Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main

von: Christof

Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main - 03.08.10 09:24

Teil 2: von Groß Glienicke nach Bettrum

Donnerstag, 8. Juli: Groß Glienicke – Rottstock
Gegen den Spanien-Kater (so überhaupt vorhanden) helfen frühmorgendlicher Lauf zum und Bad im Sacrower See. Der Abschied vom Bullenwinkel und den Freunden fällt schwer, aber uns leitet das Oliver Kahn-Motto „weiter, immer weiter“. Über Krampnitz erreichen wir Potsdam, passieren die russische Kolonie Alexandrowka, rollen durch die Freidrich-Ebert-Straße und versprechen uns: In diese Stadt kommen wir mal für einen ausgiebigen Besuch. An der Moschee erreichen wir den Templiner See, der uns die nächsten zehn Kilometer auf mal mehr, mal weniger fahrradfreundlichem Untergrund begleitet. Hinter de Brücke von Geltow nach Petzow verlassen wir den Havelradweg fast ein bisschen schweren Herzens, entlassen aus der sicheren Obhut des bikeline-Führers beginnt das Abenteuer Börderadweg. Was mag er bringen? Zunächst etwas auf und ab, die Ausläufer des Mirenberges (55 Meter hoch) sind zu spüren. Jetzt muss nach Karte gefahren werden, und nach einem ersten kurzen Fehlgriff finden wir die richtige Straße Richtung Biesendorf. Es begegnet uns ein holländisches Radlerpaar, dessen Kommentar nichts Gutes verheißt: „Alle Straßen enden im Sand“. Aber bis Biesendorf läuft es doch wunderbar. Und auch der weitere Weg nach Lehnin lässt sich gut an. Na gut, jetzt kommt Kopfsteinpflaster. Und jetzt Gras und Spurrillen. Und jetzt Sand. Noch versuchen wir mehr oder weniger verzweifelt, im Sattel zu bleiben, aber bald stellen sich erste Schiebepassagen ein, weil Rad und Sand gar nicht mehr harmonieren wollen. Erlösung kurz vor der Unterquerung der A 10: Asphalt! Ernüchterung kurz hinter der A 10: Sand, Gras und Schotter! In Lehnin hat der Spuk ein Ende, und im wunderbar ruhigen Café ganz hinten im Klosterbezirk lässt sich wunderbar entspannen. Kurz hinter Golzow, auf asphaltiertem Radweg, macht es plötzlich „pfffft“, und kurz danach ist das Hinterrad platt. Ist eigentlich ein Verfahrne erfunden, das Hinterrad zu wechseln, ohne sich die Hände einzusauen? Wir sehen jedenfalls aus wie mit beiden Händen in den Schmierpott gegriffen. Liegt vielleicht auch daran, dass mein letzter Platten neun Jahre zurückliegt, wie ich mich später nach mühsamem Gedächtniskramen erinnere. Jedenfalls haben wir viel Zeit verloren. In Dippmannsdorf suchen wir den richtigen Weg nach Weitzgrund. Fragen hilft – nicht wirklich: „Nee, da dürfen Sie nicht fahren, wegen Waldbrandgefahr.“ Alternative: zurück über Ragösen und über Klein Briesen? Zögerliches „Hmmm“. Aber da ist doch auch Wald? Schulterzucken. Fragen wir halt anderswo weiter, bis uns die Antwort gefällt. Da steht ein fröhlicher Dippmannsdorfer, lacht über unser Vorhaben, „von mir aus fahren Sie da ruhig lang, da hinten übers Kopfsteinpflaster rauf.“ Der Anstieg ist erträglich, aber im Wald (Sand und Schotter, aber längst nicht so schlimm wie vor Lehnin) keinerlei Hinweise. Doch der Freiflug mit BVA-Karte bringt uns wirklich nach Weitzgrund. Ein km hinterm Ortsschild erreichen wir den Mittelpunkt der ehemaligen DDR, geadelt durch eine Hinweistafel und eine Holzhütte. Sind wir jemals durch dünner besiedeltes Gebiet geradelt? Wir sind im Naturpark Hoher Fläming unterwegs, und der nächste Ort heißt Verlorenwasser. Und dann geht plötzlich doch noch alles ganz schnell, und wir rollen in Rottstock mit dem hübschen Gasthof und Pension Haug ein. Der Abend vorm Haus ist wie Kino, manches erinnert an Szenen aus Filmen von Jacques Tati. Da streunt ein Schäferhund über die Straße, macht alle andere Hunde hinter ihren Zäunen ganz närrisch, ein Nachbar kommt heim, steigt aus dem Auto aus, greift zum Handy, „hallo, Dein Champ läuft hier durchs Dorf.“ Kurz danach fährt ein dicker Mini-Van vor, lädt den Streuner ein, und himmlische Ruhe legt sich über die Dorfstraße. Da traut sich auch die Katze wieder auf die Straße, die nette Frau Haug kommt für einen Plausch aus der Gaststube und bringt noch einen Riesling. Kaum zu glauben: den feinen Riesling vom Milz Laurentiushof aus Trittenheim an der Mosel in einem Landgasthof in Brandenburg. Ein weiterer Beweis, wie viel Mühe man sich hier gibt, denn auch das Essen war prima.

Freitag, 9. Juli: Rottstock – Schönebeck (Elbe)
Der Tag startet verheißungsvoll: Asphalt. Leider nur gut 500 Meter. Kurz hinterm Ortausgang von Wittstock Richtung Dretzen erwartet uns mittlerweile vertrautes (liebgewonnenes möchte ich dann doch nicht sagen) Terrain: Sand. Kilometerlang. Und so schieben wir mehr als wir fahren durch eine Gegend, wo sich Fuchs und Has’ gute Nacht sagen. Einen Fuchs haben wir nicht gesehen, aber ab und zu scheuchen wir einen Feldhasen auf. Andere Verkehrsteilnehmer gibt es nicht. Wir wechseln von Brandenburg nach Sachsen-Anhalt, ohne Auswirkungen auf die Wegequalität. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir Dretzen, genießen die asphaltierte Ortsdurchfahrt, um gleich auf die nächste Sandpiste Richtung Magdeburgerforth abzubiegen. Sollte sich spätestens hier jemand fragen: warum machen die das?, biete ich zwei Antworten an. Erstens: die Alternative wären riesige Umwege gewesen, und deshalb folgten wir dem Prinzip „die Hoffnung (auf bessere Wege) stirbt zuletzt“. Vor Magdeburgerforth leitet uns die Karte nach links Richtung Dörnitz; wir fahren lieber noch ein paar 100 Meter weiter und dann links auf der Landstraße nach Drewitz. Und dort, in einem kleinen Laden, begegnet uns doch wahrhaftig, nach einer Woche, der erste unfreundliche Mensch in den neuen Bundesländern: „Gibt’s nicht! Gucken Se selbst. Se sehn doch, was wer ham.“ Danke. Gern wäre ich von Drewitz aus Richtung Westen gefahren, um einmal in einem Ort namens Wüstenjerichow zu stehen, aber wir bleiben auf der Landstraße, (es gäbe selbstverständlich auch eine Sandpistenroute) und erreichen über Lübars und Hohenziatz Möckern – ziemlich erschöpft in der Mittagshitze. Die Pause im Schlosspark taugt nur bedingt zur Regeneration, etwas müde kurbeln wir weiter und packen zwischen Ladeburg und Dannigkow eine letzte Holperpiste. Bei der Gattin schleift die Vorderradbremse, und irgendwie krieg’ ich das Ding nicht gelockert. In Dannigkow gibt es zwar einen Radladen, aber der Besitzer ist mufflig, unfreundlich, und helfen kann er auch nicht. Immerhin kann ich mir wieder einen Ersatzschlauch besorgen. Bei der Weiterfahrt gehen wir auf Nummer sicher (meinen wir) und fahren nicht über Gommern, sondern schenken auf den Elberadweg ein, der uns über Pretzien im großen Bogen nach Ranies führt. Ein Unding ist dann die Verkehrsführung ein paar km vor Schönebeck parallel zur 246a, auf einem engen Betonstreifen af dem Damm. Gut, dass uns niemand entgegenkommt. Und dann muss man auch noch die Straßenseite wechseln, was wegen des unablässig rollenden Verkehrs nach zwei Minuten erst dadurch gelingt, weil eine nette Autofahrerin anhält und uns passieren lässt. Der dank: ein freundliches Winken von uns und ein freundliches Hupkonzert ihrer Hintermänner, die sich über den kleinen Stopp freuen. Grrr! Die Unterkunft in Schönbeck ist ebenso bizarr, wie originelle wie nett: Das Schiffshotel „Sonnenschein“ drei km vom Stadtzentrum entfernt flussaufwärts. Der nette Besitzer versorgt uns mit den Adressen der örtlichen Lieferservices, und eine Stunde später genießen wir thailändische Küche auf dem Achterdeck, mit Blick auf die Elbe. Einfach traumhaft.

Samstag, 10. Juli: Schönebeck – Schöppenstedt„Ich habe ja regelmäßig Fahrradfahrer zu Gast, aber Eure Strecke hat noch keiner gemacht. Da ist doch nur Ackerlandschaft.“ Motivierende Abschiedsworte des Schiffshotelbesitzers. Hm – wir wollen doch bloß weiter Richtung Westen. Der Weg dorthin ist erst einmal mit einem kräftigen Umweg gepflastert – im wahrsten Sinne des Wortes, denn wir kurven etwas wirr durch Schönebeck auf der Suche nach dem richtigen Weg nach Welsleben. Und dann bekomme ich den Hinterreifen mit der kleinen Handpumpe – mangels Kraft in den Händen? – nicht richtig prall. Aber ein netter Bastler mit eigener Werkstatt schraubt mal kurz die große Pumpe auf, und schon freuen sich Reifenund Radler wieder über komfortable 5 bar. So ist das in Welsleben – man hilft sich untereinander, wenn die Infrastruktur auf dem Dorf nichts anderes zulässt. Das Thermometer hat längst die 30° überschritten, und Schatten bietet die Strecke so gut wie überhaupt nicht. „Da muss man verrückt sein“, ruft uns eine Frau auf dem Weg zum Wochenendeinkauf zu. Wir verzichten auf den Weg a la Karte über Sülldorf und Langenweddingen (schlechte Wegstrecke, muss heute nicht sein) und radeln an der B 246a entlang über Bahrendorf, Altenweddingen und Blumenberg nach Wanzleben. Vorteil: Ein Supermarkt an der Strecke ermöglicht Getränkenachschub. Heute werden wir viel Flüssigkeit brauchen, wenn es bis 40° heiß werden wird. Und dann sichten wir hinter Wanzleben doch wirklich das erste Schild „Börderadweg.“ Es bleibt das letzte für lange Zeit. An der Zuckerfabrik von Klein Wanzleben vorbei erreichen wir Meyendorf mit Kloster und verlockend schattigem Klostergarten, aber eine Rast wollen wir lieber im nächsten Ort Seehausen mit See und eventuell Bademöglichkeit einlegen. Ein Fehler: Erst ist die Wegstrecke eine Katastrophe und vor Seehausen zudem von umweltbewussten Bürgern mit vielen Mülltüten verziert; dann finden wir keinen Zugang zum See und eine Bademöglichkeit erst recht nicht. Nächste Chance: Eggenstedt mit der Allerquelle. Die ist nun allerdings eine ganz traurige Angelegenheit und nicht viel mehr als ein rostiger Wasserhahn. Wir finden zumindest eine Bank, sehen aber nach vier Stunden Hitzeschlacht so wenig vertrauenswürdig aus, dass der Hausbesitzer nebenan uns erst einmal misstrauisch unter die Lupe nimmt – „hier wird nämlich oft eingebrochen.“ So gut die Pause tut, so schwer wird der Wiederaufstieg. Am Hohen Holz vorbei nehmen wir Kurs auf Hötensleben, machen Station am Grenzdenkmal und bereits auf niedersächsischer Seite am Braunkohletagebau. Nach Schöningen müssen wir hinein, weil die Gattin, spürbar erschöpft, etwas Essbares braucht. Ich möchte ihr gern den weiteren Weg nach Schöppenstedt ersparen, radle zum Bahnhof, um die nächste Verbindung herauszusuchen. Tja – den Bahnhof hätte ich (so steht’s auf einem Schild) kaufen können, ein Ticket aber nicht. „Der nächste Bahnhof ist in Helmstedt“, belehrt mich eine Passantin. Hilft nichts, ist ja auch 13 km entfernt. Aber vielleicht lässt sich eine direktere Verbindung in Eulenspiegel-Stadt finden als die Route über Dobbeln und Ingeleben. Die B 82 zum Beispiel. Ob die hügelig ist? Ja, versichern Einheimische, das sei sie wohl, aber nur zu Anfang etwas steiler (wir befinden uns schließlich an den Ausläufern des Elm). Nun sieht die Welt hinterm Steuer immer etwas anders aus als hinterm Lenker, aber die 15 km packen wir schon. In Groß Dahlum muss sich die Gattin vor einem Scheunentor in den Schatten setzen und sieht so erschöpft aus, dass eine besorgte Autofahrerin anhält und fragt, ob wir Hilfe brauchen. Jetzt Sammeln der letzten Kräfte, und kurz danach beziehen wir unser Zimmer im Hotel „Markt Eins“ am Marktplatz. Ein kurioser Abend in einem eigentlich ganz netten Biergarten rundet den Abend ab – so viele, sagen wir, eigenwillige Menschen haben wir lange nicht mehr erlebt. Hat denen die Hitze zu sehr zugesetzt?

Sonntag, 11. Juli: Schöppenstedt – Bettrum
Finale in Südafrika, Finale auch beim Abschnitt Börde-Radweg unserer Tour. Dank hoher Räume ließ sich die Hitzenacht einigermaßen ertragen, obwohl Schöppenstedts Jugend ihre Kommunikationsfreude auf dem Marktplatz bis weit nach Mitternacht unter Beweis stellte. Über Bansleben und Weferlingen radeln wir Richtung Dettum, zeitweise begleitet von einem munteren Rentner, der die Strecke Wolfenbüttel – Schöppenstedt – Wolfenbüttel als Sonntagsausflug absolviert. Links von uns die Asse, die am Sonntagvormittag und wohl auch sonst einen friedlichen Eindruck macht. Wer’s nicht weiß, möchte kaum glauben, was sich dahinter (auf der Südwestseite) bzw. darunter verbirgt. Wolfenbüttel lohnt mindestens einen Abstecher, aber da wir die Stadt schon kennen, berühren wir nur ihre südlichen Stadtteile, überqueren die Oker und radeln weiter Richtung Oderwald. In Cramme unter der Linde machen wir kurze Rast; unzählige Spatzen unterhalten uns mit Formationsflügen und Getschilpe. Entlang der Fuhse erreichen wir Salder, einen der zahlreichen Stadtteile von Salzgitter, mit Schloss und Café. Da unsere Tagesetappe kurz ist (um die 60 km), legen wir auch hier eine Pause ein und wenige Kilometer weiter am Salzgittersee schon wieder eine. Es ist früher Nachmittag, viel Badebetrieb, und die Wasserskiseilbahn läuft ununterbrochen – willkommene Abkühlung bei der Hitze. Danach durch die Felder nach Lesse (letzter Stadtteil von Salzgitter) hinein und wieder hinaus, durch Berel hindurch, und selten schien mir mein Heimatdorf Bettrum so willkommen wie heute. Wäsche einmal durchgewaschen, Ruhe unterm Kirschbaum genossen und abends den obligaten 1:0-Sieg der Spanier bewundert.

Montag, 12. Juli: Ruhetag
Das Fahrrad keinen Meter vom Hof bewegt – nur ein bisschen geputzt und geschmiert.

Fortsetzung der Tour bis Frankfurt demächst