenkirche (mit Andacht, Orgelspiel, Kuppelbesteigung), Kathedrale St. Trinitatis, Blaues Wunder (mit Blick vom Cafe Toskana), Panometer („Dresden im Barock“), Goldener Reiter, Hans' Fotoausstellung Jazzbilder im Klinikum
ME (Cafe Toskana): Torte, Cafe 0 € (reg. unbek.)
AE (Brauhaus Dresden): Schwarzbierfleisch, Knödel, Bier, Quarkkeulchen m. Apfelmus 0 € (reg. unbek.)
Ü: H Wolfsberg 0 € (reg. 42 € mFr)
0 km | 0 Hm | 0,0 km/h | 0:00 h

Bildergalerie SBV-2 (42 Fotos):



Fortsetzung folgt