Re: Alpes Occidentales „PACA“

von: veloträumer

Re: Alpes Occidentales „PACA“ - 15.11.18 19:59

PACA-5 Haute Durance mit Guillestrois & Parc National des Écrins

Seyne, strahlende Morgensonne jenseits des Bergschattens, nass tropfende Zeltplane. Schuhe fast trocken. Wieder hatten sich Wolken am Vortag ausgetobt, schon auf dem Weg zum Col du Fanget brach der Himmel erstmals ein. Abends in Seyne dann weiter Wolkenbruch. Kleine Regenpausen ermöglichten doch noch gerade soeben, das Zelt aufzubauen. In der Morgensonne verlocken die Produkte des Marktes noch mehr. Überraschend viel Seefisch wird in dem Scheideort zwischen den mediterranen Bergketten und den Hochalpen von Ubaye und Haute Durance angeboten. Die Kuhglocken im Supermarkt sind da schon authentischer für die Käseproduktionen aus den Eutern der Weidekühe, die sich hier einen ebenso vergnüglichen Morgen zusammenschmatzen.

Fr 30.6. Seyne - Col St-Jean (1333 m) - St-Vincent - Ubaye - Col de Pontis (1301 m) - Lanthelme - Savines-le-Lac - Siguret - St-Clement-s-Durance
80 km | 1325 Hm | 6:27 h | 12,2 km/h

AE: R La Guilde de L'eau Viva Rafting: Entrecôte, Pommes, RW, Cafe Gourmand, Likör (von Gast spendiert) 27,50 €
Ü: C Les Mille Vents

Auf dem Col St-Jean wird der alpine Wechsel in Chalets für Skitourismus sichtbar. Und doch eröffnet dann ein blaues Meer nach Norden und Westen ein berauschendes Panorama. Die Straße muss sich indes sehr eng am Fels winden, um die kleine Brücke am Ende des Stausees zu finden. Für zwei Fahrspuren reicht der Platz unten dann nicht, eine muss kurz durch einen Tunnel gelegt werden. Im See stehen sich Bäume die Wurzeln nass – ob sie das mögen? – Aus dem Grün der Uferböschungen windet sich die Straße zum Col de Pontis steil nach oben, ermöglicht die wadenbeißende Abkürzung der Uferroute, die allerdings auch nicht ganz flach ist. Immer wieder ergeben sich neue Panoramablicke – bald auch schon zum Nordteil des Lac de Serre-Ponçon – Inselkapelle und die Brücke sind besondere Blickfänge.



Ich unterlaufe das Felspanoramastädtchen Embrun, dazu kann man auf einem kleinen Fahrweg fast direkt an der Felswand nebst Kleingartenanlagen entlang fahren. Nach Uferwechsel und Anstieg fährt man eine Halbhöhenstraße mit stetigem Panorama auf das mäandernde Silberband Durance. Eigentlich wollte ich noch einen stark ansteigenden Stich zum Lac de Siguert fahren, der stark aufgefrischte Wind hatte aber meine Kräfte schon aufgebraucht. Der Camping hatte zum Glück windbrechende dicke Hecken, die den aufkommenden Schüttelfrost eindämmen konnten.

Sa 1.7. St-Clement-s-Durance - Le Plan de Phazy - Mont-Dauphin - Fontaine Pétrifiante de Réotier - Chanteloupe - Pallon - Les Ribes - Parking Dormillouse des Cascades (1440 m)/Vallée de Freisinières - Les Ribes - Pallon - L'Argentière-la-Bessée - Col de la Pousterle (1763 m/1825 m?) - Puy-St-Vincent - Vallouise
71 km | 1585 Hm | 6:54 h | 10,3 km/h

AE: H/R La Pendine (Puy-St-Vincent): Apfelkäsetörtchen, Wurst, Salat, Lammfilet, Kartoffeltörtchen, Gemüsetörtchen, Avocadocrème, Erdbeersuppe m. Schokokrispeln & Vanillesauce, RW 39 €
Ü: C GCU

Badewasser, ca. 28 °C. Fuß raus, Sonne lacht, Wasser dampft. In den Eisenrot gefärbte Bassins hat man Mühe die Position zu halten, rutschig wie Algenschleim. Nur ein Wohnmobil steht am frühen Morgen an der Source de le Plan de Phazy, das Imbisshäuschen noch geschlossen. Nur bibbert man ob des kalten Windes, der immer noch kräftig durchs Tal fegt, wenn auch schwächer als abends zuvor. So ist der Genuss an dieser frei zugänglichen, natürlichen Therme mit pittoreskem Zylinderkegelbadehäuschen eingeschränkt, um länger zu verweilen. Andererseits hat man die Becken noch für sich alleine.

Zur nächsten Quelle von besonderem Rang liegt nicht viel mehr als eine Brücke über die Durance. Dort gilt Bade-, sogar Betretverbot. Und doch freut sich das Auge hier noch umso mehr – so aus der Welt gegriffen ist diese Skulptur aus mineralisiertem Kalkfels. Man könnte auch meinen, die Absperrung soll vor dem archaischen Wesen schützen, ein Dinosaurier, der Wasser spuckt. Mag die Fontaine Pétrifiante de Réotier geologisch recht trivial erklärbar sein, so ist die vollendete Erscheinung nicht weniger als ein Naturwunder von höchster künstlerischer Intuition, deren Schöpfer mal wieder der Zufall gewesen sein könnte – wohl ein Zufall mit Zauberstab.



Die fortlaufende Strecke gestaltet sich aufregender als gedacht, schwelgt sie zunehmend panoramareich über der Talsohle des Durance-Tals. Was aber Schönheit mit der Höhe gewinnt, hat den Nachteil zunehmend Schweißperlen zu sammeln. Eine Erholung der Wadenmuskeln wartet mit der Kluse bei Pallon, die in ein fast flaches Hochtal überführt. Mit dem Bergdorf Freissinières (les Ribes) – ein aktuelles Fest verneigt sich vor der Brotkultur – verdichtet sich die lärchenreiche Bergvegetation zur Straße hin, Wasserfälle fallen zu allen Seiten über Felsrippen. Das Ende der Straße ein Parkplatz (mit kleinem Kiosk) und Wasserfälle, der große variiert sein Bild je nach Perspektive, stäubt fulminant aus einem Felskanal – Berglilien und Glockenblumen zieren das Blickfeld. Weiter geht es hier nur zu Fuß zum Bergweiler Dourmillouse, ein besonderer Ort abgeschiedenen, aber intakten Berglebens. Die Wanderung war mir mit Blick meines Streckenrückstandes aber doch ein Stück zu weit, sollte man ohnehin eine Übernachtung oben einplanen.

Die Recherchen zum Col d’Anon ergaben wenig vertrauenswürdige Fahrverhältnisse, sodass es wieder komplett zurück in die Talsohle ging, für den dann anstehenden Aufstieg zum Col de la Pousterle – ziemlich anspruchsvoller Nischenpass mit geschotterten Pistenteil in den oberen Etagen, quasi überflüssig und gar ein Umweg gegenüber der direkten Anfahrt von L’Argentière-la-Bessée zum pittoresken Bergdorf Vallouise und umliegenden Skigebieten. Die Berg-und-Talanfahrt über das Städtchen L’Argentière ist jedoch mehr als eine zusätzliche Höhenbewältigung, denn nicht nur die Auffahrt über das ehemalige Silberstädtchen (Minenstollen liegt abseitig an der Strecke, Besuch muss aber vorher mit dem Museum in der Stadt ausgehandelt werden) macht sich äußerst reizvoll aus, sondern auch das Städtchen selbst hält eine weitere Kuriosität der Region bereit, die sich bestens mit der Passauffahrt ins Auge setzen lässt.



Die Stadt wird – von unten betrachtet über dem Bahnhof hervortretend – von dem Uhrenturm Hermes überragt, der von weithin sichtbar auf einem Felsen posiert. Der Uhrturm ist einem Deal der Kommune mit dem Industriellen und Wasserkraftelektroingenieurs Gilbert Planche zu verdanken, der hier eine für alle im Ort sichtbaren Uhrturm als Zeichen des industriellen Zeitalters nach damals neuesten Stand der Technik in diesem agrarisch strukturierten Land der Sonnenuhren darstellen will. Ursprünglich sollten es zwei Kirchturmuhren werden, die Verhandlungen verzögerten sich jedoch ob der Finanzierung und Gegenleistungen der Gemeinde sowie den Wirrungen des Ersten Weltkrieg, sodass Mäzen und Ort die Einweihung des nun „säkularen“ Turmes auf 1922 vertagen mussten.

So 2.7. Vallouise - Ailefroide - Pré Mme Carle (1874 m) - Ailefroide - Vallouise - L'Argentière-la-Bessée - La Roche-de-Rame - St-Crépin - Guillestre - Le Pont de Pierre - Ceillac
73 km | 1575 Hm | 6:18 h | 11,5 km/h

AE: Le Matefaim: Tartiflette (Kartoffelauflauf m. Speck & Reblechon), Crêpe Chalimette (Génepy), RW, Cafe 29,20 €
Ü: C Municipal

Vallouise frohlockt als schnuckeliges Eingangstor für Kletter- und Wandertourismus in das Écrins-Massiv, die große Gletscherkulisse der Okzitanischen Alpen, zugleich auch die nördliche Barriere des langue-d’oc’schen Kulturraums. Und man könnte meinen, dass hier nochmal alle Perlen von Natur und Gastfreundschaft dem Besucher in verschwenderischer Fülle um die Ohren gehauen werden. Mögen die Verbauungen des Skitourismus der am Vorabend durchpflügten Bergsiedlungen nicht alle die vollendete geschmackliche Note besitzen, so ist das Bemühen um stilvolle Chalet-Verbauungen doch gegeben. So war auch das Hotel-/Restaurant La Pendins in Puy-St-Vincent trotz gewisser Größe ein schmucker moderner Holzbau, in dem ich als einziger Speisegast sogar eines der besten Menüs der Reise gereicht bekam. Ganz offensichtlich liegt der Schwerpunkt in dem Konzept heimelig eingerichteter Skihotels und fürchtet ein wenig auch um die ungleiche Verteilung touristischer Ströme, ist doch der Bergsommer hier ein Fest der Sinne, der mehr Beachtung verdienen würde. Gleichzeitig mag man mehr Besucher auch nicht haben wollen, um die Lyrik der Orte nicht zu gefährden. Das immerwährende Dilemma von gleichberechtigter materieller Lebensgrundlage der Einheimischen und der projizierten Bergromantik des angelockten Besuchers.



Da ist nicht nur durch Tagestouristen im folgenden Tal St-Pierre schon ein gewisser Andrang zu verzeichnen, zum Wanderer gesellen sich heute auch immer größere Gruppen der Freeclimber, Basisstationen mit Camping finden sich auch noch im schmalen Bergkanal in Ailefroide. Über die Fahrt zur großen Dame, besser gesagt dem Vorzimmer einer erhabenen Dame, genannt Pré de Madame Carle, lässt sich hier wenig sagen außer man sei in der Lage, das Staunen und Herzhüpfen in eine okulare sinfonische Dichtung zu transponieren, die den Hörer wie Leser in hochfrequente Schwingungen versetzen müsste. Die sinfonische Dichtung zeichnet sich durch ein dramatisches Finale aus, in dem aus einem überraschend abgeflachten Schotterflussplateau Zapfen und Könige wachsen wie etwa die drei aus dem Morgenland, die uns regelmäßig um die winterlichen Feiertage beglücken – so auch Reste von Winter hoch abgelegt sind in mächtigen Gletscherzungen, aufgeraut wie ein eisige Reibefläche zwischen Erde und Himmel. Tusch und husch ins nächste Paradies!

Bildergalerie PACA-5 (111 Bilder):



Fortsetzung folgt