Re: Alpes Occidentales „PACA“

von: veloträumer

Re: Alpes Occidentales „PACA“ - 15.11.18 19:56

PACA-4 Sisteronais mit Montagne de Lure & Géoparc de Haute-Provence

Neuland wartet. Spannende Steinwelten. Ein Schild kündigt die Montagne de Lure als Herausforderung für Radler an. Also auch ein Pilgerberg für Wadenbeißer? Die Ähnlichkeit mit dem Mount Ventoux hat er oben, ich sagte es eingangs. Endemische Pflanzenwelt, Planetenlandschaft. Der höchste Punkt ist weder ein Pass noch die Bergspitze selbst, auf der das Observatorium thront. Mindestens eine Schotterpiste würde ganz hoch führen. Auffahrtsseite passiert zuvor noch markant unter der Gipfelregion eine Berghütte zum Übernachten und Verpflegen. Nicht angekündigt der Fuchs, der keine Scheu zeigt. In diesem Kapitel der zweite dieser Art. Füchse – wer mit den Tieren auf Kriegsfuß steht, sollte diese Kapitelregion meiden.



Mo 26.6. St-Etienne-les-Orgues - Refuge de Lure - Signal de Lure (1749 m) - Pas de la Graille (1597 m) - Col St-Robert (908 m) - Valbelle - dev. D946/D53 - Sisteron - Valernes - Vaumeilh - Col de Grêle (728 m) - Sigoyer
92 km | 1710 Hm | 7:18 h | 12,5 km/h

AE: Proviant
Ü: C frei

Di 27.6. Sigoyer - Col du Haut Forest (833 m) - Melve - Col du Château (803 m) - La Motte-du-Caire - Col de Sarraut (980 m) - Gigors - Breziers - Epinasse - La Bréole - Col de Charmel (1230 m) - Col des Fillys (1322 m) - Villaudemard - Col des Garcinets (1185 m) - Turriers
80 km | 1495 Hm | 6:44 h | 11,8 km/h

AE: Bar de France: div. Farce, , Pasta Bolognese, Käse, Birnentorte, RW, Cafe 15 €
Ü: C frei

Mi 28.6. Turriers - Col des Sagnes (1182 m) - Bayons - Clamensane - Nibles - Sisteron - Col de Mézien (814 m) - St-Geniez - Authon - Col de Fontbelle (1304 m) - Col d'Hysope (1236 m) - Melan - Thoard
84 km | 1305 Hm | 6:22 h | 13,1 km/h

AE: C Thoard: Pasta Carbonara, Eis, RW, Cafe 15 €
Ü: dito 8 €

Do 29.6. Thoard - Pas de Bonnet (886 m) - Les Augiers - Digne-les-Bains - Barles - Auzet - Col du Fanget (1459 m) - Seyne
70 km | 1180 Hm | 5:45 h | 11,6 km/h

AE: H/R ?: Pizza Savoyarde, warmer Schokokuchen, m. Vanillesauce, RW, Cafe 23,50 €
Ü: C La Blanche 10 €

Das Wetter des Tages meint es weniger gut. Eingetrübt, recht kühl, droht eine dunkle Regenfront aufzulaufen. Der Anstieg ist dank recht gleichmäßiger Steigung weniger martialisch als die Ankündigung glauben machte. Dafür jagt mich die Wetterfront vom Berg runter. Wer ist schneller? Ich schaffe es bis Sisteron nicht ganz ohne Regen, aber die große Regentraube bleibt zurück in den Bergen. In Sisteron ein letztlich eher nutzloser Abstecher nach Süden zum Elektronikmarkt. Ganz umsonst war es nicht, beim benachbarten Decathlon-Laden erhielt ich neue Sandalen – ich verlor die alten auf der steilen Schussfahrt bei St-Jurs.



Der Exkurs brachte immerhin eine Besserung des Wetters. Schon in Sisteron markiert ein eigentümlicher Fels die Typik der folgenden Region, ausgeschliffene Felsrillen chiffrieren alte Erdschichten oberhalb der Bodenkrumme. Die Varianten sind ein eigener Kosmos von Formen und Farben, treiben sich exhibitionistisch ins Auge wie sie gleichzeigt die Geheimnisse von Urzeiten nur fragmentarisch preisgeben. Ich tauche ein in den UNESCO Global Géoparc de Haute-Provence: Karte. Er ist eine Art Gedächtnispodium der Erde, das millionenalte Epochen mit dem historischen und heutigen Wirken des Menschen verbindet.

Die Verbindung stellen Werke der Modernen Kunst her. Museen und Produzenten regionaler Produkte wie dezenter Tourismus integrieren die heutigen Bewohner im symbiotischen Einklang mit der Geschichte der Erde und des Menschen, geben ihnen Einkommen und Lebensgrundlage. Wer sich an der verlinkten Karte orientiert: Gefahren bin ich einen Teil der Lavendelstraße zwischen den Seen (orange); überwiegend die Straße der Hochebenen (rot) mit prähistorischen Gesteinsschichtungen und zivilisatorischer Nutzung durch den Menschen; die Straße der Zeit (blau) mit natürlichen wie menschlichen Insignien und Gedanken aus unterschiedlichsten Zeiten – die man als „Schlüsselstraße“ des Geoparks bezeichnen muss; die Straße der prähistorischen Spuren in Natur und Kunst (violett); auf dieser Tour nicht gefahren bin ich die Straße der Berge und des Menschen (grün).

Die Region ist allerdings nur spärlich touristisch erschlossen, hier wäre noch Luft nach oben. In Sigoyer und Thoard haben die jeweils einzigen Restaurants nur 3-4 ausgewählte Öffnungstage – sehr leidlich, weil vielversprechende Lage. Das trifft dann auch auf weitere Einrichtungen, etwa die reguläre Bäckerei in La Motte-du-Caire, für die es aber etwas weniger noblen Ersatz gab. Mit La Motte-du-Caire ist auch einiges der wenigen kleine touristischen Zentren mit Campingplatz genannt, die sich innerhalb in der kreisrunden Nischenregion zwischen Durance, Bléone und D900, wo jeweils der Transit in die Alpenregionen von Hautes-Alpes fließt. Natürlich kann man den infrastrukturell besser aufgestellten Ring auch miteinbeziehen, um die Region zu erkunden – so finden sich gute Möglichkeiten nebst Sisteron und Digne-les-Bains besonders auch am Lac de Serre-Ponçon.



Mit einem ersten Abstecher zum Lac de Serre-Ponçon (Staumauer) kehre ich zurück nach La Bréole, wo ich schon auf meiner Alpenreise 2005 Gefallen am regionalen Kunsthandwerk insbesondere von farbig modellierten, ausgehärteten Lederfiguren und -accessoires fand. Da sind Schildkröten und anderen Tiere, Blumenwasen für Trockenblumen, auch Lampen oder andere größere Wohnaccessoires. Diese Souvenirs sind ziemlich tourenradfreundlich, weil sehr leicht, leider manchmal aber auch recht voluminös und sperrig. Gleich nebenan ist noch ein Skulpteur, die sich mit Stein befasst – da sackt das Rad schon mal mehr ab. Dennoch sind auch dekorative Miniaturen zu finden wie etwa Sonnenuhrenmodelle.

Es ist hier schwer, alle Höhepunkte zu benennen. Schon die kleinen Einstiegspässe in Richtung Sigoyer liefern verheißungsvolle Ansichten von Erdplatten und idyllischer Vegetation. Der Colle de Sarraut bietet ein vielfältiges Bild von Maulwurffelsen, die aus der Erde rausschauen, aber auch ganze Bergmassive, schwarze Abhänge, einen ockerbraunen Spreizwasserfall, kleine Hügeldörfer im Norden. Da und dort finden sich Mohnfelder, u.a. auch am Col de Charmel/Col de Fillys, welcher als einziger eine unerbittliche Rampe aufweist – die meisten Pässe darf man als gemäßigt bezeichnen. Einen Haufen von Felsspänen als wäre es Holzrinde beschreibt den grandiosen Col des Garcinets – eine ideale Ergänzung zur Gorges de la Blanche (die ich bereits auf einer früheren Tour mal gefahren bin). Die Südseite des Col des Sagnes besticht mit einem ein Kurven- und Felsenlabyrinth und dem verwunschen Kleinod Bayons.



Schwer zu glauben, dass sich die Faszination noch steigern kann, nachdem ich Sisteron erneut gestreift hatte. In mehreren Auf-und-Abs fährt man als Höhenpanoramastraße die „Road of Time“ mit dem Stein der Inschriften, der auf die römische Herrschaft des 5. Jahrhunderts zurückgeht oder das eiförmige Steinmal von Andy Goldsworthy, mit Materialen aus der Region zusammengebaut, ohne Bindemittel und als Kunstwerk dem Zerfall als Zeichen der Zeit preisgegeben. Die besonderen Lichtstimmungen bei kräftigeren Wolken verstärken die Wirkungen dieser Route noch. Das Tunnel- und Felsenlabyrinth erfährt seinen Höhepunkt schließlich mit der Clues de Barles und weiterführend Clues de Verdaches, sowie die Fortsetzung derselbigen in Richtung Col du Fanget. Schon vor den Engstellen öffnen sich am Straßenrand Ammonitenabdrücke – für Ichthyosaurus müsste man noch in die Seitenarme wandern. Dagegen fällt der wirtschaftliche Knotenpunkt Digne-les-Bains recht bescheiden ab, bietet weit weniger reizvolle Ecken als Sisteron.



Zur Faszination gehört auch die geballte Kraft der Naturelemente Feuer, Wasser und Wind, die sich auch hier Bahn brechen – und dem sich auch der Besucher stellen muss. Hatte ich mit dem freundlichen holländischen Gastwirt Bert vom Café de France in Turriers auch über sein Nebengeschäft mit Weberei insbesondere von Rüschenstoffen, auch von Puppenkleidern, gesprochen, so gab er mir den Tipp, auf der Anhöhe oberhalb des Ortes auf der Bergkuppe zu zelten. Ziemlich unbedarft verwarf ich meine Pläne eine Schutznische im Ort zu suchen und missachtete auch das nahende Wetterleuchten.

Der weltgewandte Holländer, der Grußkarten seiner Gäste aus aller Welt sammelt (auch Australier verirrten sich dort), versprach mir das große Déjà-vu des Erwachens mit einem gigantischen Panorama. Der Holländer sollte recht behalten, nimmt man das Bild die Wolkenschwaden des nächsten Morgens, wie sie unten im Tale kleine Dorfkirchen herausschälten. Die umherstehenden Kühe schauten indes mit einem gewissen Kopfschütteln herüber, denn das Panorama noch zu erleben darf ich auch den letztlich wohlwollend gestimmten Göttern verdanken. Der überirdischen Prüfung oblag ein infernalisches Gewitter mit Sturmböen, die mein Zelt an die Leistungsgrenze gebracht haben dürften. Ob das Kreuz des Hügels in weißer Voraussicht für den vom Götterdonner Erschlagenen dort steht oder den Schutzpatron für verwegene Gäste symbolisiert, muss hier als offene Frage stehen bleiben. Die Geschichte vom „fliegenden Holländer“ hätte ich gerne Bert noch beim Kaffee erzählt, er hatte mir aber bereits bezeugt, nicht zu den Frühaufstehern zu gehören, weswegen ich dies ausfallen lassen musst.

Bildergalerie PACA-4 (117 Bilder):



Fortsetzung folgt