Sechs Jahre unterwegs - Sechs Jahre auf Reise

von: fahrradflo

Sechs Jahre unterwegs - Sechs Jahre auf Reise - 07.11.18 19:16

Liebes Forum,
dies ist kein normaler Reisebericht sondern ein Artikel über die Erkenntnisse der letzten sechs Jahre auf dem Rad. Im zweiten Teil geht es dann um die negativen Seiten jahrelangen Reisens, Heimweh, Einsamkeit, Liebe.
Der Artikel ist auch auf meiner Webseite zu finden, ich möchte ihn jedoch einem größerem Publikum verfügbar machen, deswegen der Eintrag hier.

Viel Spass beim lesen!

Florian

Sechs Jahre unterwegs - Sechs Jahre auf Reise
Wie ist es wirklich den Traum zu leben?


Vor über sechs Jahren bin ich zu dieser Reise aufgebrochen - nicht ahnend was mich alles erwarten würde, oder dass ich so lange unterwegs sein würde. Nicht viele Reisende sind mehrere Jahre weg von zu Hause und es ist an der Zeit, zurückzublicken was ich alles erlebt und besonders was ich gelernt habe. Über mich, andere Menschen und die Welt. Wenn du dich dann durch meine Liste an Erlebnissen und Erkenntnissen gearbeitet hast, möchte ich im zweiten Teil über die negativen Folgen und die schlechten Seiten jahrelangen Reisens schreiben. Über Heimweh, Liebe und Einsamkeit, denn darüber liest man nicht sehr häufig.


Teil eins: Die guten Seiten und das gelernte


Was habe ich erlebt

Mit dem Ziel Indien im Kopf bin ich im Mai 2012 in Arnsberg, meiner Heimatstadt, aufgebrochen. Die Größe dieses Vorhabens konnte ich damals gar nicht begreifen. Wirklich in Indien anzukommen, mit dem Rad, erschien damals selbst mir eher wie eine Illusion, wie ein ferner Traum. Im Rückblick war dieser Abschnitt nur der Anfang eines noch größeren Abenteuers.
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Mittlerweile habe ich unzählige Kilometer mit dem Rad zurückgelegt. Gezählt habe ich, es sind ungefähr 47.000 km, doch das ist nicht so wichtig. Meistens auf asphaltierten Straßen, aber ich habe mich auch mit meinem Rad durch Dschungel gekämpft und bin in Wüsten im Sandsteckengeblieben. In menschenleeren und abgelegenen Gebieten war ich unterwegs und in einigen der größten Städte auf diesem Planeten, vollgestopft mit Menschen. Den unterschiedlichsten Wetterbedingungen habe ich getrotzt, von Regen, Schnee, Nebel, bis hin zu Hitze und Trockenheit. Immer weiter ging es mit dem Rad. Durch Provinzen, Länder, ganze Kontinente. Immer weiter weg von zu Hause.

Ich bin auf schneebedeckte Berge und aktive Vulkane gestiegen, und unter die Erde in dunkle Höhlen, manchmal voll von Knochen und Totenschädeln. Habe Flüsse, Seen und das Meer auf Booten überquert, von hölzernen Nussschalen bis hin zu einer riesengroßen Fähre mit tausenden von Leuten. Habe mich von fliegenden Fischen und Delfinen in meinem Element anschauen lassen und bin auch kurz in die Meereswelt eingetaucht, habe die wundervollsten und buntesten Kreaturen bestaunt und mich von Haien ängstigen lassen.
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Ich bin wohl mehr unterschiedlichen Menschen begegnet als andere in ihrem ganzen Leben.
Habe in die unschuldigen Augen neugeborener Babys geschaut und die hasserfüllten Blicke von Extremisten aufgefangen. Habe die liebevolle Ausstrahlung und den Frieden buddhistischer Mönche gespürt und die Kälte und Distanziertheit anderer Menschen. Ich habe Menschen getroffen die für ihr Land sterben würden und andere, die es in Kauf nehmen zu sterben um ihr Land zu verlassen. Kinder die neugierig meine weiße Haut und die Haare anfassen und Kinder die bei meinem Anblick schreiend und verängstigt weglaufen. Ich wurde begafft wie ein Außerirdischer und ignoriert als ob ich Luft wäre.
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Habe unzählige Situationen durchgestanden vor denen ich vorher Angst hatte. Wurde freundlich über Ländergrenzen hinweg gewunken oder ausgiebig verhört und durchsucht. Wurde von der iranischen Geheimpolizei befragt, habe mit der Polizei Katz und Maus gespielt oder auch mal bei ihnen Schutz und Unterkunft bekommen.
Mir wurden Sachen geklaut (nur Kleinigkeiten) und mir wurden Sachen geschenkt (mehr als nur Kleinigkeiten). Ich wurde auch mal angeschrien, angespuckt, mit Steinen beworfen und sexuell belästigt, doch in der Regel waren alle Begegnungen äußerst positiv.

Ich habe mit Millionären am Tisch gesessen und die Ärmsten der Armen haben mit mir ihr Essen geteilt. Ich habe die köstlichsten Speisen und Früchte probiert und auch ein paar wirklich widerliche Dinge. Wurde hunderte Male von fremden Leuten eingeladen und auch mal aus dem Haus geschmissen (eher selten).
Ich war high von Musik, Radfahren, psychedelischen Substanzen, Joints (zu oft) und von Liebe (zu selten) und dem Leben im allgemeinen.

Habe so hart gearbeitet wie noch nie zuvor und dabei soviel Geld verdient wie nie zuvor) und sogar Geld im Schlaf verdient. War fast Pleite mit nur ein paar Dollar in der Tasche, habe auf Parkbänken geschlafen und aus Mülleimern gegessen, aus Wasserflaschen vom Straßenrand getrunken und Zigarettenstummel von der Straße geraucht.
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Ich habe in teuren Hotels geschlafen (manchmal ohne bezahlen zu müssen) doch viel öfters in billigen und dreckigen Absteigen, auf Häuserdächern in Städten und neben Feuern am Strand, in fremden Betten und auf Sofas, in Hängematten, und meistens doch im Zelt unterm Sternenhimmel. Immer weiter, immer weiter ging die Reise.

Ich habe die höchsten Glücksgefühle durchlebt, tiefe Dankbarkeit und Zufriedenheit.Habe leben in Gemeinschaft, tiefe Verbundenheit und Liebe erfahren. Habe mich so frei und stark wie nie zuvor gefühlt. Habe mein Potenzial erkannt und angefangen es auszuschöpfen. Aber auch Momente der Einsamkeit, Traurigkeit, und depressive Phasen durchlebt. Ich wurde von Ängsten gefangen genommen und von Wut überfallen doch habe auch gelernt Gelassenheit und innere Ruhe zu kultivieren. Habe gelernt mich mit so ziemlich allem abzufinden und die verschiedensten Situationen zu akzeptieren.
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Probieren geht über studieren

Gelernt habe ich viel. Mehr Dinge und wichtigere Dinge als man in der Schule oder Universität lernen kann. Ich habe gelernt in mich selbst zu vertrauen und offen zu sein für neue Sachen. Neue Dinge auszuprobieren ohne Versagensängste zu haben oder von vorne herein zu sagen “Ich kann das nicht!”. Und diese Einstellung hat zu vielen neuen praktischen Fähigkeiten geführt. Die meisten Jobs die ich in den letzten Jahren gemacht habe, waren Dinge welche ich nie zuvor getan habe. Ich habe gekellnert, gestrichen, gepflastert, gelötet, gesägt, gegärtnert, gepflanzt und war Fahrer von Motorrad über Traktor, Quad, Jeep und Truppentransporter mit 10 Meter Anhänger. Mal mehr erfolgreich, mal weniger.
Ich habe gelernt für 100 Leute über dem Feuer in einer improvisierten Naturküche zu kochen, Brot zu backen, Musik zu machen, zu improvisieren. Ich habe es gelernt, Momente und Landschaften in Fotos festhalten. Ich kann Videos editieren und habe sogar meinen eigenen Film gemacht. Habe es gelernt meine Erlebnisse und Erkenntnisse in Worte zu fassen und einen Blog zu erstellen und zu betreiben und damit andere Menschen zu inspirieren.
Ich kann mich in fremden Ländern und Kulturen zurechtfinden, in fremden Sprachen und mit Gesten kommunizieren. Oder auch ganz ohne Worte, auf der Ebene des Herzens.
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Die Erkenntnisse
Manches von dem folgenden mag sich erst mal recht banal anhören, doch macht es einen Unterschied ob man diese Wahrheiten nur liest und rational versteht, oder ob man sie erlebt, fühlt und selber im Kopf entwickelt und erkennt. Und natürlich sind dies meine persönlichen Erkenntnisse, basierend auf meinen Erfahrungen und Ansichten und meinem Lebenshintergrund als Mensch aus einem reichen und sicheren Land. Ein anderer Mensch oder Reisender würde vielleicht (oder sogar ganz gewiss) andere Dinge erkennen.

Seine Probleme nimmt man mit
Egal was man macht, wo man hingeht, wie man sich ablenkt, die Probleme mit einem selbst und in seinem Kopf nimmt man mit. Bei mir eine Neigung zu Depressionen welche ich in Deutschland hatte und die nicht einfach verschwinden nur weil ich auf reisen gehe (wenn auch das unterwegs sein eine starke antidepressive Wirkung für mich hat).
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Die meisten Probleme und Grenzen sind nur im Kopf – es gibt immer eine Lösung
Ein Problem zu haben ist immer auch Ansichtssache. Wenn eine Situation nicht so ist wie man es sich wünscht oder wie es ideal wäre und man das nicht akzeptieren kann, wird es zu einem Problem. Doch Lösungen gibt es immer, auch wenn sie vielleicht nicht den eigenen Erwartungen entsprechen.
Auch körperliche Grenzen sind oft nur eine Barriere im Kopf. Wie oft habe ich beim radeln gedacht “Ich kann nicht mehr, ich schaffe diesen Berg nicht.” nur um dann festzustellen, dass mein Körper doch noch weiter kann und Leistungen vollbringen kann welche ich ihm nie zugetraut hätte.

Menschen sind freundlich
Menschen sind von Grund auf freundlich, wollen einander helfen und sich nicht gegenseitig verletzen oder böses tun. Menschen streben nach Kooperation anstatt Konfrontation und die unglaubliche Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft die ich überall erfahren habe bestätigt mir dies. Natürlich geschehen auch schlechte Dinge und Menschen können auch unglaublich böse sein, doch dies geschieht immer aus einem Grund, aus den Lebensumständen heraus oder weil sie es nicht anders gelernt haben.
Menschen welche ich vorher als “schlecht” bewertet hätte, zum Beispiel Menschen die einen Diktator unterstützen, die einer Armee oder der Polizei angehören, die rassistisch, sexistisch oder extremistisch sind, können trotzdem total liebe Menschen sein, welche mich (oder ihre Kinder/Familien/Freunde) zuvorkommend behandeln und akzeptieren. Doch aufgrund ihrer Überzeugungen und Glaubensgrundsätze begrenzen sie sich selber, diese menschliche Natur der Freundlichkeit auf alle Menschen auszuweiten.
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Menschen sind Menschen
Wenn ich in die Augen eines anderen Menschen schaue und mein Lächeln erwidert wird, dann fühle ich automatisch eine Verbindung. Dort ist auch nur ein anderer Mensch, welcher mir zudem ziemlich ähnlich ist. Die Gemeinsamkeiten sind viel wichtiger als die Unterschiede und obwohl jeder Mensch gleichzeitig komplex und kompliziert ist, sind wir Menschen doch auch einfach und simpel. Wir wollen alle glücklich sein, geliebt werden, ein erfülltes Leben leben, einen Sinn aus unserer Existenz machen. Die Probleme und Sorgen die alle Menschen haben und die Dinge die ihnen wichtig sind und Freude bereiten, sind doch überall auf der Welt sehr ähnlich.
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Ich habe eine Wahl
Zu erkennen, dass nur ich selbst für meine aktuelle Lebenssituation verantwortlich bin, war ein großer Schritt. Wo ich gerade bin, wie es mir gerade geht, was ich mache, egal ob es eine gute oder eine schlechte Situation ist, ist das Ergebnis meiner Handlungen (oder Unterlassungen) und Entscheidungen in der Vergangenheit. Gerade wenn wir uns in einer schwierigen oder unangenehmen Situation befinden, neigen wir dazu, die Schuld bei den anderen zu suchen anstatt bei uns selber. Doch akzeptiert man einmal seine Selbstverantwortung, ist der Spielraum für Veränderung da. Ein jeder ist frei zu entscheiden, hat immer eine Wahl. Auch wenn die Optionen vielleicht nicht immer so toll oder vielfältig sind und auch abhängig davon, in was für eine Lebenssituation man hineingeboren wurde.

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Alles ist verbunden
Alles ist miteinander verbunden. Nicht nur auf einem energetischem Level sondern auch ganz praktisch. Besonders in unser globalisierten Welt. Nimm als Beispiel eines deiner Kleidungsstücke und überlege wie viele Menschen an dessen Herstellung und Transport beteiligt sind. Vom amerikanischen Saatguthersteller über den indischen Baumwollfarmer, der Näherin aus Bangladesch, der schwedischen Modekette, der deutschen Verkäuferin bis zu dir. Viele Menschen sind daran beteiligt bis es schließlich deinen Körper schmückt. Dasselbe gilt für die meisten Gegenstände, Nahrungsmittel inklusive.
Oder denke an den Klimawandel: Die Abgase aus dem Auto in Deutschland beeinflussen das Klima in einem ganz anderen Teil der Welt.
Oder auf molekularer Ebene: Die Sauerstoffmoleküle die du atmest wurden schon von ganz anderen Menschen geatmet. Formen verändern sich ständig, doch die Bausteine, die Atome, bleiben dieselben.
Unsere Welt so wie sie ist, ist das Produkt aller Menschen. Jeder trägt durch sein Verhalten einen kleinen Teil dazu bei und jeder kann einen kleinen Teil verändern.
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In Deutschland geboren zu sein ist ein Privileg

Ich habe nie viel über meine Herkunft nachgedacht. Doch Deutschland ist bekannt in aller Welt. Wenn ich nach meinem Heimatland gefragt werde, können die Menschen immer etwas dazu kommentieren. Sei es Adolf Hitler, Angela Merkel, Berlin, Made in Germany oder Fußball. Und viele Menschen träumen davon, in Deutschland zu leben.
Im internationalen Vergleich ist Deutschland ein ganz gutes Land zum Leben. Der Lebensstandart ist hoch (selbst von den ärmeren Leuten). Krankenversicherung, Rente und Arbeitslosengeld ist in vielen anderen Ländern gänzlich unbekannt, ebenso wie ein (fast) kostenloses Schul- und Universitätssystem. Es ist ein friedliches und sicheres Land und die Ängste und Sorgen der Deutschen sind im Vergleich zu vielen anderen Erdenbewohnern lächerlich. Zudem die Möglichkeit einfach Geld zu verdienen (und zu sparen) und natürlich der deutsche Reisepass, der es ermöglicht, in fast jedes Land der Welt einzureisen.
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Deutschland ist nicht nur ein gutes Land

Wenn man sich ein wenig damit beschäftigt warum wir in Deutschland so ein sicheres und reiches Leben führen, wird schnell klar, dass es nicht nur der Fleiß (oder sollte ich Arbeitswut sagen?) ist, der uns diesen hohen Lebensstandart beschert. Die Deutschen sind die Nutznießer des weltweiten kapitalistischen Systems und unser Reichtum basiert durchaus auf Unterdrückung und Ausbeutung anderer Länder und deren Bewohner. Und darauf ist auch die Politik und Wirtschaft ausgerichtet. Deutschland ist eben nicht das friedensliebende und wohltätige Land, als welches es sich gerne darstellt. Als einer der großen Waffenexporteure und aktiv an Kriegen beteiligt, als ein Land mit einer aggressiven Exportpolitik welches andere Länder zwingt, ihre Märkte für deutsche Produkte zu öffnen und Länder in Zinsabhängigkeiten treibt, trägt Deutschland meiner Meinung nach mehr zu dem Zustand der Ungleichheit und Ungerechtigkeit in dieser Welt bei, als das es etwas dafür, tut diese Zustände zu verbessern.

Du musst die Welt akzeptieren wie sie ist um sie verändern zu können
Auf meiner Reise habe ich gelernt, Dinge und Situationen zu akzeptieren. Im kleinen und im großen. Die Welt ist, wie sie ist. Ob du das nun als gut oder schlecht beurteilst, ist erst mal egal. Und die Welt ist das Produkt von allen Menschen, erschaffen zusammen. Um die Welt zu verändern, musst du bei dir selbst anfangen. Du kannst nur dich selbst verändern, deine Denkweise, deine Einstellung, dein Verhalten. Und damit veränderst du die Welt ein klein wenig.

„Sei der Wandel den du in der Welt sehen willst!“ Mahatma Gandhi
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Alles geschieht aus einem Grund
Auch wenn wir diesen nicht immer erkennen. Aus allem kann man etwas lernen und etwas positives ziehen. Besonders die schwierigen Erfahrungen und Abschnitte im Leben sind es, aus denen man gestärkt hervorgeht und die Fehler die man macht sind es, aus denen man lernt.

Dankbarkeit ist der (ein) Weg zum Glück

Dankbar zu sein für das was man hat, ist etwas, was auch ich lernen musste. Anstatt mich immer zu beschweren oder neidisch auf die anderen zu schauen die mehr haben als ich, fühle ich mich besser wenn ich mich darauf konzentriere was ich habe. Meine sämtlichen Besitztümer kann ich auf meinem Fahrrad transportieren und nur selten habe ich das Gefühl dass mir etwas fehlt, dass ich mehr will.
Anstatt mich über andere Menschen und unfreundliche Begegnungen zu ärgern, konzentriere ich mich auf die tollen und überlege mir abends, welche Dinge mir tagsüber passiert sind, für welche ich dankbar bin. Dankbarkeit nicht nur zu fühlen sondern auch auszudrücken, aktiv Menschen zu danken, führt zu noch mehr [url=https://www.health.harvard.edu/healthbeat/giving-thanks-can-make-you-happier][/url] Zufriedenheit und Glück.
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Die Weisheiten

Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ich entwickelt habe, ist, zu vertrauen. Nicht nur in mich selbst, sondern in andere Menschen, in Situationen und ins Leben. Am Anfang meiner Reise war das nicht so. Ich hatte Angst vor Menschen, Angst ausgeraubt zu werden und war oft misstrauisch (und bin es manchmal immer noch).
Doch Menschen überall vertrauten mir. Oft mehr als ihren eigenen Nachbarn. Luden den Fremden zu sich nach Hause ein. Oft ohne mit Worten kommunizieren zu können. Ließen mich auch mal alleine in ihrem Haus. Oder versteckten einen Schlüssel für mich, damit ich es mir schon mal gemütlich machen konnte bevor sie von der Arbeit nach Hause kommen, alles ohne mich jemals getroffen zu haben.

Da ist die Geschichte von Nishit aus Indien, dessen Nummer ich von einem anderen Radler bekommen hatte und den ich einen Tag vor meiner Ankunft in Chennai anrief. Er war gerade auf einer Dienstreise, doch ohne irgend etwas über mich zu wissen, überließ er mir seine Wohnung für ein paar Tage und half mir per Telefon alles für eine Zugfahrt nach Kolkatta zu organisieren. Bei meiner Abreise warf ich den Schlüssel in seinen Briefkasten. Wir blieben in Kontakt und noch zwei weitere Male half er mir auf meiner Reise. Begegnet sind wir uns noch nie und obwohl ich kaum etwas über ihn weiß, noch nicht einmal wie er aussieht, vertraue ich ihm und würde auch ihn ohne zu zögern in mein Haus lassen.

Sei du selbst, habe keine Angst und vertraue – dann steht dir die Welt offen


Doch wie kann man so ein Vertrauen in andere Menschen entwickeln? Und kann das nicht auch gefährlich sein?
Was uns davon abhält zu vertrauen ist die Angst. Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten. Angst, dass uns etwas zustößt, etwas weggenommen wird, wir verletzt werden. Ängste die nun mal jeder Mensch hat und welche auch einen berechtigten Zweck haben können, welche aber auch übertrieben und angesammelt oder erlernt sein können. Diese Ängste zu erkennen und zu überwinden ist nicht immer einfach, doch jeder Mensch ist dazu fähig. Die folgende Geschichte soll dies verdeutlichen:

“Ich befinde mich in Australien, in nur wenigen Tagen geht mein Flug nach Neuseeland und heute wollte ich mein geliebtes Fahrrad abholen, welches ich für ein paar Monate bei Freunden untergestellt hatte. Und zwar etwas außerhalb von Melbourne auf dem Land. Nach einer einstündigen Zugfahrt stellt sich jedoch heraus, dass mein Fahrrad bei einer Aufräumaktion unwissentlich “weggegeben” worden war, ich es jedoch in Melbourne abholen könnte. So muss ich also die 10 Kilometer zurück zum Bahnhof laufen, anstatt wie geplant mit dem Rad zu fahren. Es ist schon dunkel als ich die Landstraße entlang laufe und ich halte meinen Daumen raus, obwohl meine Hoffnungen gering sind das mich in der Nacht ein Auto mitnimmt. Die Menschen haben einfach zu viel Angst, besonders nachts. Es macht mir nichts aus zu laufen, es ist Sommer und ich habe auch nicht viel Gepäck zu schleppen. Schließlich bremst doch ein Auto und hält eher zögerlich hundert Meter vor mir an. Als ich das Fahrzeug erreiche schaut mich die Fahrerin unsicher an. “Du hast doch keine Waffe oder?” fragt sie mich. “Nein, habe ich nicht. Und du? Hast du eine?” frage ich zurück. Die Frau ist überrascht und sagt etwas brüskiert “Natürlich nicht. Warum sollte ich eine Waffe haben?” Dann entspannen sich ihre Gesichtszüge und sie fasst Vertrauen. “Steig ein, wo willst du hin?”
Sie erzählt mir, sie musste an ihren Sohn denken als sie mich da alleine in der Dunkelheit laufen sah. Und ihr Wille zu helfen war dann größer als ihre Angst dass ich gefährlich sein könnte.
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Ich bin in verschiedenen Ländern hunderte Male in fremde Autos eingestiegen, ohne viel zu überlegen oder Angst zu haben. Das bedeutet nicht, dass nicht doch einmal etwas passieren kann und Vorsicht oder zumindest hören aufs Bauchgefühl, auf die Intuition, gehört natürlich dazu. Doch die Angst ist eigentlich immer größer als die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schlechtes passiert.

“Mut ist nicht wenn man keine Angst hat, sondern wenn man seine Angst erkennt und trotzdem überwindet.”

Es geht nicht darum, komplett angstfrei zu leben, das ist wohl nur schwer möglich. Doch man kann seine Ängste erkennen, beobachten und dann hinterfragen, inwieweit sie auch berechtigt sind und ob sie nützlich sind oder nicht.
Natürlich gibt es Situationen wo es richtig ist, Angst zu haben. Wo ich sogar froh darüber bin, denn die Angst hilft mir besser aufzupassen und die Situation zu meistern. Wenn z.B. mitten in der Nacht in einer pakistanischen Stadt Menschen ein wenig zu freundlich scheinen und mich in eine dunkle Gegend leiten, oder wenn in Indien eine aufgebrachte Menschenmenge die Straße mit brennenden Strohballen blockiert, oder ich mich radelnd auf einer stark befahrenen Schnellstraße befinde und irgendwie mehrere Spuren wechseln muss um die Ausfahrt zu nehmen, dann ist es angebracht Angst zu haben, so lange man trotzdem einen ruhigen Kopf behält.


Die Sprache des Herzens
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Eine andere wichtige Fähigkeit die ich entwickelt habe (und ständig weiter entwickle) ist etwas, was man als Sprache des Herzens bezeichnen könnte. Damit ist nicht romantisches Liebesgeflüster gemeint, nein, es geht darum, auf seine Gefühle zu hören, auf seine Intuition. Es geht darum, seine gelernten Werte und Verhaltensweisen zu hinterfragen und zu testen, ob es sich gut und richtig anfühlt. Mal die Gedanken und Stimmen im Kopf verstummen zu lassen und versuchen die Dinge anders wahrzunehmen. Das Herz ist dabei nicht unbedingt nur als fühlendes Gegenstück zum denkenden Geist zu sehen, sondern als Ergänzung. Da ich eher ein Kopfmensch als ein Herzmensch bin und zum grübeln und überdenken neige, ist es wichtig für mich zu erkennen, dass ich Dinge auch anders wahrnehmen kann.

Ich befinde mich zum Beispiel oft in Situationen mit Menschen deren Sprache ich nicht spreche und die meine Sprache nicht sprechen. Und trotzdem findet eine Kommunikation statt, nicht nur mit Gesten oder Mimik, sondern auf einer anderen Ebene. Man lernt, den anderen Menschen zu fühlen, zu verstehen was er meint oder will ohne die gesprochenen Worte zu verstehen.

Es bedeutet auch, sich selber besser zu verstehen, denn das Herz funktioniert anders als der Kopf. Es kann nicht so leicht manipuliert werden. Entweder man fühlt Liebe für etwas oder jemanden oder man fühlt sie nicht, da braucht es keinen Grund für. Doch Gedanken und bestimmte Emotionen können viel leichter beeinflusst werden. Ängste können geschürt werden durch Nachrichten und negative Berichterstattung, Hoffnungen gemacht werden durch Glücksversprechungen der Werbung und der Konsumgesellschaft. Das Herz bietet da einen stabileren Gefühls- und Moralkompass. Denn das Herz kann nur lieben, aber man kann nicht vom Herzen hassen.

Dies sind die wichtigsten Dinge die ich in den letzten sechs Jahren für mich gelernt habe und in Worte fassen konnte. Ich bin dankbar diese Einsichten gehabt zu haben und hier teilen zu können.

Im zweiten Teil geht es dann um die negativen Folgen und schlechten Seiten welche jahrelanges Reisen mit sich bringen kann.

Leider musste ich die schönen Bilder in Links umwandeln, da sie viel zu groß sind. Siehe auch: HowTo: Bilder in Beiträge einfügen (Forum) Du kannst sie gerne auf 1024px in der Breite reduzieren. Wir könnten sie dann ausnahmsweise neu einbinden.
LG
Jürgen