Re: Jakobsweg mal wieder

von: Fricka

Re: Jakobsweg mal wieder - 15.07.12 19:25

8. Tag

Heute müssen wir wieder, um den nächsten Campingplatz zu erreichen, 100 km zurücklegen. Mit unaufhörlichen Steigungen. Wir fahren also vorsichtshalber mal relativ früh los. Morgens ist das Wetter gar nicht schlecht, aber wir stehen in einer absoluten Schattenecke, so dass es sich nicht lohnt, auf ein Abrocknen des Zelts zu warten.

Wir müssen nicht zurück, um den Hügelzug von gestern abend nun zu überqueren. Wir folgen der Thonnance bis Noncourt sur le Rongeant und umfahren ihn dabei bequem. Die Straße führt uns weiter am Flüsschen entlang nach Joinville an der Marne, die wir in der Ortsmitte überqueren. Joinville liegt sonntäglich ruhig da. Diverse Radlergruppen sind unterwegs. Wie in Frankreich in der deutlichen Mehrheit meist Rennradler. Sie grüßen jeweils freundlich und bieten auch häufig Orientierungshilfe in den Ortschaften an. Dazu gibt es offene Läden und Bäckereien, so dass wir uns frisches Brot und Obst für ein Picknick besorgen.

Ein Stück noch die Marne aufwärts, dann geht es wieder bergauf aus dem Tal heraus in die Hügel. Wir benutzen sehr sehr schmale Sträßchen, die allein für uns angelegt zu sein scheinen. Autoverkehr gibt es praktisch gar nicht. Es geht weiter fröhlich auf und ab, wobei die Orte jetzt auch gerne auf den Hügelkämmen liegen. Wir müssen dann natürlich da auch rauf. Schließlich verlaufen Straßen von Ort zu Ort und eher nicht kraftschonend durch die Täler. Der Wald wird weniger. Es geht eher durch Wiesen und Felder. Die Rapsfelder reichen bis zum Horizont und ziehen sich über die Hügelwellen. Auf den Kämmen reihen sich die Windräder auf. Haben wir sie erreicht, wissen wir, dass wir mal wieder abwärts sausen dürfen. Und natürlich gleich wieder nach oben. Man sieht jetzt die Straße häufig weit voraus, so dass man sich über den weiteren Verlauf kaum Illusionen macht.

Die Hügel werden niedriger und stehen weiter auseinander. Die Steigungen bleiben aber knackig. Es macht keinen großen Unterschied, ob sie 300 oder 400 m hoch sind. Oder vielleicht nur 200 m. Das Auf und Ab bleibt sich gleich. Die Straße führt kerzengeradeaus drüber. Ohne vielleicht mal einen Haken zu schlagen, um die Steigung zu entspannen, wie das anständige Straßen in den Bergen tun. In den Hügeln scheint das den Straßenbauern zu aufwändig zu sein.

Schon von weitem sieht man das Lothringen-Kreuz in Colombey les deux Eglises. Verstärkt dadurch, dass hier in der sonst ziemlich gleichförmigen Hügellandschaft ein paar markante Kuppen stehen. Vor dem Ort wellt sich die Landschaft noch einmal besonders anstrengend. Und im Ort selbst treffen wir – auf den Tourismus. Irgendwie eigenartig nach soviel verlassener Landschaft. Die Busse reihen sich aneinander. Menschengruppen laufen herum. Wir kennen den Ort schon, setzen uns also bei schöner Aussicht zum Picknick und beantworten die üblichen Fragen. „Seit ihr mit dem Fahrrad wirklich von Deutschland bis hier hergekommen?“ Und natürlich „Wo wollt ihr denn hin?“

Hinter dem Ort endet Lothringen und wir erreichen die Champagne. Zunächst gibt es aber erst einmal eine lange tolle Abfahrt ins Tal. Die haben wir uns verdient nach den vielen Steigungen. Colombey liegt wirklich sehr „oben“. Das wird bei uns langsam zum geflügelten Wort. „Wo sind wir?“. „Keine Ahnung. Aber ganz oben.“

Jetzt geht es erst einmal lange und rasant abwärts auf guter Straße durch den Wald bis wir ein Tal erreichen, dem wir ein Weilchen folgen bis es links ab nach Clairvaux geht, das wir kurz darauf erreichen. Hier müssen wir einen Stop einlegen. Egal, wie viele Kilometer noch vor uns liegen. Wir waren schon einmal am Kloster. Es hat eine große kulturhistorische Bedeutung, wurde aber von Napoleon in ein Gefängnis verwandelt und ist das bis heute. Bei unserem letzten Besuch wurden wir deshalb gleich weitergeschickt.

Jetzt gibt es einen Ticket-Schalter. Da müssen wir doch gleich mal hin. Das Kloster ist zwar als Gefängnis immer noch in Gebrauch. Aber es gibt jetzt Führungen. Fotoapparate und Handys bitte im Auto einschließen. Schon das erste Problem. Aufbewahren wollen sie das für uns auch nicht. Schließlich dürfen wir unsere Lenkertaschen mitnehmen und schwören, nichts daraus drinnen zu lassen und keinerlei Fotos zu machen.

Was wir jetzt zu sehen bekommen, fällt weniger unter das, was man unter einem Kloster versteht. Die Anlage selber war vor der Umwandlung stark barockisiert worden. Davon wird jetzt einiges restauriert. Da gibt es große Säle, die sicher mal ganz prächtig waren, in die man dann Zwischendecken eingezogen hat, um Zellen einzubauen. Aus den Fenstern ragen Ofenrohre. Der Kreuzgang ist komplett vergittert. Während wir noch denken „schade“, laufen wir die Treppen nach oben und finden eine Art Gefängnismuseum. Auch als Gefängnis hat Clairvaux wohl mal eine erhebliche Bedeutung gehabt. Victor Hugo holte sich hier die Anregungen zu den Miserables. Da gibt es allerhand Geschichten zu erzählen. Und auch viel zu sehen. Das genauer zu beschreiben, würde hier den Rahmen sprengen….

Es dauert also erheblich länger als gedacht, bis wir uns wieder auf den Weg machen. Es geht am Kloster entlang hoch in den Wald. Und hoch. Und hoch. Und hoch. Hier fahren auch Autos. Wenn wir auch noch keine Weinberge sehen, so unterscheiden sich doch die Dörfer hier in der Champagne stark von denen in Lothringen. Während die romantisch, historisch, ärmlich aussahen, ist jetzt hier alles sehr herausgeputzt. Man riecht den Wohlstand förmlich. Überall wird zur Champagnerprobe eingeladen. Weingüter und Weinhändler reihen sich aneinander. Die Windräder sind aus der Landschaft verschwunden. Und schließlich erreichen wir auch die Weinberge als wir in das Seine-Tal abfahren. Wir überqueren die Seine in Gye sur Seine und verlassen das Tal sofort wieder. Die Seine ist hier noch ganz schmal.

Nun ist es bis Les Riceys, wo es einen Campingplatz gibt, nicht mehr weit. Die Steigungen sind machbar. Es dämmert. Wir erreichen den Ort. Wie der Name schon sagt, ist es eine Anzahl von Teilorten. Wo ist der Platz? Die Wegweiser beziehen sich nur auf Hotels. Wir fahren mal ein Stück in einen Ortsteil rein. Keine Hinweisschilder. Das hatten wir noch nie. Gibt es vielleicht doch keinen Platz. Zu allem Überfluss hat der übliche Nieselregen auch schon längst wieder eingesetzt. Ein Zimmer? So spät hat die Touri-Info geschlossen. Die Hotels sehen sehr teuer aus. Überhaupt der ganze Ort. Was tun?

Ich halte einen entgegenkommenden Geländewagen an. Das ist doch schon mal was. Menschen. Die treffen wir auf unserer Reise selten diesmal. Jedenfalls brechen die Insassen bei meiner Frage nicht in Gelächter aus, sondern setzen zu einer Wegbeschreibung an. Einer sehr langen und umständlichen. Ich gucke wohl etwas ratlos und frage, ob es irgendwann auf diesem komplizierten Weg mal Hinweisschilder gäbe. Nein. Man schlägt vor, uns hinzubringen. Es sei kompliziert. Das Auto rauscht vor uns durch den Ort. Wir strampeln hinterher und halten vor der Mairie. Man müsse sich beim Bürgermeister anmelden. Der Hausmeister kümmere sich dann um einen Platz und Wasser. Es sei sonst niemand da. Wie im Moment Bürger- und Hausmeister. Er führt uns auf eine Wiese mitten im Ort von einem Bach umflossen, die vielleicht früher mal ein Campingplatz war. Es gibt sogar völlig zertrümmerte Sanitäranlagen und natürlich kein Wasser. Gar nichts. Aber da der Bach die Wiese auf drei Seiten begrenzt und Hochwasser führt, ist mit Besuch nicht zu rechnen. Und eine urwaldähnliche Eingrünung sorgt für Sichtschutz. Wir sind müde, bauen unser Zelt auf, essen im Regen und gehen schlafen. Das Wasser rauscht.