Grand Ballon d'Alsace - Natzwiller

von: veloträumer

Grand Ballon d'Alsace - Natzwiller - 08.11.17 20:32

VII. Vogesen Süd/Mitte: Grand Ballon d'Alsace - Vallée de la Meurthe - Natzwiller – oder:
Les Peintures des Cascades et des Morts


28.4.-1.5.2017 | 4 Tage | 319 km | 5005 Hm

Mal wieder sorgte der Kalender für ein verlängertes 1.-Mai-Wochenende. Arbeitnehmerfreundliche Feiertagskonstellationen sorgten in den letzten Jahren – 2017 keine Ausnahme, eher ein grauseliges Musterbeispiel – für reichlich Verdruss. Temperaturen im Keller und dunkle Wolken über der Radmütze – nicht selten die Mithilfe der Kapuze der Regenjacke gefordert. Es machte da keinen Unterschied, ob frühes Frühjahr mit Ostern, spätes Frühjahr mit Pfingsten oder mittendrin eben der 1. Mai. Radreisen also eher als Härtetest – hier nicht anders. Sogar wollte ich die Überschrift wählen „Winter im Mai“, was vielleicht aber auch übertrieben wäre, denn überwiegend ist es ja Ende April und nicht ohne Lichtblicke gewesen. Erschütternd noch mehr, da zwei Wochen vorher Warmfronten zum trotzdem kalten Ostern fast sämtlichen Schnee von den Mittelgebirgskämmen verdrängt hatten. Alles für die Katz – zum Tag der Arbeit waren Schwarzwaldhöhen (dort wohl teils bis unter 700 m) und etwas weniger auch Vogesenkuppen neu eingepudert.

Das Scheusal Wetter war in schon grotesker Weise einem Ziel meiner Reise angemessen, oder sagen wir umgekehrt, das Wetter zeigte sich angemessen trist und unbarmherzig kalt bis in alle Knochen hinein, als ich das ehemalige Konzentrationslager Struthof am Schlusstag besuchen wollte. „Wollte“ deswegen, weil es bei einigen Außenansichten blieb, derweil das Museum zwar nahezu das ganze Jahr geöffnet hat mit wenigen Ausnahmen. Im streik- und revolutionswilligen Land der egalité allerdings auch schon wieder fast zu erwarten: geschlossen natürlich am 1. Mai, wo der Arbeitnehmer eben frei hat. Da ist doch irgendwas nicht gut durchdacht. Gewiss, an diesem 1. Mai hätten sich nur wenige Besucher eingefunden, die Vogesen tauchten in wenig ausflugfreundliche Weltuntergangsstimmung.

Es war dann die Eingebung vor Ort, den Bildern ästhetischer Schönheit von Wasserschwallen – trotz Wolkengrau und Niesel an Faszination nicht einbüßend, eher gewinnend; gemeinhin Wasser die Inkarnation des Lebens – der verstörenden Tristesse die Bilder des Todes gegenüberzustellen. Während Natzwiller mit dem Camp Struthof und dem Cascade de la Selva das gesetzte Ziel im Norden war, wollte ich im Süden die mir noch unbekannte Südanfahrt über den Ballon d’Alsace ab Giromagny und mit Saut de la Truite anschauen. Blieb die Forellenkaskade etwas hinter meinen Erwartungen zurück, konnte die Cascade du Rummel diese kleine Enttäuschung wieder kompensieren.

Obwohl es in den Vogesen immer wieder eine Vielzahl fahrbarer Pisten gibt, muss ich hier auch zur Vorsicht mahnen. Denn nicht alles, was auf Wanderkarten als Pisten eingetragen ist, eignet sich für eine Beradlung mit gängigem Touren- bzw. Reiserad. Unter den Varianten, die ich an den südlichsten Vogesenausläufern zwischen Rougemont und Giromagny ausprobieren wollte, sorgte in Teilen für Probleme bzw. musste ich wegen offensichtlicher Unfahrbarkeit absagen. Dabei spielt die zu dieser Jahreszeit in den dunklen Wäldern noch gut konservierte Feuchtigkeit und damit rutschiger Steine wie tiefer Waldböden eine zusätzlich erschwerende Rolle.

Ein Offroad-Highlight konnte ich dann doch noch entdecken, wenn auch an anderem Ort, wieder eher nahe Natzwiller, mit dem Col de la Perheux als Übergang von Waldersbach nach Wildersbach. Unter den Straßenrouten überzeugte – eigentlich erwartungsgemäß – das Vallée de la Meurthe als liebliches Wiesental mit gebirgstypischen Talschluss und sanftem Tourismus, während noch kurz zuvor im Vallée du Chajoux unrühmliche Liftanlagen- und Skipistenverbauungen die romantischen Eindrücke geringfügig eintrübten.

Ein eher unattraktiver, auch schon mal stärker befahrener Pass ist der Col de Saales – und zwar zu beiden Seiten, also auch im Norden. Es macht im oberen Bruche-Tal daher Sinn, möglichst schnell alternative Routen über (östliche) Abzweigungen zu suchen. Man kann hier dann unter Einbezug kleinerer Pässe um den Berg Climont rum recht schöne Umwege fahren, eine möglichst nahe parallele Routenführung mit Ziel Schirmeck ist ebenso unter Einbezug von Pisten (Perheux-Pass) möglich, wobei ich allerdings selber eher im Zickzack zum Bruche-Tal eine solche Alternative nur in Intervallen gefahren bin. Zur Südseite zeige ich hier eine ebenfalls östlich gelegene, reizvolle Alternative auf, auch weniger anspruchsvoll als weiter entfernte Routen im Westen, mit nur kleinem Anteil auf dem oberen Teil der Saales-Passstraße.



Fr 28.4. Stuttgart 12:59 h || per Bahn || 17:30 h Mulhouse - Dornach - Morschwiller - Burnhaupt-le-Haut - Guewenheim - Lauw - Rougemont-le-Château - Leval - Rougemont - Golf de Rougemont - Rougemont - San Nicolas (+)
55 km | 14,6 km/h | 665 Hm
AE (R Sur le Green, Golf de Rougemont): Aubergine-Crème, Morschelschaumsuppe, gedünstetes Fischfilet/Gemüse/Kart.quiche, Merengue m. Crème/Heidelbeereis/Fruchtsaucen, Rw, Café, 40 €
Ü: C frei

Wie schon oben angerissen, hatte ich noch durch die Fenster des Bahnwagens den ernüchternden Blickevergleich zu meiner in Teilen identischen Bahnanreise zur Ostertour. Bei Freiburg senkte sich die Schneegrenze der frisch eingepuderten Schwarzwaldhöhen bedenklich weit nach unten. Zwei Wochen zuvor war nirgendwo Schnee. Mir schauderte wohl, war es bereits ohne Schnee zu Mitte April nicht gerade eine Frühlingstour in vergleichbaren Mittelgebirgslagen. Das Schaudern bekam schon ausgangs Mulhouse neue Nahrung, da sich erste Regentropfen meldeten. Es blieb jedoch bei einer Andeutung, ungeachtet dessen musste ich die Zeltnacht bei Bodenfrost überstehen.

Hatte ich am Bahnhof zu Mulhouse noch meinen jungen, auch mit Velo bewaffneten französischen Gesprächspartner aus dem Zug um eine Richtungsangabe zur Ausfahrt gebeten, erwies sich dessen Orientierungssinn in seiner eigenen Stadt jedoch als dürftig. So unterlag meine Ausfahrt ein paar unnötigen eckigen Verrenkungen, um auf meine geplante Route zu gelangen. Unweit der Straßenkreuzungen bei Burnhaupt-le-Haut steht dem geneigten Radler der Doller-Bahntrassenradweg zur Auswahl, die Straße ist aber auch kein Fehler. Ab Lauw ist es mit Flachradeln auch vorbei, wenngleich eher nur moderate Steigungen hoch zu einem Golfplatz. Das hier nur wenig unterhalb der Straße gelegene Restaurant verschmähe ich zunächst ob möglicher versnobter Kundschaft, doch treibt mich nach erfolgloser Alternativsuche in und um Rougemont der Hunger dorthin zurück. Die Küche dort ist schon ein Hauch Gourmet, das Ambiente eigentlich ganz passabel, nicht zu edel, die Toiletten aber mit technischen Eigenheiten bis zur Funktionsunfähigkeit. Eher erwartungsgemäß knallen den ganzen Abend Champagner-Korken in der Snob-Lounge – wohl feiert ein Clubmitglied Geburtstag – der Laden läuft trotz Krise rundum.



Sa 29.4. San Nicolas - via Waldpisten - Le Trou du Loup (753 m) - Lamadeleine-Val-des-Anges - Étueffont - Giromagny - Saut de la Truite - Cascade du Rummel (exc. via Piste) - Col du Ballon d'Alsace (1173 m) - St-Maurice-s-Moselle - Le Thillot - Ferdrupt - via Rue Chatelet - Col de la Sure (745 m) - Les Pre Herque - Col de Morbieux (791 m) - Saulxures-s-Moselotte - Cornimont - La Bresse - dev. La Rételère/Vallée du Chajoux
98 km | 11,6 km/h | 2110 Hm
AE (Asia-R, La Bresse): div. gedünstete Teigtaschen, Ente/Reis, Ananas überb., Rw, Cafe 21,10 €
Ü: C frei

Mangels sichtbarer Freiräume radelte ich zur Nacht noch weit ins Tal hinein, das nach San Nicolas – mehr Weiler als Dorf, aber doch mit eigener Kirche – auch steiler ansteigt, bereits in Piste übergehend. Es blieb nur wenig Platz direkt neben einer Wegeverzweigung – eigentlich direkt am Abzweig zum Trou du Loup, eine Art Passhöhe mitten im dunklen Nadelwald. Abwärts nach Lamadeleine-Val-des-Anges ist die Piste im Gegensatz zu zuvor nicht mehr gut fahrbar und entwickelt Trail-Charakter – umgekehrte Routenführung nicht zu empfehlen. Zudem besteht ein Auszeichnungswirrwarr samt wenig plausibler bis widersprechender Wegesperrungen. Diese Waldpistenpassage bedeutet landschaftlich keinen großen Gewinn, wäre da nicht das Val des Anges hinunter nach Étueffont – eine gelungene Mischung verträumter Talwiesen, rauschender Bergbachpassagen, verwunschener Sumpfecken und idyllischen Weilern.

Erst mit den Einkaufsmöglichkeiten in Giromagny darf der frühstücksbetrogene Magen wieder jubeln. Bleiben die Ortsansichten hier am Südfuß der Vogesen hinter dem Postkarten-Fachwerk des sonstigen Elsass eher zurück, darf man sich bei der Osteinfahrt von Giromagny über ein kleines Mühlen- und Schleusenidyll freuen. Trotz Feiertagswochenende, Einzugsgebiet Belfort und Ausflugs-Evergreen Ballon d’Alsace, und damit auch unvermeidlicher Motorradkolonnen (doch eher schwach) dünkte mich eher abfallende Gastronomie und schwächelnder Tourismus zu beobachten. Das bestätigte sich an der Belchenstraße mehr oder weniger deutlich – besonders auffällig in dem geschlossenen Hotel/Restaurant am Cascade de la Truite – einem Wasserfall direkt in der Straßenkurve.

Während die Straße in Serpentinen aufsteigt, kann der Wanderer einen Wasserfallweg geradewegs hinauflaufen. Von einigen Serpentinen gehen Pisten ab, die diesen Wasserfallweg immer wieder kreuzen und gleichwohl für Wanderer oder aber auch Radler reserviert sind. Auf solcher Piste zweige ich ab zur Cascade du Rummel, die eher ein Ensemble verschiedener Fallstufen ist als ein einziger Strahl wie der Forellen-Wasserfall. Die Piste führt steiler und weiter ggf. auch zu einem Bergsee, indessen mir aber die Piste dahin zu schwierig sein will.



Der mir neue Streckenteil endet mit der Einmündung der Ostanfahrt – weiter unten zu unterteilen in die Alfeld-See-Route und die einsamere, waldreichere Hirtzelach-Route. Noch eine weite Schleife unterhalb der Passhöhe, kündigt sich dieser aussichtsreiche und immer noch gut bewirtete Belchenberg meist durch Gleitschirmflieger an. Ich wähne mich im Glück, die richtige Ecke für die Tour ausgesucht zu haben, gibt es hier doch weniger (kaum) Schnee als am östlich sichtbaren Grand Ballon oder gar in den oberen Etagen des Schwarzwaldes. Eine Abfahrt hier ist dennoch ziemlich frisch, selbst wenn die Abendsonne den Tag nochmal erheitern kann.

Den mit herrlichen Mooskaskaden begleiteten Col de Morbieux muss ich (gerne) wiederholen, wenn ich den mir noch unbekannten Col de la Sure auf einer Durchfahrtsroute erobern und auf Pistenexperimente verzichten möchte. Der Col de la Sure selbst kennt nur eine ganz kurze Pistenpassage im oberen Teil, in diesem Fall auf der Auffahrtsseite. Landschaftlich unterscheidet er sich deutlich vom Morbieux-Pass, geht es doch weitgehend über offenes Wiesen- und Weideland, auch lange an Gehöften oder auch normalen Siedlungshäusern vorbei – durchaus eine sehr lohnende Bereicherung in der Kollektion der Vogesenpässe. Erkaufen muss man sich diesen Reiz allerdings mit einigen heftigen Rampen, die zu beiden Seiten warten, und sich auch am Col de Morbieux wiederfinden – zumindest in einem Teil auf dessen Südflanke.

Vielleicht war es falscher Ehrgeiz, die kompakte, mir bekannte Infrastruktur inklusive Camping des Dreh- und Angelpunktes Cornimont schon mehrerer Vogesentouren auszuschlagen, um noch etwas Strecke zu machen. Denn das scheinbar geschäftige La Bresse schrumpfte im Speisenangebot schnell zusammen ob überfüllter oder geschlossener Betriebe und der ausgewiesene Camping befindet sich mehrere Kilometer entfernt das „falsche“ Tal hinauf. Die Alternative Hotel ist nur mit einem teuren Haus präsent. Generell sind sowohl die weit verstreuten Übernachtungs- wie Gaststuben-Alternativen ohne Kilometerangaben und Öffnungsmodalitäten ausgewiesen – nicht gerade informativ für einen Radler, kommt noch eine anspruchsvolle Topografie hinzu. Wie schon tags zuvor steht eine Nachtfahrt im Bergmodus an, zieht sich die besiedelte Zone erstaunlich lange den Berg hoch, bevor sich Lücken zum Zeltaufstellen ergeben.



So 30.4. La Rételère/Vallée du Chajoux - Lac de Lispach - Col des Feignes sous Vologne (955 m) - Le Collet Schlucht (1100 m) - Le Valtin/Vallée de la Meurthe - Plainfaing - Fraize - Col de Mandray (694 m) - Col des Chauffours (637 m) - La Croix-aux-Mines - Bertrimoutier - Combrimont - Lusse - Colroy-la-Grande - Col de Saales (554 m)/Saales - Bourg-Bruche - Col de Salcée (585 m) - Stampoumont - Colroy-la-Roche - St-Blaise-la-Roche - Fouday - Waldersbach - Col de la Perheux (699 m) - Wildersbach – Natzwiller
92 km | 12,8 km/h | 1580 Hm
AE (Auberge Metzger): Lachs m. pochiertem Ei, Ente/Spätzle/Pommes/Gemüse/Pilze, Eis m. Merengue, Rw, Cafe 42,50 €
Ü: C frei

Ich könnte ja jubeln, wenn morgens die Sonne sich am Horizont ankündigt. Doch die Horizontüberwindung im Vallée du Chajoux dauert und indessen haben sich die Finger in Froststäbe verwandelt. Vom Zelt muss ich das Eis abklopfen. Nur wenig weiter aufwärts erreiche ich gar einen See, anbei auch ein Betrieb mit Campinggelegenheit und Gastronomie. Doch war dieser ohnehin geschlossen wie die meisten Betriebe fortan insbesondere beim zweiten See, dem Lac de Lispach, wo sich weitere Liftanlagen befinden. Alles Winterbetrieb, für den See gilt gar Badeverbot – quasi fast die Regel für Vogesenseen, von wenigen kommerziellen Aqua-Hotspots abgesehen (etwa Gerardmer).

Die Wege nun immer noch kalt durch dunklen Nadelwald, erst ab, dann auf zur Straße zum Col de la Schlucht, die ich nur wenig unterhalb der Passhöhe überquere. Unmittelbar gleich wieder hinunter ins Meurthe-Tal, der Sonne gegenüber günstiger gelegen, daher langsam ein Hauch von Wärme spürbar. Hat man die halboffene Waldpassage mit Serpentinen hinter sich, öffnet sich bei Le Valtin ein Tal mit lieblichen Auen. In Le Valtin gibt es Ballon-Unterkünfte mit durchsichtigen Himmelblickkammern – die Talromantik soll sich in die Träume hineinarbeiten.

Der Maien-Monat wird in Fraize schokoladig zelebriert – hier sind Maiglöckchen und Spargel aus süßem Pralinenschmelz augen- wie gaumengerecht gefertigt. Die Confiserie des Hautes Vosges, ein Pilgerzentrum für Süßkinder mit Fabrikverkauf, eigentlich auch eine meiner Zieladressen dieser Reise, nur wenig zuvor oberhalb Plainfaing gelegen, hatte allerdings am Sonntag geschlossen. Eigentlich dürfte ich anfangs geäußertes Wettergemecker gar nicht so laut herausschreien, ist es an solchem Tage sogar möglich ein Sonnenbad zu nehmen. Wären da nicht überall die Mengen an Zecken, der Vogesen-Wildheit sei schuld.



Nach dem mir schon bekannten Col de Mandray geht es schneller als erwartet hinunter in weitere liebliche Tallandschaft mit dörflicher Sonntagsstille. Aus dieser schreit auf ein Schrecken im Blicke, nicht zu hören, weil die Schreie still – die Kreuze der Soldatentoten in Bertrimoutier. Diese Friedhöfe sind im Elsass schon eine Art charakteristisches Landschaftselement, Plantagen-Mahnmale der menschlichen Verbrechen. Ich zweifle, ob die Kreuzfelder reichen werden, den Frieden dauerhaft gemahnend zu ernten und die immer wieder neu zündelnden Worte des Hasses zu verbannen?

Hier bei der Kirche achte man auf den Abzweig in Richtung Combrimont – eine schöne Parallelstrecke zur verkehrsreichen Saales-Passstraße, wie schon eingangs erwähnt. Hangelt man sich leicht wellig weiter bis Lusse (und unweit des Vogesen-Autotunnels, der St-Die mit Ste-Marie verbindet) setzt sich die Parallelroute nun stärker hügelig und einsamer fort. Auch in Colroy-la-Grande geht diese Route noch weiter, schließt später zur Bahnlinie auf und passiert ein Motocross-Gelände, das nur noch wenig entfernt von der D420 liegt, auf der man nun nur noch eine kurze Strecke bis nach Saales – ebenso Ort wie Passhöhe – zu absolvieren hat.

Von Saales kann man auf eine Radroute umsteigen, was sich bei schneller Marschrichtung bis zum Abzweig in Bourg-Bruche kaum lohnt. Das Seitental dann beginnt recht hübsch, wird nach oben zum Salcée-Pass aber langweiliger. Wer es noch nicht kennt, sollte ein Stück weiter über den Col de Steige fahren, wo sich der dem anliegenden Berg gleichnamige Marmeladenhersteller (auch Süßwaren) Climont befindet, der auch Führungen zur Produktion anbietet. Die von mir eingeschlagene Nordroute ab dem Col de Salcée steigt nunmehr stärker an und überwindet ein kleines bäuerlich besiedeltes Hochtal.

Wie schon o.a. muss ich es hier offen lassen, ob von Colroy-la-Roche ein brauchbarer Pistenübergang nach Bellefosse bzw. Waldersbach existiert. Eher dürfte mein Straßenweg ohnehin schneller gewesen sein, denn auch von Fouday nach Waldersbach fährt man in einem noch eher flachen Wiesental auf. Im Bruche-Tal wird allerdings gleich das hohe Verkehrsaufkommen deutlich. Etwas überraschend verfügt Fouday über eine Nobelherberge mit großer Parkanlage, die immerhin öffentlich zugänglich ist. In Waldersbach ist dann aber gleich wieder Vogesenstille – oder aber auch Stillstand, denn die einzige Auberge hat geschlossen.

Noch immer ein Rest Abendsonne, entschloss ich mich zum Durchstieg über den Col de Perheux, obwohl ich über die Pistenqualität nicht zuverlässig informiert war. Die Asphaltpassage in Waldersbach besteht aus einer heftigen Rampe, die Piste dann deutlich gemäßigter, zwischenzeitlich sogar mal fast flach. Der Zustand ist zudem sehr ordentlich, etwas rutschiger nur ein kurzes Stück abwärts im Norden, dann aber bald wieder Asphalt, auch ein Bauerngasthof (ungewiss ob geöffnet). Auch die Nordseite ist heftigste Rampe abwärts einschließlich der Ortsdurchfahrt Wildersbach. Landschaftlich gewinnt man eine aussichtsreiche Auffahrt, eine Höhenallee nebst Heidelandschaft zur Rechten. Zur Nordseite dann sehr eng und schluchtig, Wildersbach schon kühn und alpin ins Tal gestaffelt, erinnerte mich spontan an ein Nebental des Krippenbachtals bei Reinhardtsdorf in der Sächsischen Schweiz.

Es hätte hier auch eine abkürzende Höhenroute nach Neuviller-le-Roche und Natzwiller gegeben, die ich aber mangels Kartenstudium und wegen der steilen, zu flotten Falllinie in Wildersbach übersehen hatte. So geht es recht weit unten erneut nach oben, die Steigung ist aber zumindest bis zum unteren Ortsteil von Natzwiller nicht so prominent. Die Auberge Metzger scheint eine recht angesagte Adresse, wohl auch wegen sehr üppiger Portionen. Gewiss kann man dort bequem übernachten, doch suchte ich ja das Abenteuer in der Wildnis und den Test des neuen Zeltes – das auch gleich versagte. Wasserfälle bieten ja manchmal ganz gute Biwakiermöglichkeiten – hier jedoch weniger. Zur Cascade de la Selva steigt die Straße bereits innerorts steil an, der folgende Weg jenseits des Parkplatzes ist dann als Piste eher zu steil zum Radeln.



Mo 1.5. Natzwiller - exc. Cascade de la Serva (Wanderung, ~ 2,5 h) - Natzwiller - Struthof (camp, musée de la resistance) - Col de Chenagoutte (840 m) - Mullerplatz (980 m) - Champ du Messin (984 m) - Col de la Rothlach (952 m) - Klingenthal - Ottrott - Obernai - Meistratzheim - Erstein - Nonnenweier - Lahr 19:38 h || per Bahn || 22:40 h Stuttgart
74 km | 16,1 km/h | 650 Hm

Gewiss, die Nacht war die mildeste von allen, ohne Frost. Das konnte nun aber nur ein schlechtes Zeichen sein – ein Wetterwechsel. Die noch relativ stabile Lage der vorausgegangenen Tage wich einer heftigen und durchgreifenden Eintrübung, die sich schon nachts über Regen anmeldete. Es sah zunächst nach Dauerregen aus und zumindest eine Wanderung zum Wasserfall schien da ganz passend. Die Piste hier war nicht nur steil, sondern durch den Regen auch tief und klitschig – also in der Tat unfahrbar, zumindest aktuell. Zudem lohnt es für die Erkundung den auch ausgewiesenen Wegen zu folgen, die von der Hauptpiste abweichen und teils nur einen Pfad beschreibt. Der Cascade de la Selva mag nicht unter den Top-Attraktionen der Vogesen rangieren, das kann aber nur ein Fehler sein. Dabei ist nicht nur die letzte und höchste Gefällstufe der Blickfang, sondern das ganze Ensemble von Kaskaden im oberen Viertel des Weges. Oberhalb des Hauptfalles gibt es die einzige Rastmöglichkeit. Die Wanderung mag bei trockenem Wetter etwas kürzer ausfallen, ist aber zeitlich auch nicht zu unterschätzen.

Meine Taktik schien zunächst aufzugehen, ebbte der Regen doch sichtbar ab und machte sogar eine kurze Pause. Dadurch wurde die Fahrt zum Camp Struthof – bei recht starker Steigung – nicht unbedingt gemütlicher, sorgten Kälte und Wind für die nunmehr passende Begleitung des schaurigen Ortes des kollektiven Verbrechens. Schon der nüchterne, quaderförmige Museumsbau sorgt mit einem dunklen Aschgrau für beklemmende Stimmung. Wäre er heute zu betreten gewesen, hätte man das Gefühl nicht vermeiden können, in einen Sarg zu treten. Noch zuvor und unterhalb gibt es einen eigenen Abzweig zum Krematorium. Die Asche der Toten verteilten die SS-Leute in ihren Gemüsegärten. Die Laterne der Toten – im oberen Barackengelände zu finden – gedenkt, gemahnt, schreit stumm. Hier oben führt ein Weg zu der mächtigen Gedenksäule „Nekropole des Mémorial national de la Déportation“, von einer aufsteigenden Fläche von Kreuzen umgeben. Ich lese z.B. Marcel Chapuis, politisch Deportierter, Tod im Februar 1945 – das Ende des Schreckens schon greifbar nahe. Der Blick fällt durch Stacheldraht hinunter auf gestaffelt gereihte Baracken, ein verzweifelter Versuch dem Verbrechen ein Angesicht von kleinbürgerlicher Ordnung und Sauberkeit zu geben. Wenn auch der Zugang heute nicht offen ist, ist das Bild auch ohne Worte und Informationstafeln das der Tragödie – ja, es sind Bilder des Todes, eine Ästhetik des Grauens, die sich unter dem fahlen Himmel ins Lichtbildgerät eingraviert.

Nur wenig weiter ein Abzweig in eine versteckt erkennbare Steinbruchlandschaft. Es waren die Häftlinge, die hier roten Granit abbauten für Prestigebauten der Nazis und den deutschen Straßenbau. Eine nicht seltene Zwangsverwendung der Gefangenen, wie auch ein Blick auf die Geschichte des KZ Buchwald noch im selben Monat anlässlich des Forumstreffens in Erfurt zeigen sollte. Mehr gegen Kriegsende veränderten sich die Tätigkeiten in die Hallen des Lagers zum Säubern und Reparieren von Flugmotoren. Die Mörder waren nicht verlegen darin, ihre als nutzlos bezeichneten Opfer gleichwohl zum eigenen Nutzen auszubeuten, eine kalkulierte Schizophrenie einer verirrten Ideologie – am Ende nur ein Haufen Elend aus Heuchelei und Perversion. Mir kommt in den Sinn, das kalkulierte Schizophrenie auch heute bei den Rechtsauslegern eine Strategie ist – nur inhaltlich manchmal etwas verändert gelenkt.

Struthof liegt bereits weit oben, gegen 800 m hoch, die Zuordnung zu Natzwiller nur nachvollziehbar, legt man die Luftlinie ins Tal zur anderen Seite, welches auf der Route kaum einsehbar bleibt. Bald öffnet sich nun bei weiterem kräftigen Anstieg die Moor- und Heidelandschaft um Champ du Feu. Offene Flächen wechseln mit Nadelwaldhainen. Bei welliger Topografie und um die 1000 m Höhe strebt man nicht unbedingt aufregend gegen Rothlach – eigentlich nur eine Auberge mitten im Wald mit kleiner Lichtung. Hier war ich wieder auf bekanntem Kurs aus vergangenen Touren.

Was ich jenseits von Camp Struthof zu sehen bekam, war schlicht bescheiden, denn es setzte ein Gemisch aus Regen, Schneeschauer und Eisregen ein, getrieben von heftigem Wind bis in die Schräglagen. In Rothlach schien die Lage fast aussichtslos, dass sich die Wetterlage beruhigen würde und ich bei Besuch der Auberge nicht mehr wegkommen würde. Ich entschloss mich zur radikalen Härtetestlösung und ging die Abfahrt an durch eine Wasserwand. Versuche in Obernai in einem Café die Sachen, insbesondere Schuhe zu trocknen, waren nur von bescheidenem Erfolg. Besser sorgte fortan der Wind in der elsässischen Rheinebene für Trockeneffekte. Doch auch das war umsonst, ereilte mich mit Grenzübertritt nach Deutschland erneut heftiges Schauerwetter, in Nonnenweier angewachsen zu einem Dauerwolkenbruch. Erneute Einkehr im Gasthof, wo ungeachtet des Mai-Wetters Mai gefeiert wurde. Blieb noch die Flucht zum nächst gelegenen Bahnhof in einer Regennachlasspause. Mensch, Mai-er, wo bleibst du nur!?

Route auf GPSies

Bildergalerie Tour VII (116 Fotos, bitte auf Bild klicken):