Flußexpedition an Semois/Semoy und Meuse

von: k_auf_reisen

Flußexpedition an Semois/Semoy und Meuse - 30.04.10 07:27

Auf speziellen Wunsch präsentiere ich hier einen Reisebericht „aus dem Archiv“. Vor knapp vier Jahren bin ich, auf der Suche nach hübschen Landschaften in meiner „Wahlheimat“ Belgien, der Semois/Semoy gefolgt. Es war insofern eine ziemlich spezielle Radreise, als ich mir zum Ziel gesetzt hatte, möglichst nahe am Fluß zu bleiben, wo immer die Ufer nicht ganz unwegsam waren.
Außerdem teilte ich die Tour auf zwei Wochenenden auf, eines davon ein verlängertes. Auf dem ersten Teilstück begleiteten mich meine Kinder, den Rest fuhr ich dann alleine. Da beide Teile aber inhaltlich zusammengehören, erlaube ich mir, sie hier in einem Bericht zusammenzufassen.
Außerdem habe ich leider nur vom zweiten Teil Photos.


Teil 1: Florenville – Libramont

9. Juni 2006
Florenville – Chassepierre –
9,5 km


Schon in der Früh bin ich mit Kinderanhänger und Campingausrüstung ins Bureau gefahren. Es ist Freitag. Jetzt, im Frühsommer, ist es hier in Belgien abends noch lange hell, und so mache ich mich gleich nach Dienstschluß auf zum Bahnhof, um ohne Umschweife mit den Kindern ins Wochenende zu starten. Obwohl der Zug recht voll ist, bringen wir Räder und Anhänger gut unter. Mit einmal Umsteigen, in Libramont, geht es in die Ardennen.
In Florenville steigen wir aus. Der Bahnhof liegt etwas außerhalb, wir müssen auf der Hauptstraße (N85) hinauf ins Zentrum des Ortes. Bei der Kirche gibt es eine nette Aussichtsbank mit einem schönen Blick über einen großen Mäander der Semois, die sich durch eine sanfte Wiesenlandschaft in die Wälder weiter im Norden schlängelt. In der Abendsonne verspeisen wir die Pommes frites und die (belgischen) Frikadellen, die wir am nahen Standl erworben haben.
Wohlgesättigt machen wir uns dann wieder auf den Weg. Die Hauptstraße können wir hier getrost links liegen lassen, es gibt ein schmales, aber asphaltiertes Nebensträßchen, perfekt für die Kinder, das am Rande des Plateaus, oberhalb des Flusses, nach Chassepierre führt, wo es dann hinunter zum Flußufer geht. Wir kommen an einem alten Waschhaus vorbei und spazieren durch die Reste der Mühle; einige Mühlsteine stehen hier noch herum.
Wenig weiter liegt der Camping de la Semois direkt am Flußufer. Ein idyllischer Platz, einer der nettesten, die ich kenne, keine Dauercamper, fern jeder Haupstraße. Während ich uns anmelde und das Zelt aufbaue, vergnügen sich die Kinder mit Trampolin, Tretautos und anderen Spielsachen.


10. Juni 2006
– Sainte-Cécile – Herbeumont – Mortehan – Cugnon – Mortehan
23,9 km


Ganz romantisch frühstücken wir auf einem Felsen am Ufer. Wieder gehen die Kinder spielen, während ich zusammenpacke.
Da der Campingplatz vor allem von Kanuten genutzt wird, betteln meine beiden, ob sie nicht auch Kanu fahren dürfen. Ich frage also, und tatsächlich erklärt sich ein freundlicher Herr bereit, mit uns eine kleine Paddelpartie zu machen. Für die Kinder ein Höhepunkt. Da macht es auch nichts, daß der große, schwarze Hund, der zum Campingplatz gehört, inzwischen unser Brot gefressen hat.
Wir brechen auf und fahren ins nächste Dorf, Sainte-Cécile. Über einen kleinen Hügel geht es zu einem Wanderweg, der als etwas holpriger, aber gut zu befahrender Forstweg zunächst zum Fluß hinunterführt und dann, fast eben, immer am Ufer entlang – eine sehr schöne Strecke, denn die Semois windet sich hier in zahlreichen Mäandern durch die bewaldeten Hügel. Die Ufer sind mit großen, fast noch frühlingsfrischen Blättern bestanden, und im Wasser wachsen weißblühende Hahnenfüße.
Einen asphaltierten Abzweig ignorieren wir, beim nächsten fahren wir dann doch den Hügel hinauf, denn laut Karte (Atlas Topographique Belgique, 1:50 000) hätte der Wanderweg ohnehin wenig später das gleiche getan. Es zieht sich etwas, aber meine Ältere, die schon selber radelt, hält durch. Im Schatten eines großen Baumes setzen wir uns am höchsten Punkt auf eine Bank und jausnen.
Auf der Straße (N884) geht es in rascher Fahrt hinunter an einen inzwischen trockenen ehemaligen Mäander der Semois bei den zu einem Hotel umgewandelten Resten der Abtei von Conques. Dann ist es nicht mehr weit, aber wieder ein gutes Stück hinauf, bis nach Herbeumont.
Hier ist erstmal Herumtollen am netten Spielplatz neben der Touristeninformation angesagt. Dann steigen wir zur Burgruine hinauf, wo die Kinder jeden Winkel erforschen. Wir steigen auch auf die Türme, um die Aussicht zu genießen. Am Dorfplatz essen wir noch ein Eis.
Wieder auf der Haupstraße geht es erneut rasch hinunter ins Tal, wo die Straße eine Stück der Semois folgt. Kurz hinter der Brücke gibt es einen Campingplatz. Es ist zwar noch nicht sehr spät, aber die Kinder überreden mich hierzubleiben, denn sie wollen unbedingt noch einmal Kanu fahren, und hier kann man solche offensichtlich mieten. Wieder ist es ein kleiner Platz direkt am Fluß, nicht ganz so idyllisch wie der letzte, aber durchaus okay. Es ist zwar schon nach fünf – offenbar darf man ab dieser Zeit nicht mehr Boot fahren –, aber wenn wir in unmittelbarer Nähe des Platzes bleiben, sei es okay. Wir paddeln also bis zur Brücke und lassen uns von der Strömung zurücktreiben.
Nachdem das Zelt aufgebaut ist, radeln wir noch nach Cugnon, um etwas essen zu gehen. Gut, aber recht teuer, und die Bedienung ist so langsam, daß sich die Kinder zu langweilen beginnen. Am Weg kommen wir an einer Hupfburg vorbei, wo sie sich noch einmal austoben können.


11. Juni 2006
Mortehan – Bertrix – Neuvillers – Libramont
23,2 km


Am Morgen machen wir noch eine, diesmal etwas längere Bootspartie. Wieder ist es ein herrlicher, sonniger Frühsommertag, kleine Insekten umschwirren uns (erfreulicherweise allerdings keine Mücken), das Wasser plätschert sanft, und auch wenn es erst Vormittag ist, fühle ich mich doch an den Prolog zu Lewis Carrolls Alice's Adventures in Wonderland erinnert – eines meiner liebsten Kinderbücher – und genieße das Leben.
Da wir ja am Abend wieder an einem Bahnhof sein müssen, verlassen wir jetzt den Fluß und fahren auf einer Nebenstraße am Rau des Muno durch den Wald hinauf. Erst fährt meine Ältere erstaunlich zügig bergauf, dann zieht sich die Steigung für sie etwas, aber die Aussicht auf ein Eis weckt neue Kräfte. Das schlecken wir dann in Bertrix, am Platz bei der schieferverkleideten Kirche des Ortes.


Blick auf Bertrix

Natürlich könnten wir auch hier in den Zug steigen, aber wir haben ja noch den halben Tag und beschließen, bis Libramont weiterzuradeln. Wir verlassen Bertrix gen Osten, büßen die steile Abfahrt mit einem knackigen Gegenanstieg, gelangen auf einen Feldweg, der uns über die Hauptstraße führt und radeln dann sehr nett durch Blumenwiesen über das Hochplateau. Der ungepflasterte Weg läßt sich gut befahren. In der Ferne leuchtet goldgelb der Besenginster am Waldrand.
Fast geraden Weges Richtung Libramont radeln wir jetzt mehr oder weniger eben durch einen hübschen Wald über die Höhen. Jenseits der Autobahn geht es durch Wiesen und Felder über Neuvillers nach Libramont, von wo aus wir mit Zug und Rad wieder nach Hause fahren.



Teil 2: Bertrix – Dinant

20. Juli 2006
Bertrix – Auby-sur-Semois – Dohan –
20,3 km


Mehr als ein Monat ist vergangen. Das um den belgischen Nationalfeiertag verlängerte Wochenende bietet sich an, meine Tour entlang der Semois fortzusetzen, diesmal ohne Kinder. Wieder bin ich schon in der Früh mit der ganzen Ausrüstung ins Bureau gefahren und brauche mich nach Dienstschluß nur noch in den Zug zu setzen. Mit Umsteigen in Libramont fahre ich diesmal nach Bertrix. Hier ist gerade ein Dorffest zu Ende gegangen, am Hauptplatz spielt eine Blaskapelle noch ein letztes Stück.
Durch Wiesen und Felder und dann hinunter durch den Wald radle ich nach Auby-sur-Semois, von wo aus man einen ersten, schönen Blick auf den Fluß hat, der sich zwischen bewaldeten Hügeln dahinschlängelt. Es geht erneut steil bergab, bis ich das Flußufer unterhalb von Les Hayons erreicht habe.


Sommerlicher Spätnachmittag an der Semois

Ich folge einem Schotterweg, der aber in einer Ferienhaussiedlung endet. In der Karte ist ein Forstweg am Flußufer eingezeichnet, und beim Zurückfahren entdecke ich einen Hinweis auf einen Wanderweg nach Dohan. Der ist nicht für Radfahrer gedacht, führt direkt am Ufer durch hohe Stauden, und dann kommt die erste Schlüsselstelle: ein Felsen namens La Roche percée, direkt am Fluß, mit der namensgebenden Spalte. Ich schaffe es, das vollbepackte Rad durchzuzwängen und das anschließende Steilstück hinaufzuzerren. Zum Glück wird der Weg nun, wie erwartet, besser, jetzt ist er zwar mühsam, aber durchaus machbar – ich fahre kein Mountainbike –, und nach einiger Zeit überrascht mich gar Asphalt.


Für den Radtouristen eine Herausforderung: La Roche percée bei Les Hayons

So erreiche ich das kleine Dorf Dohan mit einem alten Schloß, wohl auch in guten Zeiten wenig mehr als ein großer Bauernhof.


Hat wohl schon bessere Zeiten gekannt: das Schlößchen von Dohan

Auf der Hauptstraße (N865) schneide ich den nächsten Mäander ab, folge danach aber wieder der Semois, bald schon auf einem Fahrweg, der allerdings eher mühsam zu befahren ist. Lästig sind die unzähligen Bremsen. Lenken und Zuschlagen zugleich fordert meine motorischen und vestibulären Fähigkeiten. Auf einer großen, einsamen, aber gemähten Wiese am Flußufer stelle ich mein Zelt auf, nachdem ich rasch Anorak und lange Hose überziehe. Ist ihre Zeit ohnehin vorbei oder wirkt diese Adjustierung Wunder? Jedenfalls ist die Bremsenplage gebannt.


21. Juli 2006
– Bouillon – Botassart –
25 km


Wieder begrüßt mich am Morgen strahlender Sonnenschein. Am Wiesenrand, wo nicht gemäht worden ist, blüht es üppig.


Hübsche Blumen in den Auwiesen an der Semois: Drüsiges Springkraut …


… und Sumpfziest

Der weitere Weg am Fluß entlang ist sehr schön, aber stellenweise auch recht anstrengend. Mal in besserer Qualität, mal schlechter geht es durch die Auwälder dahin, oft nur auf schmalen Wegen, dann wieder eher forstwegartig. Streckenweise machen Wurzeln oder Steine mir zu schaffen.
Die Brücke vor dem nächsten Prallhang, die ich aufgrund der Karte erwartet habe, scheint es nicht zu geben; jedenfalls finde ich sie nicht, und auch sonst gibt es wegen der umgestürzten Bäume am Ufer kein Weiterkommen. Es bleibt mir nicht anderes übrig, als doch den steilen Forstweg hinauf zu nehmen und dann in einigem Auf und Ab am Nordufer der Semois weiterzufahren, bis ich ein Maisfeld kurz vor Bouillon erreiche. Das bereitet noch keine Schwierigkeiten, aber dann ist die Brücke über die N89 abgesperrt, und mit dem Rad muß ich einen Steilhang zur Straße hinunter, dahinter ebenso steil wieder hinauf, um dann erneut steil hinunter Bouillon zu erreichen.


Erster Blick auf Bouillon

Das ist ein hübsches kleines Städtchen, an einem Mäander der Semois gelegen und von der mächtigen Burg überragt. Die lange Baugeschichte hat ihre Spuren hinterlassen, und von alten, teilweise in den Felsen gehauenen Sälen aus der Zeit des berühmten Kreuzritters Gottfried von Bouillon über wuchtige Türme aus etwas späterer Zeit bis zu den eleganten Treppen Vaubans kommt alles vor. Von der Tour d’Autriche aus hat man eine schöne Aussicht über die Burg und die Stadt.


Ausblick von der Tour d’Autriche über die Burg und den Fluß

Auch die Greifvogelschau lasse ich mir nicht entgehen; Uhus, Adler, Geier und Falken fliegen über die Köpfe der Zuschauer hinweg.


Ein Geier …


… wundert sich bestimmt über die komischen Vögel, denen er hier auf dem Rücken herumtrampeln darf


Adler im Anflug

Da ich eine Kombinationseintrittskarte gekauft habe, besuche ich auch das Museum mit einigen Stücken aus dem Mittelalter und „Mitbringseln“ der Kreuzfahrer aus der arabischen Welt sowie Schauräumen zur Industrie- und Handwerksgeschichte des Ortes. Enttäuscht bin ich dann vom Archéoscop: die Multimediashow zum Leben des Gottfried von Bouillon besteht mehr aus technischen Spielereien denn aus substanziellen Inhalten.
Zum Abschluß meines Aufenthaltes in Bouillon erklimme ich noch zwei Aussichtspunkte: zunächst jenen auf dem Hügel La Ramonette. Hier sieht man noch Reste des Vorgängerbaus der späteren Burg. Von einem Pavillon aus genieße ich den Ausblick auf die Burg und die Stadt.


Bouillon: Aussicht auf Burg und Stadt von La Ramonette

Wieder im Tal lasse ich ein Stück weiter das Rad nochmals stehen und wandere auf markierten Waldwegen den Steilhang am Nordufer der Semois hinauf, bis ich die Aussichtswarte am Belvédère der Côte d’Auclin erreicht habe.


Und noch ein Blick auf Bouillon, diesmal vom Belvédère der Côte d’Auclin

Dann ist es Zeit, Bouillon zu verlassen. Auf schmaler Asphaltstraße radle ich am Nordufer durch den Wald und dann durch eine schöne Ahornallee zum Kloster Clairefontaine, wo ich hoffe, kurz die Kirche anschauen und dann Wasser nachfüllen zu können. Allein, die Klosterpforte ist geschlossen, auch Klingeln hilft nichts, und mir bleibt nichts übrig, als noch einmal schnell nach Bouillon zurückzukehren.


Abendliche Fahrt zum Kloster Clairefontaine

Erneut geht es am Kloster vorbei am Fluß entlang. Warum ist diese Sackgasse bloß geteert? Weil sie, wie sich herausstellt, zu einem Restaurant führt, das in einer ehemaligen Mühle eingerichtet ist. Aber auch der anschließende Forstweg ist ganz passabel zu befahren und führt dann sogar sehr nett unter dem Steilhang und an einer weiteren alten Mühle, dem Moulin du Rivage, vorbei.


An der Semois

Hier lasse ich das Rad nochmals stehen und steige durch den Wald hinauf zum Aussichtspunkt bei Botassart, wobei ich mich an den Himbeeren gütlich tue. Oben werde ich mich einem schönen Blick auf den Mäander der Semois und die dazwischenliegende Halbinsel „Tombeau du Géant“ belohnt.


Aussicht von Botassart auf die Semois; der Tombeau du Géant, das „Hünengrab“, wird vom Fluß umströmt

Die Fortsetzung des Weges ist als Mountainbikeroute markiert. Ein kurzer Zwischenanstieg läßt sich nicht vermeiden, aber dann geht es sehr angenehm dahin. Die Suche nach einem ruhigen Zeltplätzchen wird allerdings dadurch erschwert, daß hier die gesamte Jugend Belgiens auf Sommerfrische zu sein scheint: ein Zeltlager folgt dem nächsten, man zieht sich in die Natur zurück, sucht sich idyllische Plätzchen – und wirft dann das Dieselaggregat an, um die Stereoanlage betreiben zu können.
Ich radle also weiter, auf der meist ganz brauchbaren Mountainbikestrecke entlang der großen Wiese am Südende des Gleithanges, dann durch den Wald. Eine Stelle ist allerdings sehr mühsam, denn hier liegt ein umgestürzter Baum offenbar schon seit längerer Zeit über dem Weg und ist nur über einen steilen Hang zu umgehen. Nachdem sich kein geeigneterer, einsamer Platz findet und ich schon fast den gesamten Mäander wieder ausgefahren bin, stelle ich mein Zelt im Wald auf.


22. Juli 2006
– Poupehan – Frahan – Rochehaut – Frahan – Alle – Mouzaive – Chairière – Vresse-sur-Semois – Membre – Conrade
41,0 km


Ferner Donner begleitet mein Aufstehen und ich sehe zu, daß ich das Zelt noch trocken verpacke. Ein Seitenbach mündet in die Semois, meine Route steigt hier an, erreicht einen höher gelegenen Forstweg, dem ich bequem bis zur Einmündung des nächsten Baches, der Liresse, folge. Jetzt hat mich aber doch das Gewitter erreicht, sodaß ich mein Rad unter einen Baum mit dichtem Astwerk stelle und mich selber unter einen kleinen, überhängenden Felsen setze.
Als der Regen nachläßt, stehe ich vor der Entscheidung, wie weiter. Den Prallhang hier prägen steile Felsen, große Bäume recken ihre Äste, Zweige und Blätter weit darüber, bis zum Fluß hinaus. Hübsch, aber mit dem Rad schwierig. Ein Aufklärungsmarsch ergibt, der Wanderweg am Fluß entlang ist mit dem Tourengepäck fast unpassierbar, und die Karte läßt das mühsamste Stück mit den steilsten Felsen erst weiter westlich erwarten. Die beschilderte Mountainbikestrecke führt nach Norden durch das Tal der Liresse, und es ist weder klar, wie weit hinauf ich fahren müßte, noch ob die Route überhaupt weiter nach Poupehan führen würde.
Und was, wenn ich den Fluß durchquerte? Am Südufer verzeichnet die Karte einen Fahrweg. Eine erste Expedition führt zu nichts, aber weiter östlich finde ich dann doch in erreichbarem Abstand den wenig befahrenen, aber dennoch ganz guten Forstweg. Ich trage also Gepäck und Fahrrad durch die Semois – dreimal muß ich noch durch den Fluß waten, bis alles drüben ist –, schlage mich durch die Brennesseln und erreiche den Weg. Leider grollt schon wieder der Donner und ein weiteres Gewitter mit heftigem Regen zieht über mich hinweg. Poupehan liegt laut Karte fast zum Greifen nahe, aber auch der Forstweg, auf dem ich jetzt fahre, überquert den Fluß nicht mit einer Brücke, sondern vor mir liegt eine Furt. Mir gegenüber kracht ein Blitz nieder, und so traue ich mich nicht in den Fluß, suche, so gut es geht, Schutz vor dem Regen unter den Bäumen am Ufer.
Als die Blitze etwas weiter weg scheinen und es nicht mehr gar so heftig regnet, schiebe ich das Rad durch den Fluß. Das Wasser ist tiefer als erhofft, aber es klappt. Wieder am Nordufer geht es zwischen Ferienhäusern und Campingplätzen weiter nach Poupehan. Da der Regen wieder stärker wird, suche ich ein Restaurant auf und beschließe, bei einem frühen Mittagessen auf trockenere Zeiten zu warten. Noch ist die Küche zu, aber um zwölf macht man auf, und ich gönne mir das „Julimenü“. Als ich fertig bin, hat der Regen aufgehört, die Sonne kommt heraus und, wer hätte das gedacht, es wird doch wieder ein strahlend schöner Sommertag.
Die Hauptstraße (N893) wechselt – diesmal Brücke, nicht Furt schmunzel – aufs Südufer. Hier lasse ich das Rad stehen und steige zu Fuß zum Aussichtspunkt „La Chaire à Prêcher“ hinauf. Von hier sieht man schön, daß Poupehan von Campingplätzen und Kanuten lebt.


Blick vom „Predigtstuhl“ hinunter auf Poupehan


Am Weg nach Frahan

Weiter geht es am Südufer, schon bald wieder auf einer sehr angenehmen Nebenstraße nach Frahan. Das ist ein entzückendes, uriges Dorf am Gleithang des nächsten Mäanders, umgeben von Wiesen.


Nettes Haus in Frahan

Warum es so idyllisch wirkt, erfahre ich später auf einer Informationstafel: man hat Frahan zum geschützten Dorf erklärt und alle Camping- und Dauercampingplätze verbannt. Stattdessen hat man da und dort den traditionellen Anbau von Tabak wieder aufgenommen und die Tabaktrocknungsstadel wieder hergerichtet.


Tabakanbau in Frahan

Ich lasse mein Rad an der Fußgängerbrücke stehen und steige auf gutem, sorgfältig angelegtem Wanderwege hinauf nach Rochehaut. Dort wimmelt es von Touristen, die typischen Schieferhäuser sind fast alle zu Restaurants geworden, aber die Aussicht auf die Semois und Frahan ist tatsächlich hervorragend. Ich werfe auch einen Blick in die hübsche Kirche.


In der Kirche zu Rochehaut


Wunderbarer Blick hinab auf Frahan und die Semois

Das Problem an Frahan ist, daß das Sträßchen dorthin eine Sackgasse ist. Zwei Möglichkeiten bieten sich, „programmgemäß“ am Fluß weiterzukommen: ein Feldweg führt nach Süden, wo in der Karte eine Furt eingezeichnet ist. Als ich dort ankomme, habe ich aber keine Lust, das Rad ein drittes Mal an diesem Tag durch den Fluß zu manövrieren, zumal auch diese Furt nicht ganz flach aussieht. Also versuche ich es mit dem Wanderweg am Nordufer, die Brücke kenne ich ja schon. Wanderer meinen, der Weg sei ganz gut.


An der Semois bei Frahan (auf der Wiese ein Stadel zum Tabaktrocknen)

Ich hätte vielleicht doch besser die Furt wählen sollen. Anfangs geht es ganz gut, aber doch mit vielen Wurzeln und Steinen sowie schmalen Brücken, sodaß ich mehr schiebe als fahre. Als ich glaube, das Ärgste hinter mir zu haben, kommt erst die Schlüsselstelle: steil hinauf und wieder durch einen Felsspalt. Ich schaffe es soeben und mit viel Schweiß und Anstrengung. Da kommt mir wenig später der Eingang zu den ehemaligen Schieferminen von Corbeaux gerade recht: aus dem Mundloch strömt wie aus einem umgekehrten Fön kalte Luft hervor, und ich kann mich wunderbar abkühlen.
Gut gelaunt und nun auf problemlosem, zunehmend besser werdendem Fahrweg, bald schon asphaltiert, geht es weiter. Es folgen Campingplätze von einer bisher noch nie dagewesenen Ausdehnung, praktisch das ganze Ufer bis zur Provinzgrenze ist eine einzige Campingstadt.
Ich mache den kurzen Abstecher nach Alle, wo es eigentlich nichts Besonderes anzuschauen gibt, doch ist es wieder ein nettes Ardennenstädtchen mit lauter Steinhäusern.


Mouzaive, wieder ein nettes Dorf an der Semois

Bis Mouzaive kann ich dann wieder auf einer schmalen Straße am Südufer fahren, dann geht es über eine Fußgängerbrücke ans Nordufer und auf die Hauptstraße. Eher irrtümlich verpasse ich dann die Abzweigung des Uferweges und komme so, weiter der N945 folgend, hinauf nach Chairière und noch höher zum Col de la Haizette. Dahinter geht es steil bergab, und ich folge dem Vorschlag des Reiseführers, in die Gorges du Petit-Fays hinaufzufahren, ein waldiges, kühles Tal, ganz reizvoll. Ich fahre bis zu einem Schild, das zur Grotte de la Roche Mouselle weist. Zu Fuß folge ich dem Waldweg in die nächste Schlucht hinüber, wo ich aber keine Höhle, sondern eine Lourdesgrotte an einem lauschigen, abgeschiedenen Ort im Wald finde. Der Weg ist das Ziel, ist hier das Motto.
In rasender Fahrt geht es dann hinunter nach Vresse-sur-Semois. Viele Gäste sitzen in den Straßenrestaurants beim Abendessen. Auch Membre ist rasch erreicht, und ich beschließe, erneut dem Vorschlag des Führers zu folgen und den nächsten Mäander in einem großen Bogen nördlich zu umfahren.
Das bringt eine gehörige Steigung mit sich, die zunächst kein Ende zu nehmen scheint. Schließlich erreiche ich doch den Aussichtspunkt „Jambon de la Semois“ mit einem prächtigen Blick hinunter auf den Fluß. Leider dringt auch die lärmige Musik vom Campingplatz von Bohan bis hier herauf.
Wie der Tag begonnen hatte, so endet er auch: dunkle Wolken ziehen auf, und ich schlage mein Zelt in einer Wiese beim Weiler Conrade auf. Ich bin noch nicht lange im Schlafsack, da geht das Gewitter über mir nieder …


Abendliche Aussicht vom Jambon de la Semois


23. Juli 2006
Conrade – Hérisson – Hérissart – Bohan – Sorendal – Les Hautes-Rivières – Nohan-sur-Semoy – Naux – Thilay – Monthermé – Deville – Laifour – Revin – Fumay – Haybes – Fépin – Montigny-sur-Meuse – Vireux – Molhain – Hierges – Aubrives – Givet – Heer-Agimont – Hermeton-sur-Meuse – Hastière-par-delà – Waulsort – Freyr – Dinant
117,9 km


Angesichts der großen Distanz, die noch vor mir liegt – am Abend muß ich ja den Zug erreichen –, zögere ich nicht aufzustehen. Draußen herrscht dichter Nebel. Nach einer kurzen Fahrt über das Hochplateau geht es rasch – auf der N973 – zurück hinunter ins Tal der Semois, das ich in Bohan erreiche.
Auf guter Straße (N914) gelange ich bald nach Frankreich, der Fluß schreibt sich ab jetzt Semoy. Der erste Ort auf französischer Seite, Sorendal, geht nahtlos in Les Hautes-Rivières über, beide unspektakulär und zu dieser frühen Morgenstunde noch absolut verschlafen. In Nohan-sur-Semoy lese ich eine Informationstafel über eine ehemalige Schmalspurbahn, die von Monthermé aus das Tal der Semoy bedient hatte.


Ein nebliger Morgen: ein Reiher fischt in der Semoy bei Nohan

In Thilay gönne ich mir die erste Pause. Langsam wacht die Gegend auf, erste Rennradfahrer widmen sich dem Morgensport, und auch eine Bäckerei hat bereits offen, sodaß ich mir ein Frühstück gönnen kann.
Die Straße schneidet nun einen Mäander ab, und wenig später habe ich Monthermé erreicht und somit das Ende der Semoy, die hier in die Meuse (Maas) fließt. Die ehemalige Abtei Laval-Dieu kann ich nur von außen besichtigen, die Romanik des Turmes mischt sich mit späteren barocken Zubauten. Auch die Kirche St-Léger ist zu, obwohl die Tafel an der Türe anderes behauptet.


St-Léger zu Monthermé

Ich scheine aber etwas Zeit zu haben für einen Besuch der Hauptsehenswürdigkeiten von Monthermé, der Aussichtspunkte. In einer längeren Steigung erklimme ich also die Hügel im Norden der Stadt. Hatte ich erwartet, daß es nun am Kamm mehr oder weniger eben nach Westen gehen würde, so habe ich mich getäuscht, denn jetzt steigt die Nebenstraße erst recht an. Ich fahre, soweit es sinnvoll möglich ist, Richtung Longue Roche, und spaziere dann noch einige Minuten durch den Wald zu jenem Aussichtspunkt. Dort stehe ich dann hoch über der Stadt, die sich unter mir in den Mäander der Meuse schmiegt, sich aber auch östlich davon bis zur Semoy erstreckt. Noch liegen Nebel über dem Fluß, aber es ist abzusehen, daß sich die Sonne bald durchsetzen wird. Am Rückweg gebe ich mir auch noch schnell den Blick von der „Roche à 7 heures“ und von „Le Terme“.


Blick hinunter auf Monthermé

Mein Zeitbudget ist aber mehr als aufgebraucht, daher rasch weiter. Auf einer breiten, aber dennoch nicht allzu stark befahrenen Straße (D1) radle ich nach Deville und beame mich wenig später nach Madagascar – so heißt nämlich witzigerweise ein Vorort von Laifour. Ich versuche, die Steigung der Hauptstraße zu vermeiden, indem ich den Ort und einen Flohmarkt durchquere, es hilft aber nichts, ich muß trotzdem hinauf, um auf die Brücke zu gelangen. Von dort hat man einen hübschen Blick flußauf auf die Felsen von Laifour sowie flußab auf die sogenannten „Dames de Meuse“, waldige Hügel, mit steilen Hängen zur Meuse hinab.


Les Dames de Meuse bei Laifour

Inzwischen ist es wieder ein sonniger und heißer Sommertag geworden, und irgendwie kommt mir die Szenerie viel südlicher vor. Das mag an den Eichen liegen, welche die Meuse stellenweise säumen, ist aber wohl hauptsächlich ein psychologischer Effekt: das Wissen, Belgien verlassen zu haben und nun in Frankreich zu radeln, gibt der Unternehmung einen quasi mediterranen Aspekt.
Von der Brücke aus bemerke ich, daß es direkt am Fluß entlang einen alten Treidelpfad gibt, der sich wohl zum Radfahren eignen sollte. Und in der Tat ist die Strecke viel netter als die Hauptstraße, auch wenn der Asphalt hier weniger glatt ist. So erreiche ich Orzy, einen Vorort von Revin, wo der Eindruck des Vielweiterimsüdenseins sich dadurch massiv verstärkt, daß hier die Brombeeren schon reif sind, und ich schlage mir ordentlich den Bauch voll.
Revin selber ist eine nicht besonders attraktive Industriestadt, die sich über zwei Mäander der Meuse erstreckt. Ich überlege hin und her, ob es sich lohnen würde, auch hier die Aussichtspunkte anzusteuern. Der Mont Malgré Tout ist aus Zeitgründen ausgeschlossen, aber ich strample dann doch zur Faligeotte hinauf, von wo man einen hübschen Blick hinunter auf die Stadt und nach Norden auf den weiteren Lauf der Meuse hat.


Von La Faligeotte aus überblicke ich den weiteren Verlauf des Tals der Meuse gen Norden

Wieder auf der Hauptstraße (D988) geht es dann am Westufer weiter, bis ich Fumay erreiche, das in einem besonders eng zusammengeschnürten Mäander liegt. Die Innenstadt ist sehr nett mit einer hübschen Uferpromenade. Die Cafés scheinen vor allem von Hausbootfahrern frequentiert zu sein. Auch ich mache eine Jausenpause.


Fumay, ein malerischer Ort an der Meuse

Wieder gibt es nun einen Treidelpfad bis zum nächsten Dorf, Haybes. Da ich mir nicht sicher bin, ob die Wege am rechten Ufer durchgehen, fahre ich sicherheitshalber auf der Haupstraße am Westufer nach Molhain, wo ich mir die interessante Kirche anschaue mit einer alten Krypta.


Die Kirche zu Molhain glänzt mit einer Krypta aus dem 9. oder 10. Jahrhundert …


… sowie einer Grablegung aus dem 16. Jahrhundert

Entzückend ist dann Hierges, ein kleiner Ort mit beschaulichem, blumengeschmückten Dorfplatz unterhalb des Burghügels. Die Ruinen der Burg sind allerdings nicht zu erreichen.


Hierges mit seiner Burgruine

Zum Teil auf angenehmen Nebenstraßen an einem Kanal entlang, der den Meusemäander abschneidet, an dem die Kernkraftwerke liegen, erreiche ich die letzte Stadt in Frankreich, Givet. Die Stadt verspricht mehr, als sie hält. Der erste Eindruck ist zwar positiv, mit der Festung auf dem Hügel westlich der Stadt, einer netten Uferpromenade und einer hübschen Altstadt. Tour Victoire und Forge Toussaint sind aber geschlossen, zum Fort hinaufzufahren hat zu dieser Stunde auch keinen Sinn mehr, die Kirche ist nicht weiter interessant, und der Blick von der Tour Grégoire am anderen Flußufer ist auch nicht berauschend, zudem die Gegend dort ziemlich heruntergekommen.


Die letzte Stadt in Frankreich: Givet

Ich verlasse Frankreich. In Belgien komme ich nach Heer-Agimont, wo ich einen netten Radweg direkt am Ufer der Meuse entdecke.
Ein Höhepunkt ist dann noch Hastière-par-delà, wo die romanische Kirche wunderschön in der Abendsonne in der Biegung eines Mäanders liegt. Da sie noch offen ist, kann ich auch hinein und genieße den stimmungsvollen Innenraum.


Notre-Dame in Hastière-par-delà, romanisches (und gotisches) Kleinod an der belgischen Meuse

Wenig später, bei Waulsort, bin ich mir unsicher über den weiteren Verlauf des Radweges. Vermutlich hätte ich am Südufer bleiben können, aber ich bin mir nicht sicher, ob der Weg tatsächlich an den Felsen – eine der bekanntesten Klettergebiete im damit nicht gesegneten Belgien – vorbeiführen würde. Daher wechsle ich aufs linke Ufer und die Hauptstraße (N96).


Kletterfelsen bei Freyr

Das Schloß und die Gärten von Freyr sind um diese Zeit schon geschlossen, ich muß die Besichtigung auf ein andermal verschieben. Und so erreiche ich in der Abendsonne Dinant, das prachtvoll an beiden Ufern der Meuse liegt. Vor allem die Kathedrale liegt imposant unter den Felsen, auf denen sich die Festung erhebt. Zwergenhaft sehen daneben die Häuser der Altstadt aus. (Leider ist jetzt der Akku meiner Kamera endgültig erschöpft.) Ich habe noch genug Zeit für einen Stadtbummel und erreiche ohne Probleme meinen Zug zurück.

Fazit: das Tal der Semois ist bestimmt eine der landschaftlich schönsten Gegenden Belgiens. Auf schmalen Wegen wo immer möglich dem Flußlauf zu folgen war eine Herausforderung und gab dieser Unternehmung einen speziellen Anstrich. Nichts für eilige Radler, aber für mich ein kleines Abenteuer, das sich auch ohne Urlaub und Fernreise verwirklichen ließ.

K.