Re: Saxonia Bohemia Velogida

von: veloträumer

Re: Saxonia Bohemia Velogida - 11.01.17 20:35

KAPITEL SBV-3
Rund um den Erzgebirgekamm mit knackigen Rekorden

Musiktipp: Zurück zum Klang Böhmens, dem großen musikalischen Bildermaler, der die quellenden Wasser so lieblich zum Sprudeln bringt, ja die Landschaft vorbeiziehen lässt, wie es auch dem Radler geschehen kann: Bedrich Smetanas weltbekannte Flussvertonung, hier in einer Solo-Harfenversion: “Vltava – Die Moldau“ (11:11 min)

Geografisch sind die Grenzen Erzgebirges im Osten zum Elbsandsteingebirge und im Westen zum Vogtland nicht gerade markant – es gibt sogar Überschneidungen. Das Vogtland besitzt eine Schnittmenge mit dem Westerzgebirge im sog. Musikerwinkel, erst mit dem Elstergebirge übernimmt eine andere tektonische Platte die Gesteinsführung. Entsprechend wird der Naturpark auch Erzgebirge-Vogtland bezeichnet. Im Osten hingegen überschneidet sich z. B. verwaltungstechnisch Osterzgebirge und Sächsische Schweiz in einem gemeinsamen Landkreis.

Mehr als geplant verblieb ich meistens im Bereich des Erzgebirgekamms, ohne jedoch strikt einem Kammweg zu folgen. Das wäre allerdings möglich, insbesondere besteht zu beiden Seiten der Grenze jeweils ein Radkammweg, mit dem man das gesamte Erzgebirge beradeln kann. Zur deutschen Seite etwa ist er auch als noch weiter reichende Radfernroute „Bayreuth – Zittau“ bezeichnet, sehr wohl gleichzeitig auch Wander- und Loipenweg. Im Winter ist also zumindest in größeren Teilen nicht mit Schneeräumung zu rechnen.

Auf der tschechischen Seite scheint mir der Kammweg häufiger asphaltiert zu sein. Dort wird dann auch häufig zwischen dem Hauptkammradweg und sonstigen Radwegen unterschieden, die teils parallel nutzbar sind, aber dann auch mal nur festen Kiesbelag und keinen Asphalt haben können. Nebenradwege haben nebst den üblichen Nummern noch teils gesonderte Bezeichnungen, die auch teils auf Sponsoren rückschließen lassen („Schauwerkstättl-Route“, „Jens-Weißflog-Route“, „Christkindweg“). Diese Nebenradwege dienen zumindest teils dann im Winter auch als Loipen. Für Loipen gibt es zudem ein paralleles Beschilderungssystem, für Wanderer nochmals ein ebenso farblich abgegrenztes weiteres Hinweissystem. Da die meisten Abschnitte der böhmischen Kammroute auch gleichzeitig irgendwelche Verbindungen für Höfe oder Dörfer darstellen, erscheint mir diese Seite „wintertauglicher“ zu sein als die deutsche Seite.



Gleichwohl sei für die alle Jahreszeiten gesagt, dass die Radrouten – mögen sie häufig auf Straßen verlaufen – weitgehend einsame Strecken mit marginalem Verkehr sind. Da ich nicht immer darauf geachtet habe, ob ich mich auf Radrouten bzw. auf der Kammroute bewege, kann ich aber nicht alle Angaben verifizieren. Gerade zur deutschen Seiten habe ich teils bewusst Straßen gewählt, die aber möglicherweise immer eine alternative Radroute gehabt hätten. Auch sind Grenzwechsel zum Teil mit verkehrsreicheren Transitwegen verbunden, die man dann aber zu beiden Seiten der Grenzen wieder schnell verlassen kann.

Gleichwohl gibt es auch eine Reihe von Grenzübergängen, die exklusiv nur für Räder oder Forstwirtschaft/Anlieger bestehen. Einige davon sind sogar asphaltiert, andere gute Pisten. Grenze, Grenzkamm und höchste Gebirgserhöhung sind drei verschiedene Dinge. Der Erzgebirgekamm liegt manchmal deutlich diesseits der Grenze. Gleichzeitig bildet das Erzgebirge im Grenzbereich oft mehrere Kämme bzw. verschachtelte Nebentäler, sodass man beim Übergang ins tiefere Tschechien auch mit mehreren Anstiegen rechnen muss, ebenso bei Grenzwechseln. Besonders verwirrend ist die Topografie um Seiffen herum. Natürlich ist der Grenzkamm zu beiden Seiten nie ein einheitliches Plateau, sondern eine stete Auf- und Ab-Bewegung mit mehr oder weniger tiefen Einschnitten.

Soweit ich Tälern gefolgt bin – meistens weitgehend auf Flusshöhe geführte Straßen, waren diese ausladend und selten und nur spät steil – etwa am finalen Passanstieg unterhalb des Fichtelbergs, eine Variante des Plattenpasses (Horni Platna – Nejdek), der Rittersgrünpass (Bozi Dar – Rittersgrün via Zlaty Kopec) oder Maly Haj (Kleinhan, ab Deutschneudorf) . In Jöhstadt gibt es ortsintern einen kräftigen Anstieg, weil man der Talsohle nicht folgen kann bzw. ein Talwechsel Richtung Bärenstein erfolgt. Einige stärkere Anstiege könnte man leichter umfahren wie etwa meine Route nach Neuhausen (stattdessen Radroute in Rechenberg-Bienenmühle benützen) bzw. Seiffen via Berghof (stattdessen der oberen Flöha weiter folgen). Knackige kurze Anstiege gibt es natürlich auch immer wieder auf den Kammrouten. Dort fand ich aber weder längere Anstiege noch Grenzwertrampen, Schaltkünstler haben aber Vorteile.

Während die längeren Täler von Pöhla, Schwarzwasser oder Preßnitz im November ihre Schönheit nur erahnen lassen, überzeugten die Kammhöhen mit besonderen Farb- und Lichtstimmungen – sogar manchmal noch im Hochnebel. Die rotbraunen Lärchennadel legen die Grundlage für eine leicht rot leuchtende Bodenfarbe, weich gelbgrüne Pastelltöne grüßen von den Wiesen und zwischen den Hainen, die von Bächen feucht durchzogen werden, bleiben manchmal auch ganz verdörrt als blassgelber Bastteppich zwischen den vereinzelten Fichten und Tannen als lichter Spiegel des Himmels zurück. Erreicht man die abgestorbenen Geäste von Lärchen und Fichten, haben sich diese dicke Kleider von fein silbrig glänzenden Flechten überzogen. Als wären es Edeltannen, funkeln sie dann nahezu wie eine Schnee-überzuckerte Waldlandschaft – eine ganz eigene Charakteristik von schneefreier Vorweihnacht. Höhepunkt dieser Szenerie war die Strecke Maly Haj – Kalek.



Die Vorweihnachtsstimmung erreicht im Erzgebirge in den Abendzeiten ihre Stimmung durch die überall aus Fenster schimmernden Schwibbögen, nicht einmal verfallene Häuser sind davor sicher. Es gibt offenbar mehr Fensterbeleuchtungen als Einwohner, denn keineswegs lässt sich darauf auf bewohnte Häuser schließen. Kaum ein Ort, der nicht eine überlebensgroße Pyramide präsentiert, manche werden über das Fest des „Pyramiden-Anschiebens“ zum Leuchten und Bewegen gebracht. Während bereits am 22.11. der Freiberger Weihnachtsmarkt seine Pforten öffnete, stehen in kleineren Orten meist nur schmale Wochenendtermine an, wo es weihnachtliches Treiben gibt – selbst in Orten wie Oberwiesenthal.

Eine durchgehend gut besuchte Adventszeit ist hingegen Seiffen sicher, dass als Eldorado der Holzschnitzkunst mit seinen Geschäften auch eine ausreichende Zahl überregionaler Gäste anlocken kann. Untrüglich aber, dass diese Schnitz- und Lichterkultur nicht aufgesetzter Kitsch ist, sondern gelebte Tradition und Volkskunst. Nicht zuletzt ist das Licht der langen Nächte unmittelbar mit der Bergbautradition verknüpft, wo die Arbeiter morgens wie abends in die Schicht abfahrend, nichts als Dunkelheit um sich hatten. Jedes Licht ist also auch immer wieder Zeichen für das Gemüt gewesen, ein Zeichen täglicher Wiedergeburt mit der Rückkehr an die Erdoberfläche – ein Schimmer der Hoffnung im schweren und gefahrvollen Alltag. Nicht zuletzt lebt die Tradition in den Figurengruppen weiter, die Arbeiten und Funktion der Arbeiter detailgetreu wiedergeben und zu den beliebtesten Sammlerstücken gehören.

Wechselt man zur tschechischen Seite, verschwinden der Lichterglanz und die Holzschnitzliebe schlagartig. Lediglich einige Häuser leisten sich international bekannte Lichterketten oder anderen Weihnachtskitsch nach amerikanischem Vorbild. Entsprechendes Gezirpe findet man artgerecht auf den Vietnamesenmärkten, die es allseits in den tschechischen Grenzorten gibt. Selbst böhmische Glasbläserkunst ist nahezu gar nicht als Weihnachtsschmuck zu sehen. Wie ausgeprägt die spezifische Erzgebirge-Weihnachtskultur ist, sieht man gar beim Übergang ins Vogtland, wo dieser sich schon abschwächt, wenn auch noch sehr präsent.



Di 22.11. Petrovice – Hellendorf – Bad Gottleuba – Berggießhübel – Gersdorf – Börnersdorf – Liebstadt – Schlottwitz – Cunnersdorf – Reinhardtsgrimma – Dippoldiswalde – Reichstädt – Klingenberg – Grillenburg – Hilbersdorf – Freiberg – Brand-Erbisdorf
Ü: P Silvia 0 € (reg. unbek.)
AE (privat): Pizza, Salat, Rw, Bier 0 €
96 km | 1545 Hm | 14,4 km/h | 6:39 h

Beschränke ich mich auf wenige Höhepunkte dieses eher verstärkten Radeltages mit den 10 Postmeilen bzw. 20000 Ruten. Nach typischen Grenzmerkmalen wie Freudenhäusern, Free Shops, und gar Dienstleistern wie Zahnarzt für deutsche Wirtschaftsflüchtlinge überschreitet man beim eher verwitterten Olympiadenkmal (Fackellauf der Flamme im Jahre 1936) die Grenze. Bad Gottleuba – beschaulich und lecker. Köstliche selbstgemachte Pralinen direkt am Marktplatz – eine Empfehlung! Man kann dort sogar Gästezimmer mieten. Mondäner Klinikbau am Berg. Der Goethepark eine Enttäuschung. Hübsch durchaus der Tochterort Berggießhübel.

Mit den Auf und Abs zwischen den Tälern nehmen die offen Ackerhügel zu. Trotzdem manchmal stimmungsvoll. Eine Umleitung bei der Autobahn um Börnersdorf bringt mich in heftigen Gegenwind. Mitten in der Prärie ein Denkmal: Ich kreuze die Alte Dresden – Teplitzer Poststraße. August der Starke veranlasste das kursächsische Postmeilensystem. Dazu wurde Säulen nach einem spezifischen System aufgestellt. Es gab Abstufungen von Ganzmeilen-, Halbmeilen- und Viertelsäulenmeilen – von groß zu klein. Eine Postmeile bemaß dabei 9,062 Kilometer, was 2 Wegstunden oder 2000 Ruten entsprach. Eine Dresdner Rute war das kursächsische Längenmaß für 4,531 Meter.



Über Liebstadt thront ein verwunschenes Schlösschen, Besichtigungen sind nur auf Vereinbarung möglich. Nahe bei musste Napoléon einer seine vielen Niederlagen ins Auge sehen, auf seinem Rückzug von Russland. Da war ein schönes Schlafgemach im Schloss sicher recht. Eigentlich schade, dass der Ort sein Juwel nicht besser touristisch ausschlachtet – es beginnt eine Kette von Dörfern, die den Eindruck der Entvölkerung vermitteln. Zumindest gibt es kein Gewerbe, keine Jobs auf dem Lande. Einige dürften in die Städte Dresden, Pirna oder Freiberg weit pendeln, anders sind die toten Ort mit doch manchmal adretten Wohnhäuschen nicht zu erklären.

Novemberschicksal, dass überall gebaut wird. Die Straßen aber so aufzureißen, dass nicht mal ein Fußgänger vorbeikommt, ist schon ein wenig dumm. War das schon beim ersten Fall in Gopersdorf der Fall, so verwundert es in Reinhardtsgrimma noch mehr, wird dadurch das durchaus reizvolle Schloss ganz abgeschnitten – es sei dann, man möchte sich Schlammfüße einhandeln. Auch die Kirche mit Silbermannorgel hat die Tore geschlossen – so gewinnt man natürlich keine Reisegäste. Erwartungsvoll strebe ich auf das pittoreske Dippoldiswalde zu. Doch trotz Erzgebirgeschmuck in den Fensterauslagen und historisch gut instand gesetzter Stadt mit Schloss und Pflastersteinen finde ich kein einladendes Bistro. In der Bäckerei eher ein Küchenschlauch zum Sitzen und dazu Mikrowellennudeln. Auch hier könnte man etwas mehr Atmosphäre und Angebot schaffen.

Da Dippoldiswalde in einer Mulde liegt, erhält man ausgangs auf der Bundesstraßenkurve einen schöne Dächer-Panoramablick auf die Stadt. In Klingenberg wird man Richtung Freiberg den Berg runter nach Grillenburg geleitet, was eigentlich ein Umweg ist. Grund wird sein, dass die Einfahrt nach Freiberg ab Naundorf autogerechter ausgebaut ist. Tatsächlich macht sich die auch wirtschaftlich recht blühende alte Bergmannsstadt Freiberg mit starkem Feierabendverkehr bemerkbar. Ein stilles Idyll hingegen noch das zuvor passierte Jagdschloss Grillenburg, aus dessen vorgelagertem Teich aber das Wasser abgelassen wurde – statt Spiegelblick eher jetzt ein Kloakenblick. Das Idyll liegt mehr rückseitig mit den verfallenen Teilen des Schlosses und einem weiteren kleinen Waldsee.

Über meine disziplinierte Fahrt des Tages war ich nun doch ein wenig stolz, im erhofften Zeitfenster, die ganzen Auf und Abs hinter mir – nein, nicht ganz, auch Freiberg in einer. Nun war ich doch zu sehr aufgeregt, Birgit und Hans wiederzutreffen und zog frevelhaft schnell durch das weihnachtlich feierlich beleuchtete Freiberg – gerade hatte der Weihnachtsmarkt eröffnet. Überall prangen die Zeichen der Bergmannskultur, der leuchtende Hammer am Rathaus ebenso wie an den Schutzpalisaden zum Festgelände.



Die Ausfahrt ist bei Dunkelheit ein Wettkampf mit dem Berufsverkehr, nicht zuletzt ist auch Brand-Erbisdorf ein einwohnerreiches Umland von Freiberg. So wohnen auch „meine Sachsen“ in einem Neubaugebiet am Rande des Städtchens in ruhiger Lage, auf dem letzten Hügel des Tages. Wohl nicht bekannt, welche Schlaforte ich schon auf meine Radreisen alle hinter mir habe, wurde ich in eine Pension im Ort eingewiesen – eine geradezu luxuriös geräumige Ferienwohnung mit schickem Interieur. Mein Eintreffen quittierte Hans als „Wunder“ – ja gewiss, meine Sachsen sind keine Radler, da wird leicht ein Heldenmythos aufgebaut. Es ist hier wohl überflüssig zu erwähnen, dass der Abend ein großer Glücksmoment war, sind doch so wunderbare Menschen selten. Ich verneige mich nochmal in tiefer Beuge mit großem Dank vor Birgit und Hans für die extrem großzügige Gastfreundschaft. bravo Nicht zuletzt ist ja dieser Funke auf meine gesamte Tour übergesprungen und hat feuchte Augen gebracht.

Mi 23.11. Brand-Erbisdorf – Helbigsdorf – Mulda – Rechenberg-Bienenmühle – Talsperre Rauschenbach – Neuhausen – Berghof – Seiffen
B: Nussknackermuseum Neuhausen 4 €
Ü: P Bergmannshaus 45 € mFr
AE (R Holzwurm): Schweinekamm mittelsächs. m. Honig mariniert, Rösti, Salat, Apfelküchle m. Eis, Bier ? €
50 km | 820 Hm | 12,2 km/h | 4:06 h

Teils heiter war schon der Vortag, heute beginnt der Tag als Strahletag als müsste noch nachgefeiert werden. Von der Bundesstraße ab, schweift der Blick über einen gleichwohl entleerten Stausee, offenbar ein beliebtes Baderevier im Sommer. Das Muldetal zeigt die best möglichen Schattierungen für den November – das Tagesglitzerlicht blendend schön. Auch die Orte liegen lieblich eingebettet im Tal wie Helbigsdorf und Mulda. In Rechenberg-Bienemühle zweigt der Radweg von der Hauptstraße ab, diese windet sich nun kräftiger nach oben zu einem Sattelpunkt, der den Radfernweg Bayreuth – Zittau kreuzt. Den dichten Wäldern hier entfleucht man durch Abfahrt zum Speichersee, den eine markant bemalte Brücke überquert.



In Neuhausen wird es dann richtig knackig – mehr als ich jemals erlebt habe! 5300 Nussknacker warten auf den Besucher des Museum für die Schalenbeißer, alle erdenklichen Formen, international vom mexikanischen Banditen bis zur Fernsehmaus, vom Morgenland-Prinzen bis zum Bierseppl. Rekorde, Rekorde: Die größte Spieluhr der Welt lässt Tschaikowskys Nussknacker-Suite zu jeder vollen Stunde erklingen, erzählt die Geschichte vom bösen Mäusekönig, den das Mädchen mit einem Schuh verjagt und dafür mit Geschenken belohnt wird. Alles nur ein Traum oder Wirklichkeit? – Tanzen tut man ein allein schon wegen der Kälte. Gleich am Eingang wartet der Größte – auch ein Nussknacker, pneumatisch betrieben könnte er im Ernstfall kräftig zulangen (5,87 m, 1028 kg), er hat wohl Mühe einen willigen Zahnarzt zu finden. Doch ist der Größte nicht der Größte – ein neuer, grau melierter Edellangstangenhans hat es weit über alle Dächer geschafft (10,10 m, 3285 kg). Kleiner geht aber auch, z.B. 4,9 mm. Mancher hat schon viel gesehen, z.B. der Älteste, ein Eidgenosse aus Brienz, seit 1650 stand- und bissfester Fürst.

Das war es dann mit dem Licht. Der Hochnebel senkt sich tropfend nasskalt auf den Erzgebirgekamm und verschluckt die Geräusche. Seiffen zelebriert dann die Holzschnitzkunst und die Weihnachtsseligkeit im Lichterglanz in Vollendung. Zwar nennen sich die Männlein und Weiblein, die Engelchen und Pinguine, die Pyramiden mit dem Heißluftmotor eines Kerzenlichtes „Spielzeug“ – doch ist es hier nicht unähnlich zu den Spielzeugeisenbahnen: Es sind detailversessene Kleinodien für Sammler und kosten bis zu einem kleinen Vermögen. Die meisten Räuchermännchen vernünftiger Tischgröße beginnen bei ca. 30 Euro, eher 50 Euro. Ein Für Bergarbeitergruppen mit 5-8 Figuren in je ca. 10 cm Größe legt ab ca. 50-70 € hin, kann auch dreistellig werden. Pyramiden und Schwibbögen der kunstvollen Art kommen kaum unter 200-300 € über die Theke und für Figuren in Gartendekorgröße verlangen über 500 Euro für eine legale Übernahme.

Designs, wie sie hier angeboten hat, findet man anderorts nur in sehr eingeschränkter Auswahl. Die Kunst trägt hier deutlich lebendige Weiterentwicklung, neue Modelle oder gar Modellreihen gibt es jedes Jahr. Die Faszination stellt sich ganz ohne Weihnachtsdaddelei ein. Es ist einfach schön und entzückend. Überlebensgroß Küssen sich zwei Holpuppen über einem der Verkaufsläden, die hier gleichwohl eine Museumsmeile ersetzen. So muss ich nicht klagen, das hiesige Spielzeugmuseum nicht begutachten zu können, weil schon geschlossen.

In der alten Bergmannspension kann ich noch die 5 Euro Zuschlag für die 1-Nachtübernachtung runterhandeln, ohnehin wurde die Preise nur wenig Tage zuvor auf Hochsaisonniveau angehoben. Das Haus ist eine Empfehlung wurde auf der Basis alter Bergmannshäuser bis in viele Details eingerichtet und geht bis auf das Jahr 1705 zurück. Selbst der Frühstückstisch ist liebevoll in Szene gesetzt. Nicht weniger charmant das Restaurant Holzwurm mit einer Fülle von Holzschnitzwerk und einer Speisekarte mit einem „echten“ Holzwurm – aus Holz, versteht sich.



Den Tagesabschluss bildet die Seiffener Bergkirche im streifigen Scheinwerferlicht, als wäre ein Sternenschweif in dieser mystischen Nebelnacht unterwegs. Die Seiffener Bergkirche ist mit ihrem achteckigen, fast rundem Bau eine Vorlage für die Dresdener Frauenkirche gewesen und weltweit die vielleicht bekannteste Kirche – wenn auch nicht vom Namen. Tatsächlich ziert ihr geschnitztes Abbild zahllose Pyramiden und Schwibbögen, die in aller Welt gerne als Erzgebirgekunst gekauft werden.

Musiktipp: Der tschechische Pianist Emil Viklicky lernte erst in Mathematik und den Naturwissenschaften, schaffte aber zum Glück den Sprung in das schöngeistige Musikfach. In diesem rein tschechischen Trio mit dem nicht weniger renommierten Bassisten Frantisek Uhlir hört man sogar ein wenig die böhmischen Wasser erklingen, wie man es auch bei Smetana findet: “Bezi, voda bezi – Gone with water“ (6:33 min.).

Do 24.11. Seiffen – Deutschkatharinenberg – Hora Svaty Kateriny – Maly Haj/Rudolive v Horach (844 m) – R23 – Kalek – Reitzenhainer Pass (840 m) – Reitzenhain – Steinbach – Schmalzgrube – Jöhstadt (788 m)- Bärenstein – Oberwiesenthal
Ü: FeWo/GZ Settner 20 € oFr
Ae (R Central): Erzgeb. Kartoffelpuffer, Rahmgeschnetzeltes, Bier, Quarkkeulchen m. Apfelmus ? €
74 km | 1475 Hm | 12,0 km/h | 6:13 h

Nein, der Nebel ist nachts nicht verschwunden, sondern liegt weiter tief über den Auen und Tälern, kann aber den schönen Landstrich nicht ganz verdecken. Bereits die Anfahrt außen um den Berg rum nach Deutschkatharinenberg ist stimmungsvoll, mehrere charmante Einkehrmöglichkeiten liegen auf der Strecke. In der Schauwerkstatt werden Steine aus aller Welt nach Auftragsstellung geschliffen – auch heimische Steine sind dabei, die Verkaufsware aber entsprechend klein gehalten.

Weiter nach oben, die Straße ein wenig steil, melden sich erste lichtbrechende Boten in den Tropfen auf Gräsern und an Zäunen. Die Blautanne an einem Fischteich leitet ein, was wenig später auf Kamm wahr wird: ein Farbenrausch im Silbermantel, als wäre hier ein Weihnachtslandschaft, die ganz ohne Schnee auskommt. Die Idylle findet sich auf der Radroute, an der auch mehrere kleine Seen liegen. Das Terrain ist stark wellig, die Kammroute immer wieder als Gerade lang gezogen. Bei Kalek taucht ein stimmungsvolles Kirchlein außerhalb des Ortes auf, nahebei müsste das Hotel sein, das ich eigentlich eingeplant hatte. Ob offen, ist ohne separaten Stichweg hinauf nicht zu sagen (gilt als fahrradfreundlich).



Die Straßenroute nun weniger aufregend, zu spröde sind hier die Gräser geworden, weniger der farbenfrohe Lärchenhumus. Doch auch die Sonne beendet früh ihren Dienst und lässt den Tag trübe vor sich hinsiechen. Beim Grenzübergang Reitzenhain stößt man auf eine verkehrsträchtige Transitstrecke zwischen Marienberg und Chomutov. Nach Steinbach ist es wieder beschaulich – schon fast zu beschaulich, so hat man Angst um eine gewerbearme Region, wo der Bäcker nur wenige Stunden mal morgens, mal nachmittags öffnet.

Das Preßnitztal ist weniger eine Novemberdomäne, hängt bereits zu tief mit schlichter „Normalvegetation“. Da braucht es frisches Frühjahrs- oder Sommergrün, um das Tal zu schmücken. Aber man ahnt auch hier, welch hübscher Landstrich. Nach Jöhstadt steigt man kräftig innerhalb des Ortes und landet auf einer eher langweiligen Hochebene, gleitet ab und fast eben alsbald über Bärenstein, gegenüber genauso eine Straße auf der tschechischen Seite, die industriell geprägt ist. In der Dunkelheit bleibt aber meine Sicht auf wenige Schwibbögen und den Lichterglanz des städtischen Vejprty beschränkt.

An der Straße hätte es einige Gasthöfe zur Einkehr gegeben, umso überraschender, dass ich in Oberwiesenthal Mühe habe, eine der einfacheren Unterkünfte offen vorzufinden. Schon entschlossen, den Ort zu verlassen, sehe ich noch ein Schild „Gästezimmer“ und war just in time dort, weil der Inhaber als Pendler erst gerade ins Haus gekommen war. Als überraschter Alleinerbe muss er den Renovierungsbedarf über Zusatzeinnahmen aufstocken. Er wollte mir die Folgewoche schmackhaft machen, wenn weihnachtliche Blasmusik am Markt Leben und Atmosphäre in den jetzt eher zu ruhigen Ort bringt.



Fr 25.11. Oberwiesenthal – Wiesenthaler Pass/Neues Haus (1083 m) – Bozi Dar – R2008 – Myslivny – Rittersgrüner Pass (980 m) – Zlaty Kopec – Böhmische Mühle – Rittersgrün – Pöhla – Schwarzenberg – Breitenbrunn – Johanngeorgenstadt – Horni Blana – Plattener Pass (914 m) – Novy Hamry – Nejdek
Ü: H Anna 37 € mFr
AE (dito): Schweinefilet m. Käse & Schinken, Bratkart., Bier, Palatschinken m. Heidelbeeren/Sahne 10 €
79 km | 1025 Hm | 13,6 km/h | 5:48 h

Der Zerrkampf zwischen Nebelwolken und Aufheiterung setzt sich schwerfällig fort. Ob es der Dampf der Lok der Fichtelbergbahn ist, die gerade am Morgen startet? Am Fichtelbergpass ist die Sichtweite kaum 50 Meter. Die restlichen knapp 150 Hm lohnen hier nicht zu fahren. Mit Aussicht ist nicht vor 1-2 Stunden zu rechnen, wenn überhaupt. Der Tag bleibt unentschieden. Zwar hellte es zur tschechischen Seite auf – das hätte aber evtl. nur eine Auffahrt zum Klinovec (Keilberg) begünstigt, der Fichtelberg blieb wohl dauernd etwas versteckt. Also weder höchster Berg des Erzgebirges noch höchster Berg Sachsens – keine Heldentrophäen heute. Nun ja, es sind ja eher Bergkuppen. Dennoch umgibt sie eine spezifische Bergwiesenflora, die allerdings auch den Sommer braucht.

Bozi Dar (Gottesgab) ist eines der wenigen Beispiele, wo die tschechische Seite belebter ist als die deutsche. Der Ort besteht aus zahllosen Pensionen, Hotels und Kneipen, hat sich zusammen mit dem Fichtelbergareal zu einem Zentrum des Skitourismus entwickelt und offenbar auch ausreichend Potenzial für die schwachen Zwischenzeiten – sogar ein Bus ankerte vor einem Hotel. Der Ort ist aber keinesfalls hässlich, wirkt charmant und lässt sich einiges für die Gäste einfallen. Die Loipen- und Radwege werden begleitet von lustig bemalten Holzstumpen und Wurzelwerke, Kinder finden Schaukeln, Naturinfos oder auch Geschichten wie etwa auf dem Christkindl-Weg.

Aus dem Wald raus und zurück auf Straße, zweigt bei einem Trinkwasserspeicher die Rittersgrüner Passroute mit recht kräftigem Anstieg und nicht durchgehend asphaltierten Weg ab. Auf Vereinbarung kann man einen alten Bergstollen besichtigen, die Streusiedlungen haben viele historisch interessante Wurzeln. An der Böhmermühle kehrt man auf die Fichtelbergpassstraße zurück. Dieser unnötige Umweg ist wegen des urwüchsigen Bergcharakters aber durchaus lohnenswert. Für eine offizielle Führung am Museumsbahnhof Oberrittersgrün kann ich mich nicht entschließen und fahre daher nach dem Erwerb von etwas Plauener Spitze ins Pöhla-Tal ab. Auch hier stellt sich die Bergwerksregion in den Vordergrund, so auch in den überlebensgroßen Holzmännchen an der ansteigenden Straße zur Altstadt in Schwarzenberg.



Schwarzenberg – als Perle des Erzgebirges betitelt – ist sehr lebendig, wenngleich der angeschriebene „Radladen des Erzgebirges“ keine bedeutende Adresse ist (halb Motorrad). Den Stadtrundgang beendet man mit dem Schloss, welches ein Sackgasse auf dem Berg darstellt. Zuvor durfte ich aber dem Glockenspiel auf Meißener Porzellan zuhören, das mal wieder rechtzeitig erschallte. Die Porzellanglocken werden hier durch Holzläden geschützt und nur zum Spiel offen gelegt.

Das Schwarzwassertal, wieder ein Tal der leichten Art, lässt sich gut an, zeigt sogar etwas Fels Bergtalcharakter. Der Verkehr stärker, aber durchaus erträglich. Johanngeorgenstadt lasse ich über mir am Berg liegen, weil die Dunkelheit mich wieder einholt. An der tschechischen Grenze großer Trubel mit Blinklichtern und den schon bekannten Asiamärkten. Erstmals sehe ich überhaupt, dass es auch Kunden gibt. Der Spuk ist schnell vorbei, es folgte eher böhmische Idylle, das Tal verschärft nun die Steigung etwas. Tatsächlich hart ist die Steigung von Horni Blana rüber nach Novy Hamry. Die dortigen Hotels machen auf mich eher einen zweifelhaften Eindruck und ich jage das Tal noch weiter runter bis Nejdek (Neudeck), zwar eingangs von Fabriken gesäumt, im Stadtkern aber von schmucken Jugendstilhäusern umschlungen wie in viele tschechischen Städten zu finden.

Digitaltrack SBV-3/4

Bildergalerie SBV-3 (182 Fotos):



Fortsetzung folgt