Mittsommer in Schweden (rundherum in Svealand)

von: k_auf_reisen

Mittsommer in Schweden (rundherum in Svealand) - 27.08.09 09:48

30. Mai 2009
Skavsta – Nyköping – Svärta – Runtuna – Uppsa kulle – Spelvik – Ånsund
46 km


Seit meiner ersten Radreise in Skandinavien vor ein paar Jahren zieht es mich immer wieder in den Norden, und so hatte ich spontan beschlossen, das Angebot einer bekannten Billigfluglinie anzunehmen, mich und mein Rad zu erschwinglichen Preisen nach Skavsta zu bringen. Auch die Anreise zum Abflughafen gestaltete ich schon als längere Radtour, vielleicht wird es dazu an dieser Stelle irgendwann eine Vorsetzung geben (wenn ich das neuenglische prequel mal so eindeutschen darf).
An sich bin ich früh genug am Flughafen, und mit dem Verpacken des Fahrrades und dessen Aufgabe gibt es auch keine Probleme. Allein, schon kurz danach werde ich gebeten, mich zu melden; mit dem eingecheckten Gepäck gebe es ein Problem. Es stellt sich heraus, daß der Brenner des Trangiakochers noch ein wenig Spiritus enthält. Nach einer extrem mühsamen Diskussion, während der ich mich erbötig zeige, das inkriminierte Stück gründlichst zu reinigen – ja, wo denn? Nein, auf den Toiletten geht das nicht, es handelt sich um Gefahrengut … –, da das Zurücklassen desselben für mich keine ernstzunehmende Option ist, begleitet man mich mit dem Ding noch einmal nach draußen, wo ich dann, abseits in einer Wiese, eine tiefgreifende Säuberung durchführe. Natürlich will mir der Heini bei der Sicherheitskontrolle – um an eine (nicht mehr ganz) rezente Diskussion in diesem Forum über einen anderen Sektor des Transportwesens anzuknüpfen – auch jetzt noch blöd kommen und sich auf irgendwelche Regeln berufen, die das Mitnehmen eines solchen Gerätes überhaupt untersagen, doch zeigt sich seine Vorgesetzte einsichtiger, meint, ich habe ja recht, daß vom Brenner nunmehr keine Gefahr mehr ausgehe, und schlußendlich besteige ich ohne vorzeitige Einbußen meiner Ausrüstung das Flugzeug. Leider ist darüber so viel Zeit vergangen, daß ich nun der letzte Passagier bin und an einen Fensterplatz nicht mehr zu denken ist – ein Jammer ob des prachtvollen Sonnenscheins.
Auch in Schweden empfängt mich herrliches Sommerwetter; da jauchzt die Seele – wenn das so bleibt …! Aus organisatorischen Gründen radle ich zunächst nach Nyköping hinein. Ich brauche vor allem Landkarten. Die fressen zwar immer ein deutliches Loch in die Reisekasse, aber die 1:100.000er-Serie („Vägkarta“) ist einfach so ideal zum Radfahren, daß mir die entsprechenden Karten die Investition wert sind. Ich gehe noch eine Portion Fleischbällchen essen – etwas kulinarischer Lokalkolorit muß sein – und frage mich dann zu einem Supermarkt durch, um Spiritus und Lebensmittel zu erwerben.
Der Nachmittag ist zwar schon fortgeschritten, aber schwedische Frühsommerabende sind ja bekanntlich lang. Ich habe mir diesmal bewußt keine spektakuläreren Landschaften ausgesucht, sondern möchte durch die ruhigeren Gegenden Zentralschwedens radeln und dabei auch einiges an Kultur mitnehmen. Und schon bald beflügelt mich die herrliche Fahrt durch Felder, Wälder, Wiesen und Weiden und versprengten, rot gestrichenen Bauernhöfen.
Mein erstes Ziel ist Runtuna, und da die Kirche dort geschlossen ist, muß ich mich mit einer Rast auf einer Bank in der Abendsonne bescheiden. Dann radle ich weiter zum See Runnviken, wo sich der Grabhügel Uppsa kulle beeindruckend über dem Ufer erhebt, einer der höchsten seiner Art. Von oben habe ich eine prächtige Aussicht über den See und die umliegende Landschaft.


Der Grabhügel von Uppsa kulle

Die beiden Runensteine bei Spelvik, die mein Reiseführer erwähnt, finde ich nicht, und da es langsam spät wird, suche ich mir bei Ånsund einen Zeltplatz.


31. Mai 2009
Ånsund – Spelvik – Aspa – Ludgo – Sättersta – Tystberga – Bälinge – Grinda – Nynäs – Hånö – Aspnäset –
53 km


Ich beginne den Tag mit einer Portion Altgermanistik, denn zumindest die vier Runensteine bei Aspa sind problemlos zu finden, direkt neben der Straße. Von denen werde ich noch viele sehen, gerade in Södermanland ist die Dichte dieser Gedenksteine aus der Vikingerzeit sehr hoch. Fast immer sind die eingeritzten Schriftzeichen mit roter Farbe nachgezogen, und so ist es nicht schwer, aber unterhaltsam, die Texte zu entziffern und nachher die Erklärungstafeln, die meist daneben stehen, zu lesen. Inhaltlich gleichen sich die Inschriften ohnehin ziemlich, Variationen zum Thema „XY ließ diesen Stein zum Gedenken an NN errichten, seinen Bruder/Vater“ etc., ab und zu mit ein paar Angaben zu den Unternehmungen des Verstorbenen oder zum Runenmeister, der mit der Ritzung beauftragt worden war.
Als nächstes steuere ich die Kirche von Ludgo an. Leider ist sie, wie viele schwedische Kirchen, geschlossen. Das ist ein gravierender Nachteil, denn viele auch kunsthistorisch durchaus interessante Sakralbauten sind dadurch praktisch unzugänglich. (Zum Teil wird das durch einen Vorteil wieder wettgemacht: es gibt in der Nähe von Kirchen fast immer gut gepflegte öffentliche Toiletten, was den hygienischen Bedürfnissen des reisenden Radlers sehr entgegenkommt.)
Die gleiche Situation in Tystberga, wo ich nur durch die Fenster einen flüchtigen Blick auf die Deckenfresken erhaschen kann, sowie in Bälinge.


Kleiner See am Weg nach Nynäs

Um jetzt doch noch ein kulturhistorisches Erfolgserlebnis zu haben, beschließe ich, gleich nach Nynäs zu fahren, weil das dortige Schloß laut Prospekt nur am Wochenende geöffnet ist. Offenbar geht dort gerade ein Oldtimertreffen zu Ende, die Fahrzeuge sind dabei, den Schloßpark zu verlassen.


Oldtimertreffen vor Schloß Nynäs

Ich habe Glück, komme just zurecht zur letzten Führung (die nächste gäbe es erst wieder in sechs Tagen), und obwohl ich der einzige Interessent bin, findet diese statt. Die nette, ältere Dame bemüht sich, Englisch zu sprechen, wechselt aber, weil ihr das offenbar nicht leicht fällt, ab und zu zwischen Schwedisch und Englisch hin und her. Das Schloß ist das Hauptgebäude eines großen Gutes und prächtig eingerichtet. Vor allem die üppigen Stuckdecken im 1. Stock zeugen vom Reichtum des Landadels.


Nynäs slott

Im Anschluß an die Führung spaziere ich noch gemütlich im schönen Park herum, wo es verschiedene Nebengebäude, Ställe, die Orangerie, eine ehemalige Schnapsbrennerei und eine kleine Siedlung für die Arbeiter, malerisch am Rundbosjön gelegen, gibt.


Sommer in Schweden: Rundbosjön

Da ich keinerlei Stress habe, auch keine vorgegebene Route abfahren muß, nehme ich einen Umweg in Kauf, um den Abstecher ins Naturreservat Stendörren zu machen. Herrlich liegt die Schärenlandschaft in der Abendsonne, Buchten, Inseln, Granitfelsen, Wälder, Wasservögel, Blumen, kleine, rote Holzhäuser – Schweden wie aus dem Bilderbuch.


Abendliche Bootsfahrt in Stendörrens naturreservat

Ich folge einem Spazierweg mit Informationstafeln zu Geschichte und Vegetation des Gebietes und steige hinauf zum Aussichtsturm.


Blick vom Aussichtsturm über die Schärenlandschaft

Dann wird es Zeit, einen Zeltplatz zu finden. Da man in den Naturreservaten nicht campieren darf, verlasse ich das Gebiet noch, suche mir dann aber einen Platz am Ufer des Dragsviksfjärden. Es ist etwas mühsam, durch den Wald dort hinunterzukommen, aber der Aufwand ist es wert, ich stelle mein Zelt auf einem Traumplatz auf den Granitfelsen direkt an der Küste auf, rundum nur Wälder und das Meer. Phantastisch!


Mein Zeltplatz am Dragsviksfjärden


1. Juni 2009
– Hånö – Nynäs – Sandvik – Tofsö
22 km


Ich gönne mir einen urgemütlichen Tag, der mit einem Frühstück in der Morgensonne, an einen Granitfelsen gelehnt, beginnt. Zum Glück finde ich dann auch einen etwas besseren Weg zurück zur Straße.


Morgenstimmung am Dragsviksfjärden

Wieder in Nynäs angekommen, will ich ein paar Wanderungen machen, denn auch im dortigen Naturreservat sind einige Rundwege ausgeschildert. Und so besteht der ganze Tag aus kurzen Strecken per Rad und dann wieder Spaziergängen durch die frühsommerliche Landschaft Schwedens.


Bohlenweg durch die Wollgraswiesen in Nynäs naturreservat

Herrlich duftet der Flieder, der allenthalben in voller Blüte steht. Die Wege führen hinaus auf die Landzungen, die in die Bucht Tvären ragen. Auwälder, sumpfige Wiesen voller Wollgras. Leider auch viele Zecken, und immer wieder mal muß ich einen der Quälgeister daran hindern, sich festzubeißen. Schön dann wieder die Felsen am Wasser, ich lege mich in die Sonne und träume.


Es war einmal ein Bootssteg


Storchschnabel

Abends stelle ich dann mein Zelt am Gunnarbolfjärden auf, nicht ganz so romantisch wie tags zuvor, aber trotzdem nett. Während ich mein Abendessen koche, unterhalte ich mich mit einer älteren Spaziergängerin, die gerade vorbeikommt.


2. Juni 2009
Tofsö – Yttervik – Örboholm – Erikslund – Trosa – Åda - Tullgarn
36 km


Und damit ist es leider vorbei mit dem prachtvollen, heißen Sommerwetter. Der Rest des Monats wird – angeblich auch für schwedische Verhältnisse – ungewöhnlich kalt und recht regnerisch. Na ja, man kann nicht immer Glück haben mit dem Wetter. Morgens ist es zumindest noch trocken, wenn auch schon zunehmend bewölkt, und ich sehe zu, daß ich so schnell wie möglich nach Trosa komme. Es gelingt mir, dort gerade einzutreffen, als es zu regnen beginnt. Schwein gehabt.


Das Rathaus in Trosa

Das Rad steht trocken, ich gehe erst einmal einkaufen, versorge mich in der Touristeninformation mit Stadtplan und Informationsbroschüre und mache dann Gebrauch von einer weiteren genialen schwedischen Einrichtung: den weit verbreiteten öffentlichen Bibliotheken mit Internetanschluß. Auch in Trosa kann ich einen Computer benutzen und meine virtuellen Bedürfnisse befriedigen, bevor ich dann einen Bummel durch die Altstadt mit ihren hübschen Holzhäusern mache.


In der Altstadt von Trosa

Leider treffe ich dann eine Fehlentscheidung: vielleicht erreiche ich ja Schloß Tullgarn noch, bevor es schließt, mache mich also etwas überstürzt durch den Nieselregen auf den Weg, muß aber vor Ort feststellen, daß erst am nächsten Tag um elf wieder geöffnet wird. Warum bloß bin ich nicht in der warmen, trockenen Bibliothek in Trosa geblieben? Ich unterhalte mich längere Zeit mit einem Engländer, der vor Jahren nach Schweden ausgewandert ist, warte noch geraume Zeit, ob der Regen geruht aufzuhören, und suche mir dann doch einen Zeltplatz außerhalb des Schloßparks.


3. Juni 2009
Tullgarn – Vagnhärad – Edesta – Gnesta – Frustuna – Norrtuna – Vängsö – Lifsinge – Heby – Laxne – Marietorp – Karlstorp – Ådalskvarn – Läggesta – Gripsholm – Mariefred - Hista
69 km


Da es morgens noch regnet, lasse ich mir Zeit, bin aber dann trotzdem zur ersten Führung um elf Uhr wieder beim Schloß Tullgarn. Ein junger Mann, der ausgezeichnet Englisch spricht, führt die zwei anderen Touristen und mich durch das interessante Schloß mit seiner gediegenen Einrichtung aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Es diente einst als Sommerresidenz von Angehörigen der Königsfamilie, und so lerne ich viel über die schwedische Geschichte.


Tullgarns slott

Da ich Stockholm bewußt auslassen will, setze ich meinen Weg Richtung Nordnordwesten fort. Es wird erfreulicherweise zunehmend sonniger, und auch wenn ab und zu noch ein kurzer Schauer über mich hinwegzieht, wird es doch ein durchaus angenehmer Nachmittag. Södermanland ist zwar grundsätzlich flach, aber nicht brettleben. Es geht immer wieder leicht auf und ab, die Anstiege über die Granitbuckel sind kurz, können aber manchmal etwas steil sein. Der zeitweise recht kräftige Nordwind bremst ein bißchen. Ich fahre durch eine großteils offene Landschaft mit Wiesen, Weiden, Getreidefeldern und kurzen Waldstücken dazwischen.
Der einzige größere Ort am Weg, Gnesta, verfügt zwar auch über keine Sehenswürdigkeiten im engeren Sinne, aber hier stehen einige Informationstafeln herum, welche die Ankunft der Eisenbahn und anderer moderner Kommunikationsmittel wie des Telephons, in der Gegend thematisieren und die damit einhergehende Industrialisierung. Das ist ganz interessant, und ich lese einige der Tafeln durch.
Später, bei Lifsinge, zeigt ein Wegweiser eine Felsritzung an. Ich spaziere also durch den hübschen Kiefernwald hinauf, Rentierflechte überzieht malerisch die Felsen, aber von den Ritzungen keine Spur. Ich gebe auf, kehre zum Rad zurück und wundere mich, daß das Schild nun in die andere Richtung weist. Oder sollte ich so blöd gewesen sein …? Nein, ich habe schon recht, ein Herr erklärt mir, die Felsritzungen liegen in der Gegenrichtung und er habe den Wegweiser jetzt richtig gedreht.
Hübsch liegt der Gutshof Heby in der Nachmittagssonne, ein kleines Schloß, das man zwar nicht besichtigen kann, aber die Informationstafel verdient einen kurzen Halt.


Heby

Wenig später ändert sich die Landschaft, jetzt fahre ich durch Wald. Kurz nach Laxne erhebt sich links eine Grabröse beeindruckender Höhe, und dann ist es nicht mehr weit bis Gripsholm.


Alter Grenzstein

Eine Besichtigung kommt natürlich nicht mehr in Frage, aber weil das Schloß so schön in der Abendsonne am Mälaren liegt, mache ich noch ein paar Photos.


Schloß Gripsholm

Für die Nacht habe ich eine Couch – ich hatte mich kurz vor der Reise bei www.couchsurfing.org eingeschrieben und bin inzwischen ganz begeistert von dieser Möglichkeit, mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen – und muß nach Mariefred noch einige Kilometer nach Norden. Mein Gastgeber ist ein sehr gesprächiger, netter Typ, erzählt mir von seinen Reisen durch Texas, seiner Liebe zu Country Music und Honky Tonks, zeigt mir einige seiner dort entstandenen Photos, und wir unterhalten uns bis in die frühen Morgenstunden über Gott und die Welt.


4. Juni 2009
Hista – Mariefred – Gripsholm – Mariefred – Hista
17 km


So wird es am nächsten Morgen ziemlich spät, aber was soll's, es regnet ohnehin wieder. Ich bin froh, daß ich mein Gepäck erst mal da lassen kann. Ich radle nach Gripsholm und besichtige in aller Ausführlichkeit das Schloß. Das erweist sich nämlich als faszinierend. Seit der Zeit Gustav Vasas wurde daran herumgebaut, die ausführliche Führerbroschüre hilft aber während des Rundganges, das Stilgemisch zu entwirren. Einer der Höhepunkte ist sicherlich das Schloßtheater, das Gustav III. im Dachgeschoß eines der Türme einbauen ließ.


Gripsholms slott

Das Schloß beherbergt aber auch die Staatliche Porträtsammlung des Schwedischen Nationalmuseums, und erneut lerne ich viel über die schwedischen Könige, aber auch andere bedeutende Persönlichkeiten bis herauf in die heutige Zeit, denn jedes Jahr wird eine würdige Person ausgewählt, um die Reihe der Bildnisse zu erweitern.


Runenstein vor Schloß Gripsholm


Kanonen im Schloßhof

Als ich Schloß Gripsholm verlasse, regnet es nach wie vor. Dankenswerterweise hat die Bibliothek in Mariefred noch zwei Stunden offen. Nachher schaue ich mir etwas lustlos das bei sonnigem Wetter sicher nette Städtchen mit seinen hübschen Holzhäusern an, dann wird mir zu kalt, ich kehre zu meinen Sachen zurück – mein Gastgeber ist allerdings schon in der Früh nach Stockholm gefahren, noch einmal kann ich dort also nicht übernachten, und so fahre ich nicht mehr weit und stelle dann mein Zelt auf.


5. Juni 2009
Hista – Kumla – Toresund – Stallarholmen – Lundby – Klippinge – Överselö – Landhäll – Överselö – Klippinge – Lundby – Stallarholmen – Husby – Tuna – Ytterselö – Viggeby – Mälsåker – Viggeby – Ytterselö – Tuna – Husby – Stallarholmen – Åsa – Fröberga – Åsa
48 km


Die Insel Selaön bietet genügend Sehenswertes für einen ganzen Tag, aus verschiedenen Epochen, von der Steinzeit bis ins 20. Jahrhundert. Jeder Quadratmeter Boden scheint hier Geschichte zu atmen.
In der Früh hat der Regen zum Glück aufgehört, und nach dem Losfahren gibt es zum „Aufwärmen“ gleich einen Runenstein. Das reicht aber noch nicht, und gemäß dem Grundsatz „es gibt keine Kälte, nur unpassende Kleidung“ sehe ich bald davon ab, daß Juni ist, und ziehe Mütze, Handschuhe und Schal an, was durchaus wohltuend ist. Pullover und Anorak habe ich seit dem Temperatursturz ohnehin an.
Da Schloß Mälsåker erst um zwölf aufmacht, treffe ich die Entscheidung, zunächst nach Westen zu fahren, was sich bald als unsinnig herausstellen wird. Denn auch hier liegen am Weg so viele interessante Dinge, daß es eben doch nicht ein rascher Abstecher nach Överselö wird. Das fängt schon in Håsta hage mit einem Gräberfeld mit zwei Runensteinen an, und entlang der Straße folgen weitere, so bei Lilla Lundby und bei Klippinge.


Runenstein in Lilla Lundby

Dann die Überraschung in Överselö: die Kirche ist tatsächlich offen und verfügt über sehenswerte spätmittelalterliche Gewölbermalereien nebst allerlei anderen kunsthistorisch wertvollen Stücken, darunter ein romanisches Taufbecken, alte Holzskulpturen etc. Am Kirchhof stehen zum Drüberstreuen noch ein paar Runensteine.


Deckenmalereien in der Kirche zu Överselö

Nun ist es zwar schon viel später als vorgesehen, aber ich fahre doch noch schnell zum Ende der Straße, um einen Blick über den Fjord auf Schloß Tynnelsö zu werfen, was sich aber nicht auszahlt. Jetzt habe ich noch eine Stunde Zeit, bis Schloß Mälsåker am anderen Ende der Insel schließt. Ich trete also voll in die Pedale, und mit Rückenwindunterstützung schaffe ich es auch flott ans Ziel.


Schloß Mälsåker

Allerdings will die Dame jetzt keine Führung mehr für mich allein beginnen, erlaubt mir aber – ohne dafür Eintritt zu verlangen –, die unteren Räume selber zu besuchen. Das Schloß war ohnehin 1945 abgebrannt, man hat in den letzten Jahren jedoch offenbar die Stuckdecke im Festsaal renoviert, aber viel habe ich wohl nicht versäumt. So schaue ich mir die Ausstellung über das geheime Ausbildungslager norwegischer Truppen an, als welches das Schloß im zweiten Weltkrieg diente.


Moderne Kunst im alten Schloß

Da die Dame noch auf die Anlieferung einer Musikanlage für den nächsten Tag (Nationalfeiertag) wartet, nimmt sie es mit der Sperrzeit auch sehr gelassen, und ich kann noch in Ruhe durch die Säle bummeln. Überhaupt sind die Schweden diesbezüglich sehr angenehm. Während ich in Frankreich oft den Eindruck hatte, daß Öffnungszeit bis fünf bedeutet, daß um 17:00 auch der letzte Angestellte nach Hause geht und man daher oft schon um 16:30 hinausgeschmissen wird, läßt man in Schweden um 17:00 halt niemanden mehr ein, hat es dann aber nicht eilig, wenn noch jemand im Gebäude ist; sehr sympathisch!
Am Rückweg werfe ich noch einen Blick auf das Gräberfeld bei Viggeby. Viel mehr als die üblichen Grabhügel, verstreut unter mächtigen alten Bäumen gibt es hier zwar nicht, aber durch die Abendsonne ist das Ganze sehr stimmungsvoll.
Die Kirche in Ytterselö ist natürlich zu (nur jetzt am Abend oder immer?), ich setze mich auf eine Bank in die Sonne und jausne.
Zum dritten Male komme ich dann durch Stallarholmen, diesmal kaufe ich auch ein paar Lebensmittel ein. Die Ladenöffnungszeiten sind in Schweden sehr angenehm, oft ist auch abends lange offen, und das fast immer sieben Tage die Woche. Allerdings gibt es Läden nur in zumindest etwas größeren Orten.
Da ich ein besonderes Schmankerl noch ausgelassen habe, fahre ich ein weiteres Mal in den Westteil der Insel, wo es bei Åsa ein ausgedehntes Gräberfeld gibt. Unzählige Grabhügel, zum Teil malerisch mit Blumen bewachsen, ein paar Runensteine, aber auch eine große, schiffsförmige Steinsetzung aus zahlreichen Menhiren erstrecken sich über einen kilometerlangen Höhenrücken.


Schiffssteinsetzung im Gräberfeld bei Åsa

Etwas weiter, bei Fröberga, steht noch ein Runenstein an der Straße. Jetzt kommt auch die Sonne noch einmal kurz heraus und taucht die Landschaft in ein unwirklich schönes Licht mit ewig langen Schatten.


Abendstimmung bei Fröberga

Ich suche mir einen Zeltplatz und koche mir ein Abendessen. Das wird so reichlich, daß ich den Rest in eine Tupperwaredose verpacke und auch noch am nächsten Tag genug habe.


6. Juni 2009
Åsa – Stallarholmen – Låsta – Löt – Ulvhäll – Strängnäs –
29 km


Meinen vierten Kurzaufenthalt in Stallarholmen nütze ich nur zur ökologisch verträglichen Entsorgung meines Mülls an einer Miljöstation und fahre dann weiter nach Westen. Daß ich die Straße verlasse und der Radroutenbeschilderung auf eine Schotterpiste nach Norden folge, bewährt sich nicht so richtig, denn ich handle mir damit zusätzliche Steigungen ein, und auch landschaftlich bringt das Unternehmen nicht viel, weil ich alsbald durch weniger ansehnliche Industriegebiete im Weichbild von Strängnäs komme. Nach einem kurzen Blick auf den Gutshof in Ulvhäll bin ich aber ohnehin bald in der Stadt.


Der Dom zu Strängnäs

Der Dom verdient eine ausführliche Besichtigung: es gibt auch Deckenmalereien, hauptsächlich sind jedoch die drei geschnitzten, gotischen Flügelaltäre flämischer Provenienz sehenswert. Flandern muß damals Unmengen dieser Kunstwerke exportiert haben, denn immer wieder, nicht nur in Schweden, stoße ich auf spätgotische Altäre aus Antwerpen, Brüssel etc.


Kreuzigungsszene vom Hauptaltar

Im Chor steht die monumentale Reiterstatue König Karls IX. sowie das berührende Kindergrab der Tochter König Johanns III..


Gräber in Dom zu Strängnäs: Karl IX…


… Johanns III. Tochter

Da es noch einiges andere zu sehen gibt, kehre ich, nachdem ich wegen eines Taufgottesdienstes den Dom verlassen habe, später noch einmal zurück, um meine Besichtigung abzuschließen. Ich komme mit der Tochter des Küsters ins Gespräch, die im Rahmen eines Ferialjobs hier aushilft und sichtlich erfreut ist, ihre Fremdsprachenkenntnisse anwenden zu können. Dann wird das Gotteshaus schon wieder für eine Hochzeit gebraucht.


Impressionen im Dom: Grabkapelle für einen Admiral …


… und ein weiteres Grab

Rund um den Dom gibt es noch einige hübsche, ältere Häuser, doch als ich später den Stadtrundgang fortsetze und noch zur Windmühle hinauffahre, fängt es wieder einmal an zu regnen, obwohl ich bei strahlendem Sonnenschein nach Strängnäs gekommen war. Ich stelle mich in der Einfahrt zu einem Gastgarten unter. Erneut beeindruckt mich die Freundlichkeit der Einheimischen: die Dame ist zwar dabei, ihr Lokal zu schließen, aber natürlich dürfe ich weiter da bleiben, bis der Regen aufhört, solle halt dann die Türe gut zumachen. Hut ab und vielen Dank, das ist keineswegs selbstverständlich! Ich bleibe in der Tat gemütlich sitzen und schreibe ausführlich Tagebuch, denn es wird mehr als ein kurzer Schauer.
Irgendwann hört es doch noch auf zu regnen, ich verlasse die Stadt, sehe zu, daß ich einen Zeltplatz finde, der nicht völlig naß ist, finde wider Erwarten sogar etwas Brauchbares und freue mich dann schon sehr auf den warmen Schlafsack. Gekocht wird im Zelt.


7. Juni 2009
– Vansö – Fogdö – Kungsberg – Fogdö – Bergshammar – Lundby – Väsby – Ekeby – Hasselbyholm – Ekeby – Rällinge – Knutsberg – Åsby – Björsund – Fiholm – Kapellgården – Almby – Hyvena – Avesta – Sundby
54 km


Nicht ganz überraschend stelle ich fest, wie schnell meine Stimmung auf eine Wetteränderung reagiert. Sieht es in der Früh noch nach einem weiteren grauen und feuchten Tag aus, so wird es im weiteren Verlauf immer sonniger und wärmer als zuletzt, und ich erfreue mich an der Schönheit der schwedischen Landschaft. Heute steht die Halbinsel Fogdön auf dem Programm.
Erste Station ist Vansö, doch scheitert die Besichtigung der Kirche und der schönen Deckenfresken an der bereits sattsam bekannten schwedischen Absperritis.


Der Zugang bleibt mir leider verwehrt: die Kirche in Vansö

Mehr Glück habe ich in Fogdö. Wohl aufgrund der unsicheren Wetterlage hat man die jährliche „Vallfartsmässa“ von den Ruinen des Klosters Vårfruberga in die Kirche verlegt, und da man mit den Vorbereitungen des Gottesdienstes beschäftigt ist, kann ich mir die Reste der Wandmalereien, die hübsche Kanzel etc. ansehen.


Garten Gethsemane: Wandmalereien in der Kirche zu Fogdö

Ich habe dann auch Lust, an der Messe zum Dreifaltigkeitssonntag teilzunehmen, die musikalisch erfreulich von einem Blasensemble und hübscher Orgelmusik begleitet wird. Ich nehme auch noch die Einladung zum Kirchenkaffee an und sitze mit einer kleinen Schar im Garten des Pfarrhauses beisammen. Fast alle gehören der älteren Generation an, haben daher noch Deutsch in der Schule gelernt und sprechen dies auch erstaunlich gut.
Nach einiger Zeit verabschiede ich mich, mache den Abstecher nach Kungsberga, um mir die Ruinen des Klosters Vårfruberga anzusehen. Diese liegen hübsch am Ufer des Mälaren, viel zu sehen gibt es allerdings nicht mehr – das Kloster wurde ja, wie fast alle in Schweden, zur Zeit der Reformation von Gustav Vasa aufgehoben.
Zurück in Fogdö mache ich nun einen Abstecher in die andere Richtung zum schloßartigen Gutshof von Bergshammar, wieder eines jener reichen Landgüter, die so prägend für Södermanland sind. Es ist allerdings in Privatbesitz und kann nicht besichtigt werden.


Bergshammar

Später folge ich bei Stora Väsby dem Wegweiser zu einem Stein mit Ritzverzierung aber ohne Runen; weil es gar so fein warm ist, lege ich mich eine Weile in die Sonne und genieße.den prächtigen Nachmittag.
Ein weiteres Schlößchen liegt nicht weitab vom Weg, Hasselbyholm. Prachtvoll erhebt es sich in der Sonne. Besichtigen kann ich auch dieses nicht, fahre aber noch weiter zum Ufer des Mälaren, wo ein Segelboot an einem versteckten, kleinen Bootsanleger vertäut ist. Weit erstreckt sich der waldgesäumte See, durchsetzt von kleinen Inseln vor mir.


Am Mälaren bei Hasselbyholm

Ein Stückchen weiter fahre ich zur eisenzeitlichen Fluchtburg von Rällinge. Romantisch türmen sich die Felsen, die einst zwei Mauerringe bildeten, im farnbewachsenen Wald.


Mauerreste der Fluchtburg von Rällinge

Auf der anderen Seite des Dorfes gibt es wieder ein Gräberfeld, wo Lichtnelken hübsche Farbtupfer zwischen die alten Grabhügel und -steine setzen. Auch bei Knutsberg und in Åsby komme ich wieder an frühgeschichtlichen Resten vorbei.


Gräberfeld bei Rällinge

Bei Björsund verlasse ich dann über die Brücke die Halbinsel Fogdön und radle nach Fiholm, um noch einen Blick auf das dortige Schloß zu werfen, einst von Axel Oxenstierna errichtet, dem Reichskanzler König Gustavs II. Adolf.


Fiholm

Am Weiterweg komme ich bei Kapellgården noch an zwei Runensteinen vorbei, und weil es sich gar so angenehm fährt, radle ich am selben Abend noch bis Sundby, wo ich wieder am Ufer des Mälaren zelte.

Ende des 1. Teils