Via Dinarica 2013

von: veloträumer

Via Dinarica 2013 - 30.11.13 23:59

Veloträumer’s KARSTing-Show 2013:
VIA DINARICA




Sarajevo – Montenegro – Herzegowina – Dalmatien – Velebit – Veliki Kapela – Gorski kotar – Slowenischer Karst – Montefalcone

Wiedergeburt im Minenfeld: Natur und gesellschaftlicher Aufbruch im Schatten Titos und des Balkankrieges: Eine Dinariden-Tour von Süd nach Nord zwischen alpiner Gipfelwelt und mediterranen Weinhügeln

36 Reisetage + ½ Anreisetag (34 Velotage, 2 Ruhetage)
ca. 2200 Fotos (brutto, ohne künstl. Varianten), hier präsentierte Laborate: ca. 1170
3035 km | 44755 Hm | ca. 58 Pässe (jeweils ohne Anreisetag)
Durchschnitte (jeweils bzgl. Velotage): 89 km/d | 1316 Hm/d | 7:05 h/d | 12,8 km/h


Inhaltsverzeichnis

Einführung 1: Projekt Via Dinarica, KARSTing, (gleich hiernach)

Einführung 2: Krieg & Frieden, Gott & Teufel

Einführung 3: Pro Arte, Gehörfutter

Einführung 4: Schlafmodus, Geschmackssache

Einführung 5: Kostenpflichtige Beförderung, Krisenmanagement, Donnerwetter

Einführung 6: Spurtreue, Quellenkunde & Druckpunkte

I. Prolog in Bosnien mit Sarajevo

II. Das alpine Montenegro 1 & Schluchten: Durmitor, Biogradska,Bjelasica, Tara, Moraca

III. Das alpine Montenegro 2/Canyons: Komovi, Prokletjie, Maganik-Zurim, Komarnica, Podgorica

IV. Skadarsee & südliche Küstenregion mit Budva

V. Kotorbucht & Lovcen-Runde

VI. Herzegowina mit Pocitelj & Kravica-Fällen

VII. Dalmatien: Imotski, Biokovo (Diavolo – Gedicht), Makarska, Insel Brac

VIII. Velebit Süd & Nord mit Mali Alan, Veliki Alan & Zavizan

IX. Kroatischer Norden mit Ogulin & Fuzine

X. Slowenischer Südwesten: Sneznik, Skocjanske jame, Karst- & Vipava-Weinstraße


EINFÜHRUNG

„Tage währts, Jahre dauerts“ sagte schon der alte Goethe. Hier nun nicht nach Jahren, sondern nach Monaten mein Sommerreisereport. Der Bericht ist in eine längere, 6-teilige Einführung und 10 regionale Blöcke mit den Etappen und jeweils einer Bildergalerie gegliedert. Jedem Regionalkapitel ist zudem ein kulturell passender Musiklink vorangestellt. Diese Struktur ermöglicht einerseits das Lesen und Bilderschauen in gut verdaulichen Einheiten und hebt andererseits die regionalen Unterschiede im Reisegebiet hervor. Der Umfang der Kapitel ist durchaus unterschiedlich, reicht von ein bis sechs Reisetagen. Die einzelnen Teile werde ich versuchen – soweit möglich – im Adventskalendermodus nachzuschieben – jedem Tag sein Türchen schmunzel (- reicht nicht ganz bis Weihnachten zwinker).

In der Einführung werde ich einige Landeseindrücke und Begegnungen mit Menschen einarbeiten, die den Charakter der Reise und Regionen unterstreichen sollen. Dazu werde ich auch erläuternde Bilder direkt einstellen. Während die Einführung eher Allgemeines, Landeskundliches und des Autors weitschweifige Gedanken zusammenfasst, orientieren sich die Regionalblöcke chronologisch an der Reiseroute und ermöglichen mithilfe der ausführlichen Fotodokumentationen eine ebenso gründliche wie (be)sinnliche virtuelle Bildschirmreise an trüben Sofatagen. Wer mehr will, muss selbst reisen – wer weniger will, sollte jetzt aussteigen. Ich konnte nicht anders. schmunzel „Es war viel zu schön, deshalb wusste ich, dass sich bald alles zu jener unbekannten und unbegreiflichen, mit bittersüßer Beklommenheit vermischten Sehnsucht verdunkeln würde, die mich zum Schreiben drängt“, so legt mir der slowenische Journalist, Schriftsteller und Dramaturg Ciril Kosmac (1910-1980) in seiner Novelle „Tantadruj“ die treffenden Worte in den Mund.

Ggf. spätere Leserinnen und Leser, die spezifische Landesteile suchen, mögen den Bericht nach folgender Inhaltsübersicht durchforsten. (Italien kann ich wegen der Kürze des Abstechers diesmal nicht als Reiseland werten.)
  • Einführung (6-teilig, 54 Bilder)
  • Bosnien > Kap. I (1 Tag, 50 Bilder)
  • Montenegro > Kap. II-V (19 Tage, 495 Bilder)
  • Herzegowina > Kap. VI (3 Tage, 115 Bilder)
  • Kroatien > Kap. VII-IX (10 Tage, 335 Bilder)
  • Slowenien/(Italien) > Kap. X (3 Tage, 120 Bilder)


Nebenbei für die die Forums-Duden-Polizei: Die diversen Sonderzeichen der slawischen Sprachen habe ich ganz weggelassen, weil der komplette Zeichensatz ohnehin nicht kompatibel mit der Forumssoftware ist. Wer entsprechende Häkchen oder Accents vermisst, kann sie ja auf seinem Bildschirm hinzumalen. cool




Die Projektidee: Pragmatische Eingrenzung

Würde ich die endgültige Route am ersten Tourgedanken messen, wäre das Resultat ein vernichtendes Streichkonzert von Ideen, in dem maximal ein Drittel verwirklicht wurde. Eine solch geradlinige Route wie die meiner ersten Balkanreise Alpen-Adria (Ost): Dubrovnik & retour ist nun mal etwas anderes als eine verwinkelte Nischentour. So reduzierte sich das Zielgebiet auf den Kerngedanken, die Dinariden vom alpinen Süden der Albanischen Alpen bis zum nördlichen Ende des Karstabfalls ins Mittelmeer bei Triest zu bereisen. Die Beschränkung tat sicherlich der inhaltlichen Idee des Reiseprojektes gut. Nicht zuletzt ergeben zu viele Eindrücke eine bedenkliche Reizüberflutung, die dem Erlebnisprotokoll des Gedächtnisses die Intensität und Detailfreude rauben – weniger ist eben mehr.

Den ersten Schwerpunkt bildete mit knapp drei Wochen Montenegro (Crna Gora = Schwarze Berge, es gibt auch einen Ort, der so heißt), das etwa so groß ist wie Schleswig-Holstein – also schon fast eine Komplettberadelung? – Das wäre übertrieben. Es bräuchte schon ca. zwei Wochen mehr für das ganze Land. Nicht gesehen habe ich den verstärkt islamisch geprägten Nordosten – insbesondere die Grenzregionen zu Serbien und Kosovo – samt einiger größerer Städte (Pljevlja, Bjelo Polje, Berane, Rozaj). Weitere Lücken blieben vor allem im westlichen Binnenland (jenseits von Niksic) stehen. Die Route zog sich entlang aller fünf Nationalparks in der Reihenfolge Durmitor, Biogradska Gora, Prokletije, Skadarsee und Lovcen.

Den zweiten Schwerpunkt bildeten mit ca. 10 Tagen die Küstengebirge bzw. küstennahen Höhenzüge Kroatiens insbesondere mit Biokovo, Velebit, Veliki Kapela und Gorski kotar. Darunter sind nur zwei Teile des Velebits jeweils als Nationalpark (Paklenica, Nördlicher Velebit), viele andere Gebiete aber immerhin als Naturpark oder als besondere Naturschutzzonen ausgewiesen. Meine kroatischen Routen lassen sich überwiegend als Nischenwege abseits des Mainstreams einordnen. Es gab auch unvermeidlich einige Überschneidungen mit meiner 2003er-Tour, die umso besser Interessantes über die innerkroatische Entwicklung offenbaren. Die Abstecher zur Küste blieben in Kroatien wenige, als einzige Insel stand Brac auf dem Plan.

Die Routen in Bosnien-Herzegowina (BiH) dienten eher als Start- bzw. Zwischenglieder für die Tour, wobei die Herzegowina eine durchaus schlüssige Einheit mit Kroatien bildet und mir bereits einen guten Landeseinblick erlaubte. Eine Besonderheit stellt die autonome Republik Srpska dar, die heute offiziell neben der Föderation Bosnien und Herzegowina den zweiten Landesteil des Staates Bosnien-Herzegowina markiert (dazu kommt noch der Sonderbezirk Brzcko). Die Republik Srpska macht die Verwaltungsstruktur allerdings zu einem Flickenteppich über den alten Regionen, die eher einer geografischen Logik folgten. So befindet sich der von mir nur kurz beradelte südöstliche Bereich teils sowohl auf dem Gebiet des alten Bosniens (Kap. I) als auch auf dem der Herzegowina (Kap. VI). Wem jetzt der Kopf vor Verwirrung raucht, mag mein Mitgefühl haben, aber für die Menschen dort sind die ethnisch-politischen Einheiten von großer Bedeutung. Die unterschiedlichen Mentalitäten und die spannungsgeladenen Beziehungen untereinander sind sogar bei kurzer Durchreise zu spüren.

Einen sehr schönen Schlusspunkt setzte die Karstregion im Südwesten Sloweniens zwischen dem Berg Sneznik und entlang der Weinroute hin zur italienischen Grenze. Und weiter noch zur Triester Kreide- und Dichterküste bei Sistiana, an der mir allerdings die Muße zwischen italienischem Strandtrubel und drängendem Rückreisetermin verloren ging. Alles in allem für Balkankenner also eher „Balkan light“ oder „Balkan für Anfänger“ – ich hoffe, trotzdem spannend genug für ein paar mittelbürgerliche Teestunden – die Großwildabenteurer werden sich wohl langweilen.


Typischer Wegweiser des Via Dinarica (Montenegro)

Die Projektvision: Was bedeutetet Via Dinarica?

Der Untertitel meiner Tour „Wiedergeburt im Minenfeld: Natur und gesellschaftlicher Aufbruch im Schatten Titos und des Balkankrieges“ mag veraltet klingen – ist das nicht schon Geschichte? – Nein. In Montenegro kann man deutlich erkennen, wie „sozialistische“ Denkstrukturen die Entwicklung noch immer hemmen und durch teils kapitalistische Auswüchse nur überlagert werden. Die Kriegschäden in Kroatien und Bosnien (Kriegsende jeweils 1995) greifen immer noch gravierend ins optische Bild wie auch ins Leben der Menschen ein. Die regionalen Unterschiede in Kroatien, die es heute zu sehen gibt, konnte man weitgehend auch schon 2003 beobachten. Über die Dauer der Entstehung von „blühenden Landschaften“ wissen wir im postsozialistischen Deutschland ja so einiges. zwinker Das heißt aber nicht, dass es keine Fortschritte gäbe, vielmehr wächst Neues scheinbar teilnahmslos neben Altlasten, die nicht beseitigt werden. Erschwert wird ein umfassender Wandel durch die Landflucht der jungen Menschen, die mir in Kroatien ausgeprägter scheint als in BiH. Geradelt bin ich also auch einen Weg der Friedenshoffnung und des Wiederaufbaus.

Meine Tour folgt einem Kerngedanken, dem des/der Via Dinarica. Ursprünglich angedacht ist dieses Projekt als Wanderweg nach dem Vorbild großer europäischer Gebirgspfade, der über die eindrucksvollsten Teile des Dinarischen Gebirges führt, von den unterschiedlichen wie charakteristischen Naturschönheiten aus Geologie, Fauna und Flora bekleidet und an die ländlich-regionale Kultur im Rahmen eines sanften Tourismus mit kleinen Gastbetrieben heranführt und damit zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen soll. Der Via Dinarica ist aber noch mehr ein grenzübergreifendes, völkerversöhnendes Projekt der zersplitterten Staatenwelt des westlichen Balkans unter Beteiligung von Albanien, Kosovo, Montenegro, (Serbien), Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Slowenien und der EU. Dabei fungiert der Via Dinarica als ein Bindeglied zwischen den Religionen des Islam, der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Katholiken. Letztlich also auch ein europäisches Friedensprojekt!

Zu einer vollständigen Via Dinarica würden vor allem noch Nord-Albanien und Kosovo mit dem südlichen Zipfel der Dinariden dazugehören. Allerdings sind die Pisten der Albanischen Alpen dort eher „abenteuerlich“ – für Straßenfahrer oft mehr als schwierig. So habe ich mich auf den montenegrinischen Teil der Albanischen Alpen beschränkt. Dabei ist die Gegend bei Plav und Gusinje eine Sackgasse. Es gibt zwar nahe Gusinje einen offiziellen Grenzübergang nach Albanien ins Vermosh-Tal mit einer recht kurzen Verbindung zur montenegrinischen Hauptstadt Podgorica, doch ist gerade diese Piste nach allen verfügbaren Berichten eine Tortur, die nur MTB-gestählte Crosser auf sich nehmen sollten. Ein größerer Nord-Albanien-Kosovo-Bogen hätte den zeitlichen Rahmen gesprengt.


Namensgeber des Dinarischen Gebirges: Der Dinara bei Knin, mit 1831 m höchster Berg Kroatiens

Schon heute ist der Via Dinarica mehr als nur ein Wanderweg – auch ein Radweg. Teile des Fußweges, soweit radelbar, ergänzt durch alternative Routen über Straßenabschnitte, eröffnen auch dem Tourenradler einen Via Dinarica. Die Radroute ist aber noch stark lückenhaft und reicht von gut asphaltiert bis zu harten MTB-Trails. Langfristig ist mehr noch an ein System von Routen gedacht, das auch die Städte mit einbezieht – also noch mehr Natur und Kultur verbinden soll. Meine Tour verstehe ich daher als Beitrag, diesen Gedanken durch neue Varianten zu bereichern. Nicht eine Route führt ans Ziel, sondern viele Wege tragen den Gesamtgedanken.

Genau das soll auch den Geist meiner Tour tragen: Den versöhnlichen Völkergeist in den ehemaligen Kriegsgebieten zu suchen, den ländlichen Tourismus zu stärken, die radelbaren Bergwelten zu bezwingen, die faszinierende Natur zu achten und zu bewundern. Nicht zuletzt untermauere ich diesen Geist in einigen meiner Gespräche mit Einheimischen und durch die gezielte Routenwahl durch zahlreiche National- und Naturparks. Manchmal habe ich auf mögliches Wildcampen verzichtet, um mehr Kontakte knüpfen zu können und angesichts der moderaten Übernachtungspreise leichter fällt. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, diesen Geist des Via Dinarica mit Leben gefüllt zu haben und ihn hier im Bericht auf lebendige und anregende Art vermitteln zu können. Die Aufbauleistungen der Menschen vor Ort haben es jedenfalls verdient, sich vor ihnen zu verneigen und sie in dem unbeirrten Willen zum Frieden zu bestärken. Die Natur macht es einem ohnehin leicht, sich vor ihr zu verbeugen.


Föhren, Gefährten, frische, starke,
stille Gefährten der Karsteinsamkeit,
seid gegrüßt in meiner Einsamkeit,
voll tiefer, wehmütiger Schönheit!


Srecko Kosovel (1904-1926), aus dem Gedicht „Gedicht vom Karst“

Schönheitswettbewerb in Kalkgestein: Das KARSTing

Da sicherlich mein Wortspiel im Tourtitel „Karsting-Show“ bei einigen Stirnrunzeln verursachen wird, bedarf es noch einiger geologisch-geografischer Erläuterungen. Das Dinarische Gebirge (Gebirgskarte) – auch Dinarische Alpen oder schlichter Dinariden – bezeichnet das Karstgebirge südlich der Alpen im westlichen bis südwestlichen Balkan bis einschließlich zu den Albanischen Alpen (Prokletije, Mokra), die sich Montenegro, Kosovo und Albanien teilen. Die Nordgrenze verläuft etwas nördlich von Postojna zu den Julischen Alpen. Der geologische Unterschied fällt im Nordwesten Sloweniens recht deutlich ins Auge, wechselt doch die alpine Felslandschaft zu einer meist bewaldeten Mittelgebirgslandschaft, die von offenen Wiesen und Weiden immer wieder aufgebrochen wird. Der Nordosten Sloweniens wird recht großzügig den Alpen zugeschlagen, wenngleich Geologie und Landschaftsbild weniger eindeutig sind (das Pohorje-Gebirge als Alpenteil etwa erinnert sehr stark an die Karstwälder im Südwesten Sloweniens).

Auch der Nordwesten Kroatiens Gorski kotar (nicht Istrien) ähnelt dem slowenischen Karstgebiet – oft vielfach von Bären und Luchsen bewohnte bergige, einsame Waldgebiete mit eher unauffälligen Bergwiesen. Der einzige alpine und damit auch markante, Dolomiten-ähnliche Berg im Norden Kroatiens ist der Klek (unweit Ogulin). Ganz im Westen werden die mineralreichen Karstböden und der mediterrane Einfluss zum Weinbau genutzt. Speziell die Küstengebirge Kroatiens zeigen teils sehr steinige Gesichter – insbesondere an den Meer zugewandten Seiten des Velebits.


Kunsthandwerk aus hochwertigem kroatischen Kalk aus Pucisca (Brac)

Die bergigen Inseln – zuweilen im Norden als aparte Mondlandschaften in marmoriertes Weiß gemeißelt (Krk, Rab, Pag) – kann man als Ableger der Dinariden in der Adria ansehen. Auch hier erfreut sich der Weinbau immer größerer Beliebtheit, wie auch in Tälern hinter dem Küstenhöhenzug des Biokovo. Der kroatische Kalk gilt dabei als hochwertiger Bau- und Werkstoff, in besonderer Weise auch künstlerisch genutzt der aus Brac. Nach Süden wird das Dinarische Gebirge bauchiger, nimmt an Breite zu und umfasst neben Kroatien und Montenegro auch große Teile Bosniens und Serbiens. Die Grenze markiert dort die pannonische Tiefebene.

Während in Kroatien und Herzegowina typische Poljen fruchtbare Hochtäler bilden (Wasser hält sich schwer versickerbar in unterirdischen Felswannen), wandelt sich das Bild nach Süden in Montenegro und Albanien teilweise zu einer imposanten alpinen Bergwelt, deren Spitzen allerdings nicht wesentlich über 2500 m hinauskommen. Selbstredend formen die Albanischen Alpen in Montenegro und Albanien die markantesten Gipfel. Andere, letztlich die größeren Teile des südlichen Dinarischen Gebirges – insbesondere in Bosnien und Serbien – ähneln „nur“ einer bewaldeten Mittelgebirgslandschaft, nicht ohne auch schroffe, faszinierende und unterschiedliche gebirgstypische Gefüge auszubilden.


Typischer Oberflächenkarst im wasserarmen Küstengebirge: Der Velebit – hier an der Mali-Alan-Passstraße

Die meisten Küstengebirge erheben sich schnell und steil jenseits des Meeres, was aber nicht unbedingt bedeutet, dass alle Auffahrten ausgewiesene Rampen sind. Die wenigen Küstenebenen finden sich im südwestlichen Teil Montenegros an der Grenze zu Albanien mit der Flussinsel Boiana, im Neretva-Delta zwischen Metkovic und der kroatischen Küste bei Ploce, im Küstenbereich zwischen Sibenik und der Zadar-Region, u. a. mit dem Binnensee Vransko jezero sowie in der Kvarner Bucht um Rijeka. Eine Besonderheit bildet der nur wenig über Meereshöhe gelegene Skadarsee (auch: Skutarisee), der einerseits teils in hoch aufragende Bergkuppen gebettet ist, aber andererseits nach Südosten in eine Ebene übergeht, die von Podgorica über Shkoder bis zu der flachen albanischen Nordwestküste reicht.

Ein typisches Karstgebirge gibt es nicht, vielmehr sehr unterschiedliche Ausprägungen – je nach dem Grad und der Art der Verkarstung. Typisch für den alpinen Süden sind auch tiefe Schluchten, wobei die Tara-Schlucht in Montenegro sogar als tiefste und größte in ganz Europa gilt. Die Poljen sammeln das Wasser, dass sie meist nur langsam in untere Gesteinsschichten abgeben, aus denen dann oft Quellflüsse aus Felsen entspringen. Solche Karstquellen finden sich sogar in den hochalpinen Gebieten – so etwa die Ali-Pascha-Quellen in Gusinje zu Füßen der Prokletije-Berge. Eindrückliche Karstphänomene habe ich ja auch schon in meiner letztjährigen „Juraprüfung“ vorgestellt. Solch verschwenderisch schöne Karstquellen direkt aus Höhlen in gewaltigen Kaskaden sprudelnd wie im Jura habe ich aber in den Dinariden nicht vorgefunden. Der Wasseraustritt des versickerten Wassers aus den Felsen an Seen und Flüssen ist meist unscheinbar.


Die Velika Dolina in Matavun bildet mit 164 m Tiefe den größten Dolineneinbruch im slowenischen Karst und ist gleichzeitig namensgebend für alle Dolinen in der Welt geworden, weil typisch „Doline“

Weiters sind Aushöhlungen der Erde typisch für Karstgebirge. Überirdisch geschieht das in Form von Dolinen, durch die Auflösung des Gesteins verursachte kraterartige Einbrüche, die bis zu senkrechten Felswänden reichen und teils die Kulisse für Wasserfälle, Gumpen und Seen bilden. Andere Stellen verfallen zu beeindruckenden Felsbrücken (z. B. Rakov Skocjan in Slowenien, vgl. meine 2007er Alpenreise). Noch geheimnisvoller sind die Unterwelten, die sich teils gut in Höhlen bestaunen lassen. Sie finden sich vor allem in den stark verkarsteten Regionen der nördlichen Dinariden – somit also bedeutend vor allem in Slowenien, von denen einige Weltruf genießen. Zwei Höhlen habe ich besucht, eine in Fuzine und die zum UN-Welterbe erhobene Skocjanske jame.

Das Wort „Karst“ bezeichnet die Verwitterung von Kalkgesteinen (oder auch noch anderen Gesteinen), deren Verfallsergebnisse unterschiedlichste, oft bizarre Gestalten unter- oder oberirdisch annehmen können. Karstphänomene gibt es weltweit, das Wort selbst stammt aber tatsächlich vom slowenischen Wort „kras“ (= Karst) ab, was im engeren Sinne den südwestlichen Zipfel Sloweniens zwischen Sneznik, der slowenischen Karst-Weinstraße (Kraska vinska cesta) und den Ausläufern ins italienische Friaul bezeichnet. Der Triester Schriftsteller Scipio Slataper (1888-1915) fand in seinem berühmtesten Werk „Der Karst“ u. a. folgende Worte: „Der Karst ist eine Landschaft aus Kalk und Wacholder. Ein furchtbarer, versteinerter Schrei. Felsen, grau von Regen und Flechten, krumm, gespalten, spitz. Dürres Wacholdergestrüpp. – Stundenlang Kalk, Wacholder. Das Gras ist widerspenstig. Bora. Sonne.“


Aussichtreiche Kandidatin beim Schönheits-Karsting: Sagenumwobene Jungbrunnenquelle Vriostica in Vitina, Herzegowina

Zurück zum Wortspiel: Und ja, ich nehme es mit den Casting-Shows von Dieter Bohlen und Heidi Klum auf! lach Es erwartet euch eine originäre – ja, die einzig wahre – „KARSTing-Show“! – von wild alpin bis zu sanft mediterran – und alles dabei: heiße Strandbikinis, surrealistische Nacktdarstellungen, ein Zeitzeuge von Christi-Geburt, riskante Schneebrettquerungen, gefährliche Problembärenreviere, geheimnisvolle Feenwälder, mysteriöse Hexenberge, bewaffnete Gruselinsekten, kannibalische Asphaltheuschrecken, flüchtende Schlangenreptilien, bissige Steilrampen, zähneklappernde Rüttelpisten, durchlöcherte Ruinenfassaden, tragische Kriegsgeschichten, borstige Felsengedichte, abgenippelte Digitalkameras, Kerkerhaft bei den Toten, schwelgerische Saufgelage mit Schnaps & Wein, wiederbelebte Autowracks und ein tödliches Massenabsturzdrama! Es kommen zu Wort internationale Radreisende, tschechische BMW-Biker, liebesbefallene Ruhrpott-Emigrantinnen, rührige Sorgegastgeber, intelligente Winzerphilosophen, fleißige Ökospeisebauern, aufgeschlossene Nationalparkverwalterinnen und demonstrierende Pfarrer. Dazu jede Menge heiße Luft mit Nachttemperaturen bis 28 °C. Oben drauf noch eine Prise Radlerlatein. zwinker Mehr bekommt ihr auch nicht bei DSDS oder „Germany’s Next Topmodel“ geboten!


Karst-Preziose aus Slowenien: Verschlungene Höhlen- und Wasserfallbildung bei der Skocjanske jame in Matavun


Jeder Felsen, jeder Baum, jeder Strauch,
jede Straße,
ein jedes birgt seine Erzählung. Geh über den
Karst
auf die stille Weide unter die schweigsamen Föhren
und lausche. Verstehst du? Geh und lausche!


– so wusste schon der slowenische Dichter Srecko Kosovel (aus dem Gedicht „Der Felsen“) um die Geheimnisse des Karstes. Ich habe für euch gelauscht. Was ich nicht so gut gehört habe, hat mir wie immer Trasgu zugeflüstert, wie auch eventuelle literarische Entgleisungen. Trasgu verfügt auch über ein Beschwerdebüro, das aber nie besetzt ist. grins BILD-Niveau wurde mir ja im Forum ohnehin schon bescheinigt – hier kommen jetzt die unglaublichen Schauergeschichten des Balkans für eure neue Seite Eins – 16 Ausgaben gratis frei Haus! lach

Fortsetzung folgt
von: Radreisender

Re: Via Dinarica 2013 - 01.12.13 08:58

Matthias! Retter trüber Herbsttage. Dein Bericht, Glühwein und Weihnachtsplätzchen. Was für schöne Aussichten im Advent schmunzel

bravo

Thomas
von: veloträumer

Das 2. Türchen - 01.12.13 23:09

Einführung – Fortsetzung (2)

Krieg & Frieden – Gott & Teufel

Doch ich bin
in der Schleuder der Zeit
nur der Splitter der zerfressenen Steine
der improvisierten Straße
des Kriegs

Mein armes Herz
bestürzt
nicht zu wissen


Giuseppe Ungaretti (1888-1970), aus dem Gedicht „Warum?“

Mit dem Projekt Via Dinarica ist ein Rahmen vorgegeben, der mir noch ein paar Gedanken über das Alltägliche hinaus abverlangt. Wie lebendig die Last des Krieges ist, mögen nicht nur die Minenwarnschilder verdeutlichen, die uns noch Jahre auf Reisen durch den westlichen Balkan begegnen werden, sondern auch die unsichtbaren Schicksale. In Kroatien gelten aktuell noch ca. 1200 Schicksale als ungeklärt, erst jüngst wurde wieder ein Massengrab aus der Zeit der ethnischen Säuberungen der serbischen Armee in Norden Kroatiens zufällig entdeckt. Bis heute sind über 500 Menschen in Kroatien durch Landminen zu Tode gekommen, 60 davon waren Minenentschärfer. Weitere 1400 erlitten Verletzungen. Dabei ist die Anzahl der Minenopfer in den letzten Jahren gegenüber den frühen Nachkriegsjahren angestiegen. Bosnien-Herzegowina hat eine ähnliche Schreckensbilanz vorzuweisen. Das ist eine Warnung an unachtsames Verhalten, die Kriegsfolgen der Vergangenheit zuzuordnen – natürlich auch an Touristen. Derzeit ist zwar die Bereinigung aller Gebiete bis 2019 angestrebt, doch wurden bereits früher anvisierte Termine nicht erreicht, dass auch diesbezüglich Zweifel bleiben.


Minengefahr besteht immer noch vor allem an ehemaligen Kriegsfronten

Grundsätzlich liegen die Schwerpunkte der Minengebiete an ehemaligen Frontlinien bzw. knapp hinter diesen Linien. So durchfährt man beispielsweise inmitten der Herzegowina eine Minenzone zwischen Mostar und Imotski, die die Zerrissenheit des ganzen Kriegsgeschehens widerspiegelt: Während Muslime und Kroaten zunächst gemeinsam gegen serbische und montenegrinische Soldaten in Mostar kämpften, drehte sich die Freund-Feind-Beziehung und kroatische wie muslimische Verbände standen sich alsbald als Feinde gegenüber, wobei Kroatien die westliche Herzegowina einnehmen wollte – von der ursprünglichen Verteidigung zur eigenen Expansion umschwenkte. In der westlichen Herzegowina sind auffällig viele kroatische Symbole präsent. So habe ich Wohnwagen mit kroatischer Flaggenbemalung ebenso gesehen wie Jugendliche mit Kroatenhose auf dem Fahrrad. Obwohl es immer noch Abspaltungsgedanken von Bosnien-Herzegowina gibt, ist diese Region auch für Vorbildcharakter bekannt: Ljubuski gilt heute als Modellstadt für das Zusammenleben von Kroaten, Bosniaken und Muslimen. Allein die wirtschaftliche Bedeutung hält nicht ganz Schritt.

Montenegro konnte zwar verhindern zum Kriegsschauplatz zu werden, spielt aber in den Balkankriegen und danach eine problematische Rolle. Dabei mag man die Verbundenheit zum serbischen Nachbarn und die soldatische Assistenz verstehen, da man sich Großjugoslawien als Titos Mutterstube und der Partisanenbewegung verpflichtet fühlte. Den Partisanen Montenegros gelang es als einzigen in Jugoslawien, die faschistische Machtergreifung im Zweiten Weltkrieg auch ohne Hilfe der Alliierten zu verhindern. Allerdings waren auch Montenegriner maßgeblich an den Plünderungen und Kriegsverbrechen in dem jüngeren Balkankrieg gegenüber den Kroaten beteiligt. Dass man sich dann weiter an Serbien kettete, als eigentlich der Schrecken des Krieges in seinem Ausmaß erkannt und das Geschehen vorbei war, bleibt ein seltsamer Zug des Landes. Früh wendete man sich andererseits ganz dem Westen zu, im Tourismus wie auch wirtschaftlich. Erst wurde die D-Mark als Zahlungsmittel eingesetzt, dann 2002 der Euro – ganz als wäre man ein prosperierendes EU-Mitglied. Die illegale Euro-Einführung wurde und wird von der EZB toleriert, ist aber offiziell nicht genehmigt (was einen gewissen Kleingeldmangel generiert). Das ist natürlich ein klares Bekenntnis zur EU und gegen die serbisch-slawische Achse, die durchaus nochmal in Richtung Putins Russland kippen könnte, soweit man die aktuelle Entwicklung in der Ukraine einmal mit einbezieht. Dennoch konnte sich Montenegro erst 2006 per Referendum vom Staatenbund mit Serbien lösen – nicht einmal überzeugend, denn die Mehrheitsentscheidung beruhte auf der muslimischen Bevölkerung, Montenegriner und montenegrinische Serben hätten die Souveränität weiterhin in Mehrheit abgelehnt.


Die Gedenksteine der Toten sind noch jung: Namen von Gefallenen in der Sarajevo-Region

Es war der der slowenische Weinbauer in Gorjanske, der mir bei der Weinprobe den Zusammenhang zwischen der phlegmatischen und teils recht unprofessionellen Haltung vieler Montenegriner zu der Tito-Vergangenheit herstellte. Bosniaken, Albaner und Kroaten machten auf mich einen geschäftigeren, mehr „kapitalistischen“ Eindruck. Der Höhepunkt an montenegrinischer Sturheit war der Campingwart in Crvena Glavica bei Sveti Stefan, der mir die Bezahlung der zwei Campingnächte im Vorhinein verweigerte und auch nach meinem Einspruch den Reisepass einbehielt. Offiziell begründete er das damit, dass er das bei allen so macht und zu jeder Tages- und Nachtzeit anwesend sei (bzw. im Wechsel mit der Chefin) – „alles kein Problem, ich muss mir keine Sorgen machen“, wie er meinte und wedelte dabei stolz mit den Pässen. Als ich schließlich am Morgen des Abreisetages erst mal warten muss, bis er aus irgendeiner Ecke hervorkam, stellte sich heraus, dass er über keinerlei Wechselgeld verfügte, worauf hin er symbolisch in allen möglichen Kästchen mit Altpapier und verrosteten Schrauben herumsuchte. Die Campinggäste schliefen natürlich alle. Ich hätte nun entgegen meiner Fahrtrichtung erst mal in den Ort fahren und zwangsweise etwas kaufen müssen. Nach langem Hin und Her erließ er mir schließlich die ca. 1-2 Euro, die zur vollständigen Bezahlung fehlten. Es sei der Fairness halber gesagt, dass auch im kroatischen Touristenort Podgora mein Wunsch nach sofortiger Bezahlung mit Kopfschütteln und Unfreundlichkeit quittiert wurde.

Dass der Strandzugang, den er auch noch mir empfohlen hatte, durch einen Erdrutsch mit einem entwurzelten Baum geradezu halsbrecherisch gefährlich und offenbar schon einige Zeit ohne Gegenmaßnahmen auf ein Instandsetzung wartete, passt ebenso zu diesem Bild. Tatsächlich konnte man den Strand auf einem Umweg zwar auch etwas mühsam über Steine erreichen, das verriet er mir aber nicht, obwohl es alle Campinggäste irgendwie wussten – wohl aus Erfahrung mit dem ersten Versuch, den Strand aufzusuchen.

Solch kleine, scheinbar harmlose Geschichten verdeutlichen doch, dass es noch heute ein recht postsozialistisches Verhaltensmuster speziell in Montenegro gibt, das sich einerseits als Hemmschuh für nachhaltige Entwicklung entpuppt. So wird auch das Staatsziel eines ökologischen Staates zuweilen zur Farce, wenn man z. B. an die Müllentsorgung denkt. Diesen Unstimmigkeiten begegnet man auch mit einer auffallenden Gleichgültigkeit ebenso wie verschiedenen technischen Mängeln im betrieblichen Alltag. Andererseits wird damit jenen Kräften Tür und Tor geöffnet, die per Korruption sich entgegen der Regeln verhalten können. Man sagt sich dann „Wir können eh nichts ändern“ – eine mangelndes Bewusstsein für Zivilgesellschaft, wie es der Sozialphilosoph und Ökonom Friedrich August von Hayek einmal als Folge sozialistischer Gesellschaften feststellte (Institutionenlehre des Geldes).


Reiche Russen und Korruption behindern Montenegros Verfassungsziel ökologischer Nachhaltigkeit: unschöner Bauboom in der Budva-Bucht

Korruption ist sicherlich eine Ursache für teils unkontrollierten Bauboom an der montenegrinischen Küste. (Es ist aber weniger schlimm als ich von anderen Reisenden berichtet bekommen habe. So ist die Kotorbucht vollkommen von unpassender Bebauung verschont geblieben, betroffen sind eher Bereiche in der Budva-Bucht und zwischen Ulcinj und Bar.) Die Polizei sieht sich teils strukturell, teils willentlich außer Stande Korruption nachhaltig zu bekämpfen. Gefangen werden meistens symbolisch nur kleine Fische, wie jüngst in einem TV-Bericht geschildert wurde. Zum Glück bleibt der Tourist von Kriminalität weitgehend unbehelligt, Montenegro ist wohl für Touristen sogar sicherer als das „freiere“ Nachbarland Kroatien. Insgesamt ist die Sicherheit in den von mir bereisten Ländern für Touristen höher einzuschätzen als in den westlichen Mittelmeerländern – weniger städtische Anonymität, weniger soziale Sprengstoffe etwa durch Migration (Frankreich, Italien).

Bei Preisverhandlungen mit Zimmervermietern (auch Hotel) sieht man sich manchmal einer gewissen Schlitzohrigkeit gegenüber, wie ich zweimal erfahren konnte. Etwas verärgert war ich, als in Cetinje mich ein Privatvermieter mit 20 Euro für die Übernachtung angelockt hatte, mir dann aber nach dem Einschecken eröffnete, das er für das sichere Abstellen des Rades im Hinterhof 10 € extra verlange und dabei betonte: „Dafür ist das Rad dann sicher.“ (Mich erinnerte das etwas an Jamaika, wo Taxifahrer mit der Angst Geschäfte machen, in dem sie zu Fuß laufenden Touristen zu erklären versuchen, dass das gefährlich sei und man besser mit dem Taxi fahren solle – natürlich mit ihrem. Tatsächlich ist das Überfallrisiko sehr gering.) Soweit konnte ich die Situation zu meinen Gunsten lösen, sodass es bei 20 € blieb, derweil ich drohte das Haus zu verlassen – zumal ich zu später Stunde noch hungrig war. Ich glaube, so wie er morgens auf mich als Abreisender geschaut hat, dürfte ihm diese Forderung nach Extrageld als überzogen selbst klar geworden sein – zumal Cetinje seinem ehemaligen Status als Königsstadt heute in keiner Weise gerecht wird. Leider war eine bessere Kommunikation mangels besserer Sprachkenntnisse nicht möglich. Für mich ein Indiz, dass man manchmal keine richtigen Maßstäbe gegenüber dem Touristen hat, was angemessen ist und was nicht (so auch manchmal bei Zeltplatzpreisen = zu billig oder zu teuer).


Kriegsruinen wachsen neben Neuem langsam zu: Stadthaus in Stolac (Herzegowina)

Betrachtet man einmal den Wiederaufbau nach dem Balkankrieg, so fällt auf, dass vielfach Ruinen stehen bleiben und lieber nebenan neu gebaut wird. Das schafft ganz eigenartige Stadtbilder sogar inmitten der Orte. Generell werden auch nur dann Häuser von außen verputzt, wenn Geld da ist. So wohnen viele in noch unfertigen Häusern und manchmal meint man unbewohnte Häuser zu sehen, was aber nicht der Fall ist. Auch sind alte zerschossene Häuser manchmal äußerlich nur notdürftig repariert, sodass sie verfallen und unbewohnt erscheinen. Selbst in Montenegro gleicht das eine oder andere Haus mitten in den Bergen einer Kriegsruine, obwohl es sich ja nicht um Kriegsschäden, sondern schlicht um improvisierte, unprofessionelle Bauweise bzw. Reparaturen handelt.

Für den schleppenden Wiederaufbau vieler Gebäude (Autobahnen und Tunnels werden hingegen schnell vorangetrieben) gibt es allerdings strukturelle Gründe. So steht in Kroatien laut Gesetz Privatleuten nur Reparationsgeld für 35 qm Wohnfläche zur Verfügung, das reicht aber meist nicht für ein ganzes Haus, was die Ärmeren von einer Instandsetzung abhält. Natürlich spielen auch nach wie vor ungeklärte Eigentumsverhältnisse etwa von Kriegsopfereigentum eine gewichtige Rolle, wie mir der Frau der Nationalparkverwaltung in Gospic bestätigte. Wesentlicher seien aber die schlechten finanziellen Verhältnisse, sprich Armut. Auch wandere die Jugend weitgehend vom Lande ab und suche die Beschäftigung in den großen Städten – maßgeblich in Zagreb. (Die Abwanderung an die Küste sei weniger erheblich, weil dort die Arbeit bereits seit Jahrzehnten aufgeteilt ist und nicht wirklich neue Perspektiven gegeben seien.) So bleiben Ruinen (herrenlos) zurück, weil die Bewohner die ländliche Umgebung aufgegeben haben.

Mit eine Rolle spielt, dass die jungen Menschen den Krieg vergessen wollen, nicht ständig von den Spuren des Krieges eingeholt werden wollen. An einer Aufarbeitung von Schuld ist weniger gelegen, man möchte einfach unbelastet neu durchstarten. Auch meinte NP-Verwalterin, dass es dank Korruption einige vergessene Gegenden gäbe. So winkte sie ab, als ich meinen Eindruck aus dem wiederholt besuchten Ervenik schilderte. „Die Region Knin/Ervenik ist besonders schlimm gestraft. Da tut sich nichts, die finden kein Gehör in Zagreb.“ Nicht zuletzt steht ja Knin für gegenseitige Kriegsverbrechen – wobei die Kroaten 1995 sich für die ethnischen Säuberungen und Verwüstungen zu Anfang des Krieges durch die Serben auf besonders brutale und großflächige Weise an den Serben rächten, was die manchmal hochgespielte Weiße Weste der kroatischen Opferrolle arg mit Blut befleckt. Reparationszahlungen in (ehemals) serbisch dominierte Gebiete stehen in Zagreb ganz hinten in der Prioritätenliste. Der Wiederaufbau gelingt auch nicht, weil die Serben nicht wiederkehren (wollen).


Eisernes Grab als Mahnmal in der Nähe von Gospic, einer der am stärksten betroffen Kriegsorte in Kroatien

Von einer geteilten Verantwortung für Kriegsverbrechen wollte der kroatische Pfarrer Jakov Cikojevic in Zagvozd nicht viel wissen. In einem zufällig zustande gekommen (Wassersuche an der Kirche/Friedhof), ungefähr zweistündigen Gespräch erläuterte mir Cikojevic bei Kaffee und Obstsaft die besondere freiheitliche Gesinnung der Kroaten und die völkerrechtliche Überfallsituation des serbischen Angriffs auf die kroatische Souveränität. Dabei lobte er ausdrücklich die Rolle Deutschlands und Helmut Kohls, die letztlich die Rechte der Kroaten maßgeblich im Rahmen der UN-Einsätze zur Durchsetzung verholfen haben und die serbische Besatzung wie auch deren Verbrechen in die Schranken verwiesen haben. Auch erwähnte er die außergewöhnliche Leistung von Franjo Tudjman, der aus Polizeieinheiten innerhalb kurzer Zeit eine wehrhafte Armee organisierte, nachdem das schutzlose weil militärlose Kroatien von Serbien angegriffen wurde.

Gewiss schwang in Cikojevics Position auch Stolz, wenn nicht sogar ein kroatischer Nationalismus mit, der keinen Zweifel an der Gut-Böse-Zuordnung zwischen Kroatien und Serbien zuließ. Ungeachtet aller historischen Verstrickungen des kroatischen Nationalismus und der Kriegsverbrechen, die sich als Folge fast jeden Krieges zu allen Seiten der Kriegsfronten ausbreiten, bleibt die Frage nach Gut und Böse eine Kernfrage. Dass diese Frage unter George Bush jr. ein Geschmäckle bekam, kann uns nicht davor schützen, in kritischen Situationen die Entscheidung über Krieg und Frieden – Freund und Feind – Schwarz und Weiß – zu treffen, um das noch größere Verbrechen zu verhindern. Und da muss ich am Ende Cikojevic Recht geben, wenn in Kroatien am Anfang das Böse gegen das Gute angetreten war, bevor sich die klaren Grenzen des Verbrecherischen vermischten. Neutralität heißt auch immer Wegschauen. Insofern ist die Relativierung und Aufrechnung von Kriegsverbrechen ein Ablenkungsmanöver von der Frage – Was tun, wenn der gewalttätige Angriff auf Menschen und deren freiheitliche Gesinnung erfolgt? Die Gefahr, falsch zu entscheiden und Falsches zu tun ist immer gegeben. Die größte Gefahr ist letztlich, nichts zu tun und Verbrechen durch andere Verbrechen zu relativieren. Oder wie es bereits Hegel formulierte, „dass diese Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist“ (so die Weisheit auch in große Lettern am Stuttgarter Hauptbahnhof gebannt). Das sollte eigentlich jeder verstehen, der die Deutsche Geschichte verinnerlicht hat.

Das Gespräch mit Pfarrer Cikojevic verlief auch deswegen so produktiv, weil er perfekt deutsch sprach und gar zwei Tage zuvor noch in Stuttgart-Zuffenhausen (sic!) weilte und mir das neueste deutsche Pfarrblatt präsentierte. Da konnte ich selbst als Stuttgarter nicht mithalten. lach Cikojevic hat immer wieder in loser Folge und lange Zeit in Zuffenhausen gearbeitet. – Zufall? Gottesfügung? – Da ich mich als Atheist ihm zu erkennen gab, wollte er natürlich auch etwas über die Gründe meiner fehlenden Gottesfurcht hören. Kühn behauptete er, mich in kurzer Zeit bekehren zu können, unterließ diesen Versuch jedoch. Ich warnte ihn u. a. mit meinen Jugenderfahrungen, als mir ein örtlicher Pfarrer meines damaligen Heimatortes Selbiges androhte und mich in schier endlose Diskussionen über Evolution und Schöpfung, über Trinität und Offenbarung und ähnliches Gottes-Geistwerk verwickelte. Dabei fühlte er sich besonders von einem mir sympathisch erachteten Freimaurergedicht herausgefordert, dass er zum Kopieren mitnahm, aber seinem Versprechen nicht folgte, es mir zurückzubringen. Wahrscheinlich roch er in dem Gedicht den ruchlosen Gestank des Teufels und wollte meiner Verderbnis mit dem Satan zuvorkommen. Es war aber schon alles zu spät. schmunzel


Ort eines etwa 2-stündigen Gespräch über Religion, Krieg und Frieden: Pfarrhaus in Zagvozd

Dass ich mit dem Teufel im Bunde bin, mag Cikojevic spätestens denken, sollte er je erfahren, dass ich den Sveti Jure tatsächlich hinauf gefahren bin. Denn, so sagte er mir, da käme ich nie hoch. Cikojevic kennt den veloträumer nicht – und seinen Pakt mit den Bergteufeln! teuflisch Sollte er mal Radreiseforum lesen! lach Was ich denn auf dem Berge wolle, eine elend lange, gefährliche und steile Straße, nur durch Stein – Ödnis, langweilig. „Da ist noch kein Radler rauf gekommen!“ meint er. Na, da habe ich aber schon anderes gelesen, ist der Berg doch einer der wenigen Berge in Kroatien, die so etwas wie ein Pilgerziel für ambitionierte Rennradler und Mountainbiker ist. Ob jemand da aber schon mal als Lastesel hoch ist, entzieht sich meiner Kenntnis – vielleicht ruft demnächst hier aus dem Forum jemand: „Ja, ich auch!“ verwirrt

Nun ja, der Cikojevic schien mir etwas weißer, weltoffener und gelassener zu sein als mein alter Dorfpfarrer. Er musste dann das Gespräch etwas abwürgen, weil er einen Termin hatte: Eine Demonstration! Tatsächlich ging es um den neuen Tunnel durch den Biokovo von Zagvozd zur Makarska-Riviera bei Baska Voda. Es ging den Demonstranten und dem Pfarrer jedoch nicht um die Verhinderungen eines Verkehrsprojektes, sondern um die Unglaubwürdigkeit der Politiker. Der Tunnel wurde mit der Vorgabe mautfrei zu sein gebaut. Doch kaum stand der Tunnel, wollte/will man Gebühren erheben. Der Protest richtete sich also gegen Nutzungsgebühren – zumindest für die Hinterlandbewohner, die sich eine Aufwertung ihrer Binnenregion erhoffen. Sollte man die Bayern mal fragen, die wüssten das Problem zu lösen: Maut nur für Ausländer! lach krank


Deutsche Discounter erwarten große Geschäfte, für Kroatien ist die EU zu allererst eine Friedensversicherung

Zwar meinte der Pfarrer, dass Kroatien zwar Europa bräuchte, aber nicht die EU. Nun sind aber einmal die Würfel gefallen und Kroatien wurde im Laufe meiner Reise offizielles Mitglied der EU. Allerdings war ich am 1. Juli noch in Montenegro und konnte keinerlei Festlichkeiten beiwohnen. Die europäische Sehnsucht scheint aber recht ausgeprägt – so seien mal einige Willkommensschildern gar im ländlichen Raum gedeutet. Sicherlich wird der EU-Beitritt von den Nachbarländern kritisch beäugt. Anderseits bleibt die Kleinstaaterei auch ein begrenztes Experiment im Lauf der Geschichte. Synergieeffekte sind ungeachtet regionaler Selbstbestimmung langfristig eine Voraussetzung für Entwicklung. Schon ein Detail macht das deutlich: Bosnien-Herzegowina hat keinerlei Löschflugzeuge, obwohl die Sommerbrände auch im mediterranen Balkan eine stete Gefahr sind. Schon jetzt leistet Kroatien die freundschaftliche Hilfe im Ernstfall – warum braucht es dann überall die vollständige staatliche Autonomie? Müssen nicht ohnehin Kräfte gebündelt werden, die dann auch überregionale, überstaatliche Verwaltung und Budgetierung verlangen?

Eher jedoch überwiegt der des Nachbars Neid, denn alle Ex-Jugoslawien-Staaten streben die EU-Mitgliedschaft letztlich an. Dabei sind die Probleme Kroatiens nicht so verschieden von denen der Nachbarländer wie z. B. die Korruption. Der slowenische Weinbauer meinte, dass er schon eine gewisse Konkurrenz wachsen sehe, weil es in Slowenien manche bürokratischen Hindernisse und höhere Kosten gäbe, die wahrscheinlich den Kroaten nicht obliegen würden. Andererseits sieht er unmittelbar für den Karstwein keine Konkurrenz wachsen, weil dieser eine Einzigartigkeit besitzt. Letztlich entscheidet die erfolgreiche Vermarktung. Jüngst ist aber ein Streit um regionale geschützte Produktnamen entstanden – u. a. die Krainer Wurst und den Teran-Wein. Kroatien und Slowenien in der EU – die ganz große Liebe scheint es nicht zu werden.

Dennoch: Es wächst friedlich zusammen, was einst so brutal getrennt wurde – Jugoslawien kehrt zurück – Titos Vision des Vielvölkerstaates bekommt neue Füße, während die Wunden noch unverheilt scheinen. Nun ja, ein bisschen anders ist es schon. Vor allem aber bedeutet die EU das politische Pandon zum Projektgedanken des Via Dinarica, womit wir wieder auf den Pedalen der Tour stehen. schmunzel

Fortsetzung folgt
von: irg

Re: Das 2. Türchen - 02.12.13 07:06

Hallo mathias!

Ich habe deinen Bericht genossen! Ich werde auch die weiteren verfolgen.

Traurig finde ich, wie auch aus deinen Diskussionen zu lesen ist, dass in den Gesellschaften im ehemaligen Jugoslawien eigentlich noch viel Lernbedarf besteht. Nicht, dass ich mich da als großer Lehrmeister hinstellen will, oder schnellere Verarbeitung aller Untaten fordern würde -ich stehe außerhalb und bin froh darum- aber um mit sich und den Nachbarn Frieden zu finden, werden sie ihre divergierenden Sichtweisen zu einer halbwegs gemeinsamen Sicht der Dinge annähern müssen. Und das braucht noch, wie man sehen kann.

Nebenbei: Ich bin sehr skeptisch, ob Kroatien wirklich jemals "alle" Minen räumt. Das Problem liegt ja nicht in den großen Minenfeldern, die sind bekannt und markiert. Mir ist nicht klar, wie die vielen, vielen verstreut liegenden Minen jemals geräumt werden können. Von denen gibt es noch sehr viele, und die sind auch für Aktivtouristen gefährlich, die abseits begangener Wege gehen wollen, wie z.B. auch im Bereich der Tulove Grede, die in einem deiner Fotos zu erkennen sind.

Aber es gibt keinen Grund, sich von der grausamen Vergangenheit am Reisen in dieser Region abschrecken zu lassen. Im Gegenteil: Wer offen in das Land eintaucht, trägt dazu bei, Verstaubtes zu durchlüften.

lg! georg
von: Fricka

Re: Das 2. Türchen - 02.12.13 08:10

Hallo,

was du da über Montenegro schreibst, hatten wir in Kroatien exzessiv. Die Abzockerei fand ich dabei eher "frühkapitalistisch". Wurde uns auch so erklärt. Jeder will jetzt reich werden. Und zwar ohne Arbeit. Im Ruckzuck.
von: kettenraucher

Re: Das 2. Türchen - 02.12.13 16:26

Zitat:
... In Kroatien gelten aktuell noch ca. 1200 Schicksale als ungeklärt, erst jüngst wurde wieder ein Massengrab aus der Zeit der ethnischen Säuberungen der serbischen Armee in Norden Kroatiens zufällig entdeckt...

Lieber veloträumer,
ich freue mich riesig über Deinen Reisebericht und die sehr interessante und informative Lektüre in den kommenden Tagen und Wochen. Jedoch bin ich über einen unkommentierten Begriff gestolpert, den ich leider aus den Medien kenne und der mir persönlich nicht über die Lippen kommt: „Ethnische Säuberung“. Nicht im Geringsten als Kritik gegenüber Deinem Beitrag gemeint, sondern vielmehr als fragende Anmerkung: „Ethnische Säuberung“ bedeutet sprachlogisch doch so etwas wie „ich entferne Schmutz (säubere) aus einer sozialen Gruppe (Ethnie). Mit Schmutz sind lebendige Menschen gemeint. Im Klartext: Wenn ich „ethnisch säubere“ töte ich Gruppen von Menschen, weil sie eine kulturelle und historische Identität besitzen, die von meiner abweicht oder die mir nicht passt. Wir können diese Sprache doch nicht kritiklos übernehmen. Oder sehe ich das jetzt zu penibel? PS: Um nicht missverstanden zu werden: Dass Du kein Verfechter der „ethnischen Säuberung“ bist, ist mir und allen anderen in diesem Forum völlig klar.
von: rad-hotte

Re: Das 2. Türchen - 02.12.13 17:19

Hallo Mathias! Ein sehr schöner und lehrreicher Bericht. Da ich schon 3 Jahre in Kroatien Tauch- und Schnorchelurlaub mache (die Wasserqualität ist hervorragend),kenne ich einigermaßen die Probleme dieser Region.In Dalmatien (unser bevorzugtes Gebiet im Oktober) sind auch noch viele Kriegsschäden zu sehen und das Gebirgsmassiv vermint, auch Spannungen zw.Serben, Kroaten und Bosnien/Herzig. sind spürbar, in den kleinen Orten,wo wir uns einquatieren, allerdings weniger.Dank deines Berichtes wird es bestimmt eine schöne,kurzweilige Vorweihnachtszeit. Hut ab vor der Mühe und Zeit, den dieser Bericht beansprucht. Sehr stimmungsvoll auch die Zitate der regionalen Dichter!! carpe diem! Horst
von: veloträumer

Re: Das 2. Türchen - 02.12.13 18:14

Hallo Kettenraucher,
die Verwendung des Begriffs der "ethnischen Säuberung" wird durchaus unterschiedlich interpretiert. So ganz ist mir auch die "Auszeichnung" zum Unwort des Jahres (1992) nicht klar. Im Prinzip bringt der Ausdruck für mich den faschistischen Charakter, den du beschrieben hast, gut zum Ausdruck. Dass dabei das Wort Tötung/Mord vermieden wird, sehe ich nicht als Problem an. Nicht jeder Ausdruck über barbarisches Verhalten kann das Wort "Tötung" oder "Mord" in sich tragen. Alternativ bieten die Sprachler ja "Völkermord" an, was ich als weniger spezifisch bezeichnen würde. Der spezifische Charakter in Ex-Jugoslawien war ja tatsächlich, dass - letztlich im Verlauf des Krieges alle Parteien - "ihre" Regionen "säubern" wollten. Ich werde in einem späteren Kapitel noch eine bestimmte Situation and der Cetina-Quelle beschreiben, wo es genau um diese "lokale Säuberung" geht (also einen eingegrenzten regionalen Raum).

Hingegen war der expansive Völkermord, wie ihn die Nazionalsozialisten gegenüber den Juden praktizierten ("Die totale Vernichtung der jüdischen Rasse", wobei auch die Grenzen des Deutschen Reiches überschritten werden sollten (und wurden) bis zur Weltherrschaft und Weltjudenvernichtung) so kein Ziel im Jugoslawien-Krieg. Die Nazis vernichteten auch Juden in Polen, Russland usw. Auch Kroaten und Slowenen waren betroffen (auch dazu sei auf ein späteres Kaptitel verwiesen). Durchaus wollte man in Ex-Jugoslawien (kleinere) Refugien den anderen Volksgruppen zugestehen - zweifellos der eigenen Expansionsvorstellung unterworfen. So planten weder die Serben die komplette Vernichtung der Kroaten noch umgekehrt die Kroaten die Rache an den Serben bis zur totalen Vernichtung. Der Unterschied mag marginal sein, sodass ich mit beiden Begriffen leben kann, würde aber den Begriff der "ethnischen Säuberung" nicht aus der Sprache ausschließen. Er verdeutlicht für mich den perfiden Charakter im Jugoslawien-Krieg recht genau. Jeder solch schrecklicher Einschnitt in der Geschichte hinterlässt letzlich so etwas wie eine "eigenes Wort" dafür. Für den Völkermord an den Juden steht heute meist der Begriff "Holocaust" und nicht "Völkermord an den Juden". So sehe ich aus der Geschichtswerdung heraus betrachtet auch den Begriff "ethnische Säuberung" als historische Kennzeichung des Völkermords im Zuge der post-jugoslawischen Kriege.

Als Beispiel seien andere Begriffe genannt, die ebenfalls den "Völkermord" kennzeichnen, aber das Wort "Tötung" oder besser "Mord" nicht beinhalten: (Juden)-Vernichtung, Holocaust, Massenexekution, Rassenwahn usw. Selbst ein gewichtiger Teil der historischen Sklaverei kann man als Völkermord bezeichnen - auch hier werden aber andere Begriffe verwendet. Neuerdings gibt es sogar faschistische Verbrechen, die schlicht mit "Islamisierung" bezeichnet werden (so der ansatzweise Versuch der Taliban gegen afrikanischen Völker in Mali). Ich könnte den Faden noch weiter spinnen, wenn etwa von "Beschneidungen von Mädchen" die Rede ist, derweil es sich um eine Verstümmelung und ein brutales Verbrechen handelt, welches in seiner zerstörerischen Dimension in einigen Gesellschaften noch nicht wirklich erfasst/begriffen ist. Sicherlich gibt es noch mehr Begriffe, wo die spezielle Verbrechensformen kennzeichnen und nicht immer die ganze Tragödie zum Ausdruck bringen. Wichtig ist, dass wir wissen, was sich hinter den Begriffen verbirgt. Ohne Bewusstsein für die Bedeutung eines Wortes ist jedes Wort ein leere Hülse.

Ich bin dir für diese Frage ungemein dankbar und möchte es auch jedem belassen, wie er dort mit den Begrifflichkeiten umgeht. Ebenso bedanke ich mich für die anderen Kommentare und Ergänzungen - nur so kann das Bild der Region vielfältiger und "plastischer" werden. Meine Gedanken sind nur als Anregung zu verstehen, von deren es wohl so einige geben wird.
von: veloträumer

Tür Nr. 3 - 02.12.13 23:09

Einführung – Fortsetzung (3)

Pro Arte

Kunst und Kultur sind ja immer ein bisschen der Feind des Radlers. Lange Museumsspaziergänge passen selten ins Zeitkonzept, schon die rieisigen Hallen schrecken den Freiluftfreund. Manchmal ist aber schon eine Stadt eine Museum. Auffallend ist in Montenegro, dass sämtliche Binnenorte oder -städte kaum über eine attraktive Architektur oder Silhouette verfügen. Nun habe ich nicht alle Städte besucht, gerade Pljevlja gilt noch als recht sehenswert. Doch fehlt den meisten, auch kleinen Dörfern meist ein gewisser Charme. Kirchen sin selten, die orthodoxen Schmuckstücke stehen zuweilen stark abseits, können das Ortsbild nicht aufpeppen. In den muslimisch geprägten Teilen ist ein gewisser Bauboom von Moscheen zu beobachten. In der als bettelarm geltenden Gegend bei Plav und Gusinje baut man derzeit eine überdimensionierte Moschee – da ist wohl Geld in ganz bestimmten Händen gebündelt. So ist es auch nicht überraschend, dass zumindest auf der ersten Etappe in Bosnien die Orte mit Gebetsturm ein schöneres Ortsbild abwerfen als die Montenegro-Orte.


Kunsthandwerk als Spiegel der Traditionen Montenegros: Typisches Steinhaus und bemalter Löffel mit Trachtenlook

Was für das Binnenland gilt, trifft auf die Küste weitgehend nicht zu. Es gibt zwar auch moderne, unschöne Küstenverbauungen, aber an der Adriaküste reihen sich schon ein paar pittoreske Perlen ein. Was Dubrovnik für Kroatien, ist Kotor für Montenegro. Auf einer römischen Siedlung basierend, bietet die Altstadt ein Kaleidoskop unterschiedlicher Bauepochen, eingerahmt von einer mächtigen Festungsanlage, die sich sogar noch atemberaubend den Fels hinter Stadt hochzieht. Ebenso wie die faszinierende Altstadt von Budva war auch Kotor schwer von einem Erdbeben 1979 getroffen. Zum UN-Weltkulturerbe ernannt, konnte aber genügend Geld aufgebracht werden, um die Stadt im alten Charme wie eh und je erstrahlen zu lassen.


Die Bibliothek in Budva bewahrt auch Titos Schriften auf, dessen Partisanenkampf zum jugoslawischen Staatssozialismus in Montenegro den Anfang nahm

Kotor ist im Sommer die Bühne für verschiedene Festivals und Workshops in den Bereichen Philosophie, Kindertheater, Kunst, Architektur und Musik. Ein Teil der Kunst ist auch im öffentlichen Raum präsent, indes fällt die Deutung schwer. Auch Nachfragen bzgl. einiger Kunstpräsentationen bei den Tourismusverbänden von Montenegro und Kotor blieben erfolglos, da ebenfalls ahnungslos oder nicht beantwortet. Zu einer sehr speziellen Form der staatstragenden sozialistischen Denkmal-Kunst unter Tito mit den Spomeniks habe ich bereits das Bilderrätsel 827 gestellt.


Vielfältige Kunstaktivitäten gibt es im Sommer in Kotor: Verpackungskunst an Bäumen mit Zeitnahme?

In der Herzegowina und Kroatien sind dann auch im Binnenland schon mal schöne Stadtbilder vorzufinden, wenngleich der Krieg hier einige unschöne Spuren hinterlassen hat. In Pocitelj ist mit einem Atelier in Verbindung mit Tourismus eine Künstlerwerkstatt entstanden, von der offenbar viele Nachwuchskünstler profitieren. Meist recht farbenfrohe Malereien findet man in Kroatien in der Küstenregion immer wieder – längst ist dabei nicht alles Kitsch, doch meist bleibt die Kunst im Dekorativen stecken.


Traumtänzerin in der Mondnacht: Im Künstleratelier des Museumsstädtchens Pocitelj kann man sogar als Tourist übernachten

In den muslimen Gebieten der Herzegowina findet man vielfältiges dekoratives Kunsthandwerk. Vor allem sind wunderbare Tücher als Mode- oder Wohnaccessoire zu bewundern. Orientalischer Schmuck, verzierte Wanderstöcke, bemalte Mokkakännchen und einiges mehr an Kitsch und Kunsthandwerk werden feilgeboten. Besonders beliebt ist das Nazar-Amulett, kurz auch Boncuk genannt, das böse Blicke abwenden und damit Glück bringen soll. Die Händler drängen sich natürlich überall, wo Touristenmassen zu erwarten sind – so denn auch in Pocitelj. Man ist gut beraten, solche Orte zu früher oder später Stunde zu besuchen. Und: es muss nicht immer Mostar sein!

Erstaunliche Schwierigkeiten hatte ich im Binnenland von Montenegro, qualitativ passable Postkarten zu erhalten. Das betrifft sowohl das Fotografische als auch die materielle Qualität. An der Küste besserte sich das zwar, ein Überangebot wie in anderen Touristengegenden des Mittelmeeres hat man aber nicht. Auch hier scheint es Spätfolgen des Sozialismus zu geben – nicht zuletzt konnte ich ja selbst erleben, wie schlecht es um fotografische Technik im Land bestellt ist.


Die osmanische Herrschaft hinterließ ihre Spuren: Dekorative Mokkakännchen als Souvenir und der Orient-Fetisch Boncuk

Gehörfutter & „The unanswered question“ (frei nach Charles Ives)

Wer sich mit verschiedenen Formen von Musik beschäftigt, wird möglicherweise einen Unterschied zwischen dem östlichen und westlichen Balkan bemerken. Volksweisen aus Rumänien (und Bulgarien) haben deutliche Spuren in der Klassischen Musik hinterlassen haben – insbesondere durch den Ungarn Béla Bartók, der sich nicht zuletzt von der Volksmusik des östlichen Nachbarlandes zu einer neuartigen Tonsprache inspirieren ließ. Rechnet man Ungarn noch dem Balkan zu, was in verschiedener Hinsicht kulturell durchaus Sinn macht, findet man noch viel mehr an slawischen oder balkanesken Einflüssen, die weit über folkloristische Redundanz hinausreichen. Vergleichbares findet sich im südwestlichen Balkan indes nicht. Einer der wenigen, aber kaum über die Landesgrenzen hinaus bekannten Komponisten, der Folklore in eine abstrahierte Form klassischer Musik transformierte, ist der Kroate Ivan Matetic Ronjgov. Seine herausragende Leistung war es, die istrische Tonskala zu definieren. In der Praxis schuf er vor allem sakrale Chorwerke. (Leider konnte ich kein Tonbeispiel im Web finden, dass über eine erträgliche Tonqualität verfügt.)


Büste zu Ehren Ivan Matetic Ronjgov an seinem Geburtsort beim Restaurant Ronjgi in Viskovo

Auch die puristische oder modernisierte Folklore des westlichen Balkans blieb in der internationalen Musikgemeinde weitgehend unbeachtet, obgleich die des östlichen Balkans es z. B. mit dem Frauenchor aus Sofia „Le Mystère des Voix Bulgares“ im Rahmen des Weltmusik-Hypes der späten 1980er Jahre sogar in die englischen Popcharts schafften. Andere Musiker des östlichen Balkans wie der Bulgare Ivo Papasov oder die Fanfare Ciocarlia oder Taraf De Haidouks aus Rumänien erlangten ebenfalls internationale Beachtung. Nicht zuletzt liegt eine Ursache in den musikalischen Volksgruppen der Sinti und Roma, die stark den östlichen Balkan (und Ungarn) bevölkern – weniger aber den südwestlichen. Legendär ist deren Einfluss auf die Entwicklung der Swing- &-Jazz-Gitarrenmusik, wenngleich die meisten gewichtigen Vertreter dieser Richtung aus dem frankophonen Raum stamm(t)en (z.B. Django Reinhardt, Biréli Lagrène). Ebenso legendär wurde der Zigeuner-Swing auf der Geige, nicht zuletzt auch ein Kernelement der Wiener Operettenzeit.


Links: Die Sopile ist ein volkstümliches Instrument der Kvarnerbucht. Das Doppelrohrblattinstrument ist mit der Schalmei und Oboe verwandt. Meistens werden eine kleine und ein große Sopile zusammen gespielt. Zur Herstellung verwendet man Ahornholz
Rechts: Die Gusla gilt als das wichtigste traditionelle Musikinstrument Montenegros. Vorwiegend im Hinterland spielt man es, um meist pathetische Heldengeschichten zu begleiten. In „Der weiße Berg“ des Fürstbischofs und Nationaldichters Petar II Petrovic Njegos heißt es: „In einem Haus, wo man nicht die Gusla spielen hört, in diesem Haus sind die Menschen tot.“


Ich hatte auch das Glück – sagen wir eher, das Unglück – auch zweimal längere Passagen von Musiksendungen im montenegrinischen Fernsehen zu verfolgen (Liveauftritte, Videoclips). Dagegen ist des Deutschen Musikantenstadel schon wieder fast Hochkultur. unsicher Das Reservoir an Möchtegern-Sternchen scheint aber schier unbegrenzt. Künstlich verwässerte und geglättete orientalisch nicht verortbare, redundante Klischeeklänge mischen sich mit schlagertypischer, retortenhafter Hintergrundmusik, zu der meist pathetisch angehauchte Stimmen mehr oder weniger virtuos bis gestelzt in einen lerchenhaften Schlagerhimmel empor zu steigen suchen. Vielleicht gibt es sogar einen balkanischen Ralph Siegel, der alle Schlagerlieder zwischen Athen und Rijeka im Hintergrund für eine fiktive Wettkampfbühne mit Einheitsgesäusel schreibt. Einen gewissen Massengeschmack scheinen die Interpreten jedenfalls zu befriedigen. Aber wir kennen das ja auch aus unseren Landen – so richtig gemessen hat diese Masse noch keiner, nicht selten bestätigt sich populäre Volkskultur durch ihre eigene, übermäßige, in Castings (nicht Karstings! schmunzel ) zuvor linientreu abgeglichene Präsenz, der das Volk mangels angebotener Alternativen kaum ausweichen kann, zumal dazu meist begehrte Volksgetränke gereicht werden. bier Das betäubt dann gut und lässt alles ertragen, sodass sich die Endlosschleife über Jahr(zehnt)e wiederholt.

Auch in der Entwicklung der zeitgenössischen Musik unter den sozialistischer Diktaturen im Ostblock konnte der Ostbalkan seine musikalische Vorherrschaft behaupten. Musiker wie György Ligeti, George Enescu, Eugen Cicero, Michael Cretu (Enigma), Gheorge Zamfir, János Körössy, Johnny Raducanu, Nicolas Simion oder Theodosii Spassov stehen für anerkannte Größen, deren Klangkonzepte sich weit jenseits schlichter Traditionsmusiken bewegen. Erst mit der jüngsten Musikergeneration kristallisieren sich einige Musiker aus dem westlichen Balkan heraus, deren Potenzial von internationalem Rang zeugt. (Ich werde am Anfang der jeweiligen Regionalkapitel das eine oder andere und mehr oder weniger passende Klangbeispiel verlinken – deswegen hier keine Namen.)


Flöten spielen in der Hirtenmusik des Balkans immer wieder eine herausragende Rolle: Hier Flötensouvenirs aus Pocitelj, Herzegowina

Damit stellt sich auch die wohl musikwissenschaftlich noch recht ungelöste Frage, ob denn das – etwa im Vergleich zu Ceausescu harmlose – Regime von Tito vielleicht einen gleichmachenden, besonders lähmenden Einfluss auf die Kultur hatte, was nicht zuletzt aufgrund der nach seinem Tod konfliktreich ausbrechenden, selbstbewusst wachsenden Ethnien im ehemaligen Jugoslawien zu vermuten ist. Im östlichen Balkan scheint die Entwicklung fast umgekehrt, wo Roma und Sinti zunehmend gesellschaftlich an den Rand einer schnell wachsenden kapitalistischen, aber antikulturellen Gesellschaft gedrängt werden. Gleichermaßen brechen die ureigenen ländlichen wie urbanen Kulturformen zusammen, allenfalls aufgehalten durch internationale, identitätsarme Kulturimporte mit Event- und Geschäftscharakter.

Damit könnte ich auch im Anschluss an das Krieg-&-Frieden-Thema im westlichen Balkan die gewagte These formulieren, dass die Balkankriege auch ein Gutes hatten, indem sie die langfristige kulturelle Identität der Ethnien und Völker gefördert haben und die Entwicklung der Staaten nicht nur eine ökonomische nehmen wird. Ansätze gibt es ja auch bereits jenseits des engeren Kulturbegriffs – wie etwa die Absicht in Montenegro, nachhaltigen Tourismus zu fördern – etwa im Gegensatz etwa zu dem Natur-ruinösem Skitourismus in Rumänien. (Ökologie hat in Montenegro Verfassungsrang, was sich aber in der Praxis eher als Leerfloskel erweist.) Der Widersinn, dass aus abscheulichen Verbrechen lichtbringende Kulturen hervorgegangen sind, findet sich weit häufiger als man wünschen möchte. So wären etwa die zahlreichen, die Welt bereichernden Musikkulturen auf den beiden amerikanischen Kontinenten nie entstanden, hätte es nicht eine Zeit imperialistischen Sklaventums gegeben. So weint in jedem der tausend Freudenklänge der Schwarzen Musik auch heute noch eine entfernte Träne einer misshandelten afrikanischen Seele mit. Vielleicht wird es in 100 Jahren oder noch viel später so sein, dass man in den unterschiedlichen und vielfältigen Formen authentischer balkanesker Musik die Tränen aus Srbrenica oder Vukovar noch hören wird?

Fortsetzung folgt
von: Tigram

Re: Tür Nr. 3 - 03.12.13 20:50

Hallo Mathias, dein informativer Bericht hat micht sehr bewegt. Leider denke ich, dass es auf dem Balkan langfristig keinen Frieden geben wird. Zu viele verschiedene Völkergruppen kann man nicht unter "einen Hut bringen". Ich hoffe trotzdem, dass der BALKAN von Krieg weiterhin verschont bleibt. LG
von: veloträumer

ein Türchen weiter, das vierte - 03.12.13 23:13

Einführung – Fortsetzung (4)

Schlafmodus

Während die Küstenregion Kroatiens als Campingeldorado, aber auch Slowenien durchaus als Campingland gelten kann, so ändert sich das im kroatischen Binnenland, wo Campings vergleichsweise selten sind. In Bosnien-Herzegowina und Montenegro ist Camping (bisher) nicht wirklich populär. Der professionelle Standard der Campings in Kroatien wird in BiH und MNE meistens nicht erreicht, aber auch deren Preise nicht. Auffallend ist, dass ich selbst an den montenegrinischen Küstenteilen mit ausgeprägtem Luxustourismus nur Campingniveaus der unteren Kategorie angetroffen habe. In Crvena Glavica bei Sveti Stefan (dort kann immerhin Suiten für ca. 2000 € pro Nacht mieten) gibt es nur eine kalte Openair-Dusche, der pingelige deutsche Sagrotan-Hausfrauentyp dürfte an keinem der Plätze glücklich werden.


Traumhafte Lage und rustikale Ausstattung ist typisch für Montenegro-Campings: Crvena Glavica unweit der Luxusinsel Sveti Stefan

Die Plätze im Binnenland sind hingegen meist eine Stufe besser. Es kann im eher technisch unterbemittelten Montenegro aber schon vorkommen, dass die Warmwasserbereiter nicht ihrer zugedachten Funktion folgen. Typisch für das Binnenland sind Rafting-Camps in der Nähe der großen Schluchten. An der Tara bzw. Drina sind sie sogar nummeriert. Hier gibt es auch eine gewisse Nachfrage nach Abenteuertourismus – also Zeltkunden. Viele übernachten jedoch in den preislich ebenso erschwinglichen Holzhütten, die zuweilen auch nur zwei Personen fassen. Es ist daher nicht nötig, in Montenegro mit Zelt zu reisen, wenn man Gewicht sparen möchte. Diese für die Berge typische Hüttenbauweise prägen die Almregionen und Bergdörfer. Auf dem urbanen Camping von Ilidza gibt es dann sogar Steinbungalows als Ferienhäuser. Dort übernachtete z. B. eine ganze Busreisegruppe. Als Zelter ist man hingegen meistens allein.

Die Camps für Rafting und Bergsport haben immer ausreichend Grillmöglichkeiten zur Selbstversorgung, nicht immer gibt es ein Restaurant, wohl aber Getränke. Im Zweifel wird schon mal ein Essen abweichend arrangiert. Da viele der Camps abgelegen von Orten liegen, sollte man sich vorher über die Versorgungslage informieren. Hat man sein Domizil wie etwa dem Bergtouristen- und Skiort Zabljak, kann man zwischen mehreren Camps wählen, und hat gleich eine umfassende Infrastruktur in Reichweite. Der Sieger aller Montenegro-Camps in Sachen Ausstattung ist denn auch Miso’s Camp Razvrsje bei Zabljak. Miso, der auch Deutsch spricht, organisiert zudem Bergsafaris oder Rafting-Touren und man kann MTBs ausleihen.


Typisches Rafter-Camp unweit der Grenze BiH/MNE: Hütten mieten ist beliebter als Zelten

Eine speziell montenegrinische Eigenheit ist die Bezeichnung „Etno selo“ bzw. „Eko selo“. Gemeint sind eben größere Camps „Feriendörfer“, die aus einer Ansammlung landestypischer Hütten besteht, meist mit Zeltplatz gekoppelt (nicht immer!) und mit einem größeren Gemeinschafts- bzw. Gasthaus, wo regionale – meist gute – Küche geboten wird. „Eko“ spielt auf eine besondere ökologische Ausrichtung an. Da es sich um einen schnell wachsenden Markt handelt, sind längst nicht alle Camps in Reiseführern oder Karten berücksichtigt.

Allgemein ist die Unterkunftslage (auch Essen) in Montenegro ziemlich gut, was angesichts der dünnen Besiedlung im bergigen Binnenland schon bemerkenswert ist. Zwar ist es ratsam eine Übersicht der Versorgungs- und Unterkunftsmöglichkeiten zu haben, man wird dann auch bei entsprechender Routenwahl in Abständen von 30-50 km selbst in recht entlegenen Gegenden etwas finden können. Es ist aber schwer abzuschätzen, ob all diese kleinen Camps mit insgesamt recht wenigen Gästen auf Dauer Bestand haben werden. Nicht zuletzt wird es darauf ankommen, dass der Binnentourismus weiter wächst ungeachtet der besseren Verdienstmöglichkeiten an der Küste.


Bett-&-Bike-Betriebe gibt es auch in Montenegro: Hotel Pelikan in Virpazar

Echte Hotels sind zwar nicht ganz so dicht im Binnenland zu finden, bei entsprechender Planung greift aber auch hier ein dezentrales Netz. Die Preise ist meist erträglich. Bett-&-Bike-Hotels gibt es ebenfalls in Montenegro, wenngleich das Etikett wohl keine verbrieften Standards hat. In Virpazar habe ich einmal im Hotel „Pelikan“ übernachtet – so recht Radspezifisches gab es da nicht. Ein weiteres B&B-Hotel („Komovi“) steht in Andrijevica, in dem ich zwar übernachten wollte, aber durch ein paar Routenänderungen nicht mehr in die Etappenabfolge passte. Macht einen recht hochwertigen Eindruck von außen (vgl. auch Website), Einzelübernachtung kostet ca. 30 €, Räder können ausgeliehen werden.

Der Versuch, Montenegro als Luxusreiseziel zu etablieren, treibt ein paar seltsame Blüten. Über die Luxussuiten auf Sveti Stefan findet man Gerüchte, dass deren Qualität kaum das 3-Sterne-Niveau eines Alpenhotels erreicht. In Kolasin versucht man luxuriösen Wintertourismus zu etablieren. Laut Reiseführer ist ein Luxuskasten schon bankrott gegangen. Geblieben ist ein architektonisch auffälliges Spa- und Wellnesshotel, das laut meines privaten Gastgebers in Kolasin im letzten Winter erstmals (von einer französischen Gruppe) ausgebucht war. Soweit ich die Liftanlagen in der Nähe von Kolasin beurteilen kann, dürfte es aber eine ziemliche Träumerei sein, mit den exklusiven Wintersportdestinationen in den Alpen, Pyrenäen oder in Polen konkurrieren zu können. Auch das Skigebiet bei Sarajevo wirkt da überlegen.

Eine Traumblase könnte auch das 5-Sterne-Hotel mitten im Nationalpark Lovcen werden. Der noch nicht ganz fertige Bau lässt es schon äußerlich an Eleganz fehlen. Wer diese einsame, nackte Felsenwelt mit viel Geld beglücken soll, mag ein Marketinggeheimnis bleiben. Indes gefährdet ein Luxuspublikum die schutzbedürftige Natur, zumal es sich um eine verkarstete Bergregion mit Wassermangel handelt. Man möge sich die Auswirkungen vorstellen, wenn noch ein Golfplatz dazu kommen würde. Diese kritische Ansicht hat mir auch die Nationalparkverwalterin untermauert. Sie sei gar nicht glücklich darüber und hält den Bau für eine bedrohliche Spinnerei. Nicht verifiziert sei angemerkt, dass hier auch Korruption im Spiel gewesen sei, wie mir die Dame nur andeuten wollte.


Zukunftsinvestition oder Traumblase? 5 Sterne sollen zahlungskräftige Besucher in den Nationalpark Lovcen locken

An der Küste finden sich durchaus auch noch preiswerte Festunterkünfte. So kann man mitten in Kotor in einem Hostel extrem preiswert übernachten (12 €). Ungeplant kann es dort aber auch mal teuer werden. Viele Dauerferiengäste wohnen häufig in Ferienwohnungen, wie sie bspw. gegenüber der Insel Sveti Stefan in nicht immer pittoresken Blockbauten zu finden sind. Kleine, hübsche Privatunterkünfte gibt es aber besonders in der Kotorbucht – dazu gehören auch ein paar sehr kleine, aber hübsche „Garten“-Campings.

In der Herzegowina sind Campings selten, aber es gibt auch hier ein ausreichendes Netz an Unterkünften im Binnenland – zumindest auf meiner Route. Da es in den größeren Orten manchmal nur wenige Hotels gibt (oder auch nur eines), kann es ggf. unerwartet teuer werden (z. B. Capljina), aus deutscher Sicht bleibt es aber auch für Nicht-Privilegierte meist im überschaubaren Rahmen. In meiner Mix-Kalkulation habe ich z. B. zweimal wild gecampt, konnte aber auch eine sehr gute Erfahrung in einem Motel bei Grude machen (von einer Dortmunderin mit ihrem slawischen Mann geführt) – ein herrliches Zimmer für 25 € inkl. Frühstück.

Weniger gut ist die Unterkunfts- und Versorgungslage im Binnenland von Kroatien. Hier ist der Unterschied zwischen Küste und Hinterland immer noch sehr gravierend und wird es auch bleiben. Die Abwanderung der Bevölkerung aus dem ländlichen Raum in die Städte (und die Küste) schwächt die Rentabilität aller Art Geschäfte im Hinterland. Binnentourismus ist auf spezielle Regionen fixiert wie z. B. Plitvice. So hat sich etwa nach 10 Jahren in der Region Knin/Ervenik – wie schon zuvor angesprochen – wenig getan. Meine Besuche der Binnenorte Vrlika und Obrovac zeigen, wie schwierig die Lage noch sein kann. Es gibt aber Möglichkeiten, doch ist es schwer eine Übersicht zu erhalten und die Distanzen zwischen brauchbaren Orten betragen schon häufiger deutlich über 50 km – falsch kombiniert kommt man auch mal auf über 100 km Unterkunftswüste.


Rustikales Badezimmer mit aufmerksamen Details an der Alan-Hütte im Velebit

Für die Durchquerung des Nationalparks Nördlicher Velebit empfiehlt sich exakte Planung, dann ist auch Unterkunft kein Problem – Essen ist allerdings schwieriger als Schlafen. Die Hüttenqualität ist urig bis rustikal. Man beachte dazu meine Bilddokumentation des Klobesuchs im Velebit-Kapitel! Stöckelschuhfrauen mit Krokotasche sind hier sicherlich nicht zu erwarten. grins In Gospic schien mir das Preisniveau der Hotels übertrieben, da will eine Stadt ein wenig mit Gewalt aus ihrer schwer lastenden Kriegsbürde auf die internationale Agenda und von „reichen“ Durchreisenden nach Plitvice profitieren – die Rechnung geht nicht ganz auf, wie ich an der „internationalen“ tschechischen Ein-Kind-Familie sehen konnte, der das von mir besuchte Hotel zu teuer war – die Alternative dort dürfte nicht preiswerter gewesen sein. Auch hier finden sich bei entsprechender Suche ländliche Alternativen – es fehlt aber oft an Informationen, wo sich diese Gasthöfe befinden.

Überraschende Vielfalt gab es bei Fuzine – nicht nur in dem Gourmetort mit dem Stausee, sondern auch südlich davon in scheinbar einsamen Wäldern mit Feen und Kobolden. Mitten im Wald finden sich nicht nur immer wieder Wald- und Wochenendhäuschen, sondern auch mehrere nette Speiselokale, teils mit Übernachtungsmöglichkeiten. Im dicht besiedelten Gebiet im ansteigenden Hinterland von Rijeka ist es dann ziemlich unübersichtlich speziell für die Nachtruhe einen Platz zu finden. Übersichtlicher wird es in Slowenien, wo allein schon die Transitstrecke von Postjona über Ilirska Bistrica nach Kroatien eine Reihe von Unterkünften bereit hält. Für die abseitigen Wege zum Sneznik bzw. Richtung Skocjanske jame gilt es, Informationen zu besorgen, aber es gibt auch hier ein Netz von netten Übernachtungsmöglichkeiten. Die Karst-Weinstraße verfügt über zahlreiche Möglichkeit, allerdings ohne Campings. Nicht zu empfehlen sind Lipica und Sezana – es sei denn, man hat höherwertiges Kleingeld.


Netter Gastgeber, saubere Zimmer, ausgiebiges Frühstück: Privatvermieter Rakocevic in Kolasin

Zu den angesprochen Möglichkeiten von Festunterkünften zählen natürlich nicht nur echte Hotels sondern auch Privatvermieter. Zuweilen ist der Übergang fließend. Wo kein Tourismus erwartet wird, gibt es auch wenige oder keine Privatvermieter (z. B. Niksic, Knin, Gospic). Oft wird man auf der Straße angesprochen, wenn man mit Rad im Ort suchenden Blickes anhält – in Virpazar sogar vom Hotelier. An der Küste bei Ulcinj saßen die Anwerber bereits am frühen Morgen übermüdet an der Straße oder fragten aus dem Auto raus, ob man denn eine Unterkunft suche. Welcher Reiseradler sucht wohl am frühen Morgen eine Unterkunft, wenn er gerade aufgesattelt hat? verwirrt Die Qualität aller meiner Privatvermieter in Montenegro, Kroatien und Slowenien ist tadellos gewesen. Mit 20 € in Montenegro und 25 € in Slowenien jeweils +/- 5 € hat man eine gute Orientierungsgröße (Einzelübernachtung, Frühstück ist nicht immer garantiert). Nicht zuletzt weil ich über die Unterkunft und das Frühstück erfreut war, übernachtete ich wiederholt bei Rakocevic in Kolasin, obwohl ich ursprünglich Kolasin überhaupt nicht besuchen wollte. Hervorheben möchte ich auch Apartma Jera im slowenischen Stanjel, ein Lichtblick in dem sonst leider ausgestorbenen, aber sehenswerten Burgstädtchen mit tragischer Kriegsgeschichte, die nach über 60 Jahren noch nachwirkt. Liebenswerte Fürsorge und ein märchenhafter Turmblick fanden meine Erwähnung im Gästebuch.

Geschmackssache

Eine Gourmetreise im Balkan zu erwarten, scheint vordergründig übertrieben – doch Obacht! Kroatien wie auch Slowenien haben sich längst einige respektable Feinschmeckerregionen sogar im Binnenland erarbeitet, von der immerzu frischen wie köstlichen Meeresnahrung an den Küsten ganz zu schweigen. Montenegro ist an der Küste gezwungen, ein hohes Speiseniveau anzubieten, da sich die Reichen und Schönen aus dem slawischen Raum – vornehmlich Russen und Serben – dort nach Luxus sehnen. Bekanntlich ist aber der Reichtum in den Ostblockstaaten so schnell und asymmetrisch gewachsen, dass selten damit eine entsprechende Kultivierung einherging. So sind zwar teure Fischspeisen nach dem Geschmack des Geldadels, eine raffinierte und anspruchsvolle Volksküche wie in Frankreich oder Italien ist jedoch jenseits der Meeresspeisen eher selten.


Fisch und Meeresfrüchte erfreuen den Gaumen beim Sonnenuntergang: Tintenfischrisotto belegt italienische Einflüsse in Montenegro

Eine beliebtes Feinschmeckergericht in Montenegro ist das Tintenfischrisotto, was auch an den Adriahandel Dalmatiens zur alten Seemacht Venetien und damit der italienischen Kultur anspielt (ein Teil Montenegros gehört auch zu Dalmatien, wird heute aber als Regionalbegriff nur noch in Kroatien verwendet). Fischsuppe gibt es als preiswerte sämige, nahrhafte Tunke mit wenigen Meerestierstücken (Scampi, Garnelen). In besseren Fischrestaurants erhält man auch eine teure Variante – meist nur ab zwei Personen erhältlich – die kommt einer französischen Bouillabaisse nahe. In besseren Fischrestaurants wird der Fisch frisch zur Auswahl an den Tisch gebracht und nach Gewicht berechnet. Solche Fischgerichte sind grundsätzlich teurer als wenn man eine Fisch- und Zubereitungsart direkt ab Karte bestellt, wobei nicht immer die Fischart angegeben wird. Köstliche Varianten des Fischs bekommt man auch als Farce oder in überbackenen Formen. Eine besonders auffällig Ansammlung von teils exquisiten Fischrestaurants gibt es an der südlichen Grenzecke bei der Flussdeltainsel Ada Boiana, wo sich in den letzten Jahren besonders viele Russen mit kleinen oder größeren Wochenendhäuschen oder Villen eingekauft haben (was die ganze flache Strecke zwischen Ulcinj und Ada Boiana betrifft, wo allerdings auch viele Apartmenthäuser mit Ferienwohnungen stehen).


Beste Küche im Nationalpark-Restaurant am Biogradska jezero: Bergtypischer Fleischtopf mit Kartoffeln in Holzschale serviert, gegrilltes Gemüse und landestypischer Vorspeisenteller mit Weißkäse, Rauchfleisch und Schinken

Fisch ist natürlich auch überall im Binnenland ein Thema, wo es entsprechende Gewässer gibt. Besonders in schmackhaft Erinnerung blieben mir hier die frittierte Fischteile im laubenüberdachten Restaurant Crmnica in Virpazar, die Forelle bei Miso/Razvrsje bei Zabljak und der zappelnde Großkaliber bei Bubec in Brce/Ilirska Bistrica, der sein Leben unter meinen Augen für meine Radlerbeine lassen musste. Süßwasserfisch gibt es auch in Fuzine, aber nicht nur. Bekannt ist diese Region vor allem für Wildspezialitäten und Pilze, wobei diese Angebote auch in der Kvarner Bucht bis hinüber in die slowenischen Waldgebiete um den Sneznik zu bekommen sind. Obwohl ich durch Etappenänderungen weder in Fuzine noch in Masun ein Abendmenü einnehmen konnte, kam ich doch noch in Viskovo unerwartet zu einem guten Hirschbraten mit Preiselbeersauce. Das Restaurant Ronjgi steht regelmäßig auf einer Liste der besten 100 Restaurants Kroatiens.

In Montenegro im Nationalpark-Restaurant am Biogradsko jezero erhielt ich eines der besten Essen in Montenegro, obwohl einer meiner Reiseführer dieses abwertend vermerkt. Neben dem besten gegrillten Gemüse auf der Reise überzeugte der bergtypische Fleischtopf ebenso wie der Vorspeisenteller. Das Ambiente auf der waldidyllischen, seenahen Terrasse ist für Ruhe suchende Philosophen, Schriftsteller und Romantiker wie geschaffen – zumindest abends. Kolasin erwies sich auch als ein Ort guter Küche, denn in beiden besuchten Restaurants erhielt ich vorzügliche Gerichte, wobei die alte Mühle Vodenica einen Vorsprung in Eleganz, Raffinesse und Ambiente hält.


Köstliche Küche aus Eigenproduktion: Agro-Restaurant Vrata Biokova mit großer Aussicht und viel Ambiente

Ökologische nachhaltige Küche gab es zweimal zu Mittag (mittags esse ich meist nur auf Selbstversorgerbasis). Als Radnomade erhielt ich im passend genannten „Vagabund“ (sic!, auch Übernachtung möglich), einem hübschen Waldgasthof südlich von Fuzine, von der sympathischen Gastgeberin eine leckere Grillplatte mit vortrefflichen Brennnesselpuffern. Ebenfalls in Kroatien, allerdings südlicher im Biokovo, stieß ich bei meiner Auffahrt zum Sveti Jure auf einen bemerkenswerten Landgasthof (keine Übernachtungsmöglichkeit). Marijan Prgomet und seine Frau stellen nahezu alle Produkte selbst her. Rohschinken, verschiedene Fleischsorten von Rind, Schwein und Schaf u. a. können auch zum Mitnehmen erworben werden. Die zu jedem Schönheits-Casting konkurrenzfähigen Kühe, auf die man unweigerlich auf der Straße stoßen wird, gehören ebenso zum Hof wie, wie die Schafe, Esel, Pferde und Bienenstöcke umher. Gesammelt wird auch kräftig, was die Natur hergibt. Als Gratiszugabe durfte ich vom international bekannten Kräuterschnaps probieren, der aus nicht weniger als 48 (!) Kräutern besteht. Aber auch der nicht auf der Speisekarte gelistete Salbeisaft ist ein erfrischendes wie köstliches Getränk (nachfragen), von dem ich gleich zwei große Gläser in meine trockene Kehle kippte. Die Spezialität des Tages waren frische frittierte Froschenkel mit leckeren Beigaben wie Bratkartoffeln, Polenta und Rauchschinken. Ich sagte ihm „Der typische Deutsche isst aus moralischen Gründen keine Froschschenkel. Deswegen bestelle ich jetzt die Froschschenkel.“ schmunzel Prgomet hat auch das Restaurant im traditionellen Landhausstil gebaut – aufwändig das Dach mit verfugten Steinplatten. Der Mann spricht hervorragendes Englisch, kann auch ein paar Wörter Deutsch und macht auch sonst einen gebildeten Eindruck. Die innere Gaststube enthält manch kurioses wie lustiges Sammlerstück. Das Essen ist nicht ganz billig, aber seinen Preis wert. Vrata Biokova erfüllt den Gedanken des Via Dinarica in vorbildlicher Weise.


Beliebter Süßstoff im ganzen Westbalkan: In Honig eingelegte Trockenfrüchte und Nüsse

Es wäre hier aber falsch, wenn ich nicht erwähnen würde, dass ich auch eher langweilige Durchschnittskost erhalten habe. Ziemlich einfallslos ist der überall angeboten „serbische Salat“, der meist nur aus dem recht geschmacklosen Weißpaprika besteht und mehr oder weniger (unreifen) Tomaten. Öl und Essig stehen auf dem Tisch, echte Salatdressings sind weitgehend unbekannt – auch in Kroatien. Fleischsaucen sind ein Problem, weil es mehrheitlich Grillküche gibt. Soweit überhaupt Saucen, sind sie meist schlechter als der Rest des Essens. Die Garpunkte werden meist gut eingehalten, zuweilen wird zu lange gegrillt oder gebraten. An zu rohem Fleisch sich zu verderben, wie manchmal in Frankreich, ist zutiefst unwahrscheinlich.

Manchmal werden elementare Dinge zu wenig beachtet. Ein nach Karte und Beliebtheit wohl angesehenes Restaurant in Supetar (Insel Brac) wurde den offensichtlich selbst gesteckten hohen Ansprüchen nicht gerecht, da beide Gerichte übermäßig versalzen waren. Vielleicht war auch die Hektik einer vorbeiziehenden Techno-Parade dran Schuld. Besonders nervig finde ich es – wie in Montenegro häufig –, wenn man mir das Hauptgericht kurz nach der Vorspeise oder gar gleichzeitig reicht. Wie soll man das Essen, ohne das das Hauptgericht kalt wird? Es handelt sich m. E. um postsozialistische Servicemängel, die ich sogar in den besseren Speiselokalen erlebt habe.


Vor allem Beerenfrüchte sind reichlich im Bergland zu finden: Typisches Minimarkt-Angebot in Bosnien

Als Flop haben sich meine beiden Versuche herausgestellt, eine Halbpension zu vereinbaren, um einen besseren Preis für Übernachtung und Essen zu erzielen (Hotel „Pelikan“ in Virpazar, MNE, Motel „Kiwi“ in Grude, BiH). Ich erhielt eher ein minderwertiges oder spärliches Gericht/Menü, für das gleiche Geld oder ein bisschen mehr hätte ich in beiden Fällen bei separater Bezahlung Besseres und mehr bekommen. In dieser Hinsicht erwiesen sich die Empfehlungen der Reiseführer als fehlleitend, wie auch in Montenegro ich selten auf die beschriebenen „Riesenportionen“ gestoßen bin. Eher waren insbesondere die Kohlehydratbeilagen knapp bemessen (Pommes frites etc.). Positiv hingegen wiegen wiederum die meist essensbegleitend gereichten Brote, die manchmal besser waren als dass, was in den Läden zu finden war.

Die größten Flops waren allerdings fehlende Essensmöglichkeiten, wie völlig unerwartet in Obrovac, das eigentlich das touristische Einfallstor für die Zrmanja-Schlucht darstellt wie auch durch die Meeresnähe schon fast ein nobler Erholungsort sein könnte – stattdessen touristische Wüste. Enttäuschend war diesbezüglich auch das slowenische Stanjel, das inmitten der slowenischen Karstweinstraße als pittoreskes Burgstädtchen die historisch wie ästhetisch die herausstechendste Aura hat, aber bis auf eine überteuerte Vinothek mit lediglich magerem kalten Aufschnitt die Ausnahme unter den anderen Weinorten bildet (eigentlich eine Gourmetregion).


Typische Weißbrot-Variante in Bosnien und Montenegro

Da ich bereits Brot erwähnte: Die Qualität hat mich überrascht, zumal es äußerlich meist dickliche Weißbrote gibt, die ästhetisch dem französischen Baguette weit unterlegen sind. Doch ist der Teig offenbar besser zubereitet und/oder ausgebacken als meist in Deutschland. Es gibt sogar schmackhafte sauerteigige Weißbrote – auch als Brötchen, eher selten zu finden (Restaurants) –, die lange haltbar sind, auch wenn sie länger in der Tasche mitgeführt werden. Die Auswahl für Graubrot- oder gar Vollkornbrotfreunde hingegen ist in Montenegro und Bosnien mager, im kroatisch beherrschten Herzegowina und Kroatien wird die „Brotlage“ recht komfortabel. Auch in Slowenien erhält man schon seit einigen Jahren Brot auf hohem Standard, während ich noch vor 10 Jahren oft die Labbrigkeit der Backwaren kritisieren musste. In Slowenien gibt es in den entlegenen ländlichen Gebieten Bäckerautos, die auch sonntags umherfahren. Sie führen sogar süße Leckereien mit. In Montenegro ist die Lage für Eigenversorger etwas schwierig, da es nur wenige Bäckereien gibt. Rollende Versorger habe ich trotz der ja dünn besiedelten Bergregionen nicht beobachtet. Zwar haben die Supermärkte bzw. Minimärkte auch meist Brot, aber es fehlt dann natürlich ein wenig die Qualität und Auswahl – insbesondere sind süße Stücke und Kuchen rar. Hingegen kann man meist salzige Böreks kaufen, sodass man nicht unbedingt Sandwichbrote zu basteln braucht.


Spezialität aus Montenegro: Schmackhafter, salzhaltiger halbfester Schichtkäse

Als Käsefreund war ich natürlich auf die Ergebnisse der Bergbauern gespannt. In Montenegro gibt es salzigen Weißkäse, der ein Schichtstruktur ähnlich einem Mozzarella hat, aber fester und gereifter in großen Laiben produziert wird. Zentren mit einer jeweils eigenen Machart sind Kolasin und Njegusi (Lovcen). Njegusi ist noch mehr für seinen Rohschinken und das Rauchfleisch bekannt. Meist nur auf größeren Märkten findet man auch mehr Varianten an länger gereiften Käsen. In BiH habe ich kaum eine Übersicht gewonnen, hatte aber das Gefühl, das weder Käse noch gute Schinken und Rohwürste zu den Hauptbestandteilen des Sortiments gehören. Einen echten, marktunabhängigen Käseladen entdeckte ich erst in Kroatien in Makarska. Für alle Forumsköchinnen und -köche sei folgend ein montenegrinisches Nationalgericht zum Nachkochen mit Rezept vorgestellt. Kacamak (Polenta) wird gern mit Käse und Joghurt serviert. Wie bei Hausrezepten üblich, macht jeder die Polenta etwas anders.



Den Abschluss des Genusskapitels sei Wasser und Wein gewidmet. Die Wasserversorgung durch Brunnen ist in den meisten Bergregionen gewährleistet. Auch wenn es manchmal keine Brunnen gibt, kann man direkt an Karstquellen gelangen und das Wasser abfüllen (Ali-Pascha-Quellen, Dabarsko Polje), auch Flüsse sind in meinem Routenbereich meist unbedenklich als Trinkwasser nutzbar gewesen. Die schwierigste Region ist der Velebit, da es längere Strecken ohne Quelle zu überbrücken gibt. Hält man aber die verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten im Auge, ist auch dort die Wasserversorgung keine zu große Herausforderung. In der Hütte am Veliki Alan erhält man vom Hüttenwart Wasser aus dem Hahn (er kocht und spült ja auch) – es dürfte sich dabei aber eher um gefiltertes Zisternenwasser handeln als um eine Fließleitung, da zum Waschen nur gesammelten Regenwasser zur Verfügung steht. Wer kein Wasser will, bekommt natürlich auch Bier. bier

Bier ist ebenso wie Wein als Begleitgetränk zum Essen verbreitet. Sicherlich wird in den Bergregionen Montenegros mehr Bier von der Landbevölkerung getrunken, doch ist zumindest in touristischer Umgebung keine eindeutige Präferenz zu erkennen, außer dass in Weinregionen auch tatsächlich mehr Wein getrunken wird. In Montenegro bekommt man meist keinen offenen Wein, sondern erhält kleine Weinfläschchen, die wohl unter einem Viertel Inhalt liegen (ich habe vergessen, das genau zu notieren). Während ein Fläschchen eher knapp bemessen ist, sind mir zwei zu viel gewesen. Der weit verbreitete Vranac kommt aus der vielleicht wichtigsten Weinregion Montenegros, die sich am Skadarsee um Virpazar herum mit einem gewissen Erfolg ausbreitet.


400 Jahre Familientradition im Weinanbau: Vina Strekelj in Gorjanske an der slowenischen Karst-Weinstraße

Weinanbau erscheint in Kroatien und der Herzegowina als Wohlstandssiegel zu gelten. In der kroatischen Herzegowina hat fast jedes Haus mit Garten ein paar Weinreben – nicht nur die Winzer. Nicht immer sind aber die Hintergründe für den Touristen sichtbar. Wie mir der slowenische Weinbauer Jordan Strekelj in Gorjansko bei meiner abschließenden Weinprobe erklärte, sind die auf der kroatischen Insel Brac oft neu angelegten Weinberge nicht im Besitz von echten Kroaten, sondern werden von Amerikanern oder kroatischen Amerikanern angelegt und verwaltet. So ist dann die Frage, in wieweit der sichtbare Wohlstand (noble Villen) nachhaltig zur Wirtschaft des Landes beiträgt.

Ich komme natürlich nicht umhin, hier die Weinmeister Strekelj mit seinen Weinerzeugnissen vorzustellen. Der wichtigste Wein im Karst ist der Teran, eine besonders eisenhaltiger Rotwein, der auf dem mineralreichen, roten Boden (Eisenoxid) in einem fast maritimen Klima zu einem besonders gehaltvollen Rebensaft heranwächst. Er ist insofern besonders wertvoll für Blutkreislauf und Herz. Strekelj meint, „der Teran ist Medizin“. Dabei sind lokale Unterschiede sehr wichtig, nicht nur der Winzer entscheidet über unterschiedlichen Geschmack. So verfügt jeder Ort an der Karstweinstraße über eine etwas andere Mikrogeologie, die die Unterschiede der meist recht kleinen Weingüter ausmachen. Jedem Ort sein eigener Wein. Diese Besonderheit ist so auch nicht im benachbarten Kroatien wiederzufinden, obwohl ja auch dort der Wein auf Karstböden wächst. Wer Interesse hat, vielleicht aus Urlaubserinnerungen einen Karstwein zu verschenken, wird auf unkomplizierten Weg eine Möglichkeiten erhalten, aus der fast 400-jährigen Familientradition einen hochwertigen wie charaktereigenen Wein zu bekommen: Vina Strekelj. Jordan Strekelj spricht gut Englisch und erläutert gerne ausführlich die Besonderheiten des Weines. Darüber hinaus konnte ich mit ihm im Gespräch noch viele andere Dinge des dinarischen Lebens beleuchten. Mehr als zwei Flaschen Rotwein konnte ich trotz bergarmen Finale nicht bunkern, obwohl mir auch Weißwein und Likör mundeten. Soll noch einer behaupten, man komme mit nur zwei Taschen auf Radreisen aus. wirr

Fortsetzung folgt
von: veloträumer

5 Türchen sind es nun - 04.12.13 23:11

Einführung – Fortsetzung (5)

Kostenpflichtige Beförderung

Die Radmitnahme in öffentlichen Verkehrsträgern ist im internationalen Raum immer noch ein Problem. Fluggesellschaften glänzen mit undurchsichtigen bis kundenunfreundlichen Transportbedingungen. Auf den Gleisen fahren nur ausgewählte Züge, die nicht mal alle zentralen europäischen Bahnachsen abdecken. Die aufkeimenden Fernbuslinien verweigern sich ausgerechnet im grenzüberschreitenden Verkehr der Drahteselmitnahme. Und selbst bei den unverdächtigen Schiffen muss man aufpassen, da insbesondere Katamarane selbst im kleinen Fährverkehr zwischen Adria-Inseln eine Velophobie pflegen. So ist denn die Routenwahl auch immer ein Kompromiss an die Möglichkeiten des Radtransportes.

So bin ich vom bewährten Stuttgarter Flughafen mit germanwings nach Sarajevo geflogen – hier werden entgegen der verpflichtenden Kartonverpackung in den Statuten der Fluggesellschaften flexiblere Teilverpackungen akzeptiert. Trotz eines großen Aufwandes für die Verpackung des Rades, trotz der satten Transportgebühren für das Velo – am Ende wurde doch ein Schaden verursacht – das Rücklicht abgerissen. Ein alternatives Rücklicht konnte ich erst 10 Tage später beim zweiten Besuch in Podgorica finden, in gewisser Weise schon ein Glücksfall in Montenegro, wo es vermutlich keinen einzigen echten Radladen gibt. In diesem Fall gab es in einem Einkaufszentrum eine Dependance von Intersport, die tatsächlich einige Räder, ein paar Ersatzteile und wenig begeisternde Radbekleidung feilbieten.


Verpackungsorgie für den Flieger, nicht ganz vorschriftsgemäß: Warum wird Radtransport so schwer gemacht?

Den Rückweg hätte ich vielleicht auch von Zagreb oder Ljubljana gewählt, dort gibt es einen EC mit Radmitnahme, der aber den ganzen hellen Tag über fährt. Der Nachtzug nimmt eigentümlicherweise keine Räder mit. So verblieb nur noch die Venedig-Nachtzuglinie. Dass ich zunächst per Regionalzug von Montefalcone nach Venezia-Mestre fahren musste, um den Nachtzug zu besteigen statt später direkt in Udine, bleibt ein Geheimnis des Buchungswesens der Deutschen Bahn. Der NZ hielt an Orten, die nicht buchbar waren – all meine Einwände am Schalter samt zugeschaltetem Expertentelefon halfen nicht. Schwer zu erklären ist eigentlich auch, dass sich das Verspätungsszenario vom Vorjahr wiederholte (da kam ich aus Firenze via München) als sei das ein ungeschriebenes Gesetz. Wiederum verspätete sich der Nachtzug etwa eine Stunde, entsprechend konnte ich meinen gebuchten Anschlusszug nicht mehr erreichen. Positiv sei erwähnt, dass auch diesmal die Bahn wieder ihre versprochene Reisepreisminderung von 25 % zahlte (Bearbeitungsdauer über 2 Monate).

Zu erwähnen ist noch, dass das Verhalten des Personals ein wenig seltsam war. Erstmals habe ich erlebt, dass von der Schaffnerin die Tickets und Pässe eingezogen und am nächsten Morgen wieder ausgehändigt wurden. Abgesehen von dieser rechtlich fragwürdigen Aktion machen sich die Beschäftigten damit nur Stress. Das endet dann in einem unfreundlichen Befehlston, dem sich einige Reisende gegenüber sahen. Das morgendliche Wecken mit Nasenzupfen der Kinder hat die schwedische Familie, mit denen ich im Liegeabteil war, reichlich kopfschüttelnd irritiert.


Spartanische Adriafähre zwischen Makarska und Sumartin (Brac)

Soweit die kroatische Adria zum Reiseziel gehört, sind Fähren schon fast ein unverzichtbares Verkehrsmittel. Da ich nur eine Insel in meinem Programm hatte, beschränkte es sich diesmal auf zwei Meeresfahrten. Die von mir gewählten Verbindungen waren zudem kurze Fährverbindungen, die mehrfach am Tag bedient werden und daher keine besondere Planung verlangen. Die Fähre Makarska – Sumartin ist eine spartanische Autofähre, mit der es jede bessere Flussfähre auf dem Rhein aufnehmen kann. Der Platz zum Sitzen ist dabei zu knapp bemessen, eher könnte man auf das dürftige Bistro verzichten. Die ebenfalls offene Fähre der Linie Supetar – Split verfügt immerhin über ein ausreichend großes Deck. Negativ hervorzuheben ist, dass die Radbeförderung mehr kostet als die Personenbeförderung. (Für beide Strecken sind identisch jeweils ca. 9,25 € mit Velo zu berappen.)

Krisenmanagement

Ein abgerissenes Rücklicht ist noch keine Krisensituation, sofern einem die Lichtpolizei des Forums nicht auf den Versen ist, was im fernen Balkan unwahrscheinlich ist. grins Bis zur ersten Krisensituation dauerte es nur 24 Stunden – ich könnte auch sagen dauerte immerhin 24 Stunden. Denn so solange brauchte es, bis ich bemerkte, dass ich das Ladegerät für meine Kameraakkus zuhause auf dem Sofa vergessen hatte. Der berüchtigte Alzheimer meldete also mal wieder seine Ansprüche an. traurig Sicherlich war das mehr eine psychische Krise als eine Gefahr für Leib und Leben.

Immerhin hatte ich drei Akkus dabei, die aber spezifisch für das Kameramodell sind – und da dürfte nicht mal Ersatz in größeren Städten warten. Sarajevo hatte ich schon eine Tagesetappe im Rücken (es wäre eh Sonntag gewesen) und rückwärts kommt immer ganz schlecht bei angeknackster Psyche – zumal es keine Garantie gab, in Sarajevo fündig zu werden. Eigentlich habe ich gleich einen Ladegerätersatz ausgeschlossen, eher eine Ersatzkamera erwogen. Zunächst reduzierte ich meine Kameratätigkeit und versuchte für jedes Bild die Kontrollfrage zu stellen: „Muss das Bild wirklich sein? Kommt noch eine bessere Perspektive später?“ Ich schränkte die Alltagsdokumentation ein wie etwa Essen, Campingplätze usw., aber auch energielastige Makros beim Nachjagen von Schmetterlingen. Damit konnte ich den Stromvorrat aus den Akkus ungefähr bis zum geplanten Besuch von Podgorica strecken – die einzige nächste Großstadt auf bzw. nahe der Strecke und immerhin Hauptstadt eines Landes. Der Zufall wollte es, dass ich aus anderen Gründen die Route ändern musste und damit einige Tage früher nach Podgorica gelangen konnte. Dort geschehen kleine Wunder. Denn obwohl die Techniksituation in Montenegro sichtbar ex-sozialistisch schlecht ist, konnte ich ein Universalladegerät erwerben, das nach einem Testlauf im Laden tatsächlich zu funktionieren schien. Es gab dann nochmal eine Unsicherheit, weil ich einen Bedienfehler machte, aber bald hatte ich den richtigen Dreh raus und ich konnte feiern. wein

Die Freude währte aber nicht lange, denn ungefähr 10 Tage später meldete sich Mr. Pechvogel nochmal aus dem Kameragehäuse. Die zahlreichen Erschütterungen wohl nicht nur dieser Reise gingen der Kamera auf den Keks und sie stellte ihren Betrieb ganz ein – keine Stromzufuhr mehr, irgendein Wackelkontakt am Einschalthebel. böse Nun lag bereits Podgorica in meinem Rücken, wo ich immerhin ein paar passable Kompaktkameras gesehen hatte, wenngleich kein professionelles Equipment – von meiner schon recht speziellen Systemkamera erst recht keine Spur. (Es stehen zwei Läden im Citybereich mit der Bezeichnung „Boni“ zur Auswahl – in einem gibt es mehr Kameras, in dem anderen mehr Zubehör.)


Glück ohne Glück: Die Panasonic-Generalvertretung für Bosnien-Herzegowina in Ljubuski konnte meinen Kameraschaden auch nicht beheben, da der Kameratechniker gerade nicht anwesend war

In Cetinje machte man mir Hoffnung, eine Kamera in Budva zu bekommen. Boni gibt es auch in Budva, so sagte auch meine Tüte. Tatsächlich erwies sich dieser Laden am Ende der Altstadt als Krämerladen für Postkarten, Souvenirs und allenfalls Fotobildrahmen. Infos kann keiner geben, sofern man die Touristinfo finden sollte (was selbst in Podgorica fast unmöglich war, weil weder ausgeschildert, noch Taxifahrern bekannt!), wird man nicht unbedingt kompetent beraten. In einem Handy-Laden bekam ich den Tipp für den Elektro- und Haushaltswarenladen „Techno Max“. Der liegt außerhalb der Altstadt unweit der Promenade und ist so etwas wie Media-Markt oder Saturn hierzulande – nur in Klein. Es gab mehrere Pocketkameras, mit denen ich nicht arbeiten kann, noch dass die Speicherkarten passten – kapazitätsstarke andere Speicherkarten hätte ich nicht bekommen.

So verblieb nur eine brauchbare Kamera – eine Sony DSC-HX2, die mir mit einem Rabatt für letztlich 387 € überlassen wurde. Nicht gerade ein Freudenfest in der Urlaubskasse – zusammen mit dem Ladegerät schon fast 440 € Pechprämie. Nach einer Portion Eis essen war die Kamera ausreichend teilgeladen und ich konnte die wichtigsten Funktionen mit dem Verkäufer zusammen ausprobieren. Glück im Unglück. Einschränkungen gab es eigentlich nur manchmal bei Weitwinkel, Makros oder schwierigen Lichtsituationen. Die Bildqualität würde ich kaum geringer gegenüber meiner Systemkamera einschätzen – ein wenig anders ist die Farborientierung. Ärgerlich war natürlich, jetzt eine Kamera, ein Ladegerät und vier Objektive umsonst über die Berge zu schleppen. In den Laden kam noch eine Amerikanerin, die professionelle Kamerateile suchte – ich habe ihr gleich gesagt „in Montenegro no way“. Andere Frauenherzen dürften höher schlagen: Gucci-Taschen und Luxustextilien aller Art sind kein Problem – Technik sehr wohl.

Donnerwetter

… gab es häufiger, besonders gerne im Bergland Montenegros – dort durfte ich mich meist nur auf die Rolle eines Zaungastes von Gewittern beschränken. Fast täglich waren Gewitter in Dalmatien, die auch mit dicken Wolken über die Inseln zogen. Auf den Inseln regnet es selten stärker im Sommer, meistens bleiben die Wolken erst am Küstengebirge wie dem Biokovo hängen und regnen dann über den Gipfeln oder auf der Binnenseite gerne ab. Auf Brac erlebte ich aber ein leichtes Gewitter, dass sich mit diversen Regenphasen deutlich länger hielt (über eine Stunde) als von Einheimischen angegeben, demnach ein Gewitter sich auf der Insel nicht länger als 10 Minuten an einem Ort halten soll.

In der Tat musste ich häufig besonders am Nachmittag Fahrten unterbrechen oder Mittagspausen ungewollt verlängern. Manchmal fühlte ich mich etwas gejagt, und nicht immer hatte ich dadurch ein geordnetes Tagesende, wenngleich ich die Tagesziele trotzdem meist noch erreichen konnte. Manchmal hat so eine Pause auch Vorteile, wie etwa die Zwangspause nach dem schon genannt köstlichen Mittagessen im Agro-Restaurant „Vrata Biokova“. Ich machte ein Nickerchen während des Gewitters, worüber der Wirt ironisch wie neidisch bemerkte: „Besser kann es ja nicht laufen, erst gut essen und dann noch schlafen. So ein gutes Leben möchte ich auch mal haben!“ Der Aufstieg zum Sveti Jure lief danach quasi wie geschmiert, gerade soeben kam ich noch vor Dunkelheit an der Küste unten an, derweil eine Abfahrt auf der Strecke im Dunkeln ein hohes Risiko bedeutet hätte. In den Orten der Makarska-Riviera enden die Nächte ohnehin sehr spät, wenn überhaupt.


Regenimpression aus dem Biokovo

„Endlich Sommer“ war meine große Hoffnung nach einem unsäglich kalten und langen Winter, einem fast nicht existenten Frühjahr und einer über vierwöchigen Sommererkältung, die ich mir auf meiner einzigen Vorbereitungsreise an Pfingsten eingefahren hatte. Die Erkältung ging sogar noch mit auf Reise und ich fürchtete schon, dass es mehr als eine schlichte Erkältung sein könnte. So lag auch ein Risiko besonders am Beginn der Reise, da die größten Berge und damit auch die eher raue Witterung gleich zu Beginn der Tour warteten. Doch schmolz die Resterkältung merklich schnell dahin, die Sonne hilft. Wohl hatte ich in Montenegros Bergen auch etwas Glück, denn bei meiner Ausfahrt nach Süden in die Ebene um Niksic hinterließ ich die Hochgebirgsregionen mit mächtigen Wolkenmeeren – nicht zuletzt erlebte ich Vortags einen merklichen und wohl dauerhaften Wetterwechsel mit Regen und Wind, der die gesamte Hochgebirgsregion für einige Zeit in Schatten und Kühle getaucht haben dürfte.

Nicht zuletzt griff hier auch der Fallwind aus den Bergen in das Geschehen ein. So wurde der Krnovo-Pass zwischen Lukovo und Savnik ein Opfer unüberwindbarer Windstärken. Velebit ohne Bora wäre wie Currywurst ohne Ketchup. Bei der Auffahrt zum Mali Alan schlug er zu und ließ mich die ersten Höhenstufen nahe der Verzweiflung kommen. Etwa mit Schotterbeginn bei der Autobahnüberquerung ließen die Götter Milde walten, sodass ich auf Schotter schneller unterwegs war als zuvor auf Asphalt. Die restlichen Winde zeigten sich gnädig und im Rückblick eher vernachlässigbar. So darf ich doch letztlich auf eine erkleckliche SOMMERreise zurückblicken.

Was mir allerdings einen Schreck versetzte, waren die Schneeberge, die ich schon vom Flugzeug ausmachen konnte. Viele der Bergketten, die betroffen waren, konnten ja nur niedrige 2000er sein, einige wohl sogar noch darunter. Tatsächlich eröffneten sich bereits am ersten Tag in der Ferne des Sarajevo-nahen Skigebietes Bjelasnica Schneekuppen – gerade mal soeben über 2000 m – nimmt man die Schneefelder darunter, auch noch weit unter die 2000-m-Grenze reichend. Das entsprechende Bild wiederholte sich in Montenegro. In normalen Jahren wären auf diesen Höhen in den Alpen die Schneefelder abgeschmolzen – hier weiter südlich sind sie noch vorhanden!?

Wie mir Miso vom Camp Razvrsje versicherte, sei das eher normal und häbe nichts mit einem späten Sommer und einem kalten Frühjahr zu tun. Überprüfen kann ich das nicht, glaube aber, dass es schon eine sehr spezielle, sprich ungewöhnlich schneefreundliche Wetterlage auch auf dem Balkan gegeben hat. Auch Forumsmitglied iassu ereilte wohl nur ca. 1-2 Wochen vor meinem Reisestart ja eine ungewöhnlich hartnäckige wie stark regnerische Wetterlage sogar an der dalmatinischen Küste, die ihn zur Aufgabe eines Teils seiner Reisepläne bewegte.


Wie gehts weiter? – Heikle Schneefelder im NP Biogradska Gora deutlich unter 2000 m im Sommer in Südeuropa

Der Schnee war für mich zwar meist nur ein Blickfang am Horizont im aufkeimenden Bergsommer, doch griff er ziemlich unerwartet in meine Radfahrpläne ein. Wie schon erwähnt, zogen sich Altschneefelder auch noch auf weit unter 2000m runter. Im Nationalpark Biogradska Gora des Bjelasica-Gebirges (ja, die Namen scheinen alle ähnlich zu sein) fand ich auf meiner Offroad-Piste noch etliche Altschneeflächen, die über den Weg reichten (1800-1900 m). Umfahren ging aufgrund der Geländesteilheit nicht. So musste ich das Rad einmal um eine Schneefläche herumtragen – was drei schwere Gänge am Steilhang bedeuten: 1 x Rad, 1 x Backpacker-Taschen, 1 x Lowrider-Taschen. Ich glaubte zunächst, damit das einzige Schneefeld überqueren zu müssen, da mir eine tschechische MTB-Gruppe entgegen kam, die sich über den Schnee ebenso wunderten. Es zeigte sich aber, dass sie zuvor eine andere Route genommen hatten als ich gedachte weiterzufahren.

Es folgten weitere, nicht umgehbare Schneeflächen, die ich nur äußerst mühsam auf dem weichen Altschnee überwinden konnte. Teilweise habe ich alle Kräfte mobilisiert, um das Rad irgendwie samt Taschen durch den Schnee zu schleifen. Manchmal ging es aber nicht ohne die Taschen abzunehmen und wiederholt kleinste Fläche zeitraubend wie anstrengend im Dreifachmodus zu bewältigen, zusätzlich erschwert natürlich durch das eindringende Wasser in den Klickschuhen. Eine mir entgegen kommende deutsche Wandergruppe verwiesen darauf, dass sie bereits den zweiten Versuch machen würden, da Tage zuvor das Gebiet sogar für gemäßigte Wanderer nicht zu überbrücken war.

Da möchte ich hier auch Kritik äußern, dass die Nationalparkverwaltung am Biogradsko jezero keinerlei Hinweise zu der schlechten Wegelage geben, was im restlichen Land auch für Straßen bei Schneebefall gelten soll. Zumindest im Nationalpark, wo immerhin Eintritt verlangt wird, dürfte man ein paar grundlegende Infos doch erwarten – zumal ja nicht nur exotische Radler, sondern auch die größere Gruppe der Wanderer betroffen sind. Für mich auch ein Zeichen des montenegrinischen Phlegmatismus und der fehlenden Professionalität, wie ich bereits oben anmerkte. Als ich eine denkbare Fortführung des Top Biking Trail 3 (s. u.) angefahren hatte, und erneut Schneeflächen bereits unter 1800m auftauchten, beschloss ich schließlich meine geplante Route zu ändern.

Fortsetzung folgt
von: irg

Re: 5 Türchen sind es nun - 05.12.13 07:31

Hallo!

Der Vollständigkeit halber: In Ex-Jugoslawien dürfte ziemlich überall ein anderer Umgang mit Verantwortung/Unterstützung etc. vor zu herrschen als in Deutschland. Es wird z.B. der Nationalpark angeboten, mit eventuell etwas Infrastruktur und Eintrittsgeldern -was du darin machst, und ob es manchmal sogar gefährlich werden kann, den Park zu begehen oder zu beradeln ist deine eigene Verantwortung. Das ist besonders, wenn jemand beladen mit dem Rad in die Berge tritt ausgesprochen unangenehm, diese Verantwortungskultur habe ich aber schon mehrfach selbst bemerkt.

So störend das sein kann (es kann ja auch leicht den Abbruch einer ganzen Tagesetappe und damit die Änderung der gesamten Route bedeuten), bleibt uns nicht viel anderes übrig, das Problem unter dem Titel "Teil des Abenteuers", wenn die Tour als Abenteuer erlebt wird, zu verbuchen.

Zu deinen anderen Schwierigkeiten fällt mir ein: Ja, das ist der Balkan. Für mich sozusagen "hinter der Haustüre", und trotzdem kann ich manchmal gleich vom Bahnhof weg in eine abenteuerliche Reise eintauchen, mit allen Konsequenzen. Denn Abenteuer oder andere spannendere Erlebnisse kann es nicht zum Nulltarif geben!

Ich lese jedenfalls genussreich weiter!

lg!
georg
von: veloträumer

Re: 5 Türchen sind es nun - 05.12.13 13:00

Sicherlich, ein Stück Rest-Wildnis ist ja gar wünschenswert. Allerdings gibt es wohl nochmal einen Unterschied zwischen den kroatischen Nationalparks und den montenegrinischen. In Kroatien hatte ich das Gefühl, dass man schon auch ein wachsames Auge drauf wirft. Im Biogradska Gora musste ich an oben fotografierter Schneestelle erleben, wie zwei (einheimische) Enduro-Crossfahrer ebenfalls auf der Piste durch den Nationalpark fuhren und das Schneebrett mitten durch die Wiesen da drüber und darunter umfuhren. Einerseits war ich zunächst irritiert, dass das überhaupt technisch möglich ist, denn es handelt sich wirklich um sehr steiles Gelände, und die Wiese ist dort nicht Rasen, sondern besteht zu einem gewichtigen Teil aus widerborstigen Niedrigsträuchern. Einer hat auch die Maschine abgewürgt, konnte sich aber wieder frei fahren. Anderseits habe ich mich natürlich gefragt, wie es überhaupt sein kann und darf, dass die eine Verwüstungsspur durch die Pflanzen ziehen und durch den Park fahren dürfen. Tatsächlich gibt es auch zur anderen (von mir aus gesehen ) Parkausgangsseite keine Eintrittsbude, mir ist nur das Kassenhäuschen bekannt, das man von der Straße zum Biogradsko-See passieren muss (kommt ja noch genauer in einem der Folgekapitel). Es scheint sich auch keiner um diese Naturüberwachung so richtig zu kümmern. Das wäre aber für die Anerkennung des Nationalparkstatus' nötig. Ich nehme mal an, dass das die Einheimischen so gemacht haben, weil sie wissen, dass niemanden ihnen aufs Töff schaut. Die Wegekontrolle (und Räumung) ist auch deswegen im Interesse der Natur, damit die Wanderer und Radler nicht über die anliegenden Naturschutzflächen trampeln - geschweige irgendwelche Motorräder. Egal ob NP Nordeifel oder NP Nördl. Velebit - überall gibt es ein strenges Wegegebot. Jüngst hatten wir eine Diskussion hier im Forum um den ggf. künftigen NP Nordschwarzwald. Da konnte man doch bei einigen Kommentaren deutlich rauslesen, dass ihnen dieses naturschützende Wegegebot ziemlich einerlei ist.
von: StephanBehrendt

Re: 5 Türchen sind es nun - 05.12.13 13:13

Ein schöner und informativer Bericht.

Eine Anmerkung zum Nachtzug:
Eigentlich ist es üblich, dass abends die Dokumente eingesammelt werden. So werden im Laufe der Nacht die schlafenden Fahrgäste nicht von Kontrollen belästigt.
von: veloträumer

Re: 5 Türchen sind es nun - 05.12.13 13:26

Allerdings: Der Zug verkehrt nur durch Länder der EU mit Schengen-Abkommen (I, A, D). Oder muss man in einem innerdeutschen Nachtzug auch die Pässe abgeben?
von: Hasenbraten

Re: 5 Türchen sind es nun - 05.12.13 13:37

In Antwort auf: veloträumer
(...) Es scheint sich auch keiner um diese Naturüberwachung so richtig zu kümmern. (...)
Wahrscheinlich ein finanzielles Problem. Dauerhaft Personal zu bezahlen, das ein so großes Gebiet überwacht, wäre wohl zu teuer.

Bei uns im Nationalpark Bayerischer Wald gibt es strenge Wegegebote. Verstöße dagegen werden durch die NP-Ranger geahndet. Ist mir vor kurzem selber passiert, als ich mit dem Rad auf einem Wanderweg gefahren bin. (Zum Glück kam ich mit einer mündlichen Verwarnung davon... schmunzel )

Ansonsten freue ich mich auf die Fortsetzungen deines Berichtes. Besonders gespannt bin ich auf Dalmatien mit Brac. (Da will ich mit dem Rad auch mal hin).

Grüße
Gregor
von: kettenraucher

Re: 5 Türchen sind es nun - 05.12.13 17:07

Zitat:
… Drahtesel …
Ich bin entsetzt. lach Fahrradliebhaber dürfen ihren Gefährten meinetwegen Stahlross nennen, aber doch nicht „Drahtesel“. Die Esel beim Radfahren sind bestenfalls die Piloten selber. Du, ich, wir. lach
von: veloträumer

Re: 5 Türchen sind es nun - 05.12.13 17:17

In Antwort auf: kettenraucher
Die Esel beim Radfahren sind bestenfalls die Piloten selber. Du, ich, wir. lach

Damit beleidigst du aber die echten Esel! - insbesondere den schönen "Titelbild"-Esel, den ich für Kapitel 4 vorgesehen habe. Er schreit gerade und möchte nicht mit Radlervolk in einen Topf geschmissen werden. zwinker lach
von: irg

Re: 5 Türchen sind es nun - 05.12.13 19:06

Hallo!

In Antwort auf: veloträumer
Im Biogradska Gora musste ich an oben fotografierter Schneestelle erleben, wie zwei (einheimische) Enduro-Crossfahrer ebenfalls auf der Piste durch den Nationalpark fuhren und das Schneebrett mitten durch die Wiesen da drüber und darunter umfuhren.
Anderseits habe ich mich natürlich gefragt, wie es überhaupt sein kann und darf, dass die eine Verwüstungsspur durch die Pflanzen ziehen und durch den Park fahren dürfen. Es scheint sich auch keiner um diese Naturüberwachung so richtig zu kümmern.


Solche Geschichten kenne ich auch. Im Velebit z.B. haben wir (mit Erlaubnis der Besitzer) auf einer Almwiese gezeltet bzw. das Auto am Parkplatz neben der Wiese abgestellt und darin geschlafen und waren (natürlich weglos) klettern. Wir haben unseren Müll ordentlich gesammelt und heim genommen, die Einheimischen dagegen haben mit ihrem Müll um sich geworfen, das war wörtlich zu nehmen. (Sportkletterer aus Deutschland und Österreich waren auch nicht besser. Deutsche Enduro-Fahrer waren ganz stolz, mit ihren Stinkkarren nach dem Zerstören des Steinzaunes die fragile Almwiese auf zu reißen.)
Das dürfte außerhalb des Kernbereiches des Nationalparks gewesen sein. Ich wurde von allen rundherum völlig ratlos angeschaut, weil ich mir angewohnt hatte, jedes Mal Müll, über den ich gerade stolperte, einzusammeln und mitzunehmen.

Es war dort auch unter Einheimischen üblich, Singvögel abzuknallen, die bei Erfolg liegen gelassen wurden.

Ich fürchte, es fehlt einfach am mindesten Problembewusstsein. (In Österreich waren wir vor 30 Jahren auch nicht wirklich besser.)

Diese Seite der "Wildnis", die sich in den Köpfen abspielt ist eine, auf die ich liebend gerne verzichten kann. Die andere Seite, die mehr Eigenverantwortung verlangt, sehe ich durchaus auch positiv. Die kantenlose Wohlfühlzone kann ich auf Tour gerne in abgegrenzten Bereichen hinter mir lassen. Das Schönste für mich dabei ist, dass ich das auch "gleich hinter der Haustüre" machen kann, ich erspare mir dadurch den Flug in die Dritte Welt, wo die Reise-Profis (oder die, die sich als solche fühlen wollen) ihre Abenteuer suchen.

lg! georg
von: veloträumer

das große Fenster zum Nikolaus-Tag - 05.12.13 23:11

Einführung – Fortsetzung (6)

Spurtreue

Immer wieder bemüht wird das Klischee des „Wilden Balkans“ zur Fahrweise der Autofahrer – insbesondere in den Ex-Jugoslawien-Staaten und dort mit besonderem Warnhinweis auf die Adria-Magistrale (Küstenstraße). Mal abgesehen davon, dass Klischees allenfalls in kleinen Teilen den Charakter fremdländischer Gewohnheiten wiedergeben können, kann von einer speziellen Balkanfahrweise keine Rede sein. Weitgehend passt sich das Verkehrsverhalten internationalen – zumindest kontinental-europäischen – Gewohnheiten an. D. h. auf gut fahrbaren Straßen mit Verkehrshäufung wird international recht zügig bis schnell gefahren, „Zeit ist Geld“ und Überholen zuweilen auch an gefährlichen Stellen gern praktiziert. Andere Verkehrsteilnehmer wie kreuzende Fußgänger oder dahinschleichende Radler nimmt man nur peripher wahr, werden eher als Störung des motorisierten Freiheitsdranges empfunden. Lebensbedrohlichen Angriffen ist man i.d.R. aber nicht ausgesetzt, allerdings darf man auch nicht auf Wohlgefallen und liebkosende Hupgrüße hoffen.

Sollte es einmal eine „gefährliche“ Adria-Magistrale gegeben haben, so darf man das getrost den Geschichtsbüchern übergeben. Der einst gefürchtete Gastarbeiter-Heimaturlaub-Reiseverkehr hat sich entweder auf heute billige Airlines oder auf im Hinterland gebaute Autobahnen verlagert. Das gilt dann auch für internationale Warentransporte und so sind die meisten Abschnitte der Magistrale heute eher erstaunlich ruhig, wenn nicht gerade eine unglückliche Ballung von sonnenhungrigen Reisenden unterwegs ist. Eine Gefahr bleibt aber bestehen, wie immer noch vorhandene und gleichwohl neu aussehende Schranken und Schilder im Bereich der Adria-Magistrale am Velebit zu sehen: Die Bora, der gefürchtete Fallwind, der eben auch heute noch ab und an zur Streckensperrung führen kann. Betroffen sind aber eher die Zeiten im Winter, weil dann die Winde am häufigsten und heftigsten auftreten.

Die Sonnenhungrigen stammen vor allem aus Italien, Deutschland, Niederlande (nicht alle Holländer haben Wohnwagen!), Polen, Slowakei, Tschechien, Österreich, Slowenien, Schweiz. Franzosen sind wohl etwas seltener wie auch Skandinavier. Je südlicher desto mehr greifen slawische Völker ins Urlaubsgeschehen eine – in Montenegro sind das dann vornehmlich Serben und andere Ex-Jugos wie denn natürlich auch Russen – nicht unbedingt aber mit eigenem Auto unterwegs. Die fliegenden Holländer verschwinden mit der südlichen Kroatiengrenze fast gänzlich, reduzieren sich andere Westeuropäer auf eher kleine Gruppen (Deutsche eingeschlossen). Auswirkungen auf die Fahrweise auf Hauptstraßen hat das aber keine. Internationale Fahrgewohnheiten gelten natürlich auch auf Hauptstrecken im Hinterland. Auf wenig befahrenen Nebenstraßen wie im montenegrinischen Binnenland herrscht eher gemütliche Fahrweise vor. Enge, kurvige Straßen, auch mit schlechten Belägen, lassen Rambos wenig Raum zur Entfaltung. Radlern gegenüber verhält man sich eher neutral, bedrohliche oder aggressive Situationen: Fehlanzeige.


Nomen est omen: Tollkühne Traumroute oder teuflische Todesspirale? – Kehre 13 der Lovcen-Straße

Trotzdem kommt es immer wieder zu bedrohlichen und tödlichen Unfällen, denen etwas „balkaneskes“, zumindest etwas nachlässig Südländisches anhaftet. So konnte ich in Montenegro auf der wenig befahrenen, aber gut ausgebauten Strecke zwischen Pluzine und Niksic – unweit nördlich des Javorak-Passes – ein umgewirbeltes Auto am Straßenrand beobachten, bei dem sich drei Personen um ein sich nicht mehr bewegendes Unfallopfer gruppierten. Bedenklich lange dauert in einem so dünn besiedelten Land der Rettungsdienst, wie ich beim Weiterfahren feststellen musste, da der Rettungswagen mir erst nach erheblicher Zeit entgegen kam.

Solche offenbar ohne Fremdeinwirkung auftretenden Unfälle sind typisch für den Balkan, da nicht zuletzt Alkohol dabei eine Rolle spielt. Auch bin ich in Kroatien einem recht besoffen wirkenden Autofahrer begegnet, der mich mit selbstgemachten Wein beglücken wollte und eindringlich mir bedeutete, dass er ein Mensch sei, bei dem alles aus dem Herzen komme. Ein weiteres Alkoholgeschenk in Form einer Bierdose bekam ich auch im ländlichen Montenegro von einem Fahrer eines kleineren Transporters – gewisse Zweifel über den nüchternen Zustand des Fahrers waren auch dort angebracht.

Das Fahrmaterial – sprich die Autotechnik – gilt auch immer wieder als Unfallursache. In BiH und Montenegro sind alte, nicht mehr verkehrstüchtige Autos durchaus noch in Betrieb. Andererseits ist zu beobachten, dass auch immer mehr neue Automodelle das Straßenbild prägen, sodass man nicht von einer Wrack-Kultur sprechen kann. Allerdings habe ich in Montenegro recht wenig Autowerkstätten gesehen und mein Eindruck über die Qualität der angebotenen Technik bzw. das Nichtvorhandensein von gehobener Technik lässt natürlich die Vermutung zu, dass es mit der Wartung von Automobilen nicht zum Besten bestellt ist – selbst wenn der äußere Schein neu und schick wirken sollte. Die Fuhrparks in Kroatien und Slowenien kann man hingegen kaum noch von dem Deutschlands unterscheiden. Auffällig ist auch zu sehen, dass insbesondere in den kroatisch geprägten Gebieten der Herzegowina das gepflegte, wöchentlich gewaschene Auto sich einer Vielzahl von Autohändlern und Werkstätten gegenüber sieht.


Nicht die Regel, aber noch präsent: Bedenkliche Fahrwerke in Montenegro

Ein anderer Vorfall war wesentlich dramatischer. Da ich zweimal mit einem mehrtägigen Intermezzo in Kolasin beim selben Gastgeber übernachtet hatte, konnte ich zweimal montenegrinisches Morgenfernsehen sehen. Beim zweiten Besuch erschrak ich über einen Bericht aus der Moraca-Schlucht, wo einen Tag nach meiner Durchfahrt ein rumänischer Bus in die Schlucht abstürzte und dabei 18 Menschen in den Tod riss. Über die Ursache konnte ich nichts erfahren (eingeschlafen?), aber der Gedanke, dass es in solchen Fällen auch mal einen unbeteiligten Reiseradler mitreißen könnte, beunruhigte mich doch durch diese recht unmittelbare zeitliche und räumliche Nähe des Fiaskos.

Während in Slowenien, Kroatien und Herzegowina die meisten Asphaltstrecken in mindestens ordentlichem, wenn nicht meist sogar gutem Zustand sind, darf man in Bosnien und Montenegro schon mit teils sehr rauen und ruppigen Asphaltstrecken rechnen. Das trifft zwar die Hauptstrecken selten, aber auch dort ist mit bedenklichen Belägen zu rechnen wie etwa in der unteren Moraca-Schlucht nördlich Podgorica (weiter oben hingegen sehr gut). Es ist ja kein Zufall gewesen, dass meine Kamera irgendwann in Montenegro sich aus der Welt der lebendigen Technik verabschiedete. Eine andere Beobachtung ist, dass einige nicht mehr oder kaum genutzte Straßen verfallen, während es neue Asphaltbänder gibt, zuweilen mit neuen Tunnelröhren. Das gilt recht dramatisch etwa für den Sutorman-Pass von Bar an der Adria nach Virpazar am Skadarsee, wo eine Tunnelverbindung die alte Passstraße überflüssig gemacht hat. Ebenso verfällt langsam die alte Straße von Rijeka Crnojevica nach Cetinje – zumindest ab der oberen Abzweigung zur neuen Straße von Podgorica nach Cetinje.


Alte Straßen werden von der Natur erobert, weil neue Schnellverbindungen gebaut werden: Alte Passstraße Sutorman von Bar nach Virpazar

Noch nicht zerfallen, aber entlastet sind die alten Straßen nach Zabljak, dem Wintersportzentrum am Durmitor-Nationalpark, durch eine neue, teils strichgerade Schnellstraße mit Tunnel, die auf vielen Straßenkarten noch nicht verzeichnet ist. Die Straße teils durch den Nationalpark gilt als eines der ökologisch umstrittenen Verkehrsprojekte Montenegros – einem Land, das sich selbst so etwas wie ein Ökoetikett umgehängt hat. Ein anderes größenwahnsinniges Projekt wäre ein Grenztunnel zwischen Kosovo und Andrijevica durch das Mokra-Gebirge, der den angestrebten, aber seit Kriegszeiten nicht mehr existierenden Übergang via Cakor-Pass ersetzen könnte. Ein schlechter Scherz, wenn zumindest der Nachbar Kosovo nicht mal bereit ist, die alte Passstraße wieder zu reaktivieren. Der zu erwartende Verkehr für einen Tunnel dürfte bescheiden ausfallen – erst sollte mal Montenegro die nahezu unfahrbare Piste zwischen Jezerine und Jelovica (Strecke Kolasin – Berane) asphaltieren, bevor man unnötiges Geld in solche Berglöcher steckt.

Hier nochmals der Hinweis, weil im Forum und dem WWW immer wieder verwirrend dargestellt: Die Route zwischen Andrijevica und Pec via Cakor-Pass ist kein offizieller Grenzübergang zwischen Montenegro und Kosovo und kann auch nur mit Mühen illegal überwunden werden, weil auf kosovarischer Seite im Grenzbereich nur schwer passierbar (MTB). Montenegro hat schon vor Jahren die Straße auf seiner Seite asphaltiert, jedoch sträuben sich die Kosovaren den Anschluss herzustellen. Hintergrund soll u. a. illegale, grenzüberschreitende Weidenutzung der Kosovaren auf montenegrinischem Gebiet sein, die durch eine offizielle Grenze unterbunden werden könnte – zumal wenn durch dann aufkeimende Besiedlung die ungeteilten Landansprüche der Montenegriner zum Tragen kommen könnten. Montenegro setzt aber auf die EU, die Kosovo unter Druck gesetzt haben soll, den Straßenanschluss wiederherzustellen. Nicht zuletzt möchte Kosovo wie auch der Rest der Westbalkanländer alsbald in die EU. (Da dürfte es nicht nur zwischen Serbien und Kosovo noch einige bereinigende Gespräche erfordern.) Die schwer bis nicht passierbare Nichtgrenze ist übrigens auf der Montenegro-Karte von Freytag & Berndt richtig dargestellt, auf vielen anderen Karten ist hingegen der alte Grenzübergang aus Ex-Jugoslawien-Zeiten sogar mit durchgehender Straße immer noch falsch aufgemalt.

Es sei erwähnt, dass hingegen die neue Schnellstraße nach Zabljak samt Tunnel auf der MNE-Karte von F&B nicht eingetragen ist, hingegen auf der BiH-Karte von F&B sowie der Karte des Dumont-Reiseführers – dort aber wieder der besagte Grenzübergang falsch verzeichnet ist. Alles klar ist anders. Damit sind wir beim Kartendilemma. Das Dilemma hält sich aber in Grenzen, die Karteneinträge sind besser als ihr Ruf, aber eben nicht durchgehend konsistent und richtig. Blindes und kopfloses Drauf-los-Fahren wird eben nicht belohnt. Das betrifft vor allem scheinbare Asphaltstraßen, die aber nur Pisten sind. Eine beliebte Irreführung ist eine scheinbar durchgehende Asphaltstraße zwischen Niksic und Podgorica via Staro Selo und Morakovo. Nach Aussagen verschiedener einheimischer Stimmen existiert eine solche Verbindung nicht und man muss eher mit unfahrbaren Pisten rechnen – Ducice bzw. Morakovo dürfte das Ende der Straße sein.


Radroutenbeschilderung in der Herzegowina: Nebenroute Vitina – Klobuk

Speziell in BiH darf man mit vielen neuen Asphaltstraßen rechnen, die längst nicht alle auf den Karten zu finden sind. Während alte Pisten zu verlassenen Dörfern oder Weilern (vom Krieg zerstört) nicht mehr erneuert werden, gibt es neue Dörfer oder auch neue Wirtschafts- und Freizeitzentren wie etwa das Skigebiet Bjelasnica in Reichweite von Sarajevo, die mit besten Asphaltbändern erschlossen sind. Das ist nur eine ungesicherte Randbeobachtung, da Bosnien ja nicht wirklich Ziel meiner Reise war. Der Wandel scheint mir aber in BiH schneller zu erfolgen, wirtschaftliche Dynamik präsenter zu sein als in dem stark an spätsozialistische Trägheit erinnernden, benachbarten Montenegro.

Es sei für den Radler noch ein Blick auf radspezifische Gegebenheiten geworfen. Echte Radwege darf man im gesamten Reisegebiet nicht erwarten. Es gibt natürlich auch Placebos wie etwa die gut 500 m (!) Radweg zwischen den Parkplätzen zu den Kravica-Wasserfällen und einem nicht näher identifizierbaren Endpunkt im Felde, ohne eine veritable Ortschaft wie das nahe gelegene Ljubuski zu erreichen. Solche Scherze sind mir aber auch aus Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland bekannt – Schildbürgerstreiche sind eine der wenigen unzweifelhaften globalen Erscheinungen ohne kulturelle Trennlinien.


Lokales Leihradsystem in Tivat

Fuß- bzw. Strandwege als Radler mitzubenutzen ist ein bewusstes Lokalkonzept in der Bucht von Kotor. Leihradsysteme habe ich in Tivat und Perast gesehen. Entspanntes Radeln ist erstaunlich gut zwischen Tivat und Kotor auch auf der Straße möglich – insbesondere jenseits der Fähre in Lepetani, derweil dort eine LKW-freie Meerroute bis Kotor folgt. Hingegen sind ausgewiesene Radrouten (nicht Radwege) auf meist geruhsamen Binnenstraßen bereits ein konstanter Bestandteil im Wegesystem – und zwar grundsätzlich in allen beradelten Gebiete. In Bosnien habe ich zwar keine Radroutenbeschilderung gesehen, in Herzegowina aber schon, wenngleich das wohl lokalen Einzelcharakter hatte. In Montenegro gibt es schon so etwas wie ein durchgehend ausgewiesenes Wanderweg- und Radroutennetz. Es wird sogar zwischen Straßenrad und MTB (abgehobenes Vorderrad auf dem Symbol) unterschieden.


Radroutenkennzeichnung für Mountainbikes in Montenegro (für Straße vgl. Schilderbild zur Via Dinarica weiter oben)

Der Nachteil ist, dass anfangs ein Radweg für Straßenräder stehen kann, die Straße sich aber dann in eine MTB-Piste wandelt und das erst dann angekündigt wird, wenn die MTB-Piste beginnt. Lässt man sich anfangs auf die scheinbar als durchgehend Straßenrad-tauglich gekennzeichnete Strecke ein, gelangt man so ggf. in eine Sackgasse. Das Symbol bezeichnet also nur den aktuellen Zustand der Radroute, nicht aber den kommenden einige Kilometer weiter. Da es zuweilen um sehr lange Strecke geht, auf denen es keine Infrastruktur gibt, sollte man sich vorher über den fortlaufenden Charakter der Strecke bei Einheimischen informieren, da man sonst schon mal das Tagesziel nicht erreichen könnte, weil die Strecke zu schwierig wird.


Traumhafte mehrtägige, aber schwierige Bergtour für Mountainbiker: Top Biking Trail 3 in Montenegro

Allgemein sind Offroad-Pisten in Montenegro unterschiedlich, meist durchaus resistent gegen Schlamm oder Matsch, aber meist sehr rau und rüttelig. Sofern als MTB-Routen ausgewiesen, sollte man das ernst nehmen. Leicht ist anders, häufig bewegt man sich jenseits des Fahrbaren für ein gängig bepacktes Reiserad. Ein besonders gut vom Ministerium für nachhaltige Entwicklung und Tourismus Montenegro und einer komplementären österreichischen Dependance geförderte MTB-Route heißt Top Biking Trail 3, ist auf Google Maps eingetragen und kann als Broschüre im Internet (PDF) runtergeladen bzw. vor Ort gekauft werden. (Ich hatte Teile vor der Reise ausgedruckt, die aber schlecht lesbar waren, sodass ich die Broschüre für kleine 1,50 € in Gänze im Nationalparkbüro Biogradska Gora erworben habe. Noch genauere Wanderkarten für den NP sind ebenfalls dort erhältlich.) Die Broschüre gibt es in Englisch mit detaillierten Kartenausschnitten und einer sehr anregenden Beschreibung. Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, die Routen möglichst ohne Gepäck zu fahren, da es schwierige einschließlich Trage-Passagen gibt. Ich bin von Top Biking Trail 3 lediglich den Abschnitt im Nationalpark Biogradska Gora (Bjelasica-Gebirge) gefahren. Da diese Erfahrung grenzwertig war, habe ich auf weitere Passagen verzichtet, zumal diese noch schwieriger sein sollen (etwa der Rundkurs über den Hridsko jezero östlich von Plav oder die Abkürzung von Gusinje nach Andrijevica über Kuti). Der komplette Top Biking Trail 3 ist als 6-7-tägige, 305 km lange und 8900 Hm steigige MTB-Rundtour im gebirgigen Osten Montenegros gedacht, auf dessen Weg ausreichend Verpflegungs- und Übernachtungspunkte vorhanden sind, die auch in der Broschüre mit Kontaktdaten gelistet sind.


Harte Schotterpisten sind typisch für Montenegro: Piste oberhalb der Komarnica-Schlucht

Neben TBT3 und ein paar passablen Pisten bei Zabljak bin ich in Montenegro noch zwischen Duzi bzw. Dubrovsko und Bezuje (und weiter zur Brücke über die Piva) oberhalb der Komarnica-Schlucht nochmal offroad gefahren. Diese strategisch verlockende Verbindung, deren Schotterqualität allerdings auch sehr rumpelig, sprich lose ist, kann ich auch nicht uneingeschränkt empfehlen. Nicht nur dort musste ich den Eindruck gewinnen, dass die Pistenpflege letztlich für den Radler nachteilig ist, weil grober Schotter oft ungewalzt schlicht aufgeschüttet wird – ein moderner Vierradantrieb freut sich. Ausgetrocknete Lehm- und Sandwege wären zwar witterungsanfälliger, aber bei Trockenheit deutlich besser zu fahren. Für die Abkürzung lohnt aber auch mal zu schieben. Man sollte genügend Zeit einplanen, zumal die nächste Versorgung erst nach dem (asphaltierten) Anstieg zur anderen Flussseite erreicht werden kann. Auf weitere Schotterexperimente im Orjen-Massiv war mir die Lust aber verloren gegangen, zumal mir letztlich auch die Touristinfo in Herceg Novi davon abgeraten hat und auf angedachter Route nur ein illegaler Grenzübertritt nach BiH möglich wäre.


Radroutensystem Kroatien: Regionale und lokale Radwegkennzeichnung

In Kroatien gibt es mittlerweile ein offenbar recht durchgehend ausgeschildertes Radroutennetz. Unterschieden wird dabei zwischen lokalen Radrouten – mit dem Buchstaben „L“ gekennzeichnet, sowie regionale/überregionale Routen – mit „R“ gekennzeichnet. Auch die blaue Beschilderungsfarbe war einheitlich vom Süden im Biokovo bis zum Norden in Gorski kotar. Leider kann man sich aber nicht darauf verlassen, dass an allen kritischen Wegpunkten es einen weiterführenden Hinweis gibt, wie ich schmerzlich erfahren musste, als ich mich auf die Lokalroute bei Jezerane eingelassen hatte.

Zusätzlich gibt es lokale Radwegweiser, die aber keinem System unterliegen. Solche Routen gibt es z. B. recht viele innerhalb und außerhalb der beiden Nationalparke des Velebits und in der Umgebung von Fuzine, die gleichwohl als noch wenig entdeckte Wanderregion beworben wird. Es handelt sich dabei meist um gut fahrbare Schotterpisten, die auch als Forststraßen dienen, zuweilen auch für den (eingeschränkten) Autoverkehr freigegeben sind. Die lokalen Routenkarten gibt es vor Ort, für den Nationalpark Nördlicher Velebit an den Eintrittsportalen des Parks wie z. B. der Hütte Veliki Alan, wo ich auch übernachtet habe. (Der Hüttenbetreiber ist auch kenntnisreicher Radfreund.) Bei der Nationalparkverwaltung in Gospic gibt es ebenso ein paar Infos zum Radfahren einschließlich einer käuflich erwerbbaren Velebit-Karte. (Ähnliches dürfte für das Infozentrum in Krasno gelten.)


Hübscher Radwegweiser für Waldpisten rund um das Gourmet-Städtchen Fuzine (Gorski kotar, Kroatien)

Auch die Region um Ogulin und den Berg Klek herum engagiert sich in Fahrradkultur und -tourismus, neben den Radrouten gibt es in Ogulin auch Radverleiher, das Rad wird erkennbar im städtischen Alltag verwendet und in der Saison verkehrt explizit ein Wochenendzug für Wanderer und Radfahrer zwischen Zagreb und Ogulin. Speziell für diese Region in der Gespannschaft Karlovac lohnt ggf. ein Blick auf die entsprechende Website. Auf das Radland Slowenien gehe ich hier nicht tiefer ein, derweil ich schon in mehreren Reiseberichten die landestypischen Veloaspekte herausgearbeitet habe.

Reiseradler unterwegs: Auffällig war, dass ich in Montenegro (ergänzend Makarska-Riviera) viele Transbalkanradler (aus USA, Schweiz, Skandinavien, England, Deutschland) getroffen habe, die meistens aus dem Norden jenseits des Alpenhauptkamms nach Istanbul (oder Athen) unterwegs waren. Der Bosporus scheint so was wie ein Massenpilgerziel des Ostens à la Santiago de Compostela im Westen Europas zu sein – allein fehlt es noch an einem einheitlichen Symbol wie der Jakobsmuschel (Vorschlag: Boncuk?). Ein Paar aus Polen, das eine lange Bahnan- und abreise auf sich nahm, machte eine kurze Reise zwischen Skopje, Kosovo, Albanien und Bar in Montenegro. In Zabljak im Camp Razvrsje traf ich ein Paar aus Traunstein, die eine reine Montenegro-Tour ohne Zelt machten und dort ein Rafting-Tour planten. Größere, organisierte MTB-Gruppen aus Tschechien traf ich sowohl im NP Biogradska Gora (eine ziemlich fitte und furchtlose Truppe) und am Jezerki Vrh bei der Auffahrt zum Mausoleum, wobei letztere aber mit Busbegleitung entsprechend „verweichlicht“ erschienen und die meisten der Schlusssteigung nicht gewachsen waren.

Im Binnenland von Kroatien war hingegen Ebbe mit Reiseradlern, ebenso in der Herzegowina. Einzige Ausnahme war ein entgegenkommendes Paar in den Wäldern Velika Kapela bei Jasenak. Das änderte sich dann erst wieder schlagartig mit der Einfahrt nach Slowenien, wo Einheimische, durchziehende Mehrländerbummler wie auch reine Slowenien-Reisende in größerer Zahl anzutreffen waren. Geradezu ein Magnet für Reiseradler schien Skocjanske jame zu sein – sogar Bayern waren dabei. Auf der Karst-Weinstraße machten sich dann vermehrt italienische Rennradler breit. Sonst waren Rennradler überall selten und ein einer Hand abzuzählen, obwohl ich in Bosnien gleich am ersten Reisetag einen recht flotten Strampler auf der Rogoj-Passstraße antraf.

Quellenkunde und Druckpunkte

Karten

Wie schon erwähnt, dürfen Kartendaten nicht als hundertprozentig korrekt gelesen werden – auch wenn die meisten Einträge richtig sind. Insbesondere bedürfen Asphaltierung bzw. Straßen- bzw. Wegezustände einer weiteren Prüfung. In einigen Fällen kann Google Maps Streetview helfen – wenn noch nicht erfasst (BiH, Montenegro), gibt es immerhin streckennahe Fotos. Es gibt aber immer wieder Fotos, die falsch zugeordnet wurden. So habe ich z. B. das Luxushotel von Kolasin an mindestens drei (!) verschiedenen Orten in Montenegro gefunden, was natürlich grober Unfug ist. Auch fand ich Wasserfälle mehrfach an falschen Orten. Entsprechend müssen diese Daten und Bilder geprüft, über andere Quellen und/oder durch logische Überlegungen verifiziert werden. Richtig Kartenlesen ist kein Glücksspiel sondern Kopfsache. Zudem schadet ein bisschen Pioniergeist auch dem Reisenden im 21. Jahrhundert nicht – schließlich möchte man sich ja gerne damit schmücken, wenn auch mit Smartphone und Satellitentracking. verwirrt

  • Bosnien-Herzegowina 1:200.000 freytag & berndt
  • Montenegro 1:150.000 freytag & berndt
  • Straßen- und Tourismuskarte Kroatien 1:1.000.000 (Gratiskarte vom Tourismusverband)*
  • Campingplatzkarte Kroatien 1:300.000 (Gratiskarte vom Tourismusverband)
  • Slowenien/Kroatische Küste Nord 1:300.000 Marco Polo*
  • Kroatische Küste Süd 1:300.000*
  • Park Prirode/Nature Park Velebit 1:100.000 Javna ustanova Park prirode „Velebit“, 2006
  • Radfahren in Slowenien 1:260.000 www.slovenia.info/biken
  • Slovenija 1:250.000 freytag & berndt* (neu als 1:200.000-Ausgabe erhältlich)


* Nur in der Vor- und Nachbereitung verwendet, nicht mitgeführt (gilt auch für die folgende Reiseführerliste). Stattdessen hatte ich noch eine veraltete Kroatien-Karte-Süd (2001, es fehlen neue Straßen & Tunnels) von Marco Polo (Generalkarte) im Maßstab 1:200.000 an Bord. Dieser Maßstab der zweiteiligen Kartenserie war aber auf Küstenregionen beschränkt und nicht fürs Binnenland erhältlich. Über die neueste Situation der Kroatien-Karten bin ich nicht informiert.



Reiseführer – print & paper

  • Achim Wigand: Montenegro. Michael-Müller Verlag, 3. Aufl., 2013 > Brauchbarer, guter Reiseführer mit vielen Infos zu Unterkunft, Essen usw., mehr Angebote für einfach Reisende als im Dumont-Führer. Enthält eine persönliche Note durch die Tipps des Autors. Enthält zusätzlich ein Kapitel über Dubrovnik. Einige Daten fehlerhaft oder veraltet.
  • Dietrich Höllhuber: Montenegro. Dumont Reise-Taschenbuch, A. Aufl., 2012* > Mit übersichtlicher Reisekarte 1:250.000 (brauchbar, aber mit Fehlern, sollte durch eine zusätzliche Landkarte ergänzt werden). Wohl der umfangreichere unter den beiden MNE-Führern, mehr Hintergrundinfos, Info-Boxen, Beschreibung von Wanderexkursionen, einige Daten fehlerhaft oder veraltet. Die gegenseitige Nutzung beider MNE-Führer lohnt durchaus.
  • Jovan Erakovic: Montenegro. Top Biking Trail 3. Eastern Enchantment. Regional Development Agency for Bjelasica, Komovi and Prokletije, office@bjelasica-komovi.co.me > Broschüre mit Detailkarten, Beschreibung s. o.
  • Marko Plesnik: Bosnien und Herzegowina. Unterwegs Zwischen Adria und Save. Trescher Verlag, 4. Aufl., 2012* > Engagierter Reiseführer mit viel Hintergrundwissen nicht nur zur alten, sondern auch zur jungen Geschichte und Kultur. Schon fast ein BiH-Kompendium. Reiserouten zwischen den Städten und Nischen-Sehenswürdigkeiten kommen aber etwas zu kurz (Erdpyramiden, Kravica-Fälle, Vitina-Quelle u. a. sind nicht erwähnt).
  • Dietrich Höllhuber: Kroatische Adriaküste. Istrien – Kvarner – Dalmatien. Dumont Reise-Taschenbuch, 2003* > Eher spartanischer Reiseführer, ausreichend für die Haupttouristenziele. Für das Hinterland unzureichend. Noch von meiner ersten Balkan-Reise, daher nicht aktuell und vermutlich durch neue Auflagen im Handel ersetzt.
  • Friedrich Köthe/Daniela Schetar: Slowenien. Mit Triest. Reise Know-How, 1. Aufl., 2002* > Wenn auch mittlerweile wohl überarbeitet zu erhalten, immer noch sehr guter, ausführlicher Reiseführer mit vielen Detail-Infos sowohl zu Themen, Exkursionen wie auch Unterkünften, Gastronomie, Shopping usw.


Weitere Reise- und Hintergrundinfos habe ich aus einer umfangreichen Broschüren-Sammlung zu Kroatien und Slowenien von der Stuttgarter Touristikmesse CMT. Sowohl BiH als auch MNE waren in diesem Jahr (und wohl auch in den Vorjahren) nicht vertreten. Ebenso verwendet wurden weitere im Text genannte oder auch nicht genannte Broschüren oder Karten, die ich lokal vor Ort erworben habe.

Reiseführer – digital

Mittlerweile gibt es auch spezifisch virtuelle Reiseführer für iPad im Web (z. B. für Montenegro, zahlungspflichtig). Dank meiner digitalen Mobilphobie kann ich aber keine weitergehenden Angaben dazu machen. Auf Youtube finden sich erschöpfende Filmchen, die die Mühen einer eigenen Reise schon fast überflüssig machen. verwirrt Sogar montenegrinische Bergstraßen lassen sich virtuell per SUV abfahren. Allerdings zeigte sich bei dieser Reise auch, wie dünn die Wissendecke des WWW ist, denn das Detailwissen bröckelt mit nachlassenden Bedeutungen, der exotischen Ferne von Themen und Orten. Nicht nur für den Einstieg seien folgend die mehr oder weniger offiziellen Touristikportale genannt:


Für spezifische Radreiserfahrungen noch ein paar Forumsberichte. Eine für normal sterbliche Reiseradler nicht nachzuahmende MTB-Tour von Kreta zum Gardasee hat „Alpenzorro“ alias stuntzi (auch hier um Forum unterwegs) durchgeführt und äußerst unterhaltsam in einer Art Live-Berichtserstattung auf gut 190 Forumsseiten im Mountainbike-Forum präsentiert – erfrischend und erlebnisnah. Neben der vergnüglichen, mitreißenden Erzählweise sind trotz der oft abwegigen Routen auch noch einige Informationen mit drin, die sich auch für gewöhnliche Tourenradler eignen: MTB-Irrsinn von Alpenzorro ab MTB-Forumsseite 71 mit dem Einstieg Montenegro. Von mir verwertete Berichte aus diesem Forum waren:


Sonstige Literatur

  • Mark Mazower: Der Balkan. Berliner Taschenbuch Verlag, 3. Aufl., 2007 > historische, politische, religiöse und kulturelle Hintergründe zum Balkan mit Blick auf die Konfliktpotenziale von gestern und heute. Eine komprimierte, gut verständliche, anti-Klischee-gelenkte Darstellung der südosteuropäischen Region.
  • Lojze Wieser (Hrsg.): Europa Erlesen – Karst. 1999, Wieser Verlag, ISBN 3 85129 222 7 > Eine Auswahl literarischer Texte wie Erzählungen und Gedichte von Schriftstellern, die aus dem Karst i.e.S. stammen oder sich mit dieser Landschaft beschäftigt haben – u. a. von Peter Handke, Srecko Kosovel, Franz Satori, Scipio Slataper, Ernst Decsey, Dante Alighieri, Adalbert J. Krickel, Giuseppe Ungaretti, Hilde Spiel. Das schmucke Bändchen ist Teil einer Serie „Europa Erlesen“, die auch in andere europäische Regionen mit nicht nur bekannter Literatur zum Entdecken einlädt. Wieser spricht treffend von einem Wegweiser, einer Orientierung, einer Art Wanderkarte, die man mit ins Gepäck nimmt, wenn man sich auf Wanderung begibt. Der Herausgeber und Verlagsleiter Lojze Wieser mit Sitz in Klagenfurt ist Experte für slowenische und kroatische Literatur. Das gesamte Verlagsprogramm des Wieser Verlags verdient einen näheren Blick. Durch die wertigen Buchdeckel sind es auch ideale Geschenkbücher.
  • Juli Zeh: Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien. 2003, btb > eine junge deutsche Autorin und Völkerrechtlerin wagt eine Neubelebung des literarischen Reiseberichts. Unbefangene, kindliche Neugier auch für Nebensächliches, Detailverliebtheit in den Reisebeobachtungen und geistreiche Sprachbilder sind die bestechenden Akzente des Buches auf einer touristischen Pioniertour mit Auto und Hund im Nachkriegsbosnien 2001, als man dort alles andere als natur- und kulturerlebensfreudige Fremde erwartete. Somit auch bleibendes Dokument Zeitgeschichte, das die Phase zwischen Krieg und dem modernen Wandel festgehalten hat. Einziger Makel: Der Titel des Buches scheint mir aus meinen Gedanken geklaut. schmunzel Wahrscheinlich sind Reiseempfindungen für Lauschende auf einsamen Pfaden unteilbar gleich.
  • Ivo Andric: Die Brücke über die Drina. U. a. 2013, dtv > historischer, weltberühmter Roman über die Geschichte der Brücke von Visegrad über die Drina mit Geschichten zwischen orientalischen und okzidentalen Welten von dem „jugoslawischen“ Autor, der für sein epische Kraft, Motive und Schicksale seines Landes darzustellen 1961 den Literaturnobelpreis erhielt. Ich finde den Roman zuweilen zu dokumentarisch und distanziert in der Erzählweise, der Autor opfert nicht sein Inneres, um eine perspektivische Authentizität zu schaffen.
  • Literaturland Kroatien (Frankfurter Rundschau) > ein Artikel zur aktuellen Literaturszene in Kroatien, der auch die seltsamen Sprachentwicklungen beleuchtet. Enthält weitere Autoren- und Buchempfehlungen, die man zusätzlich zum Wieser-Verlagsprogramm benutzen kann.


Fortsetzung folgt
von: trike-biker

Re: ein Türchen weiter, das vierte - 06.12.13 09:00

Matthias,
wie immer Klasse Bericht und Bildchen.Aber der Schichtkäse sieht für mich aus wie Därme zum Wursten träller.

Klaus
von: veloträumer

die 7. Tür - 07.12.13 12:41

Amerikanische Zensoren wollten die Adventsengel am Türöffnen hindern, ich habe sie jetzt vorübergehend in die Büsche geschlagen. böse

VIA DINARICA – STEP BY STEP

!!! Technische Anmerkung: Nach den jeweiligen Leseblöcken der insgesamt 10 Kapitel findet ihr jeweils ein Bild, das eine Bildergalerie zum zugehörigen Kapitel öffnet. Die Bilder sind auf 1600 Pixel auf der längsten Achse skaliert, sodass die Querformate auch auf großen Bildschirmen annähernd formatfüllend dargestellt werden können. Selbstverständlich erfolgt auf kleineren Bildschirmen eine automatische Anpassung. Manchmal dauert der Bildaufbau ein paar Sekunden. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Bilder anzuschauen:

(1) Per Klick (Lightbox), empfohlen: Das jeweilige Bild anklicken (es handelt sich nicht um das erste Bild der Galerie, sondern um ein „Einladungs“-Bild zur Region). Danach erscheint das erste Bild der Galerie. Es ist sinnvoll, das Vollbild durch Drücken der Taste F11 zu erzeugen (erneut F11 für Vollbild aufheben). Zum Durchklicken bitte den Pfeil rechts (oder links für zurück) benutzen. Leichtes Bewegen der Maustaste macht die Dateinamen sichtbar (im Bild links unten), die teils Ortshinweise enthalten. Die automatische Diashow- bzw. Vollbild-Funktion des Fotohosters (flickr) funktioniert auf dieser Ebene aktuell nicht. Das Klicken auf die Bildmitte bzw. den Pfeil untere Mitte daher vermeiden!

(2) Diaschau: Das jeweilige Bild anklicken. Danach die ESC-Taste drücken. Rechts unten erscheint ein Symbol mit drei Punkten. Dort draufklicken, es erscheint ein Auswahlmenü, dort Diaschau anzeigen klicken. Es erscheint unten rechts ein Symbol zum Vergrößern der Ansicht (Vollbild). Dort drauf klicken (ESC für zurück). Bei Mausbewegung erscheint unten der Filmstreifen des Albums und oben eine Menüleiste. Dort rechts oben Info anzeigen anklicken. Es erscheint folgend immer automatisch der Dateiname (und noch ein paar andere Infos) bei automatischer Bildfolge. Ich finde, dass hier der Infokasten unschön ins Bild reinragt.



KAPITEL I
Prolog in Bosnien: Quellidyll out of Sarajevo, Schneebergpanorama und Erdpyramiden

Musik: Goran Brégovic aus Sarajevo ist der nationale Popheld der Bosnier. Sein Ruhm begann bereits im Tito-Jugoslawien mit der Rockband Bijelo Dugme. Vom Krieg vertrieben, erarbeitete er sich in Paris Weltruhm als Filmkomponist. Auch vor dem Grand Prix d’Eurovision machte der gelernte Bassist als Komponist nicht halt. Sein wohl wichtigstes Projekt zur Balkanmusik liefert er mit seinem Wedding & Funeral Orchestra, einer Blechbläser-geprägten schrägen Mixtur aus kitschigem Balkanpop, pathetischer Folklore und kratzendem Zigeunerswing. Als Einstimmung ein recht authentisches Traditional: Goran Bregovic „Ederlezi“ (4:01 min. – allerdings Werbung vorgeschaltet!).

Sa 15.6. Stuttgart – Flughafen LE 17:50 || 19:20 h (ca. 21 h, Verspätung) Flughafen Sarajevo – Ilidza
32 km | 14,3 km/h | 2:16 h | 250 Hm (bezieht sich wesentlich auf die Stuttgarter Flughafenanfahrt, daher nicht in den Gesamtdaten der Reise berücksichtigt)
W: Sarajevo stark bewölkt, nachts 20-21 °C
E (Ilidza-Zentrum): Pizza, Bier ~7 €
Ü: C Oaza Ilidza 10 €

So 16.6. Ilidza – Bosna-Quellen – Hrasnica – Krupac – Trnovo – Rogoj (1163 m) – Dobre Polje – Ockkvalje – Donji Budanj – Skravnik (835 m) – Susjesno – Foca – Brod – Prhalj
115 km | 14,1 km/h | 8:02 h | 1370 Hm
W: sonnig, warm
E (Camp/SV): Brot, Käse, Bier 1-2 KM, eingeladen, Slibowitz
Ü: C Tara-Rafting-Camp No. ?, Hütte 0 KM, eingeladen

Da mein Flug erhebliche Verspätung hatte und die Entpackungsorgie des Fahrrads ein gutes Stück Arbeit war, erübrigte sich jedwede Überlegung, vielleicht doch einen Abstecher in die Hauptstadt Sarajevo zu machen. Geplant hatte ich das ohnehin nicht, denn es bräuchte ja schon mindestens eine halben Tag, einen richtigen Eindruck von der Stadt zu erhalten. Immerhin verlockt das Vielschichtige dieser Stadt, von der Juli Zeh in ihrem Reisebericht „Die Stille ist eine Geräusch“ das folgende Bild entwirft: „Auch diese Stadt ist ein Setzkasten europäischer Erinnerungsstücke, jede Epoche, jede Kultur hat ein Haus hingestellt, von Rom über christliches Mittelalter, jüdische Diaspora und türkische Besetzung. Österreich-Ungarn, Faschismus, Kommunismus, Kapitalismus und American Dream, Bürgerkrieg und europäische Integration. Man könnte irgendwo eine holländische Windmühle hinbauen, der Vollständigkeit halber. Erst jetzt … begreife ich, dass ich mit eigenen Augen sehe, was man den Schnittpunkt europäischer Kulturen, die Grenze zwischen Morgen- und Abendland, den Vielvölkerstaat nennt.“ So wird der eine oder andere Leser auch überrascht sein, dass ich die Tour, ohne einen Blick auf die aufstrebende Metropole des Landes zu werfen, gleich ins Ländliche hinein begonnen habe.

Der Flughafen liegt eigentlich schon in der Vorstadtgemeinde Ilidza, wo sich ein großräumiger Campingplatz mit zahlreichen festen Hütten bzw. Ferienwohnungen befindet. (Die Sanitäranlagen sind eher bescheiden, Campingpreis erscheint für Sarajevo angemessen, für die Qualität weniger.) Zuvor durchfährt man den Stadtkern von Ilidza, ein ziemliche quirlige Vorstadt – nicht zuletzt mit einem besseren Viertel mit Wellnesseinrichtungen, Freizeitparks und Hotels für Besserverdienende. Meine eigentliche Idee war es, nach dem Zeltaufbau die Tropical-Therme aufzusuchen, die an Samstagen sogar bis 2 Uhr nachts geöffnet hat. Nachdem ich mich auch noch etwas verfahren hatte, da geradeaus in Bosnien eher nicht geradeaus bedeutet (gilt für Schilder wie auch für Auskünfte von Einheimischen, von denen auffallend wenige des Englischen mächtig waren), zog sich das Zeltprozedere bis weit nach 22 Uhr hin, sodass ich die Lust auf den Thermenbesuch verloren hatte – zumal ich als früh erwachender Radreisender die nächtliche Schlusszeit nicht wirklich ausschöpfen könnte.

Das Camping-Restaurant hatte längst geschlossen, außerhalb hingegen drängten sich noch Menschen in einigen schön gelegenen Biergärten und Bistros. Trotz des anhaltenden Sommernachtsbetriebes waren aber überall schon die Küchen geschlossen, so fuhr ich noch in die Stadt. Dort drängelte sich Partyvolk in sexy Outfits zu Technoklängen bei Alkodrinks direkt neben Muslimen in keuchen Verschleierungen in alkoholfreien Kneipen mit Orientgesäuselmusik, wo gelegentlich bärtige Herren an Wasserpfeifen zapften. Multikulti pur, wenn man so will, aber auch schon wieder befremdlich, wenn man nicht zu sagen weiß, ob sich solches Nebeneinander durchaus verschiedener Weltanschauungen auf Dauer verträgt. Richtige Restaurants gibt es auf der teils überquellenden Partymeile aber keine, Fastfood schon eher. Der Hit war dann das 0%-Bier zur Pizza – hatte ich doch unwissend eine muslimische Zapfstelle erwischt. Wäre es kalt gewesen, hätte es sogar geschmeckt. Bei einem Rundgang durch das laut-hektische Nachtleben musste ich feststellen, dass das nicht wirklich meine Welt ist – egal welches kulturelle Vorzeichen.

Mag Sarajevo eine Attraktion sein – besser als diesen stimmungsvollen Morgen in leichten Nebelschwaden in der Allee mit wienerischem Fiakerverkehr zur Bosnaquelle hätte ich die Tour nicht eröffnen können. Die Bosnaquelle ist ein idyllisches Freizeitparadies für gestresste Städter – weitläufige Parkanlagen, teils mit blumenreicher Gartenkultur, teils mit wild belassenen Bereichen, großen Wiesenflächen, aber auch Ausflugslokalitäten. Das Wesen des Parks besteht jedoch aus seinen Wasserflächen, die ausgehend von der fast unscheinbaren, aus dem Berg Igman kommenden Karstquelle (gleich das Thema der Reise getroffen!) ein Netz von Bächen und Teichen bilden, zahlreiche Bogenbrücken verbinden die Wege dazwischen – Schwäne, Wasseramseln beim Morgenturteln. Die Stimmung zu dieser frühen, noch unbesuchten Morgenstunde ist unbeschreiblich – ich versuche es mal in Englisch: a place of pure tranquility and remote beauty.

Ohne komplett nach Ilidza zurückzuradeln, kann man auf einer Nebenstrecke durch Ödland, Felder und kleine Orte unweit der Berghänge zur Rogoj-Passstraße fahren, auf die man dann einmündet, ohne städtische Außenbezirke von Sarajevo zu berühren. Man sollte neben einer Karte auch etwas Orientierungssinn haben, denn allzu viele Schildhinweise gibt es nicht. Besser gesagt: Weder die Bosnier noch die Montenegriner haben das Schilderwesen erfunden. Ortsbestimmungen im ländlichen Raum werden schon mal zum Ratespiel. Besser sieht es mit der Versorgung an Sonntagen aus. Viele der kleinen Minimarkets haben geöffnet und bieten ein mehr oder weniger ausreichendes Sortiment zur Selbstverpflegung an.

Ob an Wochentagen auf der Rogoj-Passstraße mehr Betrieb ist, vermag ich nicht zu sagen – sonntags ist es jedenfalls recht idyllisch. Im unteren Teil gibt es noch mehr Verkehr, ein Teil fließt dann in Richtung Igman und dem Wintersportgebiet Bjelasnica, ein weiterer Teil beendet sein Fahrten im letzten größeren Bergörtchen Trnovo. Landschaftlich durchfährt man zunächst eine kleinere Schlucht, passiert zwei angestaute Seeflächen, die zum Fischfang genutzt werden und erhascht einen recht eindrucksvollen Blick auf die Schneekuppen von Bjelasnica, den man auch nochmal von der großen Kehre zum Pass im Gesamtpanorama des Tales genießen kann.

Die Passhöhe steht im Zeichen des Balkankrieges – ein verfallenes, ausgebranntes Haus, ein junges Mahnmal der Toten – leuchtende Wiese umher, Wanderwege zweigen ab. Auf der Südseite folgen nach Panorama und Wald mehrere Schluchtpassagen, teils bewegt sich die Straße annähernd auf Flusshöhe. So hat man auch Gelegenheit Badeplätze zu finden, wenngleich diese versteckt sind und die meisten Flussteile unzugänglich sind. Für den Abzweig zum Skravnik-Pass ist wieder Intuition gefragt. Zur schlechten Beschilderung kommt noch eine wenig Vertrauen erweckende Straße mit einer schwer durchschaubaren Topographie, man glaubt in eine Feldwegsackgasse einzufahren. Trotz Besiedlung finden sich selten Leute zum Fragen. Ein Junge kann mir bedingt helfen, quasselt etwas von Pyramiden. Pyramiden – bin ich in Ägypten? verwirrt

Ja tatsächlich, nach dem Wirrwarr einiger Kreuzungen fühle ich auf dem richtigen Weg – allerdings Piste, der Asphalt endet wider Erwarten. Bald wird das Geläuf zunehmend schlechter, bleibt aber fahrbar. Und dann auch tatsächlich Pyramiden: Erdpyramiden – wie aus dem Nichts stehen dort einige Sandsäulen in einem Pastellton zwischen Sandfarben, Ocker und Rot. Ein von Müll überladender Picknickplatz deutet an, dass es häufiger Besucher gibt. Das ist eine Überraschung für mich – hatte ich solche Skulpturen nicht erwartet. Geheimtipp! Aber anstrengend, denn es geht fortan steiler auf schlechter Piste zur Passhöhe. Farne üppig, oben eingeschränktes Panorama, archaische Bäume, ein paar Häuser – teils unbewohnt, fürs Wochenende gedacht, aus dem Tal hört man mehr Volk, nicht allein also.

Die Ostseite ist weniger attraktiv, durchschnittliche Vegetation, alsbald wieder Asphalt und verteilte Häuser in den Hängen, zu Tal der Blick schon auf die Drina. Foca ist für sein Altstadtviertel bekannt, welches aber ungünstig aufwärts im oberen Stadtbereich liegt. Nachdem ich eingangs Foca bemerkt hatte, dass ich ja mein Ladegerät für die Kameraakkus vergessen hatte, senkte sich mein Gemütspegel so deutlich, dass ich die Lust an irgendwelchen Besichtigungen verlor. Auch gab es wider Erwarten keinen Camping in Foca (falsch auf Karte eingezeichnet, erst einige Kilometer Drina-abwärts), sodass ich mich zur Weiterfahrt entschloss. Dabei ließ ich einen Camping mit Restaurant liegen, legte mich frustriert in die Pedalen. Zudem hatte ich für den nächsten Tag eine eher zu schwierige Etappe geplant – jeder Kilometer heute war gut für morgen. So erreichte ich bei stetigem Auf und Ab ein Rafting-Camp etwa 2-3 km von der Grenze entfernt. Zu essen gab es da eigentlich nichts, der Wirt machte mir ein wenig Aufschnitt – nicht gerade eine Offenbarung nach der schon wenig erquicklichen Pizza des Vortages. Dann kam das, womit nach den Erzählungen und Legenden anderer Balkanreisenden rechnen muss: Einladung, Slibowitz-Wettkampf zwischen tschechischen BMW-Bikern und dem bosnischen Campingwart, dazwischen ein misslauniger, gebeutelter, von Selbstzweifeln geplagter deutscher Pedaleur, der eigentlich nur ein schmackhaftes Abendmahl haben wollte.

Der Bosnier hatte nur käuflichen, marktgenehmen Slibowitz zu bieten, die Tschechen hingegen glänzten mit selbstgebranntem Stoff – der war schon eine Spur härter. Auch hier wieder: Es ist nicht so recht meine Welt, Gastfreundschaft hin oder her – heldenhafte Radlergeschichten hin oder her. Immerhin, mit den Tschechen konnte ich mich ganz gut unterhalten, der bosnische Campingwart konnte hingegen kein Englisch. So ganz trinkfest waren die Tschechen aber auch nicht, so bleibt alles noch im Rahmen. Schließlich hatten sie selbst auch ehrgeizige Pläne mit einigen Pistenfahrten Richtung Albanien. Der Einladungsdeal sah schließlich vor: Ich zahle das Bier, das magere Abendbrot wie der Campingplatz ist gratis. Ich überlasse ihm mehr als verlangt – umgerechnet ca. 2,50 € – da legt er zum Schluss nochmal fast schlechten Gewissens etwas drauf, weist mir nach dem Duschen eine Hütte zu, kann mein Zelt in der Tasche lassen. Zu guter letzt eine gemischte Bilanz aus Bosnien, sicherlich etwas getrübt vom Eigentor des vergessenen Ladegerätes.

Bildergalerie zu Kapitel I (50 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

ein Tor geht auf - das achte - 07.12.13 23:05

KAPITEL II
Das alpine Montenegro, Teil 1: Die 3-Schluchten-Route mit gefährlichen Abgründen, grandiosen Bergkulissen, verträumten Karstseen und blumenreichen Almwiesen

Musik: Die Münchner Pianistin Andrea Hermenau, die auch mit der albanischen Sängerin Fjoralba Turku zusammenarbeitet, hat auf ihrem neuen Album „Die Nachtpracht“ einige bosnische und albanische Traditionals in ihrer lyrischen Spielweise arrangiert: Andrea Hermenau Quartet „Te desha me hakitate“ (alban. Trad. 10:39 min.).

Da das alpine Montenegro zu umfassend ist, musste ich es unterteilen, obwohl ich eher kreuz und quer durch das Bergland gefahren bin. In der Tendenz gibt es im 1. Teil mehr nördliche Bergregionen, im zweiten mehr südliche. Die drei großen Schluchten Piva, Tara und Moraca umrahmen gewissermaßen die dazwischen liegenden Gebirge Durmitor und Bjelasica. Zwangsläufig gibt es natürlich schwierige Bergstrecken zu bewältigen, doch bieten gerade die tiefen Schluchten und die Hochpoljen unerwartet leicht zu beradelnde Routen. Beschränkt man sich auf die moderaten Bergstrecken und ergänzt sie mit ein paar Wanderungen, kann man einen durchaus guten Eindruck der alpinen Bergwelt Montenegros gewinnen. Dabei dürfte sogar weniger Schweiß fließen als auf den meisten Routen durch die Küstengebirge. Sicherlich setzen die schwierigen Bergstrecken das berühmte i-Tüpfelchen. Die Offroad-Touren erwiesen sich allerdings als grenzwertig und lassen sich ggf. durch Wanderungen ersetzen.

Mo 17.6. Prhalj – BiH/MNE – Staumauer Pivsko jezero – Pluzine-Brücke – Trsa – Prijespa (1884 m) – Durmitor Sedlo (1908 m) – Razvrsje (Zabljak)
81 km | 9,9 km/h | 8:08 h | 2080 Hm
W: sonnig, teils auch bewölkt (Berge), max. 28-30 °C
E (Camp): gebr. Forelle m. Beilagen, Eis, Rw, 2 Bier 12 €
Ü: C Razvrsje 2,50 €

Glücklicherweise bin ich selbst unbenebelt, doch Nebel raucht aus dem Flusstal auf. An der Grenze zu Montenegro wendet man sich etwas kompliziert über Brücke und Kurven, besonders eindrücklich hier die Morgenstimmung rauschenden Wasser und Tal-schleichenden Nebels. Die Drina (so genannt in BiH) bündelt hier die Tara und die Piva. Auch der Tara kann man wildromantisch auf einer schmalen Asphaltstraße folgen – irgendwo in einer Sackgasse muss ein beworbenes Camp liegen. Irgendwann kommt ein schmaler Canyon, der nur nur zu Wasser zu erkunden ist. Die Einstiege befinden sich dann oberhalb in Tepca oder gar bei der Durdevica-Brücke. Auch gibt es hier eine Alternative nach Trsa, über deren Wegezustand ich aber nichts sagen kann.

An der Piva entlang führt nun eine Straße mit gutem Belag – wichtige Verbindung hin zur Adriaküste und der Hauptstadt Podgorica. Trotzdem hält sich der Verkehr in Grenzen – man merkt, in diesem Land wohnen nicht viele Menschen. Die Stille lässt Hektik vergessen und man schaltet lieber einen Gang runter. Nicht nur wegen einiger Steigungen, die unrhythmisch verlaufen – nein, hier ist Staunen angesagt. Staunen über die nah anrückenden Felsen, immer noch leichte Nebelluft, am Rand blaue Blumen, nach oben kaum ein Himmel, stattdessen Felszapfen, kühn geformt, noch kühner bewohnt von Schirmkiefern, von denen jede scheinbar sich einen Einzelplatz auf einer Felsspitze als Wohnstatt zu wünschen scheint. Es folgen Felstunnel an Felstunnel, ein berauschendes Ein- und Auftauchen in Licht und Schatten.

Die Piva wird auch mal per Brücke gequert, alsdann kommt die Staumauer, die Schlucht weitet sich an dem lang gezogenen, Fjord-ähnlichen Stausee, dessen Ende man weder hier noch bei der mittig befindlichen Brücke vor Pluzine erahnen kann. Dort teilt sich der See in zwei Arme. Die Blicke richten sich vielmehr zuvor nach Westen, hinauf zu schneebedeckten Bergen (immerhin bis knapp 2400 m), aus der Postkartenkollektion „most beautiful“ geklaut – so können echte Berge kaum aussehen! Es könnte auch ein norwegischer Fjord sein, der die Kiefern aus dem Süden geklaut hat. Das Panorama mit Seefläche davor geht ein in meine persönliche Bestenliste gesehener Traumkulissen – und wir schreiben erst Tag Zwei des Via Dinarica!

Obwohl nicht gerade mit Vorräten überfrachtet, lasse ich den Exkurs nach Pluzine aus, für das man ein paar Zusatzkilometer machen müsste, da der Abzweig nach Trsa respektive Zabljak zuvor an einem fast übersehbaren Tunnel liegt. Es ist ein schwarzes Loch – kein Licht, dafür steil wie Affe. Doch Geduld zahlt sich aus, ich muss häufig pausieren, aber es gibt ja auch genug zu bestaunen. Der Tunnel erwies sich als eine kurze, scharfe Kurve durch Fels, dann ward wieder Licht und Aussicht auf den See samt Brücke. Die Rampe geht aber zunächst weiter, der Aufstieg hat es in sich. Erst noch schmal, dann geweitet von Wiesen, leuchten die Farben von Blumen und Schmetterlingen so reich als koste es nichts. Das Beste: Es kostet tatsächlich nichts!

Ein paar Bauernhäuser – es wird am eigenen Haus und Hof gearbeitet, laut hämmert es weit über die Almwiesen und bleibt doch still. Noch folgen weitere Hürden durch sehr offenes, sonnengeflutetes Bergland. Große Gipfel sieht man hier weniger. Erst vor der Almsiedlung Trsa kann man durchatmen, wird es flacher. Neben einem Camp gibt es auch ein echtes Gasthaus. Es gibt keine große Auswahl an Speisen, spartanischer Salat und eine deftige Suppe sind mein Frühstücksmahl zur Mittagszeit. Ein Ur-Montenegriner mit sonnengegerbten Faltengesicht stimmt auf der einsaitigen Gusla ein Lied an, erhebt seine monotone, durchdringende Stimme mit einer Intensität als würde er aus dem Innern der hohen Berge sprechen – rau, unwirklich für die Gäste aus Deutschland – bin nicht der einzige! –, wahrhaftig hier für die Menschen.

Gestärkt von der Bergsuppe geht es nun in weiten Bögen durch Almwiesenland, unterbrochen von Hainen. Überall verteilen sich einzelne Häuser, die zuweilen unbewohnt, sogar zerstört wirken, aber nicht sind, sondern mangels professionellen Baumaterials unorthodox gesichert, gehämmert, verkleidet sind. Nach einer weiten Talmulde schwingt sich das Gelände bei weitem Almwiesenblick nach oben hin zu einem Bergmassiv, das sich erst spät zeigt. Es sind die Berge des Durmitor. Nach einer kleinen Rasteinheit im Gras und zurück auf der Straße, holen mich die tschechischen BMW-Biker vom Camp am Vorabend ein. Sie wollten sich ja Zeit lassen und gleichwohl abends in Zabljak sein. Egal ob Motorrad oder Radl – die Etappenlängen sind hier ähnlich, sonst kann man nichts kennen lernen.

Mehr und mehr überziehen sich die Wiesen mit Felsen und die seltsam geschichteten Gipfelflanken des Durmitor erzeugen mit den durchlöcherten Altschneemustern ein erneut atemberaubendes Schauspiel – quasi ein hochgebirgiges Oberflächen-Karsting. Der Restschnee kühlt die Luftschichten, ein Wechselbad von kalt und warm lässt einen leicht frösteln und zugleich Sommer fühlen. Einige Almbauern leben hier sommers in Hütten und verkaufen meist Wurst und Käse ab Hof. Größere Viehherden sehe ich erst auf der anderen Bergseite nach dem höchsten Pass, den man nach einer Zwischenabfahrt erneut mühsam erklimmen muss. Dennoch ist der obere Bergteil weniger steil als viele Passagen zuvor. Am ersten Pass schießen Krokusse ungeduldig durch noch kleine Schneereste – das Sommerleben wird kurz sein dieses Jahr.

Auf dem Sedlo ist mehr Betrieb, weil offenbar viele den Pass von Zabljak aus als Ausflugsziel ansteuern und dann wieder umkehren. Zuvor bekomme ich als Auffahrender noch eine Frau angeboten verwirrt lach – so zumindest wollen mir zwei launige Montenegriner in einem baufälligen Transporter ihre Gastfreundschaft anbieten. Da das zu erwerbende Objekt aber nicht zur Prüfung mit im Wagen sitzt, lehne ich ab, die Dorfschöne kennen zu lernen – wer immer diese Almbraut sein mag. Auf jeden Fall scheint das Land einige Möglichkeiten zu eröffnen. schmunzel Wie gesagt: Erst Tag Zwei – und schon das nächste Wunder mit fast einer Braut auf dem Gepäckträger. unsicher grins

Ein leichtes nun die flotte Abfahrt, weniger steil das Gefälle als auf der Piva-Seite und längst auch weniger hinunter, da Zabljak auf einer Poljen-Hochebene von ca. 1300 m liegt. Man fährt durch lockere Besiedlung, kleine Dörfer, meist mit den typisch steilen, almtypischen Giebeldachhäusern, die nicht selten Ferienwohnungen sind. Landwirtschaft ist hier schon wieder eher selten. Auch die neue Schnellstraße ist kurz zu sehen – man braucht sie aber nicht bis auf die letzen zwei Kilometer nach Zabljak, die ich aber an diesem Abend nicht mehr fahre, denn der Camp Razvrsje (gleichnamig die kleine Ortschaft) liegt hier abzweigend etwas abseits.

Wichtig: Miso’s Camp liegt ganz am Waldrand, die Steilrampe zum Schluss noch hoch zur Rezeption. Etwas weiter unten, schon in Sichtweite von Miso, gibt es ein weiteres Camp – da steigen aber schon mal häufiger Busladungen ab – wohl sind auch die BMW-Biker dort verblieben. Miso hat aber die persönlichere Note, wohl auch die besten gebackenen Forellen (das macht die alte Dame des Hauses, die kaum noch laufen kann) und Miso kümmert sich um alles. Nur darf man nicht mit deutschen Zeitvorstellungen kommen. Er versprach mir, ein Ladegerät auszuprobieren – das dauerte einen ganzen Tag, bis ich sein (negatives) Forschungsergebnis bekam. Es gibt zwei giftige kleine Hunde (Mutter und Tochter), mit denen man sich gleich gut stellen sollte – einfach Streicheleinheiten trotz Gekläffe versuchen. Leider abends eine gewisse Lärmbelästigung, nachts schweigen sie aber.

Di 18.6. Razvrsje – Zabljak – Crno jezero – Ivan Do – Zabljak – Pitomine – Zminje jezero (1534 m) – Uskoci – Govedo jezero – Curevac (1626 m) – Uskoci – Zabljak – Vrela – Njegovuda – Bare (1425 m) – Riblje jezero – Vrazje jezero – Javorje – Virak – Razvrsje – Zabljak – Razvrsje
78 km | 12,0 km/h | 6:18 h | 1145 Hm
W: bis Mittag sonnig, danach bewölkt, Gewitter in den Bergen, max. 25 °C
E (R Javivovaca): gek. Lamm in Milch, PF, Rw, 11,30 €
Ü: C Razvrsje 2,50 €
B: NP Durmitor 3 €

Vom Camp führt auch direkt ein Weg zum Schwarzen See. Mit echtem MTB kann man den Weg angehen, sonst empfiehlt sich der Straßenweg über Zabljak. Es sei auch erwähnt, dass auf dem Camp und erst recht im schattigen Nadelwald Horden von Stechmücken lauern, die auch an den schönsten Plätzen die eine oder andere quälende Minute bereiten können. böse Das stechende Gratisvergnügen hat man in der gesamten Umgebung, zumal etliche Strecken der empfohlenen Wanderwege durch ebensolch schattigen Wald führen und sonnige Rastplätze oft nur kleine Lichtungen sind, die die Moskitos souverän zu ihrem Opfer überbrücken können, ohne einen Sonnenbrand zu bekommen.

Für Einkäufe muss man eh durch Zabljak, wo sich um einen Platz die zentrale Infrastruktur aus Post, Bankomaten, Supermarkt, Bäckerei (etwas versteckt) und Cafes gruppiert. Cafes bieten meist kein Frühstück oder Essbares, sodass man sich selbst etwas zu beißen besorgen muss. Montenegriner tun das aber seltener, wenn nimmt man nur ein süßes Stück, Radlerfrühstück mit Käse, Brot, Joghurt, Obst und einer familienträchtigen Auswahl an Keksen und Kuchen wird selbst von Bauarbeitern neidisch beäugt. Inwiefern sich die Einheimischen zuhause bereits ein ausgeprägtes Frühstück zu sich nehmen, blieb mir verborgen. Ein Kaffee (meist Espresso) im öffentlichen Raum gehört aber zu jeder guten Männerrunde morgens, vormittags oder auch sonst wann. (Mit gewissen Nuancen gilt das eigentlich für das gesamte Reisegebiet.)

Am Rande des zweckmäßigen Touristenortes für Sommer und Winter liegen einige der größeren Hotels, deren Bauten aber architektonisch sich meistens an der traditionellen Bauweise orientieren. Natürlich gewinnt die dichtere Bebauung des wachsenden Bergortes keinen Schönheitspreis, von einer Verschandelung wie in einschlägig bekannten Wintersportressorts in den Alpen oder Pyrenäen kann hier aber keine Rede sein. Auch entziehen sich die Liftanlagen weitgehend dem Blick des sommerlichen Betrachters, da doch stark abseits und nicht im Zentrum der Wandergebiete gebaut. Zum Nationalpark – genauer zum touristischen Kerngebiet des Durmitor mit dem Crno jezero – führt eine asphaltierte Straße (bis zum See), die aber eher zum Radeln, Wandern und Befahren mit touristischen Fahrgeräten gedacht ist, denn Autos parkieren außerhalb (auch hier ist nochmal ein Camp mit Traumblick). Eintritt ist aber zu zahlen und zu besseren Uhrzeiten tauchen große Reisegruppen in Bussen auf.

Zur Definition Nationalpark Durmitor: Der gesamte „Nationalpark Durmitor“ umgrenzt das komplette, aber recht kleine Durmitor-Gebirge (auch die Hochgebirgspassage des Vortages), sowie wesentliche Teile der Tara-Schlucht – und zwar sowohl einen zu Lande unzugänglichen Teil nordwestlich der Durdevica-Brücke wie auch einen straßenbegleiteten Flussteil südöstlich der Brücke (vgl. nächster Tag). Durmitor bezeichnet folglich auch das Gebirge, welches nur einen Teil des Nationalparks ausmacht. Zum Durmitor-Gebirge gehören mehrere Seen, von denen der Schwarze See der größte ist und um den eine touristische Nationalparkzone eingerichtet wurde. Alle anderen, sodann weitläufigen Wandergebiete und Seen sowie die Tara-Straßenpassage sind eintritts- und mautfrei zu erreichen (für Rafting auf der Tara ist allerdings eine angeblich eine saftige Gebühr zu zahlen, die in gebuchten Touren meist enthalten ist). Zu allem Überfluss findet man inoffiziell auch noch die Zweiteilung in „Durmitor-NP“ und „Tara-NP“.

Der Crno jezero ist ein Karstsee mit besonderer Ausprägung. Eigentlich ist er ein Doppelsee mit einem großen und einem kleinen See. Der große See wird aus Quellen des Durmitor gespeist einschließlich Schmelzwasser und gibt das Wasser an den kleinen See ab, versickert aber auch zu einer Karstquelle, die sich später in die Tara ergießt. Das Wasser des kleinen Sees hingegen speist zur anderen Seite die Komarnica, die spätere Piva. Nimmt der Wasserstand des großen Sees im Winter ab, kehrt sich das Fließverhältnis um, da der kleine See seinerseits eine autarke Karstquelle besitzt, und läuft in den großen See über, sodann dieses Wasser dann auch in die Tara gelangt. Das gemeinsame Wasser, durch getrennten Abflüsse zu Tara und Komarnica entzweit, vereint sich wieder an der Grenze zu BiH zur Drina (s. Vortag). Eine ebenso wundersame wie seltene Karsterscheinung. Bei soviel Mysterium liegen natürlich auch Sagengeschichten nahe, die sich um die Entstehung des Sees ranken. Den See kann man auf einem Pfad gänzlich umrunden, was aber in Teilen und je nach Jahreszeit ein zuweilen gefährliches bis unmögliches Unterfangen werden kann, denn die Quelle ergießt sich in Wasserfällen in den See, die den Weg überspülen. Ich sah ein Paar, das recht gewagt barfuß durch den Sprühnebel des Wasserfalls kletterte. Teile kann man auch beradeln, doch werden irgendwann Wurzelwerk und Treppen zu unüberwindbaren Hindernissen. Es gibt auch ausgewiesene Picknick- und Badestellen.

Nun gibt es neben dem Kassenhäuschen eine Steilstraße nach Ivan Do, einer Almsiedlung mit Camp, doch versuchte ich einen anderen Wanderweg ab See dorthin. Die Piste erwies sich nur kurz als radelbar, dann musste ich Schieben, wenngleich es eine Abkürzung bedeutet. Der Versuch, von Ivan Do den Wanderweg zum See Jablan Do mit dem sich spiegelnden Bergmassiv der Mala Crna Greda hier weiterzufolgen, muss ich als gescheitert erklären. Ich hätte das Rad abstellen müssen und war mit nicht wandergerechten Taschen (ein Backpacker + Lenkertasche) zur Aufgabe gezwungen. So suchte ich nach einer Alternative, die über Zabljak und Pitomine zunächst auf Asphalt, dann auf fahrbarer Piste, aber mit besagten gestochen scharfen Terrorangriffen (durch lange Hose hindurch) zum weniger besuchten, idyllisch eingefassten See Zminje führte.

Da die Wanderung ausfiel, hatte ich Zeit für weitere Abstecher. So nahm ich quasi als Stichstraße einen Ausflug zu einem Hochpunkt (Curevac), von wo aus man einen weiten Blick hinunter in die Tara-Schlucht hat, hier eine etwas weiter eingefasste Flussschleife. Unten liegt der kleine Ort Tepca mit Einstiegsmöglichkeit für Rafter, hinunter kommt man auf kehrenreicher Piste, da hier am Aussichtspunkt der Asphalt endet. An der obigen Asphaltstrecke liegen weitere kleine Seen und Tümpel, meist von Wald umgeben und von weiteren Blutsaugerarmeen wehrhaft verteidigt.

Mangels sonnigen Wetters – ein Gewitter zog über den Gipfel des Durmitor auf, blieb jedoch bis auf ein paar Tropfen von den Hochweiden um Zabljak fern – entfiel eine längere Rast und es reichte noch für eine Runde über den Bare-Pass, den ich eigentlich für den nächsten Tag im Programm hatte. Es handelt sich um einen leichten Berg, zu beiden Seiten gibt es wieder kleine Seen (für den Zminicko-See müsste man eine zusätzliche Runde einfügen, die ich nicht mehr anging). Landschaftlich darf man diese Strecke zwischen Njegovuda und Javorje als Geheimtipp handeln, der Autos nur ganz wenige, herrliche Wiesenlandschaften mit rot leuchtenden Karthäusernelken versorgen das Auge wohlgefällig hier oder mit grünen Poljen dort. Ein orthodoxes Kirchlein mitten in den Wiesen setzt kurz vor der Heimkehr einen hübschen Schlusspunkt.

Mit Jutta und Micha, Radlerpaar aus Traunstein, treffe ich mich noch im vom Reiseführer empfohlenen Restaurant, das die Erwartungen aber nicht ganz erfüllt. Eine der neueren Konobas im Ortszentrum dürfte die bessere Wahl sein. Campbetreiber Miso vereint dann noch die Abrechnungsrunde mit einigen Geschichten, Witzen und Schnaps. Für mein kleines Zelt traut er sich kaum, etwas zu verlangen. Jeder Gast erhält eine CD mit ein paar Videos zur Umgebung und Rafting-Abenteuern. Miso ruft schon mal in Gusinje beim befreundeten Hotelier an, ob das ich vorbei kommen würde – doch konnte ich selbst diesen Etappenplan so nicht einhalten.

Mi 19.6. Razvrsje – Zabljak – Vrela – Most na Durdevica Tari – Gornja Dobrilovina – Bistrica – Donja Polja – Mojkovac – Biogradsko jezero
89 km | 15,2 km/h | 5:50 h | 955 Hm
W: sonnig, abends bewölkt, max. 28 °C
E: Vorspeise „Kolasin“ (Käse, Schinken, Rauchfl.), gegr. Gem., Fleischtopf, Kart., Crêpes Choco, Rw 29 €
Ü: C Biogradsko jezero 4,50 €
B: NP Biogradska Gora 3 €

Die teils schon vortags absolvierte Strecke zu Durdevica-Tara-Brücke verläuft zunächst über die Hochpolje, um dann nach einem kleinen Anstieg in das Tara-Tal abzufallen. Spät erst erkennt man jenes eindrückliche Viadukt, das im zweiten Weltkrieg ob seiner strategischen Bedeutung ein tragisches Schicksal in sich birgt. Der Erbauer Lazar Jaukovic war es selbst, der aufgrund seiner Kenntnisse die Sprengung eines Stahlbogens der Brücke durchführte, um den faschistischen Verfolgern der Partisanen den Weg abzuschneiden. Seine heldenhafte Tat im eigenen Zwiespalt wurde ihm schließlich zum tödlichen Verhängnis, da er von den Faschisten gefangen und auf der Brücke hingerichtet wurde. Die am linken Brückenufer platzierte pathetische Büste bezieht sich aber wieder auf eine andere Geschichte eines Offiziers.

Hier gibt es natürlich ein paar Touristenbuden, deren Betreiber noch morgenmüde die Schutzbretter entfernen und Honig mit eingelegten Trockenfrüchten ebenso feilbieten wie Karten, Getränke oder auch Kitsch. Zu beiden Seiten kann man in Cafes (auch Essen) den Ausblick genießen. Die Straße führt danach hinunter zur Flussebene und windet sich fortan durch eine Schlucht in der Froschperspektive. Die Tara-Schlucht – hier nur ein müder Abklatsch der engen und höchsten Felspassagen weiter unten, die nicht per Straße erreichbar sind – unterscheidet sich deutlich von der Piva-Schlucht. Gewissermaßen sind die Felsen gedrungener, es gibt recht wenige Felsentunnels, imponierend aber auch ein Stück weniger überraschend – an manche Schlucht in Frankreich erinnernd. Ein paar Wasserfälle wie auch Brunnen liegen auf der Strecke, kleinere Sehenswürdigkeiten sind dokumentiert wie etwa eine historisch frühe Schule, wo das Klassenzimmer unter freiem Himmel von Felswänden umringt war. Beim Kloster Sveti Dorde gibt es Speis und Trank einschließlich Camping

Es folgt eine weite Kehre, mit Steigung und anschließendem Höhenmeterverlust wieder – hier weitet sich die Schlucht zu einem Tal mit größeren Flusssandbänken. Da lässt sich auch mal ein Platz zum Baden finden. Die Besiedlung nimmt zu, trotzdem ist das in einem weiten Talrund liegende Mojkovac nicht mehr als eine Kleinstadt, an der der Transitverkehr zwischen Adriaküste und Serbien vorbeirauscht. Das markanteste Gebäude ist eine orthodoxe Kirche vor den Toren der Stadt – in knalligem Weinrot ein leuchtender Kontrast zu einer sonst funktionalen bis langweiligen Stadt. Es gibt im Zentrum einen überdimensionierten Platz, immerhin mit etwas plätschernder Brunnenatmosphäre und Lokalitäten unter kleinen Laubengängen.

Der Weg entlang der Tara ist nunmehr durchschnittlich, ein sich verengendes Tal, die Eisenbahn parallel, aber selten sichtbar da in Tunnels abtauchend. Man quert eine Brücke ohne Ortschaft anbei, um zum Nationalpark zu gelangen. Gleich zu unterst gibt es Infotafeln auch zum Top Biking Trail 3, sowie ein Kassenhäuschen für den Eintritt – Autos dürfen auch rein bis zum See (Parkplatz). Die Strecke verläuft schattig im Wald, fast kühl, dafür mit herber Steigung. So erkennt man den See zwischen Bäumen erst auf den letzten Metern – dort baumüberdachte Flächen für Autos, Zelte, Picknick. Der See ist ein stilles Kleinod, gänzlich von Wald umgeben wie auch rundum begehbar. Die Ruderkähne mögen ein kitschige Touristenattraktion für Fußfaule sein, doch verleihen sie dem See eigentlich erst die vollendete Postkartenillusion. Eben dort findet sich die Rezeption für Camping und Hütten, angeboten werden auch Souvenirs, Karten und Broschüren.

Der Campingplatz ist alles andere als ein Weicheieldorado. Man muss sehr suchen, um Heringe einlochen zu können – ein Geodät wäre von Vorteil. Den eigentlichen Härtegrad machen aber die Sanitäranlagen aus – eine Dusche gibt es nicht, lediglich kaltes Wasser und ein Radieschensalat-großes Waschbecken. Für eine Waschlappenkomplettbenetzung des Körpers bedarf es einiger artistischer Balancekünste auf einem schmalen Bretterbalkon. Für luxusverwöhnte Städterinnen gibt es sogar einen Spiegel. Die sexy gekleideten Damen der mit mir gleichfalls campierenden Slowaken mit einem Großkombi machten sich schlau und benutzten die Toiletten des Restaurants. Das Restaurant hingegen – ich erwähnte es – war entgegen der Warnungen des Reiseführers der überraschende Hit. Ich vergebe den ersten Gourmetpunkt auf der Reise. Auch stimmt die Angabe nicht, dass das Restaurant um 19 Uhr schließt – die Küche hat bis (fast) 22 Uhr geöffnet. Schade, dass so wenige Gäste da waren – vielleicht kann sich Nationalparkverwaltung mal zu etwas besseren Campingkonditionen durchringen. Wasseranschluss hat das Hotel ja – so schrecklich könnte eine Dusche für durchgeschwitzte Radler der Natur da nun auch nicht schaden. Was die Hütten an Luxus bieten, weiß ich nicht.

Do 20.6. Biogradsko jezero (1110 m) – Dolovi/Quelle – Svatovsko groblje – Hochpunkt (1930 m) – Jusin brijeg (1900 m) – Velika chala (1940 m) – Bjelasica-Hütte – Vranjak/Raskrsnica (1725 m) – Jezerine – Kolasin
43 km | 7,3 km/h | 5:54 h | 1055 Hm
W: bis Mittag sonnig, danach bewölkt, Gewitterfront am Rand, abends mild, max. 25 °C
E (R histor. Konoba/Zentrum): gebrat. Lamm, Kart., Salat, Rw 13,30 €
Ü: PZ Rakocevic 20 € m. Fr.

Den empfohlenen Rundgang um den See lasse ich aus, da ich mich Größerem verpflichtet fühle. Das bedeutet unmittelbar ab Zelt einen Aufstieg durch Wald mit bis zu 400 Jahre alten Bäumen, der bald die Steigungskategorie „beachtlich“ erreicht. Der Untergrund ist wechselhaft, mal steinig, mal weicher, auch ein wenig matschig, teils mit stark gefurchten Fahrrinnen. Dass ich es mit nur ein paar Metern Schieben durch die Waldpassage weitgehend im Sattel nach oben schaffe, mag die Hoffnung nähren, dass die Machbarkeit der Route besonders bei etwas besseren Bedingungen durchaus gegeben ist – wenngleich es mit Gepäck eine gewisse Qual bleiben wird. Nicht nur hier, sondern auch im späteren Verlauf, wäre jedoch etwas Wegepflege durch die Ranger wünschenswert, wenn nicht sogar ein Verpflichtung. Irgendwo sollte man ja das Gefühl vermittelt bekommen, wofür man Eintritt zahlt. Gleiches gilt auch für den gesperrten Aussichtsturm, was ich zur Saisonzeit (?) nicht erwartet hätte.

Es folgt eine grandiose Panoramapassage mit Blick über leuchtende Blumenwiesen hin zu den Schneebergen des Komovi am Horizont – eine grandiose Entfaltung von irisierenden Farbsinfonien, von denen man – nun auf härterem Schotter und etwas weniger steil – ergriffen wird. Im Blick nun auch der markante Bendovac-Gipfel, gelangt man alsbald zu einer Glockenblumen-überbordenden Engstelle, wo die Steigung sich weiter mindert und eine mittelschwere bis leichtere Hochweidenfahrt ansteht. Hier schwingen sich die grünen Kuppenberge des Bjelasica-Gebirges auf über 2000 m hoch – ein Hauch Nockberge, wenn man so will. Bei einer unbewohnten Hütte spendet ein Brunnen Erfrischung und man kann sich in weiches Gras fallen lassen. Gegen Ende der Hochebenenpassage mit eher festgefahrenen lehmiger bis sandiger Piste tritt ein Hütte ins Auge, die bewirtet ist. Es gibt Kleinigkeiten wie Kaffee, hauseigenen Käse und Joghurt.

Die Stärkung tut Not für eine erneute Steilpassage, auf schwer-brockigem Untergrund, ruppige Stumpen und auch wieder tiefe Fahrrinnen. Es folgt eine Heidelandschaft – nur kurz, dann beginnt eine offene Berglandschaft von großer Weite geprägt. Die Piste wird zunehmend besser, sicherlich nie wirklich gut. Aus der Ferne winken – nun von dunklen Wolken übermannt – schon bedrohlich die Berge Crna glava und Zekova glava, auf Letzterem thront ein militärischer Horchpostenturm. Nach einem Hochpunkt und im ersten Anflug von Regentropfen baut sich die erste von noch einigen folgenden Schneehindernissen auf. Als ich das mühsame Geschleppe über dem Rand des Schneefeldes hinter mir habe, kommt eine tschechische Mountainbikegruppe, die ziemlich unbeirrt teils in die nicht ganz ungefährliche Schneefläche marschiert. Andere nehmen doch lieber den Umweg am steilen Hang – die Frauen erfreuen sich dabei ihrer männlichen Kollegen als Tragekavaliere. – Neid!

Die folgende Strecke könnte einfacher zu befahren sein, gäbe es nicht diese Schneefelder und einige Passsagen voller Pflanzengeröll, das nach der Schneeschmelze noch unbeleckt liegen geblieben ist. Bei einer Hütte muss ich sogar die Schuhe ausziehen – die gesamte Wiese mit Weg ist geflutet. Nach der Odyssee über die vielen Schneestellen erreiche ich den letzten Kulminationspunkt bereits reichlich spät, die Abfahrt indes ist kaum schneller als der Aufstieg, das Gerüttel eminent. Hier liegen ein paar Berghütten (auch touristisch buchbar) – nur über Schotterstraßen zu erreichen. Am Pass Raskrsnica hatte ich heimlich auf Asphalt gehofft – ein frommer Wunsch. Ich versuche die nicht mehr offiziell ausgeschilderte und stark überwucherte Strecke Richtung Jelovica – doch die Rüttelei ist so vehement, dass ich die Fahrt abbrechen muss. Nach Süden führt Top Biking Trail 3 – scheinbar besser ausgebaut als die Straße, doch auch hier endet der Versuch bei riesigen Steinblöcken und erneuten Schneefeldern über der Piste. So nehme ich Kurs auf der ebenfalls extrem rappelnden Piste abwärts Richtung Kolasin und hoffe auf Asphalt, der mich an der Liftstation Jezerine endlich erlöst. Wie auf einem Luftpolster fliege ich nach Kolasin – solche samtene Liebkosung durch Asphalt habe ich schon lange nicht mehr empfunden.

In Kolasin überlege ich noch weiterzufahren, doch treffe ich Daniel, einen Schweizer Reiseradler auf dem Weg nach Istanbul und nehme seinen Tipp an, im selben Gasthaus zu übernachten wie er. Zum Essen sitzen wir einer alten, historischen Konoba, die wie ein unscheinbarer Bretterverschlag wirkt. Das Essen ist ausgezeichnet und man sitzt angenehm am Anfang der kleinen Flaniermeile, einer Fußgängerzone, in diesem wenig spektakulären, aber wohltuend entspannten, lebenswerten Bergstädtchen.

Fr 21.6. Kolasin – Crkvine (1045 m) – Manastir Moraca – Bioce – Podgorica – Bioce
98 km | 18,3 km/h | 5:20 h | 400 Hm
W: sonnig, heiß, max. > 35 °C
E (R Mijovic): Serb. Salat, Pocelli (Rouladen m. Käse/Milch), PF, Gem., Rw, Crêpes, Cafe 21,10 €
Ü: C wild 0 €

Die vorliegende Strecke zwischen Kolasin und Podgorica ist eine der Haupttransitachsen in Montenegro. Zugleich liegt auf der Strecke aber auch eine weitere der beeindruckenden Schluchten, sodass eine Beradlung trotzdem empfehlenswert ist. Da ich Gelegenheit hatte den Verkehr zu verschiedenen Tageszeiten einzuschätzen, empfehle ich die frühen Morgenstunde – bis Vormittag geht noch. Keinesfalls Abendstunden und gar bei Dunkelheit! Gerade dann verkehren überwiegend LKWs und Busse. Das ist zumindest bedingt gefährlich, wenngleich auch die Strecke eigentlich ausreichend gut ausgebaut ist – bis auf einige schlechte Asphaltstücke vor allem im unteren Bereich (dort aber nicht mehr enge Schlucht). Wie aber eingangs berichteter tödlicher Busunfall und andere Vorfälle belegen, entscheidet über die Gefährlichkeit die Fahrweise. Bereinigt man das Verkehrsaufkommen auf PKWs, ist es sogar vergleichsweise gering für so eine wichtige Strecke. Noch wichtiger als der Zeitpunkt ist es, die Strecke von oben nach unten zu fahren – da ist man mehr im Fluss mit den Autogeschwindigkeiten, muss nicht aufwärts durch Tunnels. Nachteilig ist abwärts, dass man auf den spektakulären Abschnitten auf der dem Fluss abgewandten Spur fährt.

Der obere Teil ist von Kolasin aus einfach bis zur Passhöhe zu bewältigen – es sind nur wenig Höhenmeter. Die Straße ist hier zu beiden Seiten exzellent, auch teils mit zusätzlicher Überholspur, der kurze Tunnel abwärts kein Problem. Auf der Passhöhe befinden sich ein Restaurant und ein weiteres Bistro – das Restaurant weist 24-Stunden-Service aus. Die Aussicht ist grandios – weit über den Talgrund schweift der Blick zu alpinen Gipfeln jenseits der Moraca. Maganik und Krmovo heißen die Bergzüge, die eine nicht überwindbare Barriere in Richtung Niksic und Danilovgrad bilden. Kurz bevor man jedoch die Passhöhe mit dem Restaurant erreicht, sollte man einen kleinen asphaltierten Abzweig zu einer orthodoxen Kirche einschlagen, die an der Hauptstraße auf einem Plakat abgebildet ist. Es sind wohl 300 m, wo das schmucke Bauwerk nebst Friedhof (Wasseranschluss, aber defekt) einen schönen Platz der Rast bietet, gleichwohl mit ähnlicher Aussicht wie am Pass-Restaurant.

Nach dem Tunnel schwingt sich die Straße in den noch weit geschnittenen Talschluss der Moraca. In einer großen Haarnadelschleife (Mijoska) gibt es ebenfalls ein Restaurant, direkt anbei liegt der Straßenabzweig, den ich einige Tage später einschlagen werde. Hier zunächst aber wendet sich die Hauptstraße von westlicher Ausrichtung streng nach Süden. Zu den Attraktionen der Strecke gehört noch vor dem engen Schluchtteil das Moraca-Kloster mit seiner lieblich gepflegten Gartenanlage. Hygienisch und gesund luftig gekleidete Radler (kurze Short, Singlet-Trikot) gelten hier aber als unzüchtig und dürfen die Hauptkapelle nicht betreten – Herren und Damen werden etwa gleich herabwürdigend behandelt. Ausreichend schöne Plätze finden sich auch so. Wegen der zahlreichen Bustouristen ist hier eine frühe Besuchszeit zu empfehlen. Neben touristischen Verkaufsständen gibt es Verpflegungsmöglichkeiten mit Restaurant und Minimarkt, eine weitere Einkehrmöglichkeit besteht noch südlicher vor dem Abzweig zum Mrtvica-Canyon (nicht besucht). Unklar blieb mir, ob die Unterkunftsmöglichkeit am Moraca-Kloster noch im Betrieb oder verwaist ist.

Unterhalb beginnt die eindrückliche Schluchtfahrt mit majestätischen Felsen, zu denen man aufschaut, der Mensch schrumpft in seiner kleinen Gestalt zur Nichtigkeit. Einige Felstunnels überwinden die engsten Schluchtabschnitte, nicht immer ist der Blick in den Canyon möglich. Ähnlichkeiten gibt es mehr zur Tara-Schlucht als zur Piva-Schlucht. Der spektakuläre Teil ist letztlich recht kurz. Noch vor Bioce gibt es ein erstes Restaurant, weitere folgen dann – sie profitieren vom Transitverkehr. Man nähert sich unweigerlich der Bratpfanne von Podgorica. Während es am frühen Morgen in Kolasin fröstelnde 12 °C herrschten, sind es zur gleichen Zeit in Podgorica bereits 24 °C gewesen. Jetzt hat es ca. 38 °C, vielleicht erreichte die Quecksilbersäule die 40-Grad-Marke an diesem Tag. 10-15 Grad Unterschied zwischen Bergregionen auf 1000 m Höhe und der Tiefebene sind keine Seltenheit. Abkühlung tut Not, den Mittag verbringe ich vor den Toren der Stadt am Fluss – der Kies brennt auf den Fußsohlen wie glühende Kohlen.

Den ersten Fotoladen finde ich in Podgorica im zufälligen Vorbeifahren, anschließende Versuche, die Touristinfo zu finden gestalteten sich schwieriger – dort konnte man mir auch keine weiteren Adressen nennen bis auf den Zweitladen von „Foto Boni“, der mich aber immerhin von meiner Krise erlösen konnte. Sicherlich fehlt Podgorica zwar ein Stadtbild, das einer gehobenen Würdigung bedarf, jedoch gibt es einzelne moderne architektonische Akzente und ihr Erscheinungsbild besser als ihr Ruf. Es ist eine recht quirlige wie lebenswerte Stadt ist, besonders für junge Leute, für hippe Partys abends spät in die Nacht mit zahlreichen Cafes und Kneipen – eine riesige, offene Flaniermeile fröhlicher Menschen. Erfreulich ist die Sperrung der Straße ab den frühen Abendstunden, sodass diese zu Fußgängerzonen werden. Einige Parkanlangen sowie verschiedene Stadtstrände am Flussufer sorgen für ein savoir vivre für Lebenskünstler und Verliebte.

Innerhalb der Stadt wollte ich dann doch nicht übernachten. Zwischen Podgorica und Bioce gibt es ein günstiges Hotel sogar mit Campingmöglichkeit. Dem Vortrieb verpflichtet, speise ich aber in Bioce in einem Transitrestaurant, campiere in der Nähe auf verstecktem Weidegrund, bereits in der Anfahrt der Passstraße des nächsten Tages (das Gelände ist aber eher schwierig). Interessant war das Treiben am Transitrestaurant. Zunächst war ich als einziger essender Gast die große Hoffnung des Wirtes. Fast mit dem Essen fertig, also bereits nach 22 Uhr, begann dann erst das eigentliche Geschäft. Erst hielt ein erster Bus, am Ende zählte ich insgesamt sechs Busse, die den nationalen und internationalen Linienverkehr bedienen (u. a. nach Pec, Prishtina, Belgrad). Der Wirt konnte aber aufatmen – nur wenig der Busreisenden hatten Lust auf Gastronomisches, überwiegend stärkten sich nur die Busfahrer. Schwierige Planung für so ein Transitrestaurant, denke ich.

Bildergalerie zu Kapitel II (100 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Fenster Nr. 9 - 08.12.13 23:08

KAPITEL III
Das alpine Montenegro, Teil 2: Eindrückliche Viadukte, schweigende Seenspiegel, kühne Felsenklöster, alpine Dramatik grenzenlos, Canyons revisited und amerikanisches Wasser

Die einsaitige Gusla erlaubt nur geringe Tonhöhenveränderungen und ist das Begleitinstrument für eindringliche Sprechgesänge und Gedichte. Die emotionale Tiefe wächst aus der Eintönigkeit und Intensität des Vortrags. Sicherlich für den musikalisch verwöhnten Hörer ein grenzwertes Vergnügen, wie ich selbst live beim Mittagessen in Trsa erfahren konnte. Allerdings stärkt diese Tonwelt den kostbaren Kosmos des Augenblicks in der einsamen Bergwelt, in der der Zivilisationshektik und dem Konsumwesen die vermeintliche Bedeutung entzogen wird: Bozidar Djukic „Tragicna pogibija Branke Djukic” (10:01 min.).

Sa 22.6. Bioce – Klopot – Vjeternik (1072 m?/1260 m?) – Jablan – Lopate? (? m) – Verusa – Matesevo – Tresnjevik (1598 m) – Andrijevica – Murino – Plav
110 km | 12,9 km/h | 8:33 h | 2080 Hm
W: sonnig, max. ca. 30 °C
E (R Camp): Käsebuchteln, Suppe, Krautwickel m. Hackfleisch, Kuchen, Rw, Cafe
Ü: C Lake Views ca. 15 € inkl. Essen

In gewisser Weise ist der zweite Bergteil eher der unbekannte, der Entdeckerteil. Die Strecke von Bioce über Jablan und Verusa nach Matesevo ist die ruhige Alternativstrecke zur Moraca-Schlucht. Sie ist aber auch um einiges schwieriger, sind doch zwei Pässe zu überwinden, die beide über dem Niveau vom Crkvine-Pass liegen. Landschaftlich ist der Unterschied ebenfalls gravierend, sodass man grundsätzlich beide Routen zwischen Podgorica und Kolasin empfehlen muss. Im Gegensatz zur Moraca-Route steigt die Strecke unmittelbar nach Bioce an, windet sich in einem anderen Tal über offene, sonnenheiße Hänge nach oben.

Da mir das Wasser knapp wurde, habe ich in Klopot in einem Privathaus nach Wasser nachgefragt. Sie lagern das Wasser im Eiszustand in Kanistern und tauen es bei Bedarf auf. Von hier fällt der Blick über die verkarsteten Hänge auf das Mala-Rijeka-Viadukt, mit maximal 198 m das höchste Eisenbahnviadukt Europas (zweithöchstes der Welt). Im oberen Bereich nimmt die Vegetation zu, Blumen und Schmetterlinge begleiten einen am Wegesrand. Zwischen den beiden Passhöhen liegt eine feuchte, waldreiche Talmulde. Bei Lopate windet man sich eindrucksvolle Serpentinen hinauf. Bis Verusa gibt es keine gesicherte Versorgung, je eine Bar findet sich an der Straße in Bolesestra und Jablan – in letzterer könnte es auch was zu Essen geben.

Ich konnte meinen Gastgeber in Kolasin mit der Nachricht überraschen, dass die Straße durchgehend asphaltiert ist – insbesondere findet sich auf der Südseite des Vjeternik-Passes ein neuer Belag. Rakocevic meinte, dass diese Teilstrecke in üblem Schotterzustand wäre – ich solle nicht daher fahren, ich würde einen Tag von Podgorica nach Kolasin brauchen. So kam ich aber insgesamt flott an dem Tag voran, wenngleich der Asphalt bei Verusa sehr aufgerieben ist. Dort sieht man aber eine recht intensive Bautätigkeit von Wohnhäusern mit bescheidenem Wohlstand, sodass man auch damit rechnen kann, dass die Straße demnächst mal ausgebessert wird. Die Landschaft nach Norden ist mittelgebirgig, mit Weiden, Auen, Wald und dem prägenden Flusstal der oberen Tara.

Noch dichter wird der Bewuchs jenseits von Matesevo, einer Flussbrücke mit ein paar Weilern und einen Gasthof samt Übernachtungsmöglichkeit direkt an der Brücke. Die Straße schlängelt sich zunächst am Fluss entlang, windet sich dann nach oben, ein wenig anstrengend, aber keine besonders steile Auffahrt. Zunächst noch Besiedlung, Schafe, dann immer mehr Panorama auf die Schneegipfel des Komovi. Wieder wächst die Bergwelt mit jeder neuen Pedalumdrehung. Einem entgegen kommenden Montenegriner mit Plattfuß kann ich nicht helfen, weil sein Ventilstutzen für meine Pumpe zu kurz ist. Technik, die sich nicht verträgt.

Noch von den Farben der Bergwiesen euphorisiert, erreicht man die unspektakuläre Passhöhe Tresnjevik, gleich mit zwei Hütten- bzw. Gasthofeinrichtungen ausgestattet. Der Blick fällt nun auf die bewaldeten Hügelberge Richtung Lim-Tal. Die kehrenreiche Abfahrt ist launig, oben weitgehend schattig, dann folgen Bergweiden mit lockerer Besiedlung. Andrijevica ist mehr eine zersiedelte Ortschaft ohne markantes Zentrum. Verblüffend, dass ausgerechnet hier das recht populäre wie gute Hotel „Komovi“ auf Gäste wartet, liegen doch die Hauptbergziele ein wenig entfernt. Mit Kurs auf Plav fährt es sich durch ein mittelenges Tal auf einwandfreier Straße und bei geringer Steigung entspannt, ab Murino steigt die Strecke mehr an ohne jedoch zur Bergstrecke zu werden. Auch das Bergpanorama bleibt weitgehend verborgen, entfaltet sich erst am Plavsko jezero.

Für Gusinje ist es doch etwas spät und ich verbleibe am Camping in Plav. Leicht oberhalb des Sees blickt man idyllisch auf den Wasserspiegel, zum Westen hin sanfte geglättete Hügelberge, nach Süden eine Kette schroffer Berge. Die noch schneebedeckten Berge des Prokletije im Osten und Südosten liegen im toten Winkel. Den Camp (auch Hütten) leitet ein etwas eigenwilliger Herr, das Essen in der Gaststube ist mäßig und die Sanitäranlagen haben Funktionsmängel (Warmwasserbereitung klappte nicht). Unklar ist, ob die Sauna und dort bessere Duschen als Camper benutzt werden dürfen, zumindest wurde ich darauf nicht hingewiesen. Wahrscheinlich gehören diese Einrichtungen streng genommen zu einem noch nicht ganz fertig gestellten Fitnesscenter, wo bis in den Abend hinein laute Animationsmusik laufen kann. Ein Alternative – wie ich einzuschätzen vermute, die bessere – ist ein Camp an der Westuferstraße etwa 2 Kilometer von Plav entfernt – direkte Lage am See mit Terrassenrestaurant.

So 23.6. Plav – Krusevo – Ali Pasini Izvori – Gusinje – Grbaja – Gusinje – Murino – Andrijevica – Tresnjevik (1598 m) – Matesevo – Kolasin
114 km | 14,9 km/h | 7:41 h | 1410 Hm
W: schwül, heiter-wolkig, nachmittags Gewitter, auch kühl, max. 26 °C
E (R Vodenica): Salat, gem. Grillfleisch, Bratkart., Rw, Cafe, 13,40 €
Ü: PZ Rakocevic 20 € m. Fr.

Der Plavsko jezero lässt sich zu beiden Uferseiten befahren, wobei die nordwestliche Seite die bessere Fahrbahn hat und näher ans Ufer rückt, wenngleich es auf keiner Strecke sich um eine echte Uferstraße handelt. Auf der südöstlichen Seite fährt man mehr durch Besiedlung, sieht mehr Landleben. Während die einen noch Heuballen mit Schubkarren über notdürftige Bretter von Fließgewässern balancieren, haben andere protzige Villen mit edlen Schutzzäunen errichtet. In dieser muslimisch geprägten Region gibt es offensichtlich große Einkommensgegensätze.

Unweit südlich von Gusinje gelangt man mit einem kurzen Abstecher (Richtung Vusanje) auf die Ali-Pascha-Quellen, ein Sammelsurium aus Karstquellen, natürlichen und künstlichen Becken, gefluteten Wiesenflächen, kleinen Kaskaden nebst Gehöft samt Mühle. Am Horizont erheben sich massive Gipfel des Prokletije-Gebirges des grenzüberschreitenden Nationalparks zu Albanien. Je nach Lichtverhältnissen kann man herrlich blaue oder grüne Farbe erleben, leider gab es bei meinem Besuch rechte dämpfende Lichtverhältnisse. Quasi in Sichtweite gibt es auch ein Restaurant, bei dem es wohlmöglich auch auf Anfrage möglich ist, Zelte aufzustellen, wie eine Wandergruppe dort zu beobachten war.

Der Ort Gusinje ist belebter als Plav, es gibt mehr Geschäfte, Cafes und sogar guten Kuchen. Ich wollte noch eine Stichstraße in der Bergwelt des Prokletije befahren – laut Reiseführer sollte das schönste Tal das von Grbaja sein. Die Straße verläuft in unrhythmischen Schwüngen teils leicht, teils steil bis zu der kleinen Almsiedlung Grbaja, wo man essen und übernachten kann, auch finden sich mehrere Schutzhütten mit Picknickmöglichkeiten. Auf der Strecke erlebt man eine alpine Inszenierung der Extraklasse, ein sekündliches Verändern von großen Momenten mit Gipfelhorizonten, ein Genuss von Blumen- und Schmetterlingsfarben, fast schon gartengepflegte grüne Almwiesen mit dezent verteilten farbigen, neuen Häuschen und historischen Steinhütten. Die Fotografie versagt sich das Staunen standesgemäß einzufangen, sie verlangt: „Schaue hin, hier musst du gewesen sein!“

Auf dem Weg treffe ich drei Generationen einer Familie, erst grüßt mich ein Kind, dann staunt ein alter Mann mit Sense zu mir herüber und schließlich treffe ich eine Frau, die des Englischen gut mächtig, da sie der Liebe verfallen nun in Amerika lebt und gerade auf Heimatbesuch ist – hier, in dieser faszinierende Wiege geboren. Ich erfahre, das Kind ist die Tochter, der alte Mann der Vater. Nein, zurück würde sie nicht wollen, nicht aus Groll oder leidvollen Erfahrungen, sondern weil das Leben eben so spielt und es sei nun mal der Lauf der der Dinge, welcher sie auch nun in Amerika glücklich gemacht hat. Aber in die Schönheit der Landschaft sehnt sie sich schon immer mal wieder. Schöne Erinnerung ja, aber keine Wehmut. Fast scheint ihre Antwort mir zur unpathetisch, nicht ehrfürchtig genug gegenüber diesem Blick ihrer Heimat. Und doch zeigt sie sich als kluge Frau, die weiß, dass die Erfüllung des Lebens nicht von einem schönen Ort abhängt – sondern von den Menschen, mit denen man seine persönliche Heimat bildet. So ist denn auch die schönste Kindheit nur ein Teil der Vergänglichkeit des Lebens. Wie doch immer wieder die entlegenen Ecken der Erde voller Weisheit stecken.

Nach Grbaja kann der Tourenradler noch weiter fahren, die Piste ist ganz passabel fahrbar und man hat die Wahl an einem idyllischen See vor der grandiosen Bergkulisse zu pausieren oder noch weiter bis zum Ende des Talschlusses zu radeln oder gar noch Berge zu erwandern. Sicherlich würde ein Tag extra hier in dieser Gegend lohnen. Ich aber radle nach dem Aufzug der Wolken am anderen Plav-Seeufer zurück, danach auf vortags erlebter Strecke nach Matesevo und weiter bis Kolasin. Der Fluss jenseits von Matesevo zeigt breitere Kiesbänke, Angler nutzen die Abendstunden zum Fang und gar zwei fesche Jungdamen versuchen sich auf anscheinend ausgeliehen Rädern als sei es Hochseilkunst. grins Zuvor musste ich aber noch durch eine Wetterschleuse – ein heftiges Gewitter unweit von Andrijevica zwang mich zu einer längeren Pause, sodass ich den Tresnjevik-Pass mit einer gewissen Eile im schweren Wasserdampf hinaufstürmte, um Kolasin zu noch zivilen Zeiten zu erreichen.

Während bei meinem ersten Besuch das Rakocevic gut ausgelastet war, kehrte ich nun als einziger Gast ein. So bekam ich statt dem kleinen Zimmer zuvor nun das vielleicht größte Zimmer mit Balkon. Diesmal war abends nur der Sohn vor Ort, das Gastgeberpaar bei einer Hochzeit und vielleicht ein wenig geschockt, das nun der wieder früh aufstehende Gast aus Deutschland die Katernacht verkürzen würde. Doch sicherlich überwog am Morgen mehr die Freude des Wiedersehens. Ich machte dann noch den Scherz, dass ich ja vielleicht nochmal auftauchen könnte – man weiß ja nie. Den Abend versüßte ich mir in der alten, renovierten Mühle Vodenica, einem alten, eingesessenen Gasthaus, in dem nicht nur lokale Spezialitäten gereicht werden, sondern auch ein nostalgisches Ambiente im Innern mit gesammelten Fundstücken wie einem Grammophon für eine stimmige Atmosphäre sorgt. Für ein Essen draußen direkt über dem rauschenden Bach war es diesmal zu kühl und windig.

Mo 24.6. Kolasin – Crkvine (1045 m) – Mijoska – Dragovica Polje – Semoli (1300 m) – Tusina – Previs – Poscenje
76 km | 11,3 km/h | 6:46 h | 1750 Hm
W: bis mittags sonnig, danach bewölkt, windig, max. ca. 28 °C
E (R Camp): Tomatensalat, gegr. Hammelfleisch, PF, Rw 14 €
Ü: C Katun Jatak 10 €

In Kolasin versammelte sich 1943 erstmals der antifaschistische Widerstand gegen die deutsche und bulgarische Besatzung. Damit wurde hier auch der Grundstein für die Partisanenstrategie Titos gelegt. Insofern kann man Kolasin auch als die Wiege des sozialistischen Nachkriegsjugoslawiens ansehen. Einige Monumente sowie ein Museum dokumentieren diese historische Ära des Ortes. Ein gewisser verklärter Blick auf den Lauf der Geschichte ist allerdings nicht zu leugnen.

Verlässt man die Moraca-Route bei Mijoska, überwindet man zunächst eine schluchtige Engstelle, Schwalbennester kleben in den Felsnischen, Wasser tropft aus Felsen, gegenüber rauscht ein großer Wasserfall zu Tal. Bald öffnet sich eine weite alpine Almarena, das Stadionrund grenzt eine lange Bergkette vom blauen Himmelszelt ab, die Tribünenplätze der Einwohner und Bergbauern auf der Gegenkurve verteilen sich auf ehrwürdigem Wimbledon-Grün. Ich selbst habe auf der Fankurve La-Ola-La-Steigungen zu bewältigen, während das Kulissenspiel an dramatischer Zuspitzung gewinnt. Mit kraftbetonten Pedaltribblings kontere ich gegen tropfnasse Schweißnetze. Die spielerische Klasse entfaltet sich schließlich in periodisch oszillierenden Doppelpässen zwischen Auge und Landschaft. Nach den letzten Kehren mit freier Sicht in den Talkessel habe ich eine zähe Abwehrgerade zu überwinden, bis sich von lichtem Wald bekleidet Felspokale auftürmen und eine szenische Spielverlängerung mit neuen Darstellern einläuten. Es folgt eine anspruchsvolle Kehrenserie bis zur Passhöhe, die ein paar versteinerte Ehrenspielführerfiguren bereit hält. Letztmalig laufen die Spitzen der Bergarena am Horizont auf, bis sie an der sonst unscheinbaren Passhöhe unter Jubel ihre Ablöse eintauschen.

Game over? – Nein! – Aber die erste Liga hat nun spielfrei, es beginnt eine nicht zu unterschätzende Serie von Aufsteigeraspiranten im oberen Tabellenbereich der zweiten Landschaftsliga. Die Bergpanoramen bleiben zur Nordwestseite zunächst eingeschränkt, man taucht in schattigen Wald ein, sogar überquert man in einer Talmulde ein Feuchtwiesengebiet. Das Bukovica-Tal (bzw. dessen Zuflusstal bei Sirovac) gibt sich lieblich, weniger alpin, wird aber auch stumpfen, geschichteten Bergzügen eingefasst. Zur Belohnung erhalte ich unverlangt eine Meistertrophäe für meine Libero-Arbeit in den kräftezehrenden Steigungsreihen – eine dicke Dose Niksic-Bier, die mir ein unbekannter Lokalrepräsentant ohne Funktionärsorden aus dem Lieferwagen überreicht. Es war dann topografisch bedingt etwas schwierig, einen geeigneten Picknickplatz für die Meisterfeier zu finden. Das gelang mir schließlich doch noch an einer kleinen Flussbadenische hinter surrenden Bienenkästen, deren Flugbewohner auf stichhaltige Flankenangriffe verzichteten. bier

Das Tal wechselt dann mehrfach die Struktur, wird teils schroffer mit weiteren Schluchtpassagen. Man erreicht irgendwann einen Punkt, von dem aus man auf Savnik hinunterblicken kann – eine recht schmucklose Ansammlung an funktionalen Häusern, das recht schattig im Tal liegt, welches man über ein paar Kehren per Abzweig wenig weiter erreichen könnte (Fortführung z. B. nach Niksic). In einer verwirrenden Topographie von Felskesseln und kleinen Almsiedlungen auf dem Talgrund gelangt man zur neuen Durmitor-Schnellstraße, in deren unmittelbarer Nähe das Rafting-Camp „Katun Jatak“ auf wohl seltene Gäste wartet. Während das zentrale Gasthaus mit Teichtümpel davor und Lounge-Stil im Innern ein wenig Schickimicki wirkt, sind die Sanitäranlagen von sehr schlechter Qualität, obwohl es sich um ein insgesamt sehr neues Camp handelt. Das Essen fand ich auch nicht so berauschend, die Preise für Beides besonders in dieser Abgelegenheit unverhältnismäßig hoch. Ggf. lohnt es, etwas weiter zu radeln, wo Poscenj als Ort sichtbar wird und ein weiteres Camp existiert, das im Reiseführer empfohlen wird (möglicherweise nur Hütten und kein Zelten).

Di 25.6. Poscenje – (Kanjon Nevidio/Komarnica) – Duzi – Dubrovsko – Bezuje – Etno selo Izlazak – Mijkovac – (Bukovac) – Bajovo Polje – Javorak (1235 m) – Rastovac
76 km | 14,3 km/h | 8:19 h | 1350 Hm
W: regnerisch, sehr windig, sehr kühl, abends mild, 11-20 °C
E (R Camp): Hähnchen, PF, Salat, Rw, Cafe ca. 5 €
Ü: C Kvisko 5 €

Es ist wohl der insgesamt schlechteste Reisetag, soweit man das Wetter bewertet – eigentlich gab es nur zwei kurze Lichtblicke um Duzi herum und am Abend – dort allerdings schon im sicheren Abstand zur gehobenen Bergwelt. Landschaftlich ist aber der erste Teil ein außergewöhnlich dramatischer, fährt man doch fast schwindelerregend am unmittelbaren Abgrund zur Komarnica-Schlucht. Die Bezeichnung Nevidio-Canyon und Komarnica-Schlucht sind ein wenig verwirrend, bezeichnet die Komarnica eigentlich den gesamten Oberlauf der Piva diesseits des Piva-Stausees. Weite Teile davon bestehen aus einer schmalen, fast unzugänglichen Schlucht, soweit man nicht den Weg über das Wasser sucht. Eine besondere Engstelle bei Poscenje, die sich nur per abenteuerlichem Flussklettern erkunden lässt, wird als Kanjon Nevidio bezeichnet, zuweilen sind aber die Bezeichnungen Komarnica-Schlucht und Nevidio-Canyon nicht genau abgegrenzt. Im Zweifel ist der Begriff Komarnica-Schlucht der umfassendere Oberbegriff.

Die Komarnica-Schlucht ist aus Radlersicht eher eine Zugabe, da sie nur wenige – wenn auch dramatische – Einblicke gewährt. Zudem ist eine Durchfahrroute nur mit Schotteranteilen möglich. Wer mehr möchte, muss aufs oder gar ins Wasser. Abenteuerliche Trailrouten hat dort wohl eingangs erwähntes Forumsmitglied stuntzi (alpenzorro) erkundet. Schon meine Route ist aber nur als bedingt tourenradtauglich einzustufen. Dabei ist der erste Teil noch eine Spazierfahrt, wenngleich mit einer ersten kleinen Steilrampe. Vom Nevidio-Canyon sieht man hier nur unzureichend die Eingangsfelsspalten, deren Breite für Fettleibige ein unpassierbares Hindernis darstellen dürfte. (Wer sich durch diese Aussage diskriminiert fühlt, sollte sich bei den Felsenerbauern beschweren. grins)

Vom ersten Hochpunkt fährt man auf einer zwar asphaltierten, aber von Felsbrocken übersäten schmalen Straße, die kühn zuweilen bis in den Fels hinein gehauen wurde. Die Dramatik verdichtet sich nochmal mit den aufsteigenden Dampfwolken, die aus dem tiefen und trotz der bizarren Straßenführung kaum einsehbaren Canyon in einer regengetränkten, von bedrohlichen tief dunklen Wolken überschatteten Landschaft aufsteigen. Von den gedämpften Abbruchkanten des Canyons zur gegenüberliegenden Seite ziehen sich Hochebenen ins Land, die teils unbeschnitten am Horizont enden, zu anderen Himmelsrichtungen bald von nahen Gebirgsketten begrenzt werden.

Nach dem dramatischen Straßenabschnitt folgt eine Hochpoljenlandschaft mit Weidegrund und leuchtenden Blumenwiesen mit braun-goldenem Grundton. Die kleinsten Wolkenlücken blenden hier den Betrachter durch die Reflektionen der Farbspiele und lassen die Faszination der Landschaft mit dem zweiten Blick mehr loben als es vielleicht ein flüchtiger erster Eindruck tun würde. Zaghafte Zeugen einer Besiedlung wie ein Kirchlein mehren sich um Dubrovsko, dem letzten und wohl mit einigen neuen Häusern aufstrebenden Wohnörtchen an der Straße, die wenig später als Piste zu einem Hochpunkt aufsteigt, und dabei zunehmend über loser werdenden Schotter führt. Sodann ist auch die Abfahrt nicht ohne kräftige Bremsübungen möglich – eine insgesamt auch wegen der langschleifigen Führung ohne markante Orientierungspunkte sehr zeitraubende wie schwierige Überfahrt zum Piva-Stausee.

Erst kurz vor Bezuje, längst mit Weitblick die geweitete Schlucht um den See, erreicht man wieder Asphalt unter den Reifen. Es gibt zu dieser Seite keine Versorgungsmöglichkeit und man muss hier zur Fortsetzung auf weiten Schleifen mit moderatem Gefälle hinunter zum einsam liegenden Piva-Stausee, um alsgleich einen Aufstieg mit moderater Steigung – wenngleich nicht schweißlos – zum Izlazak-Camp zu bewältigen. Das recht propere Camp im traditionellen Landstil ohne Ortsanschluss bietet einen freien Ausblick hinüber zum Durmitor wie hinunter zum Stausee und eignet sich ebenso für organisierte Rafting-Touren in der Komarnica-Schlucht. In der gemütlichen Gaststube wird gute, regionaltypische Landküche gereicht. Wie der Besuch einer großen Schulklasse (Schwimmverein? Flussklettergruppe?) mit Bus zeigte, ist das Camp als Lokalität in der sonst infrastrukturarmen Gegend recht beliebt. Der Vollständigkeit wegen sei noch erwähnt, dass von Bezuje auch eine Durchfahrtsmöglichkeit zur Durmitor-Passstraße über Boricje möglich ist – allerdings auf noch schlechterer Piste als meine Route und daher nur für ausgewiesene MTB-Könner.

Der heftige Wind am Camp lässt einen bei den kühlen Temperaturen (12-14 °C) faktisch frösteln, mit Windchill-Effekt liegt die Fühltemperatur im einstelligen Bereich. Die Hochebene hier ist eher schlicht, einige Passagen der Nebenstraße erinnern an Hohlwege, selten gibt es Blick zum Stausee bzw. Canyon, weit weniger aufregend als gegenüber. In einer längeren Waldpassage suche ich häufiger Schutz unter Blattwerk, um den unrhythmisch auftretenden stärkeren Regenschüttungen zu trotzen. Ohne sommerferne Nasspassagen ist aber kein Vorankommen möglich. Zurück auf der Hauptstrecke der ersten Reisetage, die von Bosnien über Pluzine nach Niksic, Podgorica und die Adria führt, radelt man wieder auf aalglatter, breiter Straße (trotzdem relative geringe Verkehrsdichte am Nachmittag), was offenbar nicht vor selbst verursachten Autoüberschlägen schützt, wie die Unfallsituation am Straßenrand belegt. Bei Donja Brezna gibt es unweit der Hauptstraße ein weiteres, großes Ferien-Camp, das ich kurz erwog aufzusuchen und die Etappe als nasser Pudel abzubrechen.

Doch soll ich wirklich meinen Weichei-Gene nachgeben? – Nein, sagte die innere Stimme und ich quälte mich bei wirschen Wetterkapriolen über die sonst leicht zu radelnde Javorak-Passhöhe. (Eine in der Karte eingezeichnete Alternativroute über Donja Brezna gibt es meiner Einschätzung nach nicht – zumindest keine vertretbar tourenradtauglische!) Durch einige Zwangspausen des Tages und die doch recht zähe Schotterfahrt schmolz mein Zeitfenster derart zusammen, das ein Erreichen von Savnik unmöglich schien, nachdem man etliche Höhenmeter auf der Abfahrt bis zur Verzweigung verliert. Ebenso sah ich mich außerstande, das Skicentar Vucje zu erreichen, von dem ich ohnehin nicht sicher war über eine Öffnung in Sommerzeiten. Ein kläglicher Anfahrtsversuch der Strecke scheiterte noch einem anderen Element: dem Wind. Ein heftiger Fallwind hätte mich auf der Bergstrecke zur gehbehinderten Schnecke gemacht, und jeden sportlichen Ehrgeiz im Keim erstickt.

So verblieb ich auf Kurs Niksic, nochmals mit Regenpause aufgewertet. Dazu hielt ich an einer Bar unmittelbar nach der Verzweigung. Zwar stand dort etwas von „Autocamp“, doch konnte ich schwerlich Sanitäranlagen erkennen, noch ermutigte der Blick in die Bar zur Bleibe. Offensichtlich wurde hier nur das überregional bekannte Niksic-Bier angeboten, der Wirt indes war über seinem Tisch eingeschlafen, da sein Lokal nicht gerade von Gästehorden aufgesucht wird. Ich musterte die Kücheneinrichtung und kam zu dem Ergebnis, das es sich um eine Junggeselleneinrichtung handelte, in der das Zubereiten eines Spiegeleis eine mittlere bis unmögliche Herausforderung bedeutet hätte. So nahm ich nach einem kleinen Hügel noch die recht stark besiedelte Ebene oberhalb von Niksic in Angriff, mehrere in Karten und Reiseführern nicht verzeichnete Camps liegen hier an der Strecke. Unmittelbar an der Straße fand ich dann einen hübschen wie preiswerten Gartencamping (auch Zelthütten zu mieten) mit angeschlossener Wirtschaft, in der ich allerdings mal wieder einziger Gast war.

Mi 26.6. Rastovac – Lukovo – Niksic – Ridani – Slansko jezero – Orlina – 11 – Stubica (531 m) – Manastir Ostrog (900 m) – Sekulici (Danilovgrad) – Spuz – Podgorica
112 km | 14,3 km/h | 7:49 h | 1075 Hm
W: sonnig, sehr windig, Fallwind von Norden (Sturm), max. ca. 24 °C
E (R Italiano D.O.C.): Tagliatelle Kirschtomate/Shrimps, Rw, Torte, Cafe 19,50 €
Ü: PZ Villa Patria 18 € o. Fr.

Wenn auch die Sonne täuschend lachte, so hatte sich der Fallwind aus den Bergen gehalten. Auf der leicht hügeligen, einsamen und hübschen Verbindungsstrecke nach Lukovo fiel das wegen der schützenden Büsche nicht ins Gewicht. Allerdings konnte ich dann die Fahrt über den Krnovo-Pass nicht angehen, da der Weg aufwärts gegen den Wind geradezu unmöglich war. Damit bewegte ich mich nach Niksic, eine eher unauffälligen Strecke, auf der man bei der Anfahrt von Niksic einen guten Blick über die Ebene mit der Stadt hat. Niksic zeigt sich am Rande als exsozialistische Unschönheit mit verfallenen Fabrikanlagen und schmuckloser Wohnarchitektur. In der Bierstadt gibt man sich Mühe, ein modernes Bild mit lebenswerter Atmosphäre zu schaffen. Eine Fußgängerzone mit vielen Bars und Shoppingmöglichkeiten lädt zum Sehen und Gesehen-werden ein. Weitere Einkaufsmöglichkeiten sowie Gewerbegebiete ziehen sich hinaus zu allen Seiten, derweil das Stadtende nicht wirklich weit ist.

Bevor ich zum Slansko-See gelange, befahre ich eine auch als Radweg ausgewiesene Piste, die an ein paar Sehenswürdigkeiten mit Lehrtafeln vorbeiführt. Darunter befinden sich eine alte Steinbogenbrücke, ein Kapelle und vor allem ein besonderes Feuchtbiotop, das von dem Wasser aus dem Staussee bzw. dessen abzweigender Kanäle geflutet wird. Die so entstandene, noch junge Sumpflandschaft liefert ein augenfälliges Farbspiel aus Gelb, Grün und silbrigen Reflexionen. Der See (es gibt noch einen zweiten weiter nördlich) verfügt über recht steinige Ufer, die nur stellenweise zum Baden geeignet sind und offenbar wird nur wenig davon Gebrauch gemacht, den See als Freizeitrevier zu nutzen. Entwicklungspotenzial.

Man kann direkt von der Schleusenwart an der Staumauer am Rande des Sumpfbiotops auf die Nebenstraße nach Podgorica (die Hauptstraße ist nicht zu empfehlen) gelangen, wobei man allerdings eine Art Kieswerk durchfährt. Die Straße über den kurzen Stubica-Pass zeigt auf der Nordseite bereits einige Verfallserscheinungen. Für Autos besteht von der Schnellstraße zu der alten Straße eine Querverbindung, um die Ostrog-Klöster anzusteuern. Die sodann ein Stück weit hier von der Eisenbahn begleitete Strecke windet sich alsbald nach oben, um die Felsenklöster zu erklimmen. Dazu hat man die Straße exzellent ausgebaut, sodass man nunmehr auch über diese (dritte) Strecke den Weg nach Danilovgrad problemlos findet.

Das untere der Ostrog-Klöster kündigt sich durch Straßenstände mit Heiligensouvenirs an, wobei gleich alles Mögliche angeboten wird, von Honig bis zu traditionellen Musikinstrumenten wie etwa die Gusla. Das Kloster hier verfügt über einen kleinen Garten vor der Kapelle, wo gerade eine orthodoxe Abendpredigt abgehalten wird. Auch hier wird für die heilige Stimmung eine Kleiderordnung per Schild verlangt, die aber offenbar nicht so eng ausgelegt wird, soweit man in den Gartenanlagen verbleibt. (Im oberen Kloster verzichtet man schon ganz auf eine Disziplinierung der Touristen, weil das Geschäft irgendwo doch wichtiger erscheint.) In einem Nebengebäude hier kann auch übernachtet werden.

Oberhalb befindet sich noch eine weitere Klosterkapelle, wo von der Durchgangsstraße nach Danilovgrad eine Stichstraße zum oberen Kloster auf ca. 900 m hoch abzweigt. Auf dieser sind einige Kehren zu bewältigen, die vielleicht nicht so martialisch steil sind wie das in den Fels gehauene Kloster vermuten lassen könnte – anspruchsvoll ist es aber allemal. Wie ein Adlerhorst thronen im Fels zwei Klosterbauten über dem weiten Tal. Die Kühnheit der Bauten ist atemberaubend. Der Rundgang durch die weiße Klosterkirche ist eintrittsfrei, in dem anderen Klosterbau befindet sich ein Laden mit spiritistischen Souvenirs, deren echte Klosterherkunft aber in Frage zu stellen ist. Seifen, Öle und Weihwässer erfüllen den Raum mit Düften alchemistischer Geheimrezepturen, die Heilung von Geist, Seele und Körper versprechen. Dazu gibt es die glücksbringende Schmuckstücke, Rosenkränze und Kreuze, die des Erlösers Gnade anrufen helfen sollen, entsprechende Gebetsfibeln und Ikonenbilder komplettieren die Grundausstattung zur überirdischen Kontaktvermittlung.

Schnell hinunter geht es zwar meist, aber zwei Gegenanstiege muss man einrechnen, bevor man die Höhe von Danilovgrad erreicht. Man genießt einen weiten Talblick oberhalb der Eisenbahnstrecke, ohne dass es landschaftliche Highlights zu verzeichnen gibt. Irgendwo ohne Ort gibt es ein schön gelegenes Restaurant, wartet wohl auf Klosterbesuchsgäste. Mir will es zu früh sein, um den Tag zu beschließen. Sogar Danilograd lasse ich aus, fahre die Nebenstrecke weiter in die Dunkelheit hinein. Trotz dichter Besiedlung mit zahlreichen Minimarkets gibt es hier keine Gastronomie – es wäre da wohl besser, die parallele Transitachse zu nutzen.

So muss ich zwangsläufig zu später Stunde doch noch nach Podgorica einfahren, wo ich aber fast nur prall gefüllte Straßenkneipen finde. Im italienischen Restaurant erklärt mir der Kellner, dass ich mich auf der falschen Stadtseite befinde, die meisten Restaurants seien im Stadtteil auf dem rechten Moraca-Ufer. Aber hier war das Essen ja auch nicht schlecht, eben nur rein italienisch. Gegen Mitternacht war dann meine Experimentierfreude erlahmt und ich suchte die Villa Patria am nördlichen Stadtausgang auf, dessen Übernachtungsangebot mit großen Lettern mir schon bei dem ersten Podgorica-Besuch aufgefallen war. Das äußere Erscheinungsbild ist etwas besser als das innere, aber die Zimmer sind okay, Frühstück gibt es aber nicht.

Do 27.6. Podgorica – Medun – Ubli – Koci – Ducici – Medun – Podgorica – Niagara Falls – Kanjon Cijevna (Anfang) – Tuzi – Bjelo Polje – Virpazar
100 km | 13,9 km/h | 7:20 h | 915 Hm
W: sonnig, sehr windig, max. ca. 30 °C
E (R Crmnica): gegr. Paprika, frit. Fisch, Kart., Rw, Crêpes Marmelade 20,90 €
Ü: C wild 0 €

Da ich ungeplant weit vorgestoßen war, suchte ich nach einer Extrarunde. Diese sollte über Medun und Ubli führen, in deren Fortführung auch Verusa erreicht werden kann – ob durchgehend asphaltiert kann ich aber nicht versichern. Die Strecke führt mit weitem Panorama über die Ebene von Podgorica mit Flughafen und in der Ferne dem Skadarsee in weiten Bögen an einem offenen Hang nach oben. Bei Medun liegt eine geschützte Zwischenebene, die zum Gemüse- und Weinanbau genutzt wird und über der eine Burgruine thront. Die Fortsetzung ist relativ karg, sodass ich diese Variante nach Verusa jenseits von Ubli als die unattraktivste von den dreien einschätze. Für MTBer besteht noch eine vierte, aber schwierige grenznahe Trailroute, die bei Korita nach Norden abzweigt. Statt den kompletten Bogen über Korita zu fahren, suchte ich eine recht anspruchsvolle Abkürzungsschleife über Koci. Koci ist aber entgegen den Karteneinträgen eine Sackgasse, die Verbindung nach Süden existiert nicht mehr (verschüttet?), wie mir die Einheimischen zu verstehen gaben.

Es verblieb mir dann nur noch wenig Zeit für den untersten Teil des Cijevna-Canyons, ein kaum ansteigendes Tal bis zur Bergbarriere nahe an die albanische Grenze. Diese Schlucht hätte noch etwas mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt. Dort bestehen ebenso Bademöglichkeiten wie an den sogenannten Niagara-Fällen am Unterlauf in der Ebene. Eben da hat sich die Cijevna wie mit einer Rasierklinge schroff in den Fels gegraben und windet sich als tief blaues Band durch den fast schwarzen Fels. Die Felsen werden auch gerne zum Wasserspringen genutzt. Schließlich stürzt die Cijevna an einer Stelle in einem weit verzweigten Netz von Kaskaden in tiefere Becken, wobei der größte der Wasserfälle besonders breit und stäubend in einen schmalen Felsspalt donnert. Dabei erinnert die Optik an den berühmten amerikanischen Wasserfall an den Oberen Seen bei Detroit, was ihm den entsprechenden Namen einbrachte. Für die vergleichsweise niedrige Höhe der Fälle und des teils doch rechten schmalen Flussbettes erstaunen die Wassermengen schon. Direkt anbei kann auch ein Ausflugslokal mit gepflegten Badeplätzen besucht werden. Über die Ebene jenseits der Niagara-Fälle lohnt nicht groß Worte zu verlieren. Tuzi unweit der albanischen Grenze ist schon sehr muslimisch und orientalisch geprägt – das Ende von Balkan light für Anfänger scheint gekommen. Als Radler wird mir zugerufen, wo es nach Albanien geht – nur da will ich ja gar nicht hin. Offenbar haben sich die vielen Transbalkanradler schon gut eingeprägt.

Nachdem man sich etwas verwinkelt und später auf der Geraden der Hauptstraße ein wenig durchgequält hat, beginnt etwa bei Bistrice eine neue Landschaft. Die Kuppenberge um den Skadarsee bauen sich als scheinbar fast unüberwindliche Barriere auf, Möwen steigen vor der untergehenden Sonne auf, ein Geruch von Seetang erfüllt die Luft. Die schattige Abendkühle legt eine Stille selbst über den vehementen Autoverkehr, zu dem sich nebenan die Eisenbahn gesellt, die nun in enger Begleitung zur Straße die schmalen Dämme bis Virpazar überbrücken muss. Ein Meer von Seerosenblattteppichen breitet sich nebst verwunschenen Schilfzonen aus, Silberreiher und Kormorane bevölkern die verschiedenen Etagen der Sumpfbäume, flüchten schnell vor jedem noch so fernen Besucher. Nochmehr taucht die Sonne am Horizont ab und reflektiert sich in pastellenen Rot-, Violett- und Goldtönen zwischen Brückenstahl und Wolkenfiguren.

An den ersten glatten Seeflächen warten Schiffskähne mit Baldachindächern auf die Fischfangausfahrt am nächsten Morgen. Nach der ersten Brücke liegt ein kleines Fischerdorf in eine Felsbucht gedrückt, der kleine Fischerhafen schweigt sich in eine Postkartenidylle hinein. Direkt gegenüber kontrastiert die geradlinige Ordnung der Schienenstränge und fügt sich doch in Szenerie des mystischen Lichtspiels. Die Stimmung wechselt am großen Damm mit einer weiten Seefläche, schon ganz im Dämmerlicht, die Boote hier gepflegt unter der Hotelterrasse, auf der man Fischgerichte genießt. Die einst von Türken erstellte Festung Lesendro mit ihren schmalen, langen, von Bahnschotterstaub geschwärzten Mauern nimmt eine fast bedrohliche, düstere Silhouette an, als wolle sie Kerkerhäftlingen vergangener Zeiten berichten. Auf dem Uferbogen schaut man auf die Lichter in mehreren Bergetagen über Virpazar, die heimelige Zuflucht inmitten der weiten Einsamkeit des Sees versprechen. So ist denn der schmackhafte Abschluss des Tages in den Lauben des Restaurants Crmnica ein sehr gelungener. Der Wirt genehmigt mir auch noch das Zeltaufstellen auf den nächtlich nicht benutzten Parkplätzen und rät mir Obacht walten zu lassen auf Schlangen.

Bildergalerie zu Kapitel III (124 Fotos – die Bildstaffel endet bereits in Tuzi, die Abendbilder des Skadarsees finden sich in der nächsten Bildergalerie):



Fortsetzung folgt
von: kettenraucher

Re: Fenster Nr. 9 - 09.12.13 17:16

Sensitive Augen machen tolle Bilder. bravo Ich war Mitte der achtziger Jahre mal als Student in “Jugoslawien“ – allerdings vorwiegend in den Gebieten des heutigen Slowenien und Kroatien sowie in Belgrad, aber seitdem sympathisiere ich mit diesen Leuten, dem Klima – meteorologisch und kulturell - sowie der oft wunderschönen Landschaft. Über die Jahre sind meine damaligen Erlebnisse etwas in den Hintergrund gerückt. Jetzt animiert mich Dein Bericht: Ich muss unbedingt wieder dahin – und zwar mit dem Rad in die Dinariden.
von: veloträumer

durch die 10. Tür weht laue Sommerluft - 09.12.13 23:09

KAPITEL IV
Skadarsee und die südliche Küstenregion: Seerosen nicht nachgezählt, Zuckerberge im Ensemble-Auftritt, Meeresrauschen nackt und fischig, trendy Jetset-Life trifft 2000-Jährigen

Musik: Wir hören die albanische Sängerin Fjoralba Turku, die nunmehr in München lebt und sich in der Jazzszene bereits einen respektvollen Namen mit vielseitiger und tiefgehender Ausdruckskraft gemacht hat, hier mit einer luftigen, brasilianischen Sommernote: Fjoralba Turku „Indian Summer“ (5:20 min.).

Fr 28.6. Virpazar – Gornje Seocca – (Donji Murici) – Ostros – Stegvas (916m?/~500m?) – Vladimir – (Ulcinj) – Ada Bojana
87 km | 13,2 km/h | 6:34 h | 1350 Hm
W: sonnig, mäßig heiß, windig, max. ca. 30 °C
E (R Konoba Kod Ranka): Käse, Dorade, Kart., Spinat, Karamelltorte, Rw, Cafe 26 €
Ü: C Ada 8,40 €

Virpazar hat nur wenig Platz sich zwischen sumpfigem Flussdelta und See auszubreiten. Zu den beiden anderen Seiten steigt das Gelände unmittelbar an. Die Infrastruktur aus Hotels, Konobas, Privatvermietern und kleinen Läden einschließlich eines Supermarktes drängt sich eng um Aussichtsplätze, die idyllische Stimmungen verbreiten – ganz besonders in den Morgen- und Abendstunden. Wer die ureigene Wasser-, Pflanzen- und Tierwelt des Skadarsee kennen lernen möchte, muss sich einem der Bootstourenanbieter anvertrauen. Die Exkursionen sind in kleinen Booten in Gruppen oder auch einzeln möglich.

Ich bleibe allerdings meinem Landweg treu und folge der Seeroute nach Südosten. Dabei wird jenseits von Virpazar nie mehr Seehöhe erreicht, sofern man keine Stichstraße zu den kleinen Fischerorten einschlägt. Diese sind nur mit erheblichen, zusätzlichen Höhenmetern zu erkaufen. Der schönste Panoramaabschnitt führt bis Murici und noch ein Stück darüber hinaus. Das Seepanorama ist nicht durchgehend, jedoch sind auch die Zwischenabschnitte ohne Weitsicht von herrlicher Naturschönheit. Einige fast überwucherte Seitenstraßen lassen vielleicht noch ein paar ergänzende Ausflüge zu. Anfangs überwiegt der Blick auf die Zuckerberge, hindurch durch Spinnennetze mit an Seefliegen satt gefressen Riesenkreuzspinnen, die Straße von Zypressen gesäumt. Die Ufer zur anderen Seite verschwimmen im diesigen Schleier. Kleine Weingärten folgen, mit wenigen, überrankten Häusern, Kornblumen, leuchtende Sträucher, Schmetterlinge. Um ein Haar wäre ich einer Einladung zum Umtrunk gefolgt – ein Ex-Gastarbeiter, in Deutschland gewesen, wollte mir schon morgens lokalen Rebensaft einschenken.

Bei Murici wechselt die toskanische Atmosphäre zu karstigen Hänge, Seerosenblätter und Inseln verbleiben noch unterhalb. Weiter Richtung Ostros taucht man ohne Aussicht in Kastanienwald ein, dazwischen Weideland oder unzugängliche Macchia mit Felsklötzen. Ostros ist die letzte Verpflegungsmöglichkeit, wenngleich ein recht schmuckloses Dorf, wo man viel Zeit mit Nichtstun in Cafes verbringt. Gab es zuvor noch etwas Schatten, liegt nun der Aufstieg zu Passhöhe gnadenlos in der Glut der Mittagssonne. Zweifelhaft bleibt die Passhöhe in zweifacher Hinsicht: Weder ist ein Talübergang erkennbar (es ist ein Hoch- und Wendpunkt mit Sendemast), noch lässt sich die angegeben Passhöhe verifizieren. Mein Tacho misst gut 500 m im Gegensatz zu „offiziellen“ 916 m. Mein Gefühl sagt mir, dass der Tacho näher an der Wahrheit liegt.

Mit weitem Blick sieht man nach Albanien und die Stadt Skodher, das Meer im Südosten bleibt im Sommerdunst nur angedeutet. Die Abfahrt ist unspektakulär, die Besiedlung nimmt zu, Minarette beherrschen die Ortszentren. Ich erfahre hier erstmals, dass mein Geburtsdatum im Pass gefälscht sein muss. Ein Mann – wohl albanische Identität – fragt mich nach meinem Alter ob der gewaltigen Radtour durch die montenegrinischen Berge. Ich zitiere das mir seit Jahrzehnten eingebläute Alter. Der Mann wehrt mit Händen und Füßen ab. „Niemals, sie sind nicht älter als 35 Jahre!“ Nun gut, so selbstbewusst mir zugeteilt, nehme ich diese Botschaft an und vermerke ab sofort ungefähr 15 Jahre mehr Jugend als zuvor.
party

Ab der Zufahrt von Albanien herrscht stärkerer Verkehr durchgehend bis Ulcinj. Es geht aber nicht durchgehend abwärts zum Meer, sondern ein weiterer kleiner Hügel ist zu überwinden, auf den eine kleine Schlucht folgt. Die Meerebene bleibt lange ungesehen, erst kurz vor Ulcinj öffnet sich die Landschaft. Ich bleibe der Stadt fern und nehme gleich die flache Gerade nach Ada Boiana. Ferienwohnungen, Privatvillen und Hotels begleiten die Straße in noch lockerer Bebauungsdichte. Die weiten Sandstrände sind nicht einzusehen, die Beliebtheit läst sich aber am Betrieb ablesen. Die letzten Kilometer werden ruhiger, nur unmittelbar am Flussdelta sind wieder Ferienwohnungen und Fischerhütten – hier jedoch landschaftlich gefällig am Flussufer eingebunden. Zahlreiche Restaurants liegen mit Holzterrassen direkt am bzw. über dem Flusswasser, das nur wenig später ins Meer fließt.

Gerade hat es auf der nur einspurig befahrbaren Brücke zur Insel Ada Boiana gekracht – nur Blechschaden, aber für Autos durch das Nadelöhr zwangsweise Staustillstand. Kurz nach der Brücke gibt es zum Camp eine Vorkontrolle. Die Durchfahrt hier gilt nicht nur dem Camp, sondern auch einigen Fischrestaurants, die nur per Straße durch das Camp möglich ist. Ada Boiana ist ein bereits lange existierendes FKK-Camp – lange Zeit das einzige in Montenegro gewesen, dass – so die Reiseführer – schon bessere Zeiten erlebt hat. Der bedenklich kritische Verfall hält sich aber in Grenzen. Zumindest die Bungalows erscheinen gut hergerichtet und sind über schmale Plattenwege nebst Oleanderbüschen verbunden. Verschiedene Sportplätze sind vorhanden. Die Zelt- und Mobilheimwiese befindet sich auf einer weitgehend sonnigen Fläche. Sucht man den Schatten am Rande, wird man von Blutsaugern heftig attackiert, zumal dort das hohe Gras nicht gemäht wird. Die Sanitäranlagen sind dann schon eher sehr bescheiden – aber was braucht schon ein Nackter im Urlaub?

Sa 29.6. Ada Bojana
0 km | 0,0 km/h | 0:00 h | 0 Hm
W: bewölkt, sehr windig, max. ca. 23 °C
E (R Misko): Fischsuppe, Vorspeisenplatte m. Gambas, Tintenfischrisotto, Käse, Ww, Melone, Cafe 22,30 €
Ü: C Ada 8,40 €

Wetterpech an Ruhetagen – das kenne ich zu gut. verärgert Tradition verpflichtet und der ganze Tag war fast Wolke pur durch den Wind auch reichlich kühl. Windschutz gibt es zudem am aschgrauen Sandstrand kaum. Sobald die Wolkendecke sich ein wenig lichtete, konnte man es aber auch wieder gut ertragen. Nicht mal schlecht für einen nackten Strandspaziergang zum südlichen Flussdeltaarm, der die Grenze zu Albanien markiert. Ein Grenzübertritt ist hier zu Land nicht möglich. Das Spiel zwischen schaumigem Meer, stäubendem Strandsand, Ballett-tänzelnden Stelzwurzelbäumen und zu Skulpturen arrangiertem Zivilisationstreibgut bereitet meditative Spannungsmomente, die das Hektische, das Rastlose in Frage stellen. Der Radnomade grübelt, sind es nun die ruhenden Momente auf Reisen, die die großen Gefühle ausmachen oder sind es die bewegten Phasen dazwischen?

Das Strandrestaurant im Camp habe ich bei einer kleinen Speise am Mittag getestet – es ist in Ordnung, aber laut einem deutschen Campingnachbarn sollte man nicht zuviel erwarten. Den besondern Genüssen nicht abgeneigt, suchte ich daher an beiden Abenden bessere Fischrestaurant nahe bei auf, die vorzügliche Küche anbieten. Der stimmungsvollen Lage im Flussdelta muss die Sitzung auf den Terrassen abends entfallen, da es doch leicht windig und kühl wird und die leidlich bekannten Blutsauger auch hier vor Angriffen nicht zurückschrecken. Aber die von außen manchmal nur wie einfache Holzbuden wirkenden Restaurants verfügen im Innern über ein stets sehr stilvolles, ansprechendes wie meerestypisches Ambiente. Mit einer Russen-Disco, die nachts zum Camp herüber schallt, muss man manchmal bis zum frühen Morgen rechnen, aber nicht jede Nacht.

So 30.6. Ada Bojana – Ulcinj – Busat – Stari Bar – Zupci – Sutorman vrata (805 m) – Virpazar
91 km | 12,4 km/h | 7:18 h | 1405 Hm
W: teils sonnig, teils bewölkt, recht kühl, 18-24 °C
E (H): Fischsuppe, Salat, geb. Forelle, Kuchen, Rw
Ü: H Pelikan 43,50 € inkl. Essen/o. Fr.
B: Stara Maslina 1 €

Ulcinj – eine Hochburg der albanischen Bevölkerung in Montenegro – ist ein sehenswertes Städtchen mit einer bevorzugten Lage in einer geschützten Bucht. Während die offenen weiten Sandstrände südlich liegen, lagern mehrere kleine Felsbuchten mit kleinen, intimen, von Pinienbäumen beschirmte Nischenstrände vor dem südlichen Stadtrand und bereiten wohltuende Oasen, recht unbeeinflusst vom sonst hektischen touristischen Treiben. Die gepflegten und mit Süßwasserduschen ausgestatteten Plätze sind allerdings kostenpflichtig, wobei zu früherer Stunde ein kleines Bad noch ohne Kassierer möglich scheint. Nebst einem FKK-Strand gibt es auch einen Frauenstrand mit angeblich fruchtbarkeitsfördernder Schwefelquelle. Die Erfolgsquote des Badewassers ist bisher noch nicht ermittelt worden. schmunzel Der Zugang durch das männliche Geschlecht würde vielleicht die Fruchtbarkeit noch mehr steigern. lach (okay, das war jetzt Macho-Modus. unschuldig) Direkt an der Flaniermeile ist hingegen der völlig überfüllte Stadtsandstrand – die auf Zentimeter verdichtete Fleischbeschau vor der Silhouette von Minarett, großflügeligem Freiheitsdenkmal und Zitadelle – nicht ganz ohne widersprüchliche Kontraste aus Bademodenprüderie und erotischen Straßenoutfits.

Die nächste Passage verläuft zunächst hinter einem Hügel ohne Meersicht auf der Hauptstraße. Sobald die weitgehend unzugängliche Felsenküste umfahren ist, stößt man wieder ans Meer – die Straße oberhalb am Hang geführt, aber nicht ohne einige Auf und Abs. Nicht alle, aber doch einige Küstenabschnitte sind hier bedroht von unschöner Bautätigkeit, das Wort Verschandelung wäre aber übertrieben, zumal es immer noch weitgehend unbebaute Buchten gibt. Bar ist eine Stadt mit gewichtigem Industriehafen und großen Lagertanks für Treib- und Brennstoffe, die man auch gut aus der Ferne bei der Auffahrt zum Sutorman sehen kann. Ohne in die Neustadt einzufahren nehme ich Kurs auf Stari Bar, jene Ruinenstadt, die verschiedene Epochen vom Mittelalter an in sich vereint, gleichwohl mehrfach und zuletzt durch das Erdbeben 1979 endgültig zerstört. Leider kommt man durch die vielen Treppen und Brüche nicht mit dem Rad – auch nicht schiebend. Mangels Abstellmöglichkeit fürs Rad beschränke ich mich auf ein paar äußere Eindrücke an der Stadtmauer, wo sich auch zunehmend Restaurants und Bistros etablieren.

Eine wundersame wie auch einfach zu erreichende Sehenswürdigkeit liegt aber noch unmittelbar auf dem Weg nach Stari Bar. Es sind schlicht Ölbäume – etwas mehr als schlicht, denn Stara Maslina bezeichnet einen kleinen Garten dieser Ölbäume, deren mittig in herausgestellter Position und 10 m Durchmesser erreichender Veteran schon stolze 2000 Lebensjahre überschritten hat – also ein echter Zeitzeuge von Christi Geburt! Auskünfte über alte Zeiten gibt der Bäum aber nicht. Die Sprachlosigkeit, die sich Bäume angewöhnen, weil sie dem Treiben der Welt angewurzelt zuschauen müssen, macht auch vor deren weisesten Vertretern nicht halt. Fast möchte man meinen, dass das Schweigen dieses Olivenbaums noch tiefer klingt als das anderer Bäume, da die Geschichte der erlebten Tragödien so lang und unerträglich erscheint, dass man unweigerlich hier den Hut – sorry, in meiner Situation natürlich – die Mütze ziehen muss. Er (oder Sie?) darf sich als einer der ältesten Olivenbäume der Welt und als ältester Repräsentant der europäischen Baumzunft insgesamt vorstellen. Sein Altersbezug beträgt eine sozialstaatlich harmlose, gut verträgliche Lebensleistungsrente in Höhe von einem Euro (ergänzende Broschüre 3 €, saubere Toilette kostenlos) – die habe ich gerne gezahlt, braucht er nicht mehr auf die Lebenslügenleistung der deutschen Rentenpolitiker warten! schmunzel Der Olive – ein Symbol für Frieden, Wohlstand, Gesundheit, langes Leben, Lebensfreude und Liebe – ist in Stari Bar selbstverständlich ein jährliches Fest gewidmet (im Herbst). Der gepresste Fruchtsaft der silbrig glänzenden Bäume aus der Umgebung Bar genießt international hohes Ansehen.

Direkt von Stari Bar die Auffahrt zum Sutorman zu finden ist nicht leicht, wohl hätte ich im Idealfall weiter nach Bar einfahren müssen, um eine Ausschilderung zu finden. Die Topographie ist nicht einfach zu überblicken, den Weg erfragen war nahezu unmöglich. So bin ich letztlich auf einer nördlichen Nebenstrecke gelandet, die allerdings unrhythmischer verläuft und irgendwann in eine Piste übergeht. Es gibt hier wohl auch noch eine weitere MTB-Variante, die nochmal anders zum Sutorman verläuft. Die Sutorman-Straße ist mittlerweile dem Verfall preisgegeben, weil längst der Tunnel weiter nördlich den Transitverkehr abfängt. Ob diese Straße erhalten bleibt, hängt vielleicht auch davon ab, ob neue Bewohner sich dort niederlassen. Auch auf der Nordseite nach Virpazar sind deutliche Verfallszeichen zu sehen. Dort ist die in den Karten kleiner gezeichnete Parallelstrecke durch die fruchtbare Flussebene bedeutender geworden, wo die eine aufblühende Weinwirtschaft zu beobachten ist. Die Sutorman-Strecke bekommt von mir landschaftliche Bestnoten – sehr stimmungsvoll.

Mo 1.7. Virpazar – Rijeka Crnojevica – ? (? m) – Cetinje – Seostik (876 m) – Kosmac – Budva – Sveti Stefan/Praskvica
94 km | 12,5 km/h | 7:24 h | 1565 Hm
W: sonnig, 24-28 °C, am Seostik sehr windig
E (H/R Adrevic): Griech. Salat, gebrat. Fleisch, Reis, Gem. in Sahnesauce, Rw 26 €
Ü: C Crvena Glavica 6,50 € (kalte Du.)

Kaum weniger eindrucksvoll als die Seeroute nach Süden ist die Flussdeltaroute nach Rijeka Crnojevica. Zwar fährt man häufiger auch ohne Sicht auf die kleine Bucht bzw. den Fluss Crnojevica, jedoch sind die Ausblicke auf die Zuckerberge hier von solch eindrücklicher Schönheit, dass man glauben möchte, hier wurde Landschaft von geübten Architekten modelliert, die auch in der Phang-Na-Bucht Thailands gearbeitet haben müssen. Die schimmernden Wasserspiegel scheinen kalkuliert die Augen des Betrachters blenden zu wollen, sodass er nicht alle Farbtöne erahnen möge, die diese Ausblicke zu anderen Tageszeiten bereithalten. Der Besucher soll zum Verweilen, zur Wiederkehr gezwungen werden. Hier wird dem Touristenspion heimlich Opium ins Auge geträufelt, dessen betörende Wirkung nachhaltig benebelt. Manche Wasserfläche verschwindet auch gänzlich unter den Seerosenblattteppichen – eine scheinbar dezidiert geordnete Blattknüpfung, wie sie man nur von perfekten Teppichweberinnen aus dem Orient erwarten dürfte. Es würde auch nicht wundern, wenn die Sage, dass Christus über das Wasser gelaufen sei, hier erdacht worden wäre, da man sich geradezu verführt fühlt, die Wasserflächen über die Blätter zu betreten.

Ja, und dieser Ort illuminierender Schönheit ist gleichwohl ein Ort des Grauens, eines bestialischen Krieges – ein Ort des offenen Kannibalismus. Der Asphalt ist übersäht mit Heuschrecken – mit platt gedrückten, ausgesaugten Chitinpanzern und klebrigen , eiweißhaltigen Weichteilresten, die in der heißen Sonne dahinschmelzen und gerinnen, sodass sie eine hervorragende Dichtungsmasse für schlecht geflickte Fahrradreifen abgeben. Der Tod kommt nicht durch die Autos, derer es hier viel zu wenige gäbe, als dass sie den Massenexodus der grünen, gelben und braunen Winkelbeinweitspringer veranlassen könnten. Nein, sie überfallen sich gegenseitig – wohl nicht selten mit der liebreizenden Absicht und Ausführung der Kopulation, der aber geradezu hinterhältig die martialische Fressgier folgt, als unterlägen sie einer Verwechslung der den Grashalmen verwirrend ähnlichen Farben ihrer Artgenossen. Der Angefressene erlebt sein Schicksal bei vollem Bewusstsein, indes ihm manchmal gelingt sein Leben mit reduzierter Körpermasse als Diätheuschrecke fortzusetzen – wohl aber nur kurz. Dieser Heuschreckenkrieg ist hier ebenso Teil der Natur wie die verfänglichen Zierbilder der Ausblicke. Oh du grausame Schönheit!

Nach mehreren Auf und Abs erreicht man die Flussebene bei Rijeka Crnojevica, zugleich immer noch See, da keine Gefälle dazwischen. Ausflugsboote für Nationalparkexkursionen kann man auch hier mieten. Fisch ist frisch dürfte die Losung des Ortes mit seinen zwei Brücken lauten, von deren die ältere Postkartenkultstatus genießt. Ich fotografiere mit den letzten Zuckungen meiner Kamera das Steinbogendenkmal, und muss mir folgend die Landschaft noch stärker einschärfen, da ohne Bilddokumentator. Ich fahre komplett die alte Straße nach Cetinje, eine vielfach steile Passroute, von der der untere Teil noch mit wenigen Autos geteilt werden muss, bis zur Verzweigung zur nahe heranrückenden neuen Straße von Podgorica nach Cetinje. Ebendort kann man auch eine dritte Variante durch Weiler und kleine Dörfer antreten – sie führt zunächst in die Talmulde und stößt im oberen Teil wieder auf die alte, aber mittlerweile stark verfallen Passstraße. Die Mischung aus karstigen Felswelten, weiten Ausblicken, Schmetterlingen und Blumenschönheiten macht diese Strecke zu einem Hochgenuss, der allerdings mit viel Schweiß erkauft werden muss.

Eine schattige Oase liegt unmittelbar vor der der Einmündung auf die neue Straße, aber eben noch an der alten, mit einem guten Restaurant und großer, besser: großartiger Aussichtsterrasse. Ein solch außergewöhnlich exponierter Platz wäre in den bayerischen Alpen so überlaufen, dass Weißwürste nur noch in Stehplätzen einzunehmen wären. Hier aber scheint das Ende der Welt zu sein – immerhin, bin ich nicht ganz der Einzige. Bei der Hitze tut gut ein Gericht wie Melone mit Schinken – herzhafte Frische, der Geschmack eines alten Kindheitssommertraums. Ich bekomme noch einen Tipp für ein Fotogeschäft in Cetinje, das sich aber nur als Postkarten- und Bilderrahmenladen erweist. Überhaupt enttäuscht mich Cetinje besonders bei diesem ersten Besuch, von einer royalen Pracht der ehemaligen Königsstadt ist nichts zu sehen und zu spüren – vielleicht mal abgesehen von recht breiten, planquadratischen angeordneten Straßenzügen. In der gerade aufgerissenen Straße im Zentrum wiegt die ermattende Mittagshitze noch schwerer. Der geringste Verlust an sehenswürdiger Strecke führt nach Budva, um hoffentlich eine Ersatzkamera dann zu erwerben. Tatsächlich ist die Strecke zwischen Cetinje und der Passhöhe Seostik eine recht belanglose bis trostlose, wenig aufregende Karst- und Buschlandschaft mit einer Zwischenmulde, nach der ich mich auf der recht stark befahren Straße zäh und mit bissigem Gegenwind zur Passhöhe quäle (nicht so steil, jedoch unangenehm).

Auf den Serpentinen zur Budva-Bucht hinunter hat man jenen Urlaubsblick, von denen die meisten Sommermeerestouristen träumen dürften: Blaues Meer, von einer großen Bucht mit Stränden und Häfen mit Luxusjachten umschlossen, zahlreichen Hotels wie auch Hotelschiffen auf dem Wasser und einer pittoresken Altstadthalbinsel unter roten Dachziegeln wie aus dem Meer für das Auge des Betrachters geboren. Soviel Schönheit zieht natürlich Publikum an – jeder möchte an die schönen Orte und jeder braucht sein Bett, seinen Autostellplatz und seinen Strandschirm – naja, nicht jeder, aber viele wollen es so. Und dafür wird hier kräftig gebaut. Meine angespannte Situation mit dem Kameradefekt macht mich mürbe, genießen fällt mir schwer und ich habe nur das Ziel im Menschen- und Autogewirr einen Fotoladen zu finden. Aber ich komme ja nochmal wieder – für die Schönheiten. Nach gelungenem Erwerb einer Ersatzkamera kam ich wieder auf Normalpuls, musste aber wegen einbrechender Dämmerung wiederum Gas geben, um noch den ersuchten Campingplatz zu erreichen. Ein Kellner vom Terrassenrestaurant ist gleichwohl radbegeistert und muss mein Rad bemustern. Ihm wird gleich klar, dass es noch gewisse Unterschiede zwischen Produkten deutscher Radmanufakturen und dem montenegrinischen Veloladenangeboten gibt.

Di 2.7. Sveti Stefan/Milocer
0 km | 0,0 km/h | 0:00 h | 0 Hm
W: sonnig, ca. 30 °C
E (R ?): Rw, Salat, gegr. Tintenfisch, Früchte-Eisbecher 28 €
Ü: C Crvena Glavica 6,50 € (kalte Du.)

Der zweite Ruhetag folgte durch die Routenänderung in kürzerem Abstand zum ersten als geplant, doch wollte ich mein Konzept beibehalten. Das Camp – wie schon erwähnt mit spartanischer Ausstattung – liegt mit schönen Nischenplätzen direkt über dem Meer, das man aber unmittelbar vom Platz nicht oder kaum sieht. Der Strandzugang war durch einen Erdrutsch erschwert. Ist man erst mal an dem Strandabschnitt – teils Kies, wenig Sand – mehr Felsbrocken, mit direkten Blick auf die Insel Sveti Stefan – ein Luxuskleinod – eigentlich reicht der Blick auf das klein Inselchen, denn der ist das, was in die Hochglanzprospekte sicheren Eingang findet. Wer dort wohnt, hat diesen Blick nicht – es gibt also hier für weniger als 10 Euro mehr als dort drüben für bis 2000 Euronen. So ungerecht ist Luxusleben – die Reichen haben das Geld, die Armen den Traumblick. schmunzel

Der Strand ist nackt nutzbar, richtig abgegrenzt ist nichts, dafür versperrt ein mächtiges Felstor den trockenen Übergang zum Nachbarstrand mit Apartments dahinter und direkt gegenüber Sveti Stefan. Eventuell entsteht etwas südlicher, wo ein Fahrweg bis ans Meer reicht, eine Fischerkneipe – so richtig weiß das aber wohl keiner. Das einst vorhandene Strandbistro, wo auch Grillfisch angeboten wurde, ist verfallen – ob aus wirtschaftlichem Misserfolg heraus oder nur wegen des Erdrutsches, bleibt unklar. Besonders emsig scheint man nicht am Wiederaufbau interessiert zu sein. Schade. Auf dem Camp wird auch gebaut – allerdings ohne zu stören, eher ein kleiner Bau, wohl ein Privathaus, keine Apartmentanlage.

Zu später Stunde erfüllt das Lichtermeer von Budva mit Discolasern den Nachthimmel. Die Musik ist laut genug, auch noch hier gehört zu werden – es muss aber schon der Wind eher günstig stehen – Ruhe ist also meist gesichert. Milocer (mehrere Restaurants, Hotels, Apartmenthäuser, kleine Läden/Supermarkt) bleibt recht beschaulich, auch wenn die Speisekarten sich mehr an Serben und Russen richten als an Montenegriner oder Westeuropäer. Es hat auch seinen Vorteil, eine Luxusinsel sein Gegenüber zu nennen – da wird weniger heftig gebaut und gedudelt.

Mi 3.7. Sveti Stefan/Milocer – Petrovac – Poljice (665 m) – Gornji Brceli – Utrg – Seostik (876 m) – Kosmac – Budva – Budva-Jaz
75 km | 11,6 km/h | 6:28 h | 1535 Hm
W: sonnig, ca. 30 °C
E (R Kiki): Tintenfischrisotto, Njesgu-Steak, Bier 23,30 €
Ü: C Jaz 6,80 €
B: Citadelle Budva 2 €

Nimmt man die Trubelzentren von Budva und Ulcinj sowie die Industriestadt Bar als Maßstab für die gesamte Magistralenküste, dann begeht man kräftiges Unrecht. Gewiss, mit Verkehr ist zu rechnen, aber erstaunlich ruhig wirken die sogar touristisch gut besuchten Orte an der Küste. Selbst das angeblich überlaufene Hafenstädtchen Petrovac gibt sich morgens recht verschlafen – unklar bleibt, ob der ganze Plastikspielkram genügend Käufer findet. Erst recht – so ist auf der aussichtsreichen Auffahrt zum Polijce-Pass zu sehen – sind die südlich liegenden Küstenstreifen noch nahezu unberührte Ruheflecken.

Zu den Radel-Geheimtipps zählt sicherlich die Querroute über Utrg zwischen den beiden Verbindungsstraßen Petrovac – Virpazar (bereits entlastet durch den Tunnel) und Budva – Cetinje. Das kleine Sträßlein windet sich mal durch schattige Wäldchen, klettert mal heftig in offener Sonne nach oben, bietet mal weite Blicke in hügelumsäumte Zwischentäler und durchstreift mal kleine Dörfer, die von landwirtschaftlichem Kleinanbau leben. Es besteht sogar – ebenfalls asphaltiert – Anschluss an die Honigroute zur Passstraße Rijeka Crnojevica – Cetinje, wohin es zwei Abzweige gibt (Ovtocic, Prekornica, auch als Rundkurs fahrbar).

Besonders geschickt war meine Routenänderung deswegen, weil ich mit der Einmündung auf die Seostik-Straße kurz vor der Passhöhe erneut die Gelegenheit bekam, die Panoramafahrt in die Budva-Bucht zu wiederholen – diesmal aber mit funktionierender Kamera. So ist denn auch mein zweiter Besuch von Budva von ausgeglichener Gelassenheit und wohl gestimmter Muße geprägt. Ich begebe mich sogar auf den dichten Stadtstrand direkt zu Füßen der Zitadelle, um dem Volkstrieben ein wenig zuzuschauen. Der Bummel durch die Gassen ist mit dem prall gefüllten Leben nun ein Genuss, jede Ecke hält ein Kleinod bereit. In der Bibliothek der Zitadelle spüre ich den leichten Sommerwind durch die Fenster, während meine Blicke verklärt über die historischen Landkarten des alten Montenegros wandern.

Nach Jaz, zur nächst größere Nachbarbucht, ist es nur einen kleine Hügel weit mehr – allerdings bei starkem Verkehr (direkt bei Budva gibt es nur kleine, stark besuchte Felsbuchten). In Jaz ist Platz! Der weite Strand wird tagsüber wohl gut besucht, abends ist das Interesse bescheiden, das Nachtleben von Budva scheint zu verlockend. Die große Campingwiese hier unter Espenlaub wirkt ein bisschen langweilig wie in einer Flussaue im deutschen Binnenland, das Meer versteckt sich hinter dem Promenadenschutzwall. Die spartanische Sanitäreinrichtung des Camps ist noch ausbaufähig und vom Jetset-Ambiente des nahen Budva mehrere Putin-Einheiten entfernt. Die Restaurants sind abends nur schwach besucht, die Qualität aber sehr ordentlich. Noch ein später Strandspaziergang – weiches Meerwasser am nackten Fuß bei Mondlicht – die Augenblicke sind selten auf der Reise – ich weiß, wieder zu wenig Muße für mehr Meer – der ewig Zweispalt zweier Lieben – Berge und Meer. Zeit ist kostbar, Momente sind es noch mehr.

Bildergalerie zu Kapitel IV (139 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: Tigram

Radtransport im Flugzeug - 10.12.13 22:23

Ich bin im Juni von Olbia(Sardinien) nach Stuttgart zurückgeflogen und habe mein Rad NICHT verpackt und es ging!!! Ich habe nur den Lenker quergesetzt, die Luft etwas abgelassen und mein Rad war nicht beschädigt.
von: Tigram

Re: Radtransport im Flugzeug - 10.12.13 22:44

Und DANKE für den sehr informativen Bericht. Da ich im Mai 2014 auch in der Gegend unterwegs sein werde, waren mir deine Infos sehr nützlich. Danke, super Bericht!!
von: Tigram

Re: durch die 10. Tür weht laue Sommerluft - 10.12.13 22:58

Und in "Jaz" war ich 1978 - der Campingplatz war damals schon eine "Katastrophe". Es hat sich wohl nicht sehr viel geändert. Aber die Landschaft entschädigt doch alles....
von: veloträumer

die 11. Tür engelsgleich - 10.12.13 23:05

KAPITEL V
Kotor-Bucht und Lovcen-Berge: Pittoreske Küstenorte, beschauliches viva maritima, Spitzkehrenolympiade, Felsenlabyrinth und ein Dichterfürst über den Wolken

Wie kein anderer vermag Renaud Garcia-Fons Kulturen und Atmosphären rund um das Mittelmeer in imaginäre Folklore umzusetzen. Mit katalanischem Hintergrund und in syrischer Musik geschult, versteht der Pariser Kontrabassvirtuose immer wieder den Bogen von der maurischen Tradition des westlichen Mittelmeeres bis über den Bosporus hinaus zum Nahen und Mittleren Osten scheinbar grenzenlos zu spannen. Auch gut geeignet um die Meeresstimmungen der Kotorbucht zu reflektieren und das Nachbarland anzusteuern: Renaud Garcia-Fons „Oriental bass“ (6:39 min.).

Do 4.7. Budva-Jaz – Tivat – Lepetani – Kotor – Krstac (945 m) – Njegusi – Cekanje (1248 m) – Cetinje
87 km | 11,9 km/h | 7:18 h | 1335 Hm
W: heiter, schwül, später bewölkt, Lovcen-Straße windig, max. ca. 30 °C
E (R im Zentrum): Grillteller, PF, Gem., Rw, Eis, Cafe 17,30 €
Ü: PZ 20 € o. Fr.

Fr 5.7. Cetinje – Ivanova Korita – Jezerski Vrh (1565 m) – Krstac (945 m) – Kotor – Perast – Risan – Donji Morini – Bijela – Zelenika
100 km | 14,1 km/h | 7:03 h | 1165 Hm
W: sonnig, bewölkt, windig, in der Boka heiß, nachts min. 27 °C, heißer Wind
E (R Moretto): Kalbsmedaillons, Reis, PF, Salat, Bier, Cafe 14 €
Ü: C Zelenika 7 € (kalte Du.)
B: Mausoleum Njegosev 3 €

Die Boka-Runde

Die Kotor-Bucht – Boka kotarska, kurz Boka – ist eigentlich mehr als eine Bucht – es sind mehrere Buchten bzw. ein verzweigtes System von Meerarmen – ein Fjord. Die Seeschiffe fahren bis in den letzten Winkel, den weitest entfernten Punkt vom offenen Meer – bis nach Kotor. So liegen in der engen, steil von den Lovcen-Bergen umragten Kotorbucht i.e.S. mit der pittoresken Altstadt und seinen an den Hang heraufgezogenen Festungsmauern riesige, der binnenseeähnlichen Stimmung unpassend überdimensionierte Hotelschiffe des internationalen Kreuzfahrtzirkus’. Wer die Boka beradelt, steht vor der Frage, alles oder nur einen Teil – was lohnt, was nicht?

Kurz: Abkürzungen zu fahren sind Frevel. Allein um die verschiedenen Stimmungen dieses kleinen Binnenmeeres einzufangen, braucht man Zeit – wohl bin ich noch viel zu schnell gewesen. Was der Rest von Montenegro nur selten zu bieten hat, gibt es hier im Übermaß: pittoreske Orte mit typisch dalmatinischem sprich venezianischem Charme. Die betriebsamen und größeren Orte Herceg Novi und Tivat als die beiden Eingangstore zur Boka-Rundfahrt gehören ebenso zu den Perlen, wie die stilleren Flecken Perast, Orahovac, Muo, Prcanj, Donje Stoliv, Donja Lastva oder die beiden Inseln Sveti Dorde und Gospa od Skruplje. Jedes unvollendete Bilderbuch wird hier die weißen Seiten problemlos füllen können.

Kotor selbst vermittelt eine ganz andere Atmosphäre als Budva, das Hippe und Glamouröse fehlt hier gänzlich – soweit es die Touristen hineintragen, verschlucken es die engen Häuserschluchten und werden organischer Teil des Stadtbildes. Da auch jenseits der Stadtmauern der Platz fehlt, gibt es kaum internationale Shops und Hotels, stattdessen sorgen kleine Läden, Restaurants und Ateliers für heimelige Winkel. Wer in der Stadt wohnt, tut es in engen Mauern, Gepäck wird per Lastenrad transportiert, Autos sind ausgeschlossen.

Die Boka über die offizielle Magistrale abzukürzen, wäre die schlechteste Routenwahl, wenn man auswählen müsste. Die Magistrale verläuft nicht durch Kotor, sondern von Herceg Novi über die Fähre zwischen Kamenari und Lepetani via Tivat weiter nach Budva. Dabei ist die Strecke zwischen Jaz und dem Flughafen Tivat die langweiligste – auch ohne Meersicht, aber auch keine echten Berge. Auch wenig reizvoll, aber mit Bindung zum Meer ist die Strecke zwischen Kamenari und Herceg Novi. Dabei kann man auf die Küstenpromenaden ausweichen, was aber nicht zu empfehlen ist, weil das Menschengedränge ein Vorankommen nur schwer zulässt.

Der geringst besiedelte und daher die meiste Ruhe verströmende Teil liegt zwischen Kamenari und Risan. Zwischen Risan und Kotor sind die Orte dichter, etliche Buchten werden bereits intensiver zum Baden genutzt, Massentourismus gibt es aber auch hier nicht. Zwischen Donji Orahovac und Kotor nimmt der Badebetrieb an den kleinen Mauerstränden zu. Weitgehend besteht eine Fahrstraße unmittelbar am Meer parallel zu der Hauptstraße, die etwas oberhalb liegt. Es lohnt diesen Fahrweg auch zu nutzen, auch wenn man mal etwas langsamer wegen der Strandgäste radeln muss. Mir persönlich hat die Strecke zwischen Kotor und Tivat am besten Gefallen, weil sich die kleinen, heimeligen Dörfchen mit Kirchtürmchen, roten Ziegeldächern, südländischen Zypressen und bunten Oleanderbüschen wunderbar mit den stillen, lieblichen Meeresstimmungen und den fast bedrohlichen, majestätischen Lovcen-Berghängen in perfekter Symbiose verbinden. Dabei ist die Strecke zwischen der Fähre bei Lepetani und Kotor für LKWs gesperrt, also überraschend ruhig, für den Rest nach Tivat gibt es wiederum eine meergebundene Fahrwegalternative.

Die Lovcen-Runde

Wer die komplette Lovcen-Runde an einem Tag fahren möchte, sollte das vielleicht am besten von Kotor aus tun. Von Cetinje aus ohne die Serpentinenstraße würde man ein echtes Highlight ausblenden. Die doppelte Beradlung der Lovcen-Serpentinen ist auch keineswegs langweilig – abwärts darf man genießen, was man aufwärts genauer in Augenschein genommen hat. Sicherlich muss man nicht die Runde komplett fahren, denn beide Strecken zwischen Krstac und Cetinje führen durch ein eigentümliches, für den Lovcen typisches Felsenmeer aus Karstgestein. Dabei ist letztlich die südliche Nationalparkroute die eindrucksvollere, die man noch durch eine sportliche Bergfahrt aufpeppen kann – zum Mausoleum zu Ehren des Fürstbischofs und Nationaldichters Petar II Petrovic Njegos, dessen Geburtshaus in dem Schinkenort Njegusi steht. Das pathetisch überdimensionierte Denkmal lohnt nur, wenn man noch mehr Aussicht haben möchte – eigentlich ist das aber schon mit der Serpentinenauffahrt zuvor ausreichend abgedeckt. Zum Mausoleum zahlt man Eintritt, während der Rest der Lovcen-NP-Straße für Velos frei ist, Autos zahlen Maut. Die Lovcen-Runde ist nirgendwo flach, also immerzu anspruchsvoll, wobei die aufsteigenden Serpentinen aus der Kotorbucht martialischer wirken als sie sind. Hingegen könnte man die Auf und Abs in der Lovcen-Höhe unterschätzen. Neben der bereits beschrieben Anfahrtsmöglichkeit vom Skadarsee gibt es auch noch eine einsame Nordanfahrt vom Slansko jezero bei Niksic, die ebenfalls durch ein Felsenmeer führt – soweit mein Auge das überblicken konnte.

Unterkünfte finden sich in Ivanova Korita (Bed-&-Bike-Betrieb, Skiresort), Njegusi (u. a. größeres Hüttencamp) und Cetinje – Selbstversorgung ist nur in beiden letzteren Orten möglich, in Cetinje gibt es auch einen gut bestückten Markt. Das berühmte Rauchfleisch, den Schinken und Käse aus Njegusi bekommt man natürlich nicht nur dort, aber in Njegusi gibt es viele Eigenvermarkter, meistens gibt es auch noch selbstgemachte Schnäpse in der Auswahl und hier ist es leichter, ein Schwätzchen zu halten. Weitere Esslokale gibt es am Krstac-Pass und nochmals etwas abseits und oberhalb von Njegusi. Ein Motel-Schild irritiert kurz vor der Abfahrt nach Cetinje einsam an der Straße. Unten befindliche Hütte ist nicht mehr als ein Picknickplatz mit einer Junggesellen-Küche und wohl ein paar Hüttenschlafplätzen – vielleicht eine Option für Selbstversorger, scheint mir aber etwas dubios. In Ivanova Korita findet sich nebst bereits bestehendem Gastbetrieb und dem neu gebauten, noch nicht im Betrieb befindlichen 5-Sterne-Hotel eine kleine Nationalparkverwaltung mit Karten, Souvenirs und Infos. (Für Gruppen können wohl auch Video-Präsentation gebucht werden). Direkt gegenüber dem Hotel ist auch der einzige Brunnen auf der gesamten Lovcen-Runde zu finden.

Bildergalerie zu Kapitel V (132 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Radtransport im Flugzeug - 10.12.13 23:15

In Antwort auf: Tigram
Ich bin im Juni von Olbia(Sardinien) nach Stuttgart zurückgeflogen und habe mein Rad NICHT verpackt und es ging!!! Ich habe nur den Lenker quergesetzt, die Luft etwas abgelassen und mein Rad war nicht beschädigt.

Solche Erfahrungen habe ich auch schon, weil ich bei Rückflügen mit einer Ausnahme noch nie verpackt habe. Es verbleibt aber immer eine Restrisiko abgewiesen zu werden, weil die Bestimmungen eben anders sind. Da ich eine negative Service-Entwicklung beobachte (nicht nur im Flugverkehr), werde ich auch immer ängstlicher, dass es eines Tages nicht mehr klappt. Gibt leider hier im Forum auch immer wieder Leidberichte darüber.
von: Juergen

Re: Das 2. Türchen - 11.12.13 15:40

Hallo Matthias,

vor ein paar Jahren war ich in Dubrovnik und musste weinen, als ich in dem kleinen Museum im Sponza-Palast stand, in dem Bilder der zerstörten Stadt und der Toten zu sehen sind. Ich war sehr bedrückt über meine Unkenntnis der Jugoslawienkriege, die ich nur wenig in meiner damaligen beruflichen Situation auf dem Schirm hatte peinlich Jetzt bin ich wieder gerührt über Deine sehr persönliche Er-Fahrung, die mich an meine damaligen Eindrücke in Kroatien auf dem Weg nach Griechenland erinnert. Ich danke dir dafür ganz herzlich.
Dass das Vergessen des Krieges im Vordergrund steht, kann ich bestätigen. So erzählte mir meine Zimmervermieterin, dass der Krieg Geschichte und damit Vergangenheit sei. Basta!
Das habe ich mit den Erlebnissen unserer Mütter und Väter verglichen, die sich auch erst Jahre später, wenn überhaupt, mit ihrer Rolle im dritten Reich auseinandersetzten konnten und damals nur vergessen wollten.

Herzlichen Dank für Deinen Bericht, der mich allerdings vielfach an meine Grenzen bringt schmunzel

Gruß
Jürgen

ps: die Helden meiner Kindheit werden heute 50 Jahre alt lach und konnten mir auf einem Ritt gegen die Bora auch nicht helfen
von: veloträumer

Re: Das 2. Türchen - 11.12.13 19:15

In Antwort auf: Juergen
vor ein paar Jahren war ich in Dubrovnik und musste weinen, als ich in dem kleinen Museum im Sponza-Palast stand, in dem Bilder der zerstörten Stadt und der Toten zu sehen sind. Ich war sehr bedrückt über meine Unkenntnis der Jugoslawienkriege, die ich nur wenig in meiner damaligen beruflichen Situation auf dem Schirm hatte peinlich Jetzt bin ich wieder gerührt über Deine sehr persönliche Er-Fahrung, die mich an meine damaligen Eindrücke in Kroatien auf dem Weg nach Griechenland erinnert.

Mir geht es nicht viel anders, mir waren die Fronten in den Ex-Jugoslawien-Krieg manchmal einfach nur zu widersprüchlich und kompliziert, sodass ich manches ausgeblendet hatte, obwohl ich zu dieser Zeit internationale politische Wissenschaften studiert hatte. Eher habe ich andere Themen gesucht innerhalb der EU oder außerhalb in der Welt. Ich erinnere mich auch eines (auswärtigen) Dozenten, der mal davon sprach, dass Urlaub in Kroatien billig sei und er dahin gefahren sei, da keiner hin wolle, weil im Hinterland gerade Krieg sei, nicht aber an der Küste. Damals fand ich das cool, heute denken ich da etwas anders.

Auch auf meiner 2003er-Reise habe ich mich kaum mit den Kriegshintergründen beschäftigt, da bin ich ja mehr oder weniger auch nur durch das touristische Blendwerk gefahren. Natürlich habe ich ich im Angesicht der zerschossenen Häuser auf dem Weg nach Plitvice oder in der Ervenik-Region schon die "Warum?"-Frage mit einer gewissen Gänsehaut gestellt, aber das zog schnell vorbei. Tatsächlich muss man die Wunden, die man sieht, auch mal hinterfragen. Die Reise ist allerdings nur ein kleiner Gedankenkreis um die Probleme - ein paar Denkanstöße, ein paar Kommentare - keine Kriegsaufarbeitung. Es bleibt letztlich eine Radreise, in der alles etwas flüchtig behandelt wird.

Ebenso liegt mir aber auch an der Aufbruch-Vision, wie es eben unter dem Etikett "Via Dinarica" formuliert ist. Es ist auch nie klar, ob eine gute Aussöhnung und Versöhnung eine gute Grundlage zum Aufbau eines Landes wird. Südafrika ist z.B. ein tragisches Beispiel dafür, wie trotz einer fast idealen Form von Versöhnung eine ungünstige soziale Entwicklung eingetreten ist, indem soziale und wirtschaftliche Asymmetrien zu neuer Gewalt mit neuen Trennlinien zwischen sozialen und ethnischen Gruppen geführt haben. Insofern könnte ich mir auch vorstellen, dass ein positive ökonomische Entwicklung innerhalb der EU auf den Balkan manche Schuld ungefragt hinwegspült - also zuerst einmal die Wohlstandsmehrung wichtig ist. Auch die Geschichtsaufarbeitung in Deutschland entwickelte ihr selbstkritisches Bewusstsein erst richtig nach der ersten Wirtschaftswunder-Nachkriegszeit, sprich nach der Adenauer-Zeit. Die Adenauer-Zeit war eine Ära, in der vieles vertuscht und verdrängt wurde. Trotzdem wurde die deutsche Nachkriegsgeschichte auch zu einem Vorbild für Friedensentwicklung. Vollendet werden konnte sie aber nur durch die Schuldeingeständnisse später - z.B. wie durch Brandts Kniefalll von Warschau oder den endgültigen Verzicht der Ostgebiete oder die Enttabuisierung der Judenvernichtung im Bürgertum durch die 1968er-Bewegung.
von: veloträumer

12 Tore nun schon - 11.12.13 23:06

KAPITEL VI
Multikulturelles Intermezzo in der Herzegowina: Sehenswerte Städteperlen zwischen Ruinen und Aufbruch, fruchtbare Poljen, schäumende Wasserspiele und liebliche Weingärten

Wohl ist die Mostar Sevdah Reunion mehr als nur eine Band, vielmehr ist sie ein Symbol für Versöhnung und Aufbruch der einst kriegsgebeutelten Stadt an der Neretva. Sie versucht der Stadt Mostar wieder zu einem lebenswerten, fröhlichen akustischen Gesicht zu verhelfen. Dragi Sestic, selbst Vertriebener und immer noch darunter leidend, belebt mit seiner Band den Sevdalinka- Stil, ein wohl auf das Mittelalter zurückgehende Musik, die ihre Wurzeln in arabischer Liebeslyrik hat. Dieser schwermütige Balkan-Blues steckt voller Melancholie, die in vertonten Gedichten aus der guten alten Zeiten Mostars stecken – in der Hoffnung, dass diese wiederkehren mögen. Obwohl ich Mostar um einige Kilometer entfernt umfahren habe, findet sich in diesem Bandprojekt der Geist des Via Dinarica kaum mehr wieder als irgendwo sonst: Mostar Sevdah Reunion „Cudna jada od Mostara grada“ (8:23 min.).

Sa 6.7. Zelenika – Herceg Novi – Kameno – Javor (839 m) – Trebinje – ? (605 m) – Mosko (Motel) – Bileca
80 km | 11,4 km/h | 6:58 h | 1465 Hm
W: sonnig, bewölkt, leichtes Gewitter, 24-29 °C
E (R Jezero): Steak m. Käse/Champ., PF, Gem., Ww, Eis Bananasplit, Cafe 32,50 KM
Ü: C wild 0 €

Die Nacht auf dem spartanisch ausgestatteten Camp in Zelenika war eine Vorgeschmack auf das Fegefeuer: Vom Meer rasten heftige Windböen auf das Land, die heiße Saharaluft mit sich trugen. So konnte man schon aus mehrfachen Gründen die Nacht nicht schlafen, sank das Thermometer nicht unter 28 oder 27 °C, zerrte der Wind am Zelt wie ein Wolfsrudel, fiel immerzu ein Schein der hellen Campinglichter durch die Feigenbaumdächer und – als wäre das noch nicht genug – blieben die Moskitos die ganze Nacht auf Blutbeutezug, da der Wind wohl auch ihnen die Nachtruhe geraubt. böse

So erklimme ich nach der Besichtigung von Herceg Novi und einem Abschiedskaffee auf Montenegro die Binnenberge nicht nur bei schweißtreibenden Temperaturen, sondern auch mit einem ziemlich ermatteten Körper und Geist. In Kameno kann man nochmal ein paar Kleinigkeiten erwerben – vor allem hier und jetzt ein Eis! Die Straße nach BiH ist relativ schwach befahren und führt alsbald durch typischen Oberflächenkarst, die das Orjen-Massiv hier aufgeworfen hat. Das Orjen scheint dem Lovcen ähnlich zu sein – ob jetzt wirklich eine nähere Beradlung und Erwanderung gelohnt hätte, ist von dieser Straße her nicht einzuschätzen. Eine Einmündung einer richtigen Straße aus dem Orjen, letztlich vom Orjen Sedlo kommend, wie auf den Karten verzeichnet, habe ich auf der Herzegowina-Seite nicht gesehen. Was ich gesehen habe, waren allenfalls ruppige Pisten, die Bergbauern dienen könnten, aber nicht einer touristischen Erkundung.

Der heutige und auch noch ein Teil des nächsten Tages führt durch die Herzegowina, der verwaltungstechnisch zur Republik Srpska gehört. Auffällig wird man an der Grenze in der „Republik Srpska“ willkommen geheißen, einschließlich serbischer Beflaggung – nicht in Bosnien-Herzegowina, dessen Staatssymbol gänzlich fehlt! Die serbische Prägung spürt man in der zurückhaltenden, eher ruhigen Atmosphäre auch in den größeren Orten (Bileca, Trebinje – wie auch schon anfangs der Reise in Foca), während sich die muslimischen und kroatisch geprägten Teile der Herzegowina sich lebendiger und „südländischer“ geben. Landschaftlich gelangt man zunächst in eine weichere Hügellandschaft mit teils weiten flachen Feldern und Wiesen.

Trebinje strahlt eine lebenswerte Atomsphäre aus durch großzügige Freizeiteinrichtungen (Bad, Park) und die idyllischen Plätze am allseits spiegelnden Fluss mit Terrassencafes und überhängenden Weiden, der kleinen Altstadtkulisse, in Berghöhen eingebettet, die von schmucken Festungen, Klöstern und Kirchen bestückt sind, sowie nicht zuletzt durch eine pittoreske Bogenbrücke (Arslanagica most) etwas außerhalb. Die Brücke hat man dem selben Mehmet Pasa Sokolovic zu verdanken, der auch jene Drina-Brücke in Visegrad in Auftrag gab, die zur Romanvorlage von Ivo Andrics Werk „Die Brücke über die Drina“ wurde. Die sonnendurchfluteten Hänge begünstigen Weinbau und guter Trank und feine Speisen lassen sich die besseren Kreise bereits sichtbar in entsprechend gepflegten Lokalen schmecken. Das beeindruckende Stadtpanorama verdankt man auch dem riesigen Friedhof, dessen Tote ja bekanntlich nicht alle eines natürlichen Todes gestorben sein dürften. Friedhofskultur zugleich als Landschaftsmerkmal wie als Mahnmal.

Der Übergang zum Bileca-See ermöglicht vom aufsteigenden Karsthang jenes weite Stadtpanorama, aber auch einen schönen Blick in das Trebisnjica-Tal, dem man weiter folgen könnte über einen Pass nach Niksic in Montenegro. Zum Bileca-See ist nur eine mäßige Zwischenhöhe zu erklimmen, mitten auf der Strecke liegt einzeln ein recht einladendes Motel (Mosko). Es öffnen sich sodann mehrere Seeblicke, inmitten findet sich eine kleine Insel mit orthodoxer Kirche. Man gelangt schließlich auf Seehöhe hinunter, umfährt den See nebst Steinbruchabbauhalden, passiert ein Fischlokal, das wohl schwer um wenige Gäste kämpfen muss und gewinnt wieder an Höhe, um zur Stadt Bileca zu gelangen, die oberhalb des Sees liegt. Mein Abendmahl finde ich gelungen direkt vor den Toren der Stadt, anbei ist gleich ein Picknickplatz samt Wiesenquelle, an dem mein Zeltgrund mit Seeblick jeden 5-Sterne-Camp schlagen würde. schmunzel

So 7.7. Bileca – Plana – Divin (648 m) – Berkovici – Prevorac (542 m) – Vrelo Bregave – Stolac – Stolovi (424 m) – Dracevo – Capljina
115 km | 14,0 km/h | 8:10 h | 1200 Hm
W: meist sonnig, auch Regen/Gewitter, kräftige Windböen, max. ca. 32 °C
E (R Pizzeria): überback. Käse/Preiselbeeren/Ananas, Kalb/Huhn/Gem., Bier 24 €
Ü: C wild 0 €

Bileca ist ein weitgehend untouristischer Ort, strahlt aber eine angenehme Ruhe trotz der recht üppigen Besiedlung aus. Ähnlich wie in Trebinje bereits, beherrscht die grüne Parkoase ein mächtiges Partisanendenkmal – die Opfergeschichte des Zweiten Weltkrieges ist auch hier lang und tragisch. Der Bileca-See staut das Wasser der Trebisnjica, dessen Flusslauf kurios ist – ein wiederum seltenes Karstphänomen. Er fließt ungefähr genauso lange unterirdisch wie überirdisch. Nach seinem Versickern bei Hutovo, kommt er gleich an drei Stellen wieder zutage – bei Capljina in die Neretva sowie bei Slano und Dubrovnik in meernahe Flüsse.

Die folgende Route, zunächst auf der Hauptachse nach Gacko weniger spannend, bekommt mit der abzweigenden Route nach Stolac ein wiederum neues Karstgesicht. Diese Strecke über eher leichte Hügel verläuft parallel zu den Bergrücken. Wahrscheinlich gibt es auch eine etwas anspruchsvollere Fahrt mehr durch die Berge, wenn man bereits in Podubovac abzweigt – vermutlich auch durchgehend asphaltiert. Was aber auf meiner Route fasziniert, sind die weiten Poljen-Landschaften – liebliche Hochebenen, auf denen sich Wasser sammelt, um Feld- und Gartenfrüchte anzubauen. Es bilden sich Auenlandschaften und zuweilen sprudelt irgendwo eine Karstquelle aus den nördlichen Gebirgszügen, die einen erfrischenden Flusslauf bildet, der irgendwo versickert. So entstehen auch an einigen Stellen schilfartige Hochgrasteppiche, die eigenwillige Farbschatten entwerfen.

Mit der letzten Passüberfahrt nimmt man bald rasante Fahrt auf, da hier das Gefälle recht stark ist. Immerhin liegt Stolac schon fast auf Meeresniveau, der Höhenunterschied summiert sich auf ca. 500 m, wobei die untere Hälfte der Strecke wieder recht flach am Fluss verläuft. Der Fluss Bregave ist wiederum ein Karstphänomen. Erst ein ausgetrocknetes Flussbett, staunt man plötzlich über den voll sprudelnden Fluss, der kleinere Wasserfälle bildet, unter verwunschenen Steinbrücken durchrauscht und dabei – nicht zugängliche – Gumpen bildet. Ein mehrteiliges Quellsystem kanalisiert hier das Sickerwasser der zuvor oben beradelten Poljen. An einer angeblichen Besichtungsstelle mit Haus markiert eine steinerne serbische Flagge das Ende der Republik Srpska. Mein Versuch, dort ein Wasserfall-Foto zu machen, wurde von einem Mann abgeblockt, der mich wild gestikulierend vertreiben wollte. Offenbar gibt es da einen Konflikt zwischen offizieller Sehenswürdigkeit, für die sogar ein Busparkplatz ausgewiesen ist, und etwas eigensinnigen Bewohnern.

Die Bregave bildet im Flacheren einige beliebte Flussbade- und Grillplätze. Stolac ist eine alte Mühlen- und Brückenstadt, wobei die Brücken oft Brückenhäuser sind – ein kleines Stück Balkan-Venedig. Aber die Zerstörung der Stadt ist extrem – Kroaten und Bosniaken standen sich hier unversöhnlich gegenüber, eine Moschee diente als Kriegskerker. Noch jetzt ist das Stadtbild ein bizarr kontrastreiches. Zahlreiche durchschossene Häuserruinen verfallen neben neuen, sogar trendy eingerichteten Cafes oder Bars. Zerstörung und Aufbau liegen dicht beieinander – beklemmend und hoffnungsvoll zugleich – Schatten und Licht in einem Bild. Für die alten Brückenhäuser werden sichtbar Renovierungsgelder bereit gestellt – die Stadt hätte sicherlich einen gehobenen Platz im Herzegowina-Tourismus verdient. Ein Tipp für die Zukunft.

Die folgende Hügelroute hatte ich in ihrer Ausdehnung unterschätzt – nicht lange Rampen sind das Problem, eher das stete, kleinteilige Auf und Ab, wobei der raue Asphalt auf dem engen Sträßlein keine schnellen Abfahrten erlaubt. Man fährt durch eine recht öde, karstige Macchia-Landschaft ohne rechte Orientierungspunkte. Ich mache mir Gedanken über die Wegweiserschilder, die im ländlichen Raum fast alle mit Nachrichten beklebt sind. Es sind aber keine Zeitungsausschnitte, sondern immerzu Totenmeldungen. Der Verstorbene wird mit Foto und seinen Lebensleistungen gewürdigt. Das ist überall so, nicht nur in Herzegowina – auch in Montenegro. Zuweilen ist der ausgeschilderte Ort dadurch nicht mehr lesbar. Was treibt die Menschen um zu solcher Totenverkündigung? Ich konnte es auf der Reise nicht herausfinden. Als ich schließlich das, sogar Nationalpark-geschützte, Seengebiet von Hutovo erreiche, ist es bereits so dunkel, dass sich alle Natureindrücke in der Nachtschwärze auflösen. Die Lichterketten an der Neretva wollen nicht näher kommen, so zäh zieht sich die Nachfahrt hin. Trotz dichterer Besiedlung liegt keine Essstube auf dem Weg, sodass ich bis nach Capljina zur späten Stunde einfahren muss.

Außer einem teuren, großen Hotel an der Brücke sah ich keine Unterkunftsmöglichkeit. Sodann fand ich offene wie verlassene Bretterbuden in systematischer Anordnung am Flussufer. Das etwas seltsame Ambiente – wie ich später erfuhr, ein Investitionsruine eines ehemaligen Eventparks für Konzerte und mondäne Partys – wurde alsdann noch mysteriöser, als sich mir eine wankende Lampe durch das Dunkel näherte. Der junge Mann erwies sich als Obdach- und Arbeitsloser, der mal im Ruhrgebiet gearbeitet hatte und entsprechend gut Deutsch sprach. Er wohnte hier mit seiner Frau und einem Kleinkind quasi in offenen Holzbaracken und wollte „eine Hütte bauen“. Als wir am Morgen etwas zusammen saßen und er eine notdürftige Kaffeebrühe ohne etwas Essbares zusammenbraute, erschauderte mich, dass das Kind mehrere Verletzungsspuren am Kopf hatte und die Frau recht schnell auch die Beherrschung verlor. Die sichtbare Armut lastete auf der Beziehung der drei, dass Streit unvermeidlich und Gewalt zu befürchten war. Mich erfüllt noch heute ein gewisser Unmut, hilflos die Situation möglichst schnell vergessend hinter mir gelassen zu haben. Was soll ich tun in einem fremden Land, dessen Sprache ich nicht kenne und in dem Sozialstaat noch eine ferne Vision ist? Sicherlich hätte ich in Deutschland ernsthaft überlegt, den Fall Polizei oder Jugendamt zu melden, denn das Kind dürfte so eine schadhafte Entwicklung nehmen. Ich hoffe insgeheim, dass der junge Mann einen festen Job findet – denn die Vernachlässigung war nicht bösartig, sondern Folge der zerstörerischen Kraft von Armut.

Mo 8.7. Capljina – Tasovici – Pocitelj – Capljina – Studenci – Stubica – Vodopad Kravica – Ljubuski – Vitina – Slap Kocusa – Klobuk – Grude
63 km | 12,3 km/h | 5:04 h | 815 Hm
W: sonnig, schwül, gegen Abend Gewitter mit Sturmböen, Wolken, 20-33 °C
E (H): Pfannengeschnetzeltes, Beilagen, RW 10 €
Ü: H (Motel) Kiwi 25 €

Trotz der traurigen Geschichte kann ich nicht umhin mit schwelgerischer Schönheit fortzufahren. Denn bereits auf der kleinen Auffahrt, um Pocitelj über eine kleine Rundfahrt zu erschließen, ergeben sich herrliche Panoramablicke über das Neretva-Tal mit der pittoresken Festungsstadt am Hang. Zunächst gelange ich zu den oberen Festungsteilen von Pocitelj und von hier aus wäre der Besuch der Stadt zu Fuß (es gibt Treppen, sehr steile Gassen, Rad schieben nicht möglich) ebenso denkbar wie von unten. Doch nehme ich einen weiteren Weg hinunter nach Pocitelj, auf dem man sich eindrucksvoll der Gesamtsilhouette nähert und sodann am unteren Eingangstor herauskommt, wo auch die Hauptstraße und die Busparkplätze liegen. Der Besuch sollte abends oder morgens geschehen, denn mit den Tagestouristen wird es hier übervoll. Als ehemalige Festungshochburg des Osmanischen Reiches dominiert natürlich das orientalische Erscheinungsbild, aber durch die enge und zweckgebunden Nachbarschaft zum Seehafen Dubrovnik kamen auch venezianische Einflüsse zum Tragen. Heute ist Pocitelj nicht nur ein Freiluftmuseum, sondern auch ein normal bewohnter Ort, sogar Gemüse und Obst wird in den kleinen Stufengärten angebaut. Die steile Hanglage lässt die totale Touristenflutung, wie sie wohl in Mostar zu erleben ist, nicht zu und jeden Abend kehrt hier die Ruhe der lieblichen Neretva in den Ort zurück.

Zurück in und aus Capljina heraus, dass keine echte Sehenswürdigkeiten aufweist, geht es durch teils dicht besiedeltes, von kleinen Weinrebenvillen geprägtes Hügelland, später Wiesen, Weiden, Auen, Ödland und unauffällige Bergzüge. Bei Studenci liegt der vermeintliche Abzweig zu den Kravica-Wasserfällen, was aber so nicht ganz stimmt. Denn tatsächlich besteht entgegen dem Karteneintrag bei den Kravica-Wasserfällen keine reguläre Brückenverbindung über das Wasser. Die Wasserfälle erreicht man geordnet per Stichstraße, die südöstlich von Ljubuski abzweigt und sodann entsprechend viele Parkplätze zu finden sind, da die Wasserfälle ein sehr beliebtes Ausflugsziel zum Baden und Picknicken sind.

Fährt man wie ich die Wasserfälle vom Südufer an, gelangt man zunächst an einen Ensemble von natürlichen und künstlichen Flussbecken mit kleinen Kaskaden, wo auch Ausflugslokale liegen und Bademöglichkeiten bestehen. Dann windet sich die Straße extrem steil nach oben, wobei man sich von der Flussschleife abwendet. Nach dem Ort Stubica quert man dann das nagelneue – zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Betrieb befindliche – Asphaltband der Autobahn Split – Mostar. Den Autobahnbau sieht man bereits zuvor bei Studenci mit den hohen Brückenpfeilern, die noch teils ohne die Horizontale unfertig in den Himmel ragen. Möglich, dass hier auch ein Abzweig mit entsprechenden Parkmöglichkeiten zu den Kravica-Fällen entsteht. Noch aber schleicht sich nur steil eine schlechte Straße nach unten, wo einige Autos auf provisorischen Wiesenstellplätzen stehen, dann beginnt Piste und schließlich nur noch eine Art Dschungelpfad mit verfallenem Mauerwerk. Ich fühle mich wie auf Stephens Entdeckerspuren zu den Maya-Schätzen von Copán, wie sie Karl Rolf Seufert mal in einem anschaulichen Abenteuerroman geschildert hat. Diese Schiebepassage ist aber nur sehr kurz und deswegen würde ich niemandem von dieser etwas prekären Exkursion abraten.

Dann steht man plötzlich an einem großen Flussbecken, das übervoll mit Badegästen ist, ein paar Bistros zu beiden Seiten und zur rechten Hand sprühender Wassernebel und schließlich eine ganze Kolonie von Wasserfällen – berauschend schön – ein wenig den Krka-Fällen in Kroatien nachempfunden, aber höhere Fallstufen. Man kann sich auch in die Kaskaden begeben und teils hinaufklettern – allerdings nicht so einfach wie an den Krka-Fällen. Doch wie komme ich mich dem Rad über den Fluss? – Ein schwankender Brettersteg verbindet die beiden Flussufer – ausreichend für Badegäste, für die ein Absturz ins Wasser keine große Gefahr darstellt außer einer ungewollten erfrischenden Dusche. Das ist aber nicht gerade so eine prickelnde Vorstellung, mit Rad samt Ausrüstung im Wasser zu landen. Und da sind ja auch noch die Massen von Besuchern – der „Gegenverkehr“. Nun schob ich das Rad im Gesamtpaket herüber und gab dann in der Mitte des Steges gegenüber zu verstehen, meinen Balanceakt abzuwarten. Nun ja, ganz so gefährlich war es nicht, aber wie immer gibt es einige ungeduldige Zeitgenossen, die sich riskant an mir vorbeidrängen mussten.

Auf der anderen Seite gibt es einen mit Naturstein gefugten Weg, dessen erste Meter allerdings so steil sind, dass ich für die Schiebeunterstützung eines Besucherpaars dankbar war. Auf der nun offenen Ebene zeichnet sich in der Ferne schnell auf einer Berghöhe eine Ruine ab, die über der Stadt Ljubuski thront und von den wehrhaften Verteidigungsanlagen der Osmanen gegenüber den Venezianern zeugt. Es folgt eine Strecke, auf der weniger bekannte, aber eindrückliche Kleinode liegen. Die Karstquelle Vriostica in Vitina, nur geringfügig abseits der Hauptstraße, ist mit einem kleinen Park und der Felsnische ein wunderschöner Träumerplatz. Dem Wasser sagt man verjüngende Wirkung nach, was meiner amtlichen Verjüngung um 15 Jahre an der albanischen Grenze (vgl. Kap. IV) nochmals Nachdruck verleiht – die Kräfte des Wassers mögen noch lange in meinen Adern wirken! schmunzel Nicht weniger eindrucksvoll ist der Kocusa-Wasserfall, der in einer breiten Front ein besonders berauschendes Schauspiel bei Veljaci bzw. Klobuk liefert. Dorthin gelangt man über eine auch als Radroute ausgewiesene, fast flache Nebenstrecke, mehrere nette Lokale liegen am Weg, auch direkt am Wasserfall. Nach dem Gewitter lieferte die Reststrecke (mäßig ansteigend) ein paar eindrückliche Stimmungen, ohne dass man eine wirklich spektakuläre Landschaft durchfährt. Das empfehlenswerte Motel mit Restaurant für den gelungenen Tagesabschluss liegt noch südöstlich vor dem Orteingang von Grude auf einer Anhöhe.

Bildergalerie zu Kapitel VI (115 Fotos, die Fotostrecke reicht noch bis zur BiH/HR-Grenze am Morgen des nächsten Tages):



Fortsetzung folgt
von: irg

Re: Das 2. Türchen - 12.12.13 07:54

Hallo!

[zitat=veloträumer Natürlich habe ich ich im Angesicht der zerschossenen Häuser auf dem Weg nach Plitvice oder in der Ervenik-Region schon die "Warum?"-Frage mit einer gewissen Gänsehaut gestellt, aber das zog schnell vorbei. Tatsächlich muss man die Wunden, die man sieht, auch mal hinterfragen.
Ebenso liegt mir aber auch an der Aufbruch-Vision, wie es eben unter dem Etikett "Via Dinarica" formuliert ist. Es ist auch nie klar, ob eine gute Aussöhnung und Versöhnung eine gute Grundlage zum Aufbau eines Landes wird. [/zitat]

Ich denke, gerade die Kriege in Ex-Jugoslawien zeigen, dass ohne so etwas wie Aufarbeitung und Vergebung (was klingt das doch geschraubt!) Konflikte kaum sinnvoll gelöst werden können. Soviel auch an Ursachen für die letzten Kriege in den letzten hundert Jahren zu finden ist, reichen sie letztendlich weit in die Geschichte zurück. Meine Schwägerin hat in ihrer Dissertation die Zustände, die in der Krajina in der Zeit nach der Eroberung durch Österreich von der Türkei geherrscht haben, beschrieben. Seit der Unterhaltung mit ihr wundere ich mich weit weniger, wie es zu diesen Katastrophen gekommen ist.
Nachdenklich hat mich auch eine Unterhaltung mit einer in Österreich lebenden Kroatin gemacht, die mir von den seelischen Verletzungen, die die letzten Kriege hinterlassen haben, erzählt hat. Gesellschaften, die sich diesen nicht stellen, sorgen, ohne es zu wollen, für die nächste Eskalation, wie aktuell in Vukovar zu sehen ist.
Dass Aussöhnung möglich ist, zeigt z.B. die "Erbfeindschaft" zwischen Deutschland und Frankreich. Von der ist, vielleicht von dummen Witzchen abgesehen, nichts mehr übrig geblieben.

Damit möchte ich nicht die komfortable Position dessen, der sich gemütlich zurücklehnend mit dem Finger auf andere zeigen kann, einnehmen. Nach solchen (selbst gemachten) Katastrophen wird es den meisten zu viel sein, sich auch noch mit den Ursachen und eventueller eigener Verantwortung zu beschäftigen. Unsere Eltern- bzw. Großelterngeneration konnte das auch nur sehr begrenzt. Nur -wer diesen Teufelskreis durchbrechen will, wird sich den Zusammenhängen stellen müssen. Und die Zusammenhänge reichen auch weit über Exjugoslawien hinaus.

lg!
georg
von: kettenraucher

Re: Das 2. Türchen - 12.12.13 14:51

Zitat:
… Ich denke, gerade die Kriege in Ex-Jugoslawien zeigen, dass ohne so etwas wie Aufarbeitung und Vergebung (was klingt das doch geschraubt!) Konflikte kaum sinnvoll gelöst werden können …
Zustimmend eine ergänzende Anmerkung aus meiner Sicht: Aufarbeitung und Vergebung sind individuelle und kollektive psychologische Prozesse, die viele Jahre und manchmal mehrere Jahrzehnte brauchen. Ausreichend Zeit ist das menschliche Maß. Innerhalb einer Generation ist eine Feindschaft und kriegerische Vergangenheit niemals aufzuarbeiten, denn die seelischen Wunden sind viel zu tief. Sprichwörtlich soll die Zeit ja alle Wunden heilen. Ja, das stimmt, aber es braucht halt sehr viel Zeit. schmunzel
von: veloträumer

die 13. Tür - die verflixte verspätet - 14.12.13 15:57

KAPITEL VII
Dalmatien neu entdeckt: Teuflische Himmelsleiter im steinernen Meer, Adriaträume unter Palmen, weiße Insel-Schönheiten und vergessene Flecken im Minenland

Musik: Der in Kroatien gebürtige und in den Niederlanden lebende Gitarrist Ratko Zjaca verbindet moderne, innovative Jazztexturen zuweilen mit dezenten, dekonstruierten folkloren Elementen, wobei in der Zusammenarbeit mit dem italienischen Akkordeonisten Simone Zancchini, dem amerikanischen Drummer Adam Nussbaum und dem mazedonisch-gebürtigen, in Deutschland lebenden Bassisten Martin Gjakonovski ein vielschichtiges Kaleidoskop an Klängen unterschiedlicher musikalischer Herkunft in neu gedachter Universalität entsteht: ZZ Quartet „Twilight time again“ (6:43 min.)..

Di 9.7. Grude – Imotski – Grubine – Mikote (636 m) – Zagvozd – Turija (715 m) – Kosica – Dragljane
73 km | 13,2 km/h | 5:29 h | 1015 Hm
W: schwül, sonnig, nachmittags Wolken, Gewitter, max. ca. 35 °C
E: SV
Ü: C wild 0 €

Die auffällige Wohlhabenheit in der kroatischen Herzegowina lässt vor allem an zwei Dingen ablesen: Strohbesen und Gartenzwergen. lach Der Drang zur gefegten Sauberkeit findet immer dann statt, wenn die wesentlichen Dinge des Lebens bereits im Griff sind. Der Gartenzwerg schließlich symbolisiert die kleinbürgerliche Wohlstandgrenze. Entsprechend gut ist das Angebot aus Bau- und Gartenmärkten, alle Häuser sind auch äußerlich im Topzustand, die Gärten gepflegt und gestreichelt und auch die Autos erfreuen sich an zahlreichen Heilanstalten, wo auch Neuwagen in ausreichender Menge feilgeboten werden. Auch die Postgebäude sind in der Herzegowina proper rausgeputzt, später in Kroatien ebenso. In dieser Umgebung sind Geschenke schon fast wieder unerwartet großherzige Gesten. So wurde ich hier mit Feigen und Pflaumen von einem alten Einheimischen aus dem Auto beglückt.

Auf der Strecke bis zur Grenze finde ich gar zwei Radgeschäfte vor. Der direkt in Grude ist eher ein Schrauberladen – es scheint, dass er ausschließlich gebrauchtes Material verwertet – Neuräder sah ich nicht durch das Schaufenster. Den zweiten Laden habe ich besucht, konnte aber leider kein Gespräch mit dem Ladeninhaber führen, da er über keinerlei Englischkenntnisse verfügte. Hier gab es aber ausschließlich Neuware und zumindest schien mir das Ersatzteillager gut gefüllt (z. B. Laufräder). Ich hätte natürlich gerne etwas über den Radmarkt in der Provinz erfahren. Aber wo es Strohbesen und Gartenzwerge gibt, wird wohl auch Radgefahren. Radfahren als Zeichen des Wohlstands soll ja ein moderner Trend sein. Es gibt sogar Gerüchte, dass Markenräder Ausdruck aristokratischer Lebensweise sein sollen. zwinker

Wie schon in der Einführung erwähnt, kündigt sich Kroatien weit vor der Grenze durch allfällige nationale Symbole an. Die Grenze selbst ist dann ein Klassiker – viele Shops mit Massenware (Bekleidung), offenbar auch von Kroaten genutzt in der günstigeren Herzegowina einzukaufen. Jetzt also die dritte Währung der Reise, obwohl die Konvertible Mark in BiH eigentlich verkappte Euros sind, weil es einen fixen Wechselkurs gibt. Selbst die Kuna ist nicht so richtig frei konvertibel, der Kurs ist schon seit Jahren weitgehend stabil bis fixiert. Da sieht man auch, dass diese ganze Währungsspekulation ein exklusives Theater für Finanzjongleure ist, in dem die Zuschauer ab und zu ihre Arbeitsplätze abgeben müssen und in Armut verfallen dürfen, um am Ende der Vorstellung von den Monetenmagieren zu erfahren: „Ätsch, war nur ein Spiel. Unsere Taschen sind jetzt voll mit Dukaten, jetzt bekommt ihr euer Geld unverändert wieder.“ böse

Die Höhenzüge des Biokovo sind in der Ferne schon auf der Strecke nach Imotski zu erkennen. Zuvor aber Imotski, geschäftiges Städtchen und mit ein paar Besonderheiten. Unmittelbar am Stadtrand liegt ein großer Karsttrichter mit einem See darin – dem Blauen See. Besonders intensiv dunkel ist des Blau, in einer Parkanlage kann man den See oberhalb umrunden, aber auch nach unten gelangen und baden. Die Parkanlage geht auf einen Besuch von Kaiser Franz Joseph zurück. Der Rundgang informiert aber auch über die wehmütigen Liebesballaden, die hier im Angesicht der sagenhaften Karstphänomene gedichtet wurden. Der Blaue See kann im Sommer auch ganz austrocknen, sodann findet dort ein Fußspiel statt. Neben dem Blauen See gibt es noch ein Stück weiter den Roten See, den ich aber nicht besucht habe. Dieser Trichter ist noch extremer, zwar schmaler, insgesamt ca. 500 m tief und mit einer Wassertiefe von ca. 270 m reicht der Seeboden unter den Meeresspiegel. Verworrene Zuflüsse in großer Tiefe speisen den See mit Wasser.

Die schier unerträgliche Schwüle des Tages wird nachmittags ein wenig durch ein Gewitter weggespült. Das Donnerwetter meldet sich ausgerechnet, nachdem ich das Pfarrhaus in Zagvozd verlassen hatte, indem ich eingangs erwähntes Gespräch mit dem Zuffenhausen-erfahrenen Pfarrer führte. Man mag da wieder himmlische Kräfte vermuten, die mir irgendetwas sagen wollten. grins Zagvozd, nunmehr mit dem Straßentunnel durch den Biokovo bedeutender geworden, verfügt über eine recht eindrückliche Doppelturmkirche, ansonsten ist der Ort aber schlicht. Der Weg dorthin von Imotski führt durch recht offenes Karstland über mehrere Hügel.

Durch die Autobahn ist die Nebenstrecke über den Turija-Pass (kleiner Tunnel) ziemlich verwaist und als Radroute ausgeschrieben. Im Schatten des Sveti Jure (auch kurz im Blickfeld) radelt man ganz hübsch durch bereits typische Biokovo-Vegetation. Die Südostseite fällt steiler ab, das Tal weit geschnitten, die Autobahn thront weit oben, bis man irgendwann bei Kozica sich auf gleicher Höhe befindet. Der Versuch, diese Route und auch Nebenwege als Rad- und Wanderregion zu etablieren, ist zwar gemäß den Schildern erkennbar, aber es fehlt noch am ernsten Willen, dass auch umzusetzen. Denn viele Gastbetriebe, die demnach angeblich in Betrieb sein sollen, sind verwaist. So ist denn auch die ganze Strecke ohne jede Verpflegungsmöglichkeit – man müsste schon bis Vrgorac durchradeln. Ich begnüge mich mit meinen Vorräten an einem Brunnen und schlage in der Nähe ein wildes Nachtlager auf.

Mi 10.7. Dragljane – Vlaka – Dragljane – Ravca – Brikva – Hrastovac/Vrata Kapela (601 m) – Saranac (730 m) – Vrata Biokova (897 m) – Sveti Jurje (1762 m) – Vrata Biokova – Podgora
87 km | 10,6 km/h | 8:16 h | 1925 Hm
W: sonnig, mittags Gewitter, danach teils bewölkt, auf dem Sveti Jure windig und kühl
E (Vrata Biokova): Froschschenkel m. Kart., Polenta, Wurst, Schinken, 2 x Salbeisaft 23,30 € (+ Kräuterschnaps gratis)
E (Taverna Berak): Rumpsteak m. Trüffeln/Olivensauce, Bratkart., Bier, Eis Bananasplit 23,50 €
Ü: C Sutikla 13,10 €

Den Versuch, eine Abkürzung zwischen Vlaka und Brikva zu fahren, musste ich aufgeben. Ein Einheimischer warnte mich eindringlich den Weg einzuschlagen, da dieser bestialisch steil wäre. Wohl auch ist er nicht durchgehend asphaltiert, denn bei Brikva konnte ich später keine wirkliche Straßeneinmündung erkennen. Immerhin fand ich so über Ravca beim Aufstieg in Kljenak ein Restaurant, um ein kleines Frühstück einzunehmen, da doch mittlerweile meine Vorräte aufgebraucht waren. Meine Route hier über ein paar Zwischenhöhen ist etwas verwegen, da ich statt der offiziellen Sveti-Jure-Route die Variante über den Saranac-Pass suche. Dort zweigt eine Schotterpiste zu Vrata Biokova ab, einer Kapelle nebst dem eingangs schon vorgestellten Landgasthof an der Mautstraße zum Sveti Jure. Die Schotterpiste ist auch nicht ganz einfach, aber machbar, enthält ebenfalls eine Zwischenmulde. Man fährt durch ein grelles Steinmeer, mit einer kargen, aber doch eigenen Vegetation. Nach der Mittagsrast bei Vrata Biokova stand die große Himmels- oder auch Teufelsleiter vor meinen Augen. Nicht zuletzt auch der Inspiration des Vortages geschuldet, wirkte das Erlebnis der Auffahrt zum Sveti Jure so nach, dass ich sie am besten in einem (eigenen) Gedicht fassen kann:

Biokovo Diavolo

Der Himmel ist Stein,
Stein ist Fels,
fällt güldener Glanz,
ganz im Spiegel,
Bibel im Meer,
mehr schweigt als spricht,
nicht hört die Glocke,
locke Gottes Kapelle,
Schwelle zum Teufel,
Läufer auf Reifen,
gleich auf dem Gipfel,
der Wichtel! –
Unerhört!

Der Stille gelauscht,
berauscht die Sinne,
gewinne das Herz,
schmerzhaft spricht,
Licht im Farbenfächer,
schwächer die Sonne,
Wonne mild gelächelt,
gefällt den Lippen,
nippen am Licht,
bricht im Fels,
Fels aus Stein.
Allein! –
Dir Gehört!

Am Ende des Tages mit der rasanten Abfahrt stehen Sonnuntergangsimpressionen und der Trubelort Podgora direkt am Meer. Der übervolle Camping ist natürlich keine wirkliche Oase, Richtung Makarska aber der nächst gelegene. Auf der Uferpromenade tummelt auch noch spät das unbeschwerte Vergnügungsvolk. Die teuren Cocktailkneipen laufen aber schlechter als ihre Betreiber wünschen. Es müsste sich eigentlich mal rumsprechen, dass die Klasse der Geldschleuderer immer kleiner wird. Die auseinander schnappende soziale Schere spürt man mittlerweile an allen Urlaubsorten – von der Costa Brava bis zur Makarska-Riviera. Podgora ist letztlich mehr Jedermann-Neckermann- als Edelmann-Pullman-Tourismus.

Do 11.7. Podgora – Makarska 11:00 || Fähre 9,25 € || 12:00 Sumartin – Gornji Humac – Praznica – Pucisca – Postira – Supetar
79 km | 12,3 km/h | 6:24 h | 1250 Hm
W: sonnig, heiß, nachmittags gewittrig, abends wieder sonnig
E (Konaba Lukin): Tintenfischrisotto, Miesmuscheln im Sud, Rw, Wasser, Cafe 26 €
Ü: C Supetar 7,30 €

Podgora schläft noch, aber die Handtücher liegen schon am Strand. Teutonische Platzkarten – wohl nicht nur von Teutonen ausgelegt. Die Strandpromenaden lassen sich am Morgen gut abradeln – noch ist wenig Volk unterwegs – Joggerinnen, eine Seilspringerin, vor den Bäckereien stehen Einheimische und Touristen einträchtig in der Schlange. Die Morgenstimmungen sind wunderbar, schon ein Hauch erotischer Strandschönheiten dort, und hier auf dem Tisch der Capuccino mit Croissant. Ich lebe heute das Urlaubsklischee aus. Makarska ist schön. Die Strände, die kleinen Orte, die Promenaden, die Menschen und die Stadt selbst. Lange muss ich auf die Fähre warten, genug um Eindrücke zu sammeln – Markt, Kunst, Sommermode, Fischkutter, frischer Tintenfisch, Palmen, Tauben im Brunnen – und das Meer.

Ankunft Brac. Der Paradestrand in Bol ist mir zu weit durch die Mittagshitze entfernt, ich ziehe in Sumartin eine Strandnische vor. Ein alter, angerosteter Fischkutter liefert die Kulisse – kein Sand, kein Goldenes Horn – und doch ein Traum am Meer. Die überziehende Wetterfront ist das endgültige Aus für den Abstecher nach Bol. Doch Brac bietet mehr. Ich bin verblüfft in der Inselmitte – Praznica ist ein wunderbares Kleinod, heimelig, mediterran, bäuerlich, ursprünglich. Auch abwärts schöne Kulturlandschaft: Steinmauern, regelmäßige Olivenbaumterrassen, liebliche Weingärten. Wieder am Meer: Kalk ist Karst – ist schön: In Pucisca sind die meisten Gebäude aus dem eigenen, edlen Kalk, der an der Spitze der Bucht abgebaut wird. Pucisca ist lebenswert, auch Urlaubsort, aber nicht überlaufen. Überall gibt es Kalk als Kunsthandwerk – Vasen, Uhren, schöne Sachen – auch für die Handtasche. Der Ausflug zum Leuchtturm an die Spitze der Bucht (gegenüber der Abbauhalde) lohnt: Gestreng grüne Kiefern treffen tiefes Adriablau. Am Leuchtturm ist schon Sonnenuntergangsstimmung – einfach schön, der Inselkarst.

Die Strecke nach Supetar ist reizvoll – Postira, Splitska sind schön gelegene Orte – dazu gibt es viel unbefleckte Meerblicke, auch weit hinüber zum Biokovo drüben oder in die Zwischentäler mit noch mehr Weinbergen hier. Der Camping in Supetar ist ein angenehmer (schattiger) Kiefernplatz, offenbar gibt es sogar Radreisekollegen, bekomme sie aber nicht zu Gesicht. Ich bin spät, schon dunkel – in der Stadt tobt noch das Nachtleben. Eine Techno-Parade, DJs auf Karnevalswagen, kaum ein Durchkommen, orgiastischer Lärm, die Jugend jubelt – wo bleibt meine Jugend? – Ist Sehnsucht nach Ruhe ein Alterszeichen?

Fr 12.7. Supetar 6:30 || Fähre 9,25 € || 7:45 Split – (Klis) – Prugovo – ? (618 m) – Gornji Muc – Gornje Postinje – Gradac – Otavice – Parcic – Lemes (854 m) – Vrlika
94 km | 12,7 km/h | 7:22 h | 1520 Hm
W: sonnig, mittags Gewitter, lange regnerisch, abends sonnig, max. 30 °C
E (Konoba): Haxe, PF, Bier, Desert 11,50 €
Ü: C wild 0 €

Ich hätte zwar abends noch die Spätfähre nehmen können, doch hätte ich in oder um Split Unterkunft suchen müssen. Das ist weniger ratsam, Campingplätze sind fern der Stadt. Bereits gefrühstückt an Bord, habe ich auch so gute Startkarten. Split, 2003 bereits als Etappenort gewürdigt, versuche ich auf schnellstem Weg zu verlassen. Ich glaube über die Hauptstraßen schneller zu sein als über die Parkroute am Meer. Das ist ein Irrtum. Die Ausschilderung ist mäßig bis schlecht – zu Auto-orientiert. Statt nach Klis gelange ich auf die Kraftfahrtstraße gegenüber (noch nicht ganz fertig gebaut). Zwar ist Radfahren verboten, aber es gibt schnell kein zurück mehr. Den Berg hoch ist der Verkehr brachial, auch laute Tunnels, einige drücken noch zusätzlich auf die Hupe. böse Erst oberhalb der Klis-Höhe kommt die nächste Ausfahrt. Statt der geografisch logischen Ausschilderung Sinj hätte ich unten Richtung Trogir folgen müssen, in Solin befindet sich dann der eigentliche Abzweig nach Klis.

Wieder ist der Tag schwül, der Regen kommt diesmal recht früh. Diese Wetterlagen machen müde. Nach einer weiteren Höhe öffnet sich eine Ebene mit einem neuen Asphaltband, Windmühlen auf den Bergen. Seltsame Hochebene, ich denke an spanische Meseta. Doch die Landschaft wird wieder kleinteiliger. In Progovo gibt es einen schönen Pfarrgarten mit Lavendel – Schwalbenschwänze flattern umher. Die rechte Oase für ein kleines Nickerchen.

Nach Gornji Muc bildet die Vrba ein erstaunlich fruchtbares Tal – Gemüse, Obst, auch Weinreben werden angebaut. Keine reiche Gegend, dennoch weniger einsam als gedacht. Zagora gehört zu den weitgehend unbekannten, tourismusfernen Regionen Kroatiens. Nach einem Hochpunkt breitet sich eine Polje bei Otavice aus. Kleine Dörfer, Felderwirtschaft, liebliche Landschaftsbilder. Außerhalb von Otavice zweigt eine schnurgerade Allee von der Straße ab. Sie führt auf einen Hügel zu, auf der ein markanter, geometrisch geradliniger Kuppelbau steht. Es handelt sich um die Kirche des Heiligen Erlösers, zugleich aber auch Mausoleum und Familiengruft seines Erbauers Ivan Mestrovic, der seinerseits zu den bedeutendsten Künstlern Kroatiens zählt. Das Bauwerk kombiniert klassische antike Bauweisen und mit modernen, funktionalen geometrischen Linien. Die dekorative Besonderheit des Bauwerks, eine Tür mit Bronzereliefs mit Porträts der Mestrovic-Familie, wurde im Verlauf des Kroatienkrieges wie auch alle anderen beweglichen Teile entwendet und bis heute nicht wiedergefunden. Mestrovic war vornehmlich Bildhauer und Architekt, verfasste aber auch literarische und politische Schriften. Neben wichtigen Werken in Cavtat, Split und Zagreb wurde er international auch durch das Indianer-Denkmal in Chicago bekannt. Das Mausoleum war bereits Thema von Bilderrätsel 828.

An der Verzweigung nach Drinis und Knin ist die dritte Richtung nach Vrlika nicht ausgeschildert. Erkennbar ist die Straße daran, dass es gleich steil nach oben geht. Nach der ersten Hürde folgt endlose Weite, große Einsamkeit – eine Gerade fast ohne Horizont als wäre man in einer fernen asiatischen Steppe. Auf der Passhöhe, zuvor steil über eine große Kehre zu erklimmen, steht der Stern des Abends gerötet am Horizont, menschenleer, atemstill, mildes Licht über Minenfeldern. Ein Schild kündigt Vrlika an, mit einer Burgruine weit über der Stadt. Man trifft sich abends in Bars, Cafes – das Treiben täuscht, es gibt nicht viel Ablenkung. Das einzige Restaurant im Ort liegt unterhalb an der Transitachse Sinj – Knin. Besucher sind jedoch selten, der Verkehr ist tagsüber gering, nachts schweigt er.

Keine Unterkunft, in der Nacht erkenne ich keine freien Wiesen. So hole ich mir Beistand bei den Toten. Hinter der Friedhofskapelle gibt es sogar geeigneten Zeltgrund. Die Überraschung folgt dann am Morgen. Obwohl ich ja zu nächtlicher Stunde durch das Tor bin, war am nächsten Morgen selbiges abgeschlossen. Die Mauern hätten eine kaum überwindbare Hürde bedeutet. Dass ich nicht lange auf Türöffnung warten musste, verdanke ich einer wohl frühmorgendlichen Totenveranstaltung, die im Anmarsch war. Der Friedhofswärter machte einen Eindruck zwischen unbeteiligter Neugier und Desinteresse, als ich wie von den Toten auferstanden das nächtliche Geistertreffen mit aufgesatteltem Velo verließ. Wer hat auch schon mal einen Auferstandenen mit Fahrrad gesehen? Nicht mal von Jesus ist solches überliefert. – Das erzählt man lieber keinem, dem glaubt man eh nicht. grins

Sa 13.7. Vrlika – Vrelo Cetine – Kijevo – Krsko vrelo – Kovacic/Topolski slap – Knin – Raducic – Ervenik – Kastel Zegarski – Bilisane – Obrovac
111 km | 13,8 km/h | 8:04 h | 875 Hm
W: sonnig, heiß, später Wolken in Knin, Gewitter südlich
E: SV
Ü: C wild 0 €

Über meine neu gewonnene Freiheit darf ich mich gleich bei nebelgehauchter Morgenromantik über den Feuchtwiesen am Purucko jezero freuen. Der See ist von Vrlika und der nördlichen Umfahrung aus nicht sichtbar. Hinweis: Zum nördlichen Ufer gibt es eine Straße, auf der man zu dem Ruderzentrum Garjak gelangt. Dort bestehen verschiedene Wassersportmöglichkeiten und auch eine Festunterkunft ist vorhanden. Speise- und Campingsymbol standen nicht auf der Hinweistafel. Garantiert mit Essensmöglichkeit gibt es ein Motel an der Transitstrecke etwa mittig zwischen Vrlika und Kijevo.

Ich folge dem Oberlauf der Cetina, die zu ebenso unterschiedlichen wie stimmungsvollen Flusslandschaften im dalmatinischen Hinterland beiträgt. Während der Unterlauf bei Omis für einen Canyon mit Rafting-Möglichkeiten bekannt ist, finden sich hier im entlegenen Quellgebiet viele stille idyllische Flecken. Genau genommen verfügt die Cetina über acht Karstquellen, als die Hauptquelle gilt aber der kleine Rundsee Glavasevo, unmittel nahe auch noch eine hübsche Kirche. Das besondere Blau des Quellsees zeugt wiederum von der großen Tiefe, die etwa bei 130 m liegen soll. Bei meinem Besuch hatten Taucher dort ein Camp aufgeschlagen, die den Karstgeheimnissen auf den Grund gehen wollten. Auch oberhalb der Quellaue findet man berauschende Farbspiele vor allem in Gelb durch blumenreiche, honigduftende Hügel. Entgegen einem Karteneintrag gibt es die abkürzende Route direkt nach Kijevo nur als Schotterpiste (hier bin ich lieber den Asphaltumweg gefahren).

Diese Region der Idylle ist gleichzeitig eine Gegend des Grauens. Die Serben unter Ratko Mladic machten den Ort Kijevo dem Erdboden gleich, weil eine kroatische Insel inmitten von durch Serben bewohnten Ortschaften. Ethnische Säuberung heißt das, wie Waschmittel und Schrubber gegen Bakterien, Faulgeruch und Wollmäuse auf Bodenparkett. Der Mensch wischt den anderen Menschen weg wie Dreck und spült ihn in die Abgründe der Ewigkeit. Zurück bleibt der Saubermann, der merkt, dass er nach Putzmittel stinkt. Die Nase sagt: Der Mensch bleibt schmutzig und schuldig, solange er die Messer und Kanonen nicht vergräbt – in die Erdschichten der Ewigkeit. Und das wird wohl noch dauern. Die weithin sichtbare Kirche mit Doppeltürmen auf dem Hügel wurde mittlerweile wieder aufgebaut, jedoch zeigt sich auch das Problem der der Kriegsregionen im ländlichen Kroatien: Heute wohnt nur noch ein Drittel der Einwohner in Kijevo als noch vor dem Krieg 1991.

Ruinen von Bauern- und Mühlenhäusern finden sich sodann an der Strecke entlang der Krcic. Diese recht gut fahrbare Piste ist exklusiv als Radstrecke ausgeschildert und ein Genießertipp. Schwärme von pastellfarbenen Bläulingen bedecken den Boden. Bläulinge sind blau – so denkt man. Hier sind sie grün, orange, gelb. Farben sind nie echt. Farben sind Stimmungen, Reflektionen, Spektren verschiedener Perspektiven. Die Ruinen sind heute schon teils überwuchert und liefern ein romantisches Bild in der sich zunehmend zu einer Schlucht verengenden Route. Die wohl auch früher zur Bewässerung genutzten Staustufen kann man heute zum Teil gut erreichbar zum Baden nutzen. Weiter unten zum Schluchtende trifft die Krcic ihrerseits auf den Quellwasserfall der Krka (Topoljski buk, Topolski slap), dessen Pracht von der je nach Jahreszeit schwankenden Wassermenge abhängt. Hier wurden sogar die Häusersockel der Kriegesruinen explizit auf einheitliche Höhe abgetragen und als Badebecken hergerichtet, in denen sich die halbstarke Jugend austobt. Der Krieg geht baden!

Durch die dunklen Gewitterwolken, die vom Dinara auf Knin vorzurücken drohen, drückt eine besonders beklemmende Stimmung auf die Stadt, so als würde die Last des Krieges immer noch als Menetekel über ihr schweben – angesichts etlicher noch unbereinigter Kriegsschäden eine nahe liegende Empfindung. Die große Festung über Knin lasse ich zugunsten eines Eisbechers ungesehen zurück. Da die Strecke nach Gracac kaum interessanter scheint als die Route über Ervenik, wähle ich letztere – auch um schneller an den Rand des Velebits zu gelangen. Anfangs noch Asphalt, bleibt letztlich nur Schotterpiste bis Ervenik und auch die die Piste nach Kastel Zegarski befand sich ungeteert quasi im unveränderten Zustand gegenüber einer Dekade zuvor. Die Schule in Ervenik gibt es wohl immer noch, Entwicklung sieht aber anders aus. Neben den zerschossenen Häusern verkündet die Kneipe „Das neue Ervenik“. Optimismus oder Galgenhumor? – Eine Kneipe gab es damals da auch schon, jetzt hat der Wirt offenbar auch Grillgerichte im Angebot.

Nicht hätte ich geahnt, dass ich hier eher einen Bissen erhalten hätte als im fast edlen Obrovac. Dort nämlich hat das Hotel – einst mal in einem Radreisebericht ob seines Tresors hervorgehoben, in dem der Hotelier das Rad des Gastes sicher verschlossen hatte – seinen Betrieb eingestellt. Außer ein paar Bars, in denen nur Drinks, aber nicht mal Erdnüsse erhältlich sind, kann dieser Ort am Tor zum Rafting-Eldorado und Winnetou-Land Zrmanja nichts bieten. Supermarkt und Tankstelle haben zu meiner späten Ankunft auch schon geschlossen. Es sei erwähnt, dass die Straße von Kastel-Zegarski lange Zeit zäh nach oben führt, erst die letzten Kilometer nach Obrovac weisen nach unten. Es gibt noch einen Abzweig (Schotter), der zum Fluss führt, was landschaftlich reizvoll wäre, ich aber in der Dämmerung nicht mehr austesten wollte. Ebenso liegt am Fluss ein Camp (Stichstraße), nicht weit von Obrovac entfernt. Nach der Infotafel an der Straße zu urteilen hätte ich dort aber auch kein Abendmahl erhalten.

Bildergalerie zu Kapitel VII (145 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

die 14. Tür - 14.12.13 19:55

KAPITEL VIII
Irisierende Bergwelten im Velebit: Weiß – Blau – Gelb – Rot – Grün – Gülden – Bunt schillerndes Blendwerk über der Adria roll over war sores

Musik: Der aus Zagreb stammende Darko Rundek ist so etwas wie ein Rockpoet, der nicht vor schrägen Tönen zurückschreckt und sowohl Anleihen in Klassik und Weltmusiken sucht. Seine oft sphärisch-bildhaften Klänge mit sprunghaften Soundwechseln prädestinieren ihn auch zum Filmmusiker. Lou Reed, Gil Scott-Heron oder Tom Waits könnten stilistisch ebenso Pate stehen wie man sich auch eine Begegnung mit Don Cherry im Paradies vorstellen könnte. Mit dem Cargo Orkestar hat er sich in eben solch mannigfache Gefilde begeben und nutzt dabei ein großes Arsenal an Instrumenten aus verschiedenen Teilen der Welt: Darko Rundek & Cargo Orkestar „Ista slika“ (4:39 min.).

So 14.7. Obrovac – Mali Alan (1044 m) – Sveti Rok – Raduc – Licki Ribnik – Gospic
80 km | 10,7 km/h | 7:29 h | 1235 Hm
W: morgens stürmisch (Bora!), bewölkt, später teils heiter, 21-23 °C
E (H): Gnocchi, Kalbsmedaillons, PF, Gem., Rw 20,70 €
Ü: H Ana 30 € (verhandelt, nach Liste 43 €)

Die geschützte Lage von Obrovac ließ mich morgens nicht ahnen, dass ich wenige Kilometer außerhalb gegen die Bora ankämpfen musste. Immerhin konnte ich mich durchkämpfen, bis endlich oberhalb der Autobahn auf der Schotterpassage zum Mali Alan der Wind einbrach. Der Mali-Alan-Pass ist Velebit pur mit seinem Felsenmeer – wie Biokovo oder Lovcen, aber die Berge zapfiger, den Dolomiten nicht unähnlich. Große Kulisse! Weniger Pistenpflege wäre schön, es liegt zu viel loser neuer Schotter. Da aber hier die Strecke weniger steil als unten auf Asphalt ist, lässt es sich doch recht gut fahren. Zwar bewegt man sich auf dieser Piste stets außerhalb des Nationalparks Paklenica, der regulär nur von der Küste zugänglich ist, erlebt jedoch den typischen Felsen-Velebit in seiner grandiosen Entfaltung hier ungeteilt nahezu einsam (einige Autos fahren schon). Wie mir die Nationalparkverwalterin des Nördlichen Velebit in Gospic zu verstehen gab, sei viel mehr auch nicht im Paklenica-Park für den Radler zu erleben – eher weniger. Paklenica ist recht massentouristisch orientiert – weil ein Kern der Karl-May-Kulisse; weil Freeclimber-Eldorado; weil kurze Wanderwege für gestresste Autofahrer; weil strandnahe Abwechslung für den Liegestuhltouristen. Paklenica ist gewissermaßen Velebit für Anfänger – Velebit piccolo.

Während es bis zur Passhöhe offen fast nur durch Stein und ein paar Bergweiden geht, ändert sich zur anderen Passseite die Landschaft deutlich, führt zunächst an den Velebit-Hängen durch dichten Laubwald. Bei Sveti Rok öffnen sich nach und nach verschiedene andere Landschaftsformen wie Heidewiesen, Sumpfgebiet um den See von Sveti Rok, das verborgen-mystische Flusssystem der Lika, weite Feld- und Wiesenebenen oder der majestätische Blickfang des Zir, ein Dolomiten-ähnlicher Berg, der fast wie eine Haiflosse unwirklich mitten aus der flachen Polje herausragt. So ist denn diese Route weit abwechslungsreicher als vermutet. Mitten in den Wiesen steht dann das schon eingangs gezeigte Panzergrab – ein besonders eindrückliches Mahnmal nicht nur für den Kroatienkrieg. Gospic, gleichwohl auch hart vom Krieg getroffen, hat sich anders als Knin schon wieder ein liebliches Gesicht gegeben, wenngleich auch hier die Ruinen immer wieder neben Neubauten verweilen und mahnen. Sogar ein bisschen Noblesse verströmen die beiden Hotels und eine beliebte Pizzeria mit gepflegtem Garten.

Mo 15.7. Gospic – Podostra – Brusane – Baske Ostarije (955m, Pass) – Baske Ostarije (Ort/Hotel/Camp) – Ostarijska vrata (928 m) – Karlobag – Prizna – Donji Bileni – Jablanac-Tankstelle – Planinarska Alan Kuca (1340 m)
87 km | 11,6 km/h | 7:29 h | 1895 Hm
W: sonnig, abends auch bewölkt, 23-29 °C
E: Gulaschsuppe, Bier, SV
Ü: Z (Kuca Alan) 22,40 € inkl. Essen
B: NP Nördl. Velebit 3,30 €

Die halboffene, nicht unbedingt so schwierige Passauffahrt (genau genommen ein Doppelpass, aber nur der erste ist eine Hürde) ist in facettenreiche Morgenstimmungen getaucht. Noch nebelrauchende Wasserläufe, alte Obstbaumwiesen, liebevolle Haustüren unter Rosenstöcken, kreative Vogelscheuchen mit Putzeimerkopf, ein Überschwall an Kornblumenblau – sogar die seltener werdenden Ruinen sinken in scheinbar schwingender Wellenpappenstruktur in kleine Dolinenlöcher in die Erde ein bis sie vielleicht ganz von der befriedeten Erde verschluckt werden. Die Blüten hier locken Schwärme von Schmetterlingen – unweigerlich typisch vor allem für die meerabgewandte Seite des Velebits, wie mir auch noch von 2003er Reise am Vratnik-Pass (von Senj nach Ototac) in Erinnerung ist. Karst goes butterflies! – unzweifelhaft verzückend.

Es sei erwähnt, dass im unteren Teil auch noch einige Privatvermieter zu finden sind und ein schöner Gasthof (Podostra?) nicht weit von Gospic. Das hätte man zuvor wissen müssen – schöner und sicherlich preiswerter als das Hotel in Gospic. Einen traumhaften Bergblick genießt man vom Camping bereits jenseits der Passhöhe, allerdings ohne Versorgungsmöglichkeit unmittelbar dort. Etwa zwei Kilometer sind es zu einem überdimensionierten Giebeldachhotel, das den Eindruck einer exsozialistischen Investitionsruine macht. Irgendwie scheint doch ein Gästepaar dort zu weilen, wenngleich die Räumlichkeiten fast verlassen wirken. Hotel mit Fragezeichen.

Die karstige Bergwelt hier fasziniert, aber es ist trocken. Ein alter Brunnen mit markanter Säule spendet kein Wasser mehr. Nicht weit ist es zum Ende der trockenen Hochweide zu einer Abbruchkante hin. Dann ist er da – ein Blick – nein, tausend Blicke! – auf eine surreale Inselwelt, wie ins blaue Meer gemalte weiß-rötliche, marmorierte Konturen von liebkosend wellig gestreichelter Tonmodellmasse, das Auge tief geblendet vom grellen Kalklicht – ein visuelles Strahlengedicht des Adriakarstes – die opiumgetränkte Betäubung der Iris des Betrachters. Hier vom Aussichtsplateau (mit Kiosk) schweifen die Blicke auch über die weiten Kehren nach unten, durch den Karst gezogen eine Panoramastrecke, die jede Neil-Armstrong’sche Apollo-Mission in den Mondschatten stellt. Wohl scheint mir dieser Blick vom Ostarijska-Pass auf Pag und seine Meeresbuchten der außerirdischste aller Adriablicke von den Höhen des Velebits – die vollendete Mars-Mission auf dem Raumschiff Erde. „Via Dinarica – oh, du Schöne!“ zirpen die Zikaden.

Weder in Karlobag noch sonst wo hier gibt es Küstenrummel. Man findet auch keine großen Strände, dafür viele kleine Buchten oder Badestellen mit Felsen. Die Siedlungen sind kleine Dörfer mit fast ausschließlich Ferienwohnungen – Hotels keine oder selten. Entsprechend wenige Möglichkeiten bestehen zum Einkaufen und ich versäumte sowohl in Karlobag als auch in Cesarica, die einzigen Supermärkte über einen kleinen Umweg anzusteuern. Ich hoffte auf einen Shop an der mir bekannten Tankstelle oberhalb von Jablanac an der Magistrale. Doch gibt es dort wenig Essbares – Snacktüten, Eis und sonst nur Getränke oder eben Benzin. Nach Jablanac sind es ca. 5 km runter und dann über 300 Hm zurück. Das wollte ich nun doch nicht, da mir ja immerhin auf der Alan-Hütte ein einfaches Mahl versprochen wurde. Zwischen Cesarica und der Tankstelle mit Abzweig zum Veliki Alan und dem Nationalpark verläuft zäh fast durchgehend aufwärts – zäh auch deshalb, weil sich ein biestiger Gegenwind trocken zwischen die Zähne schob.

Nicht weniger anstrengend ist natürlich die Auffahrt, wenngleich durch die weite Schleife die Steigung gemäßigt bleibt. Dafür dehnt sich Strecke länger, die unten ausgewiesene Entfernung ist auch nicht ganz richtig (2-3- km mehr). Dafür bekomme ich die Adria-Abendstimmung gratis. Wieder leuchtet und glitzert das Meer in goldenen Tönen, entstehen im Versteckspiel der milden Spätsonne mit den Wolken einzigartige Spiegel- und Strahlenbilder mit rötlichem Schimmer. Ein paar figürliche Felsformen wachen über meinen Aufstieg, weiter oben wächst Eichenwald an die Straße ran. Das Panorama verschwindet mehr und mehr, nach oben weist eine Almweidenlandschaft den letzten Abschnitt zur Hütte.

Unmittelbar bei der Hütte Alan endet der Asphalt wie mein Tag auch. Ein paar Wanderer sind da, die Mehrbettschlafräume reichen aber an diesem Abend für eine Zimmeraufteilung nach Gruppen aus, so bin ich alleine im Zimmer. Tatsächlich erhalte ich eine Suppe zum Essen, die Nationalparkverwalterin in Gospic hatte meine Ankunft telefonisch angekündigt und diesbezüglich nachgefragt. Eine Zugabe mit meinem Käseproviant konnte aber nicht schaden. Wer das Openair-Badezimmer in der Einführung gesehen hat, mag sich die Schwierigkeiten einer Gesamtkörperwäsche bei recht frischen Abendtemperaturen vorstellen können, was aber dringlich gemäß Schweißproduktion auf 1340 Hm am Stück unumgänglich war.

Di 16.7. Planinarska kuca Alan – Veliki Alan (1406 m) – Pl. Kuca Mrkviste – Veliki Koziak/Pl. Kuca Careva (1142 m) – Zavizan (1676 m) – Oltare – Oltare vrata (1108 m) – Krasno – Veliki Devcici? (811 m) – Svica – Kompolje – Rapain Klanac (491 m) – Prokike – Brinje
104 km | 13,2 km/h | 7:46 h | 1400 Hm
W: nachts Regen, sonnig, windig, sehr kühl, max. 22 °C
E (Pizzeria Victoria): Zagreb-Schnitzel, PF, Gem., Rw, Palatschinken 11,10 €
Ü: C wild 0 €

Einige fahrtechnische Anmerkungen für künftige Velebit-Beradler: Die Alan-Hütte ist nicht nur Unterkunft, sondern gleichzeitig auch Kassenhaus für den Eintritt zum Nationalpark, obwohl man genau genommen sich schon auf der Auffahrt innerhalb der Nationalparkgrenzen bewegt. Die anderen Eintrittsportale befinden sich in Stirovaca (keine Versorgung, asphaltiert Zufahrt von Südost/Gospic), in Krasno (Informationszentrum, komplette touristische Infrastruktur) sowie in Babic sica (Nordanfahrt von Oltari, nur Kassenhäuschen mit Basisinfos). Von der Alan-Hütte geht es via gut fahrbare Piste bis zur Mrkviste-Hütte (war geschlossen), wobei der Alan-Pass erst nach der Alan-Hütte überquert wird.

Noch vor dem Alan-Pass besteht eine Abkürzungsmöglichkeit zur Careva-Hütte (ebenfalls geschlossen). Diese Route ist aber schwieriger, da länger auf Schotter und wohl auch schlechterer Wegezustand. Der auch international bekannte Wanderweg Premuziceva staza, der unmittelbar bei der Alan-Hütte streng nach Norden zur Zavizan-Hütte führt, kann bzw. darf nicht beradelt werden (Naturschutz!) – wäre ohnehin nur als Hardcore-Trail für MTBer geeignet. Zwischen Stirovaca bzw. der Mrkviste-Hütte und Krasno besteht eine Asphaltstraße, die aber streng genommen nicht durch den Nationalpark führt, weil dessen Grenze westlich davon verläuft. Die Grenze verläuft ziemlich genau entlang der Hüttenlinie Alan, Careva, Zavizan und Babic sica, wobei nur Zavizan innerhalb der Grenze liegt. Mitten durch den Nationalpark führen nur die Wanderrouten, nicht die Fahrwege.

Kurz nördlich der Hütte Careva zweigt von der Asphaltstraße nach Krasno eine nur für Radfahrer zugelassene Piste zur Zavizan-Hütte ab (Schranke, es werden aber Ausnahmen zugelassen z. B. für Hüttenmieter oder Zelter, nur mit Anmeldung möglich – sonst verboten). Unterhalb Zavizan gibt es einen Parkplatz, da Zavizan über die Nordanfahrt per Auto angesteuert werden darf. Die Strecke ist aber oberhalb Babic sica auch nur Piste. Alle Pistenanteile sind recht gut fahrbar, die meisten Streckenteile sind nicht wirklich steil, auch wenn es mehrfach auf und ab geht. Ausnahme ist ein recht steiler, aber kurzer Schlussanstieg zur Hütte Zavizan – man muss aber nicht hoch, weil eine Stichstraße, Abzweig ist unten.

Landschaftlich wird einiges geboten, wobei es auch etliche schattige Waldpassagen gibt, wie man sie auch in einem deutschen Mittelgebirge antreffen könnte. Auch konventionelle Holzwirtschaft wird praktiziert. Besonders schön sind die Lichtspiele in der Buchenwaldpassage nördlich der Mrkviste-Hütte. Einige der eindrucksvollen Velebit-Berge, wiederum Dolomiten-ähnlich, erhascht man oft nur mit kurzem Blick zwischen Nadelbäumen. Eine der abwechslungsreichsten wie schönsten Passagen befährt man bereits kurz nach der Alan-Hütte. Hier findet man Weidemauern, dann üppige Blumenteppiche – Gelb und Blau sind die dominanten Farben, unzählbare Schmetterlinge dirigieren die Farbsinfonie. Eine andere Passage zeigt archaische, von Kerbtieren durchlöcherte Baumstammveteranen, die sich vor einem grünen Almwiesenteppich präsentieren.

So ließen sich noch andere Nuancen beschreiben. Besonders eindrucksvolle, teils endemische Blumenwelten findet man besonders nahe Zavizan, dort wo der Premuziceva-Wanderpfad auf die Piste mündet. Für noch mehr Blumenwelt muss man wandern. Den expliziten Botanischen Garten, ein Pflanzenlehrpfad unmittelbar unterhalb Zavizan, habe ich nicht besucht. An der Zavizan-Hütte gehört der Himmel dir, dem Aufsteigenden und die Aussicht reicht weit zur Insel Rab, das Adria-Blau diesmal stark gedämpft in der diesigen Sommerluft. Infotafeln informieren rundum Geologie und Bora. Enttäuschend empfinde ich dann, dass es an der Hütte Zavizan keinerlei bäuerliche Eigenprodukte gibt, genauer: überhaupt nichts außer ein paar Marken-Drinks. Schade, hier wäre doch Potenzial (Übernachtung ist aber möglich).

Die Nordroute bewerte ich als weniger attraktiv, zumindest der obere Pistenanteil – fast ausschließlich durchschnittlicher Wald. Erst zur Oltari-Passstraße hin entwickelt sich wieder eine artenreiche Blumenaura mit den allfälligen Schmetterlingskolonien. Krasno liegt dann in einer Senke, ein kleiner, gepflegter Ort, der zum stillen Verweilen einlädt. Man folgt nun einer Mischung aus Poljen, Hügellandschaft und einem geheimnisvollen Mooswald, der Feen und Kobolde vermuten lässt. Wegweiser zeugen von einer großen Ferienanlage mit vielen Sportmöglichkeiten am Krusicko-See. Ein kleiner See liegt noch auf meiner Strecke bei Svica. Hier in der Nähe von Ototac deutet sich ein gewisse Geschäftigkeit, Lebenslust und etwas Wohlhabenheit an – nicht zuletzt liegt man an einer wesentlichen Transitachse zu den Plitvicer Seen. Direkt an der Strecke findet man auch Tankstelle mit Bistro und weitere Trucker-Restaurants sowie Privatverkäufer an der Straße mit Honig, Schnäpsen und Käse. Ja, Käse muss her! Eine alte Frau freut sich.

Was einst 2003 hier noch Baustelle war, ist mittlerweile eine durchgehende, moderne Autobahn von Zagreb nach Zadar und Split, auf deren Strecke mit den Sveti Rok/Velebit (5,7 km) und Mala Kapela (5,8 km) zwei imposante Tunnels liegen, die dem Radler ungestörte Naturerlebnisse außerhalb sichern. Da ich hier meine geplanten Etappenrhythmus ändere, habe ich in den Folgetagen mit etwas unsicheren Verpflegungs- und Unterkunftsmöglichkeiten zu kämpfen. Brinje ist trotz Burgruine ein eher schmuckloser Ort, noch mit erheblichen Kriegsschäden wie auch mit einem zerfallen Sozialistenhotelkasten. Am südlichen Ortseingang gibt es zwar einen Privatvermieter mit schön hergerichtetem Haus, allerdings liegt das einzige Restaurant weit außerhalb nördlich (ca. 3 km weiter). So schlage ich meine Dackelhütte lieber irgendwo auf einer Feldwiese auf als nochmal zurückzuradeln.

Bildergalerie zu Kapitel VIII (105 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Tür 15 - 14.12.13 23:10

KAPITEL IX
Liebenswerter Charme im kroatischen Norden: Kleine Seen, schmucke Orte, einsame Waldrouten, kulinarische Wildgenüsse, Höhlenornamentik und ein mystischer Hexenberg

Die aus Pula stammende Tamara Obrovac steht mittlerweile meist als facettenreiche Jazzsängerin auf der Bühne, gleichwohl verfügt sie über mehr Talente, komponiert nicht nur Songs für die eigene Performance, sondern auch für Ballet und Theater. Dabei bezieht sie auch immer wieder kulturelle Wurzeln ihres Heimatlandes ein: Tamara Obrovac transhistria ensemble „Kada te nima tu“ (4:58 min.).

Mi 17.7. Brinje – Krizpolje – Jezerane – Vrh Kapela (884 m) – Modrus – Modruski – Josipdol – Ostarije – Ribarici – Jezero Sabljaci – Ogulin – Bijelsko (625 m) – Jasenak (607 m)
78 km | 12,2 km/h | 6:22 h | 1215 Hm
W: sonnig, max. ca. 30 °C
E: SV
Ü: PZ Kuca Tomic 13,10 € o. Fr.

Zwar verläuft die Strecke parallel zur Autobahn, was aber nicht direkte Autonähe bedeutet. Im Gegenteil: die wenige Blicke auf die Autobahn entpuppen sich von der Nebenstrecke aus als echter Blickfang. Die Dörfer Krizpolje, Jezerane und Modrus eignen sich für einen Kaffee – aber nicht viel mehr. Sobald die Autobahn im Tunnel verschwindet, windet man sich über den Kapela-Pass, der wie die gesamte Strecke die Gebirgsteile Mala Kapela im Südosten von Veliki Kapela im Nordwesten trennt. Wer eine ähnliche Route, aber ohne den weiten Bogen über Ogulin fahren möchte, kann auch direkt von Jezerane in die einsamen Wälder des Veliki Kapela in Richtung dem olympischen Wintersportzentrum Bjelolasica fahren.

Sowohl der Kapela-Pass, besonders aber die auch als Radroute ausgeschilderte Straße von Modrus über Modruski halten ein paar liebliche, abwechslungsreiche Hügellandschaften bereit. Bei Modruski erhebt sich eine Burgruine – unten eine Allee, kleine Nutzgärten mit Weinreben und Pflaumbäumen und immer wieder Ausblicke zur brückenreichen Autobahn. Die Nordanfahrt des Jezero Sabljaci über Gornje Zagorje gelang mir mangels durchgehender Radroutenausschilderung nicht. Stattdessen gelangte ich bei Josipdol (Hotel vorhanden, Verpflegungsmöglichkeiten) auf die Hauptstraße zurück. Auch hier Kleingärten, aber auch größere Felderwirtschaft. Ostarije, ein Marien-Wallfahrtsort, beeindruckt mit der 200 Jahre alten Marmont-Brücke über das sumpfige Flussbiotop quasi mitten im Ort.

Der gesamte Landstrich um Ogulin wird von einem Berg beherrscht: der Klek erhebt sich mit seinem Hahnenkammgipfel – man sagt auch ein versteinerter Körper – markant am Horizont als Symbol der sonst gedämpft hügeligen Waldlandschaft des Velika Kapela. Nicht zuletzt erlebt man eine besondere Atmosphäre am Sabljaci-See, als Ausflugsziel von den Städtern auch als Ogulin-Meer bezeichnet – ein ruhiges Kleinod, mehrere Bademöglichkeiten vorhanden, ein Restaurant. Ogulin entpuppt sich als lebenswertes regionales Zentrum, mit vielen Cafes und Restaurants, von der Dobra als Schlucht und mit Kaskaden mittig und fast wildromantisch zerteilt. Beherrschendes Bauwerk ist das verträumt wirkende Kastell des einstigen adeligen Gründergeschlechts der Stadt, den Frankopanen. Ein idealer Platz für ein Märchenfestival wie eines hier auch tatsächlich veranstaltet wird.

Die Straße zum Klek ist nicht sehr steil, verlangt aber eine gewisse Ausdauer. Oben breiten sich zwischen Wäldern flache Hochweiden aus und bald ergeben sich einige, wenngleich seltene Blickwinkel auf den Klek. In stürmischen Nächten, so ist zu lesen, tanzten hier einst Hexen, deren Geschrei man bis Ogulin hören konnte. Eine Legende besagt, dass eine zur Schlange verwandelte Königstochter einen Dukatenschatz in einer Gipfelhöhle bewacht. Einmal in hundert Jahren öffnet sich der Fels zu Mitternacht und ein Jüngling, der zur rechten Zeit am rechten Platz, mag die Schlange küssen, sie zur Frau verwandeln und sie heiraten können – gleich noch dazu den Schatz aus Gold. Ein bisschen hatte ich das Gefühl, dass zwei Augen aus dem Berg zu mir hinunter schauten. verwirrt Den Klek kann man bewandern, eine Stichstraße führt noch näher ran zu einer Berghütte (unbewohnt, Anmeldung erforderlich). In Bjelsko gibt es eine Hütte und ein Haus mit Ferienwohnungen, aber kein Restaurant, was auch für Jasenak und die gesamte Strecke durch den Wald bis zur Küste gilt. Bei Jasenak befindet sich ein wiederum sagenreiches Quellgebiet, die Hochpolje hier verströmt atmosphärisches Landleben in milder Abendsonne im goldgelben Glanz. Nur (noch?) die Königstochter fehlt.

Jasenak hat immerhin ein kleines Cafe zu bieten, der Shop daneben ist nur bis Nachmittag geöffnet. Hier befindet sich ein Abzweig zum Olympiazentrum Bjelolasica. Die Strecke wäre ich noch gefahren, laut Ortskundiger sind in diesem Skiresort im Sommer jedoch alle Einrichtungen einschließlich des Restaurants geschlossen. Wenn ich nun schon keine gehobenes Abendmahl bekomme, dann wenigstens ein ordentliches Zimmer. So quartierte ich mich in einem hübschen Ferienhaus mit Landidylle ein (etwas abseits der Hauptstraße), eine komplette Kücheneinrichtung war vorhanden – nur fehlten mir Hasenbraten, Kartoffelplätzchen und im Glas statt Wasser ein bisschen Wein.

Do 18.7. Jasenak – Stalak vrata? (1047 m) – Banska vrata (1083 m) – Breze – Ravno – Lic – Fuzine – Gornje Jelenje (881 m) – Drazice – Trnovica – Izvor Rjecine – Trnovica – Sarsoni – Viskovo
110 km | 13,1 km/h | 8:20 h | 1500 Hm
W: morgens Nebel, sonnig, teils windig, max. ca. 30 °C
E (Vagabund, Ravno): Grillplatte m. Gem., Reis, Polenta, Brennnesselpuffer, Radler 10,55 €
E (R Ronjgi, Viskovo): Hirschbraten, Preiselbeersauce, Gnocchi, Ww, Cafe 19,50 €
Ü: C wild 0 €
B: Spilja Vrelo (Fuzine) 3,90 €

Bereits abends legt sich über die Felder und Wiesen ein Nebelhauch, am Morgen schluckt der Tröpfchenschleier alle Blicke und Laute – bleibt die Stille. Am Cafe ist schon Betrieb, Bau- und Landarbeiter – ein internationaler Gast verirrt sich hier selten hin. Dennoch ist man auf der einsamen Strecke nie ganz allein, der eine oder andere Forstlaster verkehrt ebenso wie ein paar PKWs. Der Straßenrand bietet beerige Frühstückskost: Walderdbeeren, Himbeeren – wer ein Pfanne dabei hat: auch viele Pilze. Der Wald lässt immer wieder Licht durch für kleine Blumeninseln – ein Leuchten von Farben, an dem sich die Schmetterlinge zum Nektarsaugen einfinden. Unweit Jasenak gibt es noch einen wichtigen Abzweig – eine Schotterstraße, wohl weitgehend gut zu fahren, die am Bjelolasica westlich vorbeiführt und eine Verbindung nach Mkropalj bzw. weiter nach Ravna Gora, Delnice oder Lokve darstellt. Hier auf der Straße nach Brze hat man bis zum zweiten Pass bei eher mäßiger Steigung etwa insgesamt 500 Hm zurückzulegen.

Kurz nach Breze (Sägewerk) endet der Wald und weite Karsthänge ziehen sich in Richtung Küste. Das Meer bleibt stark im Dunst gefangen – ist noch weit. Statt Meer wähle ich Wald. Unterhalb Breze gibt es einen ausgeschilderten Abzweig nach Lukovo, Lic und Fuzine. Es sind auch zwei Gastbetriebe ausgeschildert (Vagabund und Vera), die in Ravno direkt an der Strecke liegen. Zunächst steigt man wieder durch das karstige Felsenmeer auf und taucht bald in einen teils dichten Wald ein. Hier tauchen weitere Verzweigungen auf, etwa zu einem Wildgasthaus sowie zu verschiedenen, im Wald versteckten Wohn-, Forst- oder Wochenendhäuschen. Vermooste Steinblöcke und Wurzelwerke, summende Choräle von Nektarjägern und verwunschene Waldlichtungen schaffen eine geheimnisvolle Atmosphäre eines Koboldwaldes. Hirsch und Wildschwein kann man sich gut dazu vorstellen – auch auf dem Teller. Nicht Wild, aber doch einen leckeren Mittagsteller verspeise ich dann im „Vagabund“ – eine Radnomade MUSS hier anhalten, schon des Namens Willen. Die Wirtin erzählt gleich meine kleine Radgeschichte befreundeten Gästen weiter. Wer es einplanen kann, hier zu übernachten, sollte es tun. Für Vagabunden mit Stil. Ein echter Tipp!

Bis Fuzine ist es nicht sehr weit, sowohl die Waldpassagen wie auch die offene Landschaft mit weitem Panorama auf Fuzine ist nur Mittelmaß – hier vom Norden sieht man nicht den See, sondern ein paar Gewerbebauten. Fuzine ist aber nur eine kleine Industriestadt, mehr ein eng gedrungenes Örtchen zwischen umliegend, gleich ansteigenden Hügeln und dem Stausee, der zusammen mit der Autobahnbrücke das charakteristische wie dekorative Bild entfaltet. Die kleine Senke hier bildet die Grenze zwischen Velika Kapela und Gorski kotar – soweit man die Höhenzüge bezeichnet. (Zur Verwaltungsregion Gorski kotar gehören auch Teile des Gebirgszuges Velika Kapela, indes das Velika Kapela keine Gespannschaft bezeichnet, sondern sich auf Teile der Gespannschaften Karlovac und Senj-Lika verteilt.) Unübersehbar sind die Lokalitäten, die mit Fisch- Wildspezialitäten locken und überregionalen Ruf genießen. Trotz allem scheint der Tourismus bescheiden. Der See lässt sich auf einem gepflegten Promenadenweg ganz umrunden, ebenso sind Badestellen vorhanden, soweit erkennbar wohl auch ein kleiner Camping am Westufer. Ein zweiter See schließt sich fast nahtlos über einen Kanal und ein Sumpfgebiet an, liegt aber abseits der Straße.

Unmittelbar an der Straße liegt eine unterirdische Sehenswürdigkeit des Karstes – die Tropfsteinhöhle Spilja Vrelo. Der Andrang ist so mager, dass Einzelführungen üblich sind – mit einer jungen Höhlenfee, ob der schon ihr freimütiges Lächeln in die Höhle (Hölle?) lockt. Die Höhle ist wie selten ebenerdig zugänglich und insofern besonders kinder- und behindertengerecht. Zwar fällt ihre Größe eher bescheiden aus, aber das macht sie den Frauen gleich mit hübschem Liebreiz wett. Gerne bezeichnet man sie als die kleine Schwester der Postojna-Höhle in Slowenien (Adelsberger Grotte). Dekorative Stalagmiten und Stalaktiten umgeben die lieblichen Besonderheiten der Höhle, die in einer Bergquelle, einem See und dem abfließenden Fluss bestehen. Bei starkem Quellfluss kann die Höhle komplett überspült sein. Viele Säulen- und Wandflächen sind ganz weiß – ein Zeichen für reinen Kalk, so nur selten in Höhlen zu finden. (Die Höhlenfee meinte sogar, es sei einzigartig, was aber nicht stimmen kann. Wie ich im Gespräch auch feststellte, waren ihr Höhlen außerhalb des kroatisch-slowenischen Grenzlandes gänzlich unbekannt.) Besonders stimmig ist die dezent grün schillernde Beleuchtung gewählt. Eine geeignete Atmosphäre, einen gut geschützten Lebensbund zu schließen – Hochzeiten sind hier möglich – Karstbünde, ob sie länger halten? Die Höhlenfee weiß es auch nicht.

Der Aufstieg zum Pass Gornje Jelenje ist vergleichsweise harmlos und unspektakulär. Die dichten Bärenwälder des Risnjak grüßen. Ist man auf der Verbindungsroute Delnice – Rijeka, nimmt auch der Verkehr zu. Gornje Jelenje – noch in gleicher verfallener Manier wie vor 10 Jahren – liegt diesmal ruhig und gelassen in der milden Abendsonne. So ungleich ist mir die Erinnerung im Kopf, hier einer der dramatischsten Bergfahrten gegen die Bora erlebt zu haben, zwischen Verzweiflung und Faszination hin- und hergerüttelt, mein Don-Quijote-Erlebnis der Drahteselreisen. Und nun? – Nichts, keine Gefühle. Mittelmaß. Nüchterne Analyse: Wäre schön noch in den Risnjak-Nationalpark zu fahren. Platak (ein Skiberg) vielleicht? – Die Zufahrt ist gesperrt – keine Experimente, Kurs halten heißt die Devise.

In weiten Bögen geht es zu Tal, ich tauche immer mehr unter die Karstberge, das Meer spürt man nah, die lau-schwüle Ebene, bereits ein erster Hauch von Ende – vom Ende der Reise, vom Ende des Karstes? – Noch nicht. Von oben überblickt man die Autobahn gut, bei Podhum liegt ein kleiner Flughafen. Ein ungewöhnlicher Turm, eine Art Trichterbaum aus Beton, ragt weit in den Himmel. Das Bauwerk steht hinter einer Mauer – ein niederschmetternd tristes Grau an Stein. Der Ort gemahnt an Tod – an Verbrechen – Krieg. Viel war in diesem Bericht von Kriegsverbrechen zu lesen – meist ging es um die post-jugoslawischen Zerwürfnisse. Hier geht es um die Verbrechen der Faschisten, die Spuren des Zweiten Weltkrieges.

Am 12. Juli 1942 ermordeten Armeeverbände der italienischen Faschisten 91-128 Menschen des Ortes Podhum, zerstörten 320 Häuser und deportierten die restlichen 889 Einwohner in Lager jenseits der Kvarner Küste. Die Region Gorski kotar war von faschistischen Säuberungen besonders betroffen, weil man dort Kommunisten und Partisanen vermutete. Tatsächlich hinterfragten die Faschisten die Gesinnung nicht und mordeten wahllos. Die Bevölkerung von Podhum war eigentlich prokroatisch, unterstützte also das Anliegen des faschistischen Vasallenstaates des Unabhängigen Kroatiens (der auch BiH und Serbien umfasste), der im April mit Hilfe der deutschen Wehrmacht und der Achsenmächte errichtet wurde und vorübergehend die Idee des sozialistischen Jugoslawiens zerschlug. Es wird geschätzt, dass die Zwangsitalienisierung etwa 100000 Kroaten und Slowenen das Leben kostete. Zahlreiche Repressalien wie der Entzug der eigenen Sprache in den Schulen begleiteten die Feldzüge. Auch nach der Kapitulation Italiens unterlagen Slowenen und Kroatien den Verbrechen der Faschisten – sodann der deutschen. In Istrien verloren zwischen 2500 und 5000 Kroaten und Slowenen ihr Leben an die deutschen Faschisten. Kroaten wurden auch in den KZs von Auschwitz und Dachau deportiert.








Gedenkminute – a time of memory








Ganz im Gegensatz zur tragischen Geschichte stehen die lieblichen Felder und Gärten der Umgebung. Nach Drazice gelangt man in ein enges Tal, wo kleinteiliger Weinanbau verbreitet ist. In Trnovica führt eine Brücke über den Fluss Rjecine, wo es sogleich in ein paar Serpentinen – durchaus anstrengend – über einen Berg in die Weite der Kvarner Bucht von Rijeka geht. Zuvor zweige ich aber noch in Trnovica entlang der Rjecine ab, denn hier soll am Ende des Tals noch eine Karstschönheit – ein Wasserfall – liegen. Sogar vermute ich dank schlechter Karten auch einen Übergang als Piste nach Studena oder Klana. Doch beides entpuppt sich als Phantom. Der Übergang ist nicht existent, und der Wasserfall ein Opfer der Verkarstung – Wasser gibt es nur in feuchten Jahreszeiten. Ich komme zwei Wochen zu spät – so gibt mir eine junge Feierabendgruppe auf der Wiese zu verstehen. Am Ende des Tages stehen dann Sonnenuntergang über der Adria und ein leckeres Wildessen.

Bildergalerie zu Kapitel IX (85 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

macht hoch die Tür, die letzte - Via Dinarica Ende - 15.12.13 22:59

KAPITEL X
Karst-Finale in Südslowenien: Auf Bruno’s Tatzenspuren, Höhlenkunde im Riesenformat, bezauberndes Weinland geschmackvoll eingeschenkt und die Triester Dichterküste

Musik: Der slowenische Gitarrist Samo Salamon gehört zu den aktuell innovativsten Jazzgitarristen weltweit. In teils ungewöhnlichen Besetzungen wie etwa mit dem Tubisten Michel Godard oder hier mit dem Geiger Dominique Pifarély lotet er im Improvisationskollektiv neue Klangmöglichkeiten der Avantgarde aus: Samo Salamon Strings Quartet „The puffins we never saw” (7:59 min.).

Fr 19.7. Viskovo – Sarsoni – Klana – Lisac (? m) – Novakracine – ? (? m) – Rupa – ? (486 m) – Ilirska Bistrica – Sviscaki (1241 m) – Sneznik-Pass (1260 m) – Masun – Knezak – Kenzak vrata (610 m) – Ilirska Bistrica – Brce
96 km | 11,2 km/h | 8:33 h | 1650 Hm
W: sonnig, schwül, zum Sneznik regnerisch, danach kühl
E (H): Fisch, Kart.salat, Bier 15 €
Ü: H Domacija Bubec 25 € m. Fr.

Die erste Passage zurück nach Sarsoni und bis Marcelje ist recht steil, sodann sich letzte Blicke über die weite Adria-Bucht ergeben. Die nun auch stark durch Alltagsverkehr (Pendler, Lieferanten, Bauwerker) belastete Strecke lohnt zwar gemäß meinem Weg zu umfahren. Diese Alternative endet aber an einem nicht offiziellen Grenzübergang nach Slowenien, der – so die slowenische Polizei – auch nach dem Beitritt Kroatiens zur EU nicht für internationale Gäste erlaubt ist zu überschreiten. Da Kroatien noch nicht dem Schengen-Abkommen zugehörig, müssen weiter Passkontrollen durchgeführt werden. Das geht nicht an unbemannten Grenzen, die für die lokale Bevölkerung offen sind – wie zwischen Lisac und Susak. Es war insofern logisch, dass mir die Einheimischen in Klana bedeuteten, dass der Übertritt nach Slowenien auf dieser Strecke kein Problem sei. Für die Einwohner nicht, für mich schon! Der offizielle Übergang führt über Rupa.

Die slowenischen Polizei verlangte zunächst, dass ich umkehren solle, was in Anbetracht des arg groben Schotters zwischen Lisac und Susak schon fast unmöglich geworden wäre – hätte bergauf dann wohl schieben müssen (runter geht halt irgendwie). Als Alternative boten sie mir an, eine Strafe zu zahlen um freie Fahrt zu erhalten. Das stößt bei einem unterdurchschnittlich bezahlten deutschen Arbeitnehmer auch nicht auf freundliche Gegenliebe. So blieben nur der hartnäckige Hinweis auf missverständliche EU-Vorschriften und Fehlinformationen durch die lokale Bevölkerung. Schließlich wurde ich nach einer Mobilfunkrückfrage der Pilzisten mit einer Leitstelle begnadigt. schmunzel

Neben diesem Vorfall sei bemerkt, dass die Strecke zwischen dem netten Ort Klanak und Lisac eine recht hübsche Waldstrecke mit Bachlauf einen Berg hinaufführt, der Grenzort also quasi eine Passhöhe darstellt. Ebenso macht die Strecke von Novakracine zur Transitstraße zwischen Rijeka und Ilirska Bistrica Laune über einen leichten Hügel mit lichtem Kiefernwald. Slowenien – das ist gleich spürbar, ist nochmal etwas schicker zurecht gemacht als die nordkroatische Seite, ein Hauch von Schweiz liegt gediegen über den Dörfern.

Ruhe findet man auf der Transitstrecke weniger, es gilt schnell das Stück hinter sich zu bringen. Geldwechselstuben und Obststände wittern gute Geschäfte mit Adriatouristen. Ilirska Bistrica ist eine recht übersichtliche Stadt – eigentlich eher ein Städtchen – einige K&K-Spuren, ein hübsches Ortsbild durch die Kirche über der Stadt. Ich besuche auch einen Radladen unter Vortäuschung eines Kaufinteresses, um ein wenig zu schnuppern, was es so gibt. Bei der Suche nach einer Windjacke ist der Herr extrem bemüht, er scheint dem internationalen Gast eine gewisse Wichtigkeit zuzuordnen. Die Klamottenabteilung ist aber bescheiden. Besser erachte ich den Umfang der Ersatzteile, ein paar Kompletträder finde ich auch ordentlich – neben Mountainbikes auch viele Kinderräder.

Gewiss, die folgende, nicht einfache Route ist eine fast überflüssige Luxuszugabe für Bergstürmer. Ursprünglich hatte ich den Wald- und Wildgasthof Masun als Übernachtungsziel erkoren, doch war ich jetzt in einem anderen Etappenrhythmus. Fast wäre ich doch noch in im stark besuchten Masun eingekehrt, brauchte ich doch arg lang für die Piste – nicht so schlecht zu fahren, aber doch eine lange Schotterstrecke und daher zeitraubend. Hinzu kamen eine entsetzliche Müdigkeit und ein kleineres Gewitter. Die Strecke ist eher eine Waldstrecke (viel Buche, auch Tannen), anfangs hat man weite Blicke nach Süden, das schönste Zwischenstück mit alpinen Blumenwiesen ist kurz. Oben befindet sich eine Ferienwohnsiedlung mit einer großen Almwirtschaft – eine gepflegte Lichtung im Wald, offenbar recht beliebt auch im Sommer – im Winter gibt es Skitourismus. Eine abzweigende Piste könnte man wahrscheinlich auch noch bis auf den Berg Sneznik fahren.

Nach Masun geht es nicht sofort durchgehend hinunter, sondern ein kleiner Gegenanstieg mit dem effektiv höchsten Punkt folgt noch nach der Almsiedlung. Außer Wald ist dann nichts zu berichten, der Abzweig zur Burg Sneznik und weiter nach Cerknica liegt bereits oberhalb von Masun. In Masun gibt es weitere Pistenverzweigungen, auf denen man Wege durch Wald zur Burg Sneznik wie auch nach Postojna finden kann. Ab Masun ist wieder Asphalt, der Belag allerdings nicht von bester Qualität. Typisches Bärenland durchfährt man – dichte Wälder, immer wieder mit Lichtungen, auf denen ich mir vorstelle, dass Bruno herumtanzen könnte. Bruno – der berühmteste Bär zwischen dem Trentino und Bayern – der Problembär, dessen Schicksal vor einer bayerischen Flinte endete, weil er aus dem Nationalpark Adamello-Brenta ausgebüchst war – dessen Mutter tollte einst hier herum, bevor sie zum Exportbären für europäische Umsiedlungspläne wurde. Hätte sie hier Bruno zur Welt gebracht, dann würde Bruno noch heute hier herumstreichen, Bienenwaben lecken und alles wäre – null problemo.

Ein letzter Teil führt kurz noch durch einer Felderebene, bevor man in Knezak wieder auf die Transitstrecke zwischen Postojna und Rijeka zurückkehrt. Nun wollte ich weniger gern in Ilirska Bistrica nächtigen, sondern lieber in einem der beschaulichen Landunterkünfte umher. So fuhr ich etwas abseits meiner Route in ein Stichtal rein (mit Zwischenhügeln). Der Waldgasthof Bubec in Brce liegt völlig abseits allen Trubels in einem feuchten Flusstal, umgeben von Wildgehege, Pferdestall und Fischteichen. Der Fische kommt hier direkt vom Köcher auf den Grill und auf den Teller. Was eben noch gezappelt, nun liegt im Bauch des Radlers und – das muss man sagen – hat gemundet, auch wenn es herzlos ward. schmunzel

Sa 20.7. Brce – Harije – Tominje – Pregarje – Karlovica (715) – Tatre – Artvize – Matavun/Skocjanske jame (10-17 h stdl.) – (Divace) – Lokev – Lipica (8-18 h stdl.) – Sezana – Smarje – Dutovlje – Stanjel
82 km | 13,0 km/h | 6:18 h | 1090 Hm
W: sonnig, max. ca. 30 °C
E (Burg-Vinothek): kl. Aufschnitt, Rw, Sorbet 12,20 €
Ü: PZ Apartma Jera 25 € m. Fr.
B: Skocjanske jame (kl. Runde 3 h) 15 €

Der Gasthof Bubec wird von einem Italiener (Triest-Region) geführt. Er fühlt sich wohl in Slowenien und meint, dass es eher leichter sei, ein Gastgeschäft zu führen als in Italien. Die Gäste waren nicht gerade zahlreich – er meinte, sie kommen besonders am Wochenende. Einem deutschen Paar mit Auto war es zu teuer – Schnäppchenjäger? – Die Zimmer sind wunderbar, auch wenn nur Etagendusche. Die Lage ist für Märchenmacher gedacht. Der Morgen hat was Besonders, denn überall liegt Nebel in der Aue. Stimmungen wie Gedichte von Eichendorff . Neuntöter. Spinnenetze. Tautropfen. Gräser. Alte Apfelbäume, krumm gewachsen. Erwachende Dörfer. Die Sonne bricht leicht, nicht gleich, lässt Zeit. Das Einfache ist hier groß! Licht – Schatten – Stille. Die Dörflein folgen, jedes Kirchlein weiß um seine Wirkung, wo nur leichte Hügel den Horizont begrenzen, wo nur wenige Dächer Heimstatt bieten. Die Sonne wächst heraus, der Nebel weicht – es ist Slowenien vom Lande, auf Postkarte gemalt.

„Freund, du hast Zeit. Das Zeithaben war es auch, was dem Dörfler zu seinem besonderen Gang verhalf (…). Zu solch einem Gang gehörte es, dass der Gehende selbst sich in Abständen, unwillkürlich, doch umso bewusster, umblickte, nicht aus Angst vor einem Verfolger, sondern aus reiner Lust am Unterwegssein, je zielloser desto besser, mit der Gewissheit, dabei in seinem Rücken eine Form zu entdecken, sei es auch nur den Riss im Asphalt. Ja, die Gewissheit, eine Gangart zu finden, ganz Gang zu sein und dabei zum Entdecker zu werden, hob den Karst ab von den paar sonstigen freien Weltgegenden, durch die ich gekommen bin.“ – so schrieb einmal Peter Handke in seiner literarischen Reiseerzählung „Die Wiederholung“. Man möge den Gang durch das Treten und den Gehenden durch den Radler ersetzen und weiß, wie ich selbst empfunden habe.

Der Höhepunkt des Tages sollte dann die Skocjanske jame werden, ein großes Karst-Bauwerk von riesigen Ausmaßen und vom Wasser in Millionen Jahren zurecht geschliffen. Es handelt sich hier nicht um nur eine Höhle, sondern um ein ganzes System an Höhlen, Gängen, Einsturzdolinen, Naturbrücken, Schlucklöchern, Wasserfällen und Seen. Fauna und Flora sind sowohl unter- wie überirdisch teils endemisch. Wegen seiner Vielfalt und Eindrücklichkeit besitzt die Skocjanske jame ein einzigartiges Abbild von Karsterscheinungen und wurde entsprechend ins UNESCO-Welterbe aufgenommen, ebenso wie der gesamte Park als UNESCO-Biosphärenreservat anerkannt wurde. Den Kern des Parks – und dies ist auch der eintrittspflichtige Teil (Führung) – ist die Flusshöhle der Reka, die nahe dem kroatischen Klana (s. Vortag) entspringt und zunächst 50 Kilometer oberirdisch, teils stark mäandernd fließt. Sodann nimmt sie 35 km den Weg unter dem Fels und taucht erst wieder in Italien nahe der Triester Bucht auf.

In der Höhle wurde ein gesicherter, treppenreicher Weg angelegt. Er führt an Sinterterrassen und mächtigen Tropfsteinen vorbei, die teils zu orgelartigen Gebilden zusammengewachsen sind. In diesem eher der karstigen Schönheit gewidmeten Teil herrscht Stille, die dann von der Reka gebrochen wird, wenn man in die „Rauschende Höhle“ eintritt. Hatte man es vorher mit großen Sälen zu tun, folgt nun so etwas wie die große Halle des Karstvolkes – von schier gigantischer Größe, im lauten Rauschen der Mensch zur Winzigkeit erdrückt. Der größere unterirdische Höhlenteil ist für normale Besucher nicht zugänglich, kann nur von Höhlenforschern begangen werden, nur mit entsprechender Ausrüstung und Technik nicht ganz ungefährlich zu erobern. Der Weg folgt über eine 45 m hohe Brücke, die nochmal die Dimensionen verstärkt. Es sei erwähnt, dass das Fotografieren bei der Führung innerhalb der Höhle verboten ist, außerhalb natürlich wieder. Nimmt man nur die Säulenschönheiten als Maßstab, ist Postojna sicherlich wertvoller, doch gibt es hier nicht nur diese einzigartige Flusshöhle, sondern einen Variantenreichtum von Karstphänomenen zu sehen wie sonst nirgends.

Am Höhlenausgang wird man bei der Kleinen Führung entlassen und kann nach freien Stücken noch die ganzen offenen Karstpreziosen bewundern. Durch den gewaltigen Dolineneinbruch führt der Weg zum Ausgang über eine 180 m hohe Treppenorgie – die Banausen nehmen die Standseilbahn, die im Preis eingeschlossen ist. Es lohnt auch noch die oben liegende Wege zu begehen, die vor allem die Dolinenwelt eröffnen mit dem Dorfpanorama von Matavun. Ein kleines Museum ermöglicht das Studium der Siedlungsgeschichte und typischer bäuerlicher Landkultur in der Region. Das Restaurant am Kassenbereich hat gewiss typische Touristenpreise, die Naturlimonade ist aber zu empfehlen. Für die Kleine Runde sollte man mit allem Drumherum annähernd einen halben Tag einkalkulieren – auch wenn man es ggf. schneller schafft. Für die Große Runde empfiehlt sich eine Übernachtung vor Ort, um die Umgebung ausreichend in Augenschein nehmen zu können – weitere umliegende Höhlen mit exklusiveren Besuchszeiten mögen ein Anreiz für einen längere Verweildauer sein. In der Umgebung sind einige, auch recht nette ländliche Unterkünfte zu finden, einen Camping gibt es nur wenige Kilometer entfernt in Skoflje.

Bewegt man sich Richtung Lipica, wirkt die Landschaft sehr mediterran, das Meer glaubt man schon zu riechen. In dem Ort Lokov gibt es in dem auffallenden Rundturm ein recht spezielles Kriegsmuseum mit ca. 4200 Exponaten von grausamen Relikten aus dem 1. und 2. Weltkrieg einschließlich der KZ-Einrichtungen. In gewisser Weise war ich erleichtert, dass Museum geschlossen vorzufinden, obwohl der Anblick der verächtlichten Verbrechenswerkzeuge ja eigentlich zu der umfassenden Sicht meines Via Dinarica gehören würde.

Eher für die Freunde von höfischer Eleganz und muskulös schön gewachsener Zuchttiere ist das Gestüt Lipica ein Highlight. Ich war nun durch den Höhlenbesuch nicht mehr für einen Gestütsbesuch rechzeitig (dessen Pforten immerhin später schließen als die in Skocjan). Doch so wirklich reizt mich dieser höfische Dressurtrallala nicht. Es ist aber auch Genuss, die weißen Pferde auf dem weitläufigen Gestütsweiden in der milden Abendsonne zu sehen. Lipica ist eigentlich Privatbesitz, die Straße hindurch ist aber geduldet und eingeschränkt nutzbar. Auch ist Lipica ein Freizeitzentrum, für die Armen gibt es eine große Parkanlage, wo man picknicken kann. Kleingeldsammler treffen sich gerne im Casino, ein Wellnesshotel ist ebenso angeschlossen wie ein Golfplatz. Der wunderbaren Atmosphäre schadet das Luxusgewedel zum Glück nicht, ist es ja in gewisser Weise passend zu den Edelpferden, ohne die der Spanischen Hofreitschule das geeignete Huftretermaterial fehlen würde.

Sezana ist eine recht untouristische Stadt, es empfiehlt sich, weiter zu fahren auf die Weinstraße, die unmittelbar am Ortsende abzweigt (Nordost, dort dann „Kraska vinska cesta“ folgen bzw. Richtung Smarje). Gleich dann beginnt das liebliche Augengedicht von Rebstöcken und kleinen Weindörfern, deren schöne eines nach dem anderen folgen. Nicht gerade zufällig liegt hier mit Tomaje das Heimatdorf des slowenischen Dichters Srecko Kosovel, der mit einem konstruktivistischen Ansatz neue Impulse in der europäischen Dichtkunst setzte. Was könnte man hier anders in den Mußezeiten tun als Verse verfassen? Sein Wirken war nur von kurzer Dauer, starb er doch bereits mit 22 Jahren an den Folgen einer Erkältung an Meningitis. In den meisten Orten findet sich mindestens eine Speiselokalität, zum übernachten – wenn kein Hotel – ein Privatvermieter. Einige Weingüter bieten beides im Paket an, den goldenen Abendglanz über leuchtendem Weinlaubgrün inklusive. In Pliskovica soll eines der typischen Karsthäuser sogar als Jugendherberge ausgelegt sein.

Ich entschließe mich noch, bis Stanjel zu strampeln. Auf dem Hügel thront eindrucksvoll das mittelalterliche Burgstädtchen, aus dessen Silhouette vor allem die eigentümliche Kirche hervorsticht, deren Turm einer stilisierten Bischofsmütze ähnelt. Ausgerechnet hier aber wird dem Gast wenig geboten – die spärliche Kulinarik beschränkt sich auf die Vinothek, das doch wunderbare Zimmer entschädigt in gewisser Weise. Der Ort ist immer noch fast ausgestorben, was seine Ursache mal wieder in den kriegerischen Verbrechen hat. Blieb Stanjel vom faschistischen Terror verschont, übernahmen es stattdessen Titos Partisanen die Stadt niederzubrennen und sie in der gesamten Jugoslawien-Ära ein Geisterdorf blieb. Die Rückgewinnung von Einwohnern verläuft schleppend, derzeit setzt man neben Tagestouristen auf Kunst.

So 21.7. Stanjel – Branik – Griznik (298 m) – Komen – Pliskovica – Brije – Gorjanske – Brestovica – Jamlje – Duino – Sistiana – Montefalcone 16:27 h || 17:48 h Venezia Mestre 21:09 h || Mo 6:15 h München 6:48 h || 9:07 Stuttgart (Angaben planmäßig, tatsächlich 1 h Verspätung)
70 km | 14,9 km/h | 4:42 h | 765 Hm
W: nachts/morgens Regen, später sonnig, schwül, max. ca. 35 °C
E (R Columbus, V.-Mestre): Wurst m. Polenta/Pilzen, Tintenfisch Venezia-Art m. Polenta, Crème brulée m. Früchten, Cafe 38,50 €
B: Weinprobe Vina Strekelj gratis, 2 Fl. Wein 16 €

Dass es nachts und noch morgens regnete, machte mir etwas Angst, nicht mehr recht die Hügel zur Küste zu schaffen. Doch wichen die kleine Tränen des Himmels bald blendendem Sommerwetter – am Ende einer der heißesten Tage, sicherlich nicht unter 35 °C und hitzig bis in die Nacht. Noch ein Blick würdig sind in Stanjel die Ferrarigärten von Max Fabiani. Der Architekt schuf in der Zeit zwischen den Weltkriegen einen eklektischen Mix italienischer Stilepochen mit Brücken, Teichen und Säulen, nahe am Grat zwischen Renaissance-Schönheit und antikem Kitsch gebaut. Für funktionierende Wasserspiele schaffte er ein intelligentes Bewässerungssystem, das zugleich seiner Villa im trockenen Karst fließendes Wasser ganzjährig bescherte. So ist denn auch die Anlage heute ein Kultur- und Pionierdenkmal, das allerdings von der Zerstörung Stanjels auch noch nicht wieder ganz genesen ist.

Das Vipava-Tal erreicht man nach einer kleinen Abfahrt, liegt also deutlich tiefer als das zuvor beradelte Weinland. Auch hier liegt eine Weinstraße, die aber durch den Höhenzug von der südlichen getrennt ist. Branik ist der größte unter alle Karst-Weinorten, die ich durchfahren habe, schweigt aber am Sonntagmorgen auch still. Über dem Tal und der Stadt liegt eine Burg, die man im Rahmen von der Bergstraße hinter Branik per kleine Stichstraße erreichen kann. Sie ist aber unzugänglich in Privatbesitz. Während die Auffahrt unter Laubblattdächern noch Feuchte und Kühle bietet, breitet sich oberhalb trockener, aufgelockerter Kiefernwald aus. Komen, das kaum aus der Landschaft hervorsticht, ist ein kleines Infrastrukturzentrum für die südliche Karstweinstraße. Ein Restaurant verspricht gute, neue slowenische Küche. Nochmals werden die Rebenhänge in einer Talmulde von Grasland und Kieferwäldern unterbrochen, um dann erneut wieder lieblich aufzutauchen. Wer durchgehend Weinhügel sehen möchte, müsste von Dutovlje direkt nach Pliskovica durchradeln und dann weiter meinem aktuellen Weg folgen.

Bevor ich auf einem Umweg die Triester Dichterküste bei Duino und Sistiana ansteuere, liegt noch ein Exkurs zu dem Saft, aus dem die Landschaft geschaffen und die Poesie inspiriert ist – zum Wein. wein Die Weinprobe bei Jordan Strekelj dauerte inklusive kosmopolitischer Gesprächsthemen wohl ungefähr zwei Stunden (s. Einführung). Da war dann das Opfer ein ausgiebiges Abschiedsbad in der Adria, was angesichts des italienischen Strandtrubels aber recht entbehrlich war. Was man in Italien mit Kultur und Natur macht, ist ein kleines Verbrechen. Der Rilke-Pfad war offiziell gesperrt. So richtig begründet ist die Sperrung nicht, man mag sich Steinschlag denken. Eher scheint man sich nicht mehr drum zu kümmern, der Weg bringt kein Geschäft, die Kultur darf verfallen. Dagegen steht eine Strandzufahrt runter nach Sistiana-Beach mit Schwärmen von Autos und Mopedgeknatter, Parkplätze in fußballfeldgroßen Dimensionen fast bis zum letzten Kieselstein ans Meer geschoben, eine Gelärme von Bambini-Zirkus-Tollhaus, gespickt mit Zuckerkonfekt- und Buntfarbeneisbuden und am südlichen Ende ein Bauzaun, hinter dem noch mehr pervertierte Strandkultur gebaut wird. Die Steilküste mit dem fernen Schloss von Duino ist immer noch Paradeblick – die Bucht hier aber leidet, von der Poesie gänzlich bereinigt für den Kommerz. Schade. Es kostet ein leises Weinen. Der Karst wird die Tränen verschlucken. Noch einmal lasse ich es durch die großartigen Worte Srecko Kosovels sagen, was mich zum Abschied gleich so in Gedanken bewegte (aus dem Gedicht „Skizze“):

Ich weiß, diese Frage kommt noch, gewiss! Sie
kommt
um Mitternacht oder zu Mittag, still und ernst:
„Was hast du mir gegeben?“ Sie kommt. Vom
Karst.


Was soll ich dir geben? Was soll ich euch geben,
ich,
der ich euch verlassen habe?


Schau, durch meinen Arm fließt Sklavenblut,
in meinem Herzen auch. Immer muss ich
irgendwem
dienen. Jetzt diene ich dir. Dir gab ich alles – jetzt
hab
ich nichts mehr – Das Herz gab ich dir, was soll
ich dir geben?


Bildergalerie zu Kapitel X (120 Fotos):



E N D E schmunzel