Re: Die kleine Maus und die große Null

von: Mütze

Re: Die kleine Maus und die große Null - 08.12.18 07:56

Do, 23. Aug: Ruhetag Langatte, Ausflug nach Lorquin und Abreschwiller, diverse Runden: 69 km
„Ca, c'est vraiment très, très, très gentil à vous“

Und das war es wirklich. Richtig ganz arg nett. Die freundliche Dame am Empfang hatte mir nämlich aus der Patsche geholfen. Ich hatte nicht mehr genügend Bargeld zum Einkaufen, wollte aber in den lokalen Tante Emma Laden in Diane Capelle, der aber nur vormittags aufhatte. In Sarrebourg wäre die nächstliegende Post zum Geld abheben gewesen, wenn ich hätte bis dahin radeln müssen, hätte ich auch gleich dort eingekauft. Aber das mußte ich der freundlichen Brigitte gar nicht genau erklären, sie verstand auch so, und bot mir an, daß ich ihr einen auf ihren Namen ausgestellten Scheck gab, worauf sie mir Bargeld aushändigte. Vollständig super.


Ich beschloß einen Ruhetag mit Radausflug nach Abreschwiller auf einer stillgelegten Bahnstrecke. Also erstmal zu Tante Emma (wo ich u. a. leckere Kekse erstand), dann an den Kohlekanal Richtung Gondrexange und Lorquin, wo der Ausflug beginnen sollte.
Dazu reihte ich die Kekse adrett in die Blechbehälter an meinem Vorderrad-Gepäckträger auf. Hübsch nicht ?
(Merke: Kekse schmelzen
a) auch wenn auf der Schachtel steht, sie würden das nicht tun und
b) wenn sie in der Sonne in einem Blechbehälter unterwegs sind.)
Aber lecker waren sie trotzdem.

An der Wurschtelbrücke vor Gondrexange traf ich übrigens ein Paar wieder, dem ich gestern schon begegnet war. Sie hatten ein (Merle genanntes) Hündchen zur Pflege und fuhren es in einem Anhänger spazieren. Während wir plauderten, klappten der sitzenden Merle immer wieder die Augendeckel zu, so genüßlich fühlte sie sich auf dem Kissen in dem Anhänger.

War es nach Lorquin noch steil und mit viel Autoverkehr gewesen, so war die Bahnstrecke jetzt richtig schön flach und ruhig. Sie führte die Sarre Rouge entlang. Die Saar entspringt ja in Frankreich, und zwar aus zwei im Elsaß in der Nähe des Donon gelegenen Bächen Sarre Rouge und Sarre Blanche.



In Abreschviller gab es eine Touristen-Dampflok, die gerade abfuhr. Ich hätte noch einen Platz ergattern können, aber der Zug war mir zu voll. Ein Picknick mit Mittagsschläfchen war mir lieber. Und dann gondelte ich zurück, fuhr sogar noch etwas weiter als Lorquin bis nach Hesse, und von da den schon bekannten Weg Richtung Camping.

Ein Gewitter zog auf. Ich habe so eine Art eingebauten Regenradar. Eine innere Stimme sagt mir: „Jetzt“, und dann suche ich einen Unterstand, und keine zwei Minuten später geht es los. So auch diesmal. Ich stand in einem alten Schuppen eines Bauernhofes, der verlassen schien, und sann über seine Geschichte nach. Mehrere Generationen hatten sich hier abgelöst. Erst die Arbeit mit Ochsen und Pferden, dann der erste Traktor und jetzt riesige Landmaschinen, die programmierbar sind. Oh weia.

Auf's Baden verzichtete ich heute Abend, es hatte sich empfindlich abgekühlt. Stattdessen aß ich in der Auberge du Stock und schlenderte dann noch über den Campingplatz bis zu einem Festzelt, in dem ein Soirée Mousse stattfand. Laute Musik und so komisches Schaumzeugs auf dem Boden - die Kinder hatten einen Riesenspaß.


Fr. 24. Aug: Langatte - V52 - Bataville - Varangeville - V50 - Velle-sur-Moselle: 102 km
„So ein Scheiß !“

Der Morgen begrüßte mich mit Ekelwetter. Niesel, Kühle, Wind. Igitt !!!
Für heute hatte ich mir überlegt, bis zum Campingplatz nach Velle-sur-Moselle zu kommen, dann wäre ich Samstag Abend zu Hause und könnte Edda, die so lieb mein Haus und Katzen gehütet hatte, am Sonntag noch zu einem kleinen Ausflug einladen. Die Strecke kannte ich, das war gut schaffbar.


Ich hielt noch mal bei Tante Emma und versuchte ein Selbstbildnis in einer verglasten Toreinfahrt zu knipsen, kaufte ein, und dann fing es richtig zu regnen an. Hatte ich vorher noch so groß rumgetönt, bei Regen würde ich mich einfach in die Maus setzen, das sei weiter gar nicht schlimm, so mußte ich jetzt feststellen, daß das zwar stimmte (ich saß wirklich im Trockenen), aber mir das trotzdem nicht gefiel:
Ich wollte doch fahren !

Als es das nächste Mal ein ganz bißchen aufklarte, band ich mir meine Regenponcho so um den Bauch, daß er nicht flatterte, und fuhr einfach los. Der Regen wurde schwacher, ein kräftiger Wind blies die Wolken über die Landschaft. Nur: Der Wind kam aus dem Westen, und da wollte ich hin. Es ist ja wirklich nicht das erste Mal, daß ich Gegenwind hatte, aber dieser hatte es in sich: Kalt und zäh.
Ich kam überhaupt nicht voran, es war alles mühsam. Dann wurde das Wetter zwar freundlicher, aber der Wind blieb. Puuh - es war ein richtiger Kampf.

Kurz vor Bataville kam ich an die größte Schleuse Frankreichs im Freycinet-Gabarit, wie der Schleusenwärter mir stolz erzählte. 15,50 m Höhe, das war schon beeindruckend, leider aber nicht photogen.

Dafür fluchte ich kräftig über die allerneuste Art von Drängelgitter, die für die Maus zwar breit genug, aber nicht hoch genug waren. Ich mußte jedesmal abhängen und die Maus vorsichtig neben dem Gitter entlang schieben, was meiner Laune nicht gerade zuträglich war. Aber es klappte.

Im Ort selbst kaufte ich dann nochmal ein und erinnerte mich, daß es hier vor kurzem einen erbitterten Kampf gegeben hatte. Die örtliche Schuhfabrik sollte schließen, die Angestellten hatten sich zur Wehr gesetzt, aber schlußendlich verloren. An der leeren riesengroßen Fabrik war ich ja auch vorbeigeradelt.

Ab jetzt gab es den Radweg am Kanal nicht mehr, ich radelte über Landstraßen, es war hügelig, der Wind immer noch stark, und eine Frau meinte mir erzählen zu müssen, daß sie sich selber einen Fahradanhänger gebaut hatte. Eine Leiter, Räder unten dran, Zelt drauf, fertig. Aha.

Irgendwo legte ich ein Päuschen mit Mittagsschlaf ein, dann ging es weiter, aber heute war alles nicht so lustig sondern anstrengend.
Und dann war zwischen Dombasle und Varangeville auch noch eine Baustelle, der ganze Verkehr samt Radfahrer wurde über eine enge holprige Straße geleitet, mit den vielen Lastwägen hier war das äußerst lästig.

Als ich dann wenig später noch eine Abzweigung verpaßte und beim Zurückfahren auf einen Bürgersteig geriet, der absolut dämlich gebaut war - links Blumentöpfe rechts eine Betonmauer, so daß die Maus nicht durchpaßte - fing ich an, richtig schlechte Laune zu haben. Ich mußte die Maus abhängen, mein Rad über zwei Ampeln schieben und abstellen, zurücklaufen, und die Maus vorsichtig zum Rad bugsieren. Am liebsten hätte ich die Blumentöpfe in die Mosel gefeuert und die Betonmauer gesprengt. Ein Kinderwagen kam da ja auch nicht durch !

So gelangte ich mühselig nach Laneuveville und zu der Anschlußstelle mit der V 50. Es war schon Abend, eigentlich die Zeit, um die ich gerne auf einem Campingplatz bin, bis Velle war es aber noch ein gutes Stück.

Zum Glück kenne ich die Strecke - dachte ich zumindest. An der Anschlußstelle hinter der Schleuse beginnt eine kurze Schotterpiste, die wollte ich nehmen. Aber da war eine riesige Schranke, und die war unten. So ein Mist !!!
Über die Straße fahren war ein bedeutender Umweg. Naja, vor der Schleuse ging auch ein Weg ab, der führte dann etwas wild auch auf die Schotterpiste. Das klappte auch, aber zu meinem Entsetzen mußte ich feststellen, daß irgend so ein Dödel den recht feinen Schotter auf der Piste mit groben Steinen aufgefüllt hatte. Es fuhr sich sozusagen gar nicht. Umdrehen ? Dafür war ich schon zu weit gefahren, das Ende sah ich ja schon. Also mühseligst weiter. An einer Brücke überlegte ich kurz, ob ich da diese Schreckenspiste verlassen sollte, dachte dann aber ich sei doch flotter, bis zum Ende durchzuradeln. Und dann … „So ein Scheiß !“, lagen am Ende der Piste Felsen im Weg.
Wacker und riesig.

Die waren absichtlich dahin gelegt worden, damit Autos nicht durchkamen. Räder paßten aber auch nur schwierig durch, die Maus schon gar nicht. Und das sollte ein Radweg sein ? Ja spinnen die Planer den manchmal vollständig ? Ich schimpfte und fluchte richtig laut, wendete und fuhr bis zur Brücke zurück … an deren Ende schon wieder so ein dämliches Drängelgitter war.

Oh ne, also echt ey, das konnte doch nicht wahr sein ! Heute war echt der Wurm drin.
Maus abhängen, durchschieben, wieder anhängen, inzwischen dämmerte es schon. Und kalt wurde es auch noch. Ich schaltete das Licht hinten an der Maus an, band mir meine Frontleuchte um den Kopf und trat volle Kanne in die Pedale.

Irgendwann mußte ich doch ankommen, irgendwann mußte diese Serie von doofen Ereignissen doch rum sein ! Und dann, um 21 h 30 traf ich endlich völlig erschöpft, verklebt und verschwitzt auf dem Campingplatz ein.

Die Duschen waren schon zu, ich wusch mich schnell mit dem Waschlappen, dann machte ich mir noch vegetarische Ravioli aus der Tüte warm. Beim Essen ließ ich den Tag Revue passieren. Es war eine Aneinanderreihung von Hindernissen gewesen. Das Gute war nur, daß ich es geschafft hatte, daß ich trotz Schwierigkeiten konzentriert, zwar stinksauer und übellaunig, aber ruhig geblieben war. Mit diesen Gedanken schlief ich ein.


Sa. 25. Aug: Velle sur Moselle - Charmes - Golbey - Bains-les-Bains: 85 km
„Tröööt, tröööt !“
„Chouette !“


Der wunderbare Klang der Hupe des lokalen Tante Emma Ladens auf Rundtour weckte mich. Super !!!
Darauf hatte ich mich gefreut, zum Frühstück Croissants zu bekommen. Traditionell gibt es nämlich (wenn ich auf Radreisen überhaupt frühstücke) ein Schocko-Croissant und ein normales.

Da ich noch etwas verpooft war, rollte ich in einer merkwürdigen Drehbewegung aus der Maus, mein Haare standen irgendwie komisch ab (dafür kann ich nichts, meine Hauptbedeckung hat ein Eigenleben), und so ganz manierlich angezogen war ich auch noch
nicht.
Kurz: Die verdutzten Blicke der anderen Camper, als ich mich in die Warteschlange einreihte und entschuldigend murmelte, ich gehöre eigentlich schon der Zivilisation an, konnte ich durchaus verstehen.


Die Welt durch den Blick meines Kochers: der Campingplatz von Velle.

Aber dann saß ich glücklich bei einem Kaffee in meiner Maus und mümmelte meine Croissants.
Es folgten die übliche Photosession für die Maus und der Morgenplausch mit dem Pächter, als ich meine Übernachtung zahlte, und dann brach ich schon wieder auf.

Leider ist der Rest des Tages schnell erzählt. Nämlich daß ich auf der V 50 bis nach Golbey radelte - immer mal unterbrochen von kleinen Schauern - und dann weiter bis Bains-les-Bains. Und zu Hause war alles prima gelaufen. Es gab massenhaft Geschichten zu erzählen.



Zum Dank lud ich Edda am nächsten Tag zu einem Ausflug zu dem schönen Klostergarten von Autrey bei Rambervillers ein.

Kartenmaterial:
ING-Karte Nancy - Bar-le-Duc 1 cm = 1 km,
ING-Karte St. Dié - Mulhouse - Bâle 1 cm = 1 km
ING-Karte Strasbourg - Forbach 1 cm = 1 km
Radwanderkarte Karlsruhe Südteil 1 cm = 400 m
ADGC Regionalkarte Pfalz 1 cm = 750 m