Re: Mitteleuropa (kreuz und) quer

von: natash

Re: Mitteleuropa (kreuz und) quer - 21.08.09 09:25

In Antwort auf: natash


Fortsetzung folgt

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22.7.Stozec-Horny Plana-Vyssi Brod 69km




Nachdem sich der Morgennebel gelichtet hat, verspricht es ein schöner, sonniger Tag zu werden. Wir beschließen mindestens einen halben Pausentag einzulegen und auf dem nächsten, angenehmen Zeltplatz unser Zelt aufzuschlagen, die Klamotten durchzuwaschen und in den See zu hüpfen.
Wir fahren spasseshalber mal den tschechichen Radwegschildern nach, was nicht immer die schnellste Verbindung zur nächsten Ortschaft ergibt, aber fast immer sehr schön ist. Die Ausschilderung ist (nicht nur hier, wie wir später sehen sollen) tadellos, so dürfte es in Deutschland auch gerne sein. Die Radwege sind hingegen nicht unbedingt für jedes Rad geeignet, hier scheint man das MTB zu bevorzugen. Letztere werden in größerer Anzahl um den See herum bewegt, in Tschechien fährt man offensichtlich gerne Rad, aber auch etliche Inline-Skater und Wanderer sind unterwegs.
Wir bummeln gemütlich um den See herum, der hübsch in grünen Hügeln und Nadelwäldern eingebettet ist. Eine gute Badestelle ist auch schnell gefunden und gegen frühen Nachmittag schlagen wir unser Zelt beim Kanu- und Zeltplatz in Vyssy Brod auf, der zum Zeitpunkt unseres Eintreffens wie ausgestorben scheint. Wir besuchen das örtliche Kloster und gabeln dort eine nette Östereicherin auf, die auf Schusters Rappen unterwegs ist.
Als wir vom gemeinsamen Essen auf den Zeltplatz zurückkommen, kann man unser kleines, grünes Domizil inmitten der zahlreichen ähnlich aussehenden Zelte kaum wiederfinden. Bald herscht Platzmangel auf der Wiese und die ersten unserer Nachbarn fangen an mitgebrachte Bierfässer zu öffnen. Auch der Bierausschank auf dem Zeltplatz ist rege besucht. Mir schwant Übles. Als eine Gruppe anfängt direkt neben unserem Zelt eine Feuerstelle einzurichten und einen hohen Turm Brennholz aufschichtet, verschieben wir unser Zelt in Windeseile um einige Meter. Wer will schon Löcher im Zelt. Wir gehen noch schnell ein Bierchen trinken und versuchen uns zur Nachtruhe zu begeben. Aber das mit der Ruhe ist so eine Sache. Am Lagerfeuer (es ist nicht das einzige) wird die Gitarre ausgepackt und lauthals gesungen. Obwohl kurz nach Mitternacht die Stimmen rapide rauher werden, kann ich kurz darauf bereits sämtliche Refrains mitsingen. Um 3 in der früh kann ich sogar den gesamten Liedtext und als ich aufs stille Örtchen muss, bin ich nur vom Durchlaufen der Wiese bekifft. Um 4 fangen die ersten an das Bier geräuschvoll wieder von sich zu geben. Um kurz vor sechs stehen wir auf, in der Absicht, das mit viel Gelärme zu verbinden. Die Lagerfeuergruppe schnarcht aber ungerührt rund um ihre Feuerstelle ausgestreckt weiter und ganz Hartgesottene sitzen bereits in ihren Kanus und sind bereit zur Abfahrt. Ich komme mir vor wie eine 80igjährige Volksmusikfreundin auf einem Rockmusikfestival - alt, müde und fehl am Platze. “Ruhe”tage sind, glaub ich, nicht so mein Fall. In den nächsten zwei Tagen mag ich übrigens kein Bier mehr trinken, schon vom Geruch wird mir übel.



23.8.Vyssi Brod-Malonty-Nove Hrady-Gmünd-Schrems-Waidhofen a.d. Thaya 130km



Der nächste Tag beginnt erwartungsgemäß recht zäh, aber die Strasse führt uns ersteinmal relativ eben und schonend von den Seen fort, so dass wir langsam wieder zu uns kommen können. Die Suche nach einem Kaffee gestaltet sich um diese frühe Uhrzeit ziemlich schwierig. So nahe an der östereichischen Grenze scheint es vor allem Puffs und Zahnartzpraxen zu geben. In Nove Hrady, einem hübschen Ort auf einem Hügel gelegen, findet sich dann doch ein Kaffee und weil wir kurz darauf falsch abbigen, sind wir plötzlich in Östereich.
Das macht aber nichts, das Waldviertel gefällt uns sehr gut und ausser einem gelegentlichen Traktor und einer den Hügel hinaufschnaufende Rennradgruppe, begegnet uns kein Mensch. Mittlerweile ist es so heiß geworden, dass mein Kopf im Helm gar gekocht wird, weshalb der Helm auf dem Gepäckträger und der Kopf im nächsten Brunnen landet. In Waidhofen gelangen wir auf den Campingplatz, wo wir neben einem Wohnmobil-Paar, die einzigen Gäste sind. Die Betreiberin schlägt uns vor, unser Zelt unter einem mit einem Holzdach und Wänden versehenen Veranstaltungsraum aufzuschlagen, weil Unwetter erwartet würden. Als wenig später nicht nur kräftiger Regen, sondern auch umherfliegende Baumteile den lauen Sommerabend zu einem jähen Ende bringen, sind wir sehr froh über unseren Standort.



24.7.Waihofen-Gross-Siegharts,Pulkau-Laa a.d.Thaya-Poysdorf-Herrnbaumgarten130km



Über kleine Nebenstraßen wurschteln wir uns nach weiter durch nach Osten. In einer Drogerie versorge ich mich mit Ohrstöpseln, wer weiß ob nicht doch noch einmal ein tschechischer Zeltplatz aufgesucht wird.
Mittags kommen wir dann vom Wald- ins Weinviertel und kreuzen im weiteren Wegverlauf mehrmals den Veltiner-Radweg. Den werbenden Schildern nach zu urteilen, scheint man hier ein wenig auf Radtourismus zu setzen. Diese verkehrsarme und liebliche Gegend eignet sich auch wirklich sehr gut zum Rad fahren und von manchen Hügeln hat man eine schöne Sicht über die Weinberge bis hin zu den Karpaten. In Herrnbaumgarten fahren wir einem Heurigenschild nach, schließlich wollen wir in einer Weingegend auch einmal einen solchen trinken.
Wir gelangen in einen von Weinkellern gesäumten Hohlweg. Dort befindet sich auch der Heurige. Bei uns daheim nennt sich die gleiche Einrichtung übrigens Besenwirtschaft, woanders Straußenwirtschaft. Dort dürfen die Winzer einige Wochen im Jahr konzessionsfrei eigenen Wein ausschenken und einfache Gerichte anbieten, was oft in eher rustikaler Umgebung geschieht. Dieser hier ist urgemütlich, hat aber ausschließlich Freiluftplätze zu bieten, was den Betrieb auf schöne Tage einschränkt. Bald sitzen wir fröhlich mit den Anwesenden plaudernd beim dritten Glas Wein und beginnen uns Gedanken um einen Zeltplatz zu machen. Die Wirtin schlägt vor, die Wiese vorm Weinberg zu belegen, die sanitären Anlagen würde sie dann für uns offen lassen. Dieses nette Angebot nehmen wir dann auch an und zelten mit bester Aussicht direkt unter einem Fahnenmast.



25.7. Herrnbaumgarten-Valtice-Lednice-Velke Bilovice-Hodonin-Straznice-Uhersky Brod-Luhacovice 126km



In der Nacht hat es kräftig geregnet und der Tag beginnt wechselhaft und kühl. Wir wechseln wieder die Grenze nach Tschechien und radeln durch das dortige Wein- und Obstanbaugebiet. Verlockende Düfte hängen in der Luft. Am liebsten würde ich in der nächsten Aprikosen- und Pfirsichplantage verschwinden und solange Obst naschen, bis mir schlecht ist. Verkaufstände für diese Köstlichkeiten kann ich leider erst am nächsten Tag in den Beskiden entdecken. Dafür treffen wir aber einen tschechischen Reiseradler, der ganz begeistert von unseren Lowridern ist. Leider besteht unsere Unterhaltung im wesentlichen aus wildem Gefuchtel und durcheinanderpurzelnden slawischen Sprachbrocken, was ziemlich schnell zu ihrem Ende führt. Schade.
Wir fahren durch eine hügelige Gegend, die bei Sonnenschein vermutlich lieblich, bei dem trüben Wetter aber ein wenig trist wirkt, was sich erst ändert als am frühen nachmittag erneut die Karpaten ins Blickfeld kommen. Des abends findet sich ein schöner Zeltplatz am Rande eines Kurorts im Bergland. Obwohl wir dort nicht die einzigen Gäste sind, können die Ohrenstöpsel in ihrer Packung bleiben. Die singenden Barden ums Lagerfeuer befinden sich am anderen Ende des Platzes und ich muss meine Vorbehalte gegenüber tschechische Zeltplätze wieder revidieren, dieser hier ist sehr angenehm, sogar eine Küche gibt es.



26.7.Luhacovice-Vizovice-Valsska Polanka-Velke Karlovice-Makov-Turzovka-Stara Bystica-Vychylovka 140km



Der nächste Tag führt uns zunächst in die tschechischen Beskiden, wo es nach einem einfach zu fahrenden Anstieg in einem aussichtsreichen Flusstal langgeht. Die Strecke ist auch bei anderen Radlern sehr beliebt, wir sehen zahlreiche Fahradgruppen, die meisten sind mit MTBs unterwegs. Am häufigsten sehen wir allerdings Fahrräder auf Autodächern und zwar so zahlreich, dass, wenn mich jemand fragt, was ich als sehr tschechienspezifisch in Erinnerung habe, mir unweigerlich dieses Bild vor Augen kommt:



Es ist Sonntag und der Ausflugsverkehr ist in vollem Gang. Weil die meisten Tschechen aber eher entspannte Autofahrer zu sein scheinen, ist das angenehmer als befürchtet.
Der heutige Tag ist windig und kalt und wir gönnen uns zur Stärkung Kaffee und Kuchen, was in Tschechien eine sehr leckere und geldbeutelschonende Angelegenheit ist.
Die Slowakei empfängt uns mit einem Partisanendenkmal am Grenzpass und unzähligen Werbetafeln in der nächsten Stadt. Würde ich vom Herstellen dieser Scheusslichkeiten leben, ich würde auf jeden Fall eine Dependance in der Slowakei errichten.
In der nächsten Stadt landen wir fast auf der Autobahn, weil es die auf unserer mittlerweile doch älteren Karte nicht gibt. Vor dem ersten Tunnel drehen wird dann doch lieber um, werden aber noch nicht einmal angehupt, was in Deutschland undenkbar wäre.
Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz folgen wir dem Schild zu einer “Ranch”, das uns einige Kilometer bergauf schickt, bevor die Straße in einem Wanderweg mündet. Der läßt sich aber gerade so eben auch mit Rennreifen noch fahren und wir kommen vor einem sehr schön gelegenem Berggasthof mit Pferdebetrieb raus. Dort können wir auf der Wiese unser Zelt aufstellen und gegen einen geringen Obulus die Dusche benutzen. Da haben wir einmal wieder einen Zeltplatz mit Spitzenaussicht über die umliegenden Täler und Bergkuppen erwischt! Nur wo die Beskiden anfangen und wo die Karpaten aufhören, habe ich bis heute nicht begriffen.



27.7. Vychylovka-Zakamene-Breza-Namestovo-Trstena-Sucha Hora-Zakopane 122 km



Am nächsten Morgen besuchen wir das nahegelegene Eisenbahn- und Bauernmuseum. Die Dampfwolken der Lock konnten wir am gestrigen Abend aus dem Tal aufsteigen sehen. Leider hat das Museum aber geschlossen und die Lock ist nicht in Betrieb. Weil die Museumsanlage aber trotzdem geöffnet ist, spazieren wir dann ganz alleine im Freichlichtmuseum umher und schauen uns die aufgebauten Überreste eines vom Stausee verschluckten Beskidendorfes an. Auch eine prächtige Dampflock und Sitzwagen der Holzklasse lassen sich am Museumseingang bewundern.
Danach führt unser Weg über eine neugebaute Strasse über die nächsten Berge an einem Stausse vorbei, den man aber kein einziges Mal sehen kann. Von der Existenz dieser Strasse hatten wir am gestrigen Abend erfahren und bereuen unsere Wegstrecke kein einziges Mal. Wie oft hat man eine nagelneue Prachtstrasse mit prima Aussicht schon einmal fast für sich alleine ?
Mittags machen wir am Stausee in Namestovo Station und genießen unser Mittagsmahl am dortigen Ufer. Danach geht es durch verschlafene Orte Richung Polen. Kurz vor der Grenze treffen wir ein spanisches Reiseradlerpärchen, die vor den überfüllten polnischen Straßen in die ruhigere Slowakei geflüchtet sind. Sie warnen uns, dass Zakopane, unser angepeiltes Etappenziel, so voll sei, dass sie sich die Frage stellten ob andere polnische Städte nun komplett entvökert seien.
Zakopane ist nach der Ruhe der letzten Tag dann wirklich ein Schock. Im “Chamonix des Ostens” reiht sich Andenkenbude an Restaurant und auf der Straße kann man den letzten Schrei der polnischen Outdoormode bewundern. Auch an Kirchen zum Erhalt des Seelenheils mangelt es nicht. Aber immerhin sind sämtliche Häuser, selbst die Neubauten, im traditionellen Holzhausstil gehalten, was ich deutlich ansprechender finde als die zahlreichen Betonbunker in vielen Alpenorten.
Unser Zeltplatz liegt zum Glück etwas außerhalb des Trubels und wir genießen unser erstes polnisches Bier der Tour mit Tatrablick.