Ein grüner Alien im Königreich Karantanien

von: veloträumer

Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 05.12.15 18:34

„Imprestàimi peraulis
gnovis di fàrie e lustris,
mai dopradis,
par impirâlis tune glagne d’aur;
tre-quatri peraulis e nujaltri,
di chês ch’a sunin come grîs di mai
o come il cjampanin de messe:
par dî une cjante di stelutis vivis.”

(„Leiht mir neue Wörter, / geschmiedet und glänzend / und noch nie verwendet, / um sie auf einen Goldfaden zu reihen; / drei, vier Wörter und sonst nichts, / von denen, die klingen wie Grillen im Mai / oder wie das Messglöckchen: / um anzustimmen ein Lied von kleinen lebendigen Sternen.“)

Giuseppe Marchetti (in: Pier Paolo Pasolini u. a. „Wie eine Viole in Casarsa“, S. 76 f.)


EIN GRÜNER ALIEN IM KÖNIGREICH KARANTANIEN

Autor: studi-RAL-verde, graduell abgestufter Forschungs-Alien auf der Green Devil
mit Halbkompetenzen in den terrestrischen Sachgebieten und defizitären Myofibrillen-Exerzizien in ausgewählten velophilen Beinstrukturelementen


Textpräsentation genehmigt mittels befristeter Schriftverleihnixlizenz von veloträumer



Kleinstufige Allergiewarnung: Kann Spuren von außerirdischer Fantasieüberhöhung, bissiger Satire oder peinlichen Erden-Wahrheiten enthalten

„The Golden Ladder is an invisible thread connecting the earth and the sky. It can only be seen by chosen ones. Only they can listen whispering the stars, heavenly music, and can be in harmony with the universe. The poet senses and feels them. They are somewhere out there.”
Alojz Gradnik

E.0 Vorstufenabgleich der zeitlosen Galaxien mit den irdischen Historialrastern und dispositiven Georaten

„Ein Königreich soll es sein“ – so wies mir mein Commander speichen-08/15-kracher aus dem Raumschiff „Green Devil“ zu, als ich ihn um die Erlaubnis zu einer Forschungsreise aus der Galaxie der Siebentausend Grünen Froschlöcher heraus bat. Es dauerte mehr als sechs jupitersche Mondzyklen, bis ich aus der tiefsten Luke des Beobachtungsdecks ein etwa 1130 Jahre entferntes Königszeichen erkannte – eine gold blitzende Bergspitze, deren Name sich später als Goldeck entpuppte. Zu ihren Füßen liegen in einem Museum in Mulzpuhil (heute: Molzbichl) einige – auch güldene – Reste des Königreichs Karantanien (Regnum Carantanum, regiert von König Arnulf 887-899, zuletzt auch unter dem Titel Kaiser), welches selbstverständlich nach den 1130 Jahren Reisezeitwerteinheiten zu meiner Ankunft nicht mehr existierte. Ich musste daher meine Forschungsmethoden von der „historiae profundi“ auf einige spekulative Historialraster erweitern, die auf der Green Devil auch als „GD soft windows of microbic satiric sciences“ bezeichnet werden, die ich kurz in den folgenden zwei Abschnitten skizzieren möchte.


Mit makrokularem Dominanzprovider aus der Galaxie der Siebentausend Grünen Froschlöcher zu erkennen: Das Goldene Bründl am Eingang der Tscheppa-Schlucht, vermutlich die letzte Staatskasse des Königreiches Karantanien – zugleich ein Abbild des heutigen, verarmten Kärntens

Die weiteren Präzisionsbeobachtungen mit dem makrokularen Dominanzprovider eröffneten schließlich einen Blick auf die maroden Staatsfinanzen, vermutlich zu Ende von Arnulfs Regentenzeit. Im Goldenen Bründl, am Eingang der Tscheppa-Schlucht zu finden, blitzen nur wenige Münzen, die nicht einmal zum Erhalt der körperlichen Konstitution von König Arnulf ausgereicht haben dürften. Die verzweifelten Bettelversuche endeten grauenhaft mit der vollständigen Abmagerung von Fürst, König und Kaiser Arnulf, einem Flüchtling aus Bayern. Als Asylgrund gab er übrigens Herrschaftsgelüste an, die ihm als unehelicher Sohn des Bayernkönigs Karlmann moralisch im Land der Hopfen- und Gerstengetränke nicht zugestanden werden konnten. Diese Moralität soll sich noch bis weit ins 20. Jahrhundert gehalten haben. Manche meinen sogar, es wäre noch heute unmöglich, Bayernkönig aus unehelichem Stand zu werden, obwohl man sich gerne zu den Freigeistern des Kontinents zählt. Wie viele von Arnulfs landsverwandten Regenten, etwa der ehemalige Märchenschloss-König Ludwig II., aber auch der heutige König Horst, neigen diese allerdings dazu, solange an ihrer Macht festzuhalten, bis sie sich – mehr oder weniger dem Größenwahn nahe –, in den selbstbereiteten Untergang begeben (müssen). Auffällig ist allen gemein die Nähe zu wunderbaren Flüssigkeitsdenkmälern, bei König Ludwig der Alpsee mit Türmchenschlosskulisse, bei König Arnulf die imposante Tscheppa-Schlucht und bei König Horst das ehrwürdige Bier der Stammtische.

Damit waren die okularen Zeitforschungsmethoden auf der Green Devil erschöpft. Ich ziehe daher hier die Erkenntnisse meiner Vor-Ort-Erforschung am Goldenen Bründl vor. In der letzten dunklen Ecke erblickte ich nun tatsächlich König Arnulf in seiner stark abgemagerten Form, der immer noch an seiner Goldenen Regentenkugel festhält. Da er nicht mehr fähig sein dürfte, das Geld aus dem Bründl zu nehmen, geschweige denn, dass er irgendeinen Laut von sich geben könnte, dürften die wenigen Münzen von Besuchern hier eine Verbeugung vor dem Geist Karantaniens bedeuten – ein Zeichen, dass dieser weiterhin lebendig gehalten wird. Gerüchteweise soll das Goldene Bründl aber auch die Staatsfinanzen des heutigen Kärntens widerspiegeln, während sich die Millionäre an den Privatseen die Füße hochlegen.


König Arnulf von Karantanien, in stark abgemagerter Form neben dem Goldenen Bründl, wie andere bajuwarischen Regenten machtbesessen bis in die Verderbnis an der Kugel der Macht festhaltend

Nebenbei bemerkt: Commander speichen-08/15-kracher zeigte sich erfreut über die Ähnlichkeiten im Knochenbau von König Arnulf zu seinem eigenen. Er setzte nach meiner Rückkehr eine Arbeitsgruppe ein, die die adeligen Abstammungslinien der Bewohner der Green Devil erforschen soll. Positive Ergebnisse blieben aber bisher dürftig. Unbestritten ist hingegen, dass alle Bewohner der Green Devil über milchstraßige Migrationshintergründe verfügen, die aber im Laufe der Lichtjahresanpassungen mit Enzymen der Konvergenzsymbioseoptimierung in den unsichtbaren Historial-Kraftfeldern der Schwarzen Löcher aufgelöst wurden. Ahnenforschung ist daher auf der Green Devil eine der schwierigsten Wissenschaftsdisziplinen. Entsprechend sind Geschichtsreisen in andere Galaxien äußerst beliebt, leider aber fast unerschwinglich. Meine Zeitreise ist also auch als eine besondere Auszeichnung zu verstehen, die mir Commander speichen-08/15-kracher zukommen ließ. Gleichwohl unterliege ich deswegen einer besonders demütigen wie wissenschaftlichen Verantwortung.

Für Außenstehende sei gesagt, dass es mit unserem Zeitwerttransponder möglich ist, zwar die Reisezeit zu allen Orten der Geschichte in stündliche Bereiche zu verkürzen, wobei allerdings die Zeitwerte des Zieles entsprechend der sonst real zu bewältigenden Reisezeit – also in diesem Fall 1130 Jahre – vom Transponder in kosmischen Tangentialalgorithmen verrechnet werden, sodass man zwar ohne Bartwuchs das Ziel erreicht, aber die galaktisch-irdischen Zeitachsen letztlich nicht überlisten kann. So konnte ich also trotz meiner historischen Beobachtung vom Raumschiff auf das Königreich Karantanien dieses nicht wirklich zu seiner Zeit bereisen, sondern musste mit den Relikten in der irdischen Moderne – genauer im Jahre 2015 – vorlieb nehmen. Natürlich habe ich nun nach der Rückkehr auf die Green Devil wieder den Blick frei auf das alte Karantanien, von denen einige meinen, es könne auch das zukünftige sein – die Wiedergeburt des alten Karantaniens. Auf der Green Devil weiß man halt nie genau, ob man in die Vergangenheit oder die Zukunft blickt.


Commander speichen-08/15-kracher in der Regenerationsphase nach seinem lebensbedrohlichen terronalen Allergieanfall

Leider schlich sich in die digitale Bordnavigation ein Fehler ein, sodass wir nicht exakt am Startpunkt der Reise landeten. Vermutlich waren zeitüberschreitende karantanische Gravitationskräfte dafür verantwortlich – immerhin setzte das Raumschiff unweit des Mittelpunktes Kärntens auf. Mein Commander erlitt daraufhin ein terronalen Allergieanfall, bei dem üblicherweise die grünen Hautpartikel disparsive Pigmentstörungen erleiden. Er musste sich erstmal an einem Baumstumpf ausruhen. Glücklicherweise wurde ich zu meiner Orientierung auf der Reise mit archaischen Landkarten ausgestattet, die in den heiligen Papierarchiven der Green Devil gut behütet werden. Damit waren solchen Szenarien wie die mit Commander speichen-08/15-kracher ausgeschlossen. Mit Landkarten bekommt man allenfalls konventionelle Wutanfälle, die aber keinerlei Lebensgefahr bedeuten.

Nach Lageberatung beschlossen wir, den Regional-Beamer einzusetzen, mithilfe dessen ich zumindest in die Nähe des Startpunktes gelangen konnte. Obwohl wegen der Richtlinien für interstellaren Patentschutz ein Foto der Green Devil nicht möglich ist, fand sich umso überraschender in der Nähe des Kärntner Mittelpunktes im Krastal eine Skulptur des japanische Künstlers Osamu Nakajima, die ein ziemlich realistisches Abbild unseres Raumschiffs und des DB-Regional-Beamers liefert. Mysteriös ist dabei, dass die Skulptur schlicht „Baum“ heißt, obwohl Ähnlichkeiten mit umstehenden Bäumen kaum auszumachen sind. Noch mysteriöser war, dass die Skulptur bei unserem Anblick in grünen Astralkoloriten aufleuchtete. Möglicherweise, so auch die Meinung der anderen Erdenballforscher auf der Green Devil und meines Commanders, war das ein Willkommenssignal aus der Zeit des alten Karantaniens.


Der „Baum“ von Osamu Nakajima – ein realistisches Abbild der Green Devil und des DB-Regional-Beamers im grünen Astralkolorit

Nicht mal eine Länderflagge hält das Auswahlmenü für den Berichtskopf für Karantanien bereit – das Königreich scheint im Radreiseforum gänzlich unbekannt. (Hier sei großer Dank an den Erdenbewohner veloträumer gezollt, mir ein Scriptum-magnum-Fenster in einem velophilen Berichtsportal unter seiner Namenskennung zur Verfügung gestellt zu haben!) Da ist es wohl angemessen, für die irdischen Leser einen erläuternden Untertitel zu verfassen, um die Verbindung zwischen historischen und zeitgemäßen geografischen Bezeichnungen herzustellen. Wohl auch füge ich eine Kapitelübersicht der Teilregionen an, in die sich der von mir bereiste Teil Karantaniens sinnvoll untergliedern lässt:

Radl-Geschichten aus dem historischen Kern der Regione Europea Superiore „Alpe-Adria“ mit den Kar(n)-Ländern Kärnten, Karnien und Karniola für fortgeschrittene (Schweiß-)Köpfe

Inhaltsverzeichnis

E.0 Vorstufenabgleich (gleich hier)

E.1 Von Karantanien zur Alpen-Adria-Region zur Krise der Nationalstaaten

E.2 Alpen-Adria – modisches Etikett oder Heimat-Bekenntnis?

E.3 Alpen-Adria – auch ein Radl-Etikett mit Trendfaktor?

E.3.1 Alpen-Adria – ein stetes Wiedersehen

E.4 Gutes von Gutenberg

E.5 Prolog

E.6 Visual-Grundierung

Hauptschubzündung

I. Salzburg/Kärnten: Hohe Tauern (Gletscher- & Hochalmrouten, Schluchten)

II. Kärntner Seenland mit Nockbergen (Uferperspektiven & Panoramastraßen)

III. Friaul/SLO: Julische Alpen 1 (Tarvisiano 1, Triglavski NP, Mangart, Pokljuka, Bohinjsko j.)

IV. Slowenien: Julische Alpen 2 (Jelovica, Skofjelsko Hribovje, Tolminske)

V. Slowenien: Karst-Voralpenland (Kolovrat, Banjsice, Trnovski Gozd, Idrijsko)

VI. SLO/Friaul/Jul. Venetien: Vino e Mare (Triest, Collio/Colli Orientali 1, Jul. Voralpen Süd)

VII. Friaul/Kärnten: Karnien zwischen Tagliamento und Gailtal

VIII. Friaul: Jul. (Vor)alpen & friulan. Ebene (Tarvisiano 2, Colli Orientali 2, Udine)

SV.0 Sonderveröffentlichung digi.mappus.carantaniäs

P.S.08/15 Nachbrenner (lost planetary footprints)



Manchmal war der Gaul kein Fahrrad: Mit Pferdewagen in Trnovo (Slowenien)

Als Alien habe ich mich natürlich an unterschiedliche Fortbewegungsarten gewöhnt. Erfahrungsgemäß erwies sich für Erdenbesuche das Radeln als besonders effizient und erfüllend, sodass ich auch diesmal wieder darauf zurückgriff. Nicht immer konnte ich jedoch auf dem Sattelrandonneur verbleiben – manche Wege erschlossen sich nur auf Alienfüßen. Einmal musste ich auf Pferdekutsche umsteigen. Die mir vom Commander empfohlenen Zusatzantriebe wie Milchstraßensäurehypotenuse, Grünschleimosmosoren oder den auf Erden beliebten E-Bikes verweigerte ich mich – wurde aber entsprechend von speichen-08/15-kracher gewarnt. In der Tat waren diese Warnungen nicht aus der Luft gegriffen und ich erreichte die Leistungsgrenzen der Alienmuskeln nicht gerade selten. Blickt man nur auf den formalen Schwierigkeitsgrad der Tour (in Hm/100 km gemessen), war es unter den längeren Radreisen sogar die tollkühnste in meiner gesamten Alien-Historie. Bei der Rückkehr auf die Green Devil konnten aber keinerlei bleibende Schäden festgestellt werden. Auch die Gerätschaft erwies sich als äußerst stabil, Defekte waren eher kosmetischer Natur.


Alien-taugliches Velo vom Raumschiff „Green Devil“: Kräftige Moosbildung aufgrund ergiebiger Regenfälle, hier bei einer Trockenphase am Nöringsattel (Kärnten)

Aufgrund recht heftiger Regengüsse gleich zu Beginn der Reise wurde mein Rad auch in den Außenzonen von einer moosgrünen Schicht überzogen (das Gerüst war bereits wegen der Corporate Identity auf der Green Devil grün), sodass den karantanischen Bewohnern meine Galaxienabstammung signalisiert wurde. Die Green Devil ist bekanntlich die grüne Insel im weiten Reich der Galaxien. Erwartungsgemäß wurde ich denn auch meistens freundlich behandelt – mit gewissen Ausnahmen im heute so bezeichneten Kärnten. Es handelt sich dabei aber nicht um eine spezifische Alien-Feindlichkeit (oder Piefke-Krantelei), sondern um einige bedauernswerte Allgemeinzustände, um endlich auch mal in den Besitz der Roten Laterne zu kommen wie etwa in der Service-Hierarchie in europäischen Reiseländern. Bevor ich mich zuviel in Details ethnischer Profilneurosen verliere, seien die standardisierten wissenschaftlichen Dateneinträge gelistet:

37 Reisetage = 36 Velotage + 1 waiting in the rain day
+ ein halber Anreisetag per DB-Regional-Beamer + Großglockner-Anradeln (Bruck – Fusch)

Bilder: > 3800 (brutto), < 3400 (netto), ca. 1280 (hier eingestellt bzw. verlinkt)

Total (bzgl. Velotage): 36 d | 2450 km | 50300 Hm | über 50 Pässe
Durchschnitte: 68 km/d | 1397 Hm/d | 6:00 h/d | 11,4 km/h
Hm-Index (topografische Schwierigkeit): 2053 Hm/100 km
Hm-Messung: barometrisch

Pannen & Unfälle: keine Einträge gefunden
Krankheiten: einige psychische, semi-terronale Krisenausschläge, die mit den Selbstheilungskräften des galaktischen Neuraldrüsenschleims besänftigt werden konnten
Medikamente: Blutverdünner wie Rotwein (überwiegend), Weißwein und Bier in zurückhaltender Dosierung

Klimaregion: von Sintflut und Polartemperaturen bis zum brütenden Schwitzkasten alles inklusive, was teils die Aktivierung von dermitischen Sonderhautzonen erforderlich machte; als kompensative Maßnahme Nacktradeln in dermitischen Relaxzonen

Fortsetzung folgt
von: Mooney

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 05.12.15 18:48

bravo Na, da bin ich jetzt aber gespannt, wie es dir weiter ergangen ist.

Wolfgang
von: Keine Ahnung

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 05.12.15 18:49

Na, da bin ich ja schon einmal auf die Fortsetzung gespannt. Wenn die Einführung schon mit einem Arnulf anfängt, kann es ja nur gut werden grins
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 05.12.15 19:00

E.1 Von Karantanien zur Alpen-Adria-Region zur Krise der Nationalstaaten – Eine unterschätzte Friedensgeschichte

Wo liegt Karantanien und was hat es damit auf sich? – Karantanien, wie oben schon erwähnt, ist ein alter Siedlungsraum, der im Kern die heutigen Regionen und Länder Karnien (Carnia), Kärnten (Carinthia) und Slowenien (Karniola, Carniola) umfasst (daher auch Car(n)-Länder). Dabei sei Karnien auf das heutige Friaul erweitert und Karniola (für das es noch weitere historische Bezeichnungen gibt) mit Krain übersetzt, welches weitgehend dem heutigen Slowenien entspricht.

Exkurs Schreibweisen/Sprachen im Bericht: Spielerisch variabel, wo zweisprachige Namen häufig nebeneinander verwendet werden (z. B. Tarvisio, Tarvis). Generell werden die geografischen Namen der heutigen Erstsprache verwendet, was bedeutetet, dass Furlanisch unberücksichtigt bleibt außer bei spezifischen Kulturgutnamen oder Zitaten. Ansonsten werden übliche Duden-Regeln verwendet, nach denen für einige Großstädte, teils historisch abgeleitete Varianten bestehen (z. B. Triest, allerdings nur gering verschieden von Trieste). Soweit sinnvoll, wird die jeweilige Zeitgeschichte berücksichtigt, also kontextbezogene, historische Namen. Der behandelte Siedlungsraum weißt Spuren bis in die altrömische Epoche auf, wobei sich Wortstämme gleichwohl aus der Zeit gehalten haben, wie auch andere mehrfach verändert wurden. Emona hieß einst das römische Ljubljana, das die Habsburger-Epoche als Laibach erlebte, während geradezu verwirrend Oberlaibach heute Vrhnika heißt, während wiederum deren italienischer Name Nauporto mit nochmal einem anderen Wortstamm auf die heute kaum mehr zu erahnende Bedeutung als Binnenhafenstadt im Römischen Reich verweist. Es braucht also eine gewisse Sprachdisziplin, um die zeitgemäße Verständlichkeit zu garantieren.

Namen sind auch immer ein Spiegel der Geschichte, dem Wandel der Zeiten, also immer nur kontextbezogen zu ihrem zeitgeschichtlichen Gebrauch sinnstiftend zu verwenden! Schließlich gilt es auf Zeichenkompatibilität zu achten. Es gilt z. B. für den Fluss Soca: So&#269;a (slow., hier immer Soca geschrieben, da Sonderzeichen nicht mit Forumssuchfunktion kompatibel – gilt für alle slow. Namen!), Isonzo (it., insbesondere im Zusammenhang mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs), Lusinç (furl., selten zu finden, weil im Friaul ital. dominiert), Sontig (dt., trotz sonst dt. Ortsnamen auch historisch selten ), beide letzteren Varianten werden hier nicht verwendet. Analoge Überlegungen für andere Beispiele seien dem Leser überlassen.


Die Region um die Soca in Slowenien war denn je nach Zeit Einflussbereich des heutigen Friauls bzw. Triests oder der Krain. Das alte Kärnten ist historisch zu fast allen Zeiten größer gewesen als das heutige Kärnten. Ohne auf alle historischen Schwankungen einzugehen, sei vermerkt, dass eine gewichtige Zeit Karantanien und eben auch Kärnten noch zusätzlich die Steiermark umfasste. Trotzdem bleibt der karantanische Kern mit eine gewissen Unschärfe letztlich das heutige Dreigestirn Friaul-Kärnten-Slowenien. Die Ablöseprozesse der Steiermark und des Friauls waren keineswegs kriegerische, sondern friedliche Prozesse, sodass es auch immer wieder zu reversiblen Bünden kam, um sich gegen Awaren, Venezianer oder auch das manchmal ausscherende Fürstentum Görz (Gorizia) zu wehren. Karantanien, das sei angefügt, wurde erstmals als Provinz in einer Urkunde unter Karl dem Großen erwähnt – also im 8. Jahrhundert und noch vor der kurzen Episode als Königreich.

Für die Betrachtung eines „heutigen“ Karantaniens ist die Steiermark jedoch nicht minder von Bedeutung. Denn Karantanien erfuhr immer wieder eine Erneuerung als gemeinschaftlicher Siedlungs- und Kulturraum über den ursprünglichen Kern hinaus. National definierte Abgrenzung spielte dabei keine Rolle, nicht zuletzt weil das vielvölkische Gebilde eine lockere, eher dezentrale Machtstruktur aufwies, die weitgehende Freiheiten zuließ. Der slowenische Patriotismus entwickelte sich erst in der Folge der verstärkten nationalen Strömungen im 19. Jahrhundert. Friaul/Julisch Venetien war trotz bedeutender italienischsprachiger Teile lange nicht vom italienischen Nationalismus berührt bis zur Neuordnung des Raumes 1866 (als das Friaul mit den Bergregionen und die Ebene an Italien fiel) sowie nach dem Ersten Weltkrieg (mit der Zuteilung von Julisch Venetien mit Gorizia, Trieste und Istrien sowie weiterer kroatischen Teile an Italien, die nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum an Jugoslawien abgetreten werden mussten.)

Nicht nur deswegen, sondern auch etwas abseits der expansiven Machtzentren Venedig, Byzanz oder Wien, führte die Region, die relativ geringe strategische Begehrlichkeiten bei den potenziellen Feinden weckte, jahrhundertelang weitgehend ein Leben in friedlicher Koexistenz, wie es erst in der Neuzeit mit dem vereinten Europa als EU wieder als Überwindung nationalstaatlicher Egoismen entdeckt wird, wie denn auch Peter Stih ausführt, nachdem er die besonders intensive Kommunikation nach außen wie auch innerhalb des Alpen-Adria Raumes im Laufe der Jahrhunderte herausgestellt hat: „Einerseits wurde dadurch eine schnelle Übermittlung von Außeneinflüssen ermöglicht, andererseits machte das den Alpen-Adria-Raum, der ohnehin Randbereich von vier geografischen Systemen liegt, noch zur Peripherie von großen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Räumen. Man könnte sogar sagen, dass gerade der Peripheriecharakter zu den stärksten ausgeprägten Merkmalen dieses an sich ziemlich zentral gelegenen europäischen Raumes bildet.“ (in: Platzer/Wieser „Alpen Adria“, S. 232)


Wien ist näher als Venedig: K.u.k.-Architektur prägt die Alpen-Adria-Südmetropole Trieste

Die Habsburger Donaumonarchie stellte dabei die Schutzmacht für diesen Alpen-Adria-Raum dar, wie er als nie offiziell dem Namen nach institutionalisierte Staatsregion, aber als Kulturraum und auch politisch als Meta-Einheit durchaus jahrhundertelang funktionierte und existierte. Noch im 19. Jahrhundert gedeihte dieser Alpen-Adria-Raum unter Kaiser Franz Josef trotz des aufkeimenden Nationalismus, entwickelte sich mit dem Bau der Südbahn Wien – Trieste zu einem modernen Wirtschaftsraum. Die k.u.k.-Architektur Wiens sorgte für prachtvolle Städte im Süden wie in Ljubljana, dem früheren Laibach, Maribor, dem damaligen Marburg oder eben gar an der Adria in Triest. Triest bildete eine ziemlich kleine Insel in der Abgrenzung zur Macht der Dogen der alten Seemacht Venetien, die die kroatische Küste beherrschte. Istrien ist dabei ein Sonderfall und historisch gesehen zählt es auch zum Alpen-Adria-Raum, wenn auch der venezianische Einfluss deutlich wirksamer dort waltete als der der Habsburger (auch die slowenisch-istrische Adria ist venezianisch geprägt, vgl. Koper, Piran). Einige, wie eine Tourismus-Frau auf der Stuttgarter CMT als Vertreterin des Landes Kärnten, verneinen sogar, dass Istrien Teil des Alpen-Adria-Raumes sei.

Neben den Machtstrukturen und architektonischen Merkmalen dieses gemeinsamen Alpen-Adria-Raumes gibt es kleine, versteckte verbindende Kulturhinweise, die man als Reisender wahrnehmen kann. Wien – Triest war nicht nur eine Bahnverbindung zweier majestätischer Städte, sondern sind nicht zufällig auch die beiden Kaffee-Hauptstädte der Welt. So mondän die Wiener Kaffeehauskultur ist, kaum weniger Künstler und Dichter haben sich in den Triester Cafés die Zeit vertrieben, um neue Inspirationen im mediterranen Algengeruch zu gewinnen. Von Triest heißt es, dass man darüber diskutiere, ob die Löffeldrehung nach Eingabe des Zuckers in den Espresso links oder rechts rum für den guten Geschmack geeigneter sei. Tatsächlich sind aber solch zeitverlorene Techteleien seltener geworden, modische Cafés mit geeignetem Fastfood für den eiligen Erlebnis-Touristen verdrängen zunehmend den traditionellen Café-Stil, selbst in den historischen Cafés passt man sich modernen Gewohnheiten an. Eine andere, noch kleinere Getränke-Gemeinsamkeit sagt man dem Teran-Wein nach, wie mir der Winzer Strekelj in Gorjansko erzählte: „Teran-Wein trinkt man nur in ganz wenigen Regionen, hier im Karst – und in Wien!“ – Alpen-Adria ist ergo auch Kaffee & Wein und damit Sinnbild für den allzu viel bemühten Begriff einer „Genussregion“.


Trieste und Wien verbindet eine jeweils eigene wie einmalige Kaffeekultur

Die Alpen-Adria-Region der Neuzeit umfasste also mehr Land als das alte Karantanien, nebst Friaul, Kärnten, Slowenien eben auch zuweilen Istrien, die Steiermark in jedem Fall. Der Alpen-Adria-Raum erfuhr nach dem Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg und den dann nationalstaatlichen Gebilden schließlich 1978 eine Neubelebung durch die Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria (kurz ARGE Alpen-Adria oder hier ARGE AA). Dieser Verbund verfolgte sowohl kulturelle wie auch infrastrukturelle, seltener ökonomische Ziele, die die Region enger verbinden sollte. Zu den herausstehenden Verkehrsprojekten gehörte z. B. der Bau des Karawankentunnels – ein Beispiel, das zeigt, dass dazu nicht unbedingt eine separate Organisation nötig ist, werden andernorts solche Projekte doch binational oder auf EU-Basis umgesetzt.

Die ARGE AA entwickelte sich schnell weit über den historischen Alpen-Adria-Raum hinaus und leidete daher zunehmend an der fehlenden Spezifizierung einer regionalen Identität – zumal die Konkurrenz der EU wirtschaftliche Aufgaben weitgehend selbst absorbierte. Nicht nur zählte neben den alten Kernländern des Alpen-Adria-Raumes nunmehr ganz Kroatien dazu und zwei ungarische Provinzen, die ja durchaus k.u.k.-Vergangenheit haben, sondern schlossen sich auch Oberösterreich, Venetien (der ehemalige Antipode der AA-Region) und die Lombardei an. Mittlerweile (2013) wurde die Struktur nochmals umgebaut zu einem moderner ausgelegten Netzwerk, der so umbenannten Alpen-Adria-Allianz, die wieder eine Straffung zu den ursprünglichen Mitgliedsregionen mit sich brachte, aber sicherlich durch die Unstetigkeit des Verbundes kaum größere Beachtung erwirken konnte und kann.

ARGE AA hat den Krieg auf dem Balkan nicht verhindern können – ein Zeichen der Schwäche dieser supranationalen Organisation, die sie mit anderen wie der UNO oder EU teilt. Auch ein Zeichen der Schwäche des Kulturellen – soweit der Arbeitsschwerpunkt der ARGE AA sich zunehmend auf das Kulturelle konzentrierte –, ein Zeichen der Schwäche des Wortes, was sich immer mehr den wirtschaftlichen Kürzungen unterwerfen soll und muss, dass sich dem Rausch der digitalen Hypes fügen muss, der Oberflächlichkeit weicht und nicht mehr da ist, wenn es wichtig wäre. Das Sterben der gedruckten Bücher, der Zeitungen und Zeitschriften ist nicht trivial und mehr als nur ein wirtschaftlicher Strukturwandel. Es ist ein Kampf des nachdenklichen Wortes gegen das flüchtige Bild, ein Kampf des überlegten Gedankens gegen spontane Beliebigkeitsfloskeln, ein Kampf des langen Gedächtnisses gegen das des kurzen, ein Kampf der Geschichte gegen Geschichtslosigkeit und Geschichtsvergessenheit.

Viel mehr könnten wir aus der Alpen-Adria-Geschichte lernen. Die Nationalstaaten halten keine Visionen mehr bereit für die Probleme der Zukunft. Die Alpen-Adria-Historie hingegen hat schon eine wegweisende Alternative durchlebt. Zu wenig werden jedoch die Hintergründe studiert. Es geht nicht darum, neue nationalistische Regionen zu begründen, sondern mit Minderheiten auskömmlich nebeneinander – miteinander zu leben. So vermerkt Marija Wakounig zu den markgräflichen Herrschaftserweiterungen im mittelalterlichen Karantanien: „Das Regieren eines Fürsten in zwei oder mehreren Territorien des Alpen-Adria-Raumes hatte nicht zur Folge, dass eine Region ihre spezifische Identität verlor und den Gewohnheiten des Beherrschenden unterworfen wurde. Integrieren hieß nicht einfach aufgeben, sondern gemeinsam das Eigene für etwas Neues einzubringen.“ (in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 125).


Entzündete jahrzehntelang eine neuzeitliche, fremdenfeindliche Debatte um die Rechte der slowenischen Minderheit in Kärnten, die einst im alten Karantanien die Bevölkerungsmehrheit stellten: Zweisprachige Ortsschilder

Slowenische Minderheiten in Kärnten z. B. brauchen keine nationalen Institutionen oder Zuordnungen, um ihre bescheidenen kulturellen Werte ausleben zu können. Eine Zweisprachigkeit in Grenzregionen ist ohnehin eine Lebensnotwendigkeit modernen Wirtschaftens. Anachronistisch sind da Versuche, wie etwa zur Jahrtausendwende, in der globalisierten Postmoderne die slowenische Sprache in Kärnten diskriminieren zu wollen (Stichworte: Ortstafelstreit, Jörg Haider, beigelegt erst 2011), obwohl doch die Siedlungsgeschichte der Slawen dort gar länger zurück reicht als er bajuwarischen Kärntner. So hörte ich nicht zu Unrecht vom Maltaer Staudammführer, dass es unter Kaiser Franz Josef schon bessere Zeiten des gegenseitigen Respekts gegeben häbe als in der Moderne mit den national-populistischen Züngeleien – um nicht zu sagen Zündeleien. Was für das moderne Kärnten gilt, gilt aber heute auch für Verirrungen ex-jugoslawischer Staaten oder anderer Regionen, die einzig in der nationalen Identität ihr Heil suchen, ohne sich den modernen Herausforderungen ausreichend flexibel zu stellen.

Noch mehr zeigen Blicke in die ältere Geschichte, dass die alten slawischen Stämme zu Zeit der karantanischen, nichtnationalen, polyethnischen Volksgruppenbildung im 8. Jahrhundert ein diskursiveres, demokratischeres Gewohntheitsrecht pflegten als das obrigkeitshörige Rechtssystem der eindringenden Bajuwaren: „Bei Rechtshandlungen wurden diese Slaven nicht, wie die Bayern, ‚an den Ohren gezogen’ (testes per aures tracti).“ (Harald Krahwinkler/Herwig Wolfram in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 103) Nicht zuletzt zementierten die Vorgänger nationalstaatlicher Strukturen in den Teilregionen des Alpen-Adria-Raumes bereits im Spätmittelalter wie in der zeitlichen Folge ins 18. Jahrhundert hinein zum modernen Staat der Neuzeit asymmetrische Machtverhältnisse zwischen Herrschern und Volk. „Idealtypisch … waren [in den modernen Flächenstaaten] einheitliche Territorien, im Inneren administrativ durchorganisiert und nach außen abgeschlossen. In genau gezogenen Grenzen hatte sich in diesen Staaten ein einheitliches Recht gegen lokale Rechtsgewohnheiten sowie der staatliche Alleinanspruch aus Gewaltausübung durchgesetzt. Eine zentral geleitete, flächendeckende Administration mit schriftlich kommunizierender und regelmäßig entlohnter Bürokratie regelte Abläufe im Inneren des Staates.“ (Gernot Heiß in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 176)

Was sich zunächst aus der Sicht des demokratischen Verwaltungs- und Nationalstaates des 20. Jahrhunderts vorbildlich anhört, hatte dabei aber eben seine Kehrseite, die über die Andeutung der Entfremdung zwischen Verwaltung und Volk hinausging. Das Hauptziel der Regierenden war dabei „die eigene ökonomische und militärische Macht durch zentralstaatliche Organisation zu stärken. Dieses Ziel der Machterweiterung wurde auch auf das Gemeinwesen projiziert, und für dieses hatte der einzelne Untertan verfügbar zu sein. Aus der Sicht der Verwaltung entstand ein (einheitlicher) Untertanenverband, dem auch Ansätze eines Landesbewusstseins zugeschrieben wurden.“ (ebd.) Der Einheitlichkeit wurde die eigenbestimmte Pluralität der Volksgruppen geopfert und persönliche wie wirtschaftliche Freiheiten beschnitten. „Verloren gingen auf diesem Weg nicht nur Regionalismen, wie Privilegien des Adels oder kommunale Autonomien, sondern auch Freizügigkeit von Personen und Waren sowie alle Kommunikationswege und Handelsbeziehungen über die Landesgrenzen hinaus.“ (ebd.)

So setzten, wie Heiß fortführt, mit der Normierung und Disziplinierung nach innen sowie Abgrenzung gegen außen einige Entwicklungen im Alpen-Adria-Raum ein, die heute noch nachdenklich stimmen müssen, ergreifen doch immer wieder Stimmungsparameter Partei für solche historisch als kontraproduktiv enttarnte Wege. Es kam so zu Entwicklungen wie etwa dem Ausbau von Grenzen, dem Wachsen der Militärmächte, die sich aggressiv nach außen positionierten, während sie den inneren Frieden versuchten zu stabilisieren. (vgl. immer noch in Moritsch, S. 176) Abschottung und Krieg nach außen für innenpolitische Zwecke – eine offensichtlich sich stets wiederholende Strategie einfacher Lösungen, von der wenige Auserwählte profitieren, der aber viele auf den Leim gehen.

Die Frage, bildet der Nationalstaat die Grundlage der Demokratie, muss so neu gestellt werden – genauso wie sich die Demokratie in der Moderne als nicht unfehlbar erwiesen hat, hat sie sich doch schon mehrfach selbst und ihre ethische Basis abgeschafft. Es gibt keine politische Kultur, keine administrative Gesellschaftsform, ohne die Frage nach ihren Grundwerten, die sie aus ihrer Geschichte heraus stellen und beantworten muss.


Religiöse Institutionen pflegten Allianzen quer zu kulturellen und staatlichen Herrschaftsstrukturen: Das Bistum Freising in Bayern prägte entscheidend die geistliche Kultur von Bischofslack (Skofia Loka), über eine lange Zeit

Lange prägten dann die Diözesen zu Salzburg und Aquileia nach einer massiven Christianisierung der heidnischen Slawen etwa bei der oberen Drau den geistlichen Einfluss von Norden und Süden. Damit reichte ein „adriatisches“ Moment bis an die Tauern-Barriere. Nichtsdestotrotz kreuzte bayerischer Einfluss die Geschicke Karantaniens noch mehr. Bischofslack (Skofia Loka) war einst ein Ableger des Bistums Freising, König Arnulf gar ein bajuwarischer Abkömmling und die Bayern emigrierten in den einst vornehmlich slawischen Raum in Kärnten und der Krain. Charakteristisch waren nichtstaatliche Formen des Zusammenlebens, die sich im Gegensatz der vormals römischen Verwaltungsstrukturen unkonventionell gebildet hatten – gleichwohl deswegen nicht immer den strenger organisierten Eindringlingen wie dem östlichen Reitervolk der Awaren die Stirn bieten konnten.

Trotz gelegentlicher Scharmützel und Knicke: Die friedliche Koexistenz ohne Unterjochung ist möglich – über Jahrhunderte. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind gerade dabei, sich von Nationalismen aushöhlen zu lassen – eine Schizophrenie zur Begeisterung, mit der Noch-nicht-Mitglieder in das vereinte Europa strömen, ohne den Wertekanon zu verinnerlichen. Andere mittlerweile etablierte EU-Staaten machen es aber kaum besser – bis in die Regionen hinein wie etwa Schottland, Katalonien oder Bayern. Die moderne, schneller und gewaltiger gewordene Migration aus Armut- und Kriegsgründen wird den Gedanken nationaler Identitäten immer mehr schwächen, wird neue staatliche Organisationsformen und empathische Gesellschaftsformen eines Miteinanders erfordern.

Migration und Integration ist ein steter geschichtlicher Prozess. Migration und Integration eines funktionierenden politischen Raumes sind dabei zwei sich ergänzende Merkmale: „Mit der Ansiedlung der Slawen und Ungarn und mit der bayerischen Expansion in den ehemals römisch-romanischen Alpen-Adria-Raum trafen in diesem Gebiet vier große europäische Sprachgemeinschaften aufeinander – die romanische, die slawische, die germanische und die urgofinnische – und konnten sich bis heute halten. Damit trafen in diesem Raum auch zunächst stark voneinander abweichende politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Welten aufeinander, die sich allerdings allmählich stark aneinander anglichen.“ (Peter Stih in Platzer/Wieser, S. 232 f.) Und weiter in der spezifischen Bewertung für die historische Einordnung: „Dabei hat zweifellos die größte Rolle die Integration des Alpen-Adria-Raumes in das Frankenreich gespielt, in dem der Raum Ende des 8. Jahrhunderts erstmals nach der Antike in einem politischen Rahmen zusammengeschlossen war.“ (ebd.) Das war denn der Beginn die Zeit des alten Karantaniens.


Die Zukunftsfrage nicht nur des Alpen-Adria-Raumes: Nationalstaat vs. multistaatlicher Allianzen vs. supranationaler Staatenbildung: Das Rad für Frieden und Freundschaft dreht sich um vielgestaltige Lehren aus der Geschichte, in der Migration stets eine herausragende Rolle von Völkerverständigung und Entwicklung bildete (Veloskulptur nahe dem Lanzenpass, Friaul)

Nationalstaaten und nationalistische Identität sind zementierte Stereotype einer kleinen historischen Episode, die sich als nicht anpassungsfähig für die globalisierte Moderne erwiesen haben und erweisen werden. In Afrika zuweilen aufgrund der willkürlichen ehemaligen Kolonialgrenzen schon fast lächerlich, ergibt sich selbst in für Europa, der Keimzelle des modernen Nationalstaates, ein kaum besseres Bild. Der heutige Zustand aufbegehrender nationalstaatlicher Prioritäten innerhalb der EU bleibt auch für den heutigen Alpen-Adria-Raum (und nicht nur den) ein Sprengstoff, über den man sich ob der vielen Opfer im 20. Jahrhundert bewusst werden sollte. „Die Herausbildung von Nationen und ihr Wunsch nach eigenen Staaten verursachten Konflikte und Kämpfe, die den Raum durch scharfe Grenzen zerstückelt und aus Nachbarn Feinde gemacht haben. Dieser Zustand wurde dann auch zurück in die Vergangenheit projiziert und gerade in dieser modernen Zeit ist die Vorstellung von einem andauernden geschichtlichen Antagonismus zwischen verschiedenen sprachlichen und ethnischen Gemeinschaften aufgekommen, welche die Geschichte der Zusammenarbeit, Solidarität und Einheit der Menschen des Alpen-Adria-Raumes völlig verdrängt. Helmut Rupler hat diese Geschichte als ‚verlorene Geschichte’ bezeichnet, die in die Zeit des europäischen Zusammenschlusses wohl wieder zu finden und wieder bewusst zu machen ist.“ (Peter Stih in: Platzer/Wieser, S. 235)

Veit Heinichen, schriftstellerischer Exil-Alemanne in Triest, aufgewachsen im Basler Dreiländereck, spricht vom „Luxus, über [Grenzen] hinwegzuschreiten, Neues zu sehen und zu lernen, dass Diversität Reichtum ist. Europa [gemeint sind die Römischen Verträge zur Gründung der EWG] war eine faszinierende Idee, eine Vielfalt der Kulturen, der Sprachen, der Lebensmittel, der Klänge und Farben.“ Und wie er fortführt, sieht er in „seiner“ Stadt an der Adria die Vorbildfunktion erfüllt: „eine Stadt wie Triest birgt dies im Besonderen, in ihrer jungen Geschichte hat sie alles widergespiegelt, wofür Europa steht.“ (in: Platzer/Wieser „Alpen Adria“, S. 83 f.)

Den Alpen-Adria-Raum zu bereisen, heißt Friedensgeschichte zu erkunden, Grenzen zu überwinden, (richtig verstandene) Toleranz zu üben. Man muss nur Augen und Ohren aufmachen. Und die Botschaft übermitteln. Auf der Green Devil wunderte man sich nicht über meine Forschungsergebnisse, sondern über die Sturheit und Ignoranz der heutigen Erdenbewohner, ihre Chancen zu solidarischen Gemeinschaften zu vergeben und ihre Synergiekräfte nicht zu nutzen. Die Theatergemeinschaft der Green Devil plant ein Trauerschauspiel dazu aufzuführen, in dem sich auch Elemente meiner Karantanien-Erlebnisse wiederfinden sollen.

Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 06.12.15 20:36

E.2 Alpen-Adria – modisches Etikett oder Heimat-Bekenntnis?

Alpe(n)-Adria ist mittlerweile zu einem beliebten Etikett in der Region geworden und nicht immer hält der Name, was der Historie angemessen wäre. Alpe Adria gibt es als Magazin, sicherlich mit auch lesenswerten Artikeln für Genießer, nicht aber ohne einen stark elitären Zug – die Anzeigenklientel muss sich wohl fühlen. Alpen-Adria gibt es als Universität wie die von Klagenfurt, als Jazz-Festival wie auch als Folklore-Festival. Alpen-Adria gibt es vielfach als Hotel- oder Restaurantbezeichnung, als kulinarischer Regionalmarkt, als Tankstelle oder Supermarkt – sicherlich nicht nur um mit einem kaum definierten Mythos zu spielen, sondern die beliebten Natur- und Urlaubsbilder aus Meer und Bergen beim Gast und Konsumenten zu einer Art doppelten Sehnsucht zu verstärken. Also mehr Monti e Mare als Alpe Adria.

Alpen-Adria gibt es als Bank – ihres Zeichens zur Skandal-Bank Kärntens auf- bzw. abgestiegen, mit unappetitlichen, mafiösen Verwicklungen von Waffenschiebern aus dem Balkan, über Verstrickungen mit den politischen Eliten des Landes – allen voran dem ehemaligen und tödlich verunglückten Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider -, mit dubiosen Geschäften des operativen Führungspersonals der Bank mit bankrotten Auffanggesellschaften und nicht zuletzt mit einem schon kabaretttauglichen Hin- und Hergeschiebe der Eigentumsanteile der Bank zwischen Kärnten und Bayern, wobei sich beide Länder ein wenig verarmt haben – die Kärntner letztlich mehr und mit sichtbaren Folgen bis heute und in die Zukunft. Kommentar eines Linzer Ehepaares an der Unfallstelle Jörg Haiders, an dem immer noch eine Heldenverehrung seiner Jünger betrieben wird: „Kärnten ist pleite! Und der da hat ordentlich Anteil daran. Österreich würde Kärnten am liebsten abgeben.“ (Böses denkt, wer sich an den EU-Griechenland-Finanzkonflikt erinnert fühlt oder an bayerische Initiativen Bremen, MäcPomm oder das Saarland aus dem Bund zu treiben.)


Peinlicher Mythos im Korruptionssumpf? – Heldenverehrung an der Unfallstelle in Lambichl (Loiblstraße) für den ehemaligen Landeshauptmann Kärntens und Rechtspopulisten Jörg Haider

Alpen-Adria – das sollte man nicht vergessen – ist für viele aber heute noch eine tief verankerte Identität, eine Aura von Kultur, ein Geschichtsbewusstsein, ein Lebensgefühl. Sicherlich hört man das in Kärnten häufiger als in Slowenien, wo man längst nicht mehr überall das Deutschsprachige als Zweitsprache pflegt (verdrängt vom Englischen, daher auch weniger mit kulturellen Bezügen zur Geschichte) und sich im Denken globalisiert. Im Friaul ist es schließlich sehr gemischt – gemäß der teils fortgeschrittenen (Zwangs-)Italienisierung, die z. B. unter Mussolini „besser“ gelang als in Südtirol. Das Friaul ist auch stärker vom Furlanischen durchsetzt als Südtirol vom Ladinischen – anders gesagt, das Deutsche hat dort nie diese Bedeutung gehabt. (Furlanisch ist eine romanische Sprache wie Ladinisch und wird zuweilen – wenn auch umstritten – zusammen mit dem Bündnerromanisch zu den rätoromanischen Sprachen gezählt.) Wie in Kärnten gibt es auch im Friaul/Julisch Venetien noch slowenische Minderheiten, was die Region sogar viersprachig macht.

Für meine Gastgeberin im Albergo/Ristorante „Da Alvise“ im karnischen Sùtrio ist diese Mehrsprachigkeit – genauer: „etwas Deutsch zu sprechen“ – ein zentrales Element des Alpen-Adria-Gedankens. Seit Generationen wäre das so. Letztlich hängt der Alpen-Adria-Gedanke aber nicht von der Zwei- oder Mehrsprachigkeit ab, denn gerade die Toleranz verschiedener Volksgruppen am selben Ort ohne Bevormundung – also auch ohne den Zwang zu einer einzigen verpflichtenden Sprache – ist ja gerade das Erfolgsmodell eines gemeinsamen, nichtnationalen Kulturraumes.


Setzte sich für den Fortbestand der mündlich überlieferten Texte als sprachbasierten Geschichtsbewusstseins ein und pflegte gleichzeitig internationale Wissenschaftskontakte zwischen Ost und West: Karl Strekelj (Denkmal in Gorjansko)

Manche Sprachen wie das Slowenische blieben lange eine orale, zumindest nicht grammatikalisch schriftlich fixierte Sprache. Darin kann man auch einen Verzicht auf Machtentfaltung sehen, denn ohne die normierte Schriftsprache standen auch nicht die Tore zu Kontrakten offen, mit denen man größere Räume beherrschen konnte. Die orale Sprachkultur mit ihrer Begrenzung auf lokale Lebensräume ist auch ein Zeichen friedlicher Koexistenz, von Machtbescheidung. Man sieht so gut, wie die Macht des Wortes durch ihre verbindliche Verfasstheit auch zwei Seiten in der Geschichte entwickelt hat. Große Verdienste macht sich Karl Strekelj (1859-1920), ein Sohn der noch heute existierenden Winzerdynastie in Gorjansko (oben bereits zitiert, vgl. auch nächste Folge und Kap. VI), der maßgeblich die Grundlagen der slowenischen Grammatik formulierte. Gleichwohl beförderte er die orale Sprachkultur, indem er eine Liedgutsammlung mit über 8300 Texten verfasste, die mehr als eine schlichte Transformation in die Schriftsprache bedeutete. Er arbeitete dabei auch die besonderen Eigenheiten und Umstände der vorgetragenen Lieder, Geschichten, Rätsel, Schimpfwörter u. a. in einem historisch-ethnischen Kontext heraus. (Nach dieser Werksammlung im Slowenischen begann Strekelj auch mit einer analogen Arbeit für das Österreichische, konnte die Arbeit aber nicht mehr abschießen.) Wie sehr sich die Forschung eines Provinzdialektes mit der Welt verbindet, zeigt die Aktivitäten von Strekelj, der lange in Wien arbeitete und Mitglied der Akademien der Wissenschaften in St. Petersburg und Belgrad war. Auch daraus könnten die Erdenkinder lernen, sich wieder mehr Geschichten abends zu erzählen oder Lieder zu singen als ideologische Schriftkataloge auszuhecken, die sie dann zur strategischen Unterdrückung und Ausbeutung benutzen. Friedrich Rückert brachte dies in einem Gedicht gut zu Reime („Kleine Stoffe“ in: F. R. „Gedichte“, S. 125):

„Wie herrlich ist die Poesie,
Daß Dinge klein und nichtig,
Ergreift sie die und schmücket sie,
Erscheinen groß und wichtig.

Du kannst, nach welchem Gegenstand
Dein Lieb die Hand mag heben,
Durch Zauber dieser zarten Hand
So starken Nachdruck geben,

Daß man mehr Anteil nimmt am Lied,
Als wenn in Zeitungsblättern
Man Heldenarm’ erhoben sieht,
Um Welten zu zerschmettern.“


Nicht zuletzt entscheiden die verschiedenen Sprachen und Dialekte über die Identität der eigenen Volksgruppe – das ist nicht nur trivial. So sind denn jüngere Sprachidentitäten, die sich gegen die nationale Vereinahmung wehren, wie die der slowenischen Minderheit in Kärnten, mehr als nur der Wunsch nach eigener Kulturerhaltung, sondern auch der Wunsch nach dem Frieden, den die lokale Identität ebenso in sich trägt wie die Gemeinschaft des Alpen-Adria-Raumes. „Heute, im vereinten Europa, leben zwischen Grenze und Pontebba vier Zungen in einem Tal friedlich zusammen,“ so resümieren Hans Messner und Michael Fleischner die Besonderheit des viersprachigen Val Canale. (in: Platzer/Wieser „Alpen Adria“, S. 203) Die lokale Identität stärkt also auch die überstaatliche Identität, überspringt das Nationale, und bekennt sich dabei noch nebenbei zum Frieden der Völker. Arturo Zardini verknüpfte so in seiner 1916 verfassten Hymne „Stelutis Alpinis“, auch als Alpen-Gebet an die Heimat (Pontebba) betitelt, das Heimatbekenntnis von dörflicher Lebenswelt und Bergnatur mit der Klage über die Leiden, die der Erste Weltkrieg ins Friaul brachte. Arturo Zardini „Stelutis Alpinis“ (3:05 min.), mit Bildern aus der Natur und vom Krieg. Schließlich schaffen wiedererstarkte Sprachidentitäten neue schöpferische Quellen gegen die nationale (italienische) Kulturdominanz wie das Beispiel der friulanischen Lyrik zeigt (vgl. Pasolini-Titel unter Buchtipps E.4).


Heimatbekenntnis ans Friaul und gleichzeitig Choralgebet gegen den Krieg: „Stelutis Alpinis“ von Arturo Zardini, berühmter Sohn von Pontebba am viersprachigen Schnittpunkt zwischen Kanal- und Eisental

Manche Dialekte entwickelten sich auf eigene Weise in recht abgeschlossenen Bergtälern und bilden heute seltsame Sprachinseln wie etwa das aus dem Altbairischen abgeleitete Zimbrische in Sàuris (Zahre) nördlich der karnischen Hauptstadt Ampezzo oder Timau (Tischelwang, lokal auch Tischlbong) an der Plöckenpassstraße. Allerdings bemerkt man schnell auch in Sàuris, dass es heute keine abgeschlossenen Täler mehr gibt – das Auto und das Mobiltelefon sind das Ende aller lokalen Geheimnisse. Radeln ist dagegen geradezu ur-saurisch! … – wenn man nur auf diese drahtlose Quasselvernetzung verzichtet!

Es gibt auch keinen echten Zusammenhang zwischen jung und alt, wenngleich der Alpen-Adria-Begriff bei Alten natürlich präsenter ist als bei jungen Menschen. Es kommt letztlich aber mehr auf die heimatverbundene Mentalität an, wie etwa beim Staudammführer an der Kölnbreinsperre im Maltatal. Mit dem Wissen um die Bergkultur ist auch das historische Wissen verbunden – Natur und Kultur gehen Hand in Hand. Diese enge Verbindung aus Natur- und Kulturraum als spezifischer, soziogeografischer Gemeinraum heben auch die Autoren der Alpen-Adria-Geschichte von Andreas Moritsch (vgl. Buchtipps unter E.4) besonders hervor. Gar gilt der Alpinist Julius Kugy mit seiner naturästhetischen Perspektive und dreisprachigen Lebensweise als ein Vordenker des modernen, wiederbelebten Alpen-Adria-Gedankens, als Vordenker der ARGE AA. Er verließ das städtische Triest zugunsten der Natur der Berge.


Entdeckte pionierhaft die Faszination der Julischen Alpen in Worten und Bergstiefeln und gilt gleichfalls als Vordenker des wiederbelebten Alpen-Adria-Gedankens des 20. Jahrhunderts: Julius Kugy (Skulptur von Jaka Savinsek an der Südflanke des Vrsic-Passes)

Das zeigt auch, dass der Alpen-Adria-Gedanke keineswegs eine urbane oder gar herrschaftliche Neuzeiterscheinung ist, die den schöngeistigen Metropolen im Habsburger-Einfluss des 19. Jahrhunderts entspringt oder nur dort gelebt worden wäre, wie vielleicht die Architektur in Wien, Ljubljana und Triest vermuten lassen könnte. Der Geist Alpe-Adria strich bereits lange durch die Bergtäler und über die ländlichen Provinzen, als man noch Mühe hatte, die urbanen Metropolen so zu verbinden, dass sie einen kulturellen Gleichklang entwickeln konnten. Nie war es der Export einer Identität, sondern immer die bereichernde Anpassung von fremden Elementen an die lokale Kulturumgebung – ob im ländlichen oder städtischen Raum.

Daraus leitet sich auch eben ab, wie vielleicht missverständlich anders verstanden werden könnte, dass der Alpen-Adria-Gedanke keinesfalls eine rein österreichische, „deutsch-kulturelle“ Idee sein könnte. Vielmehr ist der Alpen-Adria-Gedanke eine frei schwebender Geist über den Völkern Karantaniens, der über tausend Jahre verschiedene Sprachen und kulturelle Wurzeln zu einigen suchte und gar mehr dem Urnaturell der Slawen entsprach als dem der deutsch-geprägten Völker wie der Bajuwaren, sofern man es für nötig halten sollte, dies überhaupt abzuwägen. Dem Alpen-Adria-Geist liegt aber die Toleranz der Kulturen zugrunde und nicht die Bewertung und Festschreibung von kultureller Hierarchie. So ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass der Alpen-Adria-Raum sich nie vordringlich als organisierter Staatsraum festzuschreiben versuchte, weil dies wiederum die Gefahr neuer Fesseln hervorgerufen hätte. Karantanien ist also mehr die Projektion einer geistigen Haltung als eine präzise Staatsidee.

So lebt denn der karantanische Geist heute sehr alltäglich als Alpen-Adria-Idee weiter, was natürlich die Gefahr zahlreicher leerer Etiketten mit beinhaltet. Eine fortgeschriebene echte gelebte Alpen-Adria-Kultur ist dann nicht zuletzt auf leibhaftige persönliche Beziehung angewiesen. So ist bereits oben zitierte Tourismusfrau auf der CMT-Messe schon deswegen mit dem Thema vertraut, weil sie mit einem Mann aus Triest verheiratet ist. Die Wochenendfahrt vom Ossiacher See zur Triester Bucht für ein Essen, ein Konzert oder einfach für einen Blick aufs Meer – keine Frage, ein üblicher, häufiger Vorgang, ohne dass sie das Gefühl bekommt, in die Fremde zu schweifen. Die Adria als vorstädtischer Schrebergarten des Kärntner Seenlandes. Das Ländliche als Gravitationszentrum des eigenen Lebens, die Stadt als Peripherie zum Ausspannen oder zur Inspiration. Nicht nur der Heimatgedanke erweitert sich über die Gartenzwerg-Idylle hinaus. Mobilität in alle Richtungen ist wichtig.


Deutsch-altbairische Sprachinsel im Friaul in einem der abgeschiedensten Hochtäler der karnischen Alpen (Friaul): Typisches Namensschild bei Sàuris

Nicht weniger multikulturell – aber nicht nur Alpen-Adria-affin, bezeichnet sich der Triester Jazzpianist Roberto Magris, der sich gerne als „an alien in a bebop planet“ betitelt. Damit zeigt er seine internationale Musikgesinnung auf, die nationale Grenzen nicht kennt. Überall zuhause, aber auch überall etwas fremd, mit neuen Akzenten in der Tradition. Typisch Italienisches war ihm länger fremd als amerikanische Kultur, daneben gab es aber die Heimatwelt von Triest und die Welt des nahen Jugoslawiens – nicht zuletzt heiratete auch er eine Slowenin und wohnt gleichzeitig zu beiden Seiten der Grenze auf den ersten Karsthöhen. „I’m an Italian of non-Italian culture, living in Trieste, … Middle Europe.“ Der Austausch mit jugoslawischen Musikern, die wiederum ähnliche internationale Musik suchten, war ein nicht immer ungefährlicher Standard unter Tito – weit üblicher aber als es die Schwierigkeiten über die sozialistischen Grenzen hinweg vermuten ließen. Sogar hier war er manchmal näher dran als am italienischen Musiker jenseits der Triester Bucht – Rom war ziemlich fern, New York lag näher. Hier löst sich die Identität kosmopolitisch auf, ohne die Alpen-Adria-Gene zu verleugnen – nur oft ist die Welt eben noch größer und die Region zu klein. Alpen-Adria goes round the world. Der Mensch ist da beheimatet, wo „seine“ Kultur herrscht – das ist nicht an Örtlichkeit gebunden. Die gemeinsame Idee zählt. Der Jazz als globale Universalsprache – gar Harmonie in der Doppelbedeutung gemeinsamer Grammatik und gegenseitiger, zugeneigter Ergänzung als interaktiver Schöpfungsprozess.

Das Universum ist sui generis universell. Ein Alien kann überall Wurzeln schlagen.
(Nicht zuletzt deswegen verlasse ich selbst die Green Devil auch immer wieder gerne Richtung Erdenwelt oder aber auch woanders hin wie nach Marsopotanien oder zu den Jupiteriden. Allein mein Commander begrenzt meine Ausflugsneigung immer wieder ziemlich streng.)

Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 06.12.15 22:14

E.3 Alpen-Adria – auch ein Radl-Etikett mit Trendfaktor?

Alpen-Adria – da kommen wir zum Kern des hier propagierten Reisestils – ist auch ein Radweg – ein ziemlich junger dazu. Ein bisschen ist der Ciclovia Alpe Adria Radweg (man beachte die zweisprachige Namensgebung!) – kurz auch, aber bisher selten CAAR – ein Etikettenschwindel, denn er führt mit Kärnten und Friaul mal gerade durch zwei der Alpen-Adria-Regionen oder simpler: Er ist schlicht nur die einfachste Radwegverbindung zwischen dem nördlichen Alpenrand von Salzburg zur Adria in Grado. Dabei schummelt er noch mit einem Bahntransfer durch die Tauernschleuse von Böckstein (Gasteiner Tal) nach Mallnitz. Kulturell erfindet sich der im Internet gut beworbene Radweg neu, so recht fehlt der Anschluss an die Alpen-Adria-Idee. Soweit ich Infotafeln entdecken konnte, widmeten sie sich nicht der spezifischen Geschichte und Kultur des Alpen-Adria-Raumes. Man könnte, so gesehen, auch jede andere Alpen-Querung so nennen – die Wege führen auch über Reschen- oder Brennerpass zur Adria, wenn man mal die einfachsten Routen nennt. Eigentlich müsste der Alpen-Adria-Radweg ja Wien mit Triest verbinden – etwa entlang der alten Südbahn zum Beispiel.

So ganz fern liegt eine weitere historische Route nicht. Die Via Julia Augusta (Augsburg – Aquileia), die im südlichen Teil etwa ab Venzone mit dem CAAR zusammenfällt, sonst aber via Salzburg, Magdalenenhöhe bei Klagenfurt, Millstätter See, Lienz, Oberdrauburg und Plöckenpass einen andere Alpenroute einschlägt (vollständigerweise sei erwähnt, dass es mehrere Verzweigungen auch in Ost-West-Richtung bis in die Provence und zur Donau gibt, ebenso wie eine Variante über Villach und Tarvis). Tatsächlich besteht bereits ein solcher Radweg schon, aber nur auf der Nordseite der Alpen zwischen Augsburg und Salzburg. Eine Projektgruppe arbeitet seit Jahren schon daran, die historische Via Julia Augusta bis zur Adria auszubauen, wobei es offenbar Überlegungen gibt, eine Abkürzung über/durch? die Hohen Tauern zu legen – also nur zwei Namen für dieselbe Strecke?


Drehkreuz zahlreicher Radwege und Radrouten einschließlich des Alpe-Adria-Radweges (Logo vergrößert): Lurnfeld an der Drau

Nicht genug der Häme, ist der Alpe-Adria-Radweg zu weiten Teilen nicht neu, sondern verläuft in Österreich fast zur Gänze auf alten Radwegen, die schon bekannt sind, wie Tauern-, Glockner- oder Drau-Radweg. Generell ist es beliebt Radwege mit Namen zu schmücken und nicht selten ballen sich gleich mehrere, auch „schöngeistige“ Titel auf ein und demselben Wegeabschnitt. Das nährt den Verdacht, dass hier mehr Radwelt verkauft werden soll als tatsächlich vorhanden ist. Diese Radwege haben auch Nummern – etwa R8 für Glockner-Radweg. Der CAAR ist auf diesen Schildern (grün, Schrift weiß) als zusätzliches Symbol aufgebracht – und wirkt da eher unauffällig (man muss schon die Nase dranschieben).

In Italien wird vielfach alte Bahntrasse zum CAAR ausgebaut – einige Teile sind aber noch nicht fertig. Verbaut hat man sehr viel Holz, wobei ich etwas erschrocken bin ob des teils sehr aufwändigen und fast mannshohen Leitplankenkanals (Holz + Metallgitter), der eher einem Laufstallkäfig zu Alcatraz gleichkommt (teils auf Gemona – Venzone, man kann den Weg dort auch zu Fuß nicht verlassen). Sicherlich bietet er eine autoverkehrsarme/-freie Alternative vornehmlich im westlichen Kanaltal, und im anschließenden Canal del Ferro (Eisen-/Fella-Tal) – dort auch eher weniger martialisch verbaut. Bergige wie verkehrsarme Alternativen finden sich jederzeit wie etwa ab Tarvisio, Resiutta oder Pontebba, ab Venzone in südlicher Richtung eröffnen sich aber auch lohnenswerte Alternativen mit leichten Hügeln oder auch ganz flach.


Italien hat doch Geld: Aufwändige Investitionen in den CAAR im aufblühenden Radreise-Hotspot Pontebba mit Routeninfos auf leuchtender Litfasssäule

Wer mit diesem Alpen-Adria-Bericht eine Beschreibung des CAAR erwartet, sei hiermit enttäuscht und auf andere Forumsbeiträge verwiesen. Trotzdem habe ich den Weg mehrfach gekreuzt und zu einem guten Teil die Region drumrum inspiziert. Es ist daher nicht ganz verfehlt sich auch als CAAR-Fahrer das eine oder andere anzulesen, da es neben offensichtlichen Steilrampen auch Empfehlungen zu einfachen Radwegen oder Radrouten geben wird. Auf jeden Fall biete ich erweiterte Alpen-Adria-Perspektiven über einen CAAR-Bericht hinaus, was meinen Alien-Forschungsmitteln geschuldet ist und natürlich der karantanischen Gesamtsichtweise.

Der Verwirrung noch nicht genüge, bezeichnet auch Slowenien eine Radroute als „adria bike“ und führt von Tarvisio über Kranjska Gora und Bled (dort ebenfalls bis Jesenice Bahntrasse und eigenständiger Radweg), Bohinj, Most na Soci, Nova Gorica, Lipica wahlweise nach Koper bzw. Portoroz oder nach Trieste, ergänzt durch eine Nebenlinie von Bovec nach Most na Soci. Dabei kann man die Strecke ähnlich wie beim CAAR mit einem Bahntransfer zwischen Bohinj und Podbrdo recht deutlich vereinfachen, hat aber gleichwohl die Möglichkeit über den Berg zu fahren. Mit Bahn ist die slowenische Variante kaum schwieriger als die friulanische, von den recht leichten Hügeln im südlichen Teil mal abgesehen. Selbst diese Hügel kann man sich ersparen, wenn man bei Kobarid nahezu eben ins italienische Natisone-Tal überwechselt und über Cividale in Friuli den CAAR-Anschluss nach Grado sucht.


adria bike bezeichnet die slowenische Alternative zum friulanischen Teil des Ciclovia Alpe Adria Radweg

Auch in Slowenien existieren neben den schönen Namen wie „adria bike“ auch parallel Radwegnummern, wobei man „adria bike“ wie andere Radwegbeschilderung (Symbole, Ortsnamen) auch ohne eine zusätzliche Nummerierung findet. Und ebenso entstehen ganz neue Radwegabschnitte abseits der Straßen, etwa zwischen Plave und Nova Gorica entlang der Soca (dort mit G-1 bezeichnet). Während die Österreicher R-Wege mit Nummern haben (national), setzen die Slowenen auf i.d.R. ein D mit einer Zahl (für Mountainbikerouten gibt es eine andere Nummerierung), fand aber auch G-2 für den adria-bike-Abschnitt bei Gorica. Weitere lokale Radwegauszeichnungen, die keiner Systematik unterliegen, ergänzen das System. Die Italiener nennen ihren CAAR auch FVG 1, wobei FVG das Regionalkürzel für Friaul/Julisch Venetien ist. Die italienisch-slowenische Achse des Kanaltals (Pontebba – Jesenice) erhält von West nach Ost sodann die Kürzel FVG 1 (bis Tarvisio), FVG 1/a (bis zur slow. Grenze, als CAAR-Seitenzweig) und D-2 (in Slowenien).

Hier ist das Radwegprojekt auch Teil einer binationalen Initiative für grenzüberschreitende Zukunftsinvestitionen in Italien und Slowenien, als solches mit „interbike“ bezeichnet. Der CAAR ist wiederum ein kombiniertes Projekt von EU als Finanzierungspartner und gleichwohl der binationalen (A/I) Förderinitiative Interreg IV, innerhalb derer die Tourismusvertreter von Salzburg, Kärnten und Friaul/Julisch Venetien die gemeinsame Arbeit für den CAAR übernahmen – angestoßen übrigens von der italienischen Seite, was gemäß der bestehenden italienischen Radwegekultur doch eher überraschend ist. Viele Köche also um einen kleinen Topf herum. Eine Alpen-Adria-Harmonisierung steht da noch aus – wäre mal eine Projektidee für die neue Alpen-Adria-Allianz.


Aufblühender Radweg-Tourismus am CAAR: Gastbetrieb mit velophiler Willkommenskultur in Venzone (Friaul)

Noch mehr, fällt auch neu(e) (belebte) Infrastruktur am CAAR auf, Übernachtungsbetriebe von privat bis Hotel richten sich gezielt an Radler, eine neue Radlerherberge (allerdings mit ungewisser Zukunft) entstand aus kommunalen Mitteln bei Fusine am grenzüberschreitenden Bahntrassenradweg zwischen Tarvisio und Jesenice und in guter Reichweite zu den Weißenfelser Seen (Laghi di Fusine). Pontebba, in manchen Reiseführern bereits mit einem Abgesang wegen der fallenden Bedeutung als Transitort bedacht, scheint wieder als Radler-Knotenpunkt neue wirtschaftliche Dynamik zu entfalten. Und auch zur slowenischen Seite umwerben zum Teil neue Campings, Gastbetriebe und Radlertankstellen den Pedaleur. Über die Nachhaltigkeit als Wirtschaftsfaktor vermag diese Entwicklung allerdings noch nichts zu sagen – zu oft konnte ich mich auch im Einzugsbereich der bekannten Radrouten recht einsam niederlassen.

Der vollständig halber sei erwähnt, dass es Alpen-Adria auch als Bike-Festival in Villach gibt, einer binationalen Veranstaltung ins angrenzende Slowenien – letztlich eher für Mountainbiker interessant. Was noch Alpen-Adria sein kann, sei nicht erschöpfend aufgezählt, aber der Alpe-Adria-Trail muss noch als „genussorientierter“ Wanderweg erwähnt werden. Nicht zuletzt habe ich das Symbol des Alpe-Adria-Trails häufiger gesehen als das des Radweges, denn der Alpe-Adria-Trail führt über die Höhen, nicht nur auf Wandertrails, sondern auch über Straßen, die eben höher oder verschlungener gelegen sind als der CAAR. Anderseits fallen auch einige Passagen des Alpe-Adria-Trails mit CAAR oder adria bike zusammen, sodass man beide Symbole zusammen vorfindet.


Nicht nur Wanderweg, auch vielfach alternative Radroute zum CAAR, manchmal auch übereinstimmend zu CAAR oder adria bike verlaufend: Der Alpe-Adria-Trail, hier auch Bahntrassenradweg im Val Rosandra durch den Triester Karst

Der Startpunkt liegt direkt am Fuße des Großglockners bei der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe (womit er in Kärnten beginnt) und entspricht auch sonst in Idee und Landschaftsspektrum weit mehr meiner Routenführung als der CAAR. Zufällig machte ich zweimal im selben Hotel Station wie ein Alpe-Adria-Wanderer, mit dem ich mich in Arriach unterhielt (nebst war er zuvor auch in Mallnitz, wenngleich sich die Wege dazwischen doch deutlich unterschieden). Der Alpe-Adria-Trail ist insofern authentischer an die historische Alpen-Adria-Region gebunden, da er immerhin auch durch Slowenien führt – er endet schließlich in Muggia – also im Golf von Trieste. Wenn man so will, ist er durchaus kompatibel mit dem Kern-Karantanien, soweit man ihm gestattet, sich auf die alpinste Umgebung auf einer Nord-Süd-Achse zu konzentrieren. Man kann den Alpe-Adria-Trail auch gut als Anschluss der Via Dinarica bemühen, wobei das Konzept der Via Dinarica natürlich freier ausgelegt ist, wie erfahrene Forumsleser wissen mögen.

Fortsetzung folgt
von: Juergen

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 07:33

Hallo Matthias,
damit ich beim weiteren Lesen nicht zu sehr ins Grübeln komme und vor lauter Ortsnamen die Orientierung verliere, wollte ich dich fragen, ob ich mich in etwa an den "offiziellen" Streckenverlauf des Alpe-Adria-Trails halten kann? Strecke

Danke für die großartige Einführung schmunzel
von: max saikels

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 11:07

In Antwort auf: veloträumer

+ ein halber Anreisetag per DB-Regional-Beamer + Großglockner-Anradeln (Bruck – Fusch)


Da hätten wir uns ja fast treffen können. Oder in Möllbrücke.
http://hutmachergass.de/steffsblog/?p=1173

Soll das ein größeres Buch werden? schmunzel
Bin auch gespannt, wies weiter geht.
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 12:22

In Antwort auf: max saikels
In Antwort auf: veloträumer

+ ein halber Anreisetag per DB-Regional-Beamer + Großglockner-Anradeln (Bruck – Fusch)


Da hätten wir uns ja fast treffen können. Oder in Möllbrücke.
http://hutmachergass.de/steffsblog/?p=1173

Soll das ein größeres Buch werden? schmunzel
Bin auch gespannt, wies weiter geht.

Buch: Ja, aber nur ein Forumsbuch. schmunzel Über andere Wege ist bereits seit Jahren schwer zu rätseln, aktuell sehe ich keine Wege in den Printbereich vorzudringen (drauf zahlen möchte ich sicherlich nicht).

Treffen am Hochtor z.B.: An dem Tag war die Anzahl der Radler gegenüber den Ferraris sehr gering. Reiseradler zwei in der Kneipe am Hochtor, sonst nur ein paar Rennradler. Wie schon anderweitig festgestellt, dieses Jahr waren ziemlich viele Forumskollegen am/um den Großglockner zugegen - immer ein paar Haarbreiten vorbei - gemessen an den Lichtjahreräumen, denen ich mich als studi-RAL-verde gegenüber sah und sehe.
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 12:31

In Antwort auf: Juergen
Hallo Matthias,
damit ich beim weiteren Lesen nicht zu sehr ins Grübeln komme und vor lauter Ortsnamen die Orientierung verliere, wollte ich dich fragen, ob ich mich in etwa an den "offiziellen" Streckenverlauf des Alpe-Adria-Trails halten kann? Strecke

Als grobe Leitlinie der ersten Kapitel schon, aber leider auch nicht so exakt. Besonders gibt für den Triglav-NP eine gewichtge Ausbauchung der Route auch nach Osten (eben nicht nur Soca), auch weiter südlich in Slowenien kommt ein östlicher Bauch bis zur Küste hin dazu mit verwirrenden Route durch die Weingebiete. Die letzten beiden Kaptitel sind dann mehr die Linie um den CAAR und ein ganz großer karnischer Bauch nach Westen noch bis zur Dolomitengrenze etwa. Meine Etappen sind aber ziemlich kurz gewesen - da wirst du schon folgen können. schmunzel
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 12:32

In Antwort auf: Keine Ahnung
Wenn die Einführung schon mit einem Arnulf anfängt, kann es ja nur gut werden grins

Du hast den Endzustand des vermuteten Arnulf gesehen? teuflisch
von: Keine Ahnung

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 12:44

Das mit dem Abmagern bedeutet bei mir aber immer einen erheblichen Kampf, so dass zumindest hier kaum Parallelen meiner eigenen Person zu dem König/Kaiser Arnulf zu ziehen sind . Ich habe hier auch mehr auf mein sogar noch gesteigertes Interesse an Deinem Beitrag abgezielt, welches angefeuert durch das Erwähnen meines Namensvetters natürlich auch darauf gerichtet ist, zu ergründen, in welcher Beziehung der grüne Außerirdische zu den geschichtlichen Ereignissen steht, die den Adler-Wolf-König betreffen.
von: joeyyy

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 12:59

Hast du mal überlegt, an irgendeiner Uni eine Vorlesung über europäische Geschichte zu halten? Nimm die Studis dann aber auf den Rädern mit, lernen und bewegen korrelieren hervorragend miteinander grins

Also ich als Schüler oder Student hätte Geschichte gerne so gelernt!

Ich bin gespannt, wie's weitergeht.

Gruß

Jörg.
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 20:53

Da könnte ich natürliche weitschweifige Anmerkungen mit biografischen Entwicklungen und Fehlentwicklungen machen, bei der Gefahr ein Selbstpsychogramm zu entwerfen, das nicht unbedingt Web-kompatibel sein könnte. Deswegen lasse ich das mal so brach liegen. Sicherlich aber ist die Verknüpfung von Geschichte mit (fiktionalen) Geschichten ein tragendes Element großer Teile der Literatur - wenn auch diese hier spezielle Form sehr eigen sein dürfte. Das hat aber sicherlich auch damit zu tun, dass irgendwie der Berichtsfaden und Forumsbezug bestehen bleiben soll und das Fiktionale etwas zurücktreten muss. Dein Lob nehme ich aber gerne entgegen - es ist sicherlich ein sehr schmeichelndes. Ich werde es an Commander speichen-08/15-kracher nicht ganz uneigennützig weiterreichen, um weitere Forschungsreisen zu erschleichen. schmunzel
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 20:56

E.3.1 Alpen-Adria – ein stetes Wiedersehen

Alpen-Adria hieß auch schon meine Tour 2003 – die nicht weniger banal wie der CAAR lediglich als geografische Orientierung verstanden sein wollte. So reichte sie mit Kroatien bis nach Dubrovnik deutlich über Karantanien hinaus, allerdings weitgehend innerhalb des ARGE-AA-Raumes. Nicht verwunderlich, gibt es mehrere, recht gewichtige Schnittpunkte dieser beiden Touren, sodass ich nach zwölf Jahren Wiederholungseindrücke gewinnen konnte. Mancher Ort, damals noch recht flott durchfahren, sollte diesmal Forschungsschwerpunkt sein. Nicht zuletzt deswegen entschied ich den Vrsic-Pass nochmal, aber in Süd-Nord-Richtung zu fahren, was radtechnisch gesehen eher nachteilig ist wegen des Kopfsteinpflasters in den Spitzkehren auf der Nordseite, die sodann zur Abfahrtsseite wurde. Gerade jedoch ist die Südflanke des Vrsic-Passes mit dem gesamten Soca-Tal der kulturell wie auch landschaftlich vielfältigere, interessantere Teil. Trotzdem hinterließ ich auch dort jetzt immer noch Forschungslücken. Soca und Julische Alpen sind ein riesiger, faszinierender Kosmos auf kleinem Raum mit Suchtpotenzial. Der Bergpionier, Schriftsteller und Kaufmann Julius Kugy (1858-1944) aus Triest, der die Julischen Alpen zu seinem Lebensinhalt machte, schwärmte schon einst über den Triglav, den höchsten Berg Sloweniens und der Julischen Alpen: „Der Triglav ist kein Berg, er ist ein ganzes Königreich“.


Freundliches Wiedersehen mit den Einwohnern vor der Traumkulisse der Julischen Alpen mit magischem Suchtpotenzial: Der Steinbock in Kranjska Gora

Weiters wollte ich die Großglocknerstraße vertiefend erkunden mit ihren Nebenzweigen und habe dabei die Route bewusst zu der von 2003 umgekehrt. Nicht gerade wenige Seitentäler im mittleren Mölltal wurden jedoch ein Opfer der Umstände. Weitere Schnittpunkte gab es dann an mehreren Orten im Kärntner Seenland, nicht zuletzt am schon mehrfach besuchten Millstätter See, aber auch dem Wörthersee – jeweils mit der Entdeckung der alternativen Uferseiten. In Slowenien gab es insbesondere ein Wiedersehen am herrlichen Bohinjsko-See nach 12 Jahren und der sehenswerten Stadt Skofia Loka und in Italien natürlich mit der stimmungsreichen Triester Bucht.

Weniger weit zurück liegt meine Ostalpen-Tour 2010, die zwar auch über Kern-Karantanien hinausreichte, gleichwohl als eine Alpen-Adria-Tour angesehen werden kann, wenngleich ich dabei nie das Meer erreichte. Insbesondere bediente diese Tour die Achse Wien – Slowenien durch Steiermark, Burgenland und ein bisschen k.u.k.-Ungarn. Ebenso finden sich mehrere Schnittpunkte mit der aktuellen Karantanien-Reise – so u. a. an der unteren Loibl-Passstraße mit der damals verpassten Tscheppa-Schlucht, in Klagenfurt, am Ossiacher See (auch hier die alternative Seeseite) und im Künstlerort Gmünd, in dem ich diesmal einen gewichtigen Museumsbesuch nachholte.


Wellen und Schwingungen sind das Thema im pankratium, dem Haus des Staunens in Gmünd: Das Klangvelo für die gute Rad-Stimmung

Der Alpen-Südbogen aus dem Jahre 2007 hatte denn Schnittpunkte u. a. mit dem Predil-Pass, an der Soca mit Tolmin und Most na Soci sowie mit Klagenfurt bzw. Feldkirchen in besonderer Weise. Schließlich gibt es auch schon die angedeutete Anschlussachse zur Via Dinarica aus dem Jahre 2013 – etwa mit den Anknüpfungspunkten Sezana und der slowenischen Karstweinstraße insbesondere mit dem kleinen Weinort Gorjansko, nicht unbedeutend für meine Forschungsarbeiten, da dort mein geliebter Winzer Strekelj ansässig ist – selbstverständlich mit einer erneuten diskussionsreichen Weinprobe.


Blutzoll im Spiegel des Smaragdglanzes: Die schrecklichen Bilder des Ersten Weltkrieges an der Isonzofront gemahnen zum Frieden und Gedenken im Kriegsmuseum Kobarid (Slowenien)

Einige Orte besuchte ich nunmehr gar das dritte Mal wie etwa Kobarid, Radenthein, den Millstätter See, Gmünd oder Klagenfurt, was aber nicht immer etwas über meine Forschungsintensität in den Orten sagt. So besichtigte ich etwa das sehenswerte Klagenfurt intensiver nur einmal, suchte eher die Flucht ins Land oder an den See. Von Gmünd habe ich zwar vielfältige Eindrücke, bin jedoch weit entfernt davon, dort eine komplette Museumsparade abgelaufen zu haben. In Kobarid fand ich erstmals Muße und erlebte ein bisschen der dort bekannten exquisiten Küche, entdeckte einen slowenische Dichter und gedachte dem Blutzoll im Spiegel des Smaragdglanzes in den Isonzo-Schlachten im Kriegsmuseum.

Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 20:59

E.4 Gutes von Gutenbergs Handwerkskunst

Karten

Die Karten sollten aktualisiert geprüft werden, weil teils Altwerke, entsprechend unten nur Weblinks zu den Kartenverlagen. Wie häufig ergänzen sich immer einige Infos – es gibt keine überlegene Karte, auch detailreichere Maßstäbe haben Lücken oder Mängel. Die Kärntenkarte deckt fast alles von Kap. I-II ab, im Zweifel auch noch für Teile von Kap. VII verwendbar. Es gibt spezifische Routenhinweise für Radler und Wanderer. Ein paar Kilometer der Glocknerstraße fallen im Norden raus – für die Strecke braucht es aber keine Karte.

Die drei Karten zum Friaul sind redundant, mit der Tabacco-Version hat man eine gute Straßenkartenwahl für Kap. VI-VIII getroffen, angenehme Schummerung. Für die Bahntrasse im Rosandra-Tal kann man auf einen Detailausdruck von GoogleMaps zurückgreifen, sofern man die lokale Karte nicht erhält.

Für Slowenien empfehlen sich Karten von KartoGrafija in 1:50.000 bis 1:75.000 – man prüfe, welche Karten die jeweilige Region abdecken. Die Karten enthalten recht neue Daten, insbesondere auch weitgehend über alle touristischen Einrichtungen, gutes Kartenbild mit Höhenlinien/-angaben, Radroutenführung, unterschieden auch nach Tourenrad oder MTB. Trotz der Genauigkeit gibt es leider keine Kilometerangaben, sodass eine gesamtslowenische Straßenkarte als Ergänzung ratsam ist. Die Karte vom Triglav-NP deckt das gesamte Kap. III ab, abgesehen von einer Ecke im Tarvisiano. Für die verwinkelten Ostbereiche von Jelovica und Skofjelsko Hribovje hatte ich keine Detailkarten, was aber auch kein Problem ist – es reicht die gesamtslowenische Radkarte letztlich. Ganz ohne Karte ist die örtliche Ausschilderung auf solchen Nebenrouten aber nicht ausreichend. Die Haltbarkeit aller Karten an den Falzkanten ist deutlich schlechter als bei Michelinkarten, auch KartoGrafija macht da keine Ausnahme. Die Spezialkarte zur Isonzofront enthält neben den Adressen aller Museumsammlungen zum Kriegsthema auch ein Literaturverzeichnis (vgl. auch Kap. V).

• Kärnten – Die Freizeitkarte 1:120.000 Marco Polo
• Slovenija 1:250.000 freytag & berndt (neu als 1:200.000-Ausgabe erhältlich)
• Radfahren in Slowenien 1:260.000 www.slovenia.info/biken, kostenlos vom Tourismusverband
•Triglavski narodni park 1:50.000 KartoGrafija www.kartografija.si
• Radtouren auf der Smaragdstraße (Kolovrat, Collio, Trnovski Gozd, Idrijsko Hribovje, Prealpi Giulie, Tolminski) KartoGrafija, auch Broschüre www.bike-alpeadria.com mit lizensiertem Original-Kartenwerk, kostenlos von Tourismusverband
• Weg des Friedens (Soca bis zur Adria) KartoGrafija, auch Broschüre Besucherzentrum Kobarid mit lizensiertem Kartenwerk, kostenlos im Besucherzentrum
• Die Isonzofront- Historisch-Touristische Landkarte (vom Rombom bis Mengore) 1:50.000 Ustanova Fundacija Poti miru v Posocju/Geodetski zavod Slovenije d. d., ISBN 961-91816-3-8, käuflich u. a. im Museum Kobarid
• Radtouren auf der Smaragdstraße (Kolovrat, Collio, anderer Ausschnitt als o. a. ähnliche Karte) KartoGrafija, auch Broschüre www.bike-alpeadria.com mit lizensiertem Original-Kartenwerk, kostenlos von Tourismusverband
• Naturpark Rosandratal 1:15.000 Tabacco, touristischer Lizenznachdruck, kostenlos z. B. in der Bar Bosazzo
• Friuli/Venezia Giulia 1:150.000 Tabacco
• Veneto, Friuli Venezia Giulia 1:200.000 Touring Club Italiano
• Veneto/Friaul 1:200.000 Die Generalkarte


Karantanien ist nicht nur wegen Klagenfurt als Verlagsstadt und der Triester Bucht als Schriststellermagnet eine der prominentesten Regionen für Poesie und europäisches Denken: Die neunmalkluge Eule vom Lago di Cavazzo (Friaul) beweißt, dass dort selbst Tiere sehr belesen sind

Buch-Tipps

• Sabine Becht/Sven Talaron: Kärnten. Taschenbuch, 430 S. Michael Müller Verlag, Erlangen, 1. Aufl. 2013. ISBN 978-3-89953-736-9
[] Umfassender Reiseführer, der mehr abdeckt als man wohl im Urlaub abarbeiten kann. Auch Geheimtipps wie Egelsee werden berücksichtigt – die Natur- und Kulturplätze sind nahezu komplett abgedeckt. In gelben Kästen finden sich vertiefende Beiträge zu besonderen Sehenswürdigkeiten, Sagenwelten, Geschichte und anderes. Der Ortstafelstreit wird dabei ebenso berücksichtigt wie die Folgen der Klimaerwärmung auf die Pasterze, das mittelalterliche Burgbauprojekt in Friesach oder die Sagengeschichten um Lindwurm und Wörthersee-Mandl. Die Info-Blöcke, immer an überschaubare Kapiteleinheiten angehängt, sind prall gefüllt. Eine Übersichtskarte gibts noch obendrauf.

• Eberhard Fohrer: Friaul-Julisch Venetien. Taschenbuch, 312 S. Michael Müller Verlag, Erlangen, 3. Aufl. 2013. ISBN 978-3-89953-793-2
[] Kaum anders zu bewerten als der Kärnten-Reiseführer aus dem Müller-Verlag. Löblich die specials zur Triester Literaturgeschichte, besonders hervorzuheben auch die 9 Wanderrouten, die dem Gelegenheitsfußgänger ein paar schöne Touren anempfehlen – dabei auch das Val Rosandra. Nachteil solcher Reiseführer: Immer weniger Geheimtipps verbleiben als „geheim“. Ohne Mängel aber auch nicht: Einige Straßen-/Routenbeschreibungen wie z. B. Monte Zoncolan oder Monte Cróstis sind fehlerhaft.

• Friedrich Köthe/Daniela Schetar: Slowenien. Mit Triest. Reise Know-How Verlag, Bielefeld, 1. Aufl., 2002. ISBN: keine Angabe, weil Auflage veraltet
[] Bereits zur Via Dinarica empfohlen. Neuere Auflagen müssten auf dem Markt und dabei noch umfangreicher sein. Sehr guter, ausführlicher Reiseführer mit vielen Detail-Infos sowohl zu Themen, Exkursionen wie auch Unterkünften, Gastronomie, Shopping usw. Einige vertiefende specials in abgetrennten Kästen.

• Wilhelm Kuehs: Sagen aus Kärnten, Friaul und Slowenien. Leinenband, 223 S. Styria Regional Carinthia, Wien-Graz-Klagenfurt, 2012. ISBN 978-3-7012-0115-0
[] Eine Sagensammlung zur Karantanien-Region ist ein großer Glücksfall, von einem sachkundigen Autor minutiös zusammengetragen und in einen modernen, sachlichen Schreibstil übertragen. Genau das ist aber auch ein wenig das Problem des Buches, gehen doch manche literarischen Elementen alter Sagenüberlieferung verloren – nicht selten durch orale krude Eigenheiten erst geheimnisvoll gemacht. In der zu gleichmäßigen Sprache wirkt das Buch in der Gesamtheit daher etwas blutleer –, umso mehr, da sich viele Sagengeschichten im Inhalt zuweilen deutlich überschneiden. Damit wird zwar eine geradezu wissenschaftlich vergleichende Übersicht der Varianten aus den Teilregionen geschaffen, doch bleibt das Erzählerische ebenso etwas auf der Strecke wie eine sinnvolle Auswahl. Kaum zu glauben, dass dann immer noch weitere Varianten existieren, wie der Autor stets auch vermerkt. Es wäre aber vermessen, dass Buch deswegen nicht in die Hand zu nehmen, denn es sind nicht nur Geschichten, sondern auch Elemente der leibhaftigen Geschichte, die quasi ganz nebenbei aus dem Alltagsleben der Bewohner in verschiedenen Epochen rausgeschält werden. Umso trauriger, dass das Buch trotz des noch recht jungen Veröffentlichungsdatums schon vergriffen ist – nur noch antiquarisch erhältlich.

• Andreas Moritsch (Hrsg.): Alpen-Adria. Zur Geschichte einer Region. Leinenband, 628 S. Hermagores Verlag/Mohorjeva zalozba, Klagenfurt-Ljubljana-Wien, 2001. ISBN 3-85013-730-9
[] Eine chronologische Analyse vom römischen Reich über das Mittelalter bis zur Jetztzeit des Alpen-Adria-Raumes – auch immer mit der Perspektive der Wirkung auf die Moderne und die Spuren im Hier und Jetzt. Die Autoren kommen aus den drei karantanischen Kernregionen und fügen ein mosaikreiches Bild aus den geografischen, historischen und politischen Gegebenheiten des AA-Raumes zusammen, indem sie auch die Stereotypen von Geschichte und aktueller Politik thematisieren oder gar enttarnen. Die pedantische Recherche steht gleich neben einer werteorientierten Wissenschaftsbetrachtung, die auch Position bezieht. Dabei ist der wissenschaftliche Charakter zugunsten der Verständlichkeit abgefedert, die Quellenhinweise dezent verbaut, der Rote Faden einer durchgehend spannenden Geschichte stets im Auge gehalten und das Buch auch für Laien gut und flüssig lesbar. Für Karantanien-Reisende eine spannende Schatzkiste über das Wesen einer besonderen Europaregion, für Europa- und Integrationspolitiker und nationalkonservative Irrläufer eine Pflichtlektüre. Verlagsauslieferung unklar, sonst leider nur selten antiquarisch erhältlich.

• Wolfgang Platzer/Lojze Wieser (Hrsg.): Europa Erlesen – Alpen Adria. Kleiner Leinenband mit Gravurdruck im Deckel, 249 S. Wieser Verlag, Klagenfurt, 2008. ISBN 978-3-85129-821-5
[] Auch den Alpen-Adria-Raum berücksichtigt diese hübsche, Appetit machende Reihe „Europa Erlesen“ mit prosaischen wie lyrischen Textbespielen. Eine – auch farblich – passgenaue Ausgabe, um die Region literarisch wie historisch kennen zu lernen. Mit Beiträgen von u. a. Hellwig Valentin, Scipio Slatapar, Pavao Pavlicic, Leonardo Zanier, Paolo Pasolini, Veit Heinichen, Karoly Méhes, Veljko Barbieri, Claudio Magris, Peter Stih und Walther von der Vogelweide. Dieser Band kann für Genießer nur als Einstieg gesehen werden. Ich hätte mir (nicht nur) für diese Ausgabe ein wenig mehr Lyrik-Beiträge und abgeschlossene Essays gewünscht, ist doch gerade die Region voller Poesie und Poeten. Dabei wird es auf dem Buchmarkt immer schwieriger, originale Werke zu erhalten, weil sich der Markt einer modernen Flüchtigkeit und Vergessenheit unterwirft. Textausschnitte aus größeren prosaischen Werken sind hingegen immer ein Risiko, den Leser etwas unbefriedigt zurückzulassen mit einem willkürlichen Einstieg ins Werk, wie auch dem nicht geschlossenen Ende. Trotzdem auch wieder eine echte Fundgrube. Die dringliche Ergänzung über die besonders löbliche „Karst“-Ausgabe der Reihe kann ich nur empfehlen.

• Pier Paolo Pasolini u. a.: Wie eine Viole in Casarsa – Friulanische Gedichte. Taschenbuchformat, 221 S. Edition Braitam/Wieser Verlag, Klagenfurt u. a., 1988/2003. ISBN 3-85129-414-9
[] Eine ebenso verdienstvolle wie besondere volkskulturelle Sammlung friulanischer Gedichte, deren Ursprünge zwar ins Mittelalter zurückreichen, jedoch als Literaturgattung eines eigenständigen Sprachraumes erst im 20. Jahrhundert zur Blüte einer zeitgenössischen Kultur heran wuchs. Damit legt sie Zeugnis des heutigen, fortlebenden Alpen-Adria-Gedankens ab, alle Werke natürlich in Friulanisch und deutscher Übersetzung (Anna-Maria Kanzian) vorliegend, klein gedruckt auch noch in Italienisch. Von Amedeo Giacomini ausgewählt mit einordnendem Nachwort kenntnisreich bedacht, in dem Kernelemente von Autoren und Lyrik pointiert und mit zeitgeschichtlichen Wechselwirkungen herausgearbeitet sind. Abschließend finden sich zu allen Dichtern noch elementare biografische Daten und wichtigste Veröffentlichungen. Neben Pasolini und Giacomini finden sich Gedichte von Siro Angel, Renato Appi, Mario Argante, Elio Bartolino, Alan Brusini, Elsa Buiese, Novella Cantarutti, Aurelio Cantoni, Riccardo Castellani, Franco de Gironcoli, Celso Macor, Giuseppe Marchetti, Domenico Naldini, Angelo Pittana, Tonuti Spagnol, Umberto Valentinis, Ida Vallerugo, Bernardino Virgili, Leonardo Zanier, Domenico Zannier und Galliano Zopf.

• France Preseren: Sonetni Venec – Sonettenkranz. Mini-Leinenband mit leichtem Gravurdruck im Deckel und Illustrationen von Valentin Oman, Hermagores Verlag/Mohorjeva zalozba, Klagenfurt-Ljubljana-Wien, 1986/4. Aufl. 1996. ISBN 3-85013-045-2
[] Das schmucke Büchlein für die Hemd- oder Hosentasche – modern auch: im schlanken Flat-to-pocket-Smartphone-Format – ist schon optisch ein schickes Kleinod, dass man seiner Geliebten jederzeit als Beweis für seine Treue schenken kann – natürlich nur, wenn sie den lyrischen Sprachdrechseleien noch geistig gewachsen sein sollte. Denn Sloweniens berühmtester Dichter widmete diesen Gedichtzyklus einer Geliebten, die seine Gefühle trotz seiner schönen Worte ein Leben lang nicht erwiderte. Wie viele großen Geliebten der Weltliteratur heißt sie natürlich Julia. Die 15 Teile, alle zweisprachig aufgeführt, verbinden sich über die jeweilig erste Zeile mit der jeweilig letzten Zeile des vorangegangenen Verses. Jedem Vers steht eine eigene Illustration gegenüber, die wiederum dem Sonettenkranz gleich, immer ähnliche Variationen eines Themas widerspiegeln. Der Übersetzer schließlich erläutert seine persönliche Sicht auf seine Arbeit und das Werk, welches nicht mehr ist als ein atemloser sprachlicher Überschwang voller Geheimnisse, die ebenso im Pathos einer romantischen Liebeslyrik wie eines patriotischen Heldentums schwelgen und doch dergleichen über alle Zeiten hinweg und für jedermann/jederfrau zu einem Sprachgemälde voll irisierendem Lichterglanz aufleuchtet – Glanz reimt sich ja auch auf Kranz. Im Zweifel auch erhältlich bei der Touristinfo in Kranj, des Dichters späte Heimstatt.

• Friedrich Rückert: Gedichte. Hrsg. Von Walter Schmitz. Taschenbuch, 336 S. Reclam, Stuttgart, 1988/2005/2012. ISBN 978-3-15003672-3
[] Gustav Mahlers Lieblingsdichter (Mahlers Arbeitssitz am Wörthersee ist ein Kärnten-Thema hier) schaffte die Grundlage zu verschiedenen Liederzyklen des Komponisten der Spätromantik – etwa der Kindertotenlieder, die tragische Familienerlebnisse verarbeiten. Auch wenn Rückerts Gedichte im Vers manchmal prosaische Ausmaße annehmen, war er besessen davon, alles zu reimen. Mancher Liebesreim kommt dann reichlich kitschig daher, sodass die Qualität nicht homogen ist – aber auch Perlen zaubert. Militärisches und Patriotisches ist gleichermaßen ein großes Thema. Rückert stand im Zentrum der nationalen Bewegung des 19. Jahrhunderts und hegte bereits deutliche Zweifel am Sinn des nationalen Pathos. So ist denn auch das Nachwort eine interessante Analyse über den Nationengedanken aus der Zeit des Dichters – nicht ohne aktuelle Bedeutung, wie auch für den hier propagierten karantanischen Geist. Der Unterfranke beherrschte angeblich 44 Sprachen und wird damit zum primus inter pares für ein universelles Karantanien.

• Erwin Steinhauer/Günter Schatzdorfer: Einfach. Gut. – Eine kulinarische Reise ins Friaul und nach Triest. Taschenbuch, 215 S. Styria regional, Wien-Graz-Klagenfurt, 2006/2014. ISBN 978-3-7012-0165-5
[] Ein Schriftsteller und ein TV-Kommissar ziehen durch das Friaul, um in der besseren lokalspezifischen Küche, die nicht unbedingt in Gourmetführern steht, zu speisen und zu trinken. Anekdoten, historische Hintergründe und teils nur geheimnisvolle Andeutungen, wo Messer und Gabel zu Mund geführt werden, sollen das Buch von der Gefahr einer lexikalischen Fressbibel für Gutbetuchte befreien und dem Leser die Sehnsucht nach dem guten Geschmack auf unkonventionelle Art in den Mund legen. Die Autoren erfragen Rezepte vor Ort und geben auch einige davon preis. Nur bleibt der kulturelle Teil der Reise doch arg in der Genusssucht seiner Autoren etwas stecken. Man glaubt als Leser, vom frühen Morgen bis zum späten Abend das Vollstopfen mit Köstlichkeiten vorgeführt zu bekommen, ohne daran teilhaben zu dürfen. Ein bisschen eine selbstverliebte, kokette Genusserzählung, die sinnfällig ein „Geschmäckle“ hinterlässt, wenn hier zwei Freizeitgourmets auf Genusstouren gehen – mit gutem Geldbeutel, der ihnen der Verlag aufgrund der Prominenz gewährte, sofern sie es noch nötig gehabt haben sollten. So bezeichnen sie es als Frevel, eine Weinprobe zu verkosten, ohne nicht auch den Kofferraum des Autos gleich mit Flaschen des Winzers zu füllen. Ein Radfahrer wohl nur, der Böses dabei denkt? Immerhin doch noch amüsant zu lesen, durchaus mit Sprachwitz geschrieben und ein paar Geschichtchen sind ja gerade dann wertvoll, wenn sie rar wie wahre Delikatessen gereicht werden. Sicher ist nur eines: Die eigene Gourmetreise wird anders ausfallen, die Kulturreise erst recht.

• Lojze Wieser (Hrsg.): Europa Erlesen – Karst. Kleiner Leinenband mit Gravurdruck im Deckel, 250 S. Wieser Verlag, Klagenfurt, 1999. ISBN 3 85129 222 7
[] Bereits zur Via Dinarica empfohlen, kristallisiert sich als eine der Paradeausgaben der Reihe heraus, daher mein Rezensionstext aus 2013 ungeschminkt kopiert: Eine Auswahl literarischer Texte wie Erzählungen und Gedichte von Schriftstellern, die aus dem Karst i.e.S. stammen oder sich mit dieser Landschaft beschäftigt haben – u. a. von Peter Handke, Srecko Kosovel, Franz Satori, Scipio Slataper, Ernst Decsey, Dante Alighieri, Adalbert J. Krickel, Giuseppe Ungaretti, Hilde Spiel. Das schmucke Bändchen ist Teil einer Serie „Europa Erlesen“, die auch in andere europäische Regionen mit nicht nur bekannter Literatur zum Entdecken einlädt. Wieser spricht treffend von einem Wegweiser, einer Orientierung, einer Art Wanderkarte, die man mit ins Gepäck nimmt, wenn man sich auf Wanderung begibt. Der Herausgeber und Verlagsleiter Lojze Wieser mit Sitz in Klagenfurt ist Experte für slowenische und kroatische Literatur. Das gesamte Verlagsprogramm des Wieser Verlags verdient einen näheren Blick. Durch die wertigen Buchdeckel sind es auch ideale Geschenkbücher.


France Preseren, Sloweniens bedeutendster Dichter, verkündet mit seinem Sonettenkranz eine atemlose, zyklisch verkettete Liebeserklärung an die angebetete Bürgerstochter Julia

Fortsetzung folgt
von: Hasenbraten

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 21:48

In Antwort auf: joeyyy
Hast du mal überlegt, an irgendeiner Uni eine Vorlesung über europäische Geschichte zu halten? Nimm die Studis dann aber auf den Rädern mit, lernen und bewegen korrelieren hervorragend miteinander grins
Ob der Veloträumer Studenten perfekt aufs Examen vorbereiten könnte, weiß ich nicht. Die Kandidaten wären aber nach einem Semester unter seiner Leitung bestimmt topfit. grins

@Matthias: Der Anfang ist sehr vielversprechend. Bin gespannt, wie es weiter geht.

Grüße
Gregor
von: Hansflo

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 21:54

Hallo Matthias,

vielen Dank für den ausführlichen Reisebericht mit den lyrischen Expeditionen in Geschichte und Geografie des Alpen-Adria-Raumes. Ich staune, wovon ich alles keine Ahnung hatte.

Hans
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 07.12.15 22:00

E.5 PROLOG

Fr 12.6. Green Devil 13:58 h || per DB-Regional-Beamer || 19:39 h Bruck – Fusch
W: 35-24 °C, sonnig, sommerheiß, abends mild
Ü: C Lampenhäusl 7 €
AE (dito): Grillteller, Gemüse, Pommes, Apfelstrudel m. Eis, Rotwein, Cafe 26,40 € (**)
8-9 km | 70 Hm | Irdischer Zeitmesser noch nicht angepasst, daher keine Geschw.- & Zeitwerte

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: DB/ÖBB-Beamer-Landung in Bruck erfolgreich. Bitte um Freigabe für Forschungsreise! Bitte Bankomatenlizenz aktivieren!“
„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Pedalantrieb prüfen, Flaschenfüllung kontrollieren!“
„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Pedalantrieb funktionsfähig. Flaschen gefüllt mit Leitungswasser, allerdings lauwarm.“
„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Lauwarm werden Sie morgen froh drüber sein! Forschungsreise frei gegeben. Beschränkte Bankomatenlizenz aktiviert. Good luck!“


Wie schon eingangs erwähnt, gab es bei der intrakosmischen digitalen Navigation einige Fehler, sodass ich nicht exakt am Startpunkt Fusch am Fuße der Großglocknerstraße abgesetzt werden konnte. So hatte ich am Abend vor Reisebeginn noch ein kleines Teilstück zwischen Bruck und Fusch zu überwinden, dass aber angesichts des recht flachen Verlaufs und der milden Temperaturen nach dem heißen Sommertag keinerlei Probleme bereitete. Lediglich zuvor im DB/ÖBB-Beamer hatte ich mit einigen Schweißperlen zu kämpfen, wenngleich alles mit großer Pünktlichkeit vonstatten ging. Auch das Empfangsessen im Lampenhäusl zu Fusch erwies sich als durchaus schmackhaft. Mangels Erlebnischarakter des Prologs werde ich diesen noch zu einigen allgemeinen Bemerkungen missbrauchen.


Letzter Camping vor der Hohe-Tauern-Barriere auf der Nordseite der Großglockner Hochalpenstraße: Lampenhäusl in Fusch, wahlweise auch Hotel und Restaurant

Bei der Bankomatenlizenz wollte sich mein Commander wohl besonders großzügig zeigen. Der Automat spuckte nur 100-Euro-Scheine aus. Das war dann in ganz Österreich so. Vermutlich also ein teures und reiches Land. Die Realität sollte sich anders darstellen. Kärnten samt des kleinen Salzburger Teils erwies sich eher als das preisgünstigste Reiseland unter allen dreien. Und es gilt als arm – zumindest aus gesamtösterreichischer Perspektive. Nimmt man einige Eintrittsgelder und touristische Vergnügen hinzu, verrechnet man den schlechten Service, betrachtet man die Privathoheit über die Seen in Österreich und damit den nicht gerade selten zu bezahlenden Seezugängen (denen ich mich verweigerte) und setzt man mehr auf Camping als auf Festunterkünfte, verschiebt sich der preisgünstigste Pegel wieder zugunsten Sloweniens, wo die Natur noch weitgehend als freies Gemeingut gilt und sich mit etwas Augenmerk und Planung immer noch auch sehr günstig urlauben lässt.

Campings sind in Slowenien im Schnitt gegenüber Kärnten etwa um 2 Euro günstiger, also quasi auch etwas noch unter dem germanischen Niveau. Allerdings kam ich gerade dort noch häufiger zu sog. Sonderpreisen, sodass die reale Preisrelation etwas verzerrt ist. Am Beispiel der zwei teuersten, „gleichwertigen“ Halli-Galli-Campings des jeweiligen Landes – Ankaran/SLO (15,60 €) und Mauthen/A (18 €) – lässt sich der Unterschied aber ganz gut festmachen. Der Kategorie 10-12 € in Slowenien entspricht in Österreich eher einer Gruppe mit 12-14 €, wenn man es mal über den Daumen peilt (alles inklusive lokaler Tourismussteuern gerechnet, die ja nicht dem Betreiber unterliegen). In Friaul/Julisch Venetien war die Anzahl meiner regulären Übernachtungen ziemlich gering, sodass ich zumindest keine aktuelle Aussage über die dortigen Campingpreise machen kann.

Überhaupt war der Anteil sog. Sonderübernachtungen mal wieder ziemlich hoch und vielfältig. Zum italienischen Teil hatte ich etliche Vorinfos gefiltert, sodass ich über die dortige Region eine bessere Übersicht habe als man es gemäß der tatsächlichen Übernachtungsvarianten vermuten mag. Oft scheiterte der gezielte Anlauf einiger als empfehlenswert vermerkter Agrotourismusbetriebe an der veränderten, ungünstigen Etappengestaltung, die sich zwangsweise aus verschiedenen Umständen ergab, insbesondere weil die Ziele entsprechend des unterschätzten Schwierigkeitsprofils zu ambitioniert waren. Am schmerzlichsten musste ich auf Weingüter mit Bett, Speis und Trank in Tarcento und Nimis verzichten, noch mehr trauere ich um einer Nächtigung in Sàuris nach – ein Ort, dessen Atmosphäre mit seinen eigenwilligen Menschen und dem stilvollen Wesen der traditionellen Häuser sich nicht über ein einziges Zahre-Bier unter trüben Himmel einfangen lässt.


Nicht immer billig, aber vielfach propere, moderne Zimmer kennzeichnen slowenische Hotels oder Bed&Breakfast-Betriebe: blue notes für die Träume des grünen Alien in Skofia Loka

Eine Angleichung an italienische Preise gibt es in Slowenien beim besseren Essen ebenso wie bei den Festübernachtungen. Bei letzteren fällt auf, dass in Kärnten weniger, in Slowenien mehr und moderner investiert wird – im Friaul ist es eher mal so oder so. Beliebt sind auch Zimmer im historischen Bau- und Möbelstil der jeweiligen Region – schön, aber eben auch eher teuer. Luxus wie Sauna oder Hallenbäder wird gerne als Lockmittel benutzt, ist aber zuweilen gar nicht geöffnet oder nur mit Zuzahlung möglich (sowohl in Kärnten wie Slowenien gesehen). Nicht zuletzt erfuhr ich von Roberto Magris, dass die Apartmentpreise (für Bewohner; Kauf, Miete) im grenznahen, slowenischen Sezana nicht selten über denen auf der Triester Seite liegen. Auch auf die touristischen Preise hat diese italienische Grenznähe eine Auswirkung, aber nicht immer. Man findet auch in abseitigen Regionen in Slowenien hohe Übernachtungspreise – z. B. in Skigebieten.

Anderseits werden nicht alle grenznahen Gebiete von Italienern gleichermaßen häufig aufgesucht. Im Collio gehen die Weingebiete ineinander über, da funktioniert die Preisangleichung. Die Gourmethochburg Sloweniens ist nicht zufällig im grenznahen Kobarid entstanden. Zum Essen kommen die Italiener auch gerne in den slowenischen Teil des Kanaltals, sodass dort die grenznahen Orte davon profitieren, etwa bis zum Kasino-Ort Kranjska Gora. Im Gegensatz dazu finden sich wenig Österreicher, die mal schnell durch den Karawankentunnel oder über den Wurzenpass vorbeischauen. So zumindest mein spontaner Eindruck. Da ist die Barriere doch irgendwie wortwörtlich zu hoch. Umso mehr überrascht, wie schlecht der Tourismus im Karstweingebiet Sloweniens läuft. Kaum Italiener, die sich über die grenznahen Orte Sloweniens hinauswagen und auch immer wieder tauchen große, unerwartete Lücken an Einkehrmöglichkeiten auf wie etwa zwischen Vipava und Sezana. Es dürfe aber nicht nur an der nationalen Grenze liegen, sondern auch an der Sogwirkung des Meeres. Alles tummelt sich am Meer, während das reizvolle Hinterland wirtschaftlich verödet.


Nicht immer die schlechteste Wahl zur Budgetlimitierung bei begrenzter Bankomatenlizenz: Wildes Biwakieren in den Rebenhügeln des Collio (Slowenien)

Allen Teilregionen Karantaniens gemein ist aber, dass die wirtschaftliche Krise spürbar ist. Welche Krise? – Von Konjunkturfesten, wie sie gelegentlich von den Erdenbürgern berichtet werden, konnte ich jedenfalls in Karantanien keine relevanten Spuren finden. Sicherlich gibt es genügend Leute, die Geld haben, besser gesagt zuviel Geld. Die Verteilung ist jedoch asymmetrisch, die Schere wird größer, die Nutznießer von Luxustourismus sind wenige. Das unterstreichen auch Luxus-Rallyes auf der Großglocknerstraße, von denen die lokalen Betriebe kaum profitieren. Die Piloten kehren abends in stilechte Unterkünfte in Zell am See oder gleich in ihre Startorte zurück. Unter dem Motto „Luxus geht immer“ haben sich sicherlich auch einige Betreiber verkalkuliert. Selbst die fetteste Sau lässt sich nicht beliebig schröpfen. Neue zahlungskräftige Touristen zu gewinnen ist ein Wettbewerbslauf, bei dem nur wenige gewinnen können und andere verlieren werden. Einer meiner ehemaligen Wirtschaftsprofessoren, Albert Schweinberger, pflegte schon fast besessen im Widerspruch zur herrschenden These der Jedermanns-Wohlfahrts- und Wachstumsökonomie zu predigen: „Es gibt immer Gewinner und Verlierer!“

So leiden alle – neue Luxuskaschemmen im einsamem Pokljuka-Gebiet quälen sich gästearm zum nächsten Winter mit erhofft mehr wohlhabenden Skitouristen, ebenso wackeln Campingplätze an der Drau, Gourmetweingüter im Vipava-Tal oder Hüttengasthöfe an der Malta-Hochalmstraße an der Wirtschaftlichkeitsgrenze – nicht selten auch an der persönlichen Arbeitsbelastungsgrenze entlang. Es wird gespart, die Menschen können jeden Euro nur einmal ausgeben. Wer nicht weniger Geld in der Tasche hat, hat das bisschen Mehr spätestens bei den zunehmenden Konsumreizen in den Digital- und Spaßwelten schon ausgegeben. Für den Urlaubsort und den unmittelbaren Genussmoment bleibt weniger. Die Erlebniswelten werden zunehmend digitalisiert um nicht zu sagen denaturiert. Emoticons statt emotions. Das Ferrari-Happening auf der Glocknerstraße zeigt bestens, dass es nicht reicht, dass sich die Goldtaler nur bei wenigen Auserwählten sammeln. Die Konsumdekadenz des Kleinen Mannes versucht den virtuellen Brückenschlag über den größer werdenden Graben der Ungleichverteilung des Einkommens. Beide Seiten hebeln die gewachsenen wirtschaftliche Kleinbetriebsstrukturen zunehmend aus. Nicht alle Gastbetriebe reagieren mit Preiserhöhungen um die Verluste aufzufangen. Insbesondere in Kärnten sucht man den Weg der Preisstabilität um Stammgäste nicht zu verkraulen.


Verpflegung on the road direkt aus lokaler Produktion: Herzhafte Ziegenkäse und erfrischendes Joghurt von der Bergalm Zore nahe Taipana in den Julischen Voralpen, Friaul

Besonders „alternative/private“ Übernachtungsmöglichkeiten wie Bed & Breakfast, Agrotourismus o. ä. werden gerne immer luxuriöser angeboten, sind dann aber auch im Preis entsprechend hoch. Aus der o. a. Darstellung folgt natürlich, dass die friulanische Seite zumindest auf dem Papier die teuerste sein müsste (in meiner Praxis nicht unbedingt). Das muss nicht an den Übernachtungen liegen, vielmehr sind die Essenspreise doch recht gesalzen. Interessant ist dabei, dass bessere Restaurants und einfachere Berggasthöfe oder Almhütten letztlich sich im Preis kaum noch unterscheiden. So kam es nicht selten vor, dass ich das Preisleistungs-Verhältnis als sehr ungünstig bewerten muss, was zumindest in meiner Perspektive für Italien neu ist (allerdings war es ja auch nicht Kern-Italien). Preistreiber sind natürlich auch das nicht gerade immer Jubel auslösende Coperto, das stets zu bezahlende Wasser zum Wein und nicht selten fehlende Beilagen zu Fisch oder Fleisch, die man nochmal zusätzlich bestellen muss. Ärgerlich auch, dass die Beilagengestaltung nicht immer transparent ist, sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Zudem ist man etwa gegenüber Frankreich zu einem Menü à la carte gezwungen, weil es selten preiswerte Pauschalmenüs gibt und Einzelgerichte nicht ausreichend portioniert sind, sodass man zwingend mehrere Gänge zur Sättigung braucht. Ein Ausweg wäre natürlich – nicht nur in Italien – sich auf Pizza zu beschränken. Besonders Slowenien ist ein bekennendes Pizza-Land, riesige, gleichwohl gute Pizzen sind recht typisch wie auch beliebt bei den Einheimischen und ihrer Jugend, von den sich viele eine abwechslungsreiche Menügestaltung nicht leisten können und „deutsch“-typische Döneralternativen fehlen. Das ist aber nicht unbedingt meine Gourmeterwartung im Urlaub – trotz meiner beschränkten Bankomatenlizenz, die mir von Commander speichen-08/15-kracher stets auferlegt wird.

Ungeachtet der zuweilen besseren Beilagengestaltung muss man zum Ausgleich erwähnen, dass die Kärntner Köche die größten Problem mit den Garpunkten des Fleisches hatten, die italienischen hingegen die geringsten. Ein vertiefter Blick in die Kochtöpfe blieb mir jedoch nicht zuletzt mangels ausreichender Öffnungszeiten da und dort auch immer mal wieder verwehrt – am häufigsten eben in Österreich (auch hier zahlt man für wirklich gutes Essen tendenziell dasselbe wie in Italien und Slowenien – quasi Globalisierung auf breiter Front). Gutes gibt es allenfalls zu ausgewählten Schmankerlzeiten für ausgeruhte Schongangurlauber und erlesene Langzeitgäste, die mit dem Sandmännchen zur Bettruhe schreiten. Im Gesamtergebnis vermerke ich auch beim Essen für Slowenien den besten Kompromiss aus Geschmack der Ausgangsprodukte, Zubereitungsqualität, Service und Preis, wenngleich ich auch hier einige Male „leer“ ausging. Klar doch dann wenigstens, dass die zeitliche wie flächige Abdeckung mit Speiselokalen im italienischen Raum immer noch am besten ist.

Auffällig sind in Österreich, teils auch in Slowenien, die Allergiewarnungen, die angeblich den EU-Vorschriften folgen. Überraschend ist es deswegen, weil mir bei den Alemannen das noch nie aufgefallen ist – wenn überhaupt, steht es im Kleingedruckten. Ob die Alpenvölker deswegen gesünder leben als ihre nördlichen Nachbarn, konnte ich allerdings nicht abschließend feststellen. Gegen die galaktischen Allergien von Aliens helfen diese Hinweise ohnehin nicht. Essen ist auf der Green Devil eher eine unwissenschaftliche Angelegenheit – reine Genusssucht, zügellose Völlerei, ohne Bedenken und Schranken. Hier herrschen auch Parallelen zu Paolo Santoninos Reisebeschreibungen aus dem Spätmittelalter, der Karantanien im Auftrag des Bischofs von Caorle sehr wohl dienstlich bereiste, dabei aber den eigenen Genüssen ebenso wenig abschwor, wie er auch den Herrschaften der Zeit genau auf den Bauch schaute. (Santoninos Aufzeichnungen gelten als eine der wenigen kenntnisreichen wie präzisen Quellen für mittelalterliche Gerichte). Commander speichen-08/15-kracher beauftragte mich daher hauptamtlich nicht zuletzt zur Santonino’schen Spurensuche, die neben Genusssucht auch Eloquenz, Witz und kritisches Denken gegenüber den Stereotypen seiner Zeit hervorbringen.


Erste Begegnung mit den irdischen Bergmenschen ausgangs von Bruck: Österreicher sind gemütliche, meist freundliche, gelegentlich krantelige Wesen, die gerne mit dem Sandmännchen zur Bettruhe schreiten und über gehobene Fähigkeiten in der Automatenbedienung verfügen

Um zum österreichischen Geldautomaten zurückzukommen: Natürlich lässt sich die Geldausgabe dort auch mit gestückelten Scheinen steuern – das muss ein galaktischer Forschungsbeauftragter aber erstmal verstehen lernen. In jedem Fall reichte die mir gegebene Reisezeit dazu nicht aus, diese IQ-Lücke zu dem austriatischen Teil der Erdenbewohner zu schließen. In Ferlach löste das bei einem lokalen Bankangestellten großes Stirnrunzeln aus – zwischen Unverständnis und Mitleid. Immerhin bekam ich als Ausgleich einen Radwegtipp zur Tscheppa-Schlucht. Erstaunlich, was Kärntner Banker alles so wissen. Wer hätte das nach der Geschichte um die Hypo Alpe Adria gedacht?

Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 08.12.15 20:23

E.6 Die Visualgrundierung: Wie und Wo finde ich die Bilder?

Es folgen nun 8 getrennte Regional-Kapitel wie eingangs aufgeführt. Jedes Kapitel entspricht jeweils einem Forumsbeitrag, an dessen Ende jeweils eine Bildergalerie verlinkt ist. Der Link lässt sich über das „Einladungsbild“ öffnen. Die Bilder sind dort auf maximal 1400 Pixel auf der Horizontalen skaliert. Pro Galerie gibt es je nach Region unterschiedlich viele Bilder, minimal 112, maximal 195 Fotos. Die Bilder sind auf Picasa (Google+) hinterlegt. Einige Bilder sind untertitelt, um die Bilder geografisch eindeutig zuordnen zu können.

Empfohlene Betrachtungsweise: Man klicke auf das Einladungsbild (welches nicht das erste Bild der Galerie sein muss). Danach erscheint die Bildergalerie des Albums zum jeweiligen Kapitel. Man suche die Funktion Diashow (links oben) und erlaube die komplette Bildschirmausnutzung mit F11 (muss aber nicht). Es startet eine Diashow. Stets bei Mausbewegung wird bzw. bleibt ein Menü sichtbar, mit dem man die Diashow anhalten und ggf. die Bildfolge individuell per Pfeiltasten (vor und zurück) steuern kann. Ersatzweise können die Pfeiltasten der Tastatur verwendet werden, sodass das Menü ausgeblendet werden kann. Erneutes betätigen der F11-Taste hebt die Vollbilddarstellung wieder auf. Mit der ESC-Taste hebt man die gesamte Dia-Darstellung auf und kehrt zur Albumübersicht zurück.

Jede Bildergalerie kann durch einen Musikvorschlag begleitet werden, der vor jeder Bildergalerie kurz erläutert und verlinkt wird. Leider kann ich dabei nur auf Web-öffentliche Samples zurückgreifen, die nicht immer meiner Idealvorstellung entsprechen, führt allerdings auch immer wieder zu überraschenden Entdeckungen trotz der riesigen Musikbibliotheken auf der Green Devil. Der Musikbeitrag ist Teil der Kulturszene Karantaniens, meistens auch spezifisch zur jeweiligen Region.


Fortsetzung folgt
von: natash

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 08.12.15 20:23

Langsam wurds ja auch mal Zeit für den Bericht, immerhin erhoffe ich mir Anreize fürs nächste Jahr zwinker, auch wenn ich für meine Tour nur halb soviel Zeit habe wie Du für Deine.
In Sauris warst du hoffentlich trotzdem, ich werds auf jeden Fall anpeilen.
Übrigends ist das Friaul nicht so richtig originär Italienisch-Sprachig, sondern man sprach dort (wenige heute auch noch) Ladinisch. Ich konnte mal ein paar Worte, aber die haben sich leider schon lange verflüchtigt.

Was das Thema Nationalstaaten angeht, so sind diese in weiten Teilen Europas (und auch außerhalb) wenig mehr als ein politisches Konstrukt. Viele Menschen, so scheint mir, fühlen sich eher an ihre Region (oder Ort) gebunden, als an den gerade herrschenden Staatsapparat. Das gilt vor allen für Regionen, in denen das in der Geschichte extrem häufig gewechselt hat (was ja in Teilen Deiner Zielregion der Fall ist).
Ich bin jedoch in erster Linie gespannt auf Deine Routenausführung und verharre in Erwartung.

Gruß

Nat
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 08.12.15 20:26

KAPITEL I
Die Gletscher-Barriere im Norden:
Feuchtgebiete zwischen Himmel und Fels in den Hohen Tauern


Sa 13.6. Fusch – Ferleiten – Fuschertörl (2405 m) – Edelweißspitze (2571 m) – Fuschertörl – Hochtor (2505 m) – Golmitzerkaser – Franz-Josefs-Höhe (2362 m) – Golmitzerkaser – Apriach – Döllach
W: 11-22 °C, sehr wechselhaft, sehr windig bis stürmisch, regnerisch, auch Gewitter
Ü: C Zirknitzer 8,20 €
AE (irgendwo im Ort): Pizza Capricciosa, Rotwein, Cafe 12,40 € (*)
74 km | 10,1 km/h | 7:17 h | 2610 Hm

Dem unauffälligen morgen fehlte etwas die Farbe der Sonnenstrahlen. Das sollte ein Zeichen des Wetterwechsels sein. Bis zur Piffkar-Kehre auf gut 1600 m schien es nur schlichte Trübnis zu sein, doch dann zogen Sturmböen auf. Während die Schlechtwetterfront scheinbar von Norden den Berg angriff, setzten die Winde von Süden zum Gegenangriff an. In dem Fallwind türmte sich dann die scheinbar noch bezwingbare Steigung zu einem Teufelswall auf. Dem Genuss an Panoramablicken auf Waserfall-gesäumte Felswände und Talkessel nebst Lärchen-Grün zu den Seiten mochte das zunächst nur bedingt zu schaden. Doch dann dröhnte der Berg, es grollte, als würde sich ein Höllenschlund oberhalb der Baumgrenze öffnen. Doch es war Menschenwerk.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Röhrende Hirsche mit Pirelli-Gummi auf der Straße. Hunderte! Meist Marke Ferrari. Cockpits kleiner als Motorenraum dahinter. Kann keine Murmeltiere mehr hören. Was tun?“
„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Straßensperre errichten! Fahrer belehren über Naturschändigung!“
„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alles klar, werde durchgreifen!“


Ich folgte den Empfehlungen von speichen-08/15-kracher, und warf mich todesmutig den roten, gelben und sonstig gefärbten Asphalttorpedos entgegen. „Das hier ist Nationalpark, keine Rennstrecke!“ mahnte ich nicht ganz ohne grüne Gallenverfärbung. Doch die Wirkung verpuffte in einer lässigen Ignoranz, die von süffisantem Grinsen begleitet wurde. „Ist ja gut,“ entgegneten mir die Piloten, als würden sie mich als einen bedauernswerten Ausgebrochenen aus einer Nervenheilanstalt betrachten. Dann röhrte es weiter. Wahnsinn – hier sind die Irren normal, und die Normalen die Irren! Offensichtlich konnte ich meine unwirksame Realkompetenz als Alien nicht verheimlichen. Die Rallye begleitete mich bis ans Hochtor, wo ein heftiges Gewitter aus Gottesfluchwolken dem Spuk ein Ende bereitete – allerdings auch zu meinen Lasten, nur kompensiert mit einer lauen Kaspresssuppe.

Die Vielfalt des Zylinderrotwildes war umso erstaunlicher, denn zu den anfänglich dominierenden Ferraris gesellten sich weiter Frontspoiler-Panzer unterschiedlicher Fabrikate sowie Trike-Bikes. Einige kamen aus den bekannt barbarisch geltenden Ostgebieten der Awaren wie der heutigen Ukraine oder Polen. Die Mehrheit stellten allerdings die bajuwarisch-preußischen Speerspitzen, die ihre vergoldeten Feldbetten wohl meistens bei Zell am See aufgestellt hatten und so kaum etwas zum Broterwerb der gehobenen Bergvölker am Tauernmassiv beitrugen. Einzig an der Edelweißspitze drängten sich einige um Souvenirbuden – selbst das dorthin führende archaische Straßenpflaster konnte die wilden Horden nicht abhalten. Warum allerdings die Drei-Bundesland-Schutzmacht des Nationalparks Hohe Tauern hier nicht eingreift, bleibt ein schwer erkundbares Geheimnis dieser mysteriösen Großverdien-saug-mehr-Geld-bring-ins-Land-Dekadenzbürgerklasse Österreichs. Man krantelt nicht nur ab und an gerne, man kumpelt und klüngelt auch gerne (gewisse Ähnlichkeiten zum alemannischen Rheinland). Dazu gehört wohl auch die Besonderheit, dass man die Asphaltspur der Glocknerstraße den Schutzstatus der umliegenden Nationalparkfelsen und -wiesen entzogen hat, ohne das den Murmeltieren mitgeteilt zu haben.

Nach dem Gewitter sorgten ein paar Sonnenstrahlen für die Andeutung von Sommer. Das war bereits Kärnten, oder eben Karantanien (Grenze am Scheiteltunnel des Hochtors). Zwischen Lärchen und Alpenrosen, die sich über besonders schöne Bergwiesen auf der Anfahrt zur Franz-Josefs-Höhe zur Rechten auftun, bleibt das Sonnenbad ein kurzes Intermezzo. Ganz im Gegenteil, verfinstert sich der Himmel erneut und treibt den Wind – jetzt aus Nordwest – heran und immer so, dass er die Gegenspur meiner Richtung einnimmt. Ich komme zunehmend an Grenzen, die dem Alienmuskel gegeben sind. Mein Transportvolumen betrug ja immerhin ungefähr 0,2 Saumtierlasten (Anm.: eine alte Handelsvolumeneinheit der Säumer in den Alpen, bei der 1 Saumtierlast etwa 20 Rinderhäuten entspricht, vgl. in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 192).

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Windfront nahezu undurchdringlich bei mindestens 12 % Steigung, habe schon galaktische Windbeulenpest! Bitte um Rückzugserlaubnis!“
„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Rückzug nicht genehmigt! Kämpfen! Es winkt eine bunte Visual-Belohnung“


Es ist nicht das einzige Mal auf der Reise, dass mein Commander speichen-08/15-kracher recht haben sollte. Nach den beeindruckenden Wasserfällen und Bergseenszenarien noch unterhalb der Pasterze, hüpfte das Auge auf die Urzeitansichten der riesigen Gletscherzunge, die allerdings schon klimawandlerische Kürzungen im Laufe des letzten Jahrhunderte erfahren hat. Eine Genusswanderung weiter hinein in das Gletschergebilde durch den Stollenweg erübrigte sich ob der scheußlichen Bedingungen, die einem die Gesichtsfront bis zur vollen Hässlichkeit eines Aliens entblößte. Und dann aber die Visual-Belohnung noch vor der bibbernden Abfahrtsbewegung: ein Regenbogen im Hochgebirgstal und ein freundlich gesinntes Murmeltier, das verschämt aus einem Kanaldeckel schaute, ob denn nun die Asphalttorpedos endlich in die Ferne der angesagten Cocktailbars in den Tälern gerückt seien.

Der Schrecken eines weiteren Zwischenanstieges zum Kasereck hatte ich in meinem Gedächtnis überzeichnet abgelegt, sodass ich zwei Radler am Hochtor damit stark verunsichern konnte. Ich selbst wählte die Zwischenhöhe via Apriach, das sich über dem oberen Mölltal hinzieht, und gelegentlich freie Blicke auf Heiligenblut freigibt, wie auch immer wieder mächtige Wasserstrahle zur anderen Bergseite – durch die Entfernung im Auge nur noch schmächtig. Apriach selbst ist für seine Stockmühlen bekannt, die aus dem 18. Jahrhundert stammen. Abgesehen von einem Modell an einem Weiler am Nebentaleingang, fand ich aber die Mühlen nicht, weil sie nur für die gehobenen Intelligenzhirne der Österreicher sinnstiftend (nicht?) ausgeschildert sind. Ich musste diese Nebenstrecke – wiederum von kleineren Regenfäden durchtränkt –, schon deswegen für Commander speichen-08/15-kracher absolvieren, weil hier Gold zutage gefördert wurde und mit Glück immer noch zutage tritt. Inwiefern es sich dabei aber um eine Quelle der bescheidenen Reichtümer des Königreichs Karantanien und seines Königs Arnulf handelt, konnte ich nicht recherchieren. Es handelt sich wohl – nicht anders als die Mühlen –, um eine wesentlich später zu datierende Quelle von letztlich nicht reich machenden Glanzes, von dem die Bergvölker hier nicht viel zeigen.

Nicht zuletzt äußerte der Campingwart-Junior (und nicht nur der) ziemlich verheerende Angaben über die öffentliche Infrastruktur im Mölltal, demnach ein abendlicher Bierumtrunk in einem Nachbardorf zu einer mittelgroßen Herausforderung wird. Busse fahren hier jedenfalls nicht so, wie man es ggf. aus dem Bergland der Eidgenossen kennt. Die Armut Kärntens setzte sich im Döllacher Gastgewerbe fort, wo ich – verhindert durch einen Wolkenbruch – im einzigen noch betriebsam wirkenden Gasthaus um 20:31 Uhr darauf verwiesen wurde, dass die Küche um 20:30 Uhr schließt und alles schon geputzt sei. Ich staune, dass man in einer Minute ein komplette Hotelküche sauber bekommt!? Aber wie ich schon die Intelligenz der Österreicher bei Automaten und Wegweisern unterschätzt hatte, gilt dies wohl auch für ihre Arbeitsgeschwindigkeit – hatte ich doch mal gehört, sie seien eher langsam und gemütlich. Nun, gemütlich, das stimmt ja auch wieder, man sieht sie zumindest abends selten arbeiten.

Eine Notlösung durch weiter strömenden Regen fand sich noch an einer Dorfecke – eine Pizza würde es noch geben. Als die holländischen Stammgäste vom Nachbartisch nach meiner Pizza-Verköstigung allerdings noch ein Eis von der Wirtin einforderten, ließ der Ehegatte verlauten: „Ich mache nix mehr!“ Darauf erbarmte sich die Gastfrau, den in Aussicht gestellten Eisbecher mit einer abgespeckte Variante in Form zweier sonst unbehandelter Kugeln zu entschädigen. Der Gemütlichkeit wegen ist der Getränkeausschank nicht an die Essensausgabezeiten gekoppelt, sodass selbst in abgelegenen Bergtälern Kärntens noch zu späten Stunden Trinklieder vernommen werden können. Da ich mich als Nicht-Stammgast noch weniger befugt fühlte, einen weiteren Wunsch zu äußern, verzichtete ich auf eventuell noch verfügbare Eiskugeln. Ich wollte auch nicht die Armut des karantanischen Nachfolgevolkes über Gebühr strapazieren. Mir stellte sich aber auch die Frage, wie man sich die zurückhaltende Gastgeberhaltung leisten kann – also doch heimliche Reichtümer eines alten Königreiches?

So 14.6. Döllach – Winklern – Außerfragant – (ca. 4 h Regenpause) – via Radweg (Ragga-Schlucht-Eingang, gesperrt) – Obervellach – Mallnitz
W: 13-19 °C, erst bewölkt, dann Dauerregen, abends trocken, kühl
Ü: H Eggerhof 40 € mFr
AE (dito): Knoblauchcrèmesuppe, Rostbraten, Bratkart., Salat, Vanillepudding m. Heidelbeersauce, Rotwein 20,10 € (**)
60 km | 13,1 km/h | 4:36 h | 915 Hm

Nein, es war nicht in den Reiseprospekten der Green Devil geschrieben worden, dass man Sauregen, Winde und Kälte in lichtjahreähnlichen Zeitachsen im Sommer erwarten muss. Das Trockenintervall des frühen Morgens endete nur kurz nach einem Frühstück in einem Café in Winklern, das mit der Gestaltung von Frühstückswünschen etwas überfordert war. Das lief dann so ab, dass der Motorbiker (ein Bajuware aus Rosenheim gesellte sich hinzu, der sich auch als MTBer zu erkennen gab) seinen Hörnchen-Wunsch äußerte, daraufhin die Dame des Cafés die Straße zu einer Bäckerei überquerte, dort ein Hörnchen kaufte und es mit Gewinnaufschlag an den Motorbiker weiterverkaufte – natürlich mit einer gepflegten Tellerunterlage. Beim nächsten Gast wiederholte sich dann das Spiel. Ich selbst hatte allerdings die heimliche Einkaufsquelle der Bäckerei schon etwas früher entdeckt. Man soll nicht munkeln, dass ein Alien grundsätzlich nicht mit der Intelligenz der Österreicher Bergmenschen mithalten kann.

Als ich die Ortsteilgrenze „Jenseits“ überschritt, trommelte es immer mehr Wasser aus den Wolkensäcken – es war untrüglich das Wasser, was man im Jenseits erwartet, welches über Stiefelhöhe steigt, bis es einem in den Mund läuft. Der Versuch, mit den Sonderausstattungen des survival kits aus der Outdoor-Kammer der Green Devil für extreme Wasserexpeditionen weiter die vorgegebenen Distanzringe abzuarbeiten, scheiterte dann doch alsbald an der subsidiären Feuchtigkeitssensibilität der Metadermitozytenschicht. Wieder musste ich einen Ratschlag von der Green Devil einholen.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Wassereinbruch in den Transkanülen des interstellaren Humidenanzuges. Beginn der einfachen uranischen Hautschrumpelung. Was tun?“
„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Basis-Trockenintervall vorbereiten! Café auf Krisen-Radar erkannt!“


Ich hielt durch bis zur Station Außerfragant – fast eine galaktische Ortsbezeichnung – und konnte dort eine bedingte Semitrocknung sämtlicher Oberhäute vornehmen. Ich begann mit meiner gastronomischen Genusssucht zu geizen, war doch immer noch kein signifikanter Kalorienverbrauch an dem Tage aufgetreten. Ich ersuchte um Auskunft für die Gasthöfe in Innerfragant und zur Höhe des Weißsees. Doch hier weiß der Nachbar nichts vom anderen. Selbst moderne Mobilfunkgeräte konnten die Informationslücken nicht schließen. Die Vermutung lag nahe, dass alles im Bergtal und samt paralleler Kabinenbahn noch in der Betriebspause verweilte bis sich Hochsommertüren öffnen. Ich strich das Programm mit Oschenik- und Weißsee radikal zusammen, war doch schon gleich am Morgen der Großsee ab Döllach ein weiteres Opfer der Umstände, nachdem mir die Campingfrau gar größere Schneepassagen in Aussicht gestellt hatte.

Nach der mehrstündigen Pause zeigten sich die Täler nach Norden bis in die untersten Etagen wolkenverhüllt. Radlziele sind da schwer zu bestimmen. So dachte ich schlau, einfacher sei eine Schlucht zu laufen. Doch sowohl Ragga- wie auch Groppensteinklamm zeigten verwaiste Eintrittshäuschen. Gesperrt wegen Gefahrenabwehr. Das leuchtete mir recht feuchtig ein. Trotzdem blieb es trocken inmitten tief hängenden Wolkenflöckchen. Ich steuerte so die einzig noch verbleibende Verlegenheitsposition Mallnitz an – soweit es ein Berg sein sollte. Wieder hinein in den Nationalpark Hohe Tauern – hier mit Bahnverlad für pedalmüde Kraftfahrer ebenso wie für höhenmeterschonende CAAR-Radler, der Tunnel aus dem Gasteiner Tal macht’s möglich. Radler kommen, wenn, immer von Norden auf dem CAAR. Alle wollen nach Süden, dem Sommertraum der Hochglanzprospekte. Doch Pech, heuer ist Norden und Süden gleich gestraft.

Die Auffahrt ist von mittlerer Schönheit, an Sonnentagen leuchten die heute mattgrauen Bergwiesen in RAL-gelbgrün. Mallnitz ist entgegen mancher Reiseführer-Anmerkungen recht wuselig auch jenseits der Skisaison, denn Wandern ist hier recht einfach möglich. Trotzdem ist das Übernachtungsangebot ziemlich unübersichtlich, viele Privatvermieter öffneten nicht. Den Camping verschmähte ich natürlich, nachdem mir Commander speichen-08/15-kracher ein Erweiterung der begrenzten Bankomatenlizenz gewährt hatte – den besonderen Umständen des Tages Rechnung tragend. Mühsam musste ich im größeren 3-Sterne-Gasthof 5 Euro auf mein 40er-Limit herunterhandeln. Dafür wurde mir der ursprünglich zugedachte Zimmerschlüssel wieder entzogen und ich erhielt nach langem Prozedere die Besenkammer des Hauses (ohne Besenfrau), in der sich selbst ein Alien kaum bewegen kann. Der Spiegelkasten über dem Waschbecken zeigte markante Zerfallstrukturen, sodass ich von dezenten Berührungsversuchen Abstand nahm. Die Schränke waren auf ihren Oberflächen von Wollmäusen bevölkert – eine weitgehend stumme, wenn auch nicht ganz stille Tierart. Die Sauna-Werbung entpuppte sich als eine Papierillusion. Immerhin fand ich einen großen Sonnenbalkon – welche Verschwendung in dieser Wolkengegend! – wo ich meine im noch feuchtes Nomadenhaus trocknen konnte. Die Hauskost war bemüht, aber etwas unter den wohl eigenen Ansprüchen des Hauses. So auch bestätigt von einem Radlerpaar aus Nürnberg, dass ich am nächsten Morgen beim Frühstück vorfand. „Wo lang?“ – „Zum Gardasee“, sagen sie. Wie geht das? – aus der Tauernschleuse kommend ab ins Drautal, ab via Toblach ins Eisacktal, ab nach Süden dann. Interessante Idee.

Mo 15.6. Mallnitz – Seebachtal/Stappitzer See – Mallnitz – Obervellach – Groppensteinklamm (Wanderung, ca. 1,5 h) – Ragga-Schlucht (Wanderung, ca. 1 h) – Obervellach – Penk – Höhe am Danielsberg (?m) – Preisdorf/Reißeck – Kolbnitz – via R8 (Glocknerradweg) – Lurnfeld
W: 13-21 °C, morgens Dauerregen, danach weiter regnerisch m. kurzen Trockenphasen
Ü: C An der Möll 0 € (k. P.)
AE (Kreinerhof): Kürbiscrèmesuppe, Hirschgulasch, Knödel, Bohnen, Rotwein 20,80 € (***)
B: Groppensteinklamm 6 €
B: Ragga-Schlucht 6 €
54 km | 13,6 km/h | 3:58 h | 570 Hm

Es gibt Morgenregen. Fast wie in Indien mit den Ragas – für alle Tageszeiten gibt es spezifische Ragas. In Karantanien eben Regen für jede Tageszeit. Das Seebachtal könnte traumhaft sein. Ist es auch, trotz mancher verhinderter Panoramen, die in den Wolken stecken bleiben. Es gibt nur wenig anspruchsvolle Hürden, die meisten Teile sind fast flach. Die Straße endet bei einem Gasthof nebst Kabinenbahnstation. Beides wirkt verlassen. Parkplatz für Wanderer, Wanderweg für Radler. Es könnte hier paradiesisch sein. Das Paradies endet am Stappitzer See. Zwar lockt ein großer Gebirgskessel, weiterhin mit flachem Tal und breiter Fahrspur. Noch eine lange Strecke zur Schwußnerhütte. Aber es heißt „Radfahren verboten“. Autos kommen, die Fahrer heben die Schranke und fahren weiter. Sicherlich, es sind besonders Berechtigte. Doch welche Last sollte der Radfahrer hier darstellen? Fürchtet man Rowdys auf zwei Rädern – auf solch übersichtlichen Wegen, für Genusstempo einladend? Fürchtet man Staubwolken von Stollenreifen, die Bäume und Wanderer in Aschestaub verhüllen? Wie erklärt sich dann die großzügige Ausnahmeregelung für die Blechkisten?

Ich vermerke zunächst mal ein Verbotsschild, das die Sinnfrage stellt. Doch das ist erst der Anfang. Kärnten stellt überall die Sinnfrage. Es gibt kein Land, wo es mehr Verbotsschilder gibt. Sogar das Sonnenbaden auf Badestegen ist verboten. Die Radverbote haben – vordergründig zumindest – den Sinn, dass die privaten Grundstückseigner der Weiden und Forste nicht in die Haftungsfalle geraten. Es heißt, dass ein Radler über einen Stein gefahren ist, der ihn zu Fall brachte – Schadenfreude, bitte! – und diesen Stein hat er vor Gericht eingeklagt, bzw. den Schaden, den er dadurch erlitt. Aha, ein Stein kann Böses in sich tragen und sein Besitzer muss ihm daher sein Aggressionspotenzial entziehen! Und das alles soll ein Richter so entschieden haben? Und so machten die Förster und Almbauern den Aufstand gegen die eigene Hüttenvesperklientel. Sie sperren die Wege für pedalierende Zweiräder. Und weil auch Wanderer über Steine stolpern können, gibt es bereits erste Forststraße in Kärnten, auf denen das Gehen verboten ist! Nur das Auto stolpert nicht. Ob man im alten Karantanien auch schon so verrückt war, konnte ich nicht herausfinden. Der moderne Kärntner scheint seine Krankheit aber nicht in Griff zu kriegen – zu inflationär sind die Verbotsschilder.

Für die Abfahrt zurück nach Obervellach bekomme ich ein paar Trockenluftzonen zugeschoben. Die Luft ist milder als vortags. Das lässt hoffen – zumindest sehen das auch die Schluchtengeldeintreiber. Die Groppensteinschlucht hat auf, auch die weit gefährlichere Ragga-Schlucht – sogar trotz immer wieder aufkeimenden Regens. Wo sind hier die Verbotsschilder? Keine Schilder, wohl aber erhobene Zeigefinger. Nach meiner Rückkehr von der Groppensteinschlucht erzähle ich der Wärterin, dass ich auf dem selben Wege zurück gewandert wäre wie aufwärts um Zeit zu sparen, da es wieder anfing zu regnen. Die Frau begann zu grollen und meinte, das dürfe ich nicht. Ich müsse den Rundweg laufen, weil der Aufstiegsweg zum zurücklaufen zu gefährlich wäre. Ach? Ich als Sandalen-bekleideter Schwachfußwander-Alien soll gefährdet gewesen sein? Später in der Ragga-Schlucht erfahre ich bei Regen, was gefährlich sein kann. Die dortige Wärterin zuckt aber mit den Schultern – „alles nicht so schlimm“. Ich erfahre, die Kärntner nehmen es mit ihren Regeln nicht so genau. Jeder macht, was er will und hält das dann für geboten. Die Gemeinsamkeiten überbrücken manchmal kaum zwei Flussuferseiten. Der Kärntner ist im Kern doch ein toleranter Mensch. Aufs Kranteln möchte er aber nicht verzichten – da helfen ein paar kleinkarierte Vorschriften, um Streitkultur zu üben.

Ich möchte mich dennoch bei der Wärterin der Groppensteinschlucht bedanken – schließlich durfte ich bei ihr meine Alien-Spezialschuhe trocken in dem ehemaligen Mautturm gebührenfrei (!) unterstellen. Für den Gang durch die Schlucht ist ein anderes Schuhwerk als das für Pedaleure dringend empfohlen. Entweder nutz man wasserdichte Wanderschuhe oder man lässt das Wasser gleich durch luftige Sandalen fließen. Es ist zwar nicht fortwährend nass und klitschig, aber man muss damit rechnen, unverhofft eine Pfütze zu erwischen. Schließlich sprießt das Wasser hier nicht nur aus dichten Wolken, sondern von allen Seiten. Die Stege halten zwar Abstand zum Wasser, Sprühnebel treibt aber durch die Luft, wie auch aus den Felsen überall Wasser quillt.

Die Groppensteinschlucht beschreibt ein Ensemble mehrerer Wasserfälle, die sich mächtig und in gelungenen Fließlinien hinabstürzen. Es erinnert an eine offene Galerie mit mehreren Naturbildtheaterbühnen, die der Maler in Genießerrahmen lebendig werden ließ. Weniger felsenge Klamm, als ein wasserreicher Gebirgsstieg, eher leicht zu begehen. Zum Überfluss des Wasserschwalle gesellt sich viel Bergwaldgrün, Glockenblumen sorgen für violette Farbtupfer. Die Ragga-Klamm hingegen ist ein berauschender Wasserkessel, wo die Strudel zu ohrenbetäubendem Lärm aufheulen. Man kann kaum ruhen oder ausweichen – es sind fast nur Leitern und Stege. Die Sinne werden betäubt und oben raus meint man, die Hölle wars jetzt gewesen – aus und vorbei. So unterschiedlich im Charakter, so bezaubernd sind beide Schluchten gleichermaßen.

Das Mölltal ist mangels einer großzügigeren Talentfaltung zwischen Winklern und Obervellach von eher bescheidener Ausstrahlung. Ganz anders weitet sich das Tal unterhalb von Obervellach. Die Bahnlinie ist steter Begleiter über dem Kopf am Berg geführt, mehrere Bogenbrücken sind mehr Zier als Last für die Landschaft. Ich benutze verschiedene Wege, der Radweg mal schön über dem Tal gelegen, später führt er mir zu plan im Tal. So baue ich noch eine kurze Steilrampe am Danielsberg ein, die Route überschneidet sich nun mit dem Alpe-Adria-Trail. Ein einsamer Wanderer quert das nächste Dorf – er erweckt den Eindruck eines typischen Langstrecken-Wanderers. Sie haben einen festen Schritt, aber immer den Blick in die Umgebung gewandt, nicht aber rennen sie sportlich wie der moderne Hochleistungswanderer, der sich mir in Slowenien zeigte.

Zurück im Tal, unterhalb der Reißeckgruppe, legt die Möll als dunkelgrüner Halbspiegel vor mir. Mehr ist nicht drin bei der mageren Himmelsbeleuchtung. Der Glockner-Radweg zieht hier ein paar Spuren durch schon fast sandige Piste – man muss also immer mit ein paar Hürden rechnen, auch wenn insgesamt von guter Qualität. So besinnlich die Möll dahinfließt, so betriebig dringt die Hektik von der anderen Flussseite mit der Transitstraße, der nun zu Tal geführten Bahn und der Wasserkraftpipelines herüber.

In Lurnfeld, dem Dreh- und Angelkreuz zahlreicher Radwege, treffe ich erstmals ein Radlerpaar mit Zelt auf der Tour. Der Eindruck bleibt auch später, dass weniger Zeltradler auch auf den Hauptrouten unterwegs sind, als ich erwartet hatte. Das Wetter kann der Langzeitradler ja auch nicht geahnt haben? Manches scheint wieder geschlossen im bescheidenen Lurnfeld, es verbleibt nur ein Gasthof, an den auch das Dorfcafé angeschlossen ist. Hier ist die Speise mit Liebe zubereitet, wenngleich man sich als Gast etwas wie ein Störfaktor vorkommt. Jedenfalls ist Eile geboten, um dem frühen Schlafdrang des Österreichers nicht in die Quere zu kommen.

Di 16.6. Lurnfeld – Pusarnitz – Lendorf – Lieserhofen – Trebesing – Gmünd (Besichtigung Pankratium, ca. 1 h) – Brandstatt – via Malta-Hochalmstraße – Gmünder Hütte (1186 m)
W: 13-19 °C, bereits nachts Regen, morgens alsbald Dauerregen, mittags Trockenpause, gegen Spätnachmittag Dauerregen bis nächsten Morgen
Ü: H Gmünder Hütte 33 € mFr
AE (dito): Schweinebraten, Knödel, Sauerkraut, Apfelstrudel, Most, Bier ? € (*)
B: Pankratium Gmünd 8,90 €
42 km | 11,1 km/h | 3:46 h | 910 Hm

Nach Abendregen, und Nachtregen, gab es auch wieder Morgenregen. So konnte ich das Café studieren. Kaffeetrinken ist in Österreich eine hohe Kunst, entsprechend fantasiereiche Namen haben die Getränkederivate aus der braunen Bohne. Wieder ist jedoch Essbares nur wenig vorhanden. Fürs Frühstück hätte ich zum Buffet ins Hotel gehen müssen, obwohl auch die Karte des Cafés mehr versprach. Der Schein spielt in Kärnten eine große Rolle gegenüber dem Sein. Die Wirtin fand noch ein süßes Energietörtchen – doch hübsch und fein.

Flache Felder leuchten in Beige-Gelb trotz des zunächst leichten Dauerregens, ja sogar ein goldenes Schimmern ist zu sehen. Es folgt eine Allee, ein paar Dörfer, ein Tante-Emma-Laden. Dann wird es zunehmend hügelig, ab Lieserhofen teils heftige, wenn auch kurze Rampen. Die Straße liegt deutlich über dem Talgrund des Liesertals mit der Autobahn, die ihrerseits sich auf Stelzen luftig abhebt und das Tal dominiert. Der Blick ist aber selten frei ins ganze Tal, eher mal zur Linken die Berghänge hinauf. Trebesing wirbt als Babydorf, auf das bald Radl folgt, was allerdings kaum auf eine velophile Bevölkerung hinweist. Dennoch lockt das Radlbachtal zu einer Rad-Exkursion – wenn es denn trocken wäre. Doch mir droht mehr die Stunde der jüngeren Sintflut.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Wassereinbruch in den Transkanülen des interstellaren Humidenanzuges. Beginn der doppelten uranischen Hautschrumpelung. Was tun?“
„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Segmentelles Trockenintervall vorbereiten! Hochfrequenz-Museum mit Schwingungswärmemodulatoren gesichtet!“


Auf Commander speichen-08/15-krachers Prognosen darf man hoffen. Noch vor den Toren Gmünds verebben die Regentropfen fast ganz und mit dem pankratium erwartet mich ein Haus des Staunens. Staunen? – über was? – Es sind die weitreichenden Welten der Schwingungen und Töne, die hier veranschaulicht werden. Auf der Green Devil stieß diese Exkursion auf besonders großes Interesse, sind doch Wellen und Schwingungen eine All-tägliche Erscheinung in der Galaxienwelt. Das Museum ist nur mit Führung möglich und es besteht die Pflicht zum Mitmachen. „Schon wieder Wasser!“ klage ich der Museumsführerin entgegen, als sich eine riesige Schale voll Wasser vor meinen Augen auftut. Ich erhalte ein paar Mitleidsbekundungen, da man meine Lage als geträufelter Pedaleur erkannt hatte – muss aber doch diesem Wasser kniefällig huldigen.

Und immer mehr Wasser noch. Das Wasser beginnt hier zu springen und zu hüpfen, wenn man den Trog in den Resonanzzustand reibt, dann poltern aus scheinbar undichten Kupferrohren musische Wassertropfen auf Bleche und Töpfe, die man drunter halten kann und ergeben Rhythmen und Melodien – wie man will – meditativ oder mit swing. Instant water composing. Das Wunder nimmt viele Formen an, ein Quallenmobile erfordert Geschick, einer erneuten Regenschauer auszuweichen, eine Glasharfe auf schwingenden Stelen nimmt seine Wellenbewegungen auf, Brummtöne der Besucher erzeugen seltsame Resonanzmuster, die überraschende Ähnlichkeiten mit Schildkrötenpanzern annehmen können. Natürlich dürfen hier nicht grüne Frösche (auch rote) fehlen, die man anspritzen kann und unterschiedliche Töne zurückquaken – eine Froschsinfonie in leuchtender Dunkelheit. Als ich hiervon auf der Green Devil erzählte, war die Begeisterung nochmal euphorischer, sind das doch deutliche Hinweise auf eine Ahnenverbindung zwischen Karantanien und der Galaxie der Siebentausend Grünen Froschlöcher.

Trotzdem geht das Staunen noch weiter, etwa bei Obertongesang, dem gemeinsamen Musizieren von musikalisch völlig Unbegabten, die sich alsbald im gemeinsamen Rhythmusklang wiederfinden oder dann als technischer Höhepunkt im rosengeschmückten Klanggarten, wo eine Schwingungsinstallation von großen Pendelkugeln die Beziehung zwischen Chaos und Ordnung demonstriert – minutiös von Mathematikern berechnet. Ich hatte in der Wartezeit zur Museumsführung die Burganlage besucht, die ihren Charme als Ruine mit einem zerbrochenen Krug prägt oder einem Tisch, aus dem Gras und Blumen wachsen. Gmünd ist aber nicht nur durch das pankratium ein Ort des Staunens, sondern auch durch sein Ansammlung von Galerien und der Kunst im öffentlichen Raum. In den Cafés treffen sich Künstler wie Lebenskünstler, die Touristen sollen das Geld bringen.

Der Hauch an Sonne endet bereits am Ausgangstor von Gmünd, wo die Stühle größer sind als die Menschen dort. Noch trocken bis zum Fallbach-Wasserfall in Brandstatt, beginnt dort namentlich fordernd mit dem Eintritt ins Tal des stürzenden Wassers die erneute Flut von oben. Peter Rosegger dichtete hier z. B. „Hoch oben springt er aus dem Rinnsal der Zinne etwa 50 Meter in einer geschlossen weißen Mass nieder, schwer und dick, als ob Schnee herabflute ...“ Nicht jeder Dichter ist sich der Bedeutung seiner Worte bewusst – vor allem in der Wirkung auf die Cabrio-Fahrer auf zwei Rädern. Noch berate ich mit der Dame des Abenteuerparks, der sich beim Wasserfall befindet, welche Gasthäuser wie gut noch zu erreichen sind. Es soll die schon in der Vorbereitung als beliebt und empfehlenswert ausgesuchte Gmünder Hütte werden. Nur noch ein Stündchen. Ein Stündchen – aber welches! Aufgeweicht erreiche ich schon die Mautstation – ich kokettiere mit dem Mautwart: „Eigentlich müsste ich noch bezahlt werden, wenn ich mit Rad bei dem Sauwetter daher fahre!“ Er hat Schwierigkeiten, mir nicht zustimmen zu wollen, rückt aber dennoch keine Goldtaler raus. Immerhin ist es ohne Motor kostenlos – das wäre bei Sonne aber auch so. Dann saugt und trieft es, die Steigung dazu prominent, ich falle in eine meditative Apathie. Dass es in Karantanien viel Wasser geben soll, war mir bekannt – doch dachte ich mehr an Seen, Flüsse und Wasserfälle – nicht an Sintflut, die zweite – oder war es schon die dritte?

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Wassereinbruch in den Transkanülen des interstellaren Humidenanzuges. Beginn der dreifachen uranischen Hautschrumpelung. Was tun?“
„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Durchhalten! Bipolare Ablaufritze in der Hautfalte öffnen!“


Es versteht sich von selbst, dass mein Commander die beschränkte Bankomatenlizenz geringfügig aufweichte – im wahrsten Sinne des Wortes. Alpenvereinsmitglieder bekommen Rabattpreise in der Gmünder Hütte – Aliens müssen mehr blechen. Es bleibt aber alles im Rahmen, wenn auch die sehr beengte Etagendusche keine Luxusgefühle frei setzt. Für die feucht-satten Überhäute gibt es einen Trockenraum, der für mich als einziger Gast angeworfen wird. Nur ein paar örtliche Gäste nehmen ihren Umtrunk, verschwinden aber zur Nachtruhe hinunter ins Tal. Die Frischegarantie der Speisekarte ist nicht so ganz überzeugend – der Schweinebraten mehr Trockenfleisch. Man spürt, man müht sich, man spürt aber auch eine Ärmlichkeit.

Am nächsten Morgen erfahre ich etwas mehr von der Hüttenfrau, während der Mann den Sohn in die Schule fährt. Busse fahren keine, auch kein Schulbus. Gäste sind, so die Hüttenfrau, zu dieser Zeit immer wenige, es läge nicht am Wetter – besser sei es nur zur Hochsaison später im Sommer. Die Hüttenwirtschaft sei ein schweres Geschäft, die Jugend, so klagt sie, sei nicht mehr bereit zu arbeiten. 1300-1400 Euro soll ein Arbeitsloser fürs Nichtstun in Österreich erhalten, so behauptet sie. (Später sagt man mir an anderer Stelle, das würde nicht stimmen, es sei deutlich weniger.) Eigentlich sollte sie sich glücklich schätzen. Solch ausgestattete Müßiggänger haben Geld für einen Gasthof-Besuch. Die besten Kunden sind die Tunichtse. Ich frage, ob sie denn überlege, die Preise zu erhöhen. Nein, das dürfe man nicht, man verkraule sich die letzten Gäste.

Mi 17.6. Gmünder Hütte – via Malta-Hochalmstraße – Kölnbreinsperre (1933m, Besichtigung, ca. 1,5 h) – Pflüglhof – Gößfälle (Wanderung, ca. 1 h) – Brandstatt – Mentebauer Hütte (1124 m) – Brandstatt – Malta
W: 7-19 °C, morgens sonnig, alsbald wolkig, teils Sturmböen, abends ruhiger & milder
Ü: C Maltatal 16,80 €
AE (dito): Schweinemedaillons, Spätzle, Gemüse, Rotwein, Cafe ? € (***)
ME (GH Kölnbreinstüberl): Kesselgulasch, Knödel, Apfelsaft 10 € (**)
B: Kölnbreintalsperre 6,50 €
50 km | 11,7 km/h | 4:19 h | 1135 Hm

Die perfekte Illusion wartet am Morgen: Ein klarer Blick unter blauem Himmel, gespiegelt von blauen Lippenblütlern am Straßenrand. Die Illusion dauert bis zum nächsten Wasser, unmittelbar bei der Straße, wo bei Einspurverkehr wegen enger Kehren und Tunnels der Autofahrer warten muss. Geht man die paar Schritte von der Straße zum Fuß des Hinteren Maralmfall hinauf, eröffnen sich noch die unteren Fallstufen zusätzlich, wobei der ganze Strahl wie eine Art Helix in sich verdreht ist. Die Ruhebank ist zugleich Autofahrerwartebank, denn die Wartezeit wird hier in großen Digitalziffern heruntergezählt. Der Automobilist darf seine Kabine für ein paar Minuten vergessen um zu träumen – Appell zur Pflichtentschleunigung.

Den Winden habe ich bald nur noch wenig entgegen zu setzen und schleppe mich unter dem nun düsteren Himmel am gleichwohl grauschwarzen Fels vorbei. Dieser glänzt gar mehr als die Wolkendecke, denn Wasser benetzt fast jede Stelle. Drüben dort, oder neben mir – das Wasser fällt hier überall – es stürzt und schleicht und schwebt und sprüht und tropft und wallt – und auch steht es, wenn der Mensch eine Barriere errichtet. Ein erster Stausee, dem bald die 200 m hohe Staumauer folgt, eine gebogene Wand, die den Himmel am herunterfallen zu hindern scheint. Symbiotisch eingebunden ins Felsgrau ist der Berghotelzylinder, ein avantgardistischer Wohlfühltempel in rauer Höhenluft. Weit oben das blaue Meer zwischen der kargen Felswelt, eine galaktische, fast anorganische Urlandschaft, dem der Mensch hier ein Stück der Naturkräfte abgerungen hat.

Die Kölnbreinsperre ist als höchste Staumauer Österreichs die Krönung eines ganzen Systems der Maltakraftwerke. Das Wasser kommt nicht nur aus den umliegenden Bergen, sondern wird zusätzlich aus Lieser und Möll heraufgepumpt, um eine optimale Steuerung eines Jahresspeichers zu gewährleisten. Nicht zuletzt gab das umliegende Gestein den Ausschlag, die Sperre so weit oben im Tal zu bauen, wo nur wenig Wasser zur Verfügung steht. Der Berg wurde zum Baustofflieferanten. Ist der Speicher voll, könnte er 1,4 Mrd. Menschen eine Badewanne füllen. Wohl gibt es nicht mal soviel Badewannen erdenweit?

Die sachkundige Staumauerführung ist eine schöne Sozialstudie. Als einziger Einzelgast schließe ich mich einer Rentnergruppe an, die den Berg mit Bus erklommen hat. Der Staumauerführer, ein kerniger wie braungebrannter Bergjunge, schockiert die Rentner harsch mit den Naturrauheiten: Es wird kalt, windig, anstrengend und es gibt kein Klo auf der Strecke durch die Staumauer. Wer möchte lieber nicht mitlaufen? – Niemand reckt den Arm, keiner möchte das Highlight im Inklusivpreis der Busreise auslassen. Der Gang über die Staumauer ist schon eine polare Herausforderung, bei der man keine leichten Hüte aufhaben sollte. Nun legt der Staumauerführer Bergmarschtempo vor. „Wir wollen nicht trödeln!“ piekst er die Rentnertruppe. „Junger Mann, warten Sie mal, bis Sie so alt sind wie wir“, keifen ein paar Frauen zurück. Ich komme mit dem Staumauerführer gut ins Gespräch, er erzählt mir über die slawischen Wurzeln Kärntens, den Alpen-Adria-Gedanken eines Kaiser Franz Josef und zeigt klare Kante gegen die Rechtspopulisten in Kärnten. Tradition, Bergnatur und auch Bergsport (er outet sich auch als MTBer) sind ihm wichtig für ein erfülltes Leben in Bescheidenheit – „Was braucht man mehr als das hier!“ und weist dabei in die Bergwelt über den Stausee.

Als wir einen kleinen Sammelraum im Fels erreichten, wimmerten mehrere Damen: „Gibt es eine Toilette hier?“ Eine ideale Möglichkeit für den Guide, den ungeliebten langen Tross an verweichlichten Bustouristen zu verkleinern. Energisch bis krantelig verweist er auf bereits Gesagtes – „Kein Klo hier!“ und fordert die Blasenschwachen und Treppengebrechlichen zum Rückzug über die Staumauer auf. Der Erfolg bleibt nicht aus – Zweidrittel erkennen, dass die Bergwelt nicht ihre Sache ist. Hätte man doch gleich die Kaffeefahrt in den Kurpark gebucht! Es verbleiben die Hundertprozentigen – die, die der Bergbursche noch fürs Trinkgeld braucht – weiß er doch, mit einem Alien kann man reden, aber keine Geschäft machen.

Man mag nicht glauben, was sich Erdenkinder an Ingenieurkünsten angeeignet haben, um ihren Wohlstand zu mehren. Die Mauer wird an 2500 Messstellen überwacht, jede Mauerabweichung wird registriert. Es gibt Messlote, die die Schwerkraft außer Kraft setzen und auf dem Kopf stehen (Schwimmlote) und Entfeuchter, die die Messgeräte wiederum überwachen. Das Labyrinth aus Tunnelgängen und Mauerspalten verlässt man wieder mitten in der Mauer über eine schwindelerregende Stahltreppe. Der Wind sagt, er möchte Sturm genannt werden. Ich jammere dem Staudammführer mein Leid über das Wetter, worauf er lakonisch meint: „Der Wind vertreibt die Wolken. Wie das Wetter auch ist, man kann es den Leuten nicht recht. In den Bergen ist es mal so oder mal so.“ Nun, der Wind, das wurde klar, brachte immer neue Wolken ran – eher verhinderte er die Trocknung der Luft, das Verdampfen der Wolken in der hoch stehenden Sommersonne. Der Lokalpatriot irrte hier, das Tiefdruckgebiet der Tage war weit größer als Österreich, größer als das größte Karantanien, dass es jemals gegeben hatte.

Neben dem Sport- und Wellnesshotel, wo sich im Unterbau eine frei zugängliche Ausstellung zu Kristallen und der Wasserkraft befindet, ist um eine Kurve rum und nur ein paar Wurfweiten entfernt, via Piste noch ein Gasthof zu erreichen, mit zahlreichen Jagdtrophäen innen geschmückt. Ein herzhafter Kesselgulasch sorgt auch für nötige Erwärmung von innen, während draußen Forellen scheinbar zwischen den Bergen dahinsegeln. Ich erläutere meine Pläne noch bis zur Osnabrücker Hütte vorzustoßen. Die Hüttenfrau ist skeptisch, da der Weg teils noch von Schmelzwasser überspült sei. Mein Versuch scheitert kläglich noch in Rufweite des Hüttengasthofes, denn der Sturm hier ist eine Mauer – nicht mal 1000 Samurai-Schwerter könnten einem den Weg frei machen.

Eine reizvolle Dreifaltigkeit des Wassers sind die Gößfälle, etwas abseits gelegen von der Malta-Hochalmstraße. Man kann sie gleichermaßen von oben oder unten begehen, wobei von oben bedeutet, zuvor noch eine Rampe auf der Straße zur Gießener Hütte zu fahren. Die Gößfälle, der untere auch für Gehbehinderte gut erreichbar, stehen im Zeichen Griechischer Philosophie, derweil unten Thales von Milet zitiert wird: „Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser – aus Wasser ist alles und ins Wasser kehr alles zurück.“ Milet war wohl ein guter Wetterprophet, der aus dem 6. Jahrhundert vor Christus auf den Sommeranfang 2015 vorausblicken konnte! Erstaunlich, die Erdenmenschen.

Ich ändere weitere Planmodule, ohne dass mit Commander speichen-08/15-kracher abzusprechen. Meine Recherchen ergeben, dass die Gießener Hütte aktuell nicht bewirtet ist, woraus folgt, dass das gesamte Tal ohne jede Versorgungs- und Unterkunftsmöglichkeit verbleibt. Ich mache also eine exkursive, halbherzige Tour ins Tal hinein, soweit wie die Pedalen tragen, um noch rechtzeitig zurück zur Speisezeit den Camping in Malta zu erreichen, den ich tags zuvor schon als hübsch gelegen wahrgenommen hatte. Nach anfänglich steilen Rampen gleitet man eher flach durch ein Hochweide- und Bergwaldtal bis zur Mentebauer Hütte, einem kleinen Weiler, der ausgestorben, aber doch nicht ganz unbewohnt wirkt. Wohl ein Stützpunkt für einen Almbauer, der mancher Tage dort verbringt, aber nicht immer. Wie sich das Tal noch entwickeln wird, wenn es gegen Ende gar über 2000 m hinaufgeht, lässt sich nicht vorausschauen. Hier liegt der Reiz in den Variationen von Grüntönen, die sich in dem aufgelockerten Bergwald finden, deren Wiesen immer wieder Kühe bevölkern. Auch hier Wasserfälle – aber zur anderen Talseite recht weit dem Auge schon fast entzogen, da die Tannen am Weg sich vorschieben.

Der Camping entpuppt sich als Luxusoase für Nichtsesshafte, ein Sanitärraum wie eine avantgardistische Kathedrale, jede Körpergröße wird bei den Waschbecken berücksichtigt, alle Licht- und Wasserfunktionen werden sensorisch ausgetüftelt gesteuert – nicht immer zum Vorteil des Gastes. Die Bambini finden Bärchenmotive, damit das Zähneputzen mehr Spaß macht. Mit den Caravan-Camping-Nachbarn aus dem Saarland komme ich nicht ins Gespräch, nicht mal ein Gruß, weil die Dame ihrem Hund in recht einsilbigen Monologen versucht klarzumachen, dass ich kein Alien sei, den man in den Weltraum zurückbeißen muss, sondern ein schlichter menschlicher Radler. Wohl irrte sie, der Hund wusste es besser und bellte zähnefletschend weiter. Immerhin mundete das Essen im Restaurant ganz gut, wenngleich auch hier der Kärntner vermeidet, sich zu überarbeiten. Er ist halt gemütlich.

Musik: Der Klagenfurter Saxophonist und Flötist Wolfgang Puschnig verarbeitet immer wieder die Wurzeln österreichischer, slowenischer und weiterer alpiner Volksmusik in anderen Musikkontexten und schafft damit transversale Klangwelten zwischen Tradition und Moderne, auch mit einem Stück Alpenkultur (empfehlenswert seine Alpine Aspects, von denen aber keine Samples frei verfügbar sind): Teaser aus: Wolfgang Puschnig „For The Love Of It“, col legno (7:01 min.)

Bildergalerie Kap. I (145 Bilder):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 08.12.15 20:51

In Antwort auf: natash

In Sauris warst du hoffentlich trotzdem, ich werds auf jeden Fall anpeilen.
Übrigends ist das Friaul nicht so richtig originär Italienisch-Sprachig, sondern man sprach dort (wenige heute auch noch) Ladinisch. Ich konnte mal ein paar Worte, aber die haben sich leider schon lange verflüchtigt.

Ich habe gerade die den Hauptschub gezündet. schmunzel Bis Sàuris sind es aber noch ca. eine Woche - in Beiträgen gerechnet. Dazwischen liegt noch Kehrwoche und Durlach. zwinker

Anmerkungen zum Furlanischen habe ich oben bereits gemacht - es ist mit dem Ladinischen verwandt, aber nicht identisch. Wie auch bereits erwähnt, ist die Sprachgruppeneinteilung umstritten, ob alle unter die rätoromanischen Sprachgruppen fallen können (also auch mit der Bündner Traditionssprache in der Schweiz). Das Altbairische in Sàuris und Timau hat aber damit wieder weniger zu tun (germanisch, nicht romanisch), unterscheidet sich aber auch wieder von anderen deutschsprachigen Gruppen des Friauls oder eben der Sprache Kärntens. Wo noch viel Furlanisch gesprochen wird, kann ich dir nicht genau sagen. In jedem Fall sind die Regionen um Pontebba und die Berggebiete nördlich Tolmezzo verdächtigt (z. B. Paularo). Aber vielleicht ist da der mehrsprachige Lyrik-Band ein guter Tipp, um zu überprüfen, wieviel Ladinisch im Furlanischen drin steckt. Diese "neuen" Furlaner mit der literarischen Sprachidentität leben zuweilen mehr in der Ebene als in den Bergen (Casarsa z. B. liegt bei San Daniele, südlich meines Radfresko- & Schmetterlingsrätsels).
von: Keine Ahnung

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 09.12.15 07:47

Hallo Matthias,

... das wird ja ein Reisebuch zwinker

Gegenüber der Felsansammlung Deines Bildes 12 aus der oben verlinkten Serie hatte ich letztes Jahr meinen Reifen geflickt, nachdem ich ihn bei der Abfahrt durchgeschmolzen habe. Es ist mir zum ersten Mal passiert, dass meine Felgen so heiß geworden sind, dass ich einen Reifenschaden hatte.

Bei meiner diesjährigen Tour hatte ich von dem Regen, den Du hier abbekommen hast, zum Glück nur auf dem Weg ins Drau-Tal und hin zum Möll-Tal etwas abbekommen. Ansonsten blieb ich insbesondere auf der Strecke von Thessaloniki bis Slowenien weitestgehend verschont von schlechtem Wetter.

Man kann zwar - wie man bei Dir sieht - auch bei feuchtem Klima schöne Touren machen. Sonne (in Maßen) ist aber eher der Freund des Radreisenden zwinker .
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 09.12.15 13:03

In Antwort auf: Keine Ahnung
Man kann zwar - wie man bei Dir sieht - auch bei feuchtem Klima schöne Touren machen.

Insbesondere bieten die Sintflutbeschreibungen mehr dramatisches Gestaltungspotenzial. schmunzel Die Streckenkürzungen oder -streichungen habe ich eher gelassen genommen. Ein wenig ärgerlich bin ich aber ob der sehr häufig doch arg schlechten Lichtverhältnisse, was sich schon überdurchschnittlich auf die Fotos auswirkte. Auch die Sommerphase nach den ca. zwei schwierigen Anfangswochen war dann teils stark diesig oder aber durch Gewitterneigung in der zweiten Tageshälfte sehr oft trüb-grau bis fast düster, sodass es nur selten schöne Abendstimmungen gab.
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 09.12.15 13:16

In Antwort auf: Keine Ahnung
... das wird ja ein Reisebuch zwinker

Im intergalaktischen Alien-Dialekt heißt das:
In Antwort auf: veloträumer
ein Scriptum-magnum
(s.u. E.0) unschuldig
von: kettenraucher

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 09.12.15 13:44

Zitat:
... das wird ja ein Reisebuch ...
Das Studium der Lektüre erfordert die volle Konzentration über das gesamte Wintersemester hinweg und hinaus. Und das ist auch gut und schön so. schmunzel Besonders gefällt mir dieses Mal auch der verschmitzt augenzwinkernde Ton. Es gibt viel zu lesen, viel zu sehen, viel zu lernen und viel zu schmunzeln. Das finde ich klasse von veloträumer!!!
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 09.12.15 20:52

KAPITEL II
Musenklang und Traumidylle für Auserwählte:
Das Kärntner Seenland und die Falle seiner Wohlstandspleite


Do 18.6. Malta – Eisentratten – Nöringsattel (1665 m) – Radenthein – Döbriach – via Radweg Millstätter See Südufer – Schlossvilla – Egelsee – Molzbichl – Mauthen – Zlan – Hochegg
W: 11-21 °C, lange kalt, bewölkt, nachmittags teils aufgeheitert
Ü: privat (GH Sonnenhof) 0 €
AE (dito): Hasenfilet, Kroketten, Rotkohl, Bohnen, Schokopfannkuchen, Cafe 30,80 € (***)
69 km | 10,0 km/h | 6:53 h | 1880 Hm

Nochmal quere ich das Künstlerstädtchen Gmünd und gebe mich mal einheimisch – es ist mir doch noch recht kalt am Morgen. Man setzt sich ins Café und wartet darauf, Freunde zu grüßen. Mir gegenüber sitzt der Sonnenbrillen-Hans-im-Glück-nichts-tu-kenne-alle-Griüaß-diieer-Macho-Typ. Dieser hier hat etwas Pech und die Grußfreunde schlafen noch. Beim zweiten Kaffee wendet er sich etwas verzweifelt mir zu, obwohl er sich mit meinem Fahrgerät nicht identifizieren kann. Vielleicht leiht er sich manchmal einen Porsche aus Gmünder Tradition, um ein paar Freundinnen zu beeindrucken. Mit dem Frühstück des Cafés wäre Radeln auch kraftlos. Schwäbische Sparsamkeit bei der Marmelade, Nobelcafé mit 08/15-Frühstück – meinen Commander wird’s freuen, das zu hören. Gegenüber gibt es ein Bäckercafe, schon auf der Hinfahrt geschätzt, wiederhole ich den Besuch – sehr guter Nusskuchen – Empfehlung! Damit keine Verwirrung aufkommt: Nussbaumer ist das zweifelhafte Edel-Café ohne Nusskuchen, Pietschnig die Bäckerei mit dem delikaten Nusskuchen.

Dem Brückental der Lieser folge ich nur ein kleines Stück, in Eisentratten der Abzweig zum unbekannten Nöringsattel. Asphaltiert ist die Strecke, eher steil, bis Pabstratte, einem Spiel-, Picknick- und Wanderparkplatz. Zuvor passiert man noch unscheinbare Gehöfte und auch einen Gasthof. Von nun an Forststraße, was wörtlich zu nehmen ist – sprich dichter Wald. Attraktiv ist die Nordseite weniger, im Süden wird es ein bisschen schluchtig und felsig – auch mehr Panorama, soweit die Piste etwas rüder als im Norden, der Asphalt dann auch zunächst recht brüchig. Auf der Passhöhe selbst, ein unscheinbarer Sattel, liegt ein zutrittsverbotenes ehemaliges Bergbaugebiet, hochwertige Steine werden hier gerne gesammelt, wie das Granatium im unten liegenden Radenthein eindrucksvoll zeigt. Weitere Almwegverzweigungen bei Nöringsattel Richtung Millstätter und Schwaiger-Hütte erschienen mir nicht vertrauenswürdig.

Die Dunst- und Wolkendecke ist mächtig, dennoch wärmte es am See ein wenig nicht nur durch die Wasserfläche, sondern auch durch erste Sonnenstrahlen, die sich durchgebohrt haben. Das Südufer des Millstätter Sees ist nicht mit Auto befahrbar, aber der Uferweg radtauglich. Man teilt das Vergnügen mit Joggern und Wanderern, Seezugänge sind aber Mangelware. Der Wald reicht meist steil bis direkt ans Ufer. Wo Wiesenflächen auftauchen und Stege in den See stechen, liegt Privatgelände, das man bisweilen mühsam umgehen muss, dort aber Asphalt. Es geht immerzu etwas auf und ab, mal auch eine Rampe dabei.

Bei der Schlossvilla gibt es dann drei Möglichkeiten, die Radreise fortzusetzen. Bereits in Döbriach zu Beginn des Uferweges wird der Radler gewarnt, dass die Durchfahrt nach Seeboden steile Rampen enthält, aber eine Ausweichmöglichkeit per Schiff nach Millstatt besteht. Der Radtransport über den See ist unkompliziert. Fährt man ab Schlossvilla die Rampe an, gibt es wenig später einen Abzweig nach Seeboden. Der Geheimtipp zur ruhigen Perle führt aber weiter recht steil auf. Man muss dann auf der Straße unweit Rothenthurm auf den Waldwegabzweig achten, wo auch ein kleiner Parkplatz ist. Dort geht es – bereits eingangs ein erstes Sumpfgewässer – zum Egelsee. Die Forstpiste ist aber nochmals ein in Stufen steil ansteigender Weg, sogar eine Schiebeeinlage muss her. Regulär lässt sich der Egelsee besser von Süden erreichen. Der Pistenanteil ist dort vom Asphalt (Gasthof weit oben) nur klein und weniger steil, dafür die Straße Egelsee – Baldersdorf extrem steil im Gefälle.

Am Moorsee kam es zu einer tiefgehenden Begegnung, die auf der Green Devil in der Galaxie der Siebentausend Grünen Froschlöcher zu erhöhtem Interesse auf allen Decks führte. Ich folgte den Tönen der Moor-Dur-Froschkonzerte und trat den von Gelbgrün über Tannengrün bis Blaugrün schimmernden Quakgestalten gegenüber. Ihre Augen übersetzen die sonst schwer verständliche Sprache: „Sei willkommen, lieber Alien. Wir sind die Urbewohner Karantaniens. Du scheinst vom gleichen Geschlechte und Geiste unserer Mütter und Väter. Nehme als Zeichen unserer Freundschaft ein Bad in unserem schleimigen Moore. Deine Poren werden trinken und deine Haut wird unseren Geist weiter ins Universum tragen.“ Ich tat, wie mir angetragen. Ich lauschte durch die Holzbohlen, es ward bald nur noch plätschern. Ich spürte danach ein Prickeln der Häute, ein wohliges, bei dem ich anfing zu träumen. Das Moor birgt die Geheimnisse und Botschaften – hier muss man horchen und träumen! Das Bellen eines Hundes weckte mich wieder ziemlich jäh.

Baden tun hier wenige Einheimische, die späte Milde des Tages lockte noch einige Abendsonnenbader. Die Froschumgebung ist wortwörtlich sagenhaft – man kann den Geschichten auf Infotafeln folgen. Nach der Sage vom Hochgosch fand hier ein Bauer ein funkelndes Kreuzlein, mit dem er sich von der eigenen Armut befreite und gleichwohl einen Ritter von seinen blutigen Qualen erlöste. Ein Umstand, der Güldenes und Reichtum vermuten lässt, wie auch eine Umgebung, in der der Blutzoll durch Mitmenschlichkeit besänftigt wurde. Die Frösche scheinen Wahres gesprochen zu haben. Tatsächlich erreicht man zur anderen Seite nebst Baldersdorf Molzbichl, eingangs genannten Fundort von karantanischen Relikten, dort in einem Museum gesammelt. Die Zeitfolge des Tages machte den Besuch aber unmöglich.

In der Ebene glänzt der Weizen golden – als wäre überall noch der Glanz des Königreichs Karantanien. Sogar die Güterzüge sind hier übermäßig lang wie Schlangen, die sich sich durch fruchtbare Paradiese schlängeln können. In Ziebl hat man noch mal eine kleine Campingmöglichkeit halbhoch mit Ausblick – aber keine Gaststube. Der letzte Landgasthof unten in Mauthbrücken. In Zlan, weiter hoch, auf einem Zwischensattel zum Weißenbachtal gelegen, findet sich nur eine Gaststube, die kaum Speisen zubereitet. Ich treffe einen Einheimischen, was ist wo noch in der Zeit machbar? Den Hügel hinunter ins Weißenbachtal, also falsche Richtung – oder der Gasthof Sonnenhof in Hochegg. Aber schaffe ich das noch zu Sandmännchenzeiten? Der Zlaner ruft für mich beim Sonnenhof an. Ich kündige an eine Stunde zu brauchen. Ja, Essen werde ausgegeben, höre ich.

Um den Gastwirt milde zu stimmen, pedaliere ich auf Hochleistungsniveau. Die Alienhäute spritzen das Schweißwasser aus den Poren, eine Salzspur legt sich auf die Straße. Wie der Einheimische versprach, nimmt die höllische Steigung der unteren Anfahrt ab. Kaum in den brennenden Augen zu erkennen, baut sich der Sonnenhof wie ein karantanischer Bergtempel vor mir auf. Ich bin noch nicht zu gemäßigten Atemzügen gewechselt, begrüßt mich der Hauswirt und Koch des Sonnenhofes. Ich bin der einzige Gast fürs Abendessen – und auf den hat er nun auch noch gewartet. Ob er mich als Alien erkannte und mir deswegen besondere Gastfreundschaft zuteil werden lassen wollte? – Ein Alienfreund – fürwahr.

Ich bespreche die Lage, Zeltplatz auf seiner Hotelwiese, geht das? – Ja, kein Problem. Ich atme auf, die steilen Wiesen umher bieten nicht gerade viele Möglichkeiten sonst. Als ich Hasenfilet bestelle, meint er: „Sie essen aber auch nur das Beste!“ Ja, Alien können nur mit gehobener Kulinarik überleben, deswegen müssen sie beim Schlafen sparen. Ich trage in meinen Notizen ein: „Paolo Santonino hätte sich auch die Finger hier geleckt.“ Als ich alle Köstlichkeiten aufgeleckt habe, bietet mir der Gastwirt an, im Wintergartenteil des Restaurants (von der Hotelbar abgetrennt), mein Nachtlager aufzuschlagen. Auch das eine Wohltat, da sich in der Nacht mal wieder die Regenwolken heimlich heranschoben. Wenn ich Zeit häbe, würde er noch einen Kaffee mit mir morgens trinken, bevor er den Sohn zur Schule fahren müsse. Bin aber doch früher weg. Von der nun abgetrennten Hotelbar drang dann noch lange Feierbierlaune rüber – zum Umtrunk ist es dem Kärntner nie zu spät.

Fr 19.6. Hochegg – Goldeck-Seetal (1895 m) – Goldeck-Gipfel/-Panorama-Alm (2140 m) – Zlan – Stockenboi – Weißensee (Ost) – Farchtensee – Boden (1044 m) – Kreuzen – Windische Höhe (1110 m) – Kerschdorf – Wertschach
W: 9-19 °C, weitgehend kühl, abends kalt, weitgehend regnerisch, kurze Aufheiterungen
Ü: C Alpenfreude 12,30 €
AE (Gailtaler Hof): Wienerschnitzel, Pommes, Rotwein, Eis m. Himbeeren, Cafe 22,40 € (*)
78 km | 11,3 km/h | 6:53 h | 1795 Hm

Die Mautstelle zur Goldeck-Panoramastraße liegt nur wenig weiter oben. Noch hat der Pförtner sein Amt angetreten. Zunächst unscheinbar mit Tannen, breiten sich bald goldfarbene Blumenwiesen aus. Es regnet nur kurz nach verlassen des Gasthofes und endet erst für eine Weil in der oberen Straßenzone. Das goldene Leuchten geht weiter – trotz der Wolkengebilde, die hier schöner über den Tälern zu beiden Seiten liegen – Drau- und Weißenbachtal. Mal wandelt man auf der einen Seite des Kamms, mal auf der anderen – meistens jedoch eher zum Weißenbachtal hin. Es leuchten Lärchen – grün wie goldfarben, es leuchten oben offene Felswände – schon ein Hauch Sonne reicht zum schimmernden Glanz. Der Berg Goldeck selbst bleibt lange versteckt, wird mit seinem Sendemast erst am Seeplatz sichtbar.

Hier liegt eine Kabinenbahn verödet, die Straße endet nun. Wieder verbleiben mehrere Almpiste, gut geschottert und doppelt gespurt. Zur nächsten Wanderhütte mal wieder ein deutliches Radverbotsschild. Und wieder kommen Anrainerautos, die durchfahren. Zum Goldeck hoch gibt es zwar eine Weidesperre, aber kein Verbotsschild – so richtig klar ist das nicht. Ich frage einen Bauern mit Traktor, der herunter kommt, ob die Qualität passabel sei. Er stimmt zu, ich solle es probieren. So ist die Piste zum Goldeck rauf weniger steil als die Straße zuvor, die einen großen Kampf erforderte. Man fährt nur noch durch offene Bergwiesen im Goldeck-Goldgrün. Der Berg selbst wirkt durch den Sendemast und die Bergbahnanlage (funktionierend zur Nordseite, aber auch nicht in Betrieb) leicht verunstaltet, doch die umgebenden Berge sind unberührt und auch in Form und Gestalt schöner gefaltet.

Der Landwirt der Panoramahütte grüßt alle Leute freundlich – er macht keinen Unterschied zu Aliens mit Velo. Es gibt hier einen Germknödel mit schmackhafter dunkler Schokoladensauce, auch leckere Kaffee- und Trinkschokoladenvarianten. Die Besucherklientel in der Hütte ist recht gemischt, vom heimischen Seniorenwanderer mit bergfrischer Altersjugend bis zum Sachsenpaar, das sich erstmals in die Berge begeben hat und nicht mehr aus dem Staunen herausfinden mag, was die Bergwelt bereit hält. Bergab, noch auf der Piste, treffe ich auf einer wanderndes Hamburger Jungpaar, das mich schon als Radelpaar am Millstätter See beobachtet hatte. Wohl ist ihnen die besondere Alienfarbe ins Auge gestochen. Der Umstand der verbotenen Radforst- und Almstraßen ist ihnen bekannt. Kärnten, so meinen sie, sei in Sachen Mountainbiking das Schlusslicht in Österreich. Aber die Tourismuswerbung für Kärnten ist doch sehr exklusiv? Kärnten – vielleicht ein Land für Auserwählte? Und Radler gehören nicht dazu?

Die Käseversorgung auf einer urigen Alm etwas unterhalb des Straßenhochpunktes ist recht kärglich – trotz angeschriebener Bergspezialitäten herrscht fast ärmlicher Notstand, es sieht mehr nach Eigenbedarf aus. Die Gegend ist nicht gerade von Konsumrausch übermannt. So reibe ich verblüfft die Augen, als ich in Stockenboi im Weißenbachtal mehrfach Hinweise auf „Kaufhäuser“ finde, auch mal in Verbindung mit einer Gaststätte oder einem Tonstudio. Dort bekommt man aber nicht mal ein Stück Brot. Vielleicht ein regionaler Schnaps (irgendwo gibt es den Wegweiser „Schnapsakademie“), vielleicht auch mal ein vergessener Apfel. Eher sind die „Kaufhäuser“ Armenhäuser. Das Niveau erreicht eine Produktdichte, die man aus ehemaligen sozialistischen Ländern kannte – ja, unterschreitet diese manchmal. Und das im wilden „Woodstockenboi“. Kärnten – ist das Land jetzt reich oder arm? Auserwählter Adel oder Hippies?

Mit Superlativen schmückt sich der Weissensee – Supersee, höchst gelegener Badesee der Alpen – ist das Paradies dann noch genießbar? Die Anfahrt ist eher leicht durch das lange Tal, Schlussakkorde setzten ein paar Schluchtfelsen und ein markanter Wasserfall. Nur auf zwei Arten geht es unmittelbar am See weiter – mit dem Schiff nach Techdorf, wo wieder Straßenanschluss besteht (Radtransport über den See problemlos) oder per Wanderschuh am Nordufer. Der Weg ist nicht nur radfahrungeeignet, sondern natürlich auch zum Radfahren verboten. Eine Alternative zum Westufer zu Radeln gibt es aber dennoch, wenngleich man dazu zunächst Richtung Weißenbach bzw. Farchtensee radeln muss, wo sich ein unscheinbarer Abzweig befindet. Dort sollte man mit kleineren Rampen rechnen – ob asphaltiert, musste ich ungeprüft lassen.

Das Paradies Weissensee schüttet dem Betrachter leuchtende Smaragdfarben ins Auge, selbst bei trübem Regenlicht. Sicher, die Möglichkeiten sind hier arg eng und begrenzt, der Strandzugang nur über ein öffentliches Eintrittsbad oder ein Hotel. Die größten Regentropfen passe ich im Campingrestaurant ab. Mal wieder eine Warterunde, der bald ein zweite folgt. Am Farchtensee, kaum zugänglich wegen der Privatgelände, dennoch unverbaut sehr natürlich und einsam liegend, schüttet es bald erneut in großen Strömen. Die Warterei – immerhin lau warm genug für ein kleines Bad – bringt wiederum ein Leuchten – diesmal in den bunten Prismenfarben des Sonnenlichtes als Torbogen des feuchten Lebensquells. So schön ist hässlicher Regen!

Es geht nach leichtem Hochpunkt durch recht wild wucherndes Waldtal, als Bärengebiet gekennzeichnet. Ein Brummen bleibt aus – kein Bär verlässt heute die überdachte Höhle. An der Kreuzung scharfe Wende, schluchtig wieder aufwärts, teils auch steil, zur Windischen Höhe, oben unscheinbar, aber nun mit dem Gailtal unten den Blick auf den Grenzkamm der Karnischen Alpen freigebend – ein gleißend heller Fels – nun angestrahlt von der Abendsonne. In Wertschach nehme ich gleich nach Bezahlung der Campinggebühr Kurs auf den örtlichen Gasthof. Dort hat man die Küche soeben mal eine Stunde vor den angegeben Schließzeiten geschlossen. „Heute war nicht viel los“, sagt die Wirtin. Logisch, der Abend hat ja gerade erst angefangen und der Gast ist jetzt da. Nun sind Kärntner nicht nur faul, sondern auch gastfreundlich bemüht. Ich erhalte also noch Aufwärmgerichte – immerhin ein Wiener Schnitzel (besser: paniertes Schweinschnitzel), mit Plastikflasche Senf und Ketchup auf den Tisch – Bumms-faldara-Gourmet. Wir wollen aber nicht meckern. Eis mit Heißen Himbeeren – eine meiner Götterspeisen, mundet abschließend noch ausgezeichnet und die Wirtin ist freundlich – wir sind ja doch auch in Karantanien.

Sa 20.6. Wertschach – Bad Bleiberg – via Forststraße – Villacher Alpenstraße/Dobratsch – Roßtratte (1742 m) – Villach – Puch – Krastalsattel (654 m) – Köttwein – Arriach
W: 9-18 °C, meist kalt, windig, morgens Gewitter, oft regnerisch, abends aufgeheitert
Ü: GH Alte Point 37 € mFr
AE (dito): Selleriecrèmesuppe m. Birne, gebackene Reinanke m. Nüssen, Bratkart., Rotwein, Panacotta m. Erdbeeren ca. 34 € (****)
70 km | 10,9 km/h | 6:59 h | 1725 Hm

Bad Bleiberg, über eine relativ kurze Steigung zu erreichen, präsentiert sich als Museumsort des Bergbaus, wirkt aber zunächst recht verfallen und verarmt. Der Ort streckt sich lang, die Einkaufsmeile und der bessere Teil befindet sich im Osten. Ein gewisser Neureichtum war die Folge eines Bergwerkunglücks – ein Wassereinbruch in einer Grube brachte Thermalwasser ans Tageslicht. So hat sich ums moderne Bad eine Kurecke gebildet, ohne das überzeugende Mauerwerke dabei entstanden.

Für den harten Schotteraufstieg trübt der kurze Sonnenmoment wieder ein, die Wolken verdichten sich zu einem Gewitter und mitten in den steilsten Pistenabschnitten schüttet es aus Eimern – Schutz vergeblich. Eine Ausschilderung gibt es nicht wirklich und ob ich hier die angedachte Route gefunden habe, ist schwer zu sagen. In den Hochalmwiesen hat man mehrere Sperren zu überwinden – auch muss ich einmal das Gepäck abwerfen, um die Schranke zu passieren. Ist man weiter oben, entfalten sich blumenreiche Bergwiesen nebst Lärchenhainen und zeigen die spezielle Schönheit der Naturschutzzone. Ein Förster mit Auto ist um mein Leben besorgt ob der Gewitter. Aber wie dann überhaupt sich durchs Land bewegen? – Der Zorneshimmel hält ja jeden Tag Gericht ab – da muss jemand anderes etwas Schlimmes verbrochen haben. An Radlern, die verbotene Wege kreuzen, kann es nicht liegen.

Mit der letzten Schranke bin ich auf der Mautstraße mit dem den Schlussanstieg. An der Roßtratte ist nicht nur für Autos Ende, auch das bekannte Radverbotsschild für den Aufstieg zum Dobratsch ist schon da. Verbotsschildermacher sind fleißige Leute in Kärnten – überdurchschnittlich fleißig! Natürlich auch hier wieder eine gute Fahrpiste mit Anrainer- und Lieferverkehr – schließlich ist oben ein recht beliebtes Ausflugslokal. Gemessen an dem geringen Wandereraufkommen (man muss bei guter Witterung mit größeren Massen rechnen, viele Busse auch) hätte ich das Verbrechen, den Dobratsch zu erradeln, durchaus riskieren können. Die wechselhafte Witterung (Wolken, Sonne, Wind, auch noch Regen) und schon teils durchnässte Kleiderstücke verunsicherten mich aber so, das ich nur noch die Talfahrt suchte, nachdem ich den schlimmsten Schüttelfrost abgelegt hatte.

Eine Besonderheit liegt mitten auf der Strecke: eine riesige Abbruchkante, ein rote Felswand, Folge eines Bergsturzes im Jahre 1348. Die Katastrophe fiel damals geringer aus als man vermuten könnte, eher gab es indirekte Schäden durch Brände. Schon damals aber suchte man aus Schaden Kapital zu schlagen. So wurden die Schäden urkundlich höher und umfangreicher beziffert, um mehr Vergünstigungen zu erhalten, auf die das Patriachat Aquileia tatsächlich reinfiel und dem Kloster Arnoldstein Schulden erließ und gleich ein ganzes Kloster (Hermagor) vermachte. Man denke an die Versicherungsbetrüger im 20. Jahrhundert – alles hat seine Tradition.

Nicht nur hier bei der Roten Wand, auch noch später, gibt es Aussichtspunkte, von denen man großartiger Panoramablicke auf Karawanken, die Julischen Alpen dahinter in der zweiten Reihe, aber höher und pittoresker, sowie ins Gailtal hat. Später ergeben sich auch weite Blicke auf die großen Kärntner Seen wie Ossiacher See und Wörthersee und natürlich auf das Stadtareal von Villach. Unten in Villach steigen die Temperaturen immerhin auf übliche Raumtemperaturen. Die Stadt lässt sich gut im Nordwesten umfahren, wobei die Benutzung der verkehrsreichen Bundesstraße hilfreich ist. Für die Reststrecke entlang der Drau lohnt es kaum, den Wicklungen des Drau-Radweges zu folgen. Bleibt man auf der Straße, fährt man durch ein Blauweiß moderner Industriekultur eines Kalk- und Marmorbergwerkes. Der Steinbruch indes war schon bei den Römern bekannt.

Der Krastalsattel wäre kaum zu erwähnen, läge an ihm nicht eine Folge von Skulpturen internationaler Künstler. Auch die blieben unbedeutend, gäbe es nicht die besonderen Skulpturen mit den Nachbildungen der Green Devil und des Regional-Beamers, wie eingangs gezeigt. Diese galaktische Skulptur befindet sich bereits auf der Ostseite des Sattels. Nach Süden ist das Tal geweitet zum Ossiacher See hin, nach Norden bildet der Afritzerbach schnell eine Kluse, in der schattig auch ein Gasthof liegt. Der Abzweig nach Arriach ist unübersehbar, weil der Ort bereits hier auf sein Gravitationszentrum aufmerksam macht – den Mittelpunkt Kärntens. Die Steigung im schattigen Bachtal ist kräftig, die dann in den offenen Bergwiesen zur Ortsmitte oberhalb des Tales noch mehr. Abgekämpft, von Gewittern und Winden zermürbt, konnte ich bei Commander speichen-08/15-kracher erneut eine Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz erwirken, um ein schönes wie geräumiges Balkonzimmer im Gasthof Alte Point zu erhalten. Lediglich lokale Festivitäten zur Sonnenwendfeier inklusive Musikcorps ließen die Aufmerksamkeit des Personals etwas überfordert erscheinen, sonst aber fand ich hier eine ausgezeichnete Küche vor, die auch einige Prämierungen erfahren hat.

Schon am Abend saß mir gegenüber ein in sich gekehrter, ebenfalls mit Notizen beschäftigter einzelner Herr. Am nächsten Morgen entpuppte er sich als Alpen-Adria-Trail-Wanderer, der schon zuvor ebenso im Mallnitzer Eggerhof übernachtet hatte. Mein Klagen über die Besenkammer konnte er nicht nachvollziehen, gab er an ein komfortables Zimmer erhalten zu haben. Da sieht man mal, was 5 Euro Verhandlungsrabatt Unterschied machen – oder lag es daran, dass ich als Alien erkannt wurde? Dass die Qualität des Essens hier aber deutlich besser sei als die im Eggerhof, darüber wurden wir uns einig.

So 21.6. Arriach – Wöllaner-Nock-Straße – Waldener Hütte (1960 m) – Arriach – Innerteuschen (1051 m) – Himmelberg – Flatschacher See – Feldkirchen
W: 5-18 °C, sehr kalt, meist bewölkt, abends heiter & milder, am Wöllaner Nock Eisregen
Ü: privat (Alien- & Radlerfreund) 0 €
AE (privat): Gemüsesuppe, Pizza, Kirschkuchen, Rotwein 0 € (*)
57 km | 10,5 km/h | 5:22 h | 1575 Hm

Die Herausforderung der Wöllaner-Nock-Straße, gleichwohl wieder eine Mautstraße – allerdings weitgehend nicht asphaltiert, doch gut gewalzt mit einigen Aufweichungen, lag nicht alleine in einer durchgehend anspruchsvollen Steigung. Schon aus der Nacht heraus lag eine polare Kälte über den Bergen. Als ich schließlich die Walderhütte erreichte, die wegen Renovierung geschlossen war, fegte aus Norden ein Eisregen über den Bergkamm, vor dem ich sofort zurück ins Tal flüchtete. Dabei konnte ich weitere exkursive Forschungen zum Wöllaner Nock nicht durchführen, inwieweit ein radlerischer Übergang nach oder von Norden (Bad Kleinkirchheim) machbar wäre. Zumindest bei der Walderhütte schien mir die Piste bis zur Bergkehre oberhalb fahrbar, wenngleich schwieriger als die Strecke zuvor. Einzig offen war die weiter unten liegende Geigerhütte, allerdings nur mit zusätzlichen Höhenmetern zu erreichen und möglicherweise überfüllt, da eine Schülergruppe unterwegs, sodass ich von einer Aufwärmpause absah.

Die Haidenbach-Variante, den Wöllaner Nock ins Tal nach Osten zu verlassen, wurde mir schon vom Arriacher Gastwirt nicht empfohlen – wiederum gesperrte Privatstraße, und offenbar ein Besitzer, mit dem nicht zu spaßen ist – ein kranteliger Kärntner also. Die Wegequalität und Topographie schien aber auch einige Hürden zu beinhalten, sodass die schlichte Rückfahrt mit anschließender Sattelquerung auf der Straße nach Osten die sicherlich schnellere Wahl ist. Zur Südseite des Innerteuschener Sattels tut sich der Gerlitzen auf, der mit einer Panoramaauffahrt lockt, die wohl offener als die Südseite ist, die ich bei einer der früheren Erdenbesuche erklommen hatte (ein reiseradlerischer Übergang besteht aber nicht). Die Innerteuschen-Route ist geradezu verlassen, nach Osten noch mehr als nach Westen (die Gerlitzen-Bergbahn wird eher von Westen angefahren). Es folgen ein Schloss in Himmelberg, bald eine Feldlandschaft, über die man zum Flatschacher See gelangt, ruhig neben Wäldern mit Heidelbeeren gelegen. Der See ist allerdings nicht wild, sondern eine gepflegte Badeanlage, wenngleich frei zugänglich.

In Feldkirchen, mir eher von einem Sonnenbrillen-Hans-im-Glück-nichts-tu-kenne-alle-Griüaß-diieer-Macho-Typ in Erinnerung, bin ich am Ortsausgang verunsichert über den Weg zur Nebenroute über Glanhofen zum Tauerneck. Die Luft ist hier jetzt mild und mein Zeitpolster vielleicht nach ausreichend, über den Umweg den Ossiacher See zu erreichen. Zwei Radler wollen mir helfen. Wir kommen ins Gespräch, weil sie auch Radreisen machen, wenngleich mit Rennrädern und eher auf Tagesrundkurse ohne Gepäck beschränkt. Etliche Alpenpässe sind ihnen bekannt und ein gewisses velophiles Fachwissen spricht aus ihren Mündern. Als ich schon eine gute Zeit verquatscht hatte, luden sie mich schließlich ein, den Abend in Feldkirchen zu verbringen. Ich willigte ein und beschloss den Tag also eher hälftig zu beenden.

So lerne ich das private Feldkirchen kennen, ein Haus in einem Vorort mit Ausblick auf die Stadt, die Wohnung karg eingerichtet, aber überall hochwertige Räder und Radteile umherstehend. Beide, Manfred und Rainer, sind leidenschaftliche Radbastler, auf den Fensterbänken liegen alle erdenklichen Radmagazine. Technisch ausgereifte Linien sind Manfreds Lieblinge, teils nostalgische Radkonstruktionen, aber mit Liebe, Eleganz und Know-How gebaut. Die Detailliebe spiegelt sich auch in seinem Erwerbsberuf als Uhrmacher wieder. Während Manfred die Logis für mich spendiert, gibt es bei Rainers Muttern das Abendmahl, wobei der selbst gemachte Kirschkuchen einer besonderer Hervorhebung bedarf.

Mo 22.6. Feldkirchen – Glanhofen – Tauernteich/Tauerneck (910 m) – Ossiach – St. Andrä – Wemberg – Stallhofen – Köstenberg – Ebenfeld – Forstsee – Pörtschach – Krumpendorf – Klagenfurt – Viktring – Keutschacher See/Camping Sabotnik
W: 11-20 °C, teils bewölkt, teils heiter, sehr windig, kühl
Ü: C Sabotnik 14,10 €
AE (dito): Grillteller, Pommes, Gemüse, Most 16,50 € (-)
91 km | 12,4 km/h | 7:21 h | 1225 Hm

Mal wieder ein Keim der Hoffnung – ein herrlicher Sonnenmorgen. Der Anstieg zum Tauerneck, in einigen Schüben zu absolvieren, ist durchaus als prominent zu bezeichnen. „Kleine Dorfidylle trifft auf liebliche Ausblicke“ beschreibt den ersten Teil, im zweiten erklimmt man durch Wald die kleine Hochebene mit Kapelle und einem Weiler, alsbald in den Wald eintauchend, wo sich abwärts zum Ossiacher See eine Schlucht bewandern lässt, zur anderen Seite aber das kleine Idyll des Tauernteiches funkelt. Die Abfahrt schlicht durch Wald, mit weitgehend starkem Gefälle, auch unasphaltiert, in Gegenrichtung eine herbe Herausforderung. Ein Panorama auf den Ossiacher See gewinnt man kaum – da ist man schon fast unten.

Ossiach mehr ein künstlicher Ort um ein Klostergebäude, in dem klassische Musikfestspiele stattfinden, einst Friedrich Guldas Festival genreübergreifender Musik bis zu Jazz und Pop von den bürgerlichen Weißwesten von diesem Kloster am Feine-Leute-See in die zweite Reihe nach Viktring vertrieben. Symbol des Musikalischen sprudelt aus einem Harfenbrunnen – die Saiten als Wasserstrahle arrangiert. Fast unheimlich wird mir bei soviel gehobener Kunst, auch noch die Heiligen Gestade zu finden. Ich schaue genauer. Die Heiligen Gestade sind – Privatbesitz! Warum auch sollte das göttliche Geschlecht hier anders behandelt werden als sonstige talerarme Gäste – schon gar nicht in Kärnten. Heilige Gestade für Auserwählte – Gebete helfen nicht.

Der Reichtum der Auserwählten hat in Kärnten seine Geschichte. Villach zog im 15. Jahrhundert viele Kaufleute aus unterschiedlichen Regionen an, insbesondere Kapitalisten aus Innerösterreich. Der aus Aquileia gesandte Paolo Santonino vermerkte in seinen Reisetagebüchern Schönheit und Reichtum von Villach und bescheinigte den Kaufleuten dort, dass sie besonders reich seien und ihre Heimat verlassen würden, um sich in Villach niederzulassen (also wieder ein historisches Flüchtlingsproblem). Sie seien mit Bürgern von Laibach, Graz, Pettau, Zagreb, Gemona und Nürnberg verwandt. (vgl. dazu Gernot Heiß in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 194)

Die Frage ist heute vielmehr, wie trotz der Insel der Auserwählten das Land Kärnten verarmen kann. Es scheint dabei so, als dass die Privatgelände, die Eintritte an die Seeufer, die abgeriegelten Gärten der Schlossvillen auch den Geldfluss symbolisieren: Es dringt nichts ins Land raus. Nur die dürfen am Wohlstand lecken, die auf gleicher Stufen stehen. So bleiben Reiche unter sich und das Volk ärmelt drumrum, bekommt kleine Placebos, während die Infrastruktur und Kultur ausgehöhlt wird. Natürlich gibt es auch wiederum Kultur – auserwählte Kultur. Sie darf aber nicht aufrütteln oder revoltieren – sie muss angepasst bleiben. Natürlich spielt in dem System die Korruption eine große Rolle, die sich Rahmen der Krise der Hypo-Alpe-Adria-Bank zu einem Flächenbrand ausbreitete, weil sich die oberste politische Klasse – genannt Volksvertreter – darin selbst badete.

Mit dem Stichwort „baden“ kehren wir zu der Seeseite Kärntens zurück. Der Ossiacher See – das muss gar herausgestellt werden – lässt vom Südufer nach freie Seeblicke zu, sogar ein Strandbad ist gratis. Wohl ist die Südseite natürlicher und ruhiger als die Nordseite. So richtig idyllisch ist es aber hier auch nicht. Alles ist zu aufgeräumt, eingeteilt, eingezäunt. Ein Hochblick erfreut das Auge bereits abseits vom Südwestufer – die Burgruine Landskron. Eine Auffahrt ist möglich, ein gutes Restaurant soll oben thronen. Im Hitzestau treibt es mich weiter ohne Bergprüfung. Man kreuzt unter oder über zwischen Straßen verschiedener Art – auch die Autobahn ist dabei. Dazwischen liegt ein Landgasthof mit Metzgerei – besondere Kärntner Bauernprodukte, eine lohnenswerte Einkaufsquelle – der Gasthof soll sogar rund um die Uhr Gerichte servieren. Das scheint schon fast unglaubhaft für Österreich oder gar Kärnten. Wenig weiter geht eine Route ins Hinterland, die Hügel ziehen sich hinauf, zur anderen Seite läge das Tauerneck. Quer führt durch Heidelbeerwald eine Verbindung zu einer kleinen Dörferkette, bescheidene Wohngebiete im Halbschatten des mondänen Wörthersees. Auf der abtauchenden Straße kann man zum Forstsee abzweigen, ein Stausee oberhalb eines alten Mühltals, wo die Mühlen nur noch als Ruinen existieren.

Der Forstsee hat das, was die großen Seen nicht mehr haben, freie Seezugänge, wilde Strandnischen – mal felsig, mal sandig. Allein der Wind ist so stürmisch, dass es wenig Spaß macht zu baden. Der Wind – auch hier – vertreibt nicht die Wolken, sondern er bringt sie – dramatisch sogar, wie der nächste Tag zeigen wird. Der Kontrast nach Waldabfahrt ist dann am Wörthersee offensichtlich. Bahnlinie, Straßentrasse, Zäune – ob Johannes Brahms heute immer noch die Melodien zufliegen würden, die ihn einst in Pörtschach fast betäubt haben sollen? Die Auserwählten habe zu viele (un)schöne Spuren hinterlassen – der Luxus stößt an seine ästhetische Grenze. Und wo darf der Radler hin? – Nirgendwo. Ich erreiche einen Platz, wo sich rundum Hotel und Schiffanlegestelle erreichen lassen, natürlich finden auch Autos hierhin und von weg. Aber das Rad ist verboten zu allen Seiten. Kreisrund verteilen sich sechs Verbotsschilder – der Radler muss hier fliegen können, wie kam ich hierhin? Radler – das wird klar, gehören nicht ins Land der Auserwählten. Wäre ich Erdenmensch, würde Aktien von Verbotsschildmanufakturen in Kärnten kaufen. Zwei Hundefrauen vom Wörthersee-Paradies sind erstaunt, dass ich nicht begeistert bin. Dann nickt eine doch noch mit Kopf – ja, schön sei es hier – für Auserwählte, ja, gewiss.

Klagenfurt hat keine Strandpromenade, das Zentrum ist seefern. Der Camping muss sich zwischen große Festzelte zwängen – es drohen große Horden von Hippie-Kulturen. Idyllischer ist’s am Kanal, wo man auf Surfbrettern stehend Paddelsport betreibt. Die Straße ins Keutschacher Seental ist dann etwas einfacher als erwartet, aber das Panorama auf tief liegende kleine Seen eingeschränkt. Das Camp der Nackten erreiche ich noch rechtzeitig fürs Abendmahl – allein ahnte ich nicht, dass dieser Weg hierher so ziemlich eine Mischung aus Wasserreinfall und Ärgernis sein würde. Der Wirt warnte mich aber schon mal, am nächsten Tag kommt Regen – viel Regen, ich solle lieber ein Zimmer nehmen statt zu zelten. Er warnte wohl auch vor sich selbst.

Di 23.6. Keutschacher See/Camping Sabotnik
W: Dauerregen, windig, nachmittags kurze Regenpause
Ü: C Sabotnik 14,10 €
AE (dito): Kässpätzle, Salat, Rotwein 14,80 € (*)
ME (dito): Bohnensuppe, Spaghetti Frutti di Mare, Salat, Rotwein, Cafe (-)
0 km | – km/h | – h | 0 Hm

Was macht ein Alien-Solist bei Dauerregen? Nicht mal der geplante Ausflug zum Pyramidenkogel war möglich, ganz zu schweigen von einem Stadtbesuch in Klagenfurt, was manche Campinggäste mit Auto nutzten – vor allem die Damen zum Shopping. Danieder lag der See, ein Weinen fürwahr der ganzen Leiden aller Erdenkinder. Der Tag bestand aus Mahlzeiten, die es galt geschickt zu verteilen, ohne dass die aufgenommene Energie verbraucht werden konnte. Dabei hielt sich alles in engen geschmacklichen Grenzen. Die kurze Regenpause erlaubte immerhin den Badesteg zu begutachten, kaum nackt auszuhalten, zu windig und kühl auch die Luft. Der Badesteg ist kein Liegesteg, so ist zu lesen. Die Campingruhe in der Mittagszeit wird sogar mit Zusatz „hoheitlich“ verordnet. In Kärnten ist auch der Zeigefinger der Polizeigewalt in privaten Händen. Naja, nicht so verwunderlich, eine Polizeiwache ist ja schließlich nicht bedeutender als die Heiligen Gestade.

Mi 24.6. Camping Sabotnik – Plaschischen – Pyramidenkogel (Besichtigung, ca. 0,5 h) – Plaschischen – Reifnitz (Wörthersee) – Maiernigg – Gustav-Mahler-Komponierhäuschen (Besichtigung, ca. 0,5 h) – Maiernigg – Viktring – Lambichl – Gaisach – Wegscheide – Burg Hollenburg – Kirschentheuer – Ferlach – via Radweg – Tscheppaschlucht (Wanderung, ca. 1,5 h) – via Loiblpassstraße – Kirschentheuer – Freistritz im Rosental
W: 12-19 °C, heiter, Luft aber kühl
Ü: C Juritz 13,10 €
AE (dito): Kohlrabicrèmesuppe, Kalbsrahmgeschnetzeltes, Rösti, überbackene Erdbeeren m. Vanilleeis, Rotwein 51 € (*****)
B: Pyramidenkogel-Turm 11 €
B: Gustav-Mahler-Komponierhäuschen 2 €
B: Tscheppaschlucht 7,50 €
68 km | 13,7 km/h | 4:53 h | 910 Hm

So viel Aderlass des Himmels muss Spuren hinterlassen – blaue Azurspuren öffneten allmählich den Vorhang. So kam es gut, nicht aber beim Frühstück. Nachdem ich quasi wie schon am Vortag auf der Terrasse meinen Capuccino bestellt hatte, dazu Brötchen aus dem Camping-Shop verkostete, die auch die Nachschubbasis des Frühstücksbuffets für die Pensionsgäste bilden, keimte bei einigen Gästen der Verdacht auf, ich würde mich kostenlos des Frühstücksbuffets bedienen und ihnen die Brötchen von der Kopfhaut abknabbern. Ob es sich dabei um Kärntner handelte, blieb mir verborgen – in jedem Fall Krantler aus Österreich, wobei es keine Unterschiede im Geschlecht gab. Das instrumentalisierte den Kellner, ein ungarischer Emigrant – also jenes unwirsche Reitervolkes, was die Karantanier schon häufig ausplünderte und niederstach –, der mich gleichermaßen des unredlichen Verhaltens bezichtigte. Dabei hatte ich nicht mal einen Blick auf das Buffet geworfen – wusste der Ungar doch bestens selber um meine Kleinzeltlage ohne Tisch und Stuhl, um meine wohlwollende Gastrolle, die auch kleines Trinkgeld trotz geschmacklich eingeschränkter Kost beinhaltete. So entwickelten die Krantler innerhalb einer Minute eine feindselige, geradezu giftspeiende Alienallergie, die sie geschickt vor den germanischen Gäste versteckten, derweil diese freundlich blieben wie etwa das Paar aus Recklinghausen.

Einige bauten weitere Verdächtigungen aus dem Nichts auf wie etwa „Was Sie sich in den Tagen hier erlaubt haben!“, hoben dabei Regenschirm und Zeigefinger, ohne sich einer Gegenfrage stellen zu wollen. Man darf sich an andere Märchenbildungen erinnert fühlen, die offenbar gerne Flüchtlingen angedichtet werden, wenn man seine eigene Unredlichkeit und Unzufriedenheit auf den Fremden zu lenken versucht – ja ihm gar Dolche in die Brust rammt, um den Sündenbock für das Böse zu brandmarken oder mit Genugtuung ihn in die Inquisition zu treiben. Ich hatte vorher noch keine Vorstellung, wie die Atmosphäre am Fegefeuerbalken sein würde – hier erlebte ich den ersten Vorgeschmack. Es ist die alte Geschichte vom Sündenbock, mit der Unruhe gestiftet wird, die dann Gewalt auslöst und am Ende Krieg und Vertreibung bringt. Ich flüchtete noch mit halboffenen Taschen.

Ich verließ den Ort in großem Groll, und auch wenn meine Beschwerde an der Rezeption auf verständnisvolles Gehör traf („Das geht natürlich gar nicht, da bin ich auf Ihrer Seite!“) mit der Ankündigung, der Sache nachzugehen, allerdings der Restaurantbetrieb und der Camping in getrennter Obhut seien. Auch wenn dem so so sei, muss ich vom Besuch dieses Campings Sabotnik abraten. Selbst wenn das Personal hier ausgetauscht würde, die meisten der kranteligen Stammgäste dürften wiederkehren. Den Ärger konnte ich bereits auf der Straße zum Pyramidenkogel ausschwitzen – es ist eine recht steile Strecke, besonders im letzten Abschnitt. Noch ist der Andrang am Morgen etwas geringer. Ob man Fahrstuhl fährt oder die muskulär anspruchvolle Begehung der 441 Treppenstufen bevorzugt, spielt für den Eintrittspreis keine Rolle – Anstrengung will auch gut gekauft sein. Die Geschichte des Holzturms ist erschreckend kurz. Der erst 2013 fertig gestellte, 100 m hohe Holzturm hatte bereits sei 1950 zwei Vorgänger, die den Lauf der Zeit nicht überstanden haben. Der Turm bietet fast jeden Schritt lang neue Ausblicke und auch sein Innenleben hat den genetischen Illustrationscharakter einer DNA-Helix wie die verdrehte Außenansicht ebenfalls. Kinder können durch ein Spiralrohr auf dem Hosenboden wieder runter. Die höchste Plattform dieses insgesamt höchsten Holzaussichtsturmes der Erde liegt bei 70 m, wobei die Vogelperspektive auf den Wörthersee am meisten beeindruckt.

Der Weg nach Reifnitz am Wörthersee ist unspektakulär. In Reifnitz steht dann ein Denkmal der Auserwählten, die die Geschicke des Wörthersees merklich mitbestimmen. Es sind international verbündete Bürger mit speziellen Vorlieben für besonders distinguierte Motorengeräusche und entsprechend angepasstem Macho-Verhalten. Dazu wird alljährlich hier die weltweit größte VW-Zusammenkunft veranstaltet, besser bekannt als GTI-Treffen. Diesem VW-Modell sind schon ganze Generationen von vermeintlichen Asphalthelden auf den Leim gegangen. Das Fest dieser Auto-Gockelei soll 200000 (!) Menschen anlocken – das sind mehr als die Einwohner von Klagenfurt und Villach zusammen genommen. Da ist fraglich, ob der karantanische Geist überleben kann.

Es wäre falsch, den Wörthersee als vollständig abgeriegelte Luxusbadewanne zu betrachten. Die Südseite hat durchaus ihren Charme – auch einen unspektakulären, recht idyllischen. In Maiernigg steht eine größere Villa mit gelber Fassade, im typischen Stil der Seegebäude, nicht zutrittsfähig. Hier wohnte viele Sommer einst Gustav Mahler. Er komponierte nicht in der Seevilla. Ihn zog es in den Wald hinauf, wahrscheinlich ist er den kürzesten, steilen Pfad gelaufen, denn er war ein guter Wanderer, Schwimmer, auch Ruderer. „Zu schlendern vermochte Mahler überhaupt nicht… Bergan stieg er viel zu rasch. Ich vermochte ihm kaum zu folgen… Sein Bad begann gewöhnlich mit einem mächtigen Kopfsprung… Mit Mahler gemeinsam zu rudern, war kein Vergnügen“, so konstatierte Alfred Roller in seinen Bildnissen von Gustav Mahler, zitiert in dem Museumsexposé des Kulturamtes der Landeshauptstadt Klagenfurt. Dort im Wald, kaum die Seefläche durch volles Laub zu erkennen, setzte er sich in sein Komponierhäuschen – nur Platz für Schreibtisch und etwas Abstellfläche. Er arbeitete streng nach Plan – nichts sollte ihn ablenken können. Das Komponierhäuschen ist heute auch über ein Piste erreichbar (kurz und steil). Auch zur Westseite findet sich ein Waldweg zur Uferstraße, dieser ist aber nicht ausgeschildert.

Es gibt wenige Orte, die solche Inspiration verkörpern, wie dieser Platz. Es wäre nicht mal nötig, von dem berühmten Komponisten etwas zu wissen – schon der Platz ist poetische Muse pur, lässt still Geigen und Hörner aus dem Wald erhorchen oder steigen Paukengeister aus dem Seegrunde den Hang hinauf. Das kleine Museum zeigt Briefschriften, Partituren, Fotos und Abbildungen samt Büste, einen Pressespiegel der Zeit, seine selbstbewusste Frau – eine nicht einfache Beziehung – Alma Mahler darf nicht fehlen. Mahler pflegte auch zu dichten – ein guter Poet soll er gar gewesen sein. Eine besondere Beziehung pflegte er zu Friedrich Rückert, dessen Werke er zahlreiche Vertonte, darunter die schicksalhaften Kindertotenlieder. Der Ort hier, ihn könnte kaum etwas besser wiedergeben als eine Strophe aus Rückerts „Ich bin der Welt abhanden gekommen“:

„Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!“


Der Museumswärter arbeitet nur saisonweise, im Winter ist das Häuschen geschlossen. Er ist selbst Musiker, für einen Mahler-Freund nicht ganz fern Trompeter. Engagements sind aber schwer zu bekommen, reichen nicht zum Überleben. Der Kulturetat wird im Land der Auserwählten immer mehr zusammengestrichen. Neben dem Zubrot aus der Museumsbeschäftigung verdingt er sich als Musikerlehrer. Auch das ist aber eine hartes Geschäft, weil die öffentlich geförderten Musikschulen Unterricht ein Drittel günstiger anbieten können. So graben sich alle das Geld irgendwie gegenseitig ab, während die Goldkugeln in einem anderen Topf landen, der nicht allen zugänglich ist.

Noch mehr Musik findet sich im Stift von Viktring – zumindest beim Grenzenlos-Festival, das allerdings etwas später im Sommer veranstaltet wird. Das ist das bereits angesprochene, von Friedrich Gulda initiierte Festival, das vom Ossiacher See flüchten musste, nicht nur, weil es dort zuviel vermüllte Unordnung am Seeufer gebracht haben soll, sondern auch, weil der eine oder andere über die musikalischen Ausrichtung die Nase rümpfte. Heute haben sich die aufschäumenden Notenwellen eher angeglichen, Musikkultur ist den Menschen kein Skandal mehr wert – man ipoded und streamed sich in die kulturelle Beliebigkeit.

Das Viktringer Kloster ist sonst im Jahr ein Schulgebäude mit vielen idyllischen Plätzen zwischen Wasserkanälen, Parkbäumen und Stiftarkaden. Es gibt in der Region ausreichend Radmechaniker – ich besuchte einen Laden in Viktring und einen Lambichl, bei letzterem konnte ich schöne Handschuhe erwerben, die aber trotz einer bekannten Handschuhmarke bereits nach zwei Wochen an den Nähten Fäden zogen. Während der Mensch auf dem Erdenball immer länger lebt, werden seine Produkte immer kurzlebiger. Der Lambichler Radmechaniker hat sich sein Geschäft jahreszeitlich aufgeteilt – im Winter gibt es dort Langlaufski. Später in Kirschentheuer treffe ich auch noch einen Rumänen, der ein leidenschaftlicher Pässefahrer ist und auch den schlechten Service in Kärnten bemängelt. Auch die Radler Manfred und Rainer aus Feldkirchen bemerkten schon, es mache keinen Spaß mehr, in Kärnten Urlaub zu machen.

Urlauber aus Linz an der Donau treffe ich auch in Lambichl wenige Meter später. Der Ort, der zunächst mal zum Anhalten auffordert, leuchtet mit roten Totenlichtern, überall sind Blumen verteilt. Auf einem Buch aus Stein verkündet aufgeschlagen: „In Erinnerung an einen wundervollen Menschen“. Wer ist dieser Mensch? Zahlreiche Fotos sind gesteckt, auch ohne weitere Hinweise würde das Geheimnis gelüftet. Es ist Jörg Haiders Unfallstelle, zuletzt als Landeshauptmann und Rechtspopulist zur Kärntner Institution geworden, obwohl er gar nicht aus Karantanien stammte. Das Paar aus Linz schüttelt den Kopf über den Totenkult der zwielichtigen Gestalt, der – wie sie sagen – Kärnten zum ärmsten Bundesland Österreichs gemacht hat (vgl. dazu auch Anmerkungen in E.1 & E.2).

Die Loibl-Passstraße lässt sich hier gut bis fast zur Drau umfahren. Die Felderhügel lohnen auch deswegen, weil man über Wegscheid an der Hollenburg vorbei kommt, die man sonst nur ehrfürchtig über dem Drautal bewundert. Die Burganlage ist zwar in privater Hand, man kann aber einige alte Kutschen und deren Geschichte im Torgang begutachten sowie sich von einem Blick in den wunderbaren Arkadenhof verzaubern lassen. Kirschentheuer unten an der Drau gibt sich hübsch und ruhig, hat eine einladenden Gasthof mit Gartencamping und ein Museum zu der süßen Köstlichkeit des Rosentals – dem Honig. Auch ohne Eintritt darf man die alten bemalten Bienenkästen anschauen, den Honig gibt es in einem kleinen Laden gegenüber. Ich fahre auch hier nicht die etwas betriebige Loibl-Passstraße, sondern folge der Empfehlung des Migrations-Rumänen über Ferlach. Dort bekomme ich vom Banker vor der Sparkasse den fortführenden Tipp zum Radweg zur Tscheppa-Schlucht, der allerdings phasenweise zum nicht vollständig radelbaren Waldpfad mutiert. Für die Rückfahrt nehme ich daher die Loibl-Straße, die sich über einen Abzweig wenig unterhalb des unteren Tscheppaschlucht-Eingangs findet. Man kann die Tscheppa-Runde auch mit Bus gestalten – der ist im Ticketpreis inklusive. Man muss dann aber die Fahrtzeiten im Auge behalten. So gesehen ist man per pedes im Schnitt eher schneller. Der Weg zieht sich allerdings recht lang, bevor sich die Wasserwelten entfalten, zunächst flach. Dann steigt man über Stege und Treppe recht intensiv auf und teils auch wieder ab. Langsam nehmen die rauschenden Kaskaden zu, die schönsten Ensembles inklusive dem Tschaukofall warten dann am Ende und quasi direkt bei der Loibl-Passstraße.

Die unscheinbare Sensation für meine Forschungsreise ist aber ein andere, die sich gleich beim Eingangskiosk unten befindet und mir erst auf dem Rückweg ins Auge sprang. Sie erforderte sofortige Kontaktaufnahme mit der Green Devil, in diesem Zusammenhang sei auch auf die einleitenden Bemerkungen unter E.0 verwiesen.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Goldenes Bründl gefunden, nur noch wenige Taler in vermutlicher Staatskasse. In dunkler Ecke seltsames Skelett zu sehen, mit goldener Königskugel in den Handknochen, aber noch fest im Griff. Vermutung auf König und Kaiser Arnulf. Bründl-Staatskasse könnte aus Alt-Karantanien stammen, die glänzende, fast neuen Münzen könnten aber auch auf aktuelle Kärntner Bundeslandkasse verweisen. Leider keine sonstigen sachdienlichen Hinweise. Kioskfrau ist schon im Sandmännchen-Feierabend.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Fotografische Beweissicherung starten. Taler in Bründl belassen, da sonst Zukunft von Karantanien gefährdet. Interview mit König Arnulf versuchen!“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Nichtpersonale Beweissicherung ausgeführt. Interview nicht möglich – das Skelett spricht nicht. Aber empathisches Lichtzeichen aus Kugel registriert.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Auch gut. Klasse! Erweitere Bankomatenlizenz für Festessen heute Abend. Guten Appetit!“


Um keine Zeitverluste für das Festmahl zu erleiden, nutze ich für das Finalstück die Straße statt den Drau-Radweg. Es ist auch kein Fehler, denn das Rosental wiegt sich lieblich – im Gegenteil ist man am Drau-Radweg manchmal von den weiten Talsichten mit den Dörfern und Bauerhäusern, sogar von den Karawankenblicken durch zuviel Uferwaldgehölz abgeschnitten. Glitzernd liegt noch ein Badesee dazwischen, ähnlich einladend aber auch der Camping in Freistritz (mit Pool), ein Arrangement mit einem edlem Restaurant. Nach Angaben des Wirtes ergänzt sich die Kombi nicht unbedingt, der Campinggast sei doch nicht das Klientel des Restaurants. Das Geschäft laufe vor allem über die heimischen Stammgäste, die aber im Sommer selbst in Urlaub sind. Ohnehin, so meint er, würde der Drau-Radweg vom Land Kärnten zu wenig beworben. Das Engagement Kärntens für Radfahrer und Mountainbiker sei schlicht dürftig – da findet sich die Einschätzung des Hamburger Wanderpaares vom Goldeck wieder. Und, so lässt er mich weiter wissen, sei die Heutezeit auch von der Idee vom Leben mit verschiedenen Kulturen weiter entfernt als das Habsburger Reich. Das ist nun auch nicht die erste Ansicht dieser Art – offenbar weint man dem karantanischen Geist im heutigen Kärnten sehr nach, weil die Macht- und Verwaltungsträger der Neuzeit die selbstgenügsame Politik der Auserwählten betreibt.

Do 25.6. Freistritz/Rosental – Maria Elend – Mallenitzen – Oberferlach – Egg/Faaker See – Drobolach – via Radpiste Faaker See – Faak am See – Finkenstein – Susalitsch – Korpitsch – Radendorf – Wurzenpass (1071 m) Podkoren – via D2-Radweg/Adria Bike – Ratece – via D2 – Valico di Fusine Retece (1073 m) – via D2/FVG1a – Fusine (Locanda Mondi)
W: 14-23 °C, sonnig, später bewölkt, Luft weiterhin kühl
Ü: H Locanda Mondi 40 € mFr/mAE (ohne Rw)
AE (dito): Polenta m. Hackfleisch, Pasta m. Wildragout, Gebäck, Früchte-Fondue m. Schokosauce, Rotwein (**)
74 km | 11,2 km/h | 6:29 h | 1260 Hm

Die Drau-Stimmung verbreitet Momente der Ruhe. Für eine längere Passage scheint mir aber auch hier der Drau-Radweg weniger empfehlenswert – eingeschränkte Sicht, Kiesbelag und tatsächlich fehlen in den Orten vielfach Hinweise zum Drau-Radweg, sodass man Schwierigkeiten hat, zwischen der einsamen Flussroute und den Versorgungsmöglichkeiten der Dörfer zu pendeln. Ein Rosental ohne Rosenmuseum – das wäre ja fad. Was das Rosenmuseum bietet, bleibt aber hinter verschlossenen Toren geheim. Nach Frühstück und Proviantaufstockung in St. Jakob ergibt sich bald eine Radrouten-Abkürzung zum Faaker See, etwas Radweg, meist aber ruhige Nebenstraße. Organische Ortschaften sind am Faaker See nur schwer zu finden. Zwar gibt es Kirchlein und Kapellen, die Bebauung folgt jedoch Ferienhaus-kompatibel auf lose verteilten Privatgeländen. Um den Faaker See fotografieren zu können, hat man insgesamt maximal drei Positionen zur Wahl, wobei die einzige, die 10 m Breite überschreitet, am Südufer als Parkplatz an einem Bootssteg liegt. Die Ausblicke sind also so exklusiv, dass es mich wundert, dass es keine Fotogebühr zu entrichten gibt. Gleich bei Erreichen des Ostufers stoße ich auf einen Halli-Galli-Camping, der mit jedem italienischen Animations-Camping in Lautstärke und Kitschtrubel mithalten kann. Am idyllischen Nordufer – ich riskiere für ein Foto das Betreten einer Privatanlage – kann man als Tagesgast einen Seewellness-Arrangement mieten – es gibt für schlichte 18 Euro einen Liegestuhl, Meditationsmusik und sogar einen Blick auf den türkis schimmernden See! Mir fällt bald ein Wortspiel ein:

„Faaker See, ach du liebe Kacke
F-u-c-k that lake, meine Backe!“

Dem Spruch tut auch die Wander-/Radroute genüge auf der Westuferseite, das Ufer indes durch Wald und eine breiten Schilfgürtel auch nicht zu Fuß erreichbar ist. Selbst auf vermoosten Waldtrails kommt man noch vor dem Schilf in eine Sumpfzone, in der man als Moorleiche enden könnte. Der besagte Rundweg ist zum Radeln alles andere als schön. Durch den Wald bietet er keinerlei Aussicht wie die Ringstraße nur wenig weiter östlich auch. Man quält sich dabei über reichlich Wurzelwerk und Schottervarianten. Trotzdem lassen es sich Familien mit Leihrädern nicht nehmen, den Lobversprechungen der Tourismusprospekte gerecht zu werden und schneiden fröhliche Grimassen. Einen weiteren Seezugang könnte man sich ergattern, wenn man eine Einladung ins Bundesleistungssportzentrum erhält, dass per Stichstraße sich im südöstlichen Schilfgürtel etwas versteckt. Zwar fühle ich mich spontan den Auserwählten der österreichischen Elitekörper zugehörig, muss aber dann doch vor den Zäunen des Hochsicherheitstraktes kapitulieren, einen dort vorgelagerten Badesteg zu erreichen, wo einige wenige Badenixe ihre formschönen Kurven der Sonne zugeneigt haben. Alien, soviel ist klar, haben auch in Leistungssportzentren nichts zu suchen.

Nach einem Kurzgespräch mit einem Alpenpässeradler aus Österreich am Süduferblickpunkt finde ich etwas ermattet eine verwunschene Privateinfahrt zwischen Schilfrohren. Während ich an der abgeschlossen Holzpforte eingeschlafen bin, rappelt es bald in meinen Ohren. Der Eigentümer wollte mit seinem Auto rausfahren. Ungewöhnlicherweise krantelte er nicht, sondern beließ es bei einem freundlichen Lächeln, obwohl ich doch seinen Privatweg missbraucht hatte. Langsam aber drang die Seefeuchte sogar durch den befestigten Zufahrtsweg, sodass ich den Weg lieber auf dem Sattel fortsetzte. Die Wolken wurden nun bedrohlich, blieben aber ohne Lochbildung – selbst auf der slowenischen Seite, wo es schon mehr Schwarz als Grau wurde.

Der Waldtrail im Rahmen der Faaker-See-Runde hatte mich doch zuviel Zeit gekostet, die Alienmuskeln ob der Schwüle schlapp, wenngleich es merklich kühler wurde. So ließ ich die Runde über die Ruine Altfinkenstein ausfallen – einem reizvollen Panoramafestspielort, dessen Veranstaltungen aber ebenfalls zu späteren Sommerzeiten stattfinden. Die Körner brauchte es unbedingt noch für den Wurzenpass, eine doch recht heftige Rampe, die sich durch die relative Kürze etwas entspannter zeigte als ich es erwartet hatte. Eine slowenische Radlerin mit E-Bike pausierte in der Kehre vor der heftigsten Rampe – wie sie dann mir preis gab, wartete sie auf ihren Mann mit Auto, weil der Saft aus dem E-Bike raus war und aus den Muskeln wohl auch. Insofern bin ich meinem Commander speichen-08/15-kracher dankbar, dass er mir das E-Bike für die Radreise nicht aufgenötigt, sondern nur empfohlen hatte. Die Begeisterung auf der Green Devil war euphorisch, als ich berichten konnte, dass selbst ein Alienmuskel dem E-Bike noch immer überlegen sei. Über zukünftige Entwicklungen will ich natürlich nicht spekulieren.

Noch vor dem Wurzenpass folgte ich einer etwas entlegenen Dörferroute über Halbhöhen, die im Zeichen der slowenischen Minderheiten des Rosentals stehen. Die Dörfer haben einen sehr zurückhaltenden Charme, Orte großer Bescheidenheit, aber auch von freundlichen Bewohnern bevölkert – ganz wie man es in einem Ur-Karantanien erwarten würde. Die besondere Haltung dieser Region wird gestützt von dem Kärntner Abwehrkampf mit Volksabstimmung nach Ende des Ersten Weltkrieges, über die eine detaillierte Geschichtstafel informiert. In Südkärnten wollte man die Menschen selbst abstimmen lassen, zu welchem Land die jeweiligen Volksgruppen fortan gehören wollten. In einem aufgewühlten Diskussionsprozess entschieden sich bei 96 % Wahlbeteiligung auch die slowenischen Volksgruppen, im Bundesland Kärnten zu verbleiben und nicht dem neuen Jugoslawien zugehörig sein zu wollen. Das war nicht selbstverständlich – sah sich schon damals Kärnten einer großen Armut mit sehr unsicherer Perspektive gegenüber. „Das Ergebnis der Volksabstimmung war ein Erfolg der Bemühungen von Menschen unterschiedlicher Muttersprache, die in Kärnten und in der jungen Republik Österreich friedlich miteinander leben zu wollen“, heißt es dort abschließend. Vor diesem Hintergrund erhält der minderheitenfeindliche Schilderstreit der jüngeren Zeit eine noch größere Kopfschütteldimension, verdanken doch die heutigen Kärntner einen Teil der Fläche Südkärntens der multikulturellen Haltung ihrer slawischen Bevölkerung.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Schwerpunktforschung Carinthia mit positivem Karantanien-Geist abgeschlossen. Übertritt zu neuem Schwerpunkt Carniola mit Extremsteigung verbunden, an Grenze schweres Kriegsgerät vorhanden. Panzer aber außer Gefecht gesetzt. Gehobener Erschöpfungszustand.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Große Begeisterung. Gratuliere auch zur körperlichen Standfestigkeit. Langfristige meteorologische Prognoseperspektive erkennbar verbessert. Kurzfristige Einbrüche aber nicht ausgeschlossen. Für Nächtigung begrenzte Bankomatenlizenz erweitert.“


Die slowenische Seite lässt die Berge nun näher ranrücken, die Horizontlinien verändern sich. Während Karawanken und Karnische Alpen zur österreichischen Grenze hin ein Kammgebirge bilden – zwei langgetreckte, undurchdringlich erscheinende Felswandketten, so tauchen nun Ensembles von pittoresken Gipfeln und Zinken auf, die alle ihren eigenen Charakter haben. So sind die Julischen Alpen schon in ihrer Bergstruktur alpiner, aber auch in ihrer absoluten Höhe denen der nördlicheren Gebirgszüge überlegen. Der Alpenraum bekommt als höhentechnisch zwischen Tauernbarriere und seiner südlichsten Bergkette ein Art Delle, die Kärnten daher gerne als abgeschlossenen Kessel erscheinen lässt.

Typisch für die slowenische Seite sind zunächst mal weniger Verbotsschilder – das letzte Beeren- und Pilzsammelverbotsschild ist gerade noch auf der Kärntner Grenzseite am Wurzenpass aufgestellt. Die zweite Typik sind die Heuharfen mit ihren waagerechten Balken und kleinen Trockendächern darüber. Und schließlich überraschen die slowenischen Orte durch mehr k.u.k.-Architektur und geschlossene Ortskerne als man zuvor auf der Südkärntner Seite wahrnehmen konnte. Auch fallen beliebte Restaurants auf, der Zulauf ist größer als auf der Kärntner Seite und, wie mir die Herbergsfrau in Fusine später erklärt, auch belebter als auf italienischer Seite, wie viele Autokennzeichen untermauern. Die Ursache sei, so die Herbergsfrau erläuternd, ein vehementer Unterschied in den Steuern, der es den Slowenen ermöglicht, Essen deutlich günstiger als in Italien anzubieten. Qualität und Service sind dabei meist nicht schlechter, eher häufig noch besser. Der Vorteil beschränkt sich aber auf gut zugängliche Grenzorte, abseits der Hauptlinien wird auch das slowenische Geschäft deutlich schwieriger.

Das Stichtal Planica, vom Pässefahrer am Faaker See mir empfohlen, nicht zuletzt weil er sich als Skisprungfan bezeichnete, musste ich etwas wehmütig auslassen, machte es am Taleingang doch einen vielversprechenden Eindruck. Nach Fusine gelangt man auf recht edlen Radwegen, zur slowenischen Seite auf dem D-2, zugleich adria-bike, auf italienischer der FVG 1a, Zubringer zum CAAR, den man in Tarvisio erreicht. Es handelt sich um eine ehemalige Bahntrasse und man darf das ganze ohne Anstrengung absolvieren. Die Radinfrastruktur konkurriert über die Grenzen hinweg, Leihräder gibt es an der Strecke, Picknickeinrichtungen, Informationstafeln zu Flora und Fauna oder einen Irrgarten. Beliebt scheint die Route zu sein, zumindest bei Tagesradlern, trotz der trüben Witterung und späten Stunde begegne ich noch Rennradlern und Familien.

Bei Fusine nimmt man den Bogen Richtung der Seen (Laghi di Fusine oder Weißenfelser Seen). Dort ausgewiesen auch eine nagelneue Radlerherberge. Die Duschen sind noch ohne Vorhänge oder Scheiben, sodass das Bad schnell unter Wasser steht, auch die Heizungsanlage ist defekt, weswegen die Herberge demnächst nochmal geschlossen wird um die Mängel zu beseitigen. Es gibt einige hübsche Details, wie Zimmerschlüssel mit unterschiedlichen, lustigen Motiven oder die originellen Kunstteppiche. Ich erfahre, erst der zweite Radelgast zu sein – noch hat sich die Institution nicht rumgesprochen. Als Höhepunkt des Abendessens vermerke ich Früchte-Schokoladen-Fondue – im Baudurcheinander alles mit viel Liebe dargereicht. Am Morgen gibt es als Gastgeschenk ein binationales Erste-Hilfe-Set – mal was Praktisches für Radler. Lob für soviel Aufmerksamkeit! – hoffentlich geht’s weiter bergauf mit der Herberge.

Musik: Gustav Mahler komponierte in Maiernigg u. a. die Rückert-Lieder, dem von ihm geschätzten Dichter. Die Poesie ist für den Ort wie geschaffen – zu jeder Zeit.
Gustav Mahler/Friedrich Rückert „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ (6:35 min.), Elisabeth Schwarzkopf, Bruno Walter/Wiener Philharmoniker


Bildergalerie Kap. II (167 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 10.12.15 20:03

KAPITEL III
Slowenischer Gipfelmythos im Spiegel des Smaragdglanzes:
Die Faszination der Julischen Alpen rund um den Triglav-Nationalpark


Fr 26.6. Fusine (Locanda Mondi) – Laghi di Fusine (929 m) – Rifugio Zacchi (1380 m) – Fusine – Tarvisio – Cave del Predil – Lago del Predil – Passo del Predil (1156 m) – Mangart-Sattel (2072 m) – Log pod Magartom – Kal Korotnica – Lepena
W: 11-24 °C, weitgehend sonnig, gelegentliche Wolkenfelder, teils windig
Ü: C Klin 12 €
AE (dito): Gemüsesuppe, Spaghetti Bolognese, Salat, Eis, Rotwein 15,20 € (*)
84 km | 11,2 km/h | 7:26 h | 2185 Hm

Ich konnte mich glücklich schätzen, nicht abends noch den Weg zu den Seen und dem Rifugio Zacchi versucht zu haben, wo ich eigentlich die Bergübernachtung geplant hatte. Es spricht zwar nichts gegen eine Hüttenübernachtung dort in einem himmelayaischen Gebirgskessel, aber die Auffahrt dahin ist ein Großprojekt, einer der schwierigsten Herausforderungen auf der ganzen Reise insgesamt – und wie ich später einem slowenischen Radlerpaar etwas hilflos bedeutete, eine der schwierigsten meiner gesamten Radlerkarriere, weil sie mich danach fragten. Die Schwierigkeit besteht nicht allein in den Steigungswinkeln, die unten noch gemäßigt, oben aber überdurchschnittlich sind, sondern auch in dem recht lockeren Schotterbelag, der zwar Verschlammung verhindert, aber für eine Reiserad in den Steillagen fast unpassierbar ist.

Der Schotter beginnt nach der Schranke am zweiten Fusine-See – beides Augenperlen von gehobener Art – um nicht zu sagen, Träumeridylle von galaktischer Schönheit, wie man es dem Erdenball kaum zutrauen würde. Die Morgensonne veredelt den Eindruck um besinnliche Momente, noch fast ohne Gäste, die tagsüber auf die Parkplätze vorrücken. Der erste See bietet das prächtigere Farbspiel, was sich aber mit dem Winkel der Sonneneinstrahlung und der Tageszeit ändern kann. Die Kulisse des Mangartmassivs wurde von den Landschaftsmalern mit geübten, weiß gleißenden Horizontlinien zu einem Gesamtgemälde vervollkommnet, im Seespiegel sozusagen verdoppelt. Ich darf hier offensichtliche Sprachlosigkeit in unzureichende Worte der Irisbefreudung übersetzen, wohlwissend, dass ich die Lichtspiele so nicht in angemessener Form zu würdigen vermag. Auf der Green Devil wurden Raumanzüge und Logistikzettel in Luft und Faden zerrissen und von ausgelassenen Freudentänzen in vollkommener Nacktheit begleitet, als ich die Bilder präsentierte.

Ich erspare hier mir weitere Darstellungen der schweißtreibenden Kulissenfahrt zur Zacchi-Hütte, wo dem Himalaya-Feeling durch tibetanische Fähnchen schon fast unnötiger Nachdruck verliehen wird. Erdenmenschen können gleich ein paar Taler für ein weit entferntes Land – Tibet – spenden, offenbar ein lieb gewonnene Bergsteigerflucht des Betreibers. Wie der Auffahrt schon zu entnehmen, gestaltet sich auch die Abfahrt eher zeitintensiv. Die Restfahrt nach Tarvisio erledige ich ohne Radweg, zumal ich noch eine Proviantstelle suchte, ohne nach Tarvisio einfahren zu müssen, weil der nächste Abzweig vor dem Ort liegt, mit Blick auf den neuen Bahnhof Boscoverde.

Gemessen an bisher absolvierten Bergstraßen, nicht zuletzt die beiden innerhalb der letzten 18 Stunden, erwartet einen zum Lago de Predil eine Spazierfahrt. Der Fluss liegt weitgehend gut erreichbar neben der Straße, sodass sich auch mal eine Badegelegenheit ergibt. Am Predil-See gibt es ein paar beengte Badeplätze, andere sind wiederum schwieriger zugänglich. Cave de Predil ist geprägt von übermächtigen Bergwerksbauten – Zink und Blei fand man hier, haben nun Ruinen mit Museum hinterlassen, aber auch eine verarmte Restbevölkerung, der die ästhetische Restrukturierung des Ortes nicht gelingen will. Doch wozu hat man Berge hier, gleich eine ganze Galerie von Zuckerhutgipfeln oder den Raibler See, wie er zu Deutsch heißt. Sein Grün ist nochmal satter als das Smaragd der Laghi di Fusine, viele Tannen umgeben die Berghänge umher, die Uferflächen nach Westen flacher und ausgedehnter als an der steilen Ostkante.

Den See, so ist sagenhaft überliefert, verdankt der Ort dem geizigen und fremdenfeindlichen Verhalten seiner Ahnen. Demnach suchte eine Fremde mit Kind Unterkunft und ein Mahl. Sie wurde von den missgünstigen Bürgern abgewiesen, nur eine arme Frau auf einem Hügel gewährte Hilfe. Am nächsten Morgen war der Ort geflutet, alle Einwohner in dem See ertunken – nur die arme Frau mit ihre Hütte nicht. Man sagt auch, dass die Fremde die Heilige Maria mit ihrem Kind gewesen sei.

Eine kurze, nunmehr etwas anspruchsvollere Steigung führt an verfallenen Bunkerbauten vorbei zum Predil-Pass, nur noch bewirtet auf der slowenischen Seite. Ein erstes Panoramafenster öffnet sich in Richtung der Julischen Alpen, ist doch die Passauffahrt zuvor eher aussichtsarm. Ab Passhöhe bewege ich mich nun, wie im gesamten Kapitel, innerhalb oder auf der Grenze des Triglav-Nationalparks, zu dem ich gegen Ende des Folgekapitels nochmal – allerdings nur kurz – zurückkehre. Bovec und die Soca von dort abwärts sind nicht mehr Teil des Nationalparks, auch wenn der Bergblick in die Julischen Alpen natürlich erhalten bleibt und die Soca auch im mittleren Verlauf faszinierende Flussbahnen geschliffen hat.

Gleich wenig weiter folgen die nächsten Spuren der Kriege, die diese Berge mehrfach aushalten mussten. Ein überdimensionales Straßendenkmal wie auch ein versteckt darunter liegender Friedhof erinnert an eine Schlacht Napoleons, der hier österreichische Truppen 1809 niederschlug. So traurig der Einstieg, so erleuchtend beginnt nun das Fellini-Bergkino, einem Crescendo der Felskulissen, Serien von ausgehauenen naturbelassenen Steintunnels mit immer neuen ab- und auftauschende Perspektiven, – auch von Bergblumen, vor allem gelben, geschmückt und mit dem Grün von Bergwiesen und lieblich strähnigen Lärchengardinen manchmal dezent semitransparent abgehangen. Dieses Bergerlebnis heißt Mangart-Straße, die höchste slowenische Bergstraße, deren Passhöhe nur als Tangentialpunkt an einer Abbruchkante angefahren werden kann und daher nebst kleiner Schlussschleife eine Stichstraße darstellt. Fährt man in der Abendsonne, gibt es nur noch wenige Motorradler und autogene Sonnenuntergangssucher, die im Berg anzutreffen sind. Zwei Rennradler gesellen sich noch als Spätfahrer hinzu. Als ich abfahre, ist der Berg komplett leer, nur noch oben sind ein paar Leute verblieben.

Der Mangart-Berg spielt immer wieder in allen Variationen im Auge, während die Alienmuskel alle Kräfte mobilisieren müssen, den Steigungen zu trotzen. Dennoch sei angemerkt, dass unten stehende martialische Steigungswerte von über 20 % sich auf die ehemalige Trasse der Militärstraße beziehen. Nach dem Neubau findet man weitgehend gleichmäßig anspruchsvolle Steigungen vor, die etwa dem Niveau der Glocknerstraße entsprechen. Der oberste Teil war gesperrt ausgewiesen – wegen Steinschlags. Die leicht rötliche Felswand, die wohl gemeint war, wähnte ich aber als recht zahm, zurzeit nicht willens, größere Brocken abzuwerfen. Während die tschechische Motorradgruppe also unter 2000 m abdrehte, komplettierte ich die Auffahrt ungeachtet der halbherzigen Sperrung, sowie einige Slowenen mit Auto auch die Warnung nicht sehr ernst nahmen. Der oberste Teil mit der einbahngelenkten Schleife ist etwas weniger eindrucksvoll, da nur noch Bergwiese mit dem Mangartgipfel offen liegen – nun nicht mehr in den Perspektiven variiert. Von der Scharte oben blickt man auf Laghi di Fusine herunter, hier oben nur noch zwei bescheidene Tümpel ohne den Glanz, den man unten vor Ort erfährt. Die Verbindung zu den Seen kann man nur per Wanderstiefel herstellen, wobei es sich wohl um eine anspruchsvolle Bergtour handeln wird.

Die schnelle Abfahrt wird jäh gebremst, wenn man nicht nach Bovec möchte, sondern Richtung obere Soca. Dafür muss man Gegenanstiege einplanen. Man passiert zunächst den recht schön gelegenen Bergort Log Pod Mangartom, oberhalb Bovec die Festung Kluze, sichtbares Zeichen der Frontposition zu Zeiten der Isonzofront. Ich befinde mich schon im Bereich der Blauen Stunde, lasse ein schönes Terrassenrestaurant in Kal Koritnica aus, um noch Lepena zu erreichen. Dort muss man die Brücke überqueren und noch ein Stück ins Lepena-Tal reinfahren, um den beliebten Camping mit Pension und Restaurant zu finden. Um 21:30 Uhr gibt es allerdings auch hier nur noch Topfreste.

Sa 27.6. Lepena – Klementa Juga (700 m) – Krnsko jezero (1389m, Wanderung, ca. 6 h, anschl. Gewitterpause ca. 2 h) – Klementa Juga – Lepena – Soca – Trenta
W: weitgehend bewölkt, nachmittags Gewitter
Ü: C Trenta 10 €
ME (Planina dom pri Krnskih jezero): Gulasch, Polenta, Radler >13 €
AE (dito): Pizza Capricciosa, Rotwein 10 € (*)
27 km | 10,1 km/h | 2:36 h | 595 Hm

Das Lepena-Tal bietet einige Wandermöglichkeiten und ein paar kleine versteckte Orte, wie etwa einen Wasserfall, ein Kapelle. Von der Straße ist das Tal mittelprächtig. Der eigentliche Sinn der Anfahrt dient dem beliebten Wandergebiet weit höher. Zum Klementa-Berggasthof gibt es steile Passagen, sodass man schon etwas abgekämpft den Parkplatz erreicht, wo sich viele Wanderer einfinden. Der Umbau vom Radler zum Wanderer ist nicht ganz einfach, zumal die Radschuhe auch regensicher abgelegt werden wollen. Zumindest ist dem Wolkenbilde nicht ganz zu trauen.

Der Slowene ist ein Wandermensch, sagen wir besser ein Rennwanderer. Egal ob mit oder ohne Stöcke, sie rauschen am Schwachfuß-Alien wie Schmauchspuren vorbei. Herunter springen sie wie Steinböcke als bräuchten sie keinen Halt. Ich spekulierte auch darüber, ob Gustav Mahler eine slowenische Abstammung haben könnte, da doch Ähnliches von ihm überliefert ist (vgl. Kap. zuvor). Immer wenn eine größere Gruppe nahte, meinte ich, eine Feuerwalze würde auf mich zurollen. Doch handelt es sich hier nicht um einen Vulkanberg – die Sorge also unberechtigt. Von diesen Rennwanderern scheint es in Slowenien mehr zu geben als das Land Einwohner hat. In jedem Fall hatte ich bergauf wie bergrunter kaum Momente ohne stampfende Lawinengeräusche.

Auf- und Abstieg sind aber aus meiner Alien-Fußperspektive als sehr anstrengend zu bezeichnen, wobei es vielleicht weniger die Wegequalität ist als die Steilheit des Geländes. Auch bietet in diesen Teilen die Wanderung wenig Abwechslung – es ist schlichter Laubwald, der keinerlei Ausblicke zulässt. Auch darf man keine Wasserstellen erwarten, nicht einmal auf der Hochebene oben – nur bei der Almhütte kann man sich versorgen. Kommt man aus dem dichten Wald heraus, hat man eine Art Hochebene erreicht, die natürlich nicht eben ist. Vielmehr geht es auf und ab durch einen aufgelockerten Bergwald, mit Tannen, karstig muldigen Wiesenflächen und Blumen, derer aber eher weniger. Die Hochebene ist von einem recht schottrigen, dafür wetterstabilen, doppelt gespurten Weg durchzogen, wobei er eine verzweigte Schleife macht, um zusätzlich zur Alm auch noch einen weiteren Bauernhof zu erschließen. Auf diesem Weg verkehrt zur Versorgung ein etwas seltsames Fahrgerät, das geringe Ähnlichkeiten mit einem Traktor hat und auf der Strecke der Bergschrittgeschwindigkeit der Slowenen gnadenlos unterlegen ist. Die Versorgungsgüter werden per Lastseilbahn von dem unteren Berggasthof zum oberen Punkt am Beginn der Hochebene (Waldausgang) heraufgezogen, Abfälle entsprechend heruntergezogen.

Zwar ist hier die Wanderumgebung schon schöner, große Ausblicke sind aber immer noch nicht möglich. Die Almhütte bietet einfache Kost, nicht unbedingt gut zubereitet, wie man es einem Hüttenklischee gerne zuordnen würde. Der Gulasch ist eher dünne Suppe, in der sich drei Fleischstücke verirrt haben. Auch fehlen ein paar Landgetränke wie frische Buttermilch – Bier und Softgetränke dominieren hier unsinnig. Man kann auf der Alm auch übernachten. Beliebt sind bei den slowenischen Rennwanderern Hüttenstempel, mit denen man Bergleistungsbücher füllt. Der Eindruck schien mir, dass es geradezu eine rasende Sucht auf das Sammeln von Stempeln gibt, was den Wanderstil untermauert. Nicht umsonst aber heißt es ja, dass jeder Slowene einmal auf dem Triglav gewesen sein muss. Wandern ist also patriotische Passion. Die eigentliche Schönheit der Wanderung entblättert sich spät, erst jenseits der Almhütte – nun schmaler Pfad. Der Krnsko jezero öffnet sein Gewand schließlich erst am Rande seines engen Bergkessels, in dem er versteckt liegt. Zur einen Seite gelbes Geblüh, zur anderen überwiegend das Pastellrot der Alpenrosen. Es hätte der Schönheit des Ortes nicht geschadet, wenn die Sonne auch einen Blick drauf geworfen hätte – das versagte sie aber aschfahl. Ein Zauber aber blieb über dem See hängen.

Zurück unten, die Wanderung schon länger als geplant, riss die Dichtungsmasse der Wolkendecke und ein heftiges Gewitter überschüttete den Ort. Auf der überdachten Terrasse des Gasthofs traf ich bei Gipfeli und Capuccino auf ein slowenisches Paar – Antonia und Peter –, das mit Mountainbikes ebenfalls vom Camping Klin (mit Campingbus unterwegs) zwar angefahren war, um gleichermaßen die Wanderung anzugehen, musste diese aber aufgrund des nun zusammengeschrumpften Zeitfensters ausfallen lassen. Sie sind durchaus auch erfahrene Radler, fragen mich nach schwierigsten Bergen, die ich gefahren bin, wollen wissen, welches Bild ich von Slowenen habe. Ich erwähne, dass mir die kurzen, fast mechanisch rausgeschmetterten Grußformeln aufgefallen sind „Dan“ (statt „Dobar dan“), ein kaum vernehmbarer Vokallaut. Man denke im Gegensatz dazu an die lautmalerisch ausgeschmückten Grußformeln „Buon giorno“ oder „Bon jour“ der Italiener und Franzosen. Darin schwingt etwas mit, was auch sonst den Slowenen oft auszeichnet: Er ist im Erstkontakt sehr reserviert, zurückhaltend, dafür in der Begegnung unkompliziert, freisinnig, keine erhobenen Zeigefinger, kein Moralpolizist oder Hobbysheriff – keine Verbotsschilder.

Die leichte Aufklarung, später auch noch Abendsonne, bei allerdings kühlen Temperaturen, lässt nur noch wenig zu. Wäre ich nach Regenende mit Leistungstempo losgefahren ohne zu fotografieren, hätte ich trotz der fortgeschrittenen Zeit immer noch Kranjska Gora erreichen können. Doch was wäre dieser Ritt wert, kehre ich doch zur Soca zurück, ums sie intensiver zu erleben als vor Jahren, als mich ebenfalls ein Gewitter den Berg herunter trieb, um Bovec „just in time“ vor dem Wolkenbruch zu erreichen? Schon die Lepenjica zeigt unter den aufdampfenden Nebelwolken Smaragdfarben und Soca-Forellen, eine spezielle, durch den Ersten Weltkrieg blutig ausgemerzte, jetzt wieder zurückgebrachte Spezies (Salmomarmoratus) mit größerem Flossenkörper und marmorierter Schuppenstruktur gegenüber der gewöhnlichen Forelle.

Die Farbe der Soca, zwischen Smaragdgrün und Türkisblau wechselnd, leuchtet auch deswegen ohne große Lichteinstrahlung, weil die Farbe sich aus Mikropartikeln im Fluss ergeben. Die blauen Tongebungen entstehen durch kleine Kalkschwebeteilchen, daher häufiger in schluchtigen oder steinigen Fließabschnitten, auch den kräftiger wallenden wie in der oberen Soca. Die grünen Schattierungen rufen Algen hervor, die sich lieber in stillen, ruhigen Flussteilen vermehren und ausbreiten können. Das Blau mutet schon oft karibisch an – allein die Wassertemperatur kann nicht mithalten, Fühlversuche sagen mir: „Soca ist kalt“.

Die vielleicht bedeutendste Schluchtpassage der Soca ist die Velika korita, gleich bei bzw. oberhalb der Einmündung der Lepenjica. Die Enge der Felsen ist kaum einsehbar, nur schwierig lassen sich Fotos vom Trockenen aus machen. Diese Schluchtkanäle schwanken in der Wasserhöhe gewaltig und erreichen 10 m Tiefe in Trockenzeiten. Bei starken Regenfällen oder viel Schmelzwasser können die Schluchten sich bis zum Rande füllen und gar überlaufen, sodass die Schlucht ganz im Wasser verschwindet. Die Stimmungen sind so vielfältig und bezaubernd, dass ich nicht voran komme. Ein slowenisches Radreisepaar überholt mich immer wieder, irgendwann sind sie außer Sichtweite. Trotzdem finde ich sie später auf dem Trenta-Camping wieder.

Bis Trenta (Ort) ist der Verlauf der Straße zahm, Steigungen sind nur unmerklich. Zwischen Trenta-Ort und Trenta-Camping liegt bereits ein steiler Hügel, den man zur Umfahrung der Soca-Schleife benötigt. Danach beginnt dann der fortlaufende Anstieg zum Vrsic-Pass. Obwohl die Gegend nur spärlich besiedelt ist, finden sich sowohl vor Trenta als auch eben danach jeweils ein Camping, weitere Unterkunftsmöglichkeiten kommen hinzu, auch noch weiter oben, in Richtung und an der Soca-Quelle direkt, dort auch mit Restauration. Eine letzte Eigenversorgungsmöglichkeit liefert ein Tante-Emma-Laden in Trenta (Ort), der Lokalprodukte anbietet wie Käse und Joghurt, wie auch ein Landgasthof zuvor in Soca (Ort) (an einem weiteren Seitental, mit Campingplatz).

So 28.6. Trenta – Izvir Soce (Wanderung, ca. 0,5 h) – Vrsic (1611 m) – Kranjska Gora – via D-2 – Mojstrana – Pericnik slap (Wanderung, ca. 0,5 h) – Mojstrana
W: 11-22 °C, sonnig, gegen abends zunehmend bewölkt, teils windig
Ü: JH Jozlnu 13,30 € oFr
AE (Pizzeria): Pizza m. Krainerwurst, Rotwein 9,50 € (**)
54 km | 10,7 km/h | 4:59 h | 1230 Hm

Die Kälte des Morgens lässt meine Alienmuskeln nur langsam warm werden. Wieder ist das Slowenenpaar eilig davon. Der Abstecher zur Soca-Quelle ist durchaus lohnend, wenngleich man vom Gasthof, wo auch Honigprodukte verkauft werden, einen nicht ungefährlichen Felssteig absolvieren muss. Die Soca-Quelle bricht hier als Wasserfall aus dem Fels. Eindrucksvoll zur Seite das Panorama in das Hochtal Zadnja Trenta, von mehreren Zweitausendern eingerahmt. In das Tal kann man noch weiter reinfahren, eine eher mäßig ansteigende Piste, deren fahrbares Ende ich aber nicht abschließend erkunde. Auch ist das Tal mit einigen Weilern noch bewohnt, die Kulisse schlicht großartig.

Zurück an der Vrsic-Straße, erhebt sich in einer Kehre die Skulptur von Roland Kugy, den Alpinisten, der die Julischen Alpen erkundete und bekannt machte, den Alpen-Adria-Gedanken als Multisprachtalent neu belebte. Nach weiteren Panoramablicken folgt ein Nadelwaldintermezzo; holländische Reisradler stehen in einer Kehre am Ende ihrer Kräfte. Erneut Mahnmale zur Frontlinie im Ersten Weltkrieg, dort eine elegante Aussichtsplattform, die nun Zadnja Trenta ganz von oben zeigt, die Gipfel hier alle nachzulesen – ein gleißendes Berglicht, das den Betrachter blendet mit alpiner Schönheit, wie sie selten dargereicht wird. Ein paar Bayern mit Auto lästern über die Höhenangaben der Gipfel: „Bei uns sind die Berge höher, – aber schön sind sie auch.“ Man muss von bayerischem Understatement sprechen, denn die adäquaten Dekorationsbeschreibungen des Alien versagen hier im Kniefall galaktischer Demut.

Es ist ein Sonntag mit Sonne – ein Ausflugstag erster Ordnung, dem viele gefolgt sind. Gegen Passhöhe verdichten sich parkende Autos zu den Seiten, auch die Rennradlerkonzentration nimmt deutlich zu, jeder möchte sich mit den Bergkulissen in ein besseres Licht rücken. Auf einem steilen Geröllhang sieht man ein seltsames Tier in rauschender Geschwindigkeit herunterlaufen – es ist ein Mensch, ein Proficlimber, einer der slowenischen Bergstiefelkaste, die sich in der Fast-Senkrechten des Felsens bewegen als würden sie schwebende Walzerkreise tanzen. Nein, es ist nicht nur ein junger Bursche, eine Frau tut es ihm gleich.

Da der Berggasthof ziemlich belagert erscheint, nehme ich erstmal Abwärtskurs – die immer noch zu guten Teilen gepflasterte Nordrampe. Die Felskulissen rücken hier näher auf, das Tal schmaler, majestätisch begleiten sie den Kehrenkorso. Die Lärchengardinen sind hier besonders ausgeprägt, Malgedichte aus Licht und Grün. Auch manche Blumenwiese mehr als auf der Südseite. Einkehr bei einem Gasthof noch weit oben, Traumaussicht. In mancher Kehre verfallene Militärbunker – man kann hier auch seltsame Sonnenplätze einrichten – wenn man wollte, auch nachts ein Zelt aufstellen.Und noch mehrere Almgasthöfe liegen an der Straße. Die russische Kapelle, den Opfern russischer Bergarbeiter gewidmet, die als Kriegsgefangene für den Bau der Straße herangezogen wurden, wurde nunmehr schön renoviert – ein Kleinod mitten in einer Waldkehre – ein Kapelle, ohne Gebetsraum innen, nur ein Ansichtsexemplar – ein Mahnmal, schon fast zu schön dafür.

Unten in Kranjska Gora übermannt mich große Hitze, immerhin auch noch über 800 m hoch gelegen. Der Steinbock vor der Alpenkulisse grüßt mich als Wiederkehrer nach 12 Jahren, alte Fotos verweisen auf 110 Tourismusverband Kranjska Gora, was sich allerdings bereits auf 2014 bezieht. Das Städtchen ist kompakt, die Häuser gepflegt renoviert, k.u.k.-Leben findet auch in den Cafés statt – Apfelstrudel und Torten österreichischer Provenienz werden als die besten ihrer Art angepriesen. Ein Drehkreuz von Radlern, mischen sich unter die Sportradler auch viele Familienradler, sodann fortführend auf dem D-2. Sowohl die besseren Gasthöfe in der Stadt wie auch neue Radlertankstellen außerhalb umwerben den Pedaleur, Spielanlagen für Kinder inklusive.

Die Flachstrecke ist schnell gequert, aber die Zeit nun auch vorangeschritten. In Mojstrana versuche ich mich noch am Stichtal Vrata, ohne es allerdings auszufahren (gute Piste, anfangs Asphalt). Auf den Bergkesselblick, der am Ende versprochen wird, muss ich bei Steigungswerten von 25 % doch verzichten, zu sehr liegt mir am gesicherten Abendmahl. Die bewirtete Hütte beim Wasserfall Pericnik ist nur ein Tageslokal und auch Ende des Tales wartet meiner Kenntnis nach nur eine Übernachtungshütte ohne Versorgung. In Mojstrana besuche ich die einzige Jugendherberge dieser Reise (direkt gegenüber Bergsteigermuseum), als einziger Gast, nicht teurer als ein Campingplatz (wäre 2 km entfernt gewesen), mit kleiner Bar. Ihr Verdienst, so die Wirtin, liege eher bei den einheimischen Tagesgästen, die dort ein paar Bier trinken oder morgens einen Kaffee (Capuccino 1 €). In der Pizzeria sind die Fladen von den Ausmaßen planetarer Untertassen, dabei gelingt sogar die Brücke zu geschmacklich hoher Qualität. Ein Supermarkt (geöffnet morgens ab 7 Uhr) ist bei der Pizzeria gleich um die Ecke, für lange einzige gesicherte Proviantquelle.

Mo 29.6. Mojstrana – Kosmacev preval (847 m) – Radovna – Krnica – Zatrnik – Mrzli Studenec (1213 m) – Veliko Beljsko barje – Mrzli Studenec – Goreljek – Podjelje – Jereka – Studor – Stara Fuzina – Ribcev Laz – Ukanc – Dom pri Savici – Slap Savica (Wanderung, ca. 0,5 h) – Ukanc
W: 16-20 °C, bewölkt, abends heiter, windig, Fühltemp. niedrig, am See milder
Ü: C Bohinj 10 €
AE (R Don Andro): Beefsteak m. Steinpilzen & Pfifferlingen, Pommes, Vanilletorte m. Schokosauce & Sahne, Rotwein 23,90 € (****)
B: Slap Savica 2,50 €
64 km | 11,4 km/h | 5:33 h | 1170 Hm

Das Radovna-Tal bietet ein ruhige Route durch Bärengebiet, um von Mojstrana nach Bled zu gelangen, während man weiter über den D-2 und mit Jesenice in eine industrialisierte Gegend gelangen würde. Mein Ziel ist zwar nicht Bled, aber weite Teile der Strecke sind identisch (bis Krnica). Zunächst überwindet man ein kurzen, aber kräftigen Pass, erreicht dann eine größere Weideebene mit riesigen Heuharfen und einem Weiler, wo auch ein Gasthof mit Bauernbetrieb liegt (Gostilna Psnak, Zimmervermietung unklar, Zeltaufstellen in der Wiesenebene aber gut möglich, Bauernhausmuseum unweit, aber nicht besucht),. Das Personal winkt mir freundlich zu – karantanische Alienfreunde. Gleich zwei weitere Stichtäler führen hier Richtung Triglav-Massiv – Kot und Krma. Das Radovna-Tal hingegen gleitet nun leicht flussabwärts (meist Feuchtwald, urwüchsig, auch ein paar Wiesen) – der Asphalt endet bei dem Hof, aber die Piste ist einfach zu fahren und sehr gut gewalzt. Es kann vorkommen, dass vereinzelte Holzlaster Staub aufwirbeln. Sonst gibt es nur selten Besiedlung, im unteren Teil mit ein paar Einzelhäusern mehr kehrt der Asphalt zurück. Dort findet sich auch ein kleiner Flussstrand mit Picknickwiese und man kann die spezielle Flora der Auenlandschaft studieren.

Radovna hat einen wohl noch bewohnten Weiler, der ursprüngliche Ort erlebte jedoch ein schweres Schicksal. Die deutschen Besatzer brannten im Rahmen eines Streites um ein Gefangenen der Partisanen 1941 quasi das ganze Dorf (12 Häuser) nieder und ermordeten so 24 Menschen. Offenbar fand so nie wieder eine größere Besiedlung zurück. Karantanien wurde hier von der Geisel des Faschismus hart getroffen. Ein trauriger Moment meiner Reise, der mir ein paar Tränen in die Augen trieb. Das Mahnmal liegt direkt an der Straße, wie auch andere Besonderheiten des Tales, etwa eine alte Mühle, die bis in die 1970er Jahre in Betrieb, aber nur in Zeiten mit viel Wasser arbeiten konnte, also nach der Schneeschmelze oder bei starken Regenfällen im Herbst. Alle Besonderheiten des Tales sind mit Info-Tafeln ausgewiesen, auch die Radweginfo am unteren Taleintritt in Krnica ist launig gestaltet. Das Maskottchen des Radovna-Radweges ist das Fahrrad Srecko. Es soll ein Sonnenrad darstellen, von dem die Einheimischen glaubten, dass es Glück bringt.

Von dem Stauwehr der Radovna unten gelangt man über einen Siedlungsberg zu einer stärker besiedelten Save-Ebene etwas erhöht, die sich weithin nach Osten zieht, die in der Ferne im Dunst wieder von der Bergkette der Karawanken und Steiner Alpen begrenzt wird, der Bled-See ist durch Hügel verdeckt. Unscheinbar taucht die Straße zur Pokljuka-Hochebene im Wald ab, der viel zu Forstzwecken genutzt wird. Die Steigung ist aber markant, nach einer kurzen Erholungsphase beim Gasthof Zatrnik (weniger später ein weiterer) folgt ein zweiter Rampenschub, der erst spät zur Hochebene hin mit der Kreuzung Mrzli Studenec abebbt. Bei Zatrnik hat man noch eine Möglichkeit zu einer Wanderung hinunter zur Schlucht Poljesko soteska, die man aber auch unten von Krnica ansteuern könnte. Die Düsternis des Tages motivierte mich aber zu keiner Exkursion in noch schattigere Orte.

Auf der Hochebene, die größte in den Julischen Alpen, lässt sich recht einfach radeln, die Landschaft erinnert an Fichtenwälder im Schwarzwald, nicht unähnlich dazu auch das Hochmoor Veliko Beljsko barje, welches an der Strecke nach Gorjuse und weiter nach Bohinjska liegt, die man auch als Alternative zu meiner Route fahren kann, aber schattiger, waldreicher ohne die Almweiden ist. Ich habe hier nur das Moorgebiet untersucht und bin zur Kreuzung Mrzli Studenec zurück. Die größeren Sumpfflächen, mit den niederen Moorkieferkränzen, den weißen Wollgrasflocken, den violetten Hyazinthen und anderer Moorflora erreicht man nur per kleiner Exkursion von diesem Straßenteil aus, das Moorgebiet überblickt man von einem Jägerhochstand. Auf der Strecke zum Sporthotel Pokljuka sind die Waldböden trocken und leicht verkarstet, teils von größeren gelben Blumenteppichen überzogen. Die Kühe weiden hier ungewöhnlich mitten im Schattenwald. Beim nächsten Abzweig kann man noch weiter nach Westen auf der Straße zum Biathlonzentrum Rudno Polje radeln, was ich aber wegen der einseitigen Flora ausschlug. Auf Piste kann man Rudno Polje auch via Rundkurs von Mrzli Studenec erreichen.

Gleich zwei eher hochpreisige Hotels sind an der Strecke entstanden, mehr wegen des Wintertourismus als für rare Sommergäste – neben dem größeren, klotzigen Sporthotel auch das Hotel Jereka mit einer eigenen, filigraneren Holzarchitektur und Giebeldach. Mindestens eine weitere Almgaststätte wartet hier in einer recht dichten Ansammlung von traditionellen Almhütten, die zu guten Teilen als beliebte Ferienwohnungen vermietet werden. In mehreren Schwüngen öffnen sich die Blicke weiter nach Süden, die Almhütten verteilen sich dann weitläufiger und die Weide- oder Wiesenflächen werden größer. Die agrarische Almwirtschaft scheint aber sehr auf dem Rückzug, und wie mir der Deutsch sprechende Slowene in Srednja Vas mitteilte, sei das Geschäft mit den Ferienwohnungen durchaus lohnend – ganz im Gegensatz zum Hotelgeschäft.

Das Almgebiet ist ziemlich verästelt und verwirrend erschlossen, die Hauptrouten aber ausreichend gut markiert. Gesichert asphaltiert sind in jedem Fall die Varianten über Koprivnik oder Podjelje. Es ist auch denkbar, über Pisten Podjelje oder Sredja Vas von Rudno Polje aus zu erreichen – allerdings nicht geprüft. Neben den zahlreichen Ferienwohnungen verstecken sich auch einige Bauern-Gasthöfe im Gebiet, etwa Gorjup bei Podjelje, der mal auf meiner Unterkunftsliste stand, aber sich durch die veränderte Etappensequenz nun nicht als Zwischenstopp eignete. Ein Schokoladenhaus (Gasliski Dom Andreja) in Bohinjska Cesnjica überrascht meine süßherbe Zunge. Abseits aller größeren Touristenströme versucht hier ein Slowene seit einem Jahr sein Glück mit erlesenen Spezialitäten um die Kakaobohne. Das Angebot reicht von einigen Pralinen und Schokoladen aus Belgien bis zu Eigenkreationen wie Schokoladentrüffel mit Käse oder der vorzüglichen Schokotorte, mit sehr gutem Espresso einzunehmen in dem kleinen Caféraum innen oder draußen. Wie Andreja meint, sei das Geschäft ungewiss, er denkt natürlich auch über eine Geschäftsverlegung nach Bohinjska Bistrica nach.

Spätestens mit der Schokotorte ergriff mich der Zauber des Müßiggangs. Ich suchte weitere Gespräche und entschleunigte meinen Alienkörper mit einem Abendbad am Bohinjsko jezero (Wocheiner See), der zu allen Uferseiten immer wieder Zugänge erlaubt. Der See ist sehr beliebt, eine historische Touristenhochburg schon seit vielen Jahrzehnten, hat aber immer seinen idyllischen Charme bewahrt. In den umliegenden Orten wie Srednja Vas, Studor oder Stara Fuzina finden sich einladende Gasthöfe, nichts ist überlaufen. Erst wenn man Ribcev Laz genauer schaut, finden sich touristische Konzentrationen, auch ein Hauch Luxus für die Nachfahren des Habsburger Kaiserbürgertums ist vorhanden. Doch auch hier ist das Baden der Nixe an der Brücke, die den Seeausgang begrenzt, noch angenehm unverkrampft, wie auch der ganze See seine Natürlichkeit bewahrt hat. Gelegentlich stehen Bänke an natürlich wirkenden Kiesufern, Dixie-Klos sind ohne kommerzielle Hintergedanken immer dort platziert, wo man tagsüber mehr Badegäste vermuten kann. Unweigerlich ertappe ich mich bei der Wortsuche. Wenn der Weissensee zu Kärnten der so apostrophierte „Supersee“ sein soll, welches Attribut müsste man dann hier vergeben?

Über den See wacht die Gams mit den golden Hörnern im Angesicht der Bergkulisse, der Sage über den Zlatorog nachempfunden (unecht in Kranjska Gora ein Steinbock). Demnach suchte ein Jäger das Herz einer Geliebten zu erobern, der bald nicht mehr Blumen als Geschenk genügten und die nach Gold verlangte. Der Jäger nahm entgegen mehrfacher Warnungen der Bergfeen den Zlatorog, einer weißen Gams mit Goldhörnern, ins Zielvisier. Beim Schuss auf den Zlatorog verwandelte sich die Gams in eine Blume, aus der sie wieder zu Leben erweckte. Der Jäger, so überrascht von der Gams gestellt, stürzte den Berg hinunter, die Feen verließen die lieblichen Gärten und alles verwandelte sich als Fels am Triglav. Der Jäger ward spät tot gefunden, nach einer Variante in der Soca mit einem Blumenstrauß in der Hand. (vgl. u. a. Wilhelm Kuehs, S. 33 ff.)

Selbst an der Süduferstraße finden sich nur wenige Gebäude, etwa zur Mitte ein Jugendhotel mit Kamp, auch ein Kirche. In Ukanc liegen die Häuser bereits jenseits des Campings, der zuvorderst naturbelassen Waldplätze mit Kiesufer anbietet. Die aufgeräumten, besseren Plätze sind teuer, aber weniger schön – wie mir die Campingwärterin flüsternd erklärt. Der Camping ist professionell strukturiert, ein Pizzarestaurant anbei. Neben Paddeltouristen fallen Bergwanderer auf – schließlich liegt hier mit dem Siebenseental der attraktivste, wenngleich nicht einfache Aufstieg zum Triglav. Eigentlich braucht man hier also mehrere Tage, alles zu erkunden, wie auch eine Wanderung am Nordufer lohnenswert wäre – von Einheimischen nicht zum Radeln empfohlen, weil steinig und wurzelig. (Hinweis: in der u. a. Bildergalerie sind auch Seestimmungen des folgenden Morgens festgehalten, das neue Kapitel beginnt also mit dem Seeende im Osten, zugleich Ende des Nationalparks Triglav).

Bevor ich zum Camping fahre, finde ich wieder Spuren des Krieges. Ein Soldatenfriedhof huldigt den Toten verschiedener Nationen – Österreicher, Ungarn oder Russen – einige Kreuze sind Namenlosen gewidmet – für ein Leben ohne Spuren, nur zur Mahnung. Aus dem Brunnen sprudelt anbei Wasser – Wasser der Savica, die den See speist. Da heißt es kontrastierend „Quell des Lebens“ – ewig fließt er an den Toten vorbei. Es scheint doch so, als sei das Leben stärker als der Tod.

Die Straße folgt nicht ganz treu der Savica, der Anstieg ist erschwert durch ein Auf und Ab. Am Parkplatz vor dem Eingang zum Savica-Wasserfall befindet sich nochmal eine Gasthütte, wo sich Bergfreunde einer spiritistischen Sitzung hingeben. Noch ist das Kassenhäuschen geöffnet. Den Wasserfall erreicht man über zahlreiche Stufen, durch Laubwald. Der Savica-Fall entwässert die o. a. Triglav-Seen, der Strahl gleitet in mehreren Halbstufen über den Fels, aufgefangen von einem grün leuchtendem Becken. Die Dämmerung trübt die Sicht bereits ein, der Weg zur Basis ist abgesperrt. Vom Aussichtsplateau geht der Blick hinüber zum See, die Berge hinauf und den Mond, der die Nacht verkündet. Wie ein Wachposten liegt auf dem Vogel, ein durch Bergbahnen gut erschlossener Berg, ein Hotel.

Musik: Die slowenische Band Katalena hat sich der folkloren Traditionen ihres Landes angenommen und sie mit Rock, Pop oder Jazz gemischt, modernisiert und erfrischend erweitert: Katalena: Dez (10:21 min.)

Bildergalerie Kap. III (153 Fotos):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 10.12.15 21:17

KAPITEL IV
Die facettenreiche Poesie des Oberkrainer Voralpenlandes:
Stadt-Land-Fluss-Perlen in Jelovica, Skofjelsko Hribovje & Tolminske


Di 30.6. Ukanc – Ribcev Laz – Bohinjska Bistrica – Rovtarica – Raztovka (1122 m) – Drazgose – Podblica – Log – Kranj – Skofia Loka
W: bis ca. 24 °C, sonnig oder heiter, windig
Ü: H Turizem Loka 30 € mFr (normal 50 €)
AE (Gostilna Kasca): Pilzsuppe, slow. Ravioli m. Kart.füllung u. Gorgonzolasauce, Käsekuchen m. Blaubeeren & Erdbeersauce, Rotwein 23,90 € (****)
81 km | 13,0 km/h | 6:07 h | 1025 Hm

Nach den mystischen Stimmungen am See, vom sich langsam auflösenden Nebel inszeniert, verstärkt in Ribcev Lav eine Open-Air-Fotoausstellung die Naturstimmungen. Bohinjska Bistrica liegt schon eine recht weit vom See entfernt. Trotzdem ist es auch noch Touristenzentrum für den See und die Berge umher. Mehr aber ist die Stadt auch ein lokales Wirtschaftszentrum, sodass in den Cafés auch viele Einheimische den Tag einläuten. Ein kleines Geschäft bietet spezielles Handwerk der Region an. Viele Dinge sind der Dekoration des Heims gewidmet, anderes ist schönes Spielzeug für Kinder.

Die nächste Auffahrt braucht nicht lange, die offenen Wiesen zu verlassen und in Wald einzutauchen. Noch halblicht am Fels vorbei, erreicht man bald den Abzweig, wo es alternativ nach Süden über den Bohinjska sedlo (Sorica Planina) mit Anschluss nach Petrovo Brdo oder Zali Log gibt. Petrovo Brdo kann man von Bohinjska Bistrica per Bahn erreichen, die den Berg durch einen Tunnel durchsticht. Der Abzweig Rovtarica geht bald in Piste über, wobei alle Abschnitte gut fahrbar sind. Der Asphalt kehrt zurück auf dieser Route bei Drazgose, wobei von mir gewählte Variante, die nicht über Rudno führte, mit Abkürzung gegen Ende etwas rumpeliger ist. Wald beherrscht die gesamte Pistenstrecke, der Mischwald mal mehr Laub-, mal mehr Nadelbäume, teils auch recht dunkel etwa nach der nicht in Betrieb befindlichen Hütte Rovtarica. Die nackte Haut prickelt schon fast etwas frisch, da es nur in der Sonne tatsächlich heiß wird. Auf der gesamten Strecke gibt es keine Bewirtung, gestört wird man auf dem Pistenteil von maximal einer handvoll Autos, unter die sich aber auch mal ein übel staubender Holzlaster mischt.

Mit dem Asphaltbeginn bei Drazgose endet auch die Waldphase und das Auge schweift weit über immer wieder neue Variante leuchtenden Hügelgrüns, auf dem sich mehrere kleine Dörfer und Weiler verstreuen, die über manchmal nicht unmerkliche Rampen verbunden sind. Im tiefen Tal unten erkennt man die schon etwas größere Stadtsiedlung von Zelezniki. Ein monumentales Partisanendenkmal inmitten dieser Hügellandschaft setzt da einen ziemlich martialischen Kontrast, ohne dass aber die offene Betonkugelkonstruktion die Landschaft zu stören vermag. Drazgose wurde im Zweiten Weltkrieg auch ein Opfer der Nazis, nachdem die Partisanen eine starke Gegenwehr gezeigt hatten, wurden alle Hütten des Ortes niedergebrannt und die Bewohner deportiert.

Ein langer Schwung führt nun durch das Hügelland nach unten, nochmal in ein schattigres Flusstal, bis man auf eine Bahnlinie und fast überraschend auf Kranj stößt, ohne dass es vorher Ausblicke auf die Stadt gibt. Der Autoverkehr um Kranj ist schon recht ordentlich, der Kern der Stadt aber alles Fußgängerzone. Kranj zeigt sich eingangs als Bankenstadt, viele Institute ballen sich an einer Ecke – dabei auch die Hypo Alpe Adria – ob sie in Slowenien noch einen gesunden Kern hat? (Viele Mafiosi in den dubiosen Bankengeschäften waren übrigens Slawen, sprich Kroaten.) Die Einkaufsmeile ist nur mäßig belebt, auch Touristen sind in den Abendstunden schon eher selten, offenbar bleiben nicht viele über Nacht. Umso mehr sind die offenen Sommerkneipen angenehmer Genuss für die Einheimischen. K.u.k.-Architektur ist zwar überall, aber nicht protzig in Szene gesetzt. Insgesamt ist Kranj weniger pittoresk als Skofia Loka, aber bedeutender als Kulturzentrum.

Zu den großen Söhnen der Stadt gehört France Preseren, Sloweniens bedeutendster Dichter – auch weil er das slowenischen Nationalgefühl mitgeprägt hat. Preseren war gelernter Advokat, lange in Wien geschult und tätig, und erst in seinen letzten Jahren Bürger von Kranj. Das Preseren-Haus ist abends leider nicht mehr geöffnet, ich finde jedoch in der Touristinfo einen schönen Band seines Sonettenkranzes in Deutsch (vgl. Buchtipps unter E.4). Seine Skulptur ist überlebensgroß im großen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen vor dem nach ihm benannten Theater platziert. Sein üppiges, leicht gelocktes Haar lässt kein Klischeebild eines Poeten aus, dessen Hymnus eigentlich nur der Liebe gewidmet sein kann – umso mehr wundert, dass er seine Julia trotz der lyrischen Umgarnung nicht erobern konnte.

„Blaßfeucht erblüht der Strauß der Poesien,
die längst dir mein Geheimnis offenbarten.
Mein Herz gleicht einem Acker, einem Garten,
dort sät jetzt eine Liebe Elegien.



Wie oft treibt mein Verlangen nach dir Schönen
mich durch die Stadt. Umsonst ist mein Bemühen,
mein Wunsch nach dir bleibt unerfülltes Sehnen.“

(aus: France Preseren „Sonettenkanz“)

Soweit mir als Alien ein irdisches Sehnen überhaupt zusteht, blieb es in Kranj gleichermaßen unerfüllt. Kranj liegt auf einem kleine Bergrücken und eine komplette Ansicht der Stadt erhält man erst, wenn man auf der Gegenseite der Sava die obere Kehre erreicht hat und die gesamte Stadt fast wie auf einem Tafelberg wahrnimmt und der deutsche Name Krainburg sinnbildlich wird. Unschön ist dann die Strecke nach Skofia Loka zu fahren, weil es viel Verkehr gibt und die Gegend topfeben keine Abwechslung bietet. Der Weg ist aber kurz. Die alte Bischofsstadt, für viele Jahrhundert der lange Arm des bajuwarischen Bistums Freising, wirkt auch nach den 12 Jahren bei der Wiederkehr unverändert. Die roten Ziegeldächer leuchten in der Abendsonne und selbst die alte Fabrikanlage am Ortseingang hat ihren historischen Charme. Erst am nächsten Morgen erkenne ich einige Neustadtteile, die erst jüngst entstanden sein dürften, sich aber immer noch gut ins Gesamtbild einbinden.

Nach einem ersten Stadtrundgang versuche ich eine noch nähere Basis zum Aufstieg des nächsten Tages zu finden. Doch ist die einzige Gostilna in dem weiten Auental in Zminec geschlossen und sonst keine einladenden Gasthöfe zu erkennen. Ich kehre etwas ratlos noch Skofia Loka zurück, ohne zu wissen, wo ich die Nacht zubringen sollte. In Skofia Loka selbst sind erstaunlich wenige Restaurants vorhanden – auch hier rächt sich der kurzweilige Tagestourismus, die Busse verschwinden am Abend. Dem Einheimischen, darunter mehrfach Rennradler, reicht abends die Eisdiele. In der guten Gostilna in einem historischen Turmgebäude erkundige ich mich beim Wirt nach Unterkunftsmöglichkeiten, nachdem mir Commander speichen-08/15-kracher aufgrund meiner Forschungsergebnisse zur slowenischen Lyrik (ich hatte ihm eine Leseprobe des Liebesgedichtes per Laserscantransmitter zuteil werden lassen) erneut eine Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz bewilligte. Die günstigste Pension des Ortes war aber überraschend ausgebucht. Einzige verbleibende Möglichkeit schien eine Art Ferienhaus, eher am Stadtrand. Außen leuchteten schon vier Sterne, die Gästeautos zeugten von gehobenem Mittelstand – ich klopfte dennoch.

Die Gastgeberin eröffnete mir Angebot für 50 Euro. Ich wehrte ab und sagte, es mache mir nichts, irgendwo ein Zelt aufzustellen. Darauf zuckte die Frau schaudernd zusammen und meinte, sie könne mich da nicht in die Nacht (es war gegen Mitternacht) hinausschicken, das würde sie nicht übers Herz bringen. Ich solle mein Limit nennen. Ich nannte 30 Euro – eine eigentlich für das heutige Slowenien zu tiefe Grenze, wofür man an vielen Orten kein Hotelzimmer mehr bekommt. Das war mir so klar noch nicht, ich dachte in den Kategorien früherer Planetenjahre. Die Frau schlug widerstandslos ein und sagte mir: „30 Euro, mit Frühstück.“ Ich war über diese freundliche Wendung doch sehr überrascht, zumal bei näherer Begutachtung das Zimmer ein 4-Zimmer-Apartment mit Küchenanlage und großem Bad war, alles edel und liebvoll gepflegt, fast schon ein Tanzsaal, in abgestimmten Blautönen, ein Gegensatz zu meinen Grüntönen. Wie ich aber schnell erkannte, passt auch Grün zu Blau – blue notes sind ja auch eine musikalisch offenherzige Spielart des Tons. Auch sind blue notes karantanische Farbsignale, wenn man an deren musikalischen Charakter denkt. Das Frühstück – ich brauche es wohl kaum zu erwähnen – war formidabel, andere Gäste kamen nebst Slowenien auch aus den Niederlanden – ein bekanntlich, wie die alten Karantanier, tolerantes, weltoffenes Volk. Trotz meines Armutsbeitrages für die Gastfreundschaft wurde ich sehr wohlwollend verabschiedet. Möglicherweise wurde hier mein Alienherkunft schlagartig erkannt und hoch geschätzt.

Mi 1.7. Skofia Loka – Gabrovo – Zapreval – Murave – Crni kal (1119 m) – Potok – Davca – Davca slapovi – Zgaga – Petrovo Brdo (803 m) – Podbrdo – Korotnica – Kneza – Podmelec – Slap Sopota (Wanderung, ca. 0,5 h) – Poljubnj
W: 16-24 °C, meist heiter, teils bewölkt
Ü: C wild (H/R Kobala) 0 €
AE (dito): Salat m. Schinken, Pasta m. Tomatensauce, Rotwein 10,50 € (***)
82 km | 10,9 km/h | 7:28 h | 2000 Hm

Skofia Loka zieht viel Pendlervolk an, die Altstadt selbst bietet zu wenig Platz für neuen Wohnraum. So finden viele Häuslebauer in dem Tal Richtung Ziri oder Cerkno Entfaltungsraum, welches dann auch eine wichtige Lieferachse bildet. Das macht sich morgens recht dramatisch bemerkbar, staut sich doch der Verkehr an einem Nadelöhr an der Ecke der Altstadt, für die noch keine Umfahrung gebaut wurde, auch keine Ampeln installiert sind. Offenbar folgen die Slowenen hier dem alten karantanischen Geist, von einer obrigkeitshörigen Kanalisierung des Lebens möglichst abzusehen, solange es mit kooperativen Arrangements auch noch geht. Strenge Regelwerke widersprechen diesem Geist.

Der Abzweig nach Gabrovo ist nicht weit, dort steigt es gleich an, eher mittelsteil, auch wechselnd stark. Es gibt viele Wald-, einige Wiesenpassagen, Ausblicke mehr nach oben – irgendwo lugen Kapellchen hervor, die kleine Siedlungen vermuten lassen. Es finden sich bereits anfangs Hinweise auf ein ausgeschildertes Radroutennetz (Loska Kolesarska Pot), das zwar nicht lückenlos, aber doch recht ordentlich ausgeschildert ist. Ich treffe gleich zwei radelnde Feengestalten, wie ich denn die slowenische Frau recht häufig alleine auf Fitnesstour unterwegs antraf. Erstere war von solch durchtrainierter Physis, dass ich mit ihr nicht annähernd mithalten konnte, weswegen sie mir schnell davon eilte, aber auf der vorberuflichen Fitnessrunde (im Pflegedienst tätig) nochmal auf ihrem Rückweg entgegen kam, um dann mit der zweiten, die sich als Tina vorstellte, über meine Routenpläne zu diskutieren, gar zu streiten, welche Variante für mich Alien besser sein sollte. Erstere meinte auch, dass von mir gewählte Route zu kompliziert sei, wobei sie sich offenbar auch nur in den klassischen Tagesentfernungen zu ihrer Heimstatt sicher auskannte. So waren ihr die Davca-Wasserfälle nicht bekannt und wohl auch die Davca-Schlucht nur unzureichend ein Begriff. Tina verabschiedete sich schließlich auf ihrer Tour zum Berg Lubnik, der per Stichstraße erreichbar ist.

Da die Auskünfte der Damen eher verwirrend waren, blieb ich meiner geplanten Linie treu, die sich als durchaus ausreichend geradlinig erwies. Einfach ist der Weg allerdings nicht. Der zunächst bewaldete Pistenabschnitt noch leichter, folgen heftige Rampen wieder auf Asphalt, etwa bei Zapreval (4 hechelnde Zungen von 5 möglichen), von Murave nach Gornja Zetina (5 Zungen), von Gorenja Zetina (bereits im Ort ansteigend) zum Crni kal (5 Zungen). Zur Orientierung seien nochmal die wichtigsten Punkte genannt: Gabrovo (obwohl man nicht hinfährt), Stari vrh (der Skiberg bei Zapreval, den man auch nur unterhalb umfährt), Javorje (obwohl man knapp oberhalb in Murave verbleibt), Blegos (der Berg, den man ab Crni kal ebenfalls per Stichstraße erreichen kann, mit beliebter Berghütte, ebenfalls hier nicht gefahren). Am Hochpunkt oder Pass bei Zapreval, Abzweig Stari vrh, findet sich sogar ein Kontrollstelle mit Stempel (vgl. Bildergalerie) des Loska Kolesarska Pot, der in mehreren Varianten Rundkurse ab Skofia Loka beschreibt.

Mehrfach werden die Gäste euphorisch mit großen Lettern begrüßt – so etwa in Gorenja Zetina oder später in Davca. Die wenigen Gäste sind wohl häufig exotisch, nicht nur als Alien. In Gorenja Zetina (Gaststätte und Bauernhofverkauf von Käse etc. vorhanden) treffe ich eine Bergbewohnerin mit Kleinkind aus mir recht vertrauter Region der alpinen Eidgenossenschaft. Sie sind regelmäßige Sommergäste eines Bauerhofes, wohl aber ein wenig unglücklich, dass sie niemand richtig versteht. Vor allem der Kleinen scheint die Umgebung fremd zu bleiben. Die Ruhe und Freundlichkeit der Karantanier lockt die Schweizerin aber immer wieder an. Sie ist überglücklich, mit mir in dieser entlegenen Region jemanden zu treffen, der sie versteht, sogar noch bei der Andeutung eidgenössischer Dialekte. Sicherlich war sie sich über meine Alienherkunft nicht im Klaren.

In den wieder gemäßigten Steigungs- und Gefällstrecken beim Crni kal stößt man wieder auf Kies- und Waldpiste, etwas kruder ist der Abstieg nach Potok, bleibt aber auch noch reiseradtauglich. Mit den ersten Heugabeln, die die Bauern am steilen Hang schwingen, beginnt in Potok wieder Asphalt. Man fährt unterhalb nochmal durch ein enges Tal mit Bach aus Treppenkaskaden, bis man auf eine Kreuzung in etwas ebener Umgebung stößt, wo man entweder nach Zali Log gelangen kann, oder leicht aufwärts nach Davca. Davca ist die flächenmäßig größte Gemeinde Sloweniens, so sagt mit der Wirt auf der Passhöhe Petrovo Brdo, ist aber alles andere als eine geschlossenes Dorf. Die Siedlungsbereich verteilen sich überall mit einzelnen Weilern und die Unterbezeichnungen sind etwas verwirrend. Die Davski slapovi sind aber oben ausgewiesen, im Zweifel orientiert man sich auch an Porozen oder einem ausgeschilderten 3-Sterne-Gasthaus, ganz zum Schluss gelangt man zu den Wasserfällen über eine Stichstraße ohne Infrastruktur, dann auch Piste.

Während die untere Davca-Route durch die Schlucht neu asphaltiert wurde (veraltete Darstellungen im Internet), verbleiben zum Finale einige schwierige Pistenabschnitte. Dazu zählt die vollständige Erkundung der Davca-Fälle, sodass ich mich mit dem erstem, unteren Fall begnüge. Der Anstieg zur zweiten Ebene führt über groben, losen Schotter, der zwar Geländewagen offen steht, nicht aber dem Alien zur Verfügung gestelltes Fahrradgerät. Die Überfahrt nach Zgaga ist aufwärts auf Asphalt (steil) möglich, abwärts geht es aber weitgehend bei extrem steilen Gefälle (mindestens 5 Zungen) über recht grobes Schottergeröll, das von anliegenden Bauern mit grobstolligen Traktoren gelegentlich befahren wird. Wahrscheinlich wäre es vernünftig gewesen, weiter bergauf über den Berg Porezen zu fahren – hier besteht wahrscheinlich ein asphaltierter Übergang direkt nach Petrovo Brdo und/oder Podbrdo zur westlichen Passseite. Mein Kartenmaterial zeigte hier aber Lücken und Widersprüchliches.

Der Vorteil dieser Route ist, dass man noch einen kleinen Eindruck der östlichen Talseite vom Petrovo-Brdo-Pass bekommt – ein schattig-feuchtes Biotop, in dem riesige Wiesenblattwerke gedeihen. Eine etwas anspruchsvollere Steigung gibt es nur auf den zwei Schlusskehren. Almweiden öffnen dort goldgrüne Lichtspiele, oben ein Gasthof mit einer umfangreichen Straßenverzweigung. Der Wirt erkennt gleich meine besondere Abstammung und bietet mir an, bestes Quellwasser abzufüllen. Bereits unten zur Mühle Zgaga gab es aber bereits ausreichend von dieser lokalen Köstlichkeit. Trotz der strategischen Transitlage wollte der Deutschland-erfahrene Gastwirt über die wirtschaftliche Lage nicht ganz glücklich sein. Er wählte die neue Selbstständigkeit, nachdem er jahrelang Heizplatten zwischen Stuttgart-Vaihingen bzw. Bretten und einer slowenischen Firma transportiert hatte. Es drang bei ihm die Vermutung heraus, dass es im modernen Slowenien einige Habgierige gäbe, die die Taleranhäufung auf Kosten des Gemeinwohls kultiviert hätten. Eine wohl nicht ganz unbekannte Erscheinung in vielen Teilen des Erdenballs.

Nunmehr entwickelt sich ein großer Talrausch, obwohl die Passhöhe doch noch unter 1000 m gelegen hat und das Gefälle sicherlich nicht enorm ist. Den Kehren durch Wald liegen Schluchtgründe zutage, Wasserfälle nicht immer einsehbar. Fast Kitschiges findet sich im milden Abendlicht in Podbrdo an Straße, das Bergtal bleibt eng, aber nicht unbedingt schluchtig, wenige Häuser verteilen sich teils in den Hanglagen, manche sind im Tal aus ehemaliger Mühlenwirtschaft verblieben. Die Eisenbahnlinie sorgt immer wieder für spezielle Momente im Tal wie etwa durch reizvolle Stahlgrätenbrücken. Züge indes verkehren wenige. Den einzigen, den ich gewahr werde, ist eine Mischung aus Personen- und Gütertransport – kleine Länder praktizieren pragmatische Kombinationslösungen. Die Orte strahlen mediterrane Gelassenheit mit Bergkulisse aus. Nach einer Abzweigmöglichkeit durchs Tal zur anderen Seite nach Bukovo hoch, dessen Kirche deutlich hervorlugt, wendet sich nochmal eine steilere Kehre nach Kneza herunter. Nun meint man, es müsse doch schon Meeresniveau sein. Aber immer noch führen reizvolle Stichtäler in den Triglav-Nationalpark nach Norden.

Obwohl rasches Rolltempo, hatte ich die Strecke unterschätzt. Die Dämmerung beginnt sich über die Landschaft zu legen. Eine Alternative nach Tolmin zu gelangen, ohne den Flussbogen über Most na Soci auszufahren, ist eine abwechslungsreiche Empfehlung. Man quert in mehreren Auf und Abs Hügel, ein paar kleine Dörfer und ein eindrucksvolles Labyrinth aus Kalkfels, dass das Dämmerlicht heller werden lässt. Unbedingt wollte ich den Slap Sobota begutachten, von der Straße über einen relativ steilen Waldtrail zu erreichen. Es kostet mich wohl ein vollständiges Menü auf gehobenen karniolischen Niveau.

Als ich den vorausgewählten Gasthof Kobala im oberen Ortsbereich von Poljubnj erreiche, sind die Köche des Hauses schon verschwunden. Ich bekomme von der Wirtin des Hauses noch das, was in ihren Fähigkeiten und ihrer verbliebenen Assistentin steht. Auch diese Resteküche ist noch deliziös, umso mehr trauere ich um die Köstlichkeiten, die mir wohl vorenthalten wurden. Die Unterkunftsmöglichkeiten sind aber beschränkt, denn eine MTB-Gruppe aus München hat die meisten Zimmer bereits besetzt. Es würde ein Apartment für 54 Euro verbleiben. Weil ich am heutigen Tag keine spektakulären Forschungsergebnisse an Commander speichen-08/15-kracher übermitteln konnte, blieb die Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz aus. Ich erbettelte mir schließlich einen kostenlosen Zeltplatz auf der Gartengrund des Hotels, direkt neben der Terrasse und dem Jacuzzi-Bad.

Während sich die Gastgeberin karantanischen Geist und Aliensympathie unter Beweis stellte, verschlug mir manches, was die Bajuwaren aus ihrem Munde verlauten ließen, die Sprache, abgesehen davon, dass sie auf eine merkliche Distanz zu meinen Alienhäuten achteten. Die allesamt mit gut dotierten Berufen beglückten Bayern, gar dem Hochdeutschen mächtig, fragten mich, warum ich mit soviel Gepäck reise. Sie erklärten schließlich Regenklamotten für überflüssig, die sie in ihren Autos in Villach zurückgelassen hatten. Das Argument war: „Wenn wir radeln, regnet es nicht!“ Immerhin gestanden sie mir zu, wenn ich statt 7 Tage fünf Wochen unterwegs sei, das Risiko unterschiedlicher Witterungen etwas anders bewerten zu müssen. Sie hatten sich eine MTB-Route von Villach an die Adria überlegt, Wege, die ich nicht fahren kann, aber auch sehr kurze Etappen mit genügend Zeit, sich den Genüssen hinzugeben. Alle Etappenorte waren vorgebucht. So hatten sie auch vortags bei Ana Ros des Gourmettempels Hisa Franko in Kobarid gespeist – ein mir noch bevorstehender Höhepunkt, wie ich dachte (der aber scheiterte).

Der kulturelle Horizont der Wortführer der Gruppe blieb etwas vernebelt – wohl konnten sie ihre Grundintelligenz nicht auf alle Ebenen des Lebens anwenden. So fragte mich einer tatsächlich, ob ich Slowenien für ein zivilisiertes Land hielte – und das war die Frage eines Bajuwaren! Meine Bejahung dieser Frage ließ ihn missfällig schlucken und die Rückfrage stellen: „Wirklich?“ Ich konnte es nicht fassen, dass sich intelligente Menschen in den besten Hütten eines Landes an allen Genüssen und Annehmlichkeiten labten, die zu weiten Teilen Germaniens nicht mal üblich sind, ohne ihren Gastgebern den entsprechenden Respekt zukommen zu lassen. Auch am Folgeabend planten sie Station in Smartno zu machen, dort im schmucksten Feinschmeckertempel des slowenischen Collio-Bereichs. Man kann sich so gut vorstellen, welche Unruhe einst die arroganten Bajuwaren in die Bescheidenheit des alten Karantaniens gebracht haben mögen. Leider, so ist es häufig in der Geschichte, dürften die Arroganten auch noch recht bekommen und aufgrund ihres Reichtums sich übergebührlich Platz verschafft haben. Diese MTB-Bajuwaren dürften ohne Regen an die Adria gekommen sein, weil die Schlechtwetterfront der Vortage schlicht zufällig verschwunden war – was sie aber ihrer eigenen Kompetenz eines Besservolkes zuordneten. Ein postimperialer Tiefpunkt in meiner Karantanien-Reise.

Do 2.7. Poljubnj – Slap Beri (Wanderung, ca. 1 h) – Poljubnj – Tolmin – Zatolmin – Hudicev most/Tolminska korita (Wanderung, ca. 1 h) – Zatolmin – Volarje – Kamno – Vrsno (591 m) – Smast – Kobarid – Stara Selo – Kobarid – Camp Lazar
W: 18-28 °C, sonnig, schwül, später bewölkt, abends Gewitter
Ü: C Lazar 10 € (SP wegen später Ankunft)
AE (H/R Topli Val): Tintenfischrisotto, Wildfilet, Knödel & Cannelloni Kobarid-Art, Nussteigtaschen Kobarid-Art, Rotwein, Cafe 41 € (*****)
B: Tolminska Korita 4 €
38 km | 11,3 km/h | 3:15 h | 675 Hm

Der Vortag endete ja quasi mit einem Wasserfall, und der neue Tag mit einem weiteren. Waren die Wasserpräsentationen der Tauern vielleicht die dramatischsten Bühnendarstellungen, so spielt die Tolminske/Kobarid-Region mit der wohl farbenreichsten Wassermystik. Insofern habe ich den Kozjak-Wasserfall des nächsten Morgens auch noch diesem Kapitel inhaltlich sinnvoll und abschließend Höhepunkt-fordernd angestellt. Der Kozjak-Wasserfall war ein Tipp der Münchner MTB-Gruppe, die sich so wieder mit ein paar karantanischen Bonuspunkten aufwerten konnte.

Der Wandertrail zum Slap Beri ist schnell erreicht, weil die Pension Kobala nahe dem oberen Ortsende liegt. Es ist wassertaugliches Schuhwerk erforderlich. Gleich zuunterst ist es von Vorteil, das Wasser zu durchwaten (Knöcheltiefe). Zunächst erinnert der Weg etwas an die Urwald-Beschreibungen zur Entdeckung alter Maya-Tempel in Karl Rudolf Seuferts „Schätze von Copán“. Das Geheimnisvolle weicht dann etwas dem Geröllhaften der Berghänge – als häbe es hier zuletzt einen harschen Erdrutsch gegeben. Hat man den Bergbach mittels einer kleinen Hängebrücke überquert, steigt man durch lichten Feenwald, ein Rauschen nun vernehmbar, kleine Wassergardinen über kohlgroße Flusssteine verschönern den Mikroblick. Der Slap Beri schließlich ist ein mittelfeiner Strahl, einmal kurz vom Fels aufgehalten und vom unteren Hauptstrahl verdeckt gehalten zwei Hintergrund-Kaskaden, die dem ganzen ein ästhetisches, barockes Glockenvolumen geben, ohne dass die geradlinige Eleganz des Falls darunter leiden würde. Allein schon im feinen Gestäube des Falls lässt sich die nackte Alienhaut benetzen. Das Morgengedicht (erster Teil).

Der Markt in Tolmin ist recht klein, die Stände verteilt auf verschiedene Ecken. Eher weniger schöne Einkaufshallen bilden das geschäftliche Zentrum, vom Autoverkehr durchflossen, sehr funktional. Ich wende mich nach Zatolmin für einen kleiner Zwischenanstieg, auch steil, dann fällt die Straße zwischenhügelig wieder zur Tolminka ab, die unterhalb der Stadt in die Soca mündet. In Zatolmin findet sich die Käserei Kramar, deren hervorragende Trinkjoghurts in vielen Geschäften zu erhalten sind, aber auch nicht ganz billig (um 1,80 €) und natürlich Herstellungsort des Tolminc, einem charaktervollen Hartkäse aus traditioneller Produktion.

Die Tolminka-Schlucht, auch Tolminer Klammen oder besser Tolminska korita heute landstypisch benannt, bezeichnet ein Labyrinth aus steilen Felstoren, die durch Treppenstiege und Brücken trocken begehbar sind. Auch kann man bedingt in den Wasserläufen waten, wobei die gewichtigsten Einblicke nicht unbedingt zugänglich sind. An den überhängenden Felsen werden Kletterkurse abgehalten. Die eingeschnittenen Kalkfelsen der wilden Tröge, teils als glatt geschmirgelte, metallisch glänzende Hundertwasser-Wandformen herausgearbeitet, da und dort tiefgehend grün verschleiert, in den Gucklöchern mit fließenden Smaragdtönen ausgemalt, sind das Erosionsergebnis aus Tolminka und Zadlascica, am tiefsten und südlichsten Punkt des Triglav-Nationalparks – nur 180 m über Meereshöhe, dessen Grenzen ich hier nur für kurze Zeit nochmal überschreite. Das Mittagsgedicht.

Die Hitze des Tages treibt mich zu einem Wasserloch. Das finde ich zunächst nicht auf der linksuferischen, verkehrsarmen Straße der Soca, die man von Zatolmin, vorbei quasi hinter dem Burgberg Kozlov rob. Die Zugänge der Soca sind durch abgezäuntes Weideland selten, bei Volarje finde ich eine Stelle nahe dem Zufluss des gleichnamigen Nebenflusses. Hier ist die Soca ein geradliniges blaues Band, teils mit hoher Fließgeschwindigkeit, aber weit verteilt auf einem Bett von Kugelsteinen. Die Sonne hat das Wasser stark empor gehoben, so verdichten sich Wolken bei großer Schwüle zunehmend zu Gewitteranleihen. Ich fahre auf nach Vrsno, eigentlich mit dem Ziel Krn in den Felskessel des vom Krieg zerschossenen Berges. Allein die Auffahrt nach Vrsno erfordert fünf Hechelzungen, der Kampf nach ganz oben könnte im Unwetter enden, das Panorama ohnehin diesig eingetrübt, sodass ich es beim Ort Vrsno belasse. Neben Kriegsopferstätten und Bienenhäusern findet sich ein hübsches Haus, dem äußerlich Liebe zugedacht wird. Ich entdecke den Namen Simon Gregorcic, der auch als Skulptur in Kobarid unten zu sehen ist. Gregorcic ist einer der bedeutendsten Dichter Sloweniens – seine Wortballette geben seiner Heimat unvergessliche Gesichter, die jeder auch heute noch wiederfinden kann, der sie sucht. Und ja, Simon Gregorcic zollte der Schönheit dem Fluss Tribut – fast unvermeidlich-, von dessen farblichen Glanz kaum ein Besucher nicht mit Faszination gefangen genommen wird – der Soca. Da heißt es in der Ode „An die Soca“ nahezu hineintauchend:

„Gern blick’ ich in die muntren Wellen,
wenn grünblau sie vorüberschnellen:
Des Alpengrases dunkles Grün,
der blauen Höhen klares Glühn
sind hold in dir versunken;
an heitrer Höhen Himmelsblau,
an grünen Bergeshänge Tau
hast Schönheit du getrunken,
du herrlich Alpenkind!“

(in: Lojze Wieser „Karst“, S. 178 f)

Das Abendgedicht, erster Teil.

Unten in Kobarid habe ich noch Zeit für das kulinarische Tagesziel, das Restaurant Hisa Franko, von Sloweniens bester Köchin Ana Ros, die mittlerweile ein weiteres Restaurant in Ljubljana führt. Der Weg führt über eine nahezu flache Alleestraße in Richtung italienische Grenze und Natisone-Tal – jetzt aber unter dunkelsten Wolken, fast unwirklich. Das Restaurant liegt unscheinbar etwas zurückversetzt an der Straße, in rötlichem Pastell äußerlich gehalten und mit größerer Gartenlaube. Die Autokennzeichen zeigen internationale Gäste an, nicht nur Italien ist vertreten, auch Belgien oder Österreich. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, auch ohne Reservierung einen Platz zu erhalten, es hängt aber vom Andrang ab. Der Servicemann erläutert mir, dass leider heute alle Positionen ausgebucht sind, ich könne mich aber für den nächsten Abend vormerken lassen. Nun, da wird der Alien wieder einen Ort weiter sein. Schade.

Der Rückweg scheint nochmal dunkler, obwohl immer noch Sommerabendzeit, die hell sein könnte. Das älteste Gasthaus Kobarids, gleichwohl die Wiege der Kobarider Gourmetküche im Jungstaat Slowenien, auch von einer Frau als Restaurant für Fischspezialitäten geführt (Lilijaner Kavcic), ist geschlossen – vermutlich Betriebsferien . Nicht nachstehen möchte Topli Val, etwas weniger charmant als nüchternes Hotelgebäude mit Speiseterrasse an der Straße. Dem drohenden und bald auch folgenden Gewitter muss ich Tribut zollen und in die Innenräume ausweichen. Das Menü zeigt Ansätze von Gourmetklasse, sicherlich ein wenig überambitioniert, mit der man sich der übermächtigen Konkurrenz erwehren möchte, dafür aber mit authentischen Kobarider Teigspeisen – sowohl in der herzhaften wie der süßen Art. Das Abendgedicht, zweiter Teil.

Dem noch nicht genug, füge ich das Morgengedicht, zweiter Teil, aus vorgenannten Gründen hinzu, allerdings am Folgetag absolviert. Vom etwas abseits des Ortes, direkt an der Soca gelegenen Kamp ist es nur kurz zur Brücke über die Soca, dann auf einen Weg mündend, den man zumindest teilweise auch per Rad ab dem anderen Kamp folgen könnte. Er ist aber steinig genug, das viele Teile nur MTB-tauglich sind, den Schlussakkord würde man ohnehin zu Fuß gehen müssen. Überhaupt ist es ratsam, sich für den Weg Zeit zu nehmen. Der Kozjak-Bergbach bildet zahlreiche Zwischenkaskaden, teils mit großen Becken, immer wieder faszinierende Wasserstrahle, breite Gefällfronten wie schmale Rieselduschen. Das alles findet geheimnisvoll düster beleuchtet unter Blätterwerk statt, sodass nur wenige Gumpen tagsüber als Badestelle geeignet wären. Überhängende Felsen ziehen die Kletterer an. Das Finale – auch hier sinnvoll mit Wasserschuhen unterwegs – versteckt sich bis zum letzten Bohlensteg, der sich um Fels windet und den Blick in eine schwarze Steinkathedrale öffnet, ein Lichtloch gen Himmel gerichtet und den Segen von oben heruntergegossen als wäre es ein galaktischer Beamer-Strahl, der in eine blau-grüne Lagune hineinstößt, begleitet von berauschender Höhlenakustik – einem melodischen Donner von Unendlichkeit. Auf der Green Devil kam es zu turbulenten Jubelszenen, als ich die Bilder davon zeigte. Besonders die technischen Designer machten sich vielfältige Kopien, um die spröden Regional-Beamer in biophysikalische Modellvarianten dem Wasserfall nachzubilden.

Musik: Slavko Avsenik, einst auch Skispringer, kreierte mit seinen Original Oberkrainern einen eigenen Volksmusiksound, der charakteristisch war für den Übergang der provinziellen, traditionalen Volksmusik in eine kommerzialisierte volkstümliche Musik auf großen Bühnen. Der slowenische Chor Perpetuum Jazzile liefert hier eine fulminante A-cappella-Version von Avsenik-Kompositionen und führt die Musik wieder mehr auf seine traditionellen volkstänzerischen Wurzeln zurück: Perpetuum Jazzile „Avsenik Medley“ (3:26 min.)

Bildergalerie Kap. IV (123 Bilder):



Fortsetzung folgt
von: Keine Ahnung

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 11.12.15 09:04

Einfach eine wunderschöne Gegend. Du hast Dir viel Mühe mit Deinem Bericht gemacht. Auch die Bilder sind toll. Ich muss da auch wieder hin. Slowenien steht bei mir sowieso ganz oben auf meiner Favoritenliste und das "Drumherum" ist ebenfalls nicht zu verachten. Da mein Orientierungsinn bei der Verknüpfung meiner Neuronen vor langer Zeit quasi nicht entwickelt wurde (daher bin ich so ein großer Freund von GPS), ist das einzige, was ich vermisse, ein "Track" oder der Weg in einer Karte eingezeichnet - oder habe ich das übersehen?
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 12.12.15 22:27

In Antwort auf: Keine Ahnung
Da mein Orientierungsinn bei der Verknüpfung meiner Neuronen vor langer Zeit quasi nicht entwickelt wurde (daher bin ich so ein großer Freund von GPS), ist das einzige, was ich vermisse, ein "Track" oder der Weg in einer Karte eingezeichnet - oder habe ich das übersehen?

Das Büro für interstellare GeoNaviStäsie hat sich zur Beratung zurückgezogen und arbeitet an einer einvernehmlichen Lösung. Gelegentliche Wolkenbildung auf der Erde könnte Folgen der rauchenden Köpfe dort sein. Diese Nebenwirkungen können von irdischen Apothekern weder erklärt noch mit Arnzeimitteln bekämpft werden.
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 12.12.15 22:30

KAPITEL V
Blutzoll und Lebensquell zwischen Alpen und Karst:
Auf Spurensuche in Kolovrat, Banjsice, Trnovski Gozd & Idrijsko


„Und es ist lange her,
dass dein Docht verbrannt ist,
aber es ist ein Schatten geblieben
auf dem Glanze des Spiegels.“

Franco de Girancoli (in: Pier Paolo Pasolini u. a. „Wie eine Viole in Casarsa“, S. 59)

Fr 3.7. Camp Lazar – Slap Kozjak (Wanderung, ca. 1 h) – Kobarid (Besichtigung Kriegsmuseum, ca. 1 h) – Idrsko – Livek (690 m) – Livske Ravne (1037 m) – Kolovrat max. (1169 m) – Na Gradu – Sedlo Solarji (996 m) – Sleme (865 m) – Planinski Dom pod Jezo – Pusno – Kambresko – Slap Sovink – Preval (339 m) – Rocinj – Kozarsce – Preval Poljance (253 m) – Most na Soci
W: 16-32 °C, bis Nachmittag sonnig, schwül, am frühen Abend schweres Gewitter, danach kühl
Ü: H Lucija 40 € mFr (normal 45 €)
AE (Gostilna Skrt): Gnocchi m. Steinpilzen, Putenschnitzel, Pommes, Rotwein 18,20 € (*)
B: Kobarisko Muzeji 3 €
51 km | 10,4 km/h | 4:46 h | 1225 Hm

Nach dem herrlichen Spaziergang durch den morgenfrischen Wald zum Kozjak-Wasserfall, den ich ja bereits im Vorkapitel abschließend dargestellt habe, und dem Camping-Capuccino (2 €) stand ein ziemlich konträrer Programmpunkt an. Das Kobarider Kriegsmuseum – oder sollte man der mahnenden Wirkung wegen besser sagen „Friedensmuseum“? – liegt unübersehbar direkt an der Hauptstraße und wurde bereits etwa zwei Jahre nach der slowenischen Unabhängigkeit im Jahre 1993 mit dem Europäischen Museumspreis ausgezeichnet. Die Verdienste, so die Begründung, lägen in der besonderen Weise das Bewusstsein für das kulturelle Erbe zu fördern. Wir sind also wieder mitten im Alpen-Adria-Gedanken. Genauer: Wir sind mitten in der größten Krise, die die Alpen-Adria-Region erleiden musste, also im Ersten Weltkrieg, in dem die Isonzofront zum Blutbad im Spiegel des Smaragdglanzes wurde. Welche schreckliche Zukunft ahnte Simon Gregorcic ungewollt, als er der Soca sein Gedicht widmete und darin bereits 1879 formulierte:

„Da blinken Schwerter, Kämpfer sinken
und Bäche Blutes wirst du trinken,
genährt von unserm Blut so rot,
beschwert von unsrer Feinde Tod.“

(in: Lojze Wieser „Karst“, S. 180)

Der Eingang des Museums ist schlicht und gediegen, nur ein Granatenmodell weist auf das Thema des Museums hin, innen gleich eine ganze Kollektion von Granaten unterschiedlicher Größe. Krieg, so scheint es hier, ist ästhetisch, zumindest technisch elegant und von geradliniger Struktur, eine höhere Ordnung – auf sauber geputztem Boden ausgestellt. Fast peinlich ist es mir, zu fragen mein Rad in einer Ecke innen abzustellen, gibt es doch draußen an der Straße fast keinen Platz zum Anketten. Freundlich und unkompliziert wird mein Kampfgerät in grünen Tarnfarben zur vorübergehenden Erweiterung des Sortiments in den Eingangshallen toleriert. Nicht weniger freundlich erhalte ich abschließend die übersetzte poetische Soca-Hommage von Simon Gregorcic als Kopie (wenngleich das Gedicht sich auch im o. a. Buch wiederfindet). Käuflich erwerben konnte ich eine Spezialkarte zur Isonzofront mit Ausschnitt zwischen Kanal und Kranjska Gora (also die Bergregionen zwischen Kolovrat und Julischen Alpen) mit detaillierten Infos zu aktuellen Gedenkstätten, den historischen Frontenverläufen, einem kurzen Abriss der Kriegsentwicklung, aber auch den touristischen Einrichtungen von Heute.

Ich erfahre in den Ausstellungsräumen, dass das Krn-Gebiet mit dem Geburtshaus von Gregorcic in Vrsno durch das Kriegsgeschehen merklichen Veränderungen unterworfen war – sogar bis zur Sprengung des Berggipfels durch Granateneinschläge. Also nur einen halben Berg habe ich gestern gesehen. Gregorcic durfte ihn noch ganz erleben. Was hätte der Dichter über diese Heimat gesagt, als seine Worte durch solch grausame Realität wahr wurden? Die Artillerie war mit Haubitzen mit bis zu 42 cm Kaliber bis in die Hochgebirgsregionen auf über 2000 m zu finden. Kaum denkbar, dass es da um wirklich strategisch bedeutende Gebiete gegangen sein soll. Und natürlich wurde der Krieg nicht hier entschieden. Ein Blutzoll ohne einen Hauch von Gewinnaussicht – in mehrfacher Hinsicht. Die letzte Schlacht gewannen die habsburgisch-deutschen Verbände, indem sie überraschend in den lähmenden Stellungskrieg Bewegung brachten und bis zum Tagliamento vordrangen, doch verblieben sie als Länder am Ende des Krieges auf der Verliererseite.

Die Reihenfolge der Räume ist nicht eindeutig zu wählen, manches mischt sich. Der Krieg ist letztlich ein verwirrendes Mosaik aus einzelnen Schicksalen, die große Strategie des zielgerechten Todeskampfes eine Lüge der Generäle. Deutlicher abgegrenzt ist aber der Folklore-Teil, sprich die Ausstellung zu den Traditionen und zur Geschichte des Landes mit ihren unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen (wobei die Zeitachse allerdings deutlich nach dem Königreich Karantanien einsetzt), zu den wichtigen Persönlichkeiten Sloweniens – des Rechts, der Politik, des Militärs, aber auch der Literatur und der Musik. Man muss auch deswegen mit dem Abwandern der Glasvitrinen und Wandbehänge flexibel sein, weil man irgendwann zum Video-Film in geeigneter Sprache eingeladen wird. Das Video ist essentiell, man sollte darauf nicht verzichten, erspart auch manches mühsame Sammeln von Detailinfos in den Museumsräumen und vermag die Zusammenhänge besser wiederzugeben.

Die Kriegsgegenstände sind fast alle viersprachig – inklusive Deutsch – erläutert. Während noch manches Kampfgerät, wie eingangs geschildert, die historischen Technikdetails mit Faszination entblättert bis hin zur metallischen Nostalgiedeko, so beschleichen mich immer mehr beklemmende Gefühle der Hilflosigkeit und des Elends bei den Ausstattungsgegenständen der Soldaten – die kümmerlichen Essbehälter, die hosengerecht zugeschnittenen Zeitvertreiber wie Kartenspiele oder die ärztlichen Anweisungen zum Umgang mit Geschlechtskrankheiten oder dem massenhaften Exodus des Lebens, den der Krieg mit sich bringt. Der Kampf um Nahrung, um Wasser aus Schnee, der Kampf in der Kälte des winterlichen Gebirges – all das windet aus den gebleichten und vergilbten Fotos auf den Betrachter zu und gefriert auf seinen Wangen. Manchmal starben mehr Soldaten in Lawinen als durch direkten Feindbeschuss – nicht zuletzt wurde mit Artilleriebeschuss auf Schneefelder der Lawinenabgang als Kampfstrategie eingesetzt.

Der Soldat, so vermerkt der Kommandant des IV. Armeekorps General Mario Nicolis Di Robilant, sei weder im Geiste noch im Herzen auf den Krieg und die ständigen, unvermeidlichen Probleme und Verluste vorbereitet. Er ruft sodann offen dazu auf, gegen diese „Lauheit“ in den eigenen Reihen auch mit Waffen vorzugehen. Tatsächlich mussten die Soldaten mit unvollständigen Uniformen vorlieb nehmen, so Karl Paulin, ein Artillerist aus Kobarid, seltsame Kombinationen mit Zivilkleidung arrangieren, was ihnen Spott einbrachte, von einer echten Kampf- und Witterungstauglichkeit ganz zu schweigen. Jede Kleinigkeit wurde bestraft, viele Soldaten an den Telegrafenmasten entlang der Bahnstrecke gefesselt, bis ihnen schlecht wurde. „Was haben sich die Reisenden denken müssen, die hier nach Oberkrain gefahren sind…?“ frägt da Paulin mit der ganzen Abscheu, mit der der Mensch seine verrohten Abgründe auch noch zur Schau stellt. Indes blieb manche Generalität realitätsfremd, so konstatierte der General Di Robilant schlicht: „Schwierigkeiten sind … im Krieg unausweichlich und die Verluste, wenn sie schon empfindlich waren, haben niemals wirklich erschreckende Zahlen erreicht.“ In insgesamt zwölf Isonzo-Schlachten zwischen 1915 und 1917 wurden etwa 300000 Menschen zu Tode gebracht.

Die von der Zeit und dem Kriegsgeschehen angefressenen Postkarten und Briefpapiere in noch handgeschriebenen Lettern geben Zeugnis – Zeugnisse, die es im Krieg des digitalen Zeitalters nicht mehr geben wird. Wird das digitale Zeitalter geschichtsloser, wird es Kriegsleiden verharmlosen, ihre Gesichter verniedlichen, kaschieren, mit Photoshop retuschiert, die Spuren verwischen, weil alles nur in Daten-Bits verpackt wird? Wird eine SMS, die als Absender den Produktnamen des Mobilgerätes zu oberst nennt, noch in 100 Jahren eine nachdenkliche Wirkung auf den Betrachter haben? Die Briefe der Soldaten sind von apathischer Verzweiflung gekennzeichnet, nicht selten steht die Sehnsucht nach dem Tag des großen Friedens vermerkt. „Um Mitternacht vom 31. März auf den 1. April wird die Normalzeit um 60 Minuten vorverlegt, sodass in dem Augenblick die Uhren ein Uhr nachts anzeigen werden. Ich habe meine Uhr am linken Handgelenk genau um eine Stunde vorgestellt und mir gesagt: Der Frieden wird eine Stunde früher kommen.“ (Francesco Orlandi, Schreiber der 1. Kompanie des II. Bataillons des 155. Infanterieregiments)

Die Sanitäter beobachten verstärkt Elemente der Selbstverstümmelung – sei es um dem Kriegsgeschehen zu entkommen, sei es um dem qualvollen Leiden eine Ende zu bereiten. Wenn man dann die Fotos im Todeskampf erblickt, dann aber erschauert mich eine eiskalte Gänsehaut, obwohl doch langsam die Mittagshitze des Tages unübersehbar die Luft erfüllt. Der Soldat, der im Stacheldraht wie ein Lumpenfetzen hängen bleibt. Der Soldat, dessen Kopf bereits zum Skelett verbrannt ist, während sein Körper noch in Militärmantel und Stiefel etwas unordentlich aufgeknüpft neben dem Geschütz im Graben liegt. Die Soldaten, deren Gesichter so entstellt sind, dass sie nur noch eine Anstellung als Gruseldarsteller in Horrorfilmen finden können – nicht aber wissend, was die Seelen dahinter überhaupt noch empfinden können. Gewiss hat der Krüppel ein Recht auf Leben, aber haben die Lebendigen ein Recht darauf, aus burschenhaften Frohnaturen entseelte Krüppel zu produzieren?

Was die Sanitäter gesehen haben, werden sie kaum verarbeiten können. Einer hatte die Kraft, die Worte zu finden, die die Fragezeichen setzen. Ernest Hemingway diente als amerikanischer Freiwilliger in einer Sanitätstruppe auf der Seite der Italiener. Seine Erlebnisse an der Isonzofront endet als Essenz in seinem Roman „A Farewell to Arms“ (1929). Darin heißt es nahezu fatalistisch „Die Welt zerbricht jeden... die, die nicht zerbrechen wollen, die tötet sie.“. Gleichwohl wurde das Buch zu einem der bahnbrechenden Werke gegen Krieg und Militarismus. Schon deswegen, aber auch aufgrund der Schilderung der Schlacht um Caporetto (Kobarid, dt. Karfreit), die zu einer Schmach für die italienische Armee wurde, blieb in der Zeit des italienischen Faschismus ein verbotenes Buch, die heimliche Übersetzerin wurde gar inhaftiert.

Fast erschlagen bin ich ob des martialischen Todes, den die Erdenbürger verbrochen haben. Entsetzen erfüllte die Bewohner der Green Devil, als ich davon später berichtete. Die Sonne hat das kleine Städtchen Kobarid kräftig aufgeheizt. Etwas unterhalb stände noch eine Käserei mit Schaubetrieb offen. Doch jetzt ist schon Mittag, und mal wieder jagt mich der Uhrenklöppel. Nicht aber wollte ich Kobarid ohne ein Hoffnungszeichen verlassen – ein Symbol der Freude. Gegenüber gibt es kostenlos touristische Infos und kleine Souvenirs zu kaufen. Die Isonzofront gibt es hier als – Schokolade! Die Soca verkörpert eine durchsichtige Schleife, durch die mit Mohn bestreute hochwertige dunkle Schokolade leicht blau schimmert. Den Kozjak-Wasserfall gibt es schließlich als Motiv auf einer kleinen Bügelflasche mit Honiglikör.

Ich erfahre von der Inhaberin ein paar Dinge über das Leben aus dem Jetzt. Die Jugend, die Arbeitsmöglichkeiten in Slowenien nunmehr im Nachzug der jüngsten großen Währungs- und Wirtschaftskrise. Zusatzverdienste, mehrere Jobs sind immer wichtiger, um dem Takt der Zeit folgen zu können. Ich erfahre aber auch vom Friedensweg, ein Wanderweg, der eben Stationen der Kriegsschlachten als Mahnmale miteinander verbindet. Der Friedensweg ist jedoch kein Ergebnis der Alpen-Adria-Allianz, wie man vielleicht erwarten könnte, sondern schlicht ein binationale Projektidee von Slowenien und Italien nah dem Vorbild anderer Friedenswege in den Alpen, derweil der Krieg überall seine Spuren hinterließ.

Endlich wieder auf dem Sattel, heißt es unter kräftiger Sonne wieder zu schwitzen. Offen brennt es vom Himmel, zunächst eben bis Idrsko, dann sehr steil nach Livek hinauf. Ich brauche unglaublich lange, die immer seltener zutreffende Daumenregel für die Höhenmeter mit 400 Hm/Stunde scheint in den Wind zu schießen. Es muss eine Jugendregel sein, die alten Knochen brauchen zuweilen das 2-3-Fache. Jeder Brunnen erblickt mein ermattetes Gesicht, ich könnte jederzeit auch am Straßenrand in galaktischen Tiefschlaf verfallen. Doch ein Forschungsauftrag ist nun mal ernst zu nehmen, auch wenn das Objekt ein so reizvolles Land wie Karantanien ist. Denn auf der trichterförmigen Zwischenebene im bergdörflich verstreuten Livek erstrahlen die Bergwiesen in verführerischer Rastruhe, eine Gaststätte wäre in Reichweite.

Livsko, das Gebiet um Livek mit dem Gebirgskamm Kolovrat und Matajur, ist ein besonders ausgeprägtes Beispiel wechselnder Herrschaftsbereiche im Alpen-Adria-Raum. In den letzten fünf Jahrhunderten zählte die Region nicht weniger als zehn verschiedene Grenzgürtel, von der venezianisch-lombardischen Grenze bis zur nun offenen EU-Grenze zwischen Italien und Slowenien – und auch die scheint schon bei der kleinsten Krise schon wieder gefährdet, wie die aktuelle Flüchtlingsthematik der Erdenbewohner zeigt. Das Grenzkammgebiet offenbart auch die Auswirkungen des Klimawandels. Bereits 1930 wurde in Livek die erste Skianlage errichtet. In den 1950er/60er Jahren erfolgte ein deutlicher Ausbau der Schlepplifte, ein Skibus aus Cividale sorgte für eine gute Anbindung an Italien, aus dem die Wintergäste bis aus Padua herauf kamen. Seit 1985 ließen dann mehrere grüne Winter den Skitourismus versiegen. So heißt es treffend und optimistisch auf der Info-Tafel in Livek: „Doch das Leben geht weiter… Schauplätze der Soca-Front sind heute touristische Sehenswürdigkeiten. Tourismus gestaltet sich neu.“ Da müssen die Deutschen im schneeärmer werdenden Schwarzwald wohl demnächst wieder mehr die badischen Revolutionsfeldzüge auf den Streuobstwiesen ins Bewusstsein rücken.

Eine der angesprochenen touristischen Sehenswürdigkeiten des Krieges folgt als Open-Air-Museum und auch als eine Station des Friedensweges nach ein paar radlerischen Anstrengungen mehr. An einem kleinen Kiosk kann man Getränke erwerben und bekommt Infos zu den Kampfstellungen an der Isonzofront. Die Stellungen mit Bunkern, dem Gelände meist naturnah angepasst, lassen sich über einen Parcours aus Treppen und steilen Pfaden erkunden. „Wenigstens gebaut haben sie landschaftsfreundlich,“ wird man den Militärarchitekten zugestehen wollen – das Geheimnis vor dem Feind machte es nötig.

So geordnet wie hier waren meine Gedanken vor Ort dann nicht ganz. Durch die drückende Hitze flimmerte es mir im Hirn und ermattet verweilte ich für eine Zeit in der scheinbarer Gedankenlosigkeit. Eher waren es schockierende Radweisheiten: „Erschöpfung gibt es nicht nur im Krieg – auch Radfahren ist ein Kriegsschauplatz!“ Meistens stirbt man dabei aber nur für eine kurze Weile, danach ist wieder Freude. Einige wenige Touristen schritten fleißig die Hügel ab. Hat man das Museum in Kobarid ausführlich studiert, braucht es aber der Infos hier nicht mehr. Schon fast zu schön stehen hier unscheinbare Ruinen auf Panoramahügeln in Friedenszeiten. Den Tod sieht man nicht mehr.

Zuvor muss man den höchsten Punkt der Straße überwinden. Ab Livek entspannt sich die Fahrt nur wenig, denn weitere Rampen folgen, immerhin teils im Schatten. Der Asphalt besteht zuweilen aus einem Flickenteppich mit großen Schlaglöchern – ein unbedeutender Mangel, schleppe ich mich doch kaum über Schrittgeschwindigkeit vor. Der Hochpunkt folgt, wieder in einem offeneren Teil, als Schleife um einen Berg rum, eine Kuppe nur wenig höher als die Straße. Bereits etwas abwärts folgt Parkplatz, Kiosk und die kriegerische Studienquelle. Die Blicke erreichen hier wieder das Tal der Soca.

Nochmals weiter abwärts, quert man einen Pass des Kamms mit der für lange letzten Möglichkeit, zur italienischen Seite abzufahren. Nur weiter südlich, über meine Kammstrecke hinaus, führt bei Lig wiederum eine Straße hinunter nach Italien zur Idrija, die als Grenzfluss einen ziemlich ausgeprägten Graben zwischen dem Kolovrat-Kamm und den zahlreichen Kuppenbergen der italienischen Julischen Voralpen bildet. Die Vegetation verschmäht die Grenzzäune seit eh und je, hüben wie drüben breiten sich typische Wälder mit Lianen-umschlungenen Robinien aus, erinnern an Eukalyptus-Wälder, stiftförmige, fast lineare Ordnungen von Baumstämmen, die sich im Laufe der Zeit der überwuchernden gestrauchten Unordnung unterwerfen müssen. Der Mensch macht sich hier Honig und am Pistenrand häufig gelagert sichtbar Holz zu nutze.

Noch regnen kleine Mengen aus tiefgrauen Wolkensäcken auf meine nackte Haut. Aus dem Schatten heraus, an einer geschlossenen Berghüttenwirtschaft vorbei, öffnet sich wieder weidiges Bergland, mit kleinen Dörfern und Weilern. Entsprechend beendet wieder Asphalt den gut fahrbaren Pistenanteil, nimmt wieder gemäßigten Kurs nach oben. In Kambresko quere ich den Kamm erneut, nunmehr diesen ins Soca-Tal verlassend, derweil die Straße nach Süden noch weiterführt. Schon aber stürze ich mich unüberlegt in die Abfahrt, statt häuslichen Schutz im kleinen Ort zu suchen. Gewaltige Donner und Blitze lassen mich erschaudern, die Tropfen gewinnen in Sekundeneile radial beachtliche Größenordnungen.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Hilfe ersucht! Unkalkulierbare Wasserschüttungen mit magnethirnzonenirritierenden Elektrizitätsentladungen in millisekundlicher Androhung ausgemacht. Was tun?“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Notbunker im Fels geöffnet. Dort Unterstand suchen und warten.“


Kaum zu glauben, aber Commander speichen-08/15-kracher hielt Wort. Zur Linken taten sich Felslöcher auf, die gerade für die Größe eines studi-RAL-verde und sein Velo berechnet waren. Zwangsläufig schrumpfte durch die Wartezeit die Zielvorgabe des Tages weiter zusammen, zumal jenseits von Most na Soci im Banjsice alternative Zwischenlager Mangelware sind. Bevor ich aber den tagesabschließenden Parcours nach Most na Soci über den unscheinbaren Minipass Poljance antrat, eröffnete mir speichen-08/15-kracher wieder einen seiner kleinen Boni. Unmittelbar unterhalb der Nothöhle sprießte der Slap Savink nun in üppig gehäufter Tropfenflut – wäre er vor dem Gewittertrubel mir nur als rinnsaliger Strahl erschienen.

Dem noch nicht genug, gewährte mir Commander speichen-08/15-kracher eine weitere Aufstockung der beschränkten Bankomatenlizenz für eine Hotelunterkunft, da trotz gepflegtem See, den hier die aufgestaute Soca bildet, keine Campingmöglichkeit existiert. Die Räume sind sehr beengt, auch wilde Biwakplätze nahezu unmöglich zu finden. Ich versuchte mein Glück bei zwei Privatvermietern, von denen jedoch keiner öffnete. Das Hotel wirkt etwas steril, der Betreiber hat möglicherweise schon abgerüstet, denn das angrenzende Restaurant steht nicht offen, nur eine kleinere Ecke dient als verbliebener Frühstücksraum. Immerhin kann ich einen kleinen Rabatt aushandeln. Viel teurer wäre ein Zimmer im alternativen Hotel etwas ortsabseitig wohl nicht geworden, nur wirkt es gemütlicher und erfreut sich einer großen Beliebtheit – dementsprechend war es ausgebucht. Hier aber begegnete ich unter den wenigen Gästen einem Radlerpaar, das aber nicht sehr gesprächig war.

Sa 4.7. Most na Soci – ? (580 m) – Tolminski Lom – Kanalski Lom – ? (798 m) – ? (888 m) – Kal Nad Kanalom – ? (813 m) – Lokovec – Cepovan – Grgar – Preval (336 m) – Trnovo – Lokve (947)
W: bis >30 °C, sonnig, diesig, schwül, auf Karsthöhe abends kühl
H/Gostilcne Winkler 38 mFr
AE (dito): Gnocchi m. Kräutern & Schinken, Roastbeef pikant, Pommes, Gemüse, Joghurt Cake m. Erbeersauce, Rotwein ? € (*****)
59 km | 9,4 km/h | 6:11 h | 1735 Hm

Während der Kolovrat als Kammgebirge eine noch weitgehend „alpine“ Geomorphologie aufweist, bildet die heute im ersten Teil anstehende Hochebene Banjsice einen echten Hybrid mit alpinen Gesteinsmerkmalen und Verkarstungen. Es ist die Schnittstelle zwischen Alpen und Karst und lässt sich als solche kaum sonst so gut beobachten. Das spiegelt sich z. B. darin wieder, dass einerseits die steilen Anstiege zur Nordseite (in mehreren Stufen) noch mit licht bewaldeten Felshängen aus kantigem Gestein zwischen den Bergwiesen und -weiden begleitet werden, die Talorte noch in klassischen Bach- oder Flusstälern liegen. Andererseits quert man folgend zwischen Kal Nad Kanalom und Cepovan eine typische, von zahlreichen Senken durchzogene Hochebene, die einen klassichen Karstwald abgibt, mit den ebenso typischen kleinen Lichtungen dazwischen und ohne erkennbare Abflüsse. Das Cepovan-Tal ist dann schon ein komplettes Tal ohne Flussbett, das keinen Auslauf zu Tal brechen muss und daher durch eine Passhöhe zur Soca hin quasi abgeschlossen ist.

Den größten Reiz strahlt dabei der lichte Buchenwald um den Pass zwischen Kanalski Lom und Kanalski Nad Kanalom aus, während das Cepovan-Tal als komplett offene, gefällarme Wiesenlandschaft eher etwas enttäuschte. Der Mystik der Gegend zufolge blieb es nicht aus, dass ich im Buchenwald auf ein besonders exotisches, wohl von seiner ursprünglichen Gestalt transformiertes Wesen traf. Die Augensprache des Wesens bedeutete mir eine große Artenverwandtschaft und Zuneigung, die ich allerdings nur bedingt erwidern konnte. In den biologischen Büchern der Erdenmenschen finden sich Hinweise wie Unke oder Kröte, die aber stets auch als verwandelte Menschen in Erscheinung treten – im Besonderen auch als Könige, etwa dem Froschkönig. Dafür, dass es sich hier um mehr als eine schlichte Kaulquappen-Erbfolgefigur handelte, spricht auch der Umstand, dass sich die Kröte in ungewöhnlich stolzer wie erhabener Bewegung über die Straße bewegte, obwohl doch Kröten eher in Verbindung mit klibbrigen Teichlöchern gebracht werden. In den Geschichten wahrheitsnaher Sagen spielen Frösche und Kröten eine herausragende Rolle, so auch in den Sagengeschichten Karantaniens. Dabei sind sie in nahezu allen Fällen eine verwandeltes Wesen eines menschlichen Charakters. Auch muss gesagt sein, dass das Licht im Buchenwald der Kröte einen ungemein irisierenden, königlichen Goldglanz verlieh, der sich nicht allein durch prismatische Experimentalwissenschaft erklären lässt. Diese hier gemachte Beobachtung einer zutiefst freundlichen wie auch nachhaltig wirkenden Begegnung mit der specii kröterensis sei für die Erkenntnisse von Commander speichen-08/15-kracher besonders herausgestellt, steht sie doch in unmittelbarem Zusammenhang des Forschungsauftrages, ein Königreich zu erkunden.

Es sei hier erwähnt, dass ich Kal Nad Kanalom auch von der Soca aus direkt nach der Kambresko-Abfahrt des Vortages hätte erreichen können, denn ebenso führt eine Straße mit einer Brücke bei Doblar hier hinauf. Weiters besteht eine asphaltierte Verzweigung bei der „Kröten“passhöhe nach Osten, auf der man die Cepovan-Most-na-Soci-Route oder aber die sehr gestreute Siedlung von Lokovec von Norden erreichen kann (und dann auf die meinige Route münden würde). Schließlich bestehen weitere asphaltierte Möglichkeiten, um die Karsthochebene südlich Kal Nad Kanalom zu beradeln, etwa über Kanalski Vrh nach Kanal zur Soca oder über Banjsice (Ort), Bate, Grgarske Ravne nach Grgar am Fuße des Cepovan-Tales. Ob von den Alternativen alle Streckenteile asphaltiert sind, kann ich nicht präzise verifizieren, die Wahrscheinlichkeitswissenschaften sprechen aber dafür.

Einen verbrieften touristischen Gasthof findet man in Tomlinski Lom, per Stichstraße von der ersten Passhöhe des Tages zu erreichen und daher noch in der Nähe von Most na Soci, wobei allerdings die Steigung dahin nicht zu unterschätzen ist. Cepovan verfügt über eine etwas versteckt liegende Einkehrmöglichkeit mit sicherlich unsicheren Öffnungszeiten, in Grgar steht eine Bar nebst eines kleinen Supermarktes, ein privater Zimmervermieter findet sich auch, der aber kein Essen anbietet. Als voll umfängliche Reiseraststation eignet sich zu den Hochtälern nur Lokve, soweit man nicht zu den Basisorten zur Soca oder nach Dolenja Trebusa abfahren möchte.

Eine flimmernde Hitze mit extrem diesiger Sicht beherrscht die Tagesmitte, sodass die Soca mit den drei Brücken und das Stadtgebilde mit Kromberk, Solkan, Nova Gorica und Gorizia nur hinauf dimmte. Die italienische Stadt mit seiner erhabenen Burg ist bei solcher Sicht schon gar nicht mehr im Süden zu erkennen, verschwimmt im Nichts. Ich suche die Gesellschaft einer lokalen Ziegengruppe bei der Passhöhe, um den wenigen Schatten für ein Picknick und eine Schlummerpause zu teilen. Da die Ziegen an meinen Vorräten ziemlich intrigant interessiert sind, muss ich zu unhöflichen Gesten und Maßnahmen greifen, wobei sich der Erfolg nur einstellt, wenn man das mehrmals wiederholt. Immerhin sind sie lernfähig, was sich nicht von allen Erdenmenschen sagen lässt.

Nach Trnovo folgt ein kontinuierlicher Anstieg auf die zweite Hochebene des Tages, die Karstebene Trnovski Gozd, unten moderat, jenseits von Ravnica ziemlich anspruchsvoll. Die Alpen sind nun nur noch ferne Horizontkulisse. Ein alter Soldatenbrunnen mit Wanne muss für unkonventionelle Abkühlung herhalten, kein Gewässer bietet der Tag sonst (Brunnen schon). Zwar ist auf der Strecke nicht mit viel Verkehr zu rechnen, heute jedoch sind viele Pferdetransporte unterwegs. Offenbar hat in Trnovo ein Turnier stattgefunden oder wird noch bis Sonntag weitergeführt. Direkte Hinweise sind aber nicht zu finden, es könnte auch ein Abzweig auf der Strecke zu einem Turnierplatz führen. Zwischen den Straßenrouten Cepovan – Grgar und Ravnica – Trnovo – Lokve verläuft noch eine weitere Radroute von Ravnica über Voglarji nach Lokve. Den Abzweig im Westen habe ich nicht registriert, im Osten bei Lokve ist es aber eine ziemlich raue Piste, die auch nicht als Siedlungsanschluss gedacht ist. Der Siedlungsanschluss (wohl Piste) verläuft nur von Westen, etwa bis zur Hälfte der Gesamtstrecke. Voglarji ist in jedem Fall nochmals per Asphalt von Trnovo aus zu erreichen.

Trnovo ist ein unscheinbarer Ort, der (fast) alles hat, was ein Mensch braucht, und das an einem Platz: eine Kirche für Stoßgebete, eine Picknick-Ecke für die Hungrigen (wobei man den Proviant selbst mitbringen muss), eine überdachte Wartehütte für schlechtes Wetter (im Zweifel abgeschlossen), Abfallkörbe mit Mülltrennung für die Ökobewussten (deutsch ist heute global), eine Wasserquelle für die Durstigen (hält, was es verspricht), Werkzeug mit opulenter Luftpumpe für die Radler (alles neuwertig), einen Defibrilator für die Herzschwachen (der Friedhof ist gegenüber), einen Bankomaten für alle mit Lizenz zum Gelddrucken (wenn man auch hier nichts dafür kaufen kann) und ein Pferdewagen als Ersatzmobil für Liegengebliebene (wobei die Pferde nur virtuell funktionieren, dafür aber ein Hut beiliegt, um eventuell auftauchende Volksmassen grüßen zu können). Der vollständig halber sei erwähnt, dass ich einen Hinweis auf einen Camping gesehen habe, der sich nebst Bar und wohl bei einem Freizeitgelände mit Schwimmbad abseits der Strecke befinden soll, in dieser Richtung auch wohl noch ein Privatzimmervermieter.

Die Hoffnung, die Höhe geschafft zu haben, wird östlich Trnovo wieder jäh zusammengestaucht. Die nunmehr typische Karstwaldhöhe mit teils sehr dunkelschattigen Passagen, evoziert mystische Stimmungen, die aber im Schweiße des Angesichts im steten Auf und Ab auf eine harte Probe gestellt werden. Da und dort radeln auch ein paar einsame schöne wie sportliche Frauen, bei denen es sich um Nymphen handeln könnte. Die Gespräche blieben jedenfalls kurz und geheimnisvoll. Klare Botschaften gaben sie mir nicht mit auf den Weg, während sie in Richtungen abzweigten, aus den der Wind vom Ende der irdischen Welten entgegen wehte. Vielleicht hatten sie auch meine Alienabstammung erkannt, die tiefer gehende Kooperationsprojekte in der transkosmischen Beziehungsaleatorik mit hohen Hürden versehen hat.

Lokve entfaltet sich gut gestreut auf das von den gehobenen Randlagen weithin überschaubare Plateau, das wie in einem weiten, sanft begrenzten Kessel eines verblichenen Vulkans liegt. Es ist nicht nur ein Skisportzentrum im Winter, sondern lockt auch im Sommer viele Gäste an. Es gibt einfache Unterkünfte verschiedener Art, auch mehrere Essstuben, eine weitere gute Gasthofadresse etwas höher in den Bergen in Lazna, dass man wiederum per Stichstraße erreichen kann. Die Einkaufsmöglichkeiten habe ich leider nicht ausgekundschaftet, es dürfte sie geben. Die beste Adresse vor Ort ist der Gasthof Winkler, wegen der Tagung eines Hundezüchtervereins an diesem Wochenende ziemlich gut ausgelastet. (Die Hunde waren in den Autos kastengesichert und konnten die Waden des Alien nicht gefährden.) Die Entscheidung hier ein Zimmer zu nehmen war wiederum einem Erkenntnis-Bonus von Commander speichen-08/15-kracher zu verdanken, der sich über die Schilderung der königlich anmutenden Kröten-Saga des Tages besonders gefreut hatte. Nicht nur wären preiswertere Alternativen möglich gewesen, auch ließe sich gut in der Umgebung ein Zelt frei aufstellen (besonders an der Sattelhöhe des nächsten Morgens).

Die Zimmerfreude ist begrenzt, da nicht gerade geräumig und ohne Ausblick, allerdings ordentlich. Auch die ausgewiesene Sauna ist nicht in Betrieb – wohl ein Winterprivileg. Dafür ist die Freude über das dargebotene Essen umso größer. Es werden überwiegend Produkte aus kontrollierter Eigen- oder Lokalproduktion angeboten, offenbar mit Öko-Etikett. Der Geschmack der Speisen ist superb obwohl keine Gourmetküche. Entscheidend sind die hochwertigen Zutaten und die individuelle Geschmacksnote, die allen Gerichten ihren Stempel aufdrückt. Besonders hervorstechend der sehr pikant abgeschmeckte Schmorbraten – so gut mundete auf der Green Devil schon lange nichts mehr. Die Bilder habe ich der Kantinenabteilung der Green Devil übermittelt, damit sie sich der Erforschung der Zubereitungsvorgänge widmen können.

So 5.7. Lokve – ? (968 m) – Cepovan – Preval Drnutk (761 m) – Dolenja Trebusa – Krt – Slap Prisjak (Wanderung, ca. 1 h) – Gorenja Trebusa – Mrzla Rupa/Pstota (924 m) – Vojsko (1077 m) – Idrija
W: bis >30 °C, weitgehend sonnig
Ü: C wild 0 €
AE (Gostilna pri Skafarja): Ravioli m. Kart.füllung & Lamm, Skafar-Schnitzel m. Schinken, Pommes, Salat, Eis, Rotwein 26,50 € (***)
52 km | 9,5 km/h | 5:20 h | 1180 Hm

Im Kampf mit Schotterpisten nimmt dieser Tag eine führende Stellung ein. Der sanfte Anstieg mit Panoramablick rückwärts auf Lokve gleitet noch auf geschmeidiger Piste. Oben warten Alpenblicke und auch hier – Abfalltrennung am Picknickplatz. Die Abfahrt dann ist bei starkem Gefälle schon eine recht ruppige Angelegenheit. Auch mal in umgekehrter Richtung aufwärts ursprünglich angedacht, wäre es keine Empfehlung ohne griffige Reifen und mit viel Gepäck gewesen. Heute Morgen scheint Cepovan etwas lebendiger als gestern, was alsbald für die gesamte Strecke gilt, denn anscheinend gibt es hier nicht nur Pferdeturniere, sondern auch Traktorrallyes. Immer wieder kommen mir Staub und Rauch aufwirbelnde Ackertrucks entgegen, stets mit freundlichen Grüßen der Piloten, aber den Dreck habe ich dann doch zwischen den Zähnen hängen – mehr als nur Feinstaub. Ob die Veranstaltung in Dolenja Trebusa beendet ist, oder ob es sich um eine Rundkurs-Rallye handelte (eine Gruppe mit PKW postierte sich als Zuschauergäste auf der Passhöhe), konnte ich nicht herausfinden. Ich fand zwar Plakate, die ich aber nicht genau deuten konnte. In jedem Fall wollte ich mich glücklich schätzen, den Samstag bei den Hundezüchtern verbracht zu haben und nicht bei den Bauerntrekkern. Und so was sagt ein Vertreter der Gesinnungszunft „cane non amore, pedalo per favore“, die auf der Green Devil viele Mitglieder hat.

Wie dem Gesagten bereits zu entnehmen ist, endet der Asphalt unweit und oberhalb des Cepovaner Siedlungsgebietes. Die Piste ist passabel, besser als die Lokve-Abfahrtsroute zuvor, aber eben ist Staub nun mal pistentypisch und bei Verkehr unvermeidlich. Landschaftlich ist diese Passroute über den Preval Drnutk eine sensationelle Felsenfahrt – mitten durch meist offene Kalksteinportale, auch mal ein Torbogen, vorbei an Sandsteingalerien, an sprießenden Felsentwässerungen, immer mehr davon nach unten hin, ein Überschwang an Büschen, die keine anorganische Ritze verschmähen. Waldreich untermauern dazu dunkelgrüne Bänder das Steingrau der Charakter-Felstürme, die sich im grellen Licht beim Betrachter vorzudrängeln wissen. Eine an Provençe, Vercors und Drôme erinnernde Kalkalpenlandschaft und gleichwohl – kaum verwunderlich – schon dem Karst verpflichtet, der hier auf der Westflanke die Hochebene Trnovski Gozd entwässert, während zur anderen Talseite das gleiche dem Idrijsko-Plateau geschieht, mit nicht weniger steil anwachsenden Höhenzügen.

Das Wasser sammelt sich in der forellenreichen Trebuscica, ein Paradies für Fliegenfischer und somit auch eine Nahrungsader zwischen Alpen und Karst wie Soca und Idrijca ebenso. Zahlreiche Gumpen bilden die Flussstruktur, von denen aber nur wenige über steile Abstiege zu erreichen sind. Weiter oben hingegen gesellt sich der Fluss zeitweilig mehr neben die Straße wie ein alpiner Weidebach. Aber auch zur die Bergseite bilden kleine Zuflüsse und Kaskaden Badewannen, von denen eine dem Alien die Häute ausgiebig zur Siesta kühlte. Noch zuvor führt ein Pfad, nicht ganz einfach zu laufen, zum steil felsumschlungenen Wasserfall Prsjak, auf den die Fassadenmalerei des Ausflugslokal an der Straße hinweist (nur Tagesgeschäft, etwa ab Mittag offen). Der Abstieg zu den Gumpen des markanten, streng linear gezogenen, auf Magersucht getrimmten Wasserfallstrahls nebst seiner volumigen Derivate, dafür kürzer beschnitten, ist beschwerlich. Badelustige und Fotografen sollten technische Steighilfen mitbringen – drei solch Verwegene haben es bis ganz unten geschafft, der Alien blieb oben.

Kaum nahm ich nach der langen Rast weitere steile Kehren vor der Kulisse paariger oder getrippelter Zuckerberge in Angriff, stieg in mir eine Eiseslust. Einzig vermerkt die Karte ein Gasthaus in Gornja Trebusa, nicht unrecht, aber ohne Eis, nur Bier, kein Eistee, keine Cola, von Essen ganz zu Schweigen, irgendein Saft findet sich, eher ohne die erhoffte Erfrischungswirkung. Wohl passen die Bewohner des Weilers an einen einzigen Tisch – hier spricht man natürlich nur slowenisch, erstmals und wohl einzig ist die Kommunikation schwierig, auch etwas verschlossen die Anwesenden, wie manche der Bergvölker so sind.

Bald geht der Asphalt in Schotterpiste über, die aufgrund der permanent höllischen Steigung nicht ausreichend stabil ist. Mehrfach muss ich kurze Stücke schieben, die Sattelpassagen sind kaum schneller. Es gibt zwar auch hier und dort mal ein Haus, aber keine markante Siedlung. Echte Bergsiedlungen sind mittlerweile in Slowenien fast immer per Asphalt erschlossen – auch wenn es sich nur um ein paar Weiler handelt, manchmal auch einzelne Höfe, die von Bedeutung sind. Das geschieht aber nur zu einer Anfahrseite, sodass komplett asphaltierte Durchfahrrouten in einsamen Regionen nicht immer gegeben sind. Auch für Mrzla Rupa gilt das, welches von Vojsko bzw. Idrija aus erschlossen ist, während die Anfahrt über Dolenja Trebusa eher einen Geländewagen erfordert.

Der steile Pistenabschnitt lässt einige Panoramablicke zu, führt aber mehr durch Wald als der untere Asphalt-Teil. Mit Mrzla Rupa erreicht man nicht nur wieder einen Siedlungsbereich, sondern auch wieder die typischen Karstwiesen und -wälder. Dabei sind die Oberflächenkonturen stärker gewölbt, um nicht zu sagen teils sausteil, was denn auch für die Asphaltstrecke nach Vojsko gilt. Ein kurzer Abschnitt ist so steil, dass mein Rad selbst mit den Lowridern als Gegengewicht droht abzuheben. Das Vertrauen in fliegende Velos ist bei mir nicht groß, da ziehe ich unsere Raumfahrttechnik auf der Green Devil vor. So gerade eben würge ich das Radgefährt nach oben – Schieben wäre hier kaum mit den schwerelos-gewöhnten Alienmuskeln möglich gewesen. Man frägt sich, wie hier Autos ohne Zahnräder den Berg erklimmen – ein Traktor führt es mir aber vor – wenn auch nicht ganz überzeugend.

Nun war wieder Asphalt bis nach Idrija gesichert, soweit ich keine Experimente zu den Idrijca-Quellen machen würde. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten, die ich aber im Rahmen der Reise nicht erkunden konnte. Hier sind auch Durchfahrtsanschlüsse an die Route des nächsten Tages möglich. Von Vojsko aus, einem kleinen Wintersportort mit unübersichtlicher wie spärlicher Infrastruktur für Sommergäste, gleichwohl einem netten Kirchlein, führt die Route über das geschwungene Karsthochtal eines Bergkamms des Idrijsko zunächst nur leicht hinab. Ein Gastbetrieb unter dem Namen „Beli Kamen“ umwirbt gastfreundlich auch Radler etwa zur halben Strecke etwas abseits bei Polanec bzw. dem Berg Potok, noch oberhalb dem Abzweig Cekovnik (der zur anderen Seite liegt). Erst spät beginnt eine recht sausige Talfahrt über eine rassige Bergstraße mit Fels- und Waldpassagen, nicht immer mit den besten Lichtverhältnissen, für ungeübte Velopiloten sicherlich eine größere Herausforderung.

Obwohl es an Gefälle nicht mangelt, sind die Talblicke in Richtung Idrija geradezu abgeschnitten. Die Stadt taucht erst spät im Augenschlag auf, schmiegt sich fast unbemerkt in das hügelige Profil, kaum eine flache Entfaltung ist in der Idrijca-Aue möglich. Einige Schlösser, repräsentative Bürgerhäuser und Villen zeugen von wohlhabender Vergangenheit, mit kräftigem k.u.k.-Gepräge. Die beiden Stichworte des wirtschaftlichen Ruhms lauten „Schaufel und Spitze“ – genauer der Bergbau der Quecksilbermine und das Textilhandwerk des Klöppelns, mit der kunstfertige Spitzen hergestellt werden. Letzteres ist natürlich auch heute noch eine Wirtschaftsperspektive für die Zukunft, zumal solch handwerkliche Kunstfertigkeiten wieder im Trend gegen die Allmacht künstlichen Digitalwelten liegen.

Weniger glücklich sind lange die Gesundheitskarten der Einwohner von Idrija gewesen, denn die Quecksilberproduktion lief erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aus und währte ca. 500 Jahre. Quecksilber, ein höllisches Gift für Körper und Geist, bewirkt chronische Nerven-Vergiftungen, zu denen bereits 1527 Paracelsus anmerkte: „seht ein Beispiel in Idria; all die da wohnen sind krumm und lahm." (so laut Wikipedia) Viele Arbeiter fanden sich bald in einer Nervenheilanstalt wieder, welche zu einem der monumentalsten Gebäude der Stadt wurde. Schädliche Arbeitsbedingungen zählten und zählen auf dem Erdenball zu allen Zeiten als scheinbar unvermeidlicher Kollateralschadens einer Erwerbseinkommens- und Wirtschaftskultur, die das Geld über die Nachhaltigkeit von Glück, Gesundheit, Lebensfreude, Genuss, Friede und Liebe stellt. Auf der Green Devil wurden daher alle Formen von Erwerbswirtschaft abgeschafft und es können nur Zufriedenheits- bzw. Glücksparameter erzeugt bzw. gehandelt werden. Entsprechend sind externe Erlebnismomente wie Reisen aus der Galaxie der Siebentausend Grünen Froschlöcher heraus wie etwa zum Erdenball nur sehr schwer durchführbar, bräuchte man dafür nämlich wieder die alten Modelle geldwirtschaftlicher Spekulations- und Konkurrenzwirtschaft. Einige Mittel wie die beschränkte Bankomatenlizenz erlauben jedoch begrenzte Exkursionen, nicht zuletzt in Form von Forschungsreisen.

Ich konnte Commander speichen-08/15-kracher beruhigen, dass die Goldgewinnung im alten Königreichs Karantanien wohl nicht durch das Amalgamverfahren (unter Verwendung von Quecksilber) statt fand, da das Verfahren erst in späteren mittelalterlichen Epochen entwickelt wurde. Der Ruhm der zweitgrößten Quecksilbermine weltweit, immer auch ein bedeutender wirtschaftlicher Anker der Habsburger Donaumonarchie, ist nun heute verblasst, alte Häuserruinen mit zerbrochenen Scheiben zeugen in der Stadt noch von dem Abgesang der alten Bergwerkskultur.

Damals rankten sich Legenden um die Bergstollen, wie der eines Knappen, der einst von einem Zwerg ins Innere des Berges gelockt wurde, etwas Besonderes zu sehen. Dabei führte der Zwerg dem Knappen einen funkelnden Saal vor, aus purem Gold. Säulen, Türen, Wände, Böden und Türen glitzerten, wenn nicht aus Gold, dann aus Rubinen, Diamanten oder Smaragden. Der Knappe erlebte, wie sich Türen öffneten, weitere Zwerge mit Dudelsäcken, Geigen und Trommeln zum Tanz aufspielten. König und Königin traten hervor, weitere Edelleute umgarnten den Hofkreis. Der Knappe konnte sich mit König du Königin unterhalten. Irgendwann ermüdete der Knappe und ließ sich von dem Zwerg wieder aus dem Berg des geheimen Schatzes führen. Der Knappe erzählte die Geschichte seiner Frau und ließ aus seinem Arm ein Klumpen fallen, der jener Goldklumpen sein sollte, der ihm der Zwerg als Beweisstück geschenkt hatte. Aber auf den Tisch fiel nur ein Brocken Lehm. (vgl. Wilhelm Kuehs, S. 84 f.) Commander speichen-08/15-kracher kratzte sich stirnrunzelnd die Kopfhaut, als ich die Geschichte erzählte, befand aber abschließend, dass Lehm für ihn immer auch etwas Goldenes in sich tragen würde. Immerhin, so meinte er, wäre es ja möglich, dass das Königreich des Zwerges immer noch existieren würde. Widerlegen könne man es ja nicht. Ich brachte ihm jedenfalls zwei Lehmminiaturen des Krainer Volkes in folklorer Bemalung zur Ansicht mit.

Teile der Stadt putzen sich heute in neureicher Eleganz heraus, wenngleich etwas bescheidener als k.u.k, aber von ausgeprägter Lebenslust und sportivem Gesundheitsbewusstsein getragen. Es fehlen mir die Zahlen der neuzeitlichen Wirtschaftsentwicklung, aber der Keim einer lebenswerten Stadt mit vielen jungen Menschen ist unübersehbar. Da passt es in das Bild, das auch im scheinbar einfachen, fast spelunkenhaften Gasthof die Essensqualität sehr gut war, wenngleich ohne gourmetmäßige Avancen. Der Radladen, den ich am nächsten besuchte, bot großzügige Rabatte auf das gesamte Textilangebot, was mich zu einem Unterziehhemd und einem froschigen, der Corporate Identity auf der Green Devil entsprechenden Trikot verleitete und mittlerweile von den dortigen Kollegen laut beklatscht wurde. Die Räderauswahl ist eher klein, aber durchaus mit gemischtem Sortiment, auch Ersatzteile scheinen die wichtigsten Mängelerscheinungen abzudecken, die denkbar wären. Mindestens einen weiteren Laden mit Rad-Equipment konnte ich im inneren Stadtbereich ausmachen.

Mo 6.7. Idrija – via Krajinski Park Zgornja Idrijca (Kanalweg) – Idrijska Bela – Zadlog – Crni Vrh – Strmec/Godovic Pass (852 m) – Col – Soteska Bela (Wanderung, 0,5 h) – Vrhpolje – Vipava – Mance – Kobdilj – Dobravlje – Kazlje – Storje
W: bis ca. 30 °C, sonnig, teils sehr schwül, teils windig
Ü: C Kamp Storje 10,65 €
AE: Selbstversorgung, Weißwein gratis
75 km | 13,0 km/h | 6:45 h | 1065 Hm

Die Lage zur Unterkunft war in Idrija unübersichtlich, die Touristinfo schon geschlossen. Die von mir anvisierte Jugendherberge ist offensichtlich mehrere Kilometer außerhalb irgendwelcher Berge hinauf zu finden. Um nicht meine Bankomatenlizenz zu sprengen, verwarf ich sämtliche angebotenen Schlafstuben ohne weitere Nachforschungen und stellte mein Zelt auf die vorstädtischen Auenwiesen der Idrija, in der ein nebelreiches Erwachen für eine inspirierende Morgenstimmung sorgte. Das gesparte Übernachtungsgeld floss dann – wie schon erwähnt – in den Sektor der Fahrradbranche und die lokale Cafékultur (Ambiente etwas neumodisch für die hippe Jugend).

Den gesundheitsbewussten Sportslowenen sieht man ggf. auf nachfolgender Wegstrecke, die man zunächst als Fahrweg, später eigentlich Fußweg, etwas oberhalb des Ortes findet (Vodnikova ulica). Der Weg beginnt bei Ausstellungsstücken des Bergwerks als schmale Wohnstraße und führt an einem kleinen Kanal entlang, der eine feucht-grüne, schattige Spazier-, Jogging-, Rekreations- und Konversationslunge oberhalb der Idrijca prägt. Der Weg endet an einer kleinen Staumauer mit einem Blauschimmersee. Hier ist aber Sackkasse, nur noch ein Wandertrail führt weiter. Der Staudammwärter, der gerade seine morgendliche Kontrolle machte, erklärte mir schließlich, dass es nur 150 m zurück eine Hängebrücke gäbe (eigentlich nur für Fußgänger gedacht). Die hatte ich erst gar nicht durch den Wald wahrgenommen. Über eine anschließende kleine Treppe gelangt man auf die gegenüberliegende reguläre Straße.

Dabei unterlag ich dem Irrtum, dass der Blauschimmerstausee bereits der Divje jezero wäre, ein kleiner runder Karstsee von Felswänden umgeben, von großer Tiefe und als Ablauf mit dem kürzesten Fluss Sloweniens mit nur 55 m. Dieser See liegt aber eben auf der Seite der regulären Straße, wiederum abgewandt zur Idrijca und versteckt und zudem etwas unterhalb der Hängebrücke. Dort ist er auch nicht ausgeschildert. So verpasste ich diesen Karstsee. Soweit und so schön dieser spezielle Kanalweg sein mag, sei dieser Hinweis wichtig für Nachahmer, evtl. die Straße zu benutzen, oder nochmal von der Hängebrücke ein Stück abwärts zu schauen.

Ich muss mich aber der idyllischen Eindrücke nicht grämen, denn die Idrijca bildet hier immer wieder kleine smaragdfarbene Zwischenseen, manchmal Gumpen und fließt zwischen zahllosen Steinblöcken hindurch. Das alles wirkt recht unberührt, nur gelegentlich Wanderwege, die über kleine Hängebrücken in den Wald zur anderen Seite führen. Viele Stellen werfen Badestellen ab. Jedoch strömen die meisten zum Baden nach Idrijska Bela, eine kleine verstreute Siedlung, wenn sich das schmale Flusstal etwas weitet. Im obersten Teil des Ortes liegt eine Freizeitanlage mit gepflegtem Badebereich, Picknick- und Grillmöglichkeiten, Kiosk, diversen Freizeitsportanlagen und natürlich den unvermeidlichen Parkplätzen. Keine große Geschichte, alles noch dezent und halb verdeckt zur Straße hin. Beim Badebereich quert man die Brücke bei den beiden zusammenfließenden Flüsse Idrijca und Bela. Beide Oberläufe lassen sich noch weiter per Piste erkunden, wobei Routen nach Mrzla Rupa bzw. Vojsko und Cekovnik möglich sind (vgl. Vortag).

Zum Baden finden sich weitere Stellen auch etwas unterhalb der Freizeitparks ohne jeden Trubel. So erfrischt, folge ich beim unteren Ortseingang von Idrijska Bela der Straße nach Zadlog. Es ist allerdings großteils Piste, die einen gehobenen Körnerverbrauch beansprucht. Da die Piste etwas sandig ist, reicht jedes der wenigen Autos aus, eine Gedenkstaubpause einzulegen. Karstige Wiesen, karstiger Wald mit mystischen Steinblöcken, oben dann die Öffnung zu einem weitläufigen Karstplateau, die teils als Acker genutzt werden. Die intensiveren Anbauflächen finden sich aber wie die Siedlungen meist nur am Rande der Ebene, was auf die Wasseradern deutet. So entsteht eine eigenartige Siedlungsstruktur mit Gemüseoasen. Bereits vortags konnte ich in Mrzla Rupa beobachten, wie Gemüse in Senken angebaut wird – also da, wo eigentlich normalerweise die Täler von Flüssen oder Bächen verlaufen müssten. Dort sammelt sich im Karst noch das meiste Wasser, das von den Hängen herunterläuft. So entstehen je nach Topographie kreisrunde oder schmale, langgestreckte Anbauflächen in den Senken.

In Crni Vrh erreichen meine Durst- und Fruchtgelüste galaktische Dimensionen, die ich gierig mit Supermarkt-Eis und Wassermelonen befriedige. Der Godovic-Sattel ist ein Straßenpass mit Transitcharakter, den auch einige größere LKWs nutzen. Nach den unteren Panoramaserpentinen bohrt sich der Pass teils eher unscheinbar in den Berg, die Steigung ist anspruchsvoll, wenn auch nicht mörderisch. Genau genommen sind es zwei Pässe, denn zwischen der Scharte, die die Straße zunächst durchquert, und der eigentlichen Passhöhe westlicher mit einem Gasthaus liegt eine Zwischensenke, die zu beiden Seiten ohne Abfluss eingeschlossen ist. Unten findet sich wieder der kleinteilige Gartenanbau, während die Straße halbhoch am Hang die Karstsenke umschleicht.

Nun folgt der Übergang des Karstplateaus zur bereits mediterranen Weinregion des Triester Karstes mit den Weinstraßen Vipava in der Flusssenke unmittelbar unterhalb des großen Karstabbruches und weiter im Süden jenseits des kleinen Höhenzuges, der die Südseite des Vipava-Tales begrenzt, der Karst-Weinstraße. Dabei vermischen sich die Straßen im Osten durch die Weinrouten in Nord-Süd-Richtung nach Sezana hin. So gesehen beginnt mit dem ersten richtige Weinort Vrhpolje (kleiner Camping vorhanden) bereits das nächste Kapitel, hier aber der Einfachheit halber noch zu Ende des Tages geführt.

Die fortgeschrittene Zeit zwang mich zu der vielleicht weinbergärmsten Routenvariante, eher unerwartet mitteleuropäisch bewaldet. Wer mehr Weinreben sehen möchte, sollte besser noch vor Kobdilje/Stanjel in Richtung Stjak fahren und dann die Hügel nach Kazlje queren oder ggf. noch eine weitere, östlichere Variante über Razguri, über die man dann auch nach Storje gelangt. Allerdings sind diese Varianten noch schwieriger einzuordnen als meine Variante, die durch das viele Auf und Ab ziemlich aufreibend ist, obwohl die Steigungen nicht mehr die Härte der vorhergehenden Alpen- und Karst-Regionen haben.

Vor dieser Weinroute steht aber noch der spannende Abfahrt durch den großen Karstabbruch zwischen Godovic-Pass über Col (eine Art Terrassenausblicklage vor der Weinebene) nach Vrhpolje. Markante Gesteinsschichten treten auf der Südflanke nach Westen hin zu Tage. Zur Südostseite blickt man auf das Nanos-Gebirge, nochmals eine kleine eigene Welt, für die keine Forschungsmittel mehr vorhanden waren. Zu Fuße des Nanos-Massivs befindet sich die Schlucht Soteska Bela mit steilen Felsenwänden, die bei Freeclimbern sehr beliebt sind. In der Schlucht bildet der Fluss sehr hübsche Gumpen, die allerdings durch viel Dornengestrüpp nicht gerade leicht zu erreichen sind, zuvor gilt es noch eine schwindelerregende Leitertreppe zu bewältigen. In der Schwüle hatte sich das letzte Tagesdrittel mal wieder stark eingetrübt, wodurch der Eindruck der Gumpen etwas unter dem fahlen Licht leidete.

Kein Karstabbruch ohne Karstquelle, die den unteren Bewohner mit ihrem Aderlass zu fruchtbarem Land verhilft. So liegt direkt im Ort Vipava die Karstquelle bzw. eine von mehreren. Ein unscheinbarer Teich bildet das idyllische Ambiente für eine hübsche Lokalität mit Gasttischen unter schattigem Laubendach. Die Quelle ergießt sich fast unbemerkt in einem kleinen Felsloch von unten in den Teich, der erst durch das Stauwehr von Menschenhand etwas die Lebensquellgeburt verdeutlicht. Gradisce pri Vipavi bietet nochmal Camping und Weingasthof, danach bleibt die Infrastruktur lange Zeit spärlich. Ich gelange in die Dunkelheit, verschätze Distanz und Topografie. Angelockt wurde ich nach Storje vor allem durch die Aussicht auf ein edles Restaurant. Der kräftezehrende Kampf um das gute Essen endete mit einer schweren Niederlage, denn der Speisetempel hüllte sich ins Dunkle im doppelten Sinne – er war just an dem Tage geschlossen – eine Montagsfalle. Sezana war jetzt aber schon zu weit entfernt gemessen an der Uhrzeit und auch keine Empfehlung für einen Rastort. So begnügte ich mich mit kärglichen Proviantreserven aus der Radtasche auf dem hübschen Weingut-Camping. Quasi als Trostpflaster erhielt ich eine Karaffe des Hausweines, ein weißer, leicht gold schimmernder, dezent fruchtiger wie frischer Sommerwein mit einem Hauch Pfirsich- und Zitrusaromen. Die Sitte des Empfangsweines für den Gast scheint es auf allen slowenischen Weingut-Campings zu geben, wie die Fortsetzung belegen sollte. Karantanischer Geist wird hier getrunken.

Musik: Peter Savli vertritt die junge Komponistenregion Sloweniens, hier mit einer ungewöhnlichen Besetzung aus Marimba und Orchester. Verschiedene Einflüsse fließen in die Musik ein, die hier bis in tänzerische Ragtime-Anleihen reichen: Peter Savli „ Koncert za marimbo in orkester” (14:53 min.)

Bildergalerie Kap. V (142 Bilder):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 13.12.15 19:53

KAPITEL VI
Der Wein, das Meer und ein Loch im Stein:
Mediterraner Genuss zwischen Triester Bucht, Collio & Colli Orientali


Di 7.7. Storje – Sezana – via Basovska cesta – Basovizza – Draga San Elia – via Ciclopedonale Giordano Cottur – Bottazzo – Cascata Ghiacciatta /Val Rosandra (Wanderung, 0,5 h, ohne Badezeit, ohne tiefere Talerkundung) – Bagnoli della Rosandra/Rifugio Mario Premuda – Dolina – Prebenico – Stramare/Rabuiese – Ankaran
W: bis ca. 30 °C, sonnig, am Meer abends tropisch schwül
Ü: C Ankaran 15,65 €
AE (dito): Pasta m. Oliven & Schinken, gem. frittierter Fisch, Pommes, Eis, Weißwein 27,90 € (**)
50 km | 12,2 km/h | 4:02 h | 605 Hm

Auf dem Camping lernte ich zum Frühstück zwei Reiseradler kennen, die zusammen unterwegs waren, weniger auf Welttour als mehr in ausgewählten europäischen Gebieten. Der eine ein Russe, aber wohl irgendwie in Israel lebt, der andere ein Israeli, aber irgendwie russische Verbindungen hat (beide sprachen miteinander russisch, mit mir Englisch, wobei der Russe kaum Englisch konnte). Namentlich kann ich mich nur noch an Michael aus Israel erinnern. Beim Tee tauschten wir ein paar Routenempfehlungen in der Umgebung aus, unterhielten uns aber auch über ein paar Mentalitäten von Erdenmenschen. Zu den Mentalitäten gehören auch dünn-brühige Teebeutel-Getränke, kaum anders, wenn kaffeeähnliche Getränke gereicht werden, wenn man mit irdischen Reiseradlern frühstückt.

Eigentlich sollte der Besuch von Sezana zum Reisehöhepunkt werden. Ich hatte Kontakt zu einem anderen, sich selbst bezeichnenden Alien aufgenommen, Roberto Magris, der sich erfolgreich auf dem Erdenball als Jazzpianist und karantanischer Geist aus der Triester Bucht kosmopolitisch in der Welt etablieren konnte. Seine Konzerte erreichten Hörer in den ehemaligen sozialistischen Abhörstaaten Jugoslawien oder Rumänien in konspirativen, nicht nur ungefährlichen Begegnungen ebenso wie im Andenhochland zu Huaraz in Peru auf 3500 m Höhe. Die Begegnungen mit Musikern führten ihn nach Germanien, Gabun, Kanton, Manila, Samarkand, Melbourne oder auch Israel, seine Label-Gründung mit J-Mood Records vollzog er in den USA, eine Art zweite Raumstation, und doch wohnt er meist im Habsburger Alpen-Adria-Raum grenzüberschreitend in Repen und Sezana. Die Begegnung kam auf unglückliche Weise nicht zustande, weil er zu meiner Reisezeit in der Triester Bucht selbst im Urlaub weilte. Die letzte Alternative eines Treffens mit gemeinsamen Essen zu Ende der Tour in Udine scheiterte an der Kollision mit seinem Gig beim Triester Jazzfestival, während ich zur selben Zeit die Vorbereitungen zur Abreise vom Erdenball zurück zur Green Devil einleiten musste. Wie er mir später gestand, schwitzte er leidlich beim Festivalauftritt auf den dort offenen Bühnen – ein offensichtlicher Hinweis auf die Ähnlichkeiten der mir bekannten Alienhautstruktur. Wie unter Aliens üblich sind solche Kontakte aber nur aufgeschoben, sodass ich wohl in absehbarer Zeit erneut bei Commander speichen-08/15-kracher um die Bewilligung von Forschungsmitteln für Reisen auf dem Erdenball betteln muss.

Sezana ist als slowenische, wirtschaftlich bedeutende Grenzstadt nicht unbedingt eine Schönheit, der Ort funktional und sehr geschäftig. Die Leute haben nur wenig von der Poesie des Hinterlandes der Karstweinstraße, die fast unmittelbar bei der Stadtgrenze beginnt. Umso mehr bin ich überrascht über an verschiedenen Plätzen festgekettete, regengesicherte Lektüren mit Gedichten von Srecko Kosovel, einem nur unweit in Tomaj geborenen, jung verstorbenen, aber dennoch grandiosen Poeten, der dem Karst eindrückliche Sprachbilder zuzuweisen wusste (vgl. auch letztes Kap. in der „Via Dinarica“).

Die Konkurrenz zur großen Adria-Metropole Triest und das Geld der Grenzgänger lässt in Sezana die Ansprüche groß und teuer werden und so erhalte ich hier an eher bescheiden wirkenden Marktstand eine der besten Tomaten, die ich jemals erworben habe. Ungeachtet der noch frühen Stunde herrscht bereits eine flirrende Hitze. Ich verlasse Sezana nach Basovizza im Süden über einen expliziten Rad- und Wanderweg durch ein Naturschutzgebiet (westlich der Lipica-Route) – allerdings von recht grobem Schotter geprägt, der zuweilen eine unzumutbare Körnung mit kantigen Rippen erreicht. Außer von Mountainbikern wird der steigungsarme Weg auch gerne von Fitnessläufern der privilegierten Region genutzt. Der Boden zeigt eigenwillige Karsterscheinungen, der Wald besteht überwiegend aus mediterranen Kiefern.

Die kleine Tortur endet in Basovizza, ein ebenfalls geschäftiger Grenzort ohne Besonderheiten. Zum Glück muss ich die recht dicht befahrene Straße nach Kozina nicht ausfahren, schon bald findet sich ein Abzweig direkt nach Draga San Elia mit Ausschilderung zum Bahntrassenradweg im Val Rosandra. Erreicht man Draga San Elia, ist der kleine Ort etwas unübersichtlich, die Durchfahrt zum Radweg muss man etwas suchen. Im Ort scheinen einige kauzige Bewohner zu leben wie ein Hühnerzüchter und ein Radfahrer mit einer etwas rätselhaften verklebten Vitae seiner velophilen Erlebnisse. Letzte Verpflegung hier bei der Locanda Mario, in einschlägigen Kreisen gelobt, von mir nicht getestet. Nicht auslassen sollte man den Brunnen, denn der Bahntrassenradweg bietet zumindest auf dem von mir beradelten Teil keine weitere Quelle, soweit man den Weg nicht verlassen will.

Das Val Rosandra ist mit diesem geschotterten Radweg eine aussichtsreiche Möglichkeit, sich Trieste durch den Karstabfall felsig zu nähern. Da ich die Route halbhoch verlassen habe, weiß ich nicht, wie die Stadteinführung nach Triest umgesetzt ist. Das Val Rosandra hat noch eine untere Ebene, die des Flusses mit zahlreichen Gumpen und einem Wasserfall. Zur oberen Kante des Wasserfalls kann man gelangen, wenn man etwa mittig des ersten Wegabschnittes eine Straße nach unten nimmt – besser gesagt, eine fast senkrechte Falllinie. Die kurze Strecke reicht um Bremsbeläge im Profil zu halbieren, das Schieben des Rades aufwärts verbraucht etwa eine Badewanne voll Frischwasser und ist nicht unter 7 Hechelzungen zu bewerten, auch wenn maximal nur 5 Zungen vergeben werden können. Zur Verwunderung gibt es unten (Bottazzo) ein Ristorante/Bar, bei dem tatsächlich Autos stehen. Wie die Autos den Berg hochkommen, bleibt ein Geheimnis der Motoreningenieure der Erdenbewohner, welches mir verborgen blieb.

Der Weg zur Wasserfallkante ist wurzelig unter tief hängenden Ästen, das Rad lässt sich bedingt ein Stück weit vorschieben, nicht aber bis zur Kante, wo sich zuvor einige Gumpen auftun. Den Wasserfall hat man so aber nicht im Blick, dazu führt ein Weg außen rum zur anderen Bergseite, an einer Kapelle vorbei, die vom Radweg gut sichtbar auf einem Fels ruht, und dann hinunter in das Flusstal – allerdings eher ein Rinnsal. Der Wasserstrahl ist also nicht üppig, zu späteren Sommerzeiten vielleicht gar vertrocknet. Das Rosandra-Tal lässt sich entsprechend auch von unten erwandern, die dort liegenden Gumpen sind aber um viele Italiener mehr bevölkert, weil längst nicht mehr geheim. Ich war zu späterer Stunde noch an der Basis dieses unteren Tales beim Rifugio Mario Premuda und dem Örtchen Bagnoli della Rosandra. Dort ist die Perspektive auch faszinierend, der Weg wird von vielen Badegästen angegangen und ist offiziell radfahrverboten, wenngleich hier der Italiener dem Verbot nicht immer Beachtung schenkt. Ratsam ist das Radeln aber auch nur mit geländetauglicher Ausstattung und dann eher zu frühen oder späten Zeiten.

Während ich morgens mehrere Radler, auch Rennradler, auf dem Rosandra-Radweg antraf, wurde der Weg in den heißen Nachmittagsstunde eher gemieden. Ausnahme war ein deutsches Radlerpaar (die germanische Härte), die ich an dem Kreuzungspunkt von Radweg und der Straße nach Bagnoli traf. Sie waren mit Tagestouren in der Umgebung Trieste unterwegs, mit Hotelunterkunft in der Stadt und suchten jetzt noch einen kleineren Tagesabschluss ohne größere Steigungen, sodass ich ihnen den Bahntrassenradweg schmackhaft machen konnte.

Der weitere Weg führte mich über teils nicht unerhebliche Rampen durch ein paar kleine Dörfer, mit Aussicht auf die Burg Socerb oder aber auf die Triester Bucht mit den vielen Öl- oder Gaslagerkesseln. Genau heißt es eher Golf von Triest im Allgemeinen und der von mir bezeichnete Ausschnitt „Triester Bucht“ eigentlich Bàia di Muggia. Über steile Nebenstraßen gelange ich schließlich in das unübersichtliche Straßennetz in der Ebene und finde kaum noch aus mehreren Kreisverkehren heraus. Der Radler ist nicht vorgesehen, er findet Fahrverbote ohne Alternative. Die Ausschilderung für die Halbinsel ist unzureichend, wenn man Ankaran und nicht Muggia sucht. Die Orientierung wird noch durch eine neue Brücke von der Koper-Route zur Ankaran-Route erschwert, die auf den meisten Karten noch nicht eingezeichnet sich.

Koper erscheint nun bereits in der Abenddämmerung am anderen Ufer mit seinen gleichwohl gewichtigen Hafenanlagen und dem charakteristischen venezianischen Kirchturm in der erhöhten Stadtmitte. In Ankaran hingegen herrscht großer Trubel in einem funktionalen Touristenort ohne Schönheiten. Der Camping ist eine Offenbarung in negativer Hinsicht – das einzige Mal, dass ich mich bei einer Übernachtung unwohl gefühlt habe. Wie Lemminge verteilen sich die Gäste im riesigen Campingpark, ein Trallalala von Regularien, Schlüsseln, Bändern, Mülltüten und Vorschriften-Zetteln. Ich fühle mich überfordert und bin schon wieder nahe dabei abzureisen. Meine Anmerkung „Ich möchte doch nur ein Zelt aufstellen“ stößt auf allgemeine Hilflosigkeit, weil derartige Bescheidenheit dem professionellen Hochleistungs-Camping unbekannt scheint.

Auch das Restaurant am See macht nur bedingt Freude, zuviel Klimbim und Trubel. Immerhin treibt etwas von der Nachtstille des Meeres auf die Terrasse und die Lichter aus Koper verbreiten eine zivile Ruhe, die mich glauben lassen, dass man drüben schönere Lokale finden würde. Der Höhepunkt aber für meine Saurier-Häute ist dann das – wenngleich kurze – Meeresbad in der dunklen Nacht, zu dem mehrere Stege einladen. Ich übermittle die Salzwasserperlen mit unserem Naturalsensorenscanner an die Green Devil, wo Sole-Anwendungen zu den absoluten Luxusgütern gehören. Die Nacht war von solcher Milde, dass es keines Zeltes bedurft hätte. Allerdings war dem Beleuchtungsterror auf dem Camping selbst mit Zeltwänden aus Antimaterie nicht beizukommen.

Mi 8.7. Ankaran – Lazzaretto – Muggia || Personenfähre (ca. 25 min.) || Trieste (Hafen) – Trieste (Universität) – Villa Opicina – Borgo Grotta Gigante (Besichtigung, ca. 1 h, mit Wartezeit ca. 2 h) – Sgonico – San Pelagio – Gorjansko (Weinprobe, ca. 1 h) – Komen – Skrbina – Zelezna vrata (445m?/345m?) – Dornberk – Zalosce
W: bis >30 °C, heiter, später bedeckt, abends/nachts schwere Gewitter
Ü: C VinaSaksida 10,63 €
AE (dito): Aufschnitt m. Schinken, Käse, Auberginen, Eis, Weißwein 13 € (*)
T: Personenfähre Muggia – Trieste 4,30 € (P) + 0,90 € (V)
B: Grotta Gigante 12 €
B: Weinprobe Strekelj, Gorjansko 0 € (Einkauf Flasche Likör 8 €)
64 km | 12,8 km/h | 4:55 h | 825 Hm

Wenig ist von dem Trubel am frühen Morgen zu merken. Alles horcht einer besonderen Stille, einem Morgengebet. Die Strecke zu Westkurve der Halbinsel wird nun schöner, über Weinreben hinweg und durch Spaliere von Zypressen bildet sich das fahle Morgenblau des Meeres im Auge, Frachtschiffe schieben sich in die Sehfenster. Sind es hier eher junge Menschen, die eine morgendliche Fitnessrunde laufen oder radeln, gesellen sich auf der italienischen Seite Pensionäre als Frühbader ins Gesundheitsprofil der Ertüchtigungsgesellschaft. Jeder Augenblick ist Augenweide. Das Meer irisiert, das Meer hypnotisiert, das Meer verführt zum Müßiggang. Es riecht nach Algen mehr als nach Salz, doch die Haut fühlt sich liebkost von seidiger Brise. Die Wellen spielen Melodien mit minimalistischer Wiederholung, die Segelmasten stoßen sich mit Triangelklängen im Wind. Das Meer eilt nicht, wie darf ich hier auf die Uhr schauen?

Die Anlegestelle der Personenfähre von Muggia nach Trieste ist selbst mit Hinweisen von Einheimischen kaum zu finden – kein Schild, keine Mole, die sich vorhebt, kein ausgehängter Fahrplan. Erst in einer Bar kann man mir weiterhelfen, auch die Abfahrtszeit erfahre ich so. Muggia, ein nettes Städtchen, mit mehreren lecker bestückten Bäckereien, liegt dann bald in meinem Rücken. Radtransport ist nicht wirklich vorgesehen, der Platz muss irgendwo geschaffen werden, das Rad brachte der Schiffsjunge per riskantem Kaisprung in Triest ans Ufer, weil man es sonst hochkant durch mehrere Türen hätte jonglieren müssen. Das Fahrgerät blieb fast wie bei einem Wunder unbeschadet. Sicherlich hat der Erdenmensch eine kräftigere Sprungmuskulatur als ein Alien.

Triest empfängt den Besucher zunächst mit seiner wechselhaften Geschichte. Das Denkmal von Bersaglieri feiert die Rückeroberung Triests durch Italien und lässt zwei Frauen die Tricolore nähen, während der Soldat das Ufer erstürmt. Heroik meets Klischee. Die Zeichen der Habsburger Alpen-Adria-Metropole folgen aber unweit später – mit großen Plätzen und geordneten Winkeln der majestätischen k.u.k.-Gebäuden. Hier warten bereits die ersten historischen Cafés auf internationale Gäste – ein wenig dominiert der Schick und Luxus gegenüber dem Charme der Tradition. Werden die Straßen enger, ändert sich auch das Ambiente mancher Cafés. Die Traditionshäuser stehen zunehmend in Konkurrenz zu modernen Cafés, mehr Fastfood-Bistros mit jugendlichem, lockerem Flair, mit vorgefertigten Snacks für den schnelleren Zeitgeist als die Muße, die die großen Literaten mitbrachten oder mitbringen, von dem irischen Fantasten James Joyce, über Claudio Magris, der sich der Habsburgerischen Tradition widmet und mit seiner Donau-Biografie eine geschichtsverbundene Brücke zur Gegenwart schlägt – eine Stück große Reiseliteratur, bis zu den lokalen Essayisten wie etwa Umberto Saba, der den Charakter von Menschen und Plätzen der Stadt poetisch zu porträtieren wusste oder den alemannischen Veit Heinischen, der dem modernen Triest eine Fiktion dunkler Verbrechen unterschiebt, aber auch ihre Gerüche und Geschmäcker in Sprachbilder übersetzt. Heinichen überlässt sein Porträt einem Zitat von Paul Parin: „Es ist eine italienische Stadt im slowenischen Land, mit österreichischer Geschichte und einer eigenen Kultur, die nicht slawisch, italienisch, österreichisch ist, sondern triestinisch, provinziell und eigenartig international… In dieser Stadt bestimmt die wechselvolle Geschichte das menschliche Leben unmittelbarer als anderswo.“ (in: Platzer/Wieser „Alpen Adria“, S. 84)

Die ehemaligen Literaten sind mit Skulpturen inmitten der Straßen gewürdigt – sie sind mitlaufende Zeitgenossen, ihr Geist wird quasi sehenden Schrittes lebendig gehalten, die noch lebenden Poeten muss man selbst suchen. Natürlich ist der Charme der Cafés nicht ganz verflogen – er wird wohl nur etwas überdeckt von den Massen schneller Durchzügler – so wie ich es als forschungsgebundener Alien tun muss. Viele Wege werden in Triest mit Handkarren erledigt – nicht nur bestehen Fahrverbote, auch ist der Hintereingang um viele Gassenecken so schneller gefunden als mit Auto. Beim Capuccino und den Straßenszenefotos, die ich versuche, setzt sich bald ein Dame an den Tisch, deren Absichten der Kellner wohl schneller erkannte als ich, die sich ungefragt zu Geldgeschenken andiente. Die Armut mischt sich hier teils recht elegant in die Szene – vielleicht sind es die prekären Ränder, die jetzt auf die gesellschaftliche Mitte übergreifen. Und der Schick wird als letztes abgelegt, solange man eben die Schamdecke über die arbeitslose Wirklichkeit wickeln kann.

Die größten Hürden in Triest sind die Straßen rein wie raus. Man mag im Gewirr Alternativen als Einheimischer kennen, aber an der ausgeschilderten Hauptader nach Opicina über die Universität dürfte kaum ein Weg vorbeiführen. Die Route ist bei der schwülen Hitze schon schwer genug, die ausgewiesenen 23 % einer Alternative, die oben an der Tram-Station am Obelisken ausgeschildert ist, dürfte Alienmuskeln überfordern. Der Verkehr ist natürlich unvermeidbar, aber ein bisschen weniger als ich befürchtete. Die Aussichtspunkte sind eher selten, die diesige Sicht nicht förderlich. Am Sattelpunkt am Obelisken wartet eine Rastpunkt mit frischem Brunnenwasser, dass ich kübelweise verschlucke. Die energiereichen Törtchen der Konditorei aus Triest finden jetzt keine Gnade mehr. Hier beginnt auch die Napoleon-Straße, auch Strada Vicentina genant, ein Panoramaweg, den man zu besseren Lichtverhältnissen begehen sollte – etwa zu Abend oder frühem Morgen. Ich testete auch die Radelbarkeit, die angesichts des leichten Schotters und flachen Profils gegeben erscheint – in der Praxis aber doch in eine Tortur ausarten könnte. Die Beschilderung besagt Gehweg, ein explizites Radverbotsschild ist aber nicht angebracht, sodass man vermuten kann, dass es zumindest keine brisante Kollisionstrecke ist und der italienische Rennradler ohnehin dort kaum sein Glück suchen wird.

Ich versäume durch den Ort Opicina zu fahren, was angenehmer und kürzer zur Grotta Gigante sein müsste. Ich landete gemäß Ausschilderung auf der autoreichen Umfahrung. Wer einen Radladen sucht, ist dennoch richtig, liegt dort ein Betrieb mit Werkstatt unmittelbar am Straßenrand. Die Grotta Gigante ist dann mit über ein kleines Spalier an Bistros und Souvenirläden zu erreichen, die strategisch vorgeschaltet sind und wo der Autofahrer frühzeitig parken soll. Die Grotte fällt mit einem modernem, nicht allzu großen Eingangsbau ins Auge – nichts deutet auf eine Höhle hin. Im Museumsbereich kann man alte Knochenfunde studieren, die theoretischen Grundlagen der Karsthöhlenbildung und auch eine kleine Fotoausstellung zu den Julischen Alpen genießen. Da die Führungen (nur mit solcher zu betreten) nur zur vollen Stunde angeboten werden, muss ich ein längere Zeit warten, da ich die Ankunft nicht austariert hatte.

Vom Eingangsbereich wird die Besuchergruppe dann über ein lange Treppe in das kühle Dunkel heruntergeführt – das aber gut beleuchtet wie ein Versammlungsort eines unterirdischen Königreiches wirkt. Trotzdem sind nicht alle Teile optimal ausgeleuchtet, fotografieren ist erlaubt – man muss aber mit dem forschen Gang der Führung mithalten. Die Erläuterungen werden ein wenig nach Gruppe sprachlich sortiert – in diesem Fall zweisprachig einmal in Englisch und einmal in Italienisch. Es ist die angeblich größte Einraumgrotte der Erde mit 300 m Länge und 107 m Höhe. Eine heller Doppelstrang führt vertikal durch die Mitte der Höhle – aus Kunststoff von Menschenhand gefertigt. Es ist jedoch weder ein Lichtinstallation noch eine künstlerische Darstellung, sondern das längste Messpendel der Welt. Sie sind so empfindlich, dass sie gar Erdbebenstöße im fernen Nepal erfassen können. Selbst für die Geomorphologen auf der Green Devil eine Sensation.

Die Höhle entfaltet ihren Reiz durch immer wieder neue Varianten von Tropfsteinbildung, säulige Stalagmiten, nicht selten mit stumpfen Oberflächen, einige gar wie eine phosphoreszierende Qualle geformt, andere wie Lampenschirme, und ausgehangen von Stalaktitgardinen, nicht immer zu unterscheiden, ob es versteinerte Abbilder oder echte Fledermäuse sind. Zunächst überraschen die Ensembles geordneter Tropfsteinsoldaten, die sich im Stile des Ehrensaluts dem Betrachter präsentieren, zur zweiten Hälfte dominieren einige mächtige Solisten, von der weißlichen Strauchblume, die auch ein Zeitungspapierkaktus sein könnte, bis zum fleischfarben marmorierten Phallussymbol.

Das Kühlintervall wird mit dem Gang zur Oberfläche jäh unterbrochen. Ich fahre nun über die liebliche italienische Teran-Straße – eine kleine parallele Variante zur slowenischen Karstweinstraße. Zu dieser wechsle ich via Gorjansko, wo ich zur Weinprobe absteige – wiederholt beim Alienfreund Strekelj und mit einem weiteren Kellerbesuch. Es gibt wieder feinen Karstschinken und Käse, von seiner Frau serviert. Wir gehen sie wieder durch, die Varianten der Rotweine, den leichten weißen Sommerwein. Das Thema ist vor allem die Tourismusstruktur in den verschiedenen Ländern Alt-Karantaniens – ich bemängle die großen Service-Lücken auf den slowenischen Weinstraßen – besonders der zwischen Vipava und Sezana. Strekeljs Pläne zu Restaurant und Zimmervermietung sind noch nicht weiter gediehen – das Weingeschäft nimmt viel Zeit in Anspruch. Und dann solche Gäste wie ein Alien, der schon wegen des Gepäckmanagements sich auf eine klein gehaltene Likörflasche beschränken muss. Das hatte wir auch schon mal – mit Aliens kann man Gespräche führen, aber keine Geschäfte machen. Trotzdem bin ich auch für das nächste Mal schon Willkommen – eben ein karantanischer Alienfreund.

Strekeljs Empfehlung über Komen bereits bekannte Route nach Branik zu nehmen, schlage ich in den Wind, denn ich sollte mal wieder die besseren Ortskenntnisse vorgeschnüffelt haben. Von Komen wähle ich also den mir neuen Übergang über den Zelezna vrata, weniger von mediterranen Kiefern gesäumt als der Parallelpass nach Branik, auch schlechter in den Panoramablicken nach Norden ins Vipava-Tal. Die Strecke ist aber wie erwartet durchgehend asphaltiert, die Bedenken von Strekelj unbegründet. Mehr Sorgen muss ich mir aber über die extrem dunkeln Wolken machen, die großes Unheil verkünden. Das Panorama zum Karstabbruch auf der Gegenseite versiegt in Tristesse.

Ich erreiche den Winzercamping mit Restaurant quasi just in time, denn beim Zeltaufbau trommelt es Melonen und Kürbisse aus den Himmelsschleusen. Ich muss den Aufbau abbrechen und finde Unterschlupf in dem großen überdachten, halboffen Picknickraum. Der Boden ist mit gefugten Steinplatten ausgelegt, eine Küchenecke eingerichtet und gar ein separater Weinflaschenkühlschrank vorhanden. Ich erfahre von bereits niedergelassenen Holländern, das die Weinflaschen eine Gästegabe des Winzers sind – also Besaufen bis zum Umkippen möglich. Natürlich lädt das Wetter zu solcher Völlerei ein, doch beschränke ich mich zunächst auf das Einladungsbier des Holländers. Das Restaurant ist leider mangels Gäste geschlossen und ich erhalte ersatzweise nur eine kalte Platte – also Ähnliches wie bereits bei Strekelj – Schinken, Käse, aufgebackene Brötchen und etwas warme Zucchini – und natürlich Hauswein – wieder ein erfrischender Sommerwein, mit Aromen von Orange, sehr edel ausbalanciert. Die Gaststube ist sehr einladend. Da ist es schade, dass die leckeren Gerichte einer gehoben Küche auf dem Internetbildschirm in der Picknickgarage schmackhaft gemacht werden, aber nur per Voranmeldung gekocht wird. Auch ist die Bewerbung des Kamps, immerhin mit Pool und noblen Mietchalets, äußerst schlecht, nur schwer die Ausschilderung zu finden. Gibt es keinen Service, gibt es auch kein Geschäft – hatte ich es nicht mit Strekelj diskutiert?

Ich sitze noch lange mit den Holländern zusammen, die Eltern sind mit Sohn und seiner Freundin dort. Der Sohn studiert und kann sehr gut Englisch, ist an vielen politischen Themen interessiert. Ich entscheide ob des andauernden Gewitters, den Hüttenschutz für die Nacht zu nutzen und lasse das Zelt in den Taschen. Die Nacht zeigt aber, dass das Dach den sintflutartigen Regengüssen nicht ganz gewachsen ist. An vielen Stellen tropft es runter, mehrmals muss ich den Schlafplatz wechseln und bald bilden sich auch Rinnsale auf dem Steinboden. Die Donner- und Blitzschläge waren aber so gewaltig, dass ich mich des Lebens am nächsten Morgen umso mehr erfreute – Sintflut hin oder her.

Do 9.7. Zalosce – Dornberk – Prvcina – Vogrsko – Jezero Vogrscek – Sempas – Ozeljan – Kromberk – Vratca (403 m) – Ravnica – Preval (336 m) – Solkan – Gorizia – Piuma – San Floriano – Hum – Kojsko – Gonjace – Mejnik (321 m) – Smartno – Dobrovo – Neblo
W: bis ca. 30 °C, sonnig, trocken-heiß, sehr windig
Ü: C wild 0 €
AE (Gostilnica Pr'noni): Meeresfrüchte, Roastbeef, Gemüse, Bratkart., Rotwein, Pfannkuchen m. Eis 43 € (****)
70 km | 11,1 km/h | 6:09 h | 1130 Hm

Der Wetterwechsel ist gravierend. Es ist morgens immer noch stark bewölkt und zudem stürmisch. Später, als die Sonne durchbricht, bleibt die Luft klar, die schwüle, diesige Luft wurde vertrieben. Ein lokaler Radweg führt über den Vogrsko-See von der Vipava zu den Randzonen des Karstabbruchs des Trnovski-Plateaus. Zunächst leiten die Schilder aber auf pfützenübersäte Schlammwege. So verpasse ich in Prvcina den kürzesten Überweg. Das schadet aber nicht, denn das Tal über den Ort Vogrsko zeigt sich recht lieblich. Die Staumauer des Sees besteht aus einem grünen Wiesenwall, zum Stauseepegel erfordert es eine kurze kräftigere Steigung. Der Stausee wird nur funktional als Wasserspeicher genutzt, keine Freizeiteinrichtung, kein Badeparadies. Zunächst ist die Fortführung des Radweges nicht zu erkennen, eine Gittersperre verhindert den Fortgang. Zufällig ist der Stauwärter vor Ort und schließt mir das Tor auf. Er sagt mir, dass es schon der offizielle Radweg sei, ich könne das Rad bei geschlossenem Tor auch außen rum führen. Ein Fußgänger hingegen kann sich durch die Sperre winden, wie einige Jogger hier. Mit dem Gepäckrad muss man bei geschlossenem Tor die Zweige schon kräftig wegbiegen. Das ist sicherlich noch verbesserungswürdig für eine offizielle Radroute.

Der Weg ist nun schottrig, teils auch recht grob, allerdings ohne nennenswerte Steigung oder Gefälle. Asphalt erreicht man wieder nach dem Laubwald mit den Weinreben. Auch hier wieder Jogger unterwegs – die Slowenen stets sportlich unterwegs – man erinnere sich der Renwanderer. Ich hingegen wollte mal eben ausruhen auf der Weinrebenbank. Einmal hinsetzen und zurücklehnen – Plumps! bricht die Rückenlehne weg und lässt mich zu Boden straucheln. Der Alien ist schockiert ob dieses Öchslescherzes.

Es folgt ein Dörferkette, die sich hügeliger am Rand oder flacher im Tal abradeln lässt. Der Camping in Ozeljan liegt dabei unten im Tal – auch ein Winzercamp. Sempas ehrt mit Skulpturen sowohl den Botaniker Franc Krasan, der sich, an verschiedenen Orten Karantaniens geschult, um die Erforschung der regionalen Flora verdient gemacht und den Partisanenkämpfer Mehdi Huseynzade „Mikhaylo“. Mikhaylo zeichnet als Aserbeidschaner einen dramatischen Lebenslauf. Erst widmete er sich den geistigen Wissenschaften, der Literatur und den Sprachen, um dann in den 1940er Jahren über die Infanterie als Agent und Gegenagent zwischen Deutschland und Russland zu jonglieren. Schließlich schlug er sich auf die antifaschistische Seite der jugoslawisch-italienischen Partisanen. Als ihm nach einer verloren Schlacht die Gefangennahme drohte, erschoss er sich mit seiner letzen Kugel. Mehdi Huseynzade wurde posthum zum Held der Sowjetunion erhoben, in Aserbeidschan zum Nationalhelden und das Fußballstadium Sumgait nach ihm benannt. Dokumentarfilm und Bücher beschäftigen sich intensiv mit seiner Geschichte.

Als ich den Weg zum Renaissance-Schloss Kromberk suche, bewege ich mich bereits auf einer Bergstraße, weil schon in den oberen Weinbergen gelegen. Ich entschließe mich die Tour zu variieren mit einer nochmaligen Auffahrt zum Trnovski-Plateau über den Karstabbruch, auch eine Militärstraße des Ersten Weltkrieges, zur Hintergrundversorgung der Habsburger Truppen gebaut, dem auch zwei opulente Brunnen zu verdanken. Die unteren Waldpassagen sind denn auch militärisch anspruchsvoll. Ich kehre zum „Ziegenpass“ mit dem Zweibrückenblick zurück (vgl. Kap. V). Unten ist die Verwirrung groß, ein Zugang zum Soca-Ufer schwierig. Eine Möglichkeit für ein kleines Bad ist beim Wassersportverein, wo sich die Paddler ins kräftig strömende Wasser kippen und in einem ausgehängtem Parcours üben können – die kleinsten Zwerge können kaum über die Bugkante des Kajaks hinausschauen, sind aber vollkommen unerschrocken und bereits behände am Paddelwerk wie die großen Meister.

Die Salcano-Brücke hier, die obere der beiden Brücken, gilt als größte Eisenbahnsteinbogenbrücke der Erde mit 85 m Spannweite – in jedem Fall ein schönes Bauwerk aus alter Kaiser-Franz-Josef-Zeit, als die Eisenbahn noch Triumphe feierte. Oberhalb der Straßenbrücke zur Westseite lockt ein Radweghinweis. Tatsächlich überquert die Straßenbrücke einen Radweg, der – jüngst erst ausgebaut – mindestens bis Plave führt – und zwar zur anderen Uferseite als die Straße, also zur rechten Uferseite. Übereifrige Kartenmacher haben den Weg schon weiter nach Italien gezeichnet, dem aber nicht so ist. Steinblöcke markieren das Ende, allenfalls lässt sich ein rumpeliger MTB-Trail weiterfahren.

Also wieder retour via Solkan, weitgehend am Zentrum Nova Gorica vorbei, auch Gorizia auslassend, findet sich die nächste Brücke über die Isonzo. Gleich mit Piuma beginnt die Steigung in das Collio, das italienisch-slowenische Weinanbaugebiet der Hügel Goriska Brda, wie es geografisch auch genannt wird. Einladend werden die Betriebe mit ihren Winzern und Gastgebern auf einer Tafel vorgestellt – hier aber zunächst nur die der Gemeinde San Floriano. Obwohl Grenzen auf der Weinroute durch das Collio keine Rolle spielen, gibt es dennoch keine binationale Info zu den Winzerbetrieben (der slowenische Teil ist größer als der italienische). In der Abendsonne wird die Hügelfahrt zu einem Gedicht des milden Lächelns. Immer wieder variieren die Grüntöne der Weinreben, erheben sich ins goldene Licht, ihre Anordnungen wie in halbrunden, übereinander gestaffelten Schlachtordnungen römischer Legionäre, die Hügelkuppen von Kirchlein und Dörfern gekrönt. Das Farbenspiel scheint keine Grenzen zu kennen, ich kann mich nicht sattsehen.

Die meisten Steigungen sind moderat, am schwierigsten noch zu Beginn. Kurz vor Smartno überwindet man so etwas wie den höchsten Punkt der Tour – aber das scheint unwesentlich. Staunen darf man auch über die dörfliche Idylle, romantische Restaurants und Zimmeranbieter locken mit den herrlichen Ausblicken und entschleunigter Ruhe – nur wenig Gäste lassen sich nieder. In Kojsko erinnern wieder Spuren des Friedensweges an vergangenes Leid, die italienische Armee hatte sich hier im Rahmen der Isonzo-Schlachten recht sicher zurückziehen können, während aber die Einwohner zu Flüchtlingen wurden. Die Schönheit der Gegenwart bricht aber das Dunkle der Vergangenheit. Die Speisekarte von Hisa Marica in Smartno treibt einem deliziöse Aromen in die Nase, fast möchte ich bleiben. Die Sinne schweben, die Gedanken dichten.

Ich radle noch nach Dobrovo, mit der vielleicht eindrucksvollsten Krönung aller Hügel mit einem quadratischen 4-Türme-Schloss, das Kutschen, Kunstmuseum und ein Restaurant beinhaltet. Auch hier keine Gäste, als würden die Perlen konsequent vom Meerestouristen verschmäht – oder haben die Menschen immer weniger Geld zum Kosten und Schmecken? Dobrovo ist im Ort weniger heimelig als Smartno mit den vielen Nischen und stillen Winkeln, doch lebte hier ein großer Poet, Alojz Gradnik, dessen Werk sich auf einem Dichterweg erfahren lässt (vgl. Eingangszitat). Die Poesie atmet aus den Toren des Schlosses, weht über die Hügel hinaus ins Land. Goldenes Licht, das sah hier Gradnik leuchten, die Bande zum Universum, den Galaxien – die Welt der Aliens – auch heute zeigt sich das goldene Leuchten – ein Omen? Noch einen Schwung nach unten, finden sich bessere Plätze, ein Zelt aufzustellen, so speise ich in Neblo – hier ist es gar brechend voll – italienische Grenzbesucher fast alle. Die Linie des Kochs ist Schokolade – sie taucht in verschiedenen Spielarten in allen Menüteilen auf – süß-herb, superb, der Tag mündet mal wieder als Gaumengedicht im Poetenland.

Fr 10.7. Neblo – Helevnik – Golo Brdo – Ponte Iudrio – Prepotischis – Castelmonte (618 m) – Cividale del Friuli – Ponte San Quirino – Pulfero – Stupizza – Robic (250 m) – Staro Selo – Borjana – Podbela – Napoleonov most – Breginj
W: bis ca. 27 °C, weitgehend sonnig, windig, abends kühl
Ü: C wild/privat 0 €
AE: Selbstversorgung + Bier 4 €
78 km | 10,6 km/h | 7:10 h | 1735 Hm

Bald laufen die Weinfelder aus, begleitet von leuchtend-blauen Kornblumen. Wald erobert die höheren Hügelbereiche, anspruchsvoll die Steigung nun. Es ergeben sich einige Ausblicke in Richtung der Ebene über die Colli Orientali hinweg, auch Zeichen der Industrie melden sich dort. Hier immer noch sporadisch Weinberg – oder Bienenhonig. Lässt man auch unten Prepotto links liegen, bewegt man sich durch das Gebiet ohne jede Einkehrmöglichkeit und in großer Einsamkeit. Ohne den Grenzfluss Idrija/Iudrio zu überschreiten, kann man einer urigen Schotterpiste am Ostufer folgen, an viel Fels vorbei und wild hängenden Laubbäumen oder Buschwerk. Auch nicht mehr als drei Häuser sind es dann an der nächsten Brücke, die auf die italienische asphaltierte Uferstraße führt.

Dort ist ein Radweg via Prepotischis angekündigt „dei Monti Sacri“. Vor dieser Wegführung sei aber gewarnt! Ich muss dem Namen Tribut zollen und mehrere Kreuze schlagen. Bis zum kleinen Ort ist noch Asphalt – bereits sehr steil. Danach geht die Straße in Piste über, die immer unwirklicher wird und in der Kombination mit der Steilheit definitiv nicht fahrbar ist (geht über die 5-Hechelzungengrenze hinaus), und das Schieben eine Tortur wird. Auch oben an der Straße zum Pilgerkloster Castelmonte ist diese Strecke als Radweg populistisch ausgewiesen als würde die Region sanften Tourismus fördern. Es ist sicher anzunehmen, dass kein Offizieller, der am Schilderaufstellen beteiligt war, überhaupt einen blassen Schimmer dieser Strecke hat (zuständig: Gemeinde Prepotto). Ein Wunder, dass es keine Prügelstrafen für Bürgermeister mehr gibt. Hier erlitt der Alien die Vorstufe eines terronalen Wutanfalls.

Überhaupt erschien mir die Gegend mindestens Alien-feindlich, fast sogar schon menschenfeindlich. In Castelmonte verwalten Talibanpilgerwächter ein Kloster, wo tatsächlich das Betreten der heiligen Räumlichkeiten in üblicher Sommerbekleidung verboten ist. Jesus wäre da an der katholischer Scharia auch gescheitert. Nun liegt mir weniger an Räucherstäbchen, Gebetslämpchen und Devotionalien, die sicherheitshalber im spiritistischen, aber weltlich zugänglichen Laden erhältlich sind. Die Abfahrt fliegt an den Bildstöcken des Kreuzweges vorbei, die aalglatte Strecke ist schnell absolviert und man findet sich flugs vor den Toren von Cividale del Friuli wieder – hier wieder ist man Mensch. Cividale ist ein pittoreskes Vorzeigestädtchen und es trägt die Last mit Würde und Charme. Die touristische Bedeutung des Ortes schlägt sich in reichlich Angeboten regionaler Spezialitäten nieder, allen voran der San-Daniele-Schinken, der seinem Verwandten aus Parma ebenbürtig sein soll. Gerne fordert der Händler gehobene Preise, Qualität gewiss, Nepp – vielleicht auch. Dem Gaumen sollte man aber ein paar Freuden zubilligen. Der Ort lebt von seinen verwinkelten Gassen und einigen netten Plätzen, vor allem aber von seiner speziellen Flusslage mit der Brücke, die das einprägsamste Ortsbild liefert.

Die Hitze des Mittags ist enorm. Zwar bietet die Natisone einige Bademöglichkeit, dazu muss man aber erst einige Kilometer weit rausfahren. Dortige Badestellen sind auch recht dicht belegt, einsame Plätze findet man schließlich weiter oben. Teils sind Gumpen vorhanden, mehr noch aber prägen die scheinbar einzeln verlegten Blocksteine das Fließbild. Die Talentwicklung ist mäßig, zur slowenischen Grenze hin drängen sich wieder verstärkt freie Bergflächen vor. Man hat ohne nennenswerte Steigung den fast unsichtbaren Sattel bald erreicht, der deutlich innerhalb Sloweniens liegt, bei schon befahrenem Ort Stara Selo mit dem Gourmetrestaurant Hisa Franko. Der Nadiza, wie sie hier zur slowenischen Seite heißt, kann man bei Robic einem Radweg folgen, der aber meiner Prognose nach mehr Aufwand bedeutet als der asphaltierte Umweg. Diese Straße fordert hingegen wieder Schweiß, weil sie nach Borjana ansteigt, wo man wiederum zur Nadiza herunterfährt, während die Straße geradewegs nach Breginj weiter ansteigt. Der Umweg bietet zudem noch bessere Ausblicke auf den gegenüberliegen majestätischen Matajur, in dessen Schatten das Natisone-Tal zuvor gelegen hat.

Die Nadiza ist auf slowenischer Seite noch mehr beliebtes Baderevier als zur italienischen Seite. Jenseits von Podbela findet sich denn auch ein kleines Zentrum wassergebundener Aktivitäten mit einem Camping und Pizza-Restaurant. Unbedingt noch vom Vortrieb besessen, schlage ich mal wieder den gemütlichen Abend aus. Geradezu höllisch entwickelt sich die Topografie mit gleich zwei weiteren hochkarätigen Rampen und einer weiteren Steigung mittlerer Qualität final nach Breginj. Die Hauptattraktion liegt bereits deutlich hinter dem Camping mit der Steinbogenbrücke „Napoleon“, an der sich sogar noch abends im Schatten etliche Badegäste aufhalten oder gegrillt wird. Eine zweite Attraktion ist über die nächste Senke erreichbar, die Schlucht, die die Nadiza zwischen der Napoleon-Brücke und dem Flussbadeplatz mit Parkmöglichkeiten für Autos hier bildet.

In Logje findet sich nochmal ein Ferienhaus, aber ohne Essgelegenheit. In Breginj ist nichts – fast nichts, eine alte Burg mit einer kleiner Trinkbar open air im Burghof. Hier treffen sich Einheimische – es gibt aber nicht mal eine Erdnuss zu knabbern. Ich muss mit ungenügend abgestimmtem Proviant und zwei kühlen Bier vorlieb nehmen. In der slowenischen Runde wird offenbar diskutiert, wie mir als Alien zu helfen sei. Schließlich erhalte ich von einem „Übersetzer“ (Tomas) den Hinweis, ich solle dem Auto des anderen Folgen. Man wolle mir Quartier bieten. Ich legte mich in den motorisierten Windschatten. Der Ort hat zum Glück nur eingeschränkte Radien, sodass ich die Spur halten konnte. Ich bekomme eine Couch zugewiesen, der junge Slowene kann tatsächlich kaum ein Wort Englisch, im Gegensatz zum Übersetzer, der besser Deutsch als Englisch spricht, weil er Wurzeln in der Steiermark hat. Die Alienfreunde begaben sich wieder zurück zur Burgbar um weiter zu feiern.

Auch noch nach der Dusche lag ein hässlicher Geruch in der Wohnung – er konnte nicht von mir sein. Ich vermutete Petroleum. Zwar war eine Garage ebenerdig anbei, nur locker von den Wohnräumen getrennt, doch da drang der Geruch nicht her. Ich nahm meine Matte und legte sie vor die Gartentür in die frische Luft. Kaum eingedämmert, kamen die Alienfreunde – nun drei – recht laut zurück, weckten mich, um weitere Trinkgelage zu zelebrieren. Der Wohnungsbesitzer fragte auch schließlich nach den Gründen meiner Flucht nach draußen. Es stellte sich raus, dass der Geruch tatsächlich von Petroleum kommt, mit dem er seine Holzmöbel gereinigt hatte. Petroleum, so meinte er, wäre besser als etwa klassische Öle, derer man ja fein duftende Speiseöle hätte verwenden können. Er meinte, diese würden einen ungünstigen Film bilden bzw. die Holzporen verschließen.

Ungeachtet des Petroleumduftes nahmen die prozentigen Feierlichkeiten die üblichen Formen minimaler Kommunikation ein, die bei alkoholisierten Konzentrationsformen sprachliche Besonderheiten nivellieren. Genauer: Der Wortschatz der Slowenen näherte sich meinem, zweifellos spärlichen Wortschatz der slowenischen Sprache an und wurde dann vor allem durch internationale Trinksalute wieder leicht angehoben. Neben Bierdosen kamen auch spezielle Getränke zum Einsatz, die in Eigenregie gebrannt worden waren. Über die alchemistischen Fähigkeiten des Wohnungsbesitzers bestand ja nach den fachmännisch erläuterten Kenntnissen in der Holzbehandlung kein Zweifel mehr. Schließlich steuerte ich noch meinen Strekelj-Likör bei, der mir zunehmend zur schweren Last an den steilen Bergen wurde. (Er ist wirklich gut gewesen, hat aber das Gewicht eines zweiten Schlafsacks. Mir wurden strafende Blicke auf der Green Devil zuteil, weil ich diese Forschungsprobe nicht mitgebracht hatte.) Dazu gab es fette Schwarzwürste, kaum mit weiteren Beilagen serviert, von leicht steiniger Konsistenz. Schließlich wurden mir noch Fischdosen und Würste als Proviant fürsorglich zugesteckt, da man meine frühe Morgenflucht fürchtete und ich weiter in entlegenen Gebieten unterwegs sein könnte. Die Feier mit den Alienfreunden endete unbestimmt, schlafen konnte ich immerhin noch – natürlich vor dem Haus.

Sa 11.7. Breginj – Ponte Vittorio Emanuel – Platischis – Sella San Antonio Na Privale (790 m) – Zore (766 m) – Zuffine (1003 m) – Subit – Attimis – Passo di Monte Croce (267 m) – Nimis – Torlano – Val Carnappo – Monteaperta – Villanova (690 m) – Tarcento – Artegna – Gemona
W: 16-28 °C, sonnig
Ü: C Gemona 0 € (k. P.)
AE (R Frank & Jo'): Risotto m. Pilzen & Spargel, Brancini, Bratkart., gegr. Tomaten, Pannacotta, Weißwein ? € (***)
84 km | 11,6 km/h | 7:09 h | 1570 Hm

Das Dorf der Alienfreunde verlasse ich bei milder Morgensonne, wie sie eher abends üblich ist –mit sanftem Goldschimmer. Es mag ein Zeichen des karantanischen Geistes gewesen sein, der mich an diesem Ort umgeben wollte. Ein erster Berg, mit Tautropfenromantik, führt hinunter zum noch schattigen Tal des Oberlaufs der Nadiza – hier auch Natisone, weil Grenzbrücke. Verschnaufen kann ich kaum, die nächste Ortschaft Platischis (andere Varianten denkbar, alle aber recht verwinkelt und kurvenreich, daher kaum kürzer) ist auch wieder nur mit einem weiteren Berg zu erklimmen – genauer: liegt hinter diesem in einer kleinen Bergmulde. Es gibt eine bescheidene Lokalität, natürlich auch das örtliche Café, die Bevölkerung sehr reserviert. Verschiedene Bergvölker innerhalb weniger Kilometer.

Blumenreich von einer kleinblütigen Variante der Margerite bekleidet die nächste Passhöhe und den hier auf italienischem Grund wieder fast unvermeidlichen Madonnenbildstock. Nach Norden bildet sich die mächtige, wenngleich weitgehend begrünte Bergkette der Gran Monte heraus. Auf seiner unteren Flanke hebt sich mit Terrassenblick Montemaggiore heraus, unterhalb – so ist später zu sehen – findet sich eine gewichtige Pferdesportanlage. Diese erreicht man über die nächste Zwischenmulde, erneut dann aufsteigend zu Hochpunktkehre mit der Azienda Agricola Zore, einen Bergbauerhof mit Käserei (Ziege!), deren Produkte für ein Proviantshopping unbedingt zu empfehlen sind – für den Fall der Fälle gibt es auch Wein. Eine eigene Verkaufsstelle findet sich auch im Val Torre an der Tanamea-Passstraße in Vendronza (vgl. letzter Reisetag). Die Aussicht hier fällt hinunter nach Taipana, dessen untere Talanfahrt durchs Val Carnappo am heutigen Nachmittag noch beradelt werden soll.

Der Umweg hier führt über durch einsamste Hinterwaldstraßen mit gelegentlichen Aussichtsfenstern, der Asphalt manchmal schon recht durchlöchert oder aufgelöst, durch manchen Bergurwaldtunnel, der sich lianenreich mal licht, mal zu fast nächtlicher Dichte sich verschließt. Als Ruhestörer tritt nur manchmal die Forstwirtschaft auf. Am höchsten Punkt der Strecke – mehr Tangentialpunkt des Berges als Passhöhe – sind Wald und Lichtung des Monte Zuffini fast schon parkähnlich geordnet. Diese Struktur wird aber wieder in den unteren Etagen zerrissen von wildem Gestrüpp, von Felsen, deren Spalten das Wasser unkontrolliert herausspeien, als wollten sie den Radler leibhaftig anfeuern. Ab dem Bergdorf Subit wird der Asphalt besser, hier mündet die andere Verzweigung, die man am Morgen von der Emanuel-Brücke an der Natisone hätte wählen können. Die Straße nun wird zum Kehrentorso, der struppige Wald, nun heller, immer noch an den steilen Hängen verwildert. Die zivilisierte Ordnung findet sich erst ganz unten in Attimis, der Bachlauf dort kanalisiert und funktionelle Reihenbesiedlung – das Eckige verdrängt das Wilde. Zur Belohnung für harte Hoch-Runter-Rotationen investiere ich in eine süße Köstlichkeit des heutigen Etappenziels. Dolce di Gemona enthält Hasel- und Mandelnoten auf Weizenbasis, mit kleinen Schokostückchen und einem Hauch Zimt verfeinert.

Gewaltiges scheint vor mir zu stehen, ein in allen Karten eingetragener Pass – Passo di Monte Croce – muss ich wieder Kreuze schlagen? Etwa 60 Höhenmeter für zwei Serpentinen aus Meisterhand, perfekte Modellarbeit – aber nur ein Steigungsfusel, selbst für Alienmuskeln ein lustiger Froschhüpfer. Nimis liegt bereits hübscher am Fuße der Weinberge der Colli Orientali als Attimis. (Generell ist der Süden der Colli Orientali flacher durch die ausladende Ebene und verfügt so über größere Anbauflächen, was allerdings auch mehr Massenweine befördert, sich aber nicht in deren Preisen widerspiegelt. So wird der südliche Picolit teurer gehandelt als der Ramandolo, obwohl er qualitativ dem Ramandolo unterlegen sein soll. Den Vergleich konnte ich nicht überprüfen, weil ich die südlichen Picolit-Gebiete nicht durchfuhr.) Weinvillen zeugen stadtauswärts von gehobenen Einkünften durch den Verkauf exquisiter Rebensäfte. Der DOCG-Wein Ramandolo füllt hier als goldfarbener Desertwein die Fässer, die Anbaufläche auf kleine, meist steile Regenhänge im Bereich des Bernardia-Berges beschränkt, dessen Hügellandschaft sich zwischen Nimis und Tarcento ausbreitet (weitere Weinroute dort am Schlusstag).

Eine lustvolle Entdeckung ist auch das Val Carnappo mit dem gumpenreichen Fluss mit vielen Riesenblocksteinen – mit mehr Nischen und urwüchsiger graviert als das Natisone-Tal. Das Mitteltal nördlich Torlano ist schmal in ein schluchtiges Tal eingelassen. Etwa beim Abzweig nach Taipana beginnt der Oberlauf mit einem sich öffnenden Bergpanorama auf die bereits schon am Morgen aufgefallene Bergkette gegen Norden. Das breitere Flussbett lässt am Ufer einige Blumen mehr wachsen und auch der letzte Teil zum Ort Carnappo wäre noch einen Umweg wert. Ich kürze aber den Weg ab und bezahle diesen mit einer heftigen Rampe nach Monteaperta, an dessen unteren Ortsrand ein schöne Staffel von Wasserbeckenkaskaden aus dem Berg sprudelt. Den nebenliegenden Brunnen entleere ich bis auf seine Grundadern im Gran Monte, was mir aber die gleichwohl durstige Familie am Brunnen offenbar nicht verübelt.

Für den Rest darf ich einfache Pedalarbeiten vermerken. Zunächst fährt man durch einen halblichten Laubwerkkanal, fast flach – es ist wie Promenadenradeln. Ich bin nicht sehr unglücklich darüber, dass die Höhle in Villanova schon geschlossen ist – innerlich war ich auf Exkursionen ohnehin nicht vorbereitet. Nebenbei bemerkt – wer mal hin will, findet ausreichend Futterstellen neben dem Kassenhäuschen. Nicht mehr ganz verdeckt, aber auch nur wenige Ausblicke ins Val Torre lässt die folgende Abfahrt zu.

Tarcento übertrifft die Villen-Eleganz von Nimis nochmal deutlich. Nicht ganz zu unrecht rühmte sich das Örtchen schon mal der Bezeichnung „Perle des Friauls“. Einen Dämpfer erfuhr die architektonische Erhabenheit durch ein Erdbeben vor nur 40 Jahren, wurde aber wieder weitgehend saniert. Die Krönung der Baukultur verkörpert die Villa Moretti, die sich mit den weißen Unteretagen und dem rot-braun verzierten, burgähnlichen Kopfbereich mit breiten, verschachtelten Hutdächern wie ein Wächter-Pilz auf den goldgrün leuchtenden Weinberg herunterschaut und sich dabei Gedanken macht, wie er den Hut ziehen kann, wenn mal ein Alien vorbei kommen sollte.

„Wo bist du, Gemona,
lachendes Mädchen, Augen wie Samt,
schwarze Haare unterm Akazienkranz,
Frühlingshauch?“

Amedeo Giacomini (in: Pier Paolo Pasolini u. a. „Wie eine Viole in Casarsa”, S. 147)

Am Bergrand vorbei passiert man mit Artegna noch einen weiteren hübschen Ort, die mittelalterlichen Burgreste Tarcentos sieht man noch zuvor zur Rechten weit oberhalb am Berg. Langsam treibt die Sonnenglut unter die Horizonte, noch eine Allee legt den Straßenteppich hin zu den Toren Gemonas, das mit einer Campanile in seinem auf einem Randfels aufgebauten historischen Stadtzentrum dem Besucher entgegen winkt. Da es an diesem Tag wieder zahlreiche funkelnde Goldtöne bis hinein in die Dunkelheit gab, belohnte mich Commander speichen-08/15-kracher mit einem üppigen Essen durch eine weitere Bonifikation in der begrenzten Bankomatenlizenz. Ich wählte ein besonders goldgelb leuchtendes Menü, u. a. einen karantanischen Wolfsbarsch auf einem funkelnden Silberteller gereicht.

Musik: Der Komponist und Jazzpianist Roberto Magris ist ein Kind des Triester Alpen-Adria-Raumes und gleichzeitig ein musikalischer Kosmopolit, der mit vielgestaltigen harmonischen Innovationen ein sehr produktives Œuvre mit eigener Handschrift aufgebaut hat und sich gerne als „an alien in a bebop planet“ bezeichnet: Roberto Magris/Big Band Ritmo Sinfonica Città di Verona/Marco Pasetto: „African Mood” (7:01 min.)

Bildergalerie Kap. VI (187 Bilder):



Fortsetzung folgt
von: Keine Ahnung

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 14.12.15 12:41

In Antwort auf: veloträumer
In Antwort auf: Keine Ahnung
Da mein Orientierungsinn bei der Verknüpfung meiner Neuronen vor langer Zeit quasi nicht entwickelt wurde (daher bin ich so ein großer Freund von GPS), ist das einzige, was ich vermisse, ein "Track" oder der Weg in einer Karte eingezeichnet - oder habe ich das übersehen?

Das Büro für interstellare GeoNaviStäsie hat sich zur Beratung zurückgezogen und arbeitet an einer einvernehmlichen Lösung. Gelegentliche Wolkenbildung auf der Erde könnte Folgen der rauchenden Köpfe dort sein. Diese Nebenwirkungen können von irdischen Apothekern weder erklärt noch mit Arnzeimitteln bekämpft werden.


Dein Bericht und die Bilder verstärken den Wunsch, eine selbst für orientierungsschwache Radfahrer wie mich schnell nachvollziehbare Linie in einer Karte sehen zu können zwinker . Ich denke, dass es da so einige Teile gibt, die ich unbedingt einmal besuchen muss.
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 14.12.15 21:57

KAPITEL VII
Saurische Sprachinseln, Teufelsrampen und eine Bierspezialität:
Die abgeschiedenen Bergregionen in Karnien


So 12.7. Gemona – Colle del Leone (260 m) – Venzone – Bordano – Sella Interneppo da Bordano (303 m) – Camping Lago di Cavazzo – Verzegnis/Lago di Verzegnis – Sella Chianzutan (955 m) – Val di Preone – Sella Chiampon (789 m) – Preone – Mediis – Ampezzo – Albergo di Pura
W: bis ca. 26 °C, sonnig, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Albergo di Pura): Gnocchi m. Kräutern, Polenta mit Gams, Strudel, Rotwein, Cafe 27,80 € (*)
75 km | 10,2 km/h | 7:16 h | 1565 Hm

Der Camping in Gemona liegt bereits jenseits der nordwärts wieder abfallenden Stadtseite. War abends bereits das kleine Bistro geschlossen, in dem es auch Speisegerichte geben soll, ließ sich der Betreiber auch am Morgen nicht blicken. Ein germanischer Reiseradler erzählte mir seine hehren Absichten, den Alpe-Adria-Radweg zum Einrollen genutzt zu haben – nun häbe er Größeres vor in Richtung Gardasee mit hohen Dolomitenpässen. Noch ein Paar konnte ich als velophil identifizieren, blieb aber unter den Zeltwänden verborgen. Gemäß den Rädern lag auch hier germanisches Blut wohl vor.

Unweit des Campings befindet sich ein Kalkofen, der die Region im 20. Jahrhundert mit dem wichtigen Baustoff Branntkalk versorgte und hier in den kalkreichen Bergen Gemonas von besonderer Qualität war. Erst 1965 wurde die Produktion eingestellt. Wenig weiter beim nächsten Ort, treffe ich erstmals auf die verschwenderischen Barrikadenverbauungen des CAAR. Doch die Trassierung des Radwegs wird flugs umgeleitet zu einem Biotop hinter einem kleinen Bergkegel. Da mich einige zähnefletschende Hunde wieder als Alien enttarnten, nahm ich den Weg zu dem Seebiotop zur anderen Seite und drehte so eine Sonderrunde. Hier liegt grober Schotter, genau das Gegenteil der aalglatten Fahrradautobahn die wenigen Meter zuvor und danach. Das Biotop – mehr ein Tümpel, der zweifellos besondere Frösche beherbergen könnte – wirkt recht fahl und unaufgeregt. Der Zauber des Ortes ist doch eher bescheiden, der Umweg zur Straße nicht unbedingt lohnend.

Ausgangs des Ortes stößt man an der Straße aufs Tagliamento-Ufer. Hier breitet sich ein riesiges Flussbett aus, ein blaues Band zieht sich durch grellweiße Flusskiesel und die Berge bilden eine Kulisse für ein Schauspiel, das nun wieder die alpinen Figuren auf die Bühne stellt. Der Tagliamento ist einer der wenigen Alpenflüsse insbesondere in den Ostalpen, der noch weitgehend dem natürlichen Lauf überlassen wurde, was sich in diesen weiten Flussbänken abbildet, die sich etwa abwärts von Tolmezzo besonders stark ausprägen. Zurück auf dem CAAR, werden alle Register des Radwegebaus gezogen. Sogar die Brückensteigungen und -gefälle sind ausgewiesen, damit sich kein Radler verschreckt im ebenen Gleichklang. Sicherheit wird so groß geschrieben, dass Verbrecher aus dem Fahrradkorridor nicht flüchten können – soweit Halunken über velophile Neigungen verfügen sollten.

Die Velophilie der Region steigert sich zum Velophilismus vor den Toren Venzones. Ein Gasthof stellt Blumenräder aus, die Barriere von Terrassen und Garagen sind dem Velomobil angepasst und obwohl der Autofahrer hier genauso vorbei kommt, wird der Radler nahezu exklusiv umworben. Venzone liegt wie Gemona hinter einer Stadtmauer, ist aber flach eingebunden, obwohl die Umgebung deutlich alpiner ist – hier markiert eine Kluse die Grenze zwischen Alpenland und friulanischer Ebene oder – zwischen Wein und Kuhmilch. Venzone gibt sich etwas verschlafener als Gemona, der Charme der speziellen Hybridlage spricht aus den stillen Gassen. Auf der zentralen Piazza drängt sich über den Fassaden und dem Kirchturm die Bergwelt auf, die Bauweise diszipliniert sich aber in einheitlichen Tönen, die die Stadt wie aus dem Berg gehauen erscheinen lässt. Leider traf Venzone das Erdebeben noch mehr als Tarcento oder Gemona und mancher Stein hier hat nur ein junge Geschichte, auch wenn er sein wahres Alter gerne höher angibt – umgekehrt zur Eitelkeit des Menschen. Es gibt an vielen Läden auffällige Dekorationen, Hexenpuppen und plüschige Violettverkleidungen der Schaufenster. Die Bäckersfrau vermag mir den Sinn aber nicht zu verraten – Fest sei keines geplant, sagt sie. Ich finde Hinweise auf ein Theaterstück „Die Schöne und das Biest“. Irgendwie scheint es dazu einen Bezug zu geben – entweder Werbung oder Freikulisse.

Jenseits der Festungsanlage gelangt man über eine Brücke über das breite Flussbett des Tagliamento. Ein wunderbares Flirren liegt in der schon heißen Morgenluft. So schön führt eine kleine Straße an Steinmauern mit leuchtend grünen Grasbüscheln unter hellem Laubdach vorbei. Da ich das Zentrum von Bordano umfahre, stoße ich nicht auf das flatternde Flirren des Farbenglanzes, das den Ort auszeichnet – erst in Interneppo, dem Nachbarort zur anderen Hügelseite, werde ich der Besonderheit gewahr. Es ist hier Poesie an den Häusern, die Poesie der schillernden Farben, ihres Lichtes, ihres flatterhaften Lebens, das die betäubende Verführung der Iris ins Auge rückt – es ist die Poesie der Schmetterlinge, ein bildnerisches Gedicht, dessen facettenreiche Verszeilen als moderne Fresken auf den Fassaden der Häuser gemalt sind. Schon Pier Paolo Pasolini, der lange nicht unweit im Tagliamento-Tal in Casarsa lebte, widmete einige Zeilen dem Insekt, im Widersinn von Pracht und Verführung (aus „Scheusal oder Schmetterling?“ in Pier Paolo Pasolini u. a. „Wie eine Viole in Casarsa“, S. 29):

„Es ist ein Schmetterling aus Heiterkeit,
der mir in den Himmel der Seele fliegt.
Himmlischer Schmetterling ohne Schatten
Im Dunkel der himmlischen Adern.

Nein, es ist ein Scheusal aus Heiterkeit,
und sein Himmelsblau ist Gift.
In den nackten Augen gefriert mir das warme Licht
vor seinen nackten Augen.

Nein, es ist ein Schmetterling aus Milch,
Schimmer des Sommers in meinen Sommer. …“


Die Schmetterlinge hier werden einem einfach in die Linse gelegt – alle halten still, sie sind auf den Fassaden zu Ausstellungsstücken einer offenen Museumsgalerie verdammt. Schmetterlinge umflattern aber auch den Monte Simeone – ein Paradiesgarten mit kriegshistorischen Makeln. Neben Schmetterlingen sind an der Passstraße oberhalb von Bordano auch Radler auf Stein gebannt. Hier wird dem italienischen Radsport ein farbenreicher Tribut mit seinen Helden gezollt. Mehr zu den Schmetterlingshäusern von Interneppo und dem Radsportfresko findet sich unter Bilderrätsel 875.

Interneppo ist das Tor zum Lago di Cavazzo, der größte See des Friauls. Nur selten gelingt es, ein hässliche Autobahnbrücke zum ästhetischen Stilelement einer Landschaft zu machen – am Lago di Cavazzo gelingt das mit einer schon fast beängstigen Graziösität für dahinschmelzende Augenaufschläge (erinnert etwas an den Fuzine-See im Norden Kroatiens). „Welch ein Traum!“ bestätigt ein Paar aus Österreich auf fünf (!) Rädern – sie mit gewöhnlichem, muskelkraftangetriebenen Zweirad, dahinter mit Zweiradhänger für das Gepäck und er solistisch mit einem Einrad. Große Steigungen sind ihre Sache gewiss nicht und sie nehmen wieder den einfachsten Rückweg der Exkursion vom Tagliamento-Tal aus, aber auch da gibt’s Steigungen. Balancekünstler der velophilen Art.

Wer den Cavazzo-See sucht, wird verzweifeln, denn ausgeschildert ist dieser als Lago dei Tre Comuni, obwohl an die Ufer keiner der Gemeindeorte richtig heranreicht. So bleibt das Türkis des Sees ein recht naturbelassenes, auch wenn von Straßen zu beiden Seiten eingeschlossen. Die Badeplätze sind allerdings auch beschränkt auf den touristischen Trichter im Süden mit einer auffälligen Fußgängerbrücke, Teil eines größeren Erholungsparks. Die Seestraße am Westufer verhindert meist Blicke auf den See, das bewaldete Ufer ist dicht verwachsen. Im Norden bei Mena sind seltsame Tiere zu sehen. So schwebt ein Schwarm fliegender Fische über den Wiesen, ein weiterer Fisch betätigt sich gar als Freeclimber im hohen Fels. Auf der Wiese sitzt eine Eule und ließt kluge Bücher. Da ich nicht über gehobene Kenntnisse in den Wissenschaften der Aquaristik und Ornithologie verfüge, muss ich die Dinge hier unerklärt stehen lassen.

Ein kleinerer Hügel führt oberhalb eines weitgehend unsichtbaren Tümpels vorüber. Auch ein Radweg wurde hier mal versucht, der aber in Geröllhalden kläglich verendet. Bald befinde ich mich am Tagliamento-Kiesbett wieder, der Fluss bildet hier an der Brücke nach Tolmezzo gleich mehrere Badeseen. Nun sollte es ja aufwärts noch einen See geben, der von Verzegnis. Der Ort ist schwer zu erklimmen, der See nicht zu sehen. Ihn muss man abseits des Ortes über eine Gefällstraße aufsuchen. Auch hier leuchtet ein tiefes Blau – es ist aber nur ein Stausee, der über keinerlei schöne Uferzonen verfügt. Baden ist eher nicht möglich und wenn bekommt man Schlammfüße. Auch hier führt eine Brücke rüber, die mit einem Parkplatz endet – nicht ganz, unsäglich steil könnte man eine Abkürzung nehmen, die für mich aber nach Kartenlage nicht gesichert asphaltiert ist. Nachdem ich zurück zur regulären Chianzutan-Passstraße gefahren war, und den Bogen durch eine weitere Senke, lässt sich zumindest vermuten, dass es eine asphaltierte Variante direkt vom Verzegnis-See zur Passstraße gibt. Empfehlen würde ich es aber nicht.

Der Sella Chianzutan ist nun sanft in weiten Kehren zu fahren, bieten reichlich Panorama auf die Bergketten nördlich des Tagliamento. Auf der Passhöhe haben sich viele Motorbiker beim offensichtlich beliebten Berggasthof versammelt. Der Pass bildet eine kleine Hochmoorebene, die nach Süden eine spezifische Wiesenflora abbildet. Dann sind es nur wenige Kehren durch Buchenwald hinunter, wo man mitten im Abfahrtstaumel in einer Kehre scharf nach Westen abbiegen kann. Das Val de Preone (zu beiden Passseiten mit dem selben Talnamen bezeichnet, wie im Friaul häufig zu finden) ist eine der urigsten Entdeckungen Reise. Eine auf schmalen Grat an Felsen entlang geführte Straße schleicht sich den Berg hoch, immer wieder auch beschattet von einem ausgeprägten Buchenwald. Die launige wie kühne Trasse hält größere Verkehrsströme ab, denn die Fahrt ist nicht ungefährlich und ohne stetige Hupwarnungen für Autos nicht sicher passierbar. Dennoch ist auch hier nahe dem Chiampon-Pass eine beliebte Picknick- und Badestelle im Wald. Auf den Wiesen, teils mit Glockenblumen gut geschmückt, verteilen sich einige bescheidene Ferienhäuser, ein Gasthof liegt versteckt etwas abseits der Straße.

Hinunter ist das Erlebnis nicht weniger aufregend, ein enges Kurven- und Felsenlabyrinth, die Straße muss häufig mit Metallnetzen vor Steinschlag geschützt werden. Einen Gegenanstieg, sonst gehasst, verlängert das Abenteuer hier sehnsüchtig. Der hautnahe Sog am Bergfels kitzelt ein berauschendes Lachen der Sinne heraus. Die Anfahrt von Norden dürfte deutlich schwerer sein als die von Süden, auch wenn ich das lang gestreckte Val’dArzino nicht aufgefahren bin. Das Tagliamento-Tal mit dem Ort Preone erreicht man so fast wie aus dem Traum gerissen. Man mogelt sich etwas unübersichtlich zur SS 52, die nunmehr nach den Einsamkeiten sehr stark befahren wirkt. Einfach ist die Route auch nicht so richtig, zäh trifft es am besten.

Ampezzo stellt sich per Ortschild als die Kapitale Karniens vor. Ob es nur an der wolkigen Eintrübung liegt, dass sich ein geheimnisvoller Schleier über ein zurückhaltendes Bergvolk legt? Der italienische Charakter lauter Plätze ist nicht präsent – eher der gepflegte Umtrunk geschwätziger Bewohner, die es aber vermeiden, übergebührliche Aufmerksamkeit zu wecken. Einige Höhenmeter später nach dem Ort findet sich noch ein Transit-Gasthof unmittelbar beim Abzweig zur Pura-Passstraße. Die Verhandlungen für ein Zimmer, die vorgegebenen 45 € zu unterschreiten, verlaufen nicht erfolgreich. Der Eindruck düngt mich, dass die Zimmer ihren Preis kaum wert sind – so zumindest sagen es Ambiente und die nicht überzeugende Essensqualität. Auch gab es unfreundliche Andeutungen, sodass ich mich nicht wohl fühlte. Da macht ein Alien schon gar keinen Tausch. Der Ur-Karnier in diesen hinteren Bergregionen scheint eine gewisse Ähnlichkeit zum Schwaben in Germanien zu haben – soweit ich das beurteilen kann (mir ist Schwaben nur aus kurzen Exkursionen bekannt). Ein gut verträglicher Schlafplatz lässt aber nicht lange auf sich warten: Direkt in der Kurve oberhalb steht eine Wetter- und Picknickhütte, die sogar den Zeltaufbau erspart.

Mo 13.7. Albergo di Pura – Passo del Pura (1428 m) – Lac di Sàuris – Sàuris di Sotto – Sàuris di Sopra – Sella di Rioda (1800 m) – Forcella Levardet (1542 m) – Campolongo – Sappada – Cima Sappada/Bladensattel (1299 m) – Forni Avoltri – Rigolato – Comeglians
W: bis ca. 22 °C, bewölkt, wenige Regentropfen, auch schwül, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Albergo Alle Alpi): Tagliatelle m. Pilzen, Frico, Polenta, Kuchen, Rotwein, Cafe 25 € (*)
84 km | 10,3 km/h | 8:09 h | 1930 Hm

Das Dunkle, Fremdartige und Verschrobene der Region verstärkte sich erneut durch die düstere Wolkendecke über den Bergen, die kaum aufheiterte. Der Pura-Pass stellt eine harte Herausforderung da – er ist die Alternative zur regulären Transportstraße nach Sàuris, die durch ein anderes Tal mit Tunnels führt. Durch die Passhöhe über ein Seitental summiert man so zusätzliche Höhenmeter, die sich mittels der Differenz von Passhöhe zum Sàuris-See berechnen lassen. Die Mühe ist lohnend, Felswände, tolle Ausblicke und straßenbegleitende Blumenwelten – meist in Goldgelb – sind die ästhetischen Attribute. Zu den kratzbürstigen Bewohnern Karniens gehören auch Skorpione, die die Straße überwachen. Ich konnte sie aber davon überzeugen, ihre stacheligen Waffen nicht kriegerisch einzusetzen und führte Friedensgespräche auf Asphalthöhe. Der karantanische Friedensgeist blieb gewahrt, wenn ich auch nicht in solch innige Freundschaften eintauchen konnte wie mit der Kröte von Kal nad Kalanom oder den Fröschen vom Egelsee.

Oben gibt es mehrere Einkehrmöglichkeiten, das Rifugio leicht unterhalb auf der Nordseite war von internationalen Seminarteilnehmern belegt – offensichtlich wieder ein Zeichen der kulturellen Offenheit des karantanischen Geistes, mit dem man sich auch mit Japanern und Amerikanern verbündet. Der Wald zum See wirkt mystisch und wird auch so bestätigt durch Sagengeschichten, die dem Besucher auf Tafeln erzählt werden. Der Lac de Sàuris ist zunächst kaum durch Bäume hindurch zu sehen, erstrahlt dann aber kräftig blau bis türkis. Vom Staudamm aus ist zu erkennen, dass sich talabwärts eine undurchdringlich enge Schlucht zieht, was die Tunnels erklärt, die für die Straße in den Fels geschlagen werden mussten.

Gleich noch vor Ortsbeginn finden sich Zeichen einer besonderen Gegend – einer altbairischen Sprachinsel. Sàuris – zur eigenen Sprache Zahre genannt, teil sich einen Unter- und Oberort. Die Namen der Bewohner sind „Ekharle“ oder „Schneider“, ein Gasthof heißt z. B. „Kursaal“. Im Unterdorf sind die Spuren des Schinkenfestes zu sehen, dass ich eigentlich besuchen wollte. Es wird im Juli an zwei Wochenenden gefeiert, nicht aber in den Wochentagen dazwischen – also nicht an diesem Montag. Geplant hatte ich ja die Sonntagsankunft, um dann dort in Sàuris auch eine atmosphärische Übernachtung einzulegen. In meinen tiefen Ahnenwurzeln spielen saurische Gene eine besondere, wenn auch weitgehend noch unerforschte Rolle, sodass ich Sàuris mit großen Erwartungen bereiste.

Nun konnte ich zwar im vom bekanntesten Schinkenproduzenten die Schweinespezialität erwerben (ich mag ihn lieber als San Daniele, wie trockener) – es gab aber nicht mal eine ordentliche Picknickgelegenheit, zumal der Wind kalt in die Glieder fuhr. Die Architektur der Zahrer ist speziell und weist teils Elemente der Dolomiten auf (viele Bajuwaren auch dort) und aber auch der Holzbalkenkonstruktionen der Walser (auch deutsch sprechende, vom Aussterben bedrohte Sprachinseln in den Alpen). Etwas verunsichert über die ausgestorbene Montagsatmosphäre nach dem Festsonntag, suchte ich weitere saurische Spuren im Oberdorf. Hier wird die das Zahre-Bier vermarktet. Proben gibt es aber nicht bei der Zahre-Bier-Hausadresse. Die Büroangestellten gaben mir jedoch freundliche Hinweise, wo ein Glas des speziellen Bieres, das für herbe Noten wie auch eine Rauchbiervariante bekannt ist, am besten zu verkosten sei. Trotz Zahre-Bier blieb mir der saurische Bergkarnier etwas verschlossen. Saurische Völker – Schwaben, Basken oder Korsen – sie alle verbinden doch ähnliche Charaktermerkmale.

Neben Schinken, Bier, Tourismus, Bergbauerntum ist auch Holz ein Wirtschaftsfaktor – ein Kunsthandwerker hat ein Ur-Fahrrad nachgebaut. Nach den anspruchsvollen Rampen zu den beiden saurischen Ortsteilen geleitet die Route dann durch einen träumerischen Lärchenwald, dessen Gardinenmuster das geheimnisvolle Sàuris mit leuchtgrünen Toren abschließend oder eintretend verschleiern. Es eröffnen sich nun steinszenische Darstellungen, Skulpturengalerien aus natürlichem Fels – von soldatischen Pyramidenreihen bis zu solistischen Sagencharakteren – manchmal nicht unähnlich zu mittelasiatischen Gebirgswüsten. Die Berghänge versammeln sich in einem weiten Kessel – das Steingrau prägt auch die Straßentrasse mit den bogenförmig ausgestochenen Mauerleitplanken. Der Anstieg, jetzt wieder stramm, erobert schließlich beim Sella di Rioda eine Hochebene mit eigentümlicher Vegetation. Nach leichtem Höhenverlust zur Val-Pesarina-Straße könnte man noch den nahe liegend Sella di Razzo aufsuchen – nur dort gibt es einen Berggasthof. Die mir schon vorbekannte Passhöhe lasse ich aber aus und begebe mich nun zum Abzweig zum Forcella de Levardet, der kaum als Passhöhe wahrnehmbar etwas abseits der Pesarina-Straße liegt.

Schilder kündigen die Straßensperre an, die Südrampe des Passes ist ein verbotener Weg, obwohl sich immer noch Hinweise finden, dass es mal eine offizielle Strada statale war. Einige Einheimische lassen sich auch nicht abschrecken, zumal die Sperrung halbherzig ist, die Schranke offen. Gibt es andere Beispiele, wo Verbindungen nicht ausgebaut werden, so wird hier eine ehemalige Verbindung verfallen gelassen. Man kann es kaum Umweltschutzgründen zuordnen. Die heftig rumpelige Piste ist kaum zu fahren. Ich muss sie als nicht radreisetauglich einstufen – sowohl bergab wie bergauf. Das Rutschen im oberen Teil führt durch schlichten, geradlinigen Fichtenwald, Bergblicke bleiben weitgehend verwehrt. Ein erstes Highlight aber ist ein Moosstufenwasserfall – nur klein, aber fein. Mit der ersten Furt, die betoniert ist, verbessert sich der Wegezustand, aber auch die aufregende geröllartige Bergwelt schiebt sich besser ins Auge. Die Straßenzustände wechseln nun häufig. Hat man mal ein Stück Flüsterasphalt erreicht, wird man zur nächsten Furt hin wieder von Rumpelpiste überrascht. Die Flora bleibt bescheiden, aber die Felsenwelt übernimmt die szenische Regie mit großer Dramaturgie. So lassen sich Feinschmeckerserpentinen verkosten, die eigenwillig symmetrisch angeordnet sind. Steil sind diese nicht, das Höhenprofil bleibt aber insgesamt ähnlich wechselhaft wie die Straßenbeläge.

In Campolongo sieht es typisch nach Dolomiten aus. Die Bauweise ist eine Schnittmenge verschiedener Bergkulturen, auch sàurische Elemente sind noch vorhanden. Das Tal ist nun belebter und besiedelter. Da wenig Platz, müssen einige Häuser höher gebaut werden – ein Hauch Andorra. Auch nach Norden sieht man einige Bergsiedlungen auf den Halbhöhen, mehrere Seitentäler führen weiter in die Bergwelt, von denen ich einige geplant hatte zu radeln, sie aber meinem galaktischen Reisezeitfenster opfern musste. Der Anstieg ist weich, ein schöner Wasserfall mit feinem Sprieß vor der Hochebenenöffnung des Sappada-Sattels. Dort herrscht erhöhte Betriebigkeit – zu Sommer wie zu Winter. Die Bergkulissen sind allzu verführerisch. Es sind die Sensationswelten zwischen Dolomiten und Karnischen Alpen, mit denen hier Werbung gemacht wird: „Himalaya-Feeling“, „Tibet in Karnien“ oder „11 km bis nach Nepal“. Die Bergszenerie, die sich zu beiden Seiten der Almwiesen und Siedlungsbereiche erhebt, erinnert auch im ganzen Betriebe an die Dachstein-Panoramaroute im Nordwesten der Steiermark, wenngleich dort nur nach einer Seite felsig. Obwohl die dunklen Wolkensäcke eine ungetrübte Sicht Bergszenerie vereitelten, kam es auf der Green Devil dennoch zu tobsüchtigen Schüttelfeten, als ich die Bilder vorführte.

Nur wenig steigt man noch zu einem Hochpunkt des Sattels, wo dann die Straße ins Tal hinabstürzt, über Serpentinen abgedämpft mit mäßigem Gefälle. Unweit des Hochpunktes liegt ein panoramareicher Campingplatz, wie auch weitere Gasthöfe noch locken, zu verweilen. Der Morgen hätte die Berge wieder in sonnenreiches Licht getaucht. Nicht ganz falsch schätzte ich aber die Schwierigkeiten des nächsten Tages ein und suchte den Basispunkt im Tal noch zu erreichen. Ungeachtet der zahlreichen Höhepunktperspektiven des Tages gab es zu wenige Goldmomente an diesem Tag, sodass mir Commander speichen-08/15-kracher die Erweiterung der begrenzten Bankomatenlizenz verweigerte. Es ließ sich aber auch so ganz gut ein Nachtlager arrangieren.

Di 14.7. Comeglians – Tualis – Monte Cróstis (1934 m) – Ravascletto/Sella Valcalda (958 m) – Povolaro – Clavais – Liariis – Sella di Monte Zoncolan (1740 m) – Rifugio Moro – Sùtrio
W: 17-23 °C, teils sehr kühl, teils heiter, teils bewölkt, windig, diesig
Ü: H/Osteria Da Alvise 40 € mFr
AE (dito): Ravioli m. Auberginen/Tomaten, Hähnchenfilet, Bratkart., Salat, Eis, Cafe 32,30 € (***)
68 km | 8,7 km/h | 7:53 h | 2730 Hm

Die zwei Berge des Tages sind Mythenstraßen des Giro d’Italia, in der geballten Form mit Reiserad beide Berge zu fahren, bedeutet Irrsinn. Ich musste mich daher nach meiner Rückkehr auf der Green Devil auf psychische Nervendeformierungen untersuchen lassen – es konnten aber keine Fehler festgestellt werden. Im beschaulichen Comeglians hat man das große Radsportereignis am Monte Cróstis aus dem Jahre 2011 festgehalten, wohl stand damals ebenso der Monte Zoncolan auf dem Plan. Die karnischen Berge werden da als „terribile“ kategorisiert. Kaum aus dem Ort nach dem kleinen Tunnel, zeigen sich die Bergketten am Sappada-Sattel freizügig, was aber keine Prognose für das Tageswetter sein sollte. Sind die unteren Kehre halboffen, mit kleinen Ortseilen, so windet sich die Straße oberhalb Tualis lange durch dunklen Nadelwald. Dem Giro hat man in Tualis gleich einen ganzen Platz gewidmet mit einem Rad im Bronzeguss, das allerdings schwer von der Stelle zu bewegen ist. Bewege ich mich überhaupt von der Stelle?

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alienmuskeln kurz vor kapitulativer Myotrophie, bitte um transkapillaren Zusatzdüsenantrieb.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Zusatzantriebe nicht verfügbar, weil die interstellare Distanzringverminderer die erdmagnetischen Abschirmungskräfte nicht überwinden können ohne zu implodieren. Hatte anfangs der Reise auf die Möglichkeiten eines E-Bikes als Alternative hingewiesen. Haben Sie nicht genommen.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Werde Osmosendruck im Myofibrillen erhöhen. Hoffe auf schnelle hochgebirgige Blutzellenanpassung.“


Kaum anders als im Diagonalslalom vermag ich die Fortbewegung zu steuern. Nach dem Waldende wird das Auge mit einem überschäumenden Grün belohnt. Alle Gipfel hier sind – ähnlich den Nockbergen oder der meisten Pyrenäenberge – komplett begraste Kuppen und Platt- oder seltener Spitzgipfel. Die Almwiesen breiten sich zu einen Bergrund aus, bilden ein Amphitheater im Stile monte-verde. Es ist Frevel, hier nur von Grün zu sprechen, denn dem Grün wohnt eine goldener Glanz inne, den das Alienauge freudig blitzen lässt.

Es gibt viel Hinweise auf Steigungsprozente, die aber meiner kritischen Prüfung nicht standhalten. Die Maximalsteigung 13,1 % wird ebenso an Entspannungspassagen angegeben, wie an den steilsten Stellen. Solche Stellen habe ich auch schon als 20%er in anderen Regionen kennen gelernt. Der Fantasie irdischen Messingenieure sind keine Grenzen gesetzt. Immer wieder muss ich diese Laschheit im Umgang mit exakten Forschungswerten kritisieren. Halten wir fest: Die Hölle des Teufels würde dem Radler hier wie ein Wellness-Relaxzentrum vorkommen. Die Frage scheint mir in Anbetracht irdischer Intelligenzen auch berechtigt, warum für solche Radstrecken noch keine Zahnradschienen oder Seilwinden verlegt wurden.

Am etwas unterhalb der Straße gelegenen Berggasthof – etwa dort endet auch der Asphalt – windet es heftig kalt und in der Gaststube wurde der Ofen angeworfen. Um meine inneren Organe vor kompressiven Kälteschöcken zu schützen, muss ich zu einer warmen Mahlzeit greifen. Obwohl der Berg fast leer – ausgerechnet zur selben Zeit will eine italienische Familie auch speisen, was die Kapazitäten der Wirtin deutlich überschreitet. Ich brauche mehr als das Viertel einer Stunde, um die Bonifikation für das Essen ihr zustecken zu können. Man kann nicht sagen, dass Karnier geldgierig seien. Eine MTB-Gruppe, aus drei Kärntnern bestehend, versichert mir eine unproblematische Pistenfahrt für die Bergrunde. Ansonsten geben sich die Österreicher aber ein wenig krantelig, als sei ihnen der karantanische Geist entzogen worden.

Nun wartet draußen nicht gerade eine Sonnenpause und man mag die lange Vesper als Anwärme zu der wolkenverhangenen Panoramaroute werten. Und trotz der eingeschränkten Sicht ist die Tour ein Augengedicht – erst hier scheint die Bezeichnung Panoramica delle Vette ihre volle Berechtigung zu haben. Der Pistenzustand erweist sich tatsächlich als gut, wenngleich die Heroen des Giros hier nicht mehr hergefahren sind. Das Geländeprofil ist als leicht zu bezeichnen, wobei es mal etwas ab, mal etwas auf geht. Hat man die letzen Hochpunktkehre überwunden, bleibt die Schotterabfahrt eher noch gemäßigt. Der Asphalt beginnt recht bald, die Straße dann auch wechselhaft steil im Gefälle, in jedem Fall auch steile Rampen. Der Aufstieg zur Ostseite wäre aber einfacher als die gewählte Westauffahrt. Massive Holzleitplanken prägen die Straßentrasse mit vielen Kehren, auch hier dunkle Waldabschnitte, aber auch rote Pastellfarben von Distelgewächsen.

Man mündet direkt auf eine Passhöhe, die stärker besiedelt ist und als Basis des Skigebietes am Monte Zoncolan genutzt wird (Bergbahn dorthin). Der Abschwung hier dann nur ein aalglattes Zwischenspiel ohne Besonderheiten. Man kann etwas oberhalb von Comeglians einen Abzweig wählen, um (hoffentlich) ein paar Höhenmeter einzusparen. Wie Abkürzungen aber so häufig es mögen, ist auch diese eine zusätzliche Tortur. Hübsch folgen wieder kleine Ortsteile oder Weiler, aber verbunden durch heftige Auf-und-ab-Passagen. Heftig ist natürlich eine recht mäßigende Formulierung für die Neudefinition von dem, was der Erdenmensch als Hölle bezeichnet. Die Strecke über Clavais erweist sich aber nur als Vorspiel des Mörderberges, der sein kriminelle Energie noch zu steigern weiß.

In Liarlis, zwar unterhalb der Hügel zuvor, aber doch bereits deutlich oberhalb von Ovaro, suche ich ein Fotomotiv. Sofort meldet sich eine karantanische Alienfreundin und winkt nach Osten: „Da geht es lang!“ – Oh – woher weiß sie, wo ich hin will? Können die Bergmenschen hier Gedanken lesen? Die Antwort lässt kaum lange auf sich warten. Nach ein paar gemütlichen Metern kündigt ein Schild das „Valle della Bicicletta – Ovaro/Zoncolan“ an. Alle wollen hierher – alle, die mit Pedalrössern unterwegs sind. Natürlich nur die, die es bis hierhin wagen. Eine letzte Brunnenversorgung wartet. Unklar, wie viele Liter ich hätte brauchen können, in jedem Fall ließ ich mehr Wasser auf der Strecke liegen, als die umliegenden Berge an Quellwasser jemals spendieren könnten.

Die Westrampe des Zoncolan ist landschaftlich recht bescheiden, die Kehren mauerbefestigt, ohne Zierde, ein schlichte Bewaldung, die Ausblicke nicht zulässt und auch die Flora ist von Mittelmaß gekennzeichnet – immerhin kleine Glitzer von Blumengold. Wohl auch, um die Langeweile am Berg zu mildern, sind Tafeln aufgestellt, die gleichzeitig Kilometersteine sind. Die Abstände sind aber nicht immer gleich, manchmal 500 m (so wird’s versprochen), manchmal aber auch fast ein Kilometer bis zur nächsten Tafel. Die Tafeln sind fotografische Darstellungen von Radsportlegenden – in diesem Fall nicht nur italienische, auch werden Gallier oder Seebewohner aus dem Norden berücksichtigt. Dazu sind jeweilig biografische Daten ausgewiesen. Von unten nach oben gibt es eine Historiallinie – sprich: unten die ältesten Veteranen, oben die jüngeren.

Nun, die Frage, die sich bald stellt: Wer liest das alles? Man möchte vielleicht noch, aber wie soll man das durch die Salzkristalle im Auge bewältigen? Ich sende erneut Notsignale.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Verdampfungssäule beträgt bereits die Höhe von mehr als zwei kompletten Galaxiendurchmessern. Radialfliehkräfte wirken negativ, Vortrieb auch mit homöopathischem Mikroskop nicht mehr erkennbar. Bitte um exogene Sonderantriebe für unmögliche Transportalwege im Universum.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Transportalweg auf ‚fast’ unmöglich umgeswitcht. Weitere Erleichterungen nicht möglich, da karantanische Naturalerhaltungsfeldlinien voll wirksam.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alle muskulären Restaggregate auf höchste Osmosestufe umgestellt. Gefahr des Zusammenbruchs. Falls erfolgreich, Bitte um Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz für luxuriöse Schlafkoje.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Durchhalten! Alien-Grablegung auf Erdenball würde uns vor kaum lösbare Problem stellen. Wir brauchen Sie zurück auf der Green Devil! Beschränkte Bankomatenlizenz wurde erweitert.“


Mit der Pantani-Tafel wird ein Tunnel erkennbar. Es ist zwar noch nicht das Finale, ab die letzten Straßenhebungen danach sind jetzt absehbar auch noch zu schaffen. Ich erreiche mit halbiertem Alien-Gewicht die Ehrenskulptur des Sella Monte Zoncolan, wobei nicht erkennbar ist, ob es sich geografisch auch um einen echten Pass handelt. Meine Forschungspipetten sind aber so durchnässt, dass seriöse Wissenschaftsproben nicht mehr möglich sind. Ein letztes Goldleuchten strahlt durch die Dämmerung ins Auge auf der Hochgebirgswiese, vielleicht auch ein Hochmoor. Erreicht man die großen Parkplätze, die Hotelgebäude und die Bergbahnstation, ist dieses noch schönste Stück der Zoncolan-Route vorbei. Die folgende Abfahrt ist eine walddichte Fast-Bergautobahn mit weiten Schwungkehren, das Gefälle überraschend zahm – gemessen an der Auffahrt zur anderen Seite. Eine dritte Auffahrt, so heißt es in den irdischen Pässeschriften, gäbe es hier etwas südlicher. Diese Straße soll aber den schlechtesten Zustand aller Varianten haben und mit der Steilheit der Westrampe mithalten können und sei daher nicht zur Abfahrt empfohlen.

Mi 15.7. Sùtrio – Piano d'Arta – Arta Terme – Cedarchis – Trelli – Paularo – Forcella di Lius (1010m?/1034m?/1070m?) – Paluzza – Timau – Plöckenpass/Passo di Monte Croce Carnico (1360 m) – Kötschach-Mauthen
W: 20-26 °C, meist sonnig, eher schwül, windig, abends sehr mild
Ü: C Alpencamp 18 €
AE (dito): Ofenkartoffel, Salat, Schweinemdaillons, Gemüse, Pommes, Bier, Cafe 23,80 € (**)
71 km | 11,1 km/h | 6:25 h | 1675 Hm

Die Gastgeberin in Sùtrio ist ein karantanischer Geist, von großer Alien-Freundlichkeit. Mein Fahrgerät wird fest verschlossen, obwohl dem Ort räuberische Banden nicht zuzutrauen sind. Das Zimmer, unter dem Dachstuhl etwas beengt, aber sehr hübsch eingerichtet, erfüllt alle Alien-Wünsche, die ihm einen glücklichen Schlaf gebracht hatten. Am Frühstückstisch sind Radler keine Seltenheit – so auch hier z. B. eine organisierte Radsportgruppe mit Begleitwagen. Ich glaube, sie hatten keine Vorstellung, was sie heute erwarten würde – der Zoncolan stand an. Vielleicht werden sie mit der Ostrampe auch nicht wirklich erahnen, was der Alien am Tag zuvor gestampft hatte.

Sùtrio ist überhaupt ein besonderer Ort für einen Forschungs-Alien. Die Urbevölkerung scheint etwa zwei bis drei Längen größer gewesen zu sein als die heutige, wie einige Kleidungsstücke (Holzschuh) und Möbelantiquitäten (Stuhl, Kommode) nahe legen. Es sind seltsame Geschichten da aufgeschrieben und der Besucher soll eine Mission über mehrere Stationen hinweg erfüllen, läuft dabei aber Gefahr von Nymphen und anderen Fabelgestalten verspottet zu werden. Das Intermezzo nach Art Terme zeigt neue Landschaftselemente, so erinnern die Bergwiesen dort an typische Biotope der Schwäbischen Alb. Arta Terme kann die Klischees eines absterbenden Kurortes nicht ganz verdecken, sucht sich aber mit modernen Events ein neues Gesicht zu geben. So ist die zentrale Piazza komplett in einen Pferdeturnierplatz umgewandelt, nicht mal der Fußgänger hat so Möglichkeiten, den Ort vernünftig zu besichtigen.

Das Canale d’Incaroio hält zwei Routen bereit. Wie auch dem Eindruck des übernächsten Tages geschuldet, empfiehlt sich die Halbhöhenroute über dem Talboden als die schönere – zugleich auch die weniger befahrene Strecke. Dabei ergeben sich sicherlich einige Höhenmeter extra wegen steter Rauf-/Runter-Wandlungen. Die Bergkette zur gegenüberliegenden Talseite liefert ein herrliches Panorama, aber auch die Orte sorgen für besondere Blickwinkel zum nördlichen Talschluss. Höhepunkt ist die Cascata di Salino, direkt an der Straße gelegen, in einer Felsnische nur ein kleines Spalier, die Straße als Brückenkehre vorbeigelegt. Der Strahl, ein langer Pferdeschweif, erst weit unten leicht gespreizt durch vorgerückte Steinstufen, von leicht rötlichem Fels gerahmt, gehört zu den schönsten Wasserfällen, die ich auf der Reise verzeichnen durfte.

Paularo ist durch mehrere am Hang liegende Ortsteile weithin sichtbar. Der beste Blick ergibt sich wohl zur Einfahrt von der Brücke aus. Der Ort ist wuselig, auch wenn man ihm keinen großen Reichtum ansehen kann. Es ist ohnehin unklar, ob das Geschäftige zu Reichtum führt. Die häufigste Abbildung der reichen Könige ist ja die, dass sie nur auf einem Stuhl sitzen. Auch müssten dann die wuseligen Italiener das reichere Volk als etwa die Wikinger-Nachfahren in Skandinavien sein, den man eine ruhige Lebensweise bescheinigt. Die Reichtümer sind aber offenbar bei den Nordvölkern größer. Ich versuche mich an drei Bankomaten des Ortes vergeblich – ein Zeichen karantanischer Bescheidenheit? Oder ein Ort der Armut, den schon mancher verlassen hat?

Auf einem Steinmonument am Ortsausgang sieht man einen Radfahrer mit Koffer und einem Proviantbeutel, der zurückschaut. Da heißt es „… tu vâs lontan a guadagnacj il pan…“, was soviel bedeuten könnte „Du ziehst in die Fremde um dein Brot zu verdienen.“ Im 16. Jahrhundert entwickelte sich vor allem in der Krain und im Friaul die Form des grenzüberschreitenden Wanderhändlers, wobei den „Krämern“ unterschiedliche Akzeptanz für ihre Hausierwaren entgegen schlug. Saumhandel wurde für einige Kleinbauern auch zum Nebenerwerb. Andere wurden zu Ganzjahresnomaden oder zu den heute modern bezeichneten Saisonarbeitern, nicht nur mit niederen Dienstarbeiten, sondern auch mit speziellen Qualifikationen, die sie mitbrachten. Bei den Venezianern galten einige daher als dringlich ersehnte Fachkräfte. Karnier fanden so neue, zuweilen auch nur vorübergehende Heimaten nördlich der Alpen oder im venezianischen Machtgebiet des Adria-Raumes. So heißt es bei Gernot Heiß: „Karnien ist ein extremes Beispiel für Arbeitsmigration der männlichen Bevölkerung. Die steilen Hänge der stark erodierten, verkarsteten Gebirgslandschaft um und nördlich von Tolmezzo vermitteln den Eindruck der Kargheit und Unfruchtbarkeit. Viele Männer aus dieser Gegend waren neun Monate im Jahr von zu Hause fort.“ (in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 230) Nur zu Erntezeiten kehrten viele wieder zurück, heißt es weiter, und die Frauen und Kinder übernahmen zuweilen Heimarbeit für Produkte, die gleichwohl die männlichen Wanderarbeiter in ihren Zweitheimaten feilboten.

Die Zeiten der Armutsmigration sind also kaum neu. Die ökonomische Lehre spricht auch von der Mobilität der Produktionsfaktoren, zu denen die Arbeitskräfte gehören, gerne in den marxistischen Wissenschaften auch als Produktivkräfte bezeichnet. Demnach ist diese Mobilität unabdingbar, die Wohlstandsmehrung marktwirtschaftlicher (bzw. kapitalistischer) Systeme zu gewährleisten (welfare economics). Interessant ist, dass in den modernen irdischen Gesellschaften sehr schnell das Pendel zwischen der fast sklavischen ökonomistischen Funktionalität des Produktionsfaktors Mensch (human resources) zur anderen Seite des schmarotzenden Armutsflüchtling ausschlägt, der den Wohlstand der marktwirtschaftlichen Errungenschaften bedrohen soll. Nicht selten ist beides aus gleichen Mündern zu hören, nicht selten gründet der Wohlstand dieser Münder auf vergleichbaren, Armut überwindenden Flüchtlingsbewegungen ihrer Vorväter. Man kann kaum glauben, dass die irdischen Intelligenzen ihre Geschichte so schlecht kennen – weit mehr als nur die karantanische, die ihre Lehren weisen könnte. Was nicht alles so ein kleines friaulisches Radmonument der provinziellen Zeitgeschichte sagen kann. Auf der Green Devil, versteht sich, sind Migration und Armut bereits solange nicht mehr existent, dass die dort hiesigen Historialplatinen über dieses Wissengebiet bereits vermodert sind. Mein Commander speichen-08/15-kracher hörte deswegen meine Forschungsergebnisse mit besonderem Interesse, obwohl er resignierende Verständnisprobleme bei einigen Schilderungen nicht verbergen konnte.

Da ich aber fürchtete, dass meine beschränkte Bankomatenlizenz durch die häufigen Bonifikationen mittlerweile erschöpft sein könnten, und ich selbst Opfer einer mir unbekannten Armut werden könnte, suchte ich erneut Kontakt zur Green Devil aufzunehmen.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alle Bankomaten in Paularo verweigern Ticketausgabe. Was ist geschehen?“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Beschränkte Bankomatenlizenz voll umfänglich verfügbar. Mängel sind bei irdischen Technikern zu suchen.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Irdische Bankfachleute sind hier in Karnien nicht zur Lösung befähigt. Banker zuckt mit Schulter. Werde Bankomat am nächsten Ort versuchen.“


Die Nächstortprüfung in Paluzza endete nicht günstiger, sodass ich auf erst bei den Österreichern zu Talern kam, derweil sie ja für gehobene Fähigkeiten im Bankomatenwesen bekannt sind (vgl. Prolog E.5). Da ich bereits auch Kärnten als Armutsland erkundet hatte, dürfte der Reichtum der Völker nicht an der Funktionsfähigkeit der Bankomaten abzulesen sein. Paluzza machte Siesta, nichts konnte man zu Mittag erwerben. In den Schaufenstern sah ich feine Kleider, überlebensgroße Osterhasen (aus folklorem Tuch, nicht aus Schokolade) und seltsame Berghüte mit Federschmuck, denen auch ein steinernes Denkmal gewidmet ist.

Ein Denkmal unbekannter Provenienz – vielleicht auch ein (unerlaubtes?) Graffiti findet sich auf der Westflanke des Forcella di Lius mit dem Murale a Ligosullo, einer weiteren Hommage an den Giro d’Italia. Die Höhe des Passes finde ich insgesamt zu drei verschiedenen Werten – 1010 m, 1038 m, 1070 m. Wie so häufig, tendiere ich mittels meiner sensorischen Messmethoden zur Mitte als treffende Höhe. Allerdings sei angemerkt, dass der Pass zu beiden Seiten eine Überhöhung aufweist, die zu befahren ist, was zusätzliche Höhenmeter erfordert. Das drückt sich durch die kurze Distanz in nicht gerade steigungsarmen Rampen aus, die es mit denen der Qualität des Vortages aufnehmen können, wenn auch nicht so ausdauernd. Durch viele Talblicke und einige Bergdörfer ist die Westseite abwechslungsreicher gestaltet als die Ostrampe.

Die charakteristische Bergkulisse der Südflanke des Plöckenpasses zeigt sich dem Betrachter bereits weit unten, sodass abwechslungsreiche Perspektivvariationen den Fahrer stets erfreuen. Die Vegetation darf man als mäßig bezeichnen, ist auf der Nordseite stärker ausgeprägt, soweit dort Zwischenebenen dies erlauben. Der besondere Reiz liegt – eigentlich auf beiden Seiten, im Süden noch deutlicher – in der Straßentrasse, die sich in den Berg mit eindrucksvollen Kehren hineinbohrt, mit halboffenen Galerietunneln. Dabei steigt man auf über die unteren Kehren, auf die man dann herunterspucken könnte, oder andere, zu denen man noch ehrfürchtig hinaufschauen muss. Das Kehreneldorado beginnt wenig nach Timau, das noch leicht im flachen Tal erreichbar ist. Timau selbst bietet auch Kriegsmuseumstourismus zum Ersten Weltkrieg. Die Bewohner sind, nicht unähnlich zu Zahre, Ahnen eines altbairischen Dialektes.

Auf der Nordseite des Plöckenpasses, über die nicht gerade schön ausstaffierte Passhöhe so gelangt (u. a. Kitschsouvenir), sei Vorsicht geboten. Der Straßenbelag ist den leeren Landeskassen zufolge in sehr schlechtem Zustand, und die Rippen und Löcher können im schlimmsten Falle den Lenker verreißen. Trotz aller Vorsicht, kann man dem Tod hier nicht entgehen. Gleichermaßen, quasi symmetrisch zur italienischen Seite, ist der Erste Weltkrieg auch im Museum in Kötschach ein Thema, Kriegsanlagen lassen sich frei um die Passhöhe als ein Teil der dolomitischen Friedenswege inspizieren, und etwa zur Mitte der Passstraße mahnen die Kreuze eines Soldatenfriedhofs, den karantanischen Geist nicht nochmals zu verraten.

Der Empfang im Kötschacher Camping (der Doppelort verteilt sich als Mauthen auf dem rechten Gailtalufer und Kötschach auf dem linken) ist durch eine lächelnde Fee sehr Alien-freundlich, aber wieder mal werde ich mit dem Prozedere des Check-ins leicht überfordert. Nicht ganz uneigennützig wurden Gutscheine verteilt, wenn man brav den Lektionen gelauscht hatte. Einer galt einem Glas Apfelmost, am nächsten Morgen zu erhalten beim Camping-Shop, nicht wohl ohne den Hintergedanken, weitere Einkäufe zu tätigen. Für das Camping-Restaurant gab es ein Zwergbier, nicht ohne den Hintergedanken, den Gast ins eigene Restaurant zu locken, während weit bessere Gourmetstuben sich in Kötschach-Mauthen positioniert haben. Erinnerungen an den Zeltplatz in Ankaran kann ich nicht ganz abwehren, auch wenn der trubelige Rahmen noch übersichtlich und von etwas biederen Holzkästenmietern geprägt ist. Dadurch bleibt eine gewisse alpentypische Ruhe gewahrt, die am weiten Meer schon mal außer Kontrolle gerät.

Angeblich, so wird mir erzählt, sei ein Wellnessbereich teil des Geländes, welches auch noch geöffnet häbe. Da sogar die Küche des Camping-Restaurants zu austriatisch untypischer Zeit von 22 Uhr erst schließt, wähnte ich mich zeitig genug, noch eine Sauna-Runde einzulegen – auch wenn der Sommer ja meine Alienhäute mittlerweile reichlich belastet hatte. Zur Überraschung ließen sich die Türen aber nur per Checkkarte öffnen, die man irgendwie separat erwerben muss (Gebühr? Eignungsprüfung?). Die Dame des Empfangs hat aber die Flucht ergriffen und niemand konnte mir weiterhelfen. So schritt ich zur Speisetafel mit dem Bierbonus, wo ich das Personal vor große Probleme stellte, als ich um ein paar Stück beschreibbaren Papiers bettelte. Ausdrücklich verwies ich auch auf gebrauchtes Papier, soweit es weiße Rückseiten gäbe. Offenbar ging es weniger um den exklusiven Wert der Gabe, sondern um die Verfügbarkeit – in Zeiten digitaler mobiler Kassiermaschinen ist Schreibpapier zu einer Rarität geworden.

Do 16.7. Kötschach-Mauthen – Dellach – via R3 (Gailtal-Radweg) – Stranig – Tröpolach – Nassfeldpass/Passo di Pramollo (1530 m) – Pontebba – Studena Bassa – Passo di Cason di Lanza/Lanzenpass (1552 m) – Paularo
W: bis ca. 30 °C, schwül, anfangs heiter, danach mehr bewölkt
Ü: C Paularo 0 € (k. P.)
AE (Ristorante): Salat, Spaghetti Bolognese, Eis, Rotwein, Cafe 19,60 € (-)
89 km | 10,9 km/h | 8:12 h | 2145 Hm

Nach dem Frühstück im Kötschacher Ortskern nehme ich zunächst die Straßeroute durchs Gailtal, weil ich mir bessere Ausblicke erhoffe. Mit dem Wechsel zur Gail überzeugt die Radroute aber doch sehr. Die Bergpanoramen bleiben erhalten, zusätzlich darf man sich an der Gail erfreuen, die als übersetzt „die Schäumende“ häufig größere Flächen flutet, die den Dörfern in anderen Jahrhundert manchmal zur Last wurde, weil viele Erträge hinweggespült wurden. Heute bietet die teils gezügelte Gail reichlich Kiesbettbadeplätze, die auch mal von Campern, meistens aber von Fischern genutzt werden. Der R3 ist teils exklusiv Radweg, im zweiten Teil führt er über ruhige Straßen. Dem Radler wird einiges geboten. So sind die Gastbetriebe vorbildlich ausgeschildert, dass man nicht an den Bettungs-, Sättigungs- und Durstlöschbaracken vorbeifährt. Selbst Mitgebrachtes kann man an vielen Rastplätzen verkosten. Wer keine Luft mehr hat – im Reifen, versteht sich, die Strecke ist für Lungenatemlosigkeit zu einfach –, darf man eine der unbemannten Radservicestationen benutzen, die über wichtigste Werkstöcke verfügen.

Meine Route verschlankte ich hier wesentlich, nachdem das Ende meiner Reise mal wieder zu früh auf mich zulief, während ich noch viele Reiche nicht erschlossen hatte. Die Route zur Straniger Alm hinauf mit Anschluss zur Lanzenpass-Straße zur anderen Seite des Karnitischen Kamms ist zwar mit Daten ausgewiesen (auch der Übergang nach Italien), aber ausdrücklich mit dem Hinweis „schwer“. Dieser Hinweis richtet sich weniger an Reiseradler als mehr an Mountainbiker. Angesichts meines Fahrmaterials erwies sich bereits die Bodenprobe im untersten Bereich als extrem schwierig und kraftraubend, sodass ich die angegebene 890 Hm für mich als nicht machbar einordnen musste. Es wäre eine langatmige Qual geworden, soweit ich sie überhaupt hätte überstehen können. Ohne weitere interstellaren Zusatzantriebe ist dieses Projekt nicht für Aliens machbar – so muss ich meine Prognose abgeben.

Ich traf eine Erdenfrau, recht sportlich auf der Straße, aber mit Mountainbike, die ich gleich zum Thema interviewte. Offenbar hatte aber auch sie diese Wege noch nicht befahren. Ihre Anwesenheit motivierte mich aber, nochmal den Versuch an einer zweiten Auffahrtstelle zu wagen, die keine Hinweise für Radler unten vermerkte. Diese Piste war noch grobschottriger, und obwohl zunächst etwas weniger steil, eher noch unfahrbarer – soweit solche Abstufungen von unfahrbar erlaubt sind. Mir fiel so ein Last von den Schultern, denn durch die nun zu verändernde Route musste ich zwangsläufig einige weitere heikle Projekte des Karnitischen Kamms kippen. Das konnte meinen Genussporen nur förderlich sein.

Die Straße zum Nassfeldpass beginnt im völlig unscheinbaren Tröpolach. Zum ersten Anstieg befindet sich ein große Kaskade, die aber künstlich betoniert wurde und nun als Klettertrainingsrevier für Abenteuergruppen dient – in diesem Fall für den Nachwuchs. Wie die Autobeschriftung zeigt, steckt hinter diesem Abenteuertourismus für Zwerge ein Hotel auf den Berghöhen. Die Spaßparkkultur spiegelt sich dann auch auf der Passhöhe wider, wo sich zahlreiche Skitourismusverbauungen platziert haben, einschließlich eines großen Intersport-Ladens. Erfreulich ist aber, dass man auf den letzten Höhenmetern erkennt, wie sich die Versuche der Bergverschandelung der Majestät der Berge beugen müssen, weil sie sich unter den voll entfalteten Gipfelketten mit herrlichen, steil aufschießenden Almwiesen zu Spielburgen zwerghaft verkleinern.

Die Passstraße ist zwar in besserem Zustand als der Plöckenpass zur Kärntner Seite, deutliche Verwitterungsspuren mit rissigem Asphalt finden sich aber auch da und dort. Der Bergbach ist schon so verbetoniert und verstahlt, dass dies wieder zur pittoresken Kaskadensehenswürdigkeit wird, wie an der Nikolo-Brücke. Hier sind, ähnlich wie an der Kölnbreinsperre gesehen, stählerne Messsysteme in den Fels getrieben, um den Berg zu überwachen. Dem alpinen „Überwachungsstaat“ entgeht nicht mal die Fließgeschwindigkeit, die mit Messinstrumenten von oben wie von unten erfasst werden. Wohl fürchtet man Schmelzwasser- oder Bergsturzlawinen, die – so könnte es sein – der Mensch durch die Verbauungen oben als Wintersportgebiet „Nassfeld“ selbst mitbefördert. Der Erdenmensch, er weiß sich vor sich selbst zu schützen – manchmal.

Die kleine Hochfläche beim Pass mit See nutzen auch noch die Italiener für ein paar Gasthöfe. Die Anbindung nach Süden ist allerdings sehr verwegen. Nicht nur ist der Pass dort noch steiler als zur Nordseite (es war nicht leicht), sondern sind auch die Kehren verwinkelter, die Geröllfelsen sturzgefährdet, die eingehauen Tunnels weder breit noch hoch, während es zur andere Seite gesicherte Lawinengalerien gibt. So ist der Verkehr hier sehr gering, nur ein paar Motorbiker nutzen das Kurvenlabyrinth, um riskante Bergstraßenpunkte zu sammeln. Der infrastrukturelle Anschluss des Nassfeld-Gebietes scheint, so der Eindruck, sowohl für den Wandersommer als auch für den Skiwinter ausschließlich über die österreichische Seite gewährleistet. Dem Alien, so ist klar, gefällt diese wild zusammengewürfelte Unordnung einer verfallenden Militärstraße weit besser, auch wenn sich kaum Blumen oder Pflanzen hervorwagen. Zu den unerschrockenen Schuttpflanzen gehören einige Büschel Himbeeren, die unerwartete Köstlichkeiten am Stiel servierten.

Pontebba lässt sich vom Nassfeldpass aus am besten aus der Vogelperspektive betrachten. Es ist der einzige Ort, den ich auf dieser Reise mit dreifacher Aufmerksamkeit bedenke. Der sicheren Wiederkehr gewiss, meide ich den Stadtkurs, sondern zweige gleich ins Tal der Pontebbana ab mit dem Passo del Cason di Lanza als Gipfelpunkt. Wieder spielt der Himmel in der zweiten Tageshälfte Trauerspiele und so bleibt in diesem Tal manches Leuchten aus, welches ihm eigentlich anbestimmt ist. Nicht breit, aber doch ausreichend Platz für saftig grüne Almwiesen, eine verstreute Würfelung von Häusern, ein blau aufschimmernder Flusslauf und ein ocker unterlegtes Wasserfallspiel sind Merkmale des unteren Bereichs, wobei sich auch ein paar Badestellen finden lassen – besonders attraktiv sind die bei den Wasserfällen, wozu man die Straße aber ein paar Meter weit über eine Weide verlassen muss.

Der obere Teil ist wortwörtlich als gehoben zu bezeichnen – will sagen, es melden sich die Zoncolanischen Steigungsstufen zurück. Es ist in diesem Falle günstig für die Menschenkinder, dass sie Tal und Bergwelt des Passes nur spärlich besuchen, wie es die einstellig ermittelte Anzahl der fahrenden Autos vermittelt, denn des Aliens feucht-körperliche Ausdünstungen erreichen im festen Aggregatzustand die Stärke der Bad Reichenhaller Salzstollen. Zum Glück gibt es die dermitischen Verdampfungsprozesse, die aber die Wolkendecke des Abends nur noch mehr verdunkelten. Die oberen Bereich muten geheimnisvoll an, mit Hochmooranleihen aus saftigem Goldgrüngras, auf dem dunkelgrüne Fichten solistisch und in kleinen Hainen zapfige Walzerkreise tanzen.

An der Passhöhe erheben sich aus Norden Felswände, vor denen der Bergbauernhof mit Gasthaus liegt. Trotzdem verweigern sich weitere Ausblicke. Der Lanzenpass ist ein besonderer Radskulpturenpass, der dem Rad des Rades gewidmet ist. Das unscheinbare, leicht vermoderte Giro-Denkmal auf der Passhöhe besteht im Kern aus einem Laufrad und einer rosafarbenen Schnur – dem rosa Trikot für den siegreichen Heroen der Italienrundfahrt zugedacht und ähnlich deren verblassenden Ruhm im Wettbewerb der Pillen und Spritzen in seinem farblichen Glanz deutlich ausgebleicht. Noch glanzvoll hingegen brilliert die Drei-Räder-Skulptur auf der oberen Ostrampe, im Buchenwald gelegen, die dem karantanischen Geist huldigt – zumindest einem Teil, nämlich der italienischen-österreichischen Freundschaft im Verbund des europäischen Geistes (Bild vgl. auch E.1).

Es ist nicht nur der trüben Witterung geschuldet, dass die aufregende Abfahrt zur Westseite etwas glanzlos in den Bildern blieb. Die Auffahrt hatte mal wieder alle Reserven der Alienmuskeln aufgezehrt und zog sich entsprechend lang hin. Nun erreicht die Dämmerung die ohnehin recht schattigen Halbschluchten. Die Straße, zwar für den Giro 2013 stellenweise hergerichtet, ist ein welliger Flickenteppichen, mit Weidegittern zusätzlich erschwert, ein Licht-Schatten-Wechselspiel, nun nochmal erschwerend abgedunkelt. Eine launige Fahrt ist es schon, aber kein Kinderspiel. Auch stellen sich einige Gegenanstiege dem Abwärtsfluss quer, nicht steil, aber langatmig. Auffällig, diese in Gegenrichtung abwärtigen Passagen, sind besser asphaltiert. Dies erklärt sich aus dem auch in Gegenrichtung gefahrenen Giro, weil in der Aufwärtsbewegung auch die filigranen Rennräder mit den schlechteren Bodenverhältnisse noch zurechtkommen. Abwärts – so ist klar – wäre die Straße eine Basis für eine stürzendes Fiasko einer Radsportveranstaltung. Eigentlich verbietet sich Sport hier generell. Ganz anders als der Zoncolan ist es ein landschaftlich überragender Pass, der für leidensfähige Genießer modelliert wurde. Die Trasse windet sich immer wieder eng an Felsen vorbei, zur anderen Seite schützen verbogene und verrostete Leitplanken vor Abstürzen in herb abfallende Waldhänge, wo man sich unterhalb einen Bergfluss mit einer Schlucht mit überhängenden Felsen vorstellen muss. Die Schlucht lässt sich begehen, erfordert aber mindestens weitere 1,5 Stunden Exkursion, erinnert in den Abbildungen oben an der Straße ein wenig an die Cares-Schlucht im fernen Asturien.

Der Camping liegt in Paularo etwas abseitig und unterhalb des Ortskerns, kaum ausgewiesen, und ohne erkennbare Rezeption. Vermutlich wäre eine Minigolfplatz oberhalb zuständig gewesen, was sich mir aber nicht vor Ort erschließen wollte. Bei den Essstuben besteht in Paularo noch Nachholbedarf. Aber, wie ja schon vortags bemerkt, ist Paularo ein beschiedenes Bergdorf, in der der Gourmet-Italiener keine Heimat gefunden hat und sogar die Bankomaten von der Armut infiziert sind. Es liegt mir aber daran, diesem Ort einen Besuch anzuempfehlen, denn die Gastfreundschaft scheint auf ausgeprägtem karantanischen Geist geprägt.

Musik: Das friaulische Trio Altrioh widmet sich den italienischen Folk-Wurzeln und auch speziell dem furlanischen Liedgut und experimentiert dabei mit verschiedenen elektronischen Modernisierungen. Hier treffen sie auf Aniada a Noar aus der Steiermark, die gleichwohl den folkloren Wurzeln huldigen. Eine spaßige Begegnung, die alte karantanische Traditionen und Regionen verbindet: Aniada a Noar/Altrioh „Bocca di Rosa (Fabrizio de André)“ (6:21 min.)

Bildergalerie Kap. VII (195 Bilder):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 15.12.15 18:28

KAPITEL VIII
Die Alpe-Adria-Radautobahn connected by sideway channels:
Friulanisches Endspiel Tarvisiano – Udine


Das letzte Kapitel ist zu einem kleinen Gemischtwarenladen geworden, soweit ich auch nicht alle Wertungspunkte der Tour erreichen konnte. Tolmezzo ist noch ein Hauptort Karniens, das Àupa-Tal ist aber schon dem Tarvisiano zuzuschlagen. Das Tarvisiano war auch schon Teil des 3. Kapitels, dort aber als Rückseite des Triglav-Nationalparks, der nur deswegen nach Norden begrenzt ist, weil dort die Landesgrenze verläuft. Andere Teile des Schlusstages würden auch ins 6. Kapitel passen, insbesondere die Weingebiets-Beradlung der nördlichen Colli Orientali nochmal und Udine müsste eigentlich in einer erweiterten Tour etwas zu einem neu gedachten Kapitel zur friulanischen Ebene beitragen. Auch stand zur Diskussion, den Regional-Beamer in Tarvisio zu starten, was aber einige, recht komplizierte Verwicklungen ergeben hätte und zum Ausschluss von Udine geführt hätte, was wiederum Teil des Forschungsauftrag sein sollte.

Fr 17.7. Paularo – Tolmezzo – Moggio Udinese – Val Àupa – Sella di Cereschiátis (1066 m) – Studena Alta – Pontebba – via CAAR – Ugovizza – via CAAR – Sella di Camporosso (816 m) – Valbruna – Val Saisera – Malga Saisera – Valbruna – Ugovizza – via CAAR – ~Pontebba
W: bis ca. 30 °C, schwül, diesig, meist sonnig, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Ranzo, Valbruna): Tagliatelle m. Garnelen, Hirschgulasch m. Polenta, Zucchini, Pannacotta, Rotwein 29,50 € (***)
111 km | 13,5 km/h | 8:08 h | 1425 Hm

Das Incaroio-Tal, auch Chiarsò-Tal genannt, verlasse ich diesmal über die flottere Talstraße, die – wie schon erwähnt – weniger reizvolle Momente liefert als die Dörferstraße oberhalb. Tolmezzo ist ein willkommener Verpflegungsort mit einer opulent bestückten Früchtehalle und besonderen Gebäckspezialitäten. Amaro darf noch auf die größere Felskulisse gegen Norden verweisen, danach bleibt die Sicht meistens im Schatten der Nordberge stecken. Rennradler werden zur Brücke nach Carnia (Ort) abzweigen müssen. Das gilt auch für die offizielle CAAR-Route, die hier nicht als Radweg ausgebaut ist und auf der SS 13 bis Resiutta abgeradelt werden muss, oder alternativ für diese Route hier mit Brücke retour nach Moggio Udinese. Dabei ist die Staatsstraße durch die ebenfalls taleigene Autobahn entlastet. Die Benutzung der Staatsstraße ist die Empfehlung der CAAR-Verwalter und wird so in Pontebba auf einer Litfasssäule angezeigt. Alternativ ist aber auch eine Schotterstraße machbar, wobei die Qualität mittelprächtig ist, aber breitere Straßenreifen ausreichend sind. Diese Schotterstraße (geringer lokaler Autoverkehr) befindet sich auf bereits beradelter Seite – es braucht also keine Brückenquerung über die Fella. Der Abzweig liegt unmittelbar dort, wo es den Brückenabzweig nach Carnia gibt.

Auf Schotter gibt es kleine Passagen mit wildwuchernden Büschen, die ein schattiges Dach bilden, aber meist brennt die Sonne hinein und wird vom weißen Kalkstein grell zurückgeworfen. Die Fella liegt manchmal ganz frei zur Rechten als glitzerndes blaues Band und bildet manchmal Badeplätze – hier alles ähnlich zu Tagliamento, in den die Fella nur wenig unterhalb mündet. Einige Male, mit sehr kurzen, aber auch mal giftigen Steigungen, wechselt man die Seiten zwischen Hanglage und Flussroute, bzw. tauscht die Position mit der Autobahn. Ein reizvolles Tal mit blau- bis smaragdfarbenen Lagunenbadeplätzen und Gumpen zieht sich entlang dem Glagno, den man an seiner Mündung über eine Brücke überquert, die oberen Teile sind per Stichstraße erreichbar, vermutlich allerdings nur unter zusätzlichen steilen Fußabstiegen von der Straße zum Fluss.

Moggio Udinese ist mehr ein ruhiger Wohnort als ein Einkaufszentrum, auch der CAAR-Tourismus wird hier nur bedingt genutzt, weil eben nicht an der Hauptroute. Das Àupa-Tal, wieder zu beiden Seiten des Passes so bezeichnet, ist ein ziemlich steiniges, geröllhaftes Flusstal, in dem fast alle Kaskaden verbaggert und betoniert wurden, um der Wildnis ein Ende zu bereiten. Die Felsenwelt lässt sich aber ihren strahlenden Glanz nicht nehmen, der die unteren Teile beherrscht. Man kommt kaum an den Fluss, nicht weil zu hohe Ufer, sondern wegen der ungünstig geschaufelten Blocksteine einerseits und der permanenten Leitplanken, deren Sicherheitsdiktat für ein solch einsames Tal unangemessen scheint. Die oberen Passagen tauchen in Wald ab, wie auch die Passhöhe nur ein kleines Aussichtsspalier noch Osten zulässt. Die Ostrampe unterscheidet sich deutlich mit weiten Almwiesen und herrlichen Bergkulissen, auch gibt es eine typische, wenn auch spärliche Verteilung von Almen oder kleineren Bergsiedlungen.

Pontebba, zum Zweiten – jetzt mit Ortsdurchfahrt. Unübersehbar ist Pontebba zu einer Radlerschnittstelle geworden, unterschiedlichster Radlertypen – viele auch mit Gepäck, kreuzen die Ortsachse. Die meisten, gewiss, bewegen sich auf dem Alpen-Adria-Radweg. Zusätzlich bildet Pontebba natürlich auch das Drehkreuz heute und vortags gefahrener drei Pässe und bietet sich mit weiteren Varianten als vielfältiger Basisort für ambitionierte Tagestouren an. Das Radlerleben tut Pontebba wirtschaftlich gut, aber die Transitachsenlage ist vielfältiger, was sich unschwer an zahlreichen Schienensträngen des Bahnhofs und dem Brückengewirr der Straßen erkennen lässt. Die Experimentalforschung zum CAAR fällt hier weitgehend mit positivem Urteil aus, bis auf eine etwas verwirrende Wegführung aus Pontebba raus oder dort hinein. Es bietet sich ggf. an, die östlichen Meter vor Pontebba über Straße zu fahren. Sonst aber bietet der CAAR ruhiges Radeln, natürlich nicht Stille – dazu ist das Tal zuviel Verkehrsachse. Abschließend ist nicht einmal alles zu bewerten, denn einige Teile waren noch nicht fertig gestellt. Mancher Schilderwald könnte bescheidener ausfallen – hier sind aber internationale Schilder-Regime wohl auf breiter Front in Europa zu mächtig. Auch gibt es mal eine Extraleibungsübung mit Rad-in-die-Hand-nehmen mit Treppenlauf – so allerdings erst am nächsten Tag südlich Pontebba vorgefunden. Ein bisschen schwach ist die Ausschilderung der Gastbetriebe und einige Orte laufen Gefahr, durch das Vorbeigeleiten von radtouristischen Erträgen ungerecht abgeschnitten zu werden – etwa Malborghetto, das zur anderen Talseite liegt und kaum ausgeschildert ist (Brücke ist aber da).

Das durch die Straßen etwas unschön zerschnittene Tal quert man auf dem CAAR mal zur Nordseite, mal zu Südseite. Picknickplätze sind vorhanden, wobei ich einen davon als Notschlafplatz missbrauchte. Auch Brunnen liegen an der Strecke, aber seltener als erwartet – da wäre mehr drin gewesen. An den Kulturinformationen könnte noch gearbeitet werden, insbesondere an der schon eingangs kritisch reflektierten Ignoranz gegenüber den Besonderheiten des historischen Alpen-Adria-Raumes und seiner karantanischen Wurzeln, was dem Namensetikett mehr Substanz verleihen würde. Die wissenschaftliche Exposé des CAAR wäre nicht komplett, wenn der Hinweis auf die Zählstationen fehlen würde. Eine solche befindet sich kurz nach dem Sella die Camporosso, ein kaum wahrnehmbarer Sattel dieser fast ebenen Gleitstrecke. Der Digitalzähler wurde in einem riesigen Holztor verbaut und lässt sich schlecht manipulieren, wie ich durch Hin- und Herschieben des Rades versucht hatte. Der Zähler beharrte darauf, mir nur eine Wertung zuteil werden lassen, hatte ich doch darauf gehofft, als Alien mindestens das doppelte Zählgewicht verdient zu haben.

Mit dem Blick auf Camporosso wendete ich mich zur Umkehr und dem Val Saisera via Valbruna zu. Ähnlich wie am Vortag überrennt mich aber die Dämmerung und lässt das Erlebnis im eindrucksvollen Felskessel ziemlich abgedimmt zurück. Die Straße ist zwar nicht extrem steil, muss aber in ein paar steileren Schüben auch erstmal bewältigt werden. Unten ausgewiesen, gibt es Straßenverlauf fünf Parkplätze, was auf die große Beliebtheit als Wanderrevier deutet. Der unterste bietet elementaren Campingfunktionen für Wohnmobilisten, am obersten sammeln sich abends die Sonnenuntergangs- und Sonnenaufgangsgenießer, was zu einem geisterhaften Sprachgewirr an einem vermeintlich einsamen Ort führt, obwohl man in der Dämmerung kaum jemand sieht – nur die weiß abstrahlenden Autos. Bereits zur Mitte hin hörte ich große Stimmenvielfalt von einem wilden Zeltlager, zur anderen Seite tobten mit Stirnlampen Motocrossfahrer durch Steingeröllfelder. Im Zwist über ein eventuell berauschendes Erweckungserlebnis am Morgen oder einem köstlichen Abendmahl entschied ich mich für das Ess- und Trinkbare, für das ich nochmal bei Dunkelheit ins Tal runter musste.

Sa 18.7. Pontebba – Dogna – Sella di Sompdogna (1392 m) – Dogna – Chiusaforte – Resiutta – Val Resia – Sella Carnizza (1092 m)
W: bis ca. 32 °C, teils windig, sehr sonnig
Ü: C wild (Baita Botton d'Oro) 0 €
AE (dito): Gnocchi m. Käse, Salat, Hirschgulasch m. Polenta, Rotwein, Cafe 23 € (-)
80 km | 11,2 km/h | 7:07 h | 1850 Hm

Als ich in Pontebba frühstückte, näherte sich mir ein Alienfreundin aus Villach, ganz von meinen Grüntönen überwältigt. Ich musste ihr Modell stehen und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich mein Alien-Porträt in Carinthia verbreitet hat. Gegen diesen karantanischen Geist kann ich natürlich nichts einwenden und stelle mich so gerne der Alien-Werbeaktionen zur Verfügung. Es lässt sich kaum vermeiden, dass man weitere Radler trifft oder kreuzt, wie den Italiener, der sich talabwärts mit magerem Gepäck nach Grado bewegte. Ich hätte ihn weiter begleiten können, wenn ich nicht meiner Aufgabe zu fotodokumentarischen Arbeiten betraut gewesen wäre. Auch wäre es nicht mehr weit gewesen zur Trennung der Wege.

Das Val Dogna ist vom Canal del Ferro (Eisental) fast abgeriegelt. Erst nach einem Tunnel wird klar, dass hier noch ein weit reichendes Tal liegt, dessen Faszination gleich in den untersten Etagen seinen Anspruch auf Extraklasse anmeldet. Die Gebirgskulisse ist überwältigend, die Trasse der ehemaligen Militärstraße verwegen bis brisant, kehrenreich in Fels gehauen, wenn auch nicht mehr überall original geführt und auch deswegen wohl in der Asphaltqualität deutlich besser als etwa der Lanzenpass. Es gibt einige museale Reste aus Kriegszeiten wie etwa die mächtigen Betonpfeiler einer ehemaligen militärischen Bergbahn. In einigen Felsnischen der Kurven finden sich Wasserfälle, davon eine mit badegerechten Gumpen auf mehreren Etagen. Nicht nur hier ein Fest für nackte Aliens. Die Versorgung ist über einige Gasthäuser möglich, auch mit Nachtlagern, wobei sich die zwei beliebten Wandertreffpunkte auf die oberen Bereiche konzentrieren, eine davon das Rifugio Grego leicht oberhalb der abschließenden Passhöhe. Der weitere Weg ist per Wanderstiefel oder Mountainbike abwärts ins Val Saisera möglich (also dem Ort des Vorabends). Die Recherchen sagten, von Reiseradquerungen abzusehen, wobei weder unten noch hier oben sich eindeutige Hinweise finden, wie gut die Strecke radelbar wäre oder nicht. Aufgrund der Bewaldung ist es aber eher eine logistische Luxusfrage, die Bergszenarien sind mit beiden Stichrouten erschöpfend mit den befähigsten Malstiften gezeichnet.

Es war ein Tag der heißen Luft, wobei das sehr wörtlich gemeint ist. Das Canal del Ferro bleibt zwar noch schmal eingerahmt wie einem Kanaltal zugestanden, weitet aber schon mal die Kiesbänke des Flusses oberhalb von Chiusaforte. Für die Autobahn hat man mehrfach stereophile Löcher in den Berg gestochen, was wieder eigene Reize schafft. In Chiusaforte herrscht großer Müßiggang, ein dem sanften Charme einer provinziellen Armut – leicht fällt es dem Unbeteiligten die ärmliche Entschleunigung höher zu bewerten als die kommerziell erfolgreiche Geschäftigkeit. Wieder sehe ich Teile des neuen CAAR, verpasse aber die Auffahrten – da könnten noch mehr Verbindungen zwischen Straße und Radweg hergestellt werden. Resiutta hat sich jedenfalls bereits mit Gastbetrieben auf die radelnde Meute der moderaten Alpenquerer eingestellt.

Das Val Resia beginnt in der ersten Kehre mit beliebten Badestellen, grün leuchtende Vertiefungen bieten jugendlichen Felsspringern die geeignete Tauchwanne. Lieblich leuchtet das Tal dann in Silbertönen, die den Fluss als Buschwerk fast komplett verdecken. Das Tal lockt noch weiter zu fahren, der Ort Resia hingegen liegt über dem Tal, nicht einsehbar. Auch am Abzweig zum Sella Carnizza sind nochmal Badestellen mit Blocksteinromantik besucht. Der Fels rückt nun näher und der Alienmuskel wird nochmal gefordert. Eine letzte Zwischenebene wird von wenigen Familien bewohnt – dort findet sich ortsausgangs der Wanderwegabstecher zum Wasserfall Barman mit einem großen Pool. Die Wanderung dorthin musste ich der fortgeschrittenen Tageszeit allerdings opfern.

Es war intuitiv die richtige Wahl, den Carnizza-Pass noch in den Tag zu packen und nicht zu döselig den Tag in Resia zu beenden. Ich hatte es nicht wirklich erwartet, aber der Sella Carnizza zeigte nun auf den letzten, bewaldeten Kilometern die Zähne eines Mörderhais. Das Straßenschild begnügt sich mit 12 % – doch die Zoncolanischen Kategorien sind hier nochmal voll wirksam. Wir wissen ja mittlerweile, dass die Vermesser auf dem Erdenball nicht immer die besten sind. Es gab zwar keinen Brunnen an dem Aufstieg , das war – zumindest für evtl. folgende Erdenmenschen – nicht nötig, produzierte ich doch reißende Flutbäche von gesalzenem Alienwasser, welches das Tal noch tagelang geflutet haben dürfte.

Auch diesmal war die Dämmerung eingefallen, als ich die Passhöhe erreichte, die recht weitläufig die einzige Versorgungsmöglichkeit durch zwei Almwirtschaften bietet – allerdings ohne Übernachtungsgelegenheit. Ich suchte wohl wieder instinktiv einen Alienfreund, auf dessen Hüttenterrasse eine kleine Festgemeinde tafelte und mir zunächst bei den Mahlzeiten nur geringe Achtsamkeit einbrachte. Ohne die Kochkünste loben zu können, bot mir der Almwirt aber seine Weiden als Zeltstatt an – und zwar direkt neben einem Lamborghini. Ich hatte mal von Erdenbürgern vernommen, dass es sich dabei um besondere Fahrwerke handeln soll. Also ein Ehrenplatz.

So 19.7. Sella Carnizza – Uccea – Passo di Tanamea (851 m) [24] – Vedronza – Zomeais – Tarcento – Sedilis – Nimis – Zompitta – Ribis – Udine [22:45 h || per DB-Beamer || Green Devil Mo 20.7. 10:10 h]
W: bis ca. 36 °C, sehr schwül, sonnig bis sonnig, teils sehr diesig
AE (R Odeon): Spaghetti m. Muscheln/Garnelen, Rinderfilet m. Steinpilzen, Ciocoletta Vesuvio, Cafe 41,70 € (****)
72 km | 15,0 km/h | 4:35 h | 520 Hm

Der Almweiler am Carnizza-Pass ist nur teilweise nachts belebt, die meisten verlassen die Häuser zur Nacht, so auch der Wirt der Baita Botton d'Oro. Der Name der Hütte bezeichnet die Trollblume, die auch als Goldköpfchen bekannt ist. Es muss eine Fügung mit karantanischem Blumenzeichen zum freundlichen Abschied gewesen sein, dass ich an solchem Platze ausgerechnet am Tag der Abreise nächtigte – noch dazu der Morgen sich gleichermaßen golden sonnig zeigte. Die Abfahrt ist halblicht mit wechselnden Baum- und Wieseneindrücken, eine Schlucht liegt zu fern unten, um sie begutachten zu können. Uccea wirkt verlassener als ich vermutete und es ist unwahrscheinlich, dort Kaffee oder Mahlzeiten gereicht zu bekommen. Ein schneller Weg zu Infrastruktur würde wegführen westlich nach Bovec in Slowenien, das Tal dort hin wirkt recht dicht belaubt ohne große Ausblicke.

Zum Tanamea-Pass fährt es sich angenehm bei mäßiger Steigung durch lichten Wald, ein wenig Bergbachblick nach unten. Zuoberst wiederum eher verlassene Gebäude – vielleicht gibt es zu besseren Zeiten eine Einkehrmöglichkeiten. Immerhin sind einige Wanderer unterwegs, wie auch bei einer weiteren Anlage auf der Westseite, wo man sich eher einen Gasthof vorstellen kann, wenn auch hier geschlossene Türen nicht richtig erahnen lassen, worum es sich nebst Forstverwaltung dabei noch handelt. Das Tal entblößt sich nun als Felsenmeer mit Bergkulissen und zuweilen gleißend hellen Geröllböden, auf denen sich einzeln gesetzte Kiefern verteilen und ein mediterranes Flair unter Himmelazur verströmen.

Erst beim Abzweig Musi, schon recht weit unten, ist ein erster erkennbar geöffneter Gasthof zu finden. Unmittelbar dort befindet sich eine Kluse, die ein kleine Schlucht einleitet, dann sich wieder als breiteres Bergwiesenland mit Buschwerk weitet, mit einigen gut gesuchten Badestellen. Der erste klein Ort, mit Tankstelle und zwei Bistros, ist Pradielis, wo ich nebst italienischen Rennradlern ein kleines Frühstück finde. Nochmal Käse und Joghurt der Zore-Alm gibt es sogar im Sonntagsverkauf direkt an der Straße ausgangs Vendronza, wo sich weitere Badestelle in ein Nebental rein finden. Schon nur wenig weiter schließt sich der Kreis zum 6. Kapitel mit der Verzweigung nach Villanova. Die Badestellen des Fiume Torre in der Nähe der Brücke in Zomeais sind mit Rad auch schiebend nicht zu erreichen, sodass ich eine etwas mückenreiche Nischenalternative in einem Nebental vorziehe.

Die Schwüle des Tages lässt weitere Ambitionen für die Alienmuskeln erschlaffen. Kaum mehr als ein guter Kilometer, schleppe ich mich in Tarcento zu einem Café mit selbstgemachten Eis. Die Kühlung hält allerdings nur wenig vor, das Eis schmilzt bereits während des gierigen Schleckens. Da die Ebenenstrecke keinerlei Schatten verspricht, entscheide ich mich doch noch zu einer Hügelfahrt, die gleich unter dichtem Buschwerk, allerdings auch mit heftiger Steigung beginnt. Eine kleine Passage ist sogar nur schiebend zu überwinden – es sind die letzten Hechelzungen der Reise, die ich zu vergeben habe und sie sind jenseits der fahrbaren 5er-Grenze. Erheitert wird die kleine Rampenfahrt durch bemalte Häuser, auf einem dieser ein zwergiger Kletterer mit Seilzeug versucht den übermächtigen Busen einer Frau zu erklimmen. Ich fühle mich dem Kletterer gleichgestellt, obwohl ich die verheißungsvolle Wonnebrust des Weinberges nicht finden kann.

Das streng begrenzte Ramandolo-Anbaugebiet (es werden aber auch noch andere Weine produziert) beschreibt nochmal eine kleine Hügelwelt, die aber dem Collio des Goriska Brda landschaftlich nicht ebenbürtig sein kann – schön ist es aber auch. Im Gegensatz zu Slowenien, ist es schwer, Weinproben mal so nebenbei zu finden. Es gibt fixe Besuchszeiten, nicht mal der Weinverkauf wird von den Winzern flexibel gehandhabt. So ist es sonntags nahezu unmöglich, direkt bei einem der Winzer reinzuschauen. Die einzige Weineinkehr bietet ein Agriturismo-Betrieb, der aber mehr eine klassische Gaststätte ist – eine Weinprobe mit Erläuterungen gibt es auch hier nicht. Stattdessen kann man sich die Hausweine mit einer Vesper aus gutem Schinken reichen lassen – alles zu regulären Gastronomiepreisen, versteht sich – von dem persönlichen Charme ein Probe hat das aber wenig. Ich erwerbe schließlich einen Ramandolo als kleine, güldene Forschungsprobe für die Green Devil.

Nun ist es unvermeidlich, durch ebene wie offene Sonnenblumen- und Maisfeldlandschaften zu fahren, aus denen überall die typischen Campanile der herausragen. Die Landschaft hat in der milden Abendsonne ihren speziellen Reiz – eine ländliche Gelassenheit, ein untrüglicher Goldglanz. Es gibt eine weites Kanalsystem zur Bewässerung, das bis in die Stadt Udine reinreicht – dort als erfrischende Klimaanlage gedacht, was sich zusammen mit den Schattenbäumen auch gut verwirklicht. Die lebenswerten Außenbezirke stehen im Zeichen studentischer, multikultureller Bewohner, alles ist äußerst gepflegt. Den Eindruck bestätigt auch die Altstadt, wo nur noch selten Kanäle offen liegen. Die gesamte Altstadt ist für Radler ein mittlere Hölle, da es nur Pflastersteine gibt. Meistens kann man zwischen zwei Arten Pflaster wählen – die Demokratie der Hölle. Obwohl man in Italien schon mal sonntags geöffnete Läden finden könnte, beschränkt sich das in Udine auf einige Allzweckläden im Bahnhofgebiet, das fest in der Hand internationaler Drittlandbewohner ist – vor allem Afrikaner und Inder und ein paar andere Asiaten. Hier verirrt sich allerdings kein Ureinwohner Karantaniens – als wäre es eine komplette Fremdzone. Einzige Fressbuden sind Fastfood-Baracken aus Amerika und China.

Erstaunlich dünn ist die Anzahl der Restaurants um die große Piazza und dem südlichen Altstadtkern. Von den hübschen Trattorien, die ich bei der Einfahrt genüsslich sah, sie aber ausschlug, um mir zunächst den Weg zum DB-Beamer zu optimieren, fand ich alsbald nichts mehr wieder. Die Udineser sitzen an Plätzen und schauen und trinken Kaffee, Grappa oder Aperol-Spritz – eventuell stochern sie auch in einem Eis herum, wobei es vielfach um den Wettbewerb um den langsamen Genuss geht, den es gilt mit möglichst vielen Worten zu begleiten. Gemessen an den Möglichkeiten, die Trieste bietet, ist hier fast provinzielle Leere und Stille. Die Gebäude bilden eine durchaus formidable Kulisse, jedoch ohne großes Theater – eine recht unitalienische Großstadt. Es ist eben Karantanien, in dem leise und gut gelebt wird, fast ein bisschen schweizerisch – auch immer etwas geheimnisvoll. Das Furlanische soll ja dem Rätoromanischen ähnlich sein. So finde ich doch noch eine versteckte Laubenecke, hinter der sich ein Tempel mit kostbar mundenden Gerichten befindet. Es soll halt nicht jeder sehen, welchen Genüssen man sich hingibt.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Forschungsauftrag ‚Das ehemalige Königreich Karantanien in der republikanischen, nationalstaatlichen Neuzeit in seinen bergigen und marinen Rad-Perspektiven einer kapriziösen Naturwunderwelt als europäisch wegweisendes Kontinuum transkultureller, friedlicher Koexistenz vielsprachiger Volksgruppen der historischen wie modernen Alpen-Adria-Region unter spezieller Berücksichtung von visuellen, poetischen und gastronomischen Genussmerkmalen’ beendet. Letzte vulkanische Dessertpartikel in Speiseröhre. Bitte um Wiederaufnahme auf die Green Devil mit DB-Beamer, Lokalsegmentkennung Udine Stazione!“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Irdische Bankomatenlizenz abgemeldet. DB-Beamer geschaltet. Keine Wartezeit vorhanden, sofort Beamer-Station aufsuchen! Beamer arbeitet im unsichtbaren Nachtphasenmodus. Erwarte ausführlichen Forschungsbericht über Karantanien! Good luck and welcome back on Green Devil!“



Studiae extensii abgeschlossen.
„Leiht mir neue Wörter,… drei, vier Wörter und sonst nichts…“ (vgl. Eingangszitat) – nun, das Angebot geliehener Wörter war doch etwas größer als erwartet. Melde mich daher nochmal mit einer komprimierten Schlussbetrachtung. Auch eine weitere Abteilung der Green Devil soll noch eine Nacharbeit angemeldet haben.

Musik: Der Triester Jazztrompeter Enrico Rava hat sich als einer der großen Stilikonen im Gefolge von Chet Baker und Miles Davis platzieren können und schafft berührende Stimmungen mit dem Horn. Hier im Quartett ebenso sensibel begleitet von Stefano Bollani, p, Giovanni Tommaso, b, und Roberto Gatto, dr – der Hauch des Sommers auf der Haut: Enrico Rava „Profuma Di Donna” (5:04 min.)

Bildergalerie Kap. VIII (112 Bilder):



Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 15.12.15 18:30

SV.0 Sonderveröffentlichung digi.mappus.carantaniäs aus dem Büro für interstellare GeoNaviStäsie auf der Green Devil

Da die Erdenbewohner gerne mit Spielzeug arbeiten, die Wissen und Informationen simplifizieren und degenerieren, seien für die irdischen Kinderhorte auch noch die digitalen Trackspuren der Forschungsreise übermittelt. Die verfügbaren digitalen Transfer-Systeme arbeiten nicht fehlerlos, eine Verantwortung können die Mitarbeiter des Büros daher leider nicht übernehmen. Es wurden nicht alle Schlenker eingegeben, Wanderrouten nicht berücksichtigt und auch sonst muss man Abweichungen von der Realspur in Betracht ziehen. Die Rechendaten des Systems bezeichnet man auf der Green Devil als Datenmüll. Aus verschiedenen Gründen musste die Gesamtspur in vier Teile untergliedert werden:

Karantanien, 1. Carinthia: Bruck – Fusine (GPSies) [Prolog, Kapitel I, II]

Karantanien, 2. Carniola: Fusine – Storje (GPSies) [Kapitel III, IV, V]

Karantanien, 3. Venezia Giulia: Triester Karst – Gemona (GPSies) [Kapitel VI]

Karantanien, 4. Alpi Carniche – Tarvisiano – Udine (GPSies) [Kapitel VII, VIII]

Fortsetzung folgt
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 15.12.15 18:32

P.S.08/15 NACHBRENNER (lost planetary footprints)


ICH HABE MEIN NETZ IN DEN WIND GEHÄNGT


Sonne und Salz
zernagten die Planken

Der Moder fraß
und es grünten die Algen


AUF DEM SCHRIFTBAND UNENDLICHKEIT
eingegraben mit goldenen Lettern
mit lichten und dunklen Signalen –

die eine Antwort

das eine Sein


Alois Hergouth (in: Platzer /Wieser „Alpen Adria“, S. 201 f.)






Essensis Carantaniäs

Was ist Dichtung, was ist Wahrheit,
– der Mensch, ist er gescheit?
Die Wissenschaft zerlegt das Große klein,
das hilft dem Denken ungemein.
Die Poesie macht das Kleine groß,
das ist der Träumerwelten liebstes Los.
Die Geschichte schreibt die Spuren tief,
das ist der kruden Kriege Mahnerbrief.
Die Zukunft baut auf Ruinen hoch und forsch,
wenn nicht zerbröckeln Friedensbünde morsch.
Die kurzen Erdenzeiten werden gülden sein,
solang wir labend schmecken Brot und Wein.
Geschicht(en)los – so verglühen nur die fernen Galaxien,
das schreibt dem Menschen bloß ganz KLEIN – der Alien.

studi-RAL-verde,
aus den uranischen Tangential-Versen



* * * * *


„Wenn wir wertvolle Dinge aus dem Boden graben, laden wir das Unglück ein.
Wenn der Tag der Reinigung nah ist, werden Spinnweben hin und her über den Himmel gezogen.
Ein Behälter voller Asche wird vom Himmel fallen, der das Land verbrennt und die Ozeane verkocht.“


Old Hopi wisdom or prophecy, published in the film „Koyaanisqatsi” by Godfrey Reggio, music by Philip Glass
“Koyaanisqatsi” - Finale (5:27 min.)
Everybody has followed this exploring paper of old and modern Carantania region should stay five minutes with the film and music to rest in silence and harmony. I think we have to make a lot of thoughts about the future of the universe, and maybe just on earth.

Thanks to all Carantanian people, who supported my research alien studi-RAL-verde on his voyage on earth
Commander speichen-08/15-kracher



E N D E schmunzel
von: Keine Ahnung

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 15.12.15 19:43

Matthias,

danke für den Bericht, der eine beachtliche Arbeit bedeutet hat, und die schönen Bilder. Ich werde mir das noch einmal mit etwas mehr Ruhe zu Gemüte führen. Ich möchte auch danken für die Unterstützung orientierungsloser Reiseradler zwinker . Ich bin wirklich froh, nun auch einen Track zu haben, der mir den Weg etwas anschaulicher werden lässt. Immerhin finde ich bestätigt, dass nicht jeder Teil Deiner Tour Neuland für mich ist zwinker .
von: Keine Ahnung

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 09:21

Gestern Abend habe ich mir Deine Tracks einmal genauer angesehen. Da hast Du aber tatsächlich nicht an Höhenmetern gespart. Deine Affinität zum Berg habe ich ja schon früher an den Empfehlungen zu meinen eigenen Tourenplanungen bemerken können zwinker . Ich habe diese Vorschläge ja meist dankbar eingebaut.
von: Juergen

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 10:05

In Antwort auf: veloträumer
P.S.08/15 [b]

Old Hopi wisdom or prophecy, published in the film „Koyaanisqatsi” by Godfrey Reggio, music by Philip Glass
“Koyaanisqatsi” - Finale (5:27 min.)
1982 sah ich diesen Film, nachdem ich in meinem ersten Griechenlandurlaub gelernt habe, dass die Griechen den langsamsten Gang in Europa haben. teuflisch

Lieber Matthias,
ich habe Deinen Bericht bisher nur in Teilen gelesen, deine Tracks bewundert, den richtigen RAL-Ton verzweifelt gesucht und mich erstmal gefreut, dass Du ohne Schaden wieder gelandet bist. unschuldig
Wahrscheinlich werde ich die Qualität deines Berichtes erst erfassen können, wenn ich mich damit plage, die Alpen-Adria-Region zu erradeln. Das ging mir mit deinem Staatsexamen und der 27-Seenrunde ähnlich.

Dankeschön und herzliche Grüße
Jürgen
von: Hansflo

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 11:20

Hallo Matthias,

darf ich deinen Bericht, der punktuell ja auch sehr auf kulturelle und sprachliche Verhältnisse eingeht, um ein paar sprachliche Anmerkungen ergänzen:

Die Sprachinsel Sauris/Zahre wird im Bericht von dir mehrfach angesprochen, die Sprachinsel Sappada/Ploden am Fuße des Hochweißstein/Monte Peralba überraschenderweise aber nicht. Das dort gesprochene Idiom ist dasselbe Osttirolerisch.

An einer Stelle merkst du an, dass Ladinisch in Südtirol wesentlich weniger präsent ist als Furlan im Friaul. Nun, das stimmt mit Sicherheit, denn Ladinisch wird nur in wenigen Talschaften (in fünf Dolomitentälern) im Sella-Bereich gesprochen. Wovon übrigens nur zwei zu Südtirol gehören. Eines liegt im Trentino, zwei in Venetien (Provinz Belluno). Mehrere ladinischsprachige Gemeinden Venetiens (im Raum Cortina d‘ Ampezzo) streben übrigens eine Verschiebung der Provinz- (und Regionsgrenzen) an, um nach Südtirol eingegliedert zu werden. Grund sind die ausgeprägten Schutzbestimmungen für die sprachlichen Minderheiten in Südtirol (ähnlich im Trentino).

Das Kanaltal / Val Canale war bis ins zwanzigste Jahrhundert (übrigens wie viele Regionen des k.u.k. Reiches) mehrsprachig. Italienisch, Slowenisch und Deutsch waren hier am Schnittpunkt der drei großen europäischen Sprachgruppen (germanisch, romanisch, slawisch) selbstverständlich und friedlich nebeneinander vertreten. Da hätte sich das 20. (und 21.) Jahrhundert einiges abschauen können.

Hans
von: Margit

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 12:08

In Antwort auf: veloträumer
SV.0 Sonderveröffentlichung digi.mappus.carantaniäs aus dem Büro für interstellare GeoNaviStäsie auf der Green Devil

Die verfügbaren digitalen Transfer-Systeme arbeiten nicht fehlerlos, eine Verantwortung können die Mitarbeiter des Büros daher leider nicht übernehmen.
bravo vielen, vielen Dank! Fehlerlosigkeit erwartet wahrscheinlich Niemand, endlich kann man sehen wo du dich herum getrieben hast bier
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 12:09

In Antwort auf: Hansflo
Die Sprachinsel Sauris/Zahre wird im Bericht von dir mehrfach angesprochen, die Sprachinsel Sappada/Ploden am Fuße des Hochweißstein/Monte Peralba überraschenderweise aber nicht. Das dort gesprochene Idiom ist dasselbe Osttirolerisch.

Dies ist sicherlich auch ein Folge der fiktionalen Geschichte, für die die Wissensbasis sehr selektiv ausgewählt ist (nicht lexiklasich komplett). Bier, Schinken und das "Saurische" haben den Fokus auf diese Gemeinde gelenkt, weil es besser in meine Geschichte passt. Auch ist Sàuris deutlicher abgegrenzt als die anderen beiden Sprachinseln Sappada und Timau (letzteres hatte ich erwähnt, aber auch nur nebenbei). In Sappada mischt sich alles deutlich mit dem Dolomitischen, der Sonderstatus ist weniger präsent - auch baulich (in Timau noch weniger). Der Region am Bladensattel hatte ich auch noch etliche Exkursionen in die Stichtäler zugedacht, die aber alle ausfallen mussten. Insofern war die Fahrt über den Bladensattel etwas unglücklich gehetzt, soweit ich noch die abschließenden Pläne zumindest teils erfüllen wollte. Damit gehörte es nicht mehr zu den Kernprojekten der Tour. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich nochmal eine große Dolomitentour mache mit den vielen Lücken dort, sodass ich die Gegend nachmals von Westen (Drei Zinnen z.B.) "angreifen" werde - mit hoffentlich mehr Zeitreserven. Genau diese Überlegung war es auch, eher im Westteil zu kürzen. Ich bin dir natürlich dankbar für die weiteren Erläuterungen der doch recht vielen kulturellen Facetten, die die Alpenräume auf wenigen Kilometern immer wieder beinhalten.
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 12:39

In Antwort auf: Keine Ahnung
Gestern Abend habe ich mir Deine Tracks einmal genauer angesehen. Da hast Du aber tatsächlich nicht an Höhenmetern gespart.

Denke daran, dass meine baromterischen Angaben sicherlich genauer sind (also niedriger). Gewiss ändert das nicht viel an der Hm-starken Tour, wie ich ja auch eingangs erwähnt habe. Der Knackpunkt dabei ist, dass viele Hm mit äußerst steilen Rampen erkauft sind, während im Triester Karst ja einige flachere Teile eingehen. Allerdings habe ich durchaus differenziert, ob jede Rampenschlacht nötig ist, so wie ich z. B. den Monte Zoncolan landschaftlich für verzichtbar halte. Wie schon auf den spezialisierten Pyrenäen-Touren sei auch darauf hingewiesen, dass die letzten Nischen, die man erkundet, meist mit schlechteren Straßen einhergehen, also z.B. auch Abfahrten langwieriger sind als auf dem Papier (oder Digi-Track). Für die Schotterbereiche dürfte dir da und dort natürlich die Federung oder anderes Reifenmaterial zugute kommen, kaum aber für Schlagloch-gefährliche Abfahrten wie etwa am Lanzen- oder Plöckenpass.

Offenbar verliert GPSies auch irgendwo Kilometer, was m.E. nicht nur an einigen fehlenden Schlenkern zu Campings oder Restaurants liegen kann. Am Lanzenpass wollte GPSies auf der Ostseite überhaupt nicht durch, nicht mal im Wanderschuh-Modus. Das ist natürlich Kappes. Habe dort ein paar Freistriche einfügen müssen. Auch hier seien meine Tachodaten als genauer zu betrachten. Nicht ganz unwichtig bei den Daten im Bericht: Die Besichtigungs- oder Wanderzeiten habe ich am unteren Rand angegeben. Für die meisten dieser Exkursionen brauchte ich länger, das hängt dann nicht zuletzt vom Fotografieren oder von Gesprächen ab, aber auch das Prozedere drumrum (Schuhe umziehen, Wartezeiten usw.). Auch hier sind die Bewertungsunterschiede gravierend: Meine Wanderung vom Lepena-Tal zum Krnsko jezero empfand ich als ziemlich gehetzt, trotzdem ist das für den Druchschnittsslowenen offenbar nur der Langsammodus, derweil sie mindestens eine Stunde schneller sein mögen. Natürlich helfen zum Rennwandern professionelle Wanderschuhe und auch Stöcke, wenn man die mitnehmen möchte.
von: Wendekreis

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 12:58

Ich bin ich im Sommer bei guter Witterung wie heuer mehr in Tirol als zuhause. Dort wird mancherorts von den Alten noch ein Dialekt gesprochen, in dem ich noch manche der unverfälschten Wendungen aus der Sprache meiner Mutter höre.

Bis auf Vorarlberg ist Österreich bairisches Sprachgebiet. Einige Vorarlberger wären lieber bei der Schweiz.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bairische_Dialekte
von: Keine Ahnung

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 12:59

Auf GPSies habe ich noch nie geplant. Dort stelle ich lediglich meine Tracks ein, um sie einzelnen Leuten oder der Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Wenn ich auf Basecamp mit OpenFietsMap plane, stelle ich fest, dass die Kilometerangaben recht gut mit den dann tatsächlich gefahrenen Streckenlängen übereinstimmen. Abweichungen gibt es durch die von Dir genannten Abstecher z. B. zu Campingplätzen usw. Unterschiede treten eher bei den kumulativen Höhenmetern auf, die bei mir auch über GPSies ermittelt werden. Wirklich markant ist die Differenz nicht, aber tendenziell "übertreibt" GPSies ein wenig.

Dass viele schöne Orte in der Natur durch schlechtere Wege erkauft werden müssen, kann ich nur bestätigen. Ich nehme das aber gerne in Kauf, wobei hier bei mir die "Schmerzgrenze" sowieso relativ hoch ansetzt. Davon wissen die Leute ein Lied zu singen, die mich auf meinen "Radausflügen" begleiten. Meine Frau ist schon eher überrascht, wenn sie nicht zwischendurch einmal quer durch den Wald oder entlang eines Wirtschaftswegs holpern muss zwinker .
von: max saikels

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 16.12.15 16:19

In Antwort auf: veloträumer

Old Hopi wisdom or prophecy, published in the film „Koyaanisqatsi” by Godfrey Reggio, music by Philip Glass
“Koyaanisqatsi” - Finale (5:27 min.)


Schönes Schlusswort! Ich muss mal wieder die DVD suchen und mir reinziehen. Werbung damals in Berlin: "Die einzige Droge, die für 5 Mark zu haben ist."
von: Hansflo

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 17.12.15 11:18

Servus Sepp,

ich habe mehrere Jahre in Tirol gelebt und war zum Schluss schon richtig gut im Verorten der geografischen Herkunft aller Menschen, die ich kennen gelernt habe, nach der Sprache. Das ist tatsächlich ein reiches und hochinteressantes Feld, viele Regionalismen gehen aber in Zeiten der Globalisierung stetig verloren. Habe mir dann sogar meine Frau in Tirol gesucht und ins Salzburger Land mitgenommen - allerdings nicht nur wegen ihres bezaubernden Dialekts, den sie bis an ihr Lebensende nicht ablegen wird (können).

Hans
von: kettenraucher

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 18.12.15 08:55

Bei der Schilderung des bedauerlichen Benehmens der MTB-Gruppe aus München leide ich selbst beim Lesen mit Dir. Ich musste mal auf der Durchreise in Garmisch oder in Partenkirchen eine Weile unter einem Vordach bei Gewitterregen abwettern und das gesamte Verunglimpfungsprogramm einer übermäßig arroganten Münchner Wandergruppe über mich ergehen lassen. Aber glücklicherweise ist offensichtlich im weiteren Verlauf der Tour die Anzahl der Freunde des grünen Aliens gestiegen. Nun frage ich mich: Steht das gleichgewichtsverlierende Foto Nr. 81 aus dem Album des Kapitels VI in kausalem Zusammenhang mit den hochprozentigen Feierlichkeiten in der slowenischen Provinz? lach
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 18.12.15 12:13

In Antwort auf: kettenraucher
Nun frage ich mich: Steht das gleichgewichtsverlierende Foto Nr. 81 aus dem Album des Kapitels VI in kausalem Zusammenhang mit den hochprozentigen Feierlichkeiten in der slowenischen Provinz? lach

Die angesprochenen Feierlichkeiten fanden erst am übernächsten Tag statt. Ich hatte allerdings hier in der Nacht zuvor neben dem Kühlschrank mit den kostenlosen Weinflaschen geschlafen. (Der Umtrunk dort fand ja nicht mit Karantaniern statt, sondern mit niederländischen Seefahrern - also fast Wikingern.) Daher sind meine Erinnerungen nicht mehr ganz stabil, ob es da Zusammenhänge geben könnte. grins wein Vermutlich hat aber nur jemand die Rückenlehne angesägt, um mir als Alien eine Falle zu stellen. Ich hatte das Selbstporträt dort beabsichigt und es kam dabei zu dem unverhofften Vorfall, da ich die Bank zuvor nicht wissenschaftlich geprüft hatte. Ich weiß jetzt jedenfalls, was man unter maroden Banken versteht. lach Bei Selbstauslöser benutze ich mittlerweile fast immer große Blendenwerte, weil es sonst oft unscharf wird, so aber keine dynamischen Effekte entstehen, die dem Bild gut getan hätten. Sonst wär es vielleicht gar Kalender-tauglich geworden. Ich habe es im Text als "Oechsle-Scherz" bezeichnet, weil es in einem Weinberg passierte (die Bank dort am Waldrand), intuitiv vielleicht aber auch wegen der Weingenüsse des Vortags (wir müssen ja die Weinprobe bei Strekelj als Apéro noch dazuzählen). verwirrt unschuldig
von: Hasenbraten

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 19.12.15 15:07

In Antwort auf: veloträumer
SV.0 Sonderveröffentlichung digi.mappus.carantaniäs aus dem Büro für interstellare GeoNaviStäsie auf der Green Devil
Das macht es jetzt einfach, den Spuren des Aliens zu folgen... zwinker
Ohne Track war es mir ein Rätsel, wie der Außerirdische von Škofja Loka nach Tolmin gekommen ist. Auf den gängigen Karten (z.B. openfiets) sind winzige Dörfer wie Gabrovo oder Potok ja nicht eingezeichnet.
Deine Bilder dieser Gegend zeigen eine ursprüngliche Landschaft mit wunderschöner Natur. Vielleicht baue ich diese Strecke in meine nächste Slowenienreise mit ein.

Viele Grüße
Gregor

PS: Insgesamt ein spannender Reisebericht mit vielen tollen Fotos! bravo
PPS: Auf dem CP Ankaran habe ich auch mal übernachtet. Auch ich hab mich dort gefühlt wie ein Alien. lach
von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 19.12.15 23:22

For everybody, who don't want to read he whole story and English, will find a short version under: Old & New Carantania. Of course, this is mainly for English spoken friends in Carantania and elsewhere.
von: Mooney

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 20.12.15 17:57

In Antwort auf: Hasenbraten
Auf den gängigen Karten (z.B. openfiets) sind winzige Dörfer wie Gabrovo oder Potok ja nicht eingezeichnet.

Na ja, ist vielleicht nicht so gängig, aber ich habe Google Maps zum Verfolgen der Route benutzt, wo immerhin die von dir genannten Dörfer erscheinen. Vor allem kleinere Pässe fehlen auch dort gelegentlich.

Wolfgang