Re: Die kleine Maus und die große Null

von: Mütze

Re: Die kleine Maus und die große Null - 05.12.18 13:26

Sa, 18. Aug: Radtour durch's Pfinztal: 65 km

„Es geht eine bunte Flöhöte ...“

Heute wollte ich einen Ruhetag einlegen, nur mit dem Rad einen kleine Ausflug machen und nochmal meinen Vater besuchen.

Die Wäsche war über Nacht nicht getrocknet, ich spannte also eine lange Leine in der Maus auf, hängte die ganze Wäsche drüber und ließ die Maustür als Belüftung ein ganz klein wenig offen. Dann packte ich Vesper und Flöte ein, fuhr nach Bruchsal rein und dann auf Radwegen Richtung Bretten. An einem kleinen Denkmal für ich-weiß-nicht-mehr-wen-Unbekannten spielte ich ein bißchen Flöte, leider hielten die Noten nicht so richtig im Wind. Das nächste Mal nehme ich Wäscheklammern mit, die waren bei der Maus geblieben.



Ab Bretten ging es dann durch Walzbachtal und dann über Wöschbach, Berghausen, Grötzingen nach Durlach, wo ich gerade kurz vor Ladenschluß noch eine Radwanderkarte für meinen nächsten Reiseabschnitt bekam. Und mit meinem Papa mußte ich natürlich wieder ein paar Kreuzworträtsel lösen und ihm auf der Flöte was vorspielen, dann traf ich wieder in Bruchsal ein, und siehe da, meine Wäsche war richtig schön trocken.
Das Aufladen des Handys bei meinem Vater hatte wieder nicht geklappt, irgendwas stimmte da nicht. Ich hängte es hier erneut ans Netz und kochte mir Kohlrabi mit Nudeln, während ich den Vorbereitungen für eine Hochzeitsfeier zusah, die abends hier steigen sollte. Nach dem Essen setzte ich mich noch gemütlich auf die Terrasse der Campingschenke und sah bei alkoholfreiem Bier und Weinschorle dem bunten Treiben zu.


So, 19. Aug: Bruchsal - Rheinhausen - Rheinüberquerung auf der Fähre - Sondernheim: 67 km
„Ja, sowas habe ich früher auch mit meinem Erwin gemacht. Radtouren.
Und das hier war immer unser Plätzchen.
Aber Radfahren kann ich jetzt nicht mehr.
Das Gleichgewicht, wissen Sie. Alt werden ist schon schlimm.“
"Aber viel schlimmer ist doch, wenn man jung stirbt.“


Das war ein Gespräch mit einer alten Frau an während meiner Frühstückspause auf einer Bank an einer alten Eiche.
Ich schlängelte mich nach der Radwanderkarte mal wieder durch kleine Dörfchen, denn ich wollte zum Rhein, den überqueren, und dann eventuell Speyer besichtigen, auch wenn ich es schon kannte. Dabei hatte ich immer irgendwie Germersheim im Blick, später dann Rheinhausen, weil es da eine Rheinfähre gibt.
Und auf der setzte ich dann auch tatsächlich über. Ein nettes Ehepaar knipste noch für mich die Maus auf der Fähre, leider kam das Photo trotz Weitergabe von Telephon-Nummer und Mailadresse nie bei mir an. Schade.

Auf der anderen Rheinseite legte ich erst mal ein Picknickpäuschen ein, dann beschloß ich, auf die Besichtigung von Speyer zu verzichten, und hier nach 546 km den Wendepunkt meiner Reise einzuleiten. Ich radelte (auf ausgezeichnetem Belag) den Rhein Richtung Süden entlang und legte noch so ein richtig schönes Mittagsschläfchen ein.

Kennt Ihr das ? Stille … genau die richtige Temperatur … sich auf der gemütlichen Picknickdecke ausbreiten … und dann in so eine Art Schlummer versinken, bei dem der Körper vollkommen entspannt daliegt, die Sinne aber geschärft alles wahrnehmen: Geräusche, Gerüche … als könnte man trotz der geschlossen Augen alles sehen. Herrlich.

Gegen Abend kam ich durch Sondernheim, wo auf meiner Karte ein Campingplatz eingezeichnet war. Den steuerte ich an, mußte mich im Ort aber durchfragen - ein netter Man fuhr deswegen extra noch ein Stück vor mir her - aber leider war dieser laut Auskunft in der Camping-Gaststätte nur für Dauercamper da, nicht für Durchreisende.

So ein Mist !

Ich fuhr zum Campingkiosk, und die nette Besitzerin empfahl mir, diskret rechterhand am Ufer wild zu zelten, da würde oft so gemacht, das sei ein Privatgrundstück, dem Besitzer sei das völlig egal. Linkerhand liege Gemeindeland, da käme öfters mal das Ordnungsamt.


Die Welt durch den Blick meines Kochers: Der Badesse am Campingplatz Sondernheim.

Na gut. Ich trank bei ihr ein Apfelschorle und ließ die Maus den schönsten Stellplatz aussuchen. Dann badete ich ausführlich, machte einen ausgedehnten Spaziergang und schnabulierte eine Portion Pommes an dem Kiosk, die Besitzerin war wirklich ausgesprochen freundlich.
Als ich zu der Maus zurückkam, traf ich einen anderen Radwanderer an, der hier auch einen richtigen Campingplatz erwartet hatte und etwas weiter weg sein Zelt aufschlug. Ich kam mit Bruno (aus Paris auf dem Weg nach Aalen) ins Gespräch, wir schlenderten umher und setzen uns dann noch auf einen Absacker (Eis und alkoholfreies Bier) an den Kiosk.
Dabei kamen wir nicht umhin, ständig darüber zu schimpfen, so einen gut gelegenen Campingplatz nicht für Radreisende einzurichten. Die Kioskbesitzerin pflichtete uns bei. So Leute wir war hatte sie oft, und die Wiese direkt neben dem Kiosk (und somit direkt neben Toiletten und Duschen) wäre von der Lage her als Zeltplatz für Radwanderer ideal.


Mo, 20. Aug: Sondersheim - Wörth am Rhein - Schaidt - Wissembourg - Hagenau: 89 km
„Stop !!! Vous n'avez pas le droit de rouler ici ! N'avez-vous pas vu le panneau ?!?“
„ … „


Das - nun das war der etwas einseitige Dialog mit einem wackeren Gendarmen, aber dazu später mehr.
Als erstes heute Vormittag legte ich mir einen Einweg-Photoappart zu, denn mit meinem Handy, das ich unterwegs auch zum knipsen nahm, war jetzt endgültig nichts mehr anzufangen.
Und wie immer besorgte ich mir auch leckere Sachen zum Frühstück, das ich diesmal an einer kleinen Kapelle neben dem Radweg einnahm. Später fragte ich auch einen netten Kioskbesitzer, ob ich mal sein Telephon benutzen dürfe, denn da ich jetzt gar keine Meldungen mehr durchgeben konnte, wollte ich zumindest die Familie benachrichtigen, daß es mir gut geht, und warum ich mich nicht meldete.
Bei einem Eis auf der Terrasse hörte ich dann einem Gespräch zu, in dem ein kleiner Junge seine Mutter dazu bewegen wollte, ihm doch auch so eine schöne Maus zu bauen …


Das erste Bild, das ich dann knipste, waren die Tabakfelder, durch die der Radweg jetzt führte.
Ich hielt sogar mal an, um mit einem Landwirt zu reden, der gerade mit einer großen Maschine die Blüten an seinem Tabak zurückschnitt. Wegen der Trockenheit sei die Kultur zu früh dran, er solle eigentlich ernten käme aber garnicht hinterher, das Rückschneiden der Blüte hemme die Pflanze etwas in der Reife.
Als ich ihm erzählte, daß bei uns früher auch Tabak angebaut wurde, daß sogar die alten Bauern ihren eigenen Tabak rauchten, meinte er, hier sei es ganz genau so gewesen. Im Nachbardorf sei eine Tabakfabrik gewesen, der Tabak sei lokal verkauft worden.
Jetzt ging sein Ernte (heller Tabak) nach Ägypten, dunkler Tabak werde von ich-weiß-nicht-woher importiert, die Preise richteten sich ausschließlich nach der Börse.
Er hinge vollkommen von Subventionen ab, das gefiel ihm absolut überhaupt nicht. Wir waren uns einig, daß lokal produzieren und verkaufen das beste sei, aber das ist nicht einfach umzusetzen.


Bei meiner Vesperpause in Schaidt an diesem Korbmacher-Brunnen passierte dann noch etwas richtig Nettes. Während ich aß hatte sich eine alte Frau in die Nähe gesetzt.
Sie erhielt einen Anruf und unterhielt sich in einer Fremdsprache mit jemanden.
Ich liebe es, andere Sprachen zu hören: Melodie, Betonung, Gesten … ich bilde mir immer ein, ich wüßte grob um was es geht. Aber ich bin schon ziemlich gut darin, zu erraten, um welche Sprache es sich handelt. Hier tippte ich auf rumänisch.
Als ich aufbrechen wollte, kam sie auf mich zu und nestelte umständlich Geld aus ihrer Schürzentasche. Ich solle mir etwas zu trinken kaufen. Anders gesagt: Ich sei in ihrem Dorf zu Gast, und die Gastfreundschaft gebot, daß sie mir was anbieten müsse. Das fand' ich wirklich total süß. Zum Glück hatte ich gerade meine Trinkflaschen an „ihrem“ Brunnen gefüllt und konnte ihr glaubhaft machen, daß der Gastfreundschaft so Genüge getan worden war.

Und so gelangte ich langsam nach Wissembourg, ein richtig schönes Städtchen. Ich ruhte mich aus, probierte „Frozen Yoghurt“ ...





… und brach dann nach Hagenau auf.

Richtung Lauterbourg gab es einen ganz neuen, vorzüglich ausgeschilderten Radweg, Richtung Hagenau aber nur eine gut ausgebaute Landstraße. Die D 263.
Mann, war das ein Vergnügen ! Leichter Rückenwind, ein breiter Seitenstreifen, die Streckenführung fast eben - ich kam nachgerade auf rekordverdächtige Höchstgeschwindigkeiten, bis … ja bis der wackere Gendarme rotköpfig in seine Trillerpfeife blies und mich aus meiner Trance holte.

Aha. Hier durften Radfahrer also nicht fahren. Ich antwortete nicht so ganz arg viel, denn das Schild war mir schon aufgefallen, allein, es war halt gerade so richtig schön gewesen.
Dabei äugte er auch immer so Richtung Maus, es fehlte gerade noch, daß er mich fragte, ob die auch der frz. StVO entsprach.
Dann wurde er aber noch ganz nett, ging auf mein Argument ein, es gäbe halt keinen Radweg, suchte nach der Adresse des Campingplatzes in Hagenau und zeigte mir, wie ich über Mini-Dorfsträßchen an mein Ziel gelangen würde.

Jetzt wurde es zwar landschaftlich sehr schön, aber auch hügelig.
Und gefühlt verdoppelte sich die Strecke so, denn die Ministraße schlängelte sich, die D 263 war so schön gerade gewesen … Soultz-sous-Forêts, Surbourg, Schabwiller … nach Durchfragen fand ich da auch wieder einen Radweg, der durch einen großen Wald zu dem Picknickplatz „Le Gros Chêne“ führte.
Da gabelte sich der Weg, ein Schild gab es nicht. Ein Mausbewunderer (fehlt gerade noch, daß sie demnächst noch Autogramme verteilt) schickte mich nach rechts, aber dieser Weg führte kurz vor Hagenau wieder auf die D 263 !

Blick nach links, Blick nach rechts … kein wackerer Ordnungshüter in Sicht … Also voll durchstarten, es waren ja nur noch 2 km.
Worauf ich in der Eile aber eine falsche Abfahrt nahm und auf so eine Art Stadtautobahn geriet.
Au weia, heute war echt der Tag der Ordnungsbrüche.
Denn jetzt radelte ich die Abfahrt gegen die Fahrtrichtung wieder zurück, bog recht chaotisch mit meiner Stretchlimousine wieder auf die D 263 ein und holte erst Luft, also ich wirklich in Hagenau drin war. Puuh.
Jetzt nur noch ganz cool und möglichst unsichtbar durch's Städtchen radeln, der Campingplatz befindet sich nämlich genau auf der anderen Seite.


Der Abend bestand aus Wäschewaschen (das mache ich gerne abends, deswegen muß ich auch nicht so viel Gepäck mitnehmen), Duschen, Essen kochen (so 'ne Art Bio-Couscous aus der Tüte), herumschlendern, ausruhen.

Das war ja ein moralisch anstrengender Tag gewesen …

Fortsetzung folgt.