Re: Alpen, Haute-Provence, Okzitanien, Katalonien

von: Tom72

Re: Alpen, Haute-Provence, Okzitanien, Katalonien - 27.02.19 22:16

20. Tag (26.07.2018), Prats-de-Mollo – Castellfollit de la Roca
Strecke: 73 km
Höhenmeter: 1277 bis zum regenbedingten Ausfall der Höhenmessfunktion am Radcomputer plus geschätzte mindestens weitere ca. 300


Heute werde ich Frankreich verlassen und, was am Anfang der Reise lediglich eine Option unter mehreren denkbaren Szenarien war, tatsächlich noch Spanien erreichen, das ich nun schon auf etlichen meiner Radreisen mit Frankreich kombiniert habe. Wie oft ich an den verschiedensten Punkten zwischen dem Mittelmeer und dem Atlantik mit dem Rad mittlerweile die Grenze zwischen Frankreich und Spanien und umgekehrt überquert habe, kann ich aus dem Stegreif gar nicht sagen. Diesmal werde ich die Grenze über den 1513 m hohen Col d’Ares überqueren.

Ich frühstücke in Prats-de-Mollo-la-Preste und sehe mich anschließend noch etwas in der von einer Stadtmauer umgebenen Altstadt um.



Von der Straße, die hinauf zum Col d’Ares führt, hat man kurz nach Prats-de-Mollo einen schönen Blick zurück auf den Ort, über dem sich eine Festung erhebt, die, wie so viele barocke Befestigungsanlagen in Frankreich und insbesondere auch in den Pyrenäen, von Vauban, dem Militärarchitekten Ludwigs XIV., konstruiert wurde. Ich denke bei der Gelegenheit zurück an die Besichtigung der ebenfalls Vauban zuzuschreibenden Befestigung von Briançon vor zwei Wochen. Die Blumenrabatte in der Mitte des Kreisverkehrs ist sicher nicht zufällig in den katalanischen Farben gelb und rot gestaltet.



Auf schwach befahrener Straße erwarten mich nun 13 Kilometer und knapp 800 Höhenmeter bis zum Col d’Ares.



Die Auffahrt empfinde ich als anstrengender als die bisherigen Pässe der Reise, zumal die Steigung gerade auf den ersten Kilometern zwar nicht extrem, aber doch recht anspruchsvoll ist. Ich erreiche einen „Zwischenpass“, den Col de la Seille (1185 m), den ich nur anhand des Schildes und der Tatsache, dass es danach erstmal deutlich flacher weitergeht, wahrnehme.



Die Baumgrenze ist nun erreicht, und auf den verbleibenden Serpentinen bieten sich schöne Ausblicke.





Ich erreiche die Passhöhe des Col d’Ares und damit die Grenze zu Spanien. Auf dem Schild ist „España“ von Unabhängigkeitsbefürwortern mit Aufklebern der katalanischen Flagge überdeckt worden.





In der südlich des Col d’Ares gelegenen Landschaft des Vall de Camprodon heißt mich ein Schild auf Katalanisch willkommen.



Von der Passhöhe des Col d‘Ares rolle ich etwa 10 km abwärts bis Mollo. Nach einer Einkehr im Ort geht es noch kurz weiter auf der vom Col d’Ares herabführenden Hauptstraße C-38, die ich jedoch noch vor Camprodon, dem Hauptort des Vall de Camprodon, verlasse, da mich in der Michelin-Karte ein kleines Sträßchen (GIV-5223/GIV-5221) neugierig gemacht hat, das sich als landschaftlich reizvoll gekennzeichnet durch die Pyrenäenausläufer über Beget nach Castellfollit de la Roca, ein paar Kilometer nordöstlich von Olot, schlängelt. Olot wäre vielleicht auch gut geeignet für die nächste Übernachtung.

Die Route stellt sich als hervorragende Wahl heraus. Das Sträßchen ist fast ohne Autoverkehr und führt durch winzige Dörfer, das Landschaftserlebnis ist perfekt. Ob es tendenziell überwiegend abwärts geht, wie ich eigentlich dachte, lässt sich der Karte nicht eindeutig entnehmen, und tatsächlich geht es erstmal ein paar Kilometer ordentlich hinauf. Ab und zu begegnen mir Rennradler und Mountainbiker.





Dann kann ich eine längere Abfahrt genießen,



anschließend geht es wieder leicht bergauf, und ich komme durch das malerische Bergdorf Beget.



Was meiner Michelin-Karte nicht zu entnehmen war, ergibt sich aus einer Informationstafel in Beget, nämlich, dass die Straße jetzt nochmal etwa 250 m aufwärts über einen Pass führt. Kein Problem eigentlich, aber jetzt fängt es an zu regnen, und trotz tauglicher Regenklamotten ist das Fahren bergauf im doch recht heftigen Regen nicht sehr angenehm, Einkehr- bzw. Zufluchtmöglichkeiten gibt es weit und breit keine, also strample ich einfach weiter. Die Landschaft ist aber nach wie vor herrlich. Ein Foto auf dem 773 m hohen Coll de Bucs muss trotz des Regens sein;



anschließend geht es dann (jedenfalls überwiegend) abwärts durch einsame Dörfer wie Montagut i Oix, und der Regen hört auch wieder auf.



Ich erreiche das Städchen Castellfollit de la Roca, das spektakulär auf einem steil über dem Flüsschen Río Fluvià aufragenden Felsplateau gelegen ist. Am gegenüberliegenden Flussufer mit herrlichem Blick auf den Ort, dort, wo mein kleines Sträßchen wieder auf eine übergeordnete Straße stößt, ist ein Hotel, und sie haben auch ein Zimmer frei, nicht ganz billig zwar, aber nach gut 1500 Höhenmetern (die Höhenmessfunktion am Radcomputer hat vorhin im Regen aufgehört zu messen) bin ich froh, in der offenbar touristisch schwach erschlossenen Gegend eine Unterkunft gefunden zu haben. Bis Olot ist es mir doch zu weit. Das Hotel hat auch ein Restaurant. Perfekt. Auch von meinem Zimmer habe ich einen Bilderbuchblick auf die Altstadt von Castellfollit.



21. Tag (27.07.2018), Castellfollit de la Roca – Sant Feliu de Guíxols
Strecke: 121 km
Höhenmeter: 1097


Heute ist der letzte volle Fahrtag der Reise, morgen Abend muss ich bereits mit dem Zug in Avignon sein, wo ich übermorgen früh den bereits gebuchten TGV nach Frankfurt nehmen muss (die Fahrkarten hatte ich mir ja vor etwa einer Woche in Carpentras am Bahnschalter gekauft). Das heißt, ich muss morgen spätestens am frühen Nachmittag einen Regionalzug Richtung Grenze und von dort (vom Grenzbahnhof Portbou bzw. Cerbère) einen weiteren Regionalzug nach Avignon nehmen. Als Endpunkt der Reise und Beginn der Bahnrückreise böte sich daher Girona an. Bis dahin werde ich heute auf alle Fälle fahren, für einen Teil dieser Strecke, zwischen Olot und Banyoles, habe ich mir anhand meiner Karte das kleine Sträßchen GI-524 ausgewählt, das durch den Naturpark Garrotxa, eine von erloschenen Vulkankegeln geprägte Landschaft, führt. Am liebsten würde auch noch versuchen, nochmal ans Meer zu gelangen, ich könnte dann morgen vormittag mit dem Bus zurück nach Girona… Mal sehen.



Nach dem Frühstück im Hotel fahre ich hinauf in die auf einem Felsplateau thronende Altstadt von Castellfollit de La Roca, die ich ja schon vom Hotel aus im Blick hatte.



Nach einigen Kilometern erreiche ich Olot. Das Städtchen ist nach meinem Eindruck ohne besonderen Reiz, und die landschaftliche Besonderheit, dass sich im Stadtgebiet mehrere erloschene Vulkane erheben, ist wohl nur wahrzunehmen, wenn man mehr Zeit für einen Aufenthalt hat, als ich sie mitbringe. Immerhin fallen mir in der Altstadt mehrere sehenswerte Gebäude im Stil des Modernisme, der katalanischen Spielart des Jugendstils, auf.





Jetzt geht es auf der schwach befahrenen GI-524 durch die Garrotxa. Landschaftlich recht hübsch führt sie mich mit einigem Auf und Ab vorbei an den erloschenen Vulkanen, die aber von der Straße aus nicht wirklich als solche wahrzunehmen sind. Auch eine kleine, gut halbstündige Wanderung in Richtung eines der Vulkankegel lässt diese landschaftliche Besonderheit nicht allzu deutlich erkennen. Man müsste wohl dem Wanderweg bis zum Gipfel folgen, wozu mir die Zeit fehlt.



Schön ist die Fahrt durch die Garrotxa trotzdem.



Ich komme durch die Orte Santa Pau, Mieres und Sant Miquel de Campmajor. Bei Mieres fallen am Straßenrand die gelben Schleifen auf, die in Katalonien als Bekenntnis zur katalanischen Unabhängigkeit gelten. Dementsprechend tragen auch viele Katalanen eine gelbe Schleife auf der Brust. Unter dem Wegweiser nach Mieres ein Hinweis, dass die Gemeinde sich für die katalanische Republik einsetzt; das Schild scheint nicht von Aktivisten angebracht worden zu sein, sondern augenscheinlich offiziell von der Gemeinde. Das macht deutlich, wie tief aktuell die Frage der Unabhängigkeit die katalanische Gesellschaft spaltet.



Das Sträßchen durch die Garrotxa endet bei Banyoles. Nach meinem Pyrenäen-Reiseführer, den ich zwar aus Gewichtsgründen zu Hause gelassen habe, von dem ich mir aber vor der Reise die Seiten für diese Region abfotografiert hatte, entnehme ich, dass es hier an einem See einen Campingplatz gibt. Ich hätte dort die Etappe stressfrei beenden können, morgen Vormittag nach Girona fahren und dort die Zugrückfahrt antreten können. Aber der Ehrgeiz, nochmal ans Meer zu kommen, treibt mich weiter… Also fahre ich erstmal weiter nach Girona. Das bedeutet etwa 30 km auf dem Seitenstreifen einer vierspurigen Schnellstraße (C-66). Mit dem Fahrrad zwar erlaubt, aber natürlich nicht allzu angenehm und leider alternativlos. Ich bin froh, als ich schließlich Girona erreiche. Hier war ich vor acht Jahren schon einmal gewesen, damals hatte ich die Stadt von der Küste her, von Sant Feliu de Guíxols, über den Radweg auf einer stillgelegten Bahntrasse erreicht. Die vom Fluss Ter durchzogene Altstadt mit der Kathedrale kenne ich daher bereits.





Auch in Girona stößt man auf deutliche politische Bekenntnisse zugunsten einer katalanischen Republik.



Jetzt ist es bereits etwa vier Uhr nachmittags, aber ich beschließe, doch noch bis Sant Feliu de Guíxols an der Costa Brava zu fahren. Dort gibt es zwar keinen Bahnanschluss (auf der Trasse der ehemaligen Bahnstrecke Sant-Feliu – Girona verläuft jetzt ein Radweg, den ich zum Teil heute nutzen werde), aber ich bekomme im Tourismusbüro in Girona einen Busfahrplan, dem ich entnehmen kann, dass es regelmäßige Busverbindungen mit problemloser Fahrradmitnahme von Sant Feliu nach Girona gibt. So kann ich morgen Nachmittag von Girona die Bahnrückreise antreten. Und ich habe vormittags noch die Möglichkeit, noch ein Stück der offenbar landschaftlich sehr reizvollen Küstenstraße westlich von Sant Feliu zu erkunden, die ich noch nicht kenne, nachdem ich auf einer früheren Radreise acht Jahre zuvor die Costa Brava bereits östlich des Ortes, von Frankreich bis Sant Feliu, kennengelernt habe.

Bis Sant Feliu sind es noch etwa 40 km. Auf dem Bahntrassenradweg (via verda/via verde) „Ruta del Carrilet II“ bin ich, wie gesagt, vor etlichen Jahren einmal in umgekehrter Richtung von Sant Feliu nach Girona geradelt (zwischen Girona und Olot schließt sich auf dem oberen Teil der ehemaligen Bahnstrecke als Fortsetzung die via verda „Ruta del Carrilet I“ an, die ich vorhin alternativ zur Strecke durch die Garrotxa auch hätte nehmen können). Nach einigem Suchen finde ich am Stadtrand den Einstieg in die via verda, entschließe mich aber, aufgrund deren nicht asphaltierten Zustands um des zügigen Vorankommens willen stattdessen die Straße zu nehmen. Auf der verkehrsreichen C-65 gelange ich bis Llagostera, und als einige Kilometer weiter die Straße in eine Autovía mit Fahrradverbot übergeht, nehme ich für die restliche Strecke dann doch noch den Radweg, auf dem es sich eigentlich auch recht gut fährt und der nun auch überwiegend asphaltiert ist.



Dass es sich ursprünglich um eine Bahntrasse handelt, erkennt man unter anderem an den ehemaligen Bahnhofsgebäuden; in einigen sind heute Gaststätten für die Radler untergebracht,



Gegen acht Uhr erreiche ich schließlich Sant Feliu de Guíxols. In einer Strandbar gönne ich mir ein Bier.



Dass es hier Campingplätze gibt, habe ich bereits meiner Michelin-Karte entnommen, aber um herauszufinden, wo genau sie liegen, muss ich noch einige Geduld aufbringen, bis Google Maps auf meinem Smartphone bei recht langsamer Datenverbindung Antworten liefert. Der erste Platz, den ich nach ein paar Kilometern erreiche, ist komplett belegt, aber in der Rezeption bekomme ich einen Hinweis auf einen weiteren Campingplatz, der, recht weit oberhalb der Küste, bereits zum nächsten Ort, S’Agaró bzw. Platja d‘Aro, gehört. Dort bekomme ich um kurz vor neun auch tatsächlich einen Platz. Der Campingplatz hat auch ein einfaches Restaurant. Das passt hervorragend, da ich nach den heute gefahrenen 120 Kilometern, der längsten Etappe der Tour, und angesichts der späten Stunde froh bin, mich nach dem Zeltaufbau nicht noch auf die Suche nach einer anderweitigen Quelle fürs Abendessen begeben zu müssen.

Zum Tagesausklang ergibt sich schließlich noch ein unerwartetes Highlight. Im Campingplatzrestaurant läuft im Fernsehen eine Nachrichtensendung, die mich auf die gerade stattfindende totale Mondfinsternis aufmerksam macht. Und tatsächlich ist der schwach rötlich scheinende „Blutmond“ am wolkenlosen Himmel sehr gut zu sehen.

Fortsetzung folgt...