Re: Ostalpen Salzburg-Wien-Maribor-Salzburg

von: veloträumer

Re: Ostalpen Salzburg-Wien-Maribor-Salzburg - 21.11.10 20:55

Schon der zweite Teil, die weitere Fortsetzung dauert dann aber wieder ein Weilchen.

TEIL 2: Annäherung an eine Mega-City:
Von der Mürz zum Wiener Wald, Donauwelten und Mozartkugeln, Velo-Stadt und Freizeitinsel, Hochhäuser-Moderne und Hof-Nostalgie, Mückenplage und Kesselgulasch, Laufsteg der Eitelkeiten und Nacktradeln in einer Großstadt


Mi, 30.6. Frein - Mürzsteg - Kapellen - Preiner Gscheid (1070m) - Reichenau - Höllental/Fuchspeßquelle - Klostertaler Gscheid (765m) - Eichelmühl - Gutenstein - Pernitz - Auf dem Hals (656m) - Pottenstein*
110 km | 2280 Hm | 6:37 h | 16,5 km/h

C: wild 0,- €
AE: Cordon Bleu, Pommes, Salat, Radler, Kaffee 13,20 €

Zunächst halte ich noch Kurs Südost als hätte ich mit Wien gar nichts im Sinn. Die Mürz lässt die Gedanken entrückt dahinfließen, sowohl in diesem oberen Teil als auch im späteren unteren Teil. Es kommt ein Wasserfall mit dem Namen „Totes Weib“ – wer mehr dazu wissen will, muss weiterlesen, denn es folgt an anderem Ort noch der „Tote Mann“ und beides steht im Zusammenhang.

Im ehemaligen Zisterzienser-Kloster Stift Neuberg aus dem 14. Jahrhundert, das teilweise später Kaiser Franz Joseph als Jagdschloss diente, treffe ich einen Meister der Schauglasmanufaktur Kaiserhof. Wir unterhalten uns ebenfalls über die Schwierigkeiten der Region. Ich bemängele, dass man wenig Produkte aus der Eisenwurzen-Region (und angrenzender Gebiete) findet – z.B. regional geschützte landwirtschaftliche Produkte (es gibt sehr wenig Käse, wenn wird er nicht progessionell vertrieben), oder Kunsthandwerk. Das ist z.B. in ärmeren, ländlichen Regionen Frankreichs anders, oder auch in den italienischen Alpenregionen. Auch er kann nur auf lokale Einzelanbieter verweisen, es gibt keine kooperative Vermarktung. Die Glaskunstwerke hier sind wunderschön und gar nicht so teuer. Ich erwerbe zwei Miniaturen, einen Pfifferling und – eine Schnecke. „Weil ich so langsam unterwegs bin?“ kokettiert die Verkäuferin, lach die selbst auch ein bisschen radelt, aber die Berge sind so schwer, ja die Berge…. Leider ist die Schauproduktion wegen Umbauarbeiten gerade nicht anzusehen.

Der untere Teil zum Preiner Gscheid ist unten recht romantisch, weiter oben thront majestätisch der Rax im Norden. Einen felsigen Höhepunkt bildet das Höllental mit zahlreichen Felstiften, Bergzapfen, Steinwürfeln und wagemutig gewachsen Kiefern darüber. In dem kalten Wasser unten finden sich herrliche Bademöglickeiten. Es folgen verträumte Wälder und Weiden mit Pferden, sumpfige Wiesen, das nicht gut sichtbare Schloss Gutenstein, eine Birkenallee und noch eine dunkelwaldiger zum Pass. Die Orte Pernitz und Pottenstein wirken schon ein bisschen wie der Vorhof von Wien, weniger ländlich, wenngleich eingebunden in ruhige Biotope.

Do, 1.7. Pottenstein - Altenmarkt/Triesen - Hafnerberg (478m) - Windhag (500m) - Alland - Klausen-Leopoldsdorf - ? (518m) - Kleiner Semmering (463m) - Purkersdorf - Allhang (343m) - Hainbuch - Kahlenberg - Kloster Neuburg - Wien-Donauinsel - Wien-Lobau*
129 km | 590 Hm | 8:27 h | 15,0 km/h

C: Naturistencamp Lobau 11,-
AE: Saure Wurst, Kesselgulasch, Knödel, Radler ~ 17,- €

Fr, 2.7. Wien-Lobau - Wien Stadt - Wien-Donauinsel - Wien-Lobau
62 km | 140 Hm | 4:06 h | 14,5 km/h

C: Naturistencamp Lobau 11,-
AE: Zanderfilet, Pfifferlinge, Kartoffeln, Radler, Topfenknödel an Erdbeerspiegel 20,60 €

Eine idyllische, verträumte Atmosphäre verströmt das Triestingtal. Nochmal wechseln die Landschaften, ein kleiner Abschnitt mit Felsen, der ans Höllental erinnert, weites Weideland mit geräuschvoller Autobahn in Richtung Klausen-Leopoldsdorf, das mit tranquilen Weiden und einigen bemalten Häuschen ein schönes Örtchen abgibt. Von hier aus fahre ich in den Wiener Wald ein, die Bewaldung hier laubreicher als am Vortag, die Pässe werden flacher, die Orte scheinen mehr Wohndomizile als Bauernorte. Die meisten Straßen sind aber immer noch gering befahren, Ausnahme die Strecke vom Wienerwaldsee, den ich ganz umrunde (lohnt nicht, da fast nur Schilf), über Purkersdorf nach Allhang. Der Buchenwald bei Hainbuch spendiert große Mengen von Walderdbeeren. Ein enges Tal führt entlang des Weidlingbach hinunter – ein leichtes wäre jetzt der Weg zur Donau in Klosterneuburg.

Doch lohnt hier nocheinmal aufzufahren um zur Wiener Höhenstraße zu gelangen. Schweißtreibend gewiss bei den Hochsommertemperaturen. Picknick unter dem Hermannskogel, offenbar führt eine kleine, steile Straße hinauf – doch diesen Anstieg möchte ich nicht mehr angehen. Knorriger Eichenwald und Buchen begleiten die Höhenstraße, die teils noch gepflastert ist. Optisch schöner als der Asphalt, aber das Hinterteil wehrt sich. Einige Pflasterpassagen sind erstaunlich glatt, andere aber typisch ruppelig. Die Anfahrt Wiens über der Wiener Höhenstraße und Kahlenberg ist dennoch wohl die schönste.

Wien ist mir zwar nicht gänzlich unbekannt – allerdings die Erinnerung schwach, Ansichten kenne ich nur aus der Froschperpektive. Nicht als Radreisender, sondern im Rahmen eines mehrtägigen UN-Seminars lernte ich diese Stadt in den 1990er-Jahren kennen. Eine Stadtrundfahrt mit Besuch des Hundertwasser-Hauses und des Naschmarktes, zwei Musical-, ein Opernbesuch(e) und Durst löschen mit Bieren aus aller Welt bildeten damals das Rahmenprogramm. Schon damlas empfand ich Wien äußerst lebens- und liebenswert, hätte gerne dort einen Job gefunden.

So ist der Blick aus der Vogelperspektive neu – und überrascht mich doch etwas. Wien ist ähnlich wie Stuttgart von einer Seite von Weinbergen umgeben. Der erste Eindruck aber lautet nicht „Ach ja, die K.u.k.-Hof- und Sissi-Stadt!“ sondern vielmehr: „Welcome to Vienna International!“ Der Stephansdom und andere historische Gebäude verschwinden geradezu zwischen den Silhouetten der Bauten und Hochhäusern einer globalen Avantgarde, die Donau überspannen zahlreiche Bücken in modernem Design und nach Osten verschwindet die Ebene in der Unendlichkeit des Dunstes. Die Stichstraße zum Leopoldsberg (noch mehr Aussicht) lasse ich aus, fahre gleich hinunter (erneut Pflaster) samt Blick auf Klosterneuburg mit der monumentalen Stiftskirche und nach Norden deutet sich im Weinviertel ein sanftes Hügelland jenseits des flachen Wiener Beckens an.

Die Einfahrt nach Wien kann man sicherlich auch radgerechter gestalten, zunächst fahre ich verkehrsreiche Straße, bis ich endlich Radweg und zur Donauinsel finde. Hier fliegen Räder, Inlineskater aneinder vorbei, Partygelaunte, Sonnenhungrige und Badende bevölkern Wiesen und Ufer. Bistros und hippe Strandbars bilden Treffpunkte für Freizeittreibende, After-work-Verlorene oder einfach für Verliebte. Die Donauinsel ist ein riesiges Freizeitrevier, große Uferteile insbesondere des linken Donauufers ergänzen die Meile des easy living. Unzählige Brücken verbinden die Ufer, manche reine Rad- oder Fußgängerbrücken, andere sind doppelstöckig, oben Autos, unten Radler. Wien ist eine Stadt mit beneidenswerter Strandlänge. Das österreichische savoir vivre spiegelt sich auch darin wieder, das große Teile im Norden und Süden der Donauinsel sowie die Uferzone der Lobau FKK-Bereiche sind. Dort kann man auch ausgiebig nackt radeln oder nackt inlineskaten usw. Natürlich habe ich an meinem Ruhtag auch davon Gebrauch gemacht. schmunzel

Jenseits der begradigten Ufer gibt es urwüchsige Altdonauarme mit geschützer Flora und Fauna. Dort kann man weitgehend nicht baden, aber die Naturwelt auf vereinzelten Naturpfaden erkunden. Am Rande dieser Altdonauarme befindet sich auch das von mir aufgesuchte vom Naturistenverein geführte Camp, ist also kein allgemein öffentlicher Camping. Die Anlage ist sehr groß und erholsam gestaltet, auch ein Bistro ist vorhanden, hat aber einen kleinen Makel, der gegen Abend nicht nur dort sondern überall an der Donau und auch in donaunahen Biergärten zum Problem wird: Blutsaugende Schmalrüsseltiere. Das Gebiet der Lobau bietet für diese Tierchen – die ganz gegen die Gesetze keinen Waffenschein führen grins – ideale Brut- und Lebensbedingungen. Im Gegensatz zu anderslautenden Gerüchten führen diese lausigen Wesen ihre Angriffskriege die ganze Nacht über bis weit in den Morgen hinein und nicht nur in der Abenddämmerung. böse Soweit man sich in menschlich stärker frequentierten Bereichen wie Biergärten aufhält, helfen Mückenschutzmittel ausreichend. In Naturbereichen wie dem Camp ist man ohne gehobene Schutzkleidung aber chancenlos. Das ist natürlich nicht ganz kompatibel mit dem FKK-Gedanken, insbesondere wenn es so passende, warme Sommernächte hat.

Die K.u.k-Museumsstadt ist weitgehend liebevoll gehegte Nostalgie, das heutige Wien prägen mehr das Arbeits- und Verkehrsleben, die Sitze aller denkbaren internationalen Unternehmen, die entsprechend moderne Glas- und Hocharchitektur, die Freizeitstadt in den unterschiedlichsten Ausprägungen einschließlich einer wohlwollenden Fahrradfreundlickeit, der Laufsteg mode- und trendbewusster Einheimischer und Internationaler, die vielfältigen Shopping-Meilen oder auch die verschiedenen Formen von traditioneller und fortschrittlicher Wohnqualität. Natürlich gibt es auch das historische Wien überall und mittendrin, eine gelungene Symbiose, manchmal auch nur eine Emulsion. Natürlich ist Wien auch eine Stadt der Museen und der sogenannten Hochkultur – diese Seite ließ ich jedoch diesmal unbeachtet. Es ist folglich auch nicht ganz untypisch, bei einem Tag Wien den Schwerpunkt der Freizeitstadt Wien zu widmen – zumal es sich ja um einen Radreiseruhetag handelt. (Man denke nur daran, wie schlauchend das Abschreiten von musealen Monumentalbauten und ihren Innereien ist.) gähn

Nichtsdestotrotz machte ich am Morgen bis zum späten Mittag ein Abstecher in die Stadt, ließ mich etwas vergnügen von dem Treiben der anderen Besucher, ließ ein Eis im Mund schmelzen, wenngleich ein Teil schon in den Händen zerrann. Ich besuchte einen Radladen, suchte mal wieder eine Erklärung für das Verhalten meines Tachos und kämpfte mich schließlich zum Prater und zum Stephansdom durch. Ich erlebte die Auferstehung von allseits berühmten Komponisten aus mehreren Jahrhundert lach und sehnte mich dann auch in der Sommerhitze alsbald zurück ans Wasser.

Besonders positiv möchte ich das Gasthaus „Roter Hiasl“ rausstellen, ein Biergarten-Restaurant an der Raffineriestraße unweit der Steinspornbrücke und quasi verkehrstechnisch am Eingang zur Lobau. Ich habe dort beide Abende gespeist, und beide Male war das Essen ausgesprochen schmackhaft. Der Kesselgulasch hat seinem Namen wohl von den Kesselwagen, die wenig dahinter quietschende Geräusche von sich geben und den Ölhafen Lobau und das riesige Tanklager dort an das Schienennetz anbinden. Diese metallischen Schleifgeräusche muss man auch hin und wieder am Lobauer Strand ertragen, im Camp ist davon nichts zu hören. Als Zugeständnis an Wiener Ballwelten habe ich auch die abendlichen Live-Übertragungen der Fußball-WM mit Gelassenheit ertragen. schmunzel