Re: Finnland 2021 Iron Curtain trail EV13

von: Britta

Re: Finnland 2021 Iron Curtain trail EV13 - 10.10.21 13:24

weiter geht's:

Tag 11: von Nurmajärvi nach Hukkalampi 97 km
Auch heute Morgen blauer Himmel, das Thermometer zeigt -3°C.



Und tatsächlich treffen wir hier in der Einöde nach einigen Kilometern auf ein geöffnetes Café.



Beim Weiterfahren stellen wir fest, dass wir den Herbst auf seiner Reise gen Süden wohl so langsam überholt haben. Immer öfter fahren wir durch Gegenden, wo die Bäume noch grün sind.



Die nächste größere Ortschaft bzw. Stadt die wir jetzt ansteuern ist Lieksa.



Wie in allen größeren Ortschaften gibt es auch hier großzügige Fuß/Radwege die bereits einige Kilometer vor dem Ort beginnen und auch die Straßen innerorts begleiten. Wir sehen vergleichsweise viele Menschen, die in den Orten mit dem Rad unterwegs sind. Es ist entspannt hier zu radeln – ist es eh, weil auch die Autofahrer hier einen sehr entspannten Eindruck machen. Dennoch, die Rad-Infrastruktur hier gefällt uns.
In Lieksa schlagen wir uns ein weiteres Mal für wenig Geld am Mittagsbuffet den Bauch voll.
Dann biegen wir auf die 522 ab wieder in Richtung russische Grenze. Wirklich viel Verkehr ist auch hier nicht…





Gegen Nachmittag fängt mein rechtes Knie etwas an zu zwicken. Wir stellen meinen Sattel etwas höher und rollen weiter. Die Strecke ist schön, die Sonne scheint, und dass die letzten 10 km des Tages üble Baustellenschotterpiste ist, ist auch schnell vergessen als wir am See ein schönes Plätzchen fürs Zelt gefunden haben.





Tag 12: von Hukkalampi nach Ilomantsi 82 km
Die Nacht ist nochmal ordentlich frostig. Aber der Ausblick auf den See sehr schön.



Weitere gut 10 km geht es auf groben Schotter bis die Baustelle aufhört und es auf gutem festgefahrenem Lehmbelag weitergeht.





Wir erreichen die kleine Siedlung Hattuvaara. Ein paar Häuser und ein hübscher Kirchplatz.



Und eine weitere Gedenkstätte zum Winterkrieg. Das Straßenschild zeigt auch eine Kaffeetasse, also biegen wir ab.



Innen wird grade der Kamin angefeuert. Ein junger Mann begrüßt uns. Eigentlich sei geschlossen, aber er erwarte in einer Stunde eine Reisegruppe und daher wäre er hier und könnte uns auch einen Kaffee/Tee machen. Wir hocken uns vor den Kamin und er setzt sich zu uns. Er hat ganz offensichtlich Lust auf ein Gespräch und so erfahren wir eine ganze Menge über die Gegend und das Leben hier. Er selbst ist hier geboren und aufgewachsen. Hat 10 Jahre in der Stadt gelebt und ist nun zurückgekehrt, um dem Ort wieder etwas Leben einzuhauchen. Zusammen mit seinem Vater vermietet er Hütten und bewirtschaftet dieses Museum. Wir lernen, dass wir uns in der östlichsten Ortschaft von Finnland und der Festland-EU befinden, erfahren wann für welche Tierart hier Jagdsaison ist, dass es hier in der Gegend etwa 1000 Bären gibt, und nicht zuletzt, dass der Winterkrieg für die Finnen hier im Osten immer noch ein sehr wichtiges Thema sei und die vielen Mahnmale und Gedenkstätten diese Erinnerung wachhalten sollen. Dass so etwas nie wieder passiert.
Ein wirklich interessantes Treffen.

Aufgewärmt und gestärkt machen wir uns auf nach Ilomantsi. Mein Knie tut irgendwie immer mehr weh und wir haben überlegt, uns für heute Abend ein Hotel zu gönnen. Ilomantsi ist der nächste größere Ort, noch 40 km entfernt. Die Straße wird jetzt besser, allerdings zieht sie sich die letzten Kilometer wie Kaugummi schnurgeradeaus.



Das das Kurbeln wird zunehmend schmerzhaft und ich bin froh, als wir am gegen vier Uhr nachmittags den Ort erreichen.



Wir checken im örtlichen Hotel ein, dekorieren das Zimmer mit unserem Plunder und humpeln zum einen der zwei örtlichen Restaurants, das die reichhaltige Auswahl zwischen Burger, Kebab und Pizza bietet.

Tag 13: Ilomantsi 0 km
Die Nacht ist rum und das Knie tut immer noch weh – richtig weinend weh.
Die Treppe zum Frühstücksraum ist schon eine große Herausforderung. Schon beim Frühstück zeichnet sich ab, dass es heute wohl nicht weitergeht. Schweren Herzens buchen wir eine weitere Übernachtung. Maximal frustriert verziehe ich mich mit einer Packung Chips und einem Münster-Tatort aus der Mediathek ins Bett.



Ich könnte krank

Der Rest des Tages ist schnell erzählt. Wir humpeln zur Apotheke, kaufen die Maxi-Packung Diclofenac-Salbe und Bandagen. Humpeln zurück. Ich hab massenhaft Zeit mir mit dem ebenso frisch erstanden Nähzeug meine Hose zu flicken. Humpeln abends zum 2. Restaurant der Stadt, dass ebenfalls Burger, Kebab und Pizza anbietet – diese Woche aber geschlossen ist. Ein freundlicher Einheimischer weist uns aber drauf hin, dass es im Zentrum (das sind die 4 Häuser etwa 100m weiter…) ein weiteres Restaurant gebe. Ja, dann gehen wir da wieder hin, kennen wir schon, war lecker. dafür

Anbei noch ein paar Eindrücke von Ilomantsi:



Das Zentrum:




Tag 14: von Ilomantsi nach Saarivaara 65 km
Am nächsten Morgen hab ich das Gefühl, dass das Knie nicht mehr ganz so schmerzt. Ich weiß, vernünftig sein geht anders aber ich will wieder aufs Rad. Wir laden Gepäck um, so dass ich jetzt nur noch 2 Taschen hinten habe und fahren los. Es tut zwar etwas weh, lässt sich aber aushalten und ich habe den Eindruck, dass der Schmerz mit der Zeit weniger wird. Es erwartet uns heute wieder ein Regentag bei lauschigen, inzwischen schon fast selbstverständlichen 6°C. Der Blick auf die Wetterapp verrät: - richtig!- In drei Tagen wird es wärmer!
Egal, ich sitze wieder auf dem Rad und bin glücklich – Regen hin oder her.



Die Strecke führt uns auf den nächsten 50 km wieder geradewegs in Richtung russische Grenze. Hier ist jetzt wirklich wenig los, Autos passieren uns kaum. Auch Häuser oder auch nur Grundstückseinfahrten werden sehr rar. Nach gut 20 gefahrenen Kilometern fällt mir ein, dass wir bei unserem Aufbruch im Hotel wohl sowohl unseren Käse, den Joghurt und auch die Bierdose im Kühlschrank vergessen haben. Prima, und nach Einkaufen schaut‘s hier erstmal auch nicht aus.



Allerdings passieren wir mitten im Nichts einen nicht grade kleinen Friedhof. Eine möglicherweise dazugehörige Siedlung lässt dann aber eine ganze Weile auf sich warten.



Erst viele Kilometer später kommen wir durch eine Ortschaft am See – 500m entfernt irgendwo da gegenüber ist Russland.



Für eine kurze Regenpause geht es in – nein, nicht ins Klohäuschen – in die Bushaltestelle!



Es gibt Menschen, die sammeln Briefmarken, es gibt Menschen, die sammeln Fahrräder, und es gibt Menschen, die sammeln alte, rote Opel Kadett.



Nach gut 60 km fordert das Knie unmissverständlich den Feierabend. Wir suchen ein bisschen hin und her nach einem geeigneten Plätzchen und werden schließlich an einem „Strandbad“ am See fündig. Die Umkleidekabine ist für heute unser zu Hause.



Blick nach Russland – die Grenze verläuft hier mitten durch den Badesee:





Und am Abend gibt‘s dann Britta Chipse – extra für mich! lach



Tag 15: von Saarivaara nach Kitee 57 km
Immerhin, es hat aufgehört zu regnen. Mit Hilfe von Salbe und Ibuprofeen setzten wir uns wieder in Bewegung. Wirklich doll ist es nicht, aber immer noch überwiegt die Freude am Fahren und nach einigen Kilometern läuft es auch wieder ganz ordentlich.
Die Gegend wandelt sich wieder. Es gibt immer mehr Häuser und Höfe und deutlich mehr Landwirtschaft.









Gegen Mittag erreichen wir die Ortschaft Tohmajärvi. Ein Cafe finden wir nicht, selbst das Tankstellenrestaurant hat geschlossen. Aber es gibt einen geöffneten Supermarkt und da kaufen wir nochmal ordentlich ein. Und wer steht vor der Tür als wir wieder rauskommen?
Angi und Reini. Wir tauschen nochmal die Erlebnisse der letzten Tage aus, bevor sie dann im Laden verschwinden und wir uns in Richtung Kitee, der nächsten Stadt aufmachen.



In Kitee gibt es zumindest ein Tankstellen-Lokal, wo wir uns gleich mit Kaffee und Tee niederlassen. Das Ziel für heute ist wieder ein Badestrand an einem noch etwa 10 km entfernten See, der nach einem idealen Zeltspot aussieht. Als ich allerdings nach der Pause aufs Fahrrad steige merke ich schon, dass das schwierig werden wird. Das Knie zu beugen tut inzwischen so weh, dass ich irgendwie versuche zu fahren, ohne das rechte Knie beugen zu müssen. Radfahren ohne das Knie zu beugen ist aber nunmal schwierig. Das geht so etwa 50 m, da schaut Bernd sich um und spricht aus, was ich eigentlich so gar nicht hören will: „Schluss, Aus, Feierabend! Das hat doch so keinen Sinn. Wir hören hier auf und gehen ins Hotel“ Inzwischen ist die Bewegung aber so schmerzhaft, dass auch bei mir die Erkenntnis reift, dass er wohl recht hat. Nun, das Hotel im Ort ist gleich gegenüber und wenig später haben wir unser Zimmer bezogen.

Tag 16: von Kitee nach Kotka 15 Rad-km
Am Morgen ist es zwar wieder etwas besser, aber so wirklich belastbar ist der Zustand vermutlich nicht. Wir überlegen hin und her – so richtig anfreunden will ich mich mit dem Gedanken jetzt aufzuhören immer noch nicht. Allerdings weiß mein Kopf sehr wohl, dass es eigentlich keine andere Option gibt. Letztlich schlägt Bernd vor, mit dem Zug zur Südküste zu fahren, dort noch ein/zwei Tage zu verbringen, und dann von dort weiter nach Helsinki zu fahren. Gesagt getan. Zug gebucht, der Bahnhof ist glücklicherweise nur 8 km entfernt.



Ausgerechnet heute ist strahlender Sonnenschein und ja tatsächlich ist es heute sogar vergleichsweise warm – sicherlich 12°C. Zum Bahnhof fahren wir das erste mal auf dieser Reise ohne Handschuhe. Weil wir viel Puffer eingeplant haben sind wir viel zu früh da und haben noch massig Zeit, in der Sonne zu sitzen und beim Holz verladen zuzuschauen.



Die Zugfahrt verläuft planmäßig. Wir sind beeindruckt von der Bahn: den Fahrradaufhängungen, die über einen Federmechanismus die Räder eigenständig und ohne Kraftaufwand nach oben ziehen, von dem Kinderabteil, das sicher ein Drittel des oberen Waggonteils einnimmt und mit Rutsche und allerlei Spielzeug bestückt ist, und von der Freundlichkeit des Schaffners. In meinem Frust hab ich nämlich unser Ticket nicht für den heutigen Montag sondern für Donnerstag gebucht. Er quittiert es mit einem: Kein Problem – wir sollten nur bitte die Plätze freimachen falls jemand kommt, der die heute reserviert hat.







In Kotka, einer Hafenstadt an der Südküste steuern wir den dortigen Campingplatz an. Auch hier herrscht gähnende Leere und wir haben die Zeltwiese wieder für uns allein.



Tag 17: Kotka
Ruhetag. Wir verbringen den Tag mit Nichtstun. Der Sonnentag gestern war leider nur eine kurze Freude. Ein Strandtag wird es also nicht. traurig
Wir lesen, schreiben Postkarten und spazieren zum Mittagessen zum Lokal am nahen Hafen, das, wie sich raus stellt, quasi die Kantine für die Hafenmitarbeiter und LKW-Fahrer hier ist. Als kleines Kind wollte ich immer LKW-Fahrerin werden – so spannend schien das bei „Auf Achse“ zu sein. Jetzt kann ich hier immerhin in der Trucker-Kantine Mittag essen. schmunzel



Den Nachmittag verbringen wir mit einem kleinen Spaziergang am Meer und – ja – mit Minigolf träller und letztlich ein paar Dehnübungen für die verkürzten Muskeln.






Tag 18/19: von Kotka nach Helsinki 14 Rad-km
Für die Fahrt nach Helsinki haben wir einen Bus gebucht. Wir haben Zeit und trödeln die 9 km zur Haltestelle.



Interessanterweise fährt der Bus auf einigen Abschnitten exakt auf unserer ursprünglich geplanten Route und wir stellen für uns fest, dass wir zumindest auf diesem Abschnitt nicht wirklich was verpasst haben.
Am frühen Nachmittag erreichen wir Helsinki. Der Bus hält ganz in der Nähe des Campingplatzes, so dass wir es hier nicht mehr weit zu fahren haben. Den Rest des Tages verbringen wir am und um den Campingplatz. Die Suche nach einem Cafe bleibt erfolglos, was ich bis heute erstaunlich finde bei der Menge an Leuten, die da wohnen. Aber außer einem Tankstellen-Lokal mit wässrigem Kakao finden wir nix.

Den nächsten Tag fahren wir mit der S-Bahn nach Helsinki rein. Da wir beide nicht zum ersten mal in Helsinki sind, sparen wir uns das große Sightseeing-Programm und schlendern nur ein bisschen durch die Stadt.





Tag 20-22: von Helsinki über Hamburg nach Berlin 24 Rad-km
Auch an diesem Tag haben wir es nicht eilig. Es regnet mal wieder in Strömen, so dass wir den Vormittag im Zelt verbringen und uns dann gegen Mittag langsam zum Fähranleger aufmachen. Einen Briefkasten für unsere Postkarten finden wir leider nicht mehr unterwegs. Aber die nette Dame am Fähr-Check In nimmt die Karten entgegen und versichert, sie im nächsten Kasten einzuwerfen. Wir checken die Räder ein und auch hier am Hafen gibt es eine Kantine, wo wir nochmal die Wartezeit überbrücken können bis um 17 Uhr die Fähre ablegt.





Was ich mit Sicherheit sagen kann: Eine Kreuzfahrt werde ich in meinem Leben nicht buchen. a) finde ich es zwar eine Weile ganz nett, durch die Gegend zu schippern. Aber so wirklich spannend scheint es mir auf die Dauer auch nicht. b) sind mein Magen und Schiff fahren zwei Dinge, die so gar nicht zusammen gehen. Schon das leiseste Schaukeln treibt mich in die Horizontale.

Trotzdem ist es ein schöner Ausklang der Reise – und deutlich entspannter, als ein Flug.



Der Rest ist schnell erzählt. Am späten Abend legen wir in Travemünde an, von wo wir mit dem Zug noch bis Hamburg fahren. Dort übernachten wir bei einem Freund und treffen uns am nächsten Tag noch spontan mit Brit (tirb68) zum Frühstücken.
Mit dem Zug geht es dann am Nachmittag zurück nach Berlin, wo – und da schließt sich der Kreis zum Beginn der Reise – der FEX (also der Flughafenzug der uns vom HBF nach Hause bringen sollte) mal wieder ausfällt.

Unterm Strich eine schöne, interessante und gar nicht langweilige Tour – auch wenn‘s viele Bäume zu sehen gab. Dass wir abbrechen mussten, hab ich inzwischen verdaut, hat mich aber einige Tage noch ganz schön gewurmt.
Zum Thema Zipp-Hose: Schon vor der Abreise zeigte meine Wetter-App an, dass es in drei Tagen in Finnland bis zu 14 Grad warm werden sollte. In freudiger Erwartung packte ich auch meine Zipp-Hose ein. Die Softshellhose quasi als Backup – falls es doch mal kälter würde.
Nun, die Wettervorhersage änderte sich über die ganzen drei Wochen nicht und zeigte jeden Tag konstant das gleiche an: für die nächsten Tage 6 °C aber dann, in 3 Tagen wird es wärmer. Und ich hab meine Zipp-Hose schön sauber und ungetragen wieder mit nach Hause gebracht. grins

Britta