Re: Westliche Pyrenäen 2019

von: Tom72

Re: Westliche Pyrenäen 2019 - 02.01.20 22:08

8. Tag (07.07.2019), St.-Jean-Pied-de-Port – Ochagavía
Strecke: ca. 65 km
Höhenmeter: ca. 1500


Ich bin auf dem Campingplatz von St.-Jean-Pied-de-Port nicht der einzige Radreisende, der morgens aufbricht; so viele Reiseradler habe ich auf der Reise auf keinem anderen Campingplatz gesehen – wie gesagt, werden es überwiegend Jakobsweg-Radpilger sein.



Der sehr schöne Ort am Fuß des Ibañeta-Passes ist geprägt von den durchreisenden Pilgern und ganz auf deren Bedarf ausgerichtet. Hier beginnt der „Camino Francés“, der spanische Abschnitt des Pilgerwegs nach Santiago de Compostela.



Als ich losfahre, ist es bewölkt und trüb, und ab und zu nieselt es. Eigentlich typisches Pyrenäenwetter. St.-Jean liegt auf einer Höhe von etwa 150 m. Ich habe also bis zum 1057 m hohen Puerto de Ibañeta etwa 900 Höhenmeter vor mir. Nach etwa einem Drittel überquert die zum Pass hinaufführende D 933 in Arnéguy die Grenze nach Spanien, ab da verläuft sie weiter als Carretera Nacional 135. Schließlich tauche ich in die tief hängenden Wolken ein; von der weiteren Auffahrt zum Puerto de Ibañeta sehe ich daher nicht viel mehr als die Straße und bekomme von der Landschaft nicht viel mit. Der Jakobsweg scheint ungefähr parallel zur Passstraße zu verlaufen; ab und zu weisen Schilder auf dessen Querung der Straße hin.



Während der Auffahrt mache ich die Bekanntschaft eines Reiseradlers, der heute ebenfalls von meinem Campingplatz aufgebrochen ist, der mal mich überholt, mal ich ihn; ab und zu fahren wir kurz nebeneinander und tauschen uns auf Englisch über unsere jeweiligen Touren aus. Er ist Amerikaner, lebt aber zur Zeit in Bilbao, das auch das Ziel seiner Reise ist. Er ist wie ich einer der wenigen Radler, die diesen Pass überqueren, ohne dies wegen des Jakobswegs zu tun. Er ist irgendwo am Mittelmeer gestartet und hat die Pyrenäen längs durchfahren.

Ich komme etwas vor dem Amerikaner auf dem Pass mit einer Höhe von 1057 m an; kurz danach taucht auch er sichtlich zufrieden aus dem Nebel auf.



Ich habe das erste Mal auf dieser Reise 1000 Höhenmeter überschritten und überquere ein weiteres Mal den Pyrenäen-Hauptkamm.



Auf der in Nebel gehüllten Passhöhe macht eine Gruppe Radreisender eine Pause.



Die Abfahrt führt mich nach nur etwa zwei Kilometern durch Roncesvalles, die bedeutende Station am Jakobsweg mit Kloster und historischer Pilgerherberge, seit jeher von den Pilgern nach dem oft, gerade bei ungemütlichen Wetterbedingungen wie heute, mühsamen und gefährlichen Passübergang ersehnter Etappenort. Und während ich vor wenigen Minuten auf der Passhöhe noch mitten im dichten Nebel losgerollt bin, überrascht mich hier, gerade einmal 100 Höhenmeter tiefer, ein blauer, fast wolkenloser Himmel und Sonnenschein. Diese wohl für die Pyrenäen typische Konstellation – sonniges Wetter auf der spanischen Seite und Nebel und Regen auf der französischen – habe ich bereits mehrfach bei der Überquerung der Pässe des Hauptkamms erlebt; dessen Eigenschaft als Wetterscheide werde ich auf der Tour noch zwei weitere Male erfahren.



Unterhalb von Roncesvalles verläuft die vom Puerto de Ibañeta herabführende N 135 mit wenig Gefälle weiter Richtung Pamplona, wo ich vor etlichen Jahren eine Jakobsweg-Radtour begonnen habe und das ich, hätte ich dort hingewollt, nach etwa 40 km erreicht hätte. Dort finden gerade die jährlichen Sanfermines statt mit den weltbekannten Stierläufen (Encierros). Ich verlasse aber die Nationalstraße wenige Kilometer hinter Ronvesvalles und biege nach Südosten auf eine untergeordnete Straße (NA 140) ab, die über den nächsten Pass, den Alto de Remendia, parallel zum Pyrenäenhauptkamm verläuft, den ich dann morgen über den Port de Larrau wieder zur französischen Seite überqueren werde.

Nach der vernebelten Auffahrt auf den Ibañeta kann ich jetzt bei klarem Wetter die herrliche Pyrenäenlandschaft genießen; die Dörfer (Garralda, Aribe, Garaioa, Abaurrea (Baja und Alta)) wirken verschlafen; touristisch hat diese Region offenbar keine große Bedeutung.



Nachdem ich bei Aribe noch einmal etwas hinunter in ein Flusstal gerollt bin, beginnt die Auffahrt zum Alto de Remendia. Kurz vorher, hinter dem Ort Abaurrea Alta, eröffnet sich ein herrlicher Blick auf den Pyrenäen-Hauptkamm, dann ist der Pass, mit 1040 m nur unwesentlich niedriger als der Puerto de Ibañeta, erreicht.





Nach einer längeren Abfahrt erreiche ich Ezcároz



und kurz darauf Ochagavía, wo es einen Campingplatz gibt. Der Platz verfügt auch über ein Restaurant, aber ich bevorzuge es, in einem der Restaurants im Ort zu Abend zu essen.



9. Tag (08.07.2019), Ochagavía – Larrau
Strecke: ca. 32 km
Höhenmeter: ca. 840


Beim Frühstück im Campingplatzrestaurant sehe ich, wie einige Gäste des Platzes gebannt die Fernseh-Berichterstattung mit den spektakulären Bildern von den gerade im nahen Pamplona ausgetragenen Sanfermines verfolgen, bei denen Menschen, überwiegend junge Männer, aus aller Welt tollkühn vor den durch die engen Gassen zur Stierkampfarena getriebenen Stieren herlaufen und wobei es häufig zu Verletzten (so auch dieses Mal) und gelegentlich auch Toten kommt.

Ich sehe mich noch ein wenig in Ochagavía um, dann nehme ich die Auffahrt zum Port de Larrau (1585 m) in Angriff. Da der Ort auf etwa 760 m Höhe gelegen ist, habe ich gut 800 Höhenmeter vor mir.





Landschaftlich interessant wird die Auffahrt, sobald die Baumgrenze erreicht ist und sich der Blick auf die Passhöhe eröffnet (im Bild etwas rechts der Mitte).



In weiten Serpentinen gewinnt die Straße mit herrlichen Ausblicken auf die Berglandschaft an Höhe. Laut einer Informationstafel am Straßenrand handelt es sich bei der Bergspitze am Horizont um den Monte Ori, den westlichsten, also von der Atlantikküster her gesehen ersten, Zweitausender-Gipfel der Pyrenäen.





Ein paar letzte Höhenmeter werden dem Radler durch einen kurzen Tunnel wenige hundert Meter vor dem Pass erspart.



Auf dem 1585 m hohen Port de Larrau, der mich ein weiteres Mal über den Pyrenäen-Haupkamm und über die Grenze zwischen Spanien und Frankreich führt, erlebe ich auch ein weiteres Mal das bekannte Wetter-Phänomen: Nachdem ich auf der spanischen Seite bei der Auffahrt Sonnenschein und überwiegend blauen Himmel genießen konnte, kriechen von der französischen Seite tief hängende Wolken die Passhöhe empor, von der ich zunächst noch eine weite Fernsicht habe, die sich während meines Aufenthalts aber rasch in Nebel hüllt.



Auf der Abfahrt habe ich daher noch weniger Sicht als gestern bei der Auffahrt zum Puerto de Ibañeta.





Nach wenigen Kilometern Abfahrt und einem kurzen, kaum wahrnehmbaren Gegenanstieg komme ich über einen weiteren Pass, den Col d’Erroimendy, der einem ohne das entsprechende Schild kaum aufgefallen wäre.



Hier kommt mir bellend ein respekteinflößender Hirtenhund entgegen, so dass ich in leichte Panik gerate und umso erleichterter bin, als kurz darauf aus dem Nebel der dazugehörige Schäfer auftaucht und ihn zurückruft.

Ein im Nebel kaum zu erkennendes Schild kündigt ein Gefälle von 10 % an und rät Kfz-Fahrern zum Gebrauch der Motorbremse. Das ruft mir wieder in Erinnerung, warum ich die Tour im Vorfeld so geplant hatte, dass ich den Larrau von Spanien nach Frankreich überquere und nicht in die andere Richtung – die Auffahrt auf der französischen Seite wird bei „quäldich.de“ als einer der härtesten französischen Pyrenäen-Anstiege beschrieben, und das bestätigt sich mir nun, als ich fast ohne Sicht die steilen Serpentinen hinabrolle und selbst das Bremsen als anstrengend empfinde (ich habe allerdings Felgenbremsen). Ich bin also froh, hier nicht hinauffahren zu müssen.



Schließlich fängt es aus den Wolken, durch die ich abwärts rolle und die mir fast jegliche Sicht nehmen, auch noch an zu regnen. Ich bin zu faul, anzuhalten und meine Regenklamotten herauszukramen und rolle tapfer weiter abwärts; die Abfahrt zieht sich endlos hin, ich werde immer nasser – schade, dass ich diese lange Abfahrt nicht genießen kann und deren Ende und den nächsten Ort, Larrau, herbeisehne.

Hier suche ich Zuflucht vor dem Regen und finde sie im Restaurant des offenbar einzigen geöffneten Hotels des Ortes und überlege bei einem Bier, ob ich heute noch weiterfahre. Ich entscheide schließlich, da das Hotel noch ein Zimmer frei hat, mich hier für die Nacht einzuquartieren.

Als der Regen nachlässt, mache ich noch einen Spaziergang durch das Dorf. Auch hier gibt es, wie für Gemeinden sowohl im spanischen als auch im französischen Teil des Baskenlandes typisch, einen Platz für den baskischen Nationalsport, Pelota.



Die Wolken liegen noch immer malerisch wie Bettlaken auf den Berghängen. Ein Schild am unteren Ortsausgang zeigt die polarisierende Wirkung der hier erfolgten Wiederansiedlung des Braunbären; die aus Slowenien eingeführten Tiere werden zwar einerseits (von Befürwortern des Artenschutzes) begrüßt, aber andererseits, wie hier, auch als Bedrohung für die heimische Weidewirtschaft empfunden.





Fortsetzung folgt…