Teil 2: La France à Velo - Nordfrankreich 2012

von: velOlaf

Teil 2: La France à Velo - Nordfrankreich 2012 - 09.08.12 20:04

...der zweite Abschnitt beginnt, die Tour ändert sich hiermit auch. Es geht nun irgendwie schon zurück. Das spüre ich nicht nur am Rückenwind.

Über kleine Sträßchen parallel zur Küstenlinie folge ich Radwegweisern bis Etretat. Bei praller Sonne und …Wind… schaue ich einigen Surfern vor den Falaises zu, bevor ich mir den nächsten Camping in Les Loges suche.



Tag 9, Samstag 09.06.2012
Les Loges -> Pourville-sur-Mer, 102km + rumgurken, Ø 18km/h
Start: 08:05, Ziel 16:45
Wetter: Heiter bis wolkig. Ab 15:00 sommerlich bis 23°C. Wind W
Camping Marqueval in Pourville, 12,00 Euro
TOP-Platz. Sehr schön gelegen und angelegt

Energie und Emotionen

Der Tag fängt doof an. Um 5 Uhr kräht der erste Hahn, viele weitere folgen in kurzen Abständen. Und das, nachdem ich mir am Abend zuvor in der Camping Bar drei Heineken bestellt hatte, bevor ich noch Rotwein zum Abendbrot, ähh Abendbaguette hatte. Mein Zelt hatte ich ganz dicht hinter ein Mobilhome aufgestellt, um mich vor dem Wind zu schützen. Nachdem diese Hähnchen die Stille provoziert haben, wird im Mobilhome ein Radio mit französischen Schlagern angestellt, darunter mischen sich Stimmen. Non, ich glaub´ es nicht. Ich schlafe noch mal kurz ein, aber um 6:30 Uhr ist dann doch die Nacht endgültig vorbei. Einpacken.

Ich freue mich auf die bevorstehende Fahrt, ich werde an viele Orte kommen, an denen ich früher schon einmal gewesen bin. Zunächst fahre ich zurück auf die Küstenstraße, dann fahre ich die Stichstraße hinunter nach Vaucottes und treffe in der Enge zwischen den Felsen auf das Meer. Ein Windsurfer bereitet sich am Kiesstrand vor. Das Licht ist perfekt, die Luft sehr klar und die von der Sonne angestrahlten weissen Wolken zeichnen sich gestochen scharf vor dem blauen Himmel ab. Der nächste steile Anstieg steht bevor, und schwupps bin ich darüber und fahre die traumhafte Küstenstraße mit den Kehren hoch über dem Meer nach Yport hinein. Ich mag diesen Ort sehr, so muckelig gelegen und sehr gemütlich. Im Tabac gibt es den ersten GCC, in der Boulangerie mit der grünen Front köstliche Croissants Amandes. Dem folgt ein kurzes genussvolles Verweilen an der Küste. In Criqueboef-en-Caux fahre ich auf das Grundstück des Chambre D´Hote, wo wir mal zwei Jahre hintereinander auf unserer Rückreise vom Cotentin zwischenübernachtet haben. Die doch nun schon recht alten Inhaber sind leider nicht daheim, aber alles deutet darauf hin, dass es sie noch gibt…Schade, ich hätte sie gerne begrüßt.



Ein Bauer sperrt kurz vor mir die kleine Küstenstraße ab. Rushhour am Morgen. Die Schwarzweißen sind etwas abgelenkt von mir und wollen nicht so recht. Der Bauer und ich halten einen kurzen Schwatz, kurz darauf führt der Weg durch ein Feld mit Leinen. Die feinen Halme wiegen im Wind hin und her, der Blick zurück fällt auf die Kühe. Es scheint so, als gehen sie in Reih und Glied über die Klippe ins Meer.



Im weiteren Verlauf folgt Fecamp. Dort ist Markt, es gibt Aprikosen aus der Provence zu kaufen, die ich wenig später am Hafen genieße. Danach bekämpfe ich erneut einen sehr steilen Anstieg zur Kapelle hinauf.



Aber irgendwie bin ich heute lustlos und ständig in leeren Gedanken. Komisch heute. Mmhh. Ich komme nur langsam voran, bleibe ständig stehen, komme nicht richtig in Tritt. In St- Pierre-en-Port ist ein kleiner Laden. Ich beschließe mein Proviant für heute einzukaufen. Als ich mein Rad an die Hauswand lehne, steigt eine sehr alte Frau die zwei Stufen aus dem Laden hinunter. Sie schaut zur Seite und erblickt mich. Dabei sagt sie sehr trocken “Un velo…ah, un pedalier.” Sie sieht aus wie mindestens 100 Jahre!!! Sie geht auf mich zu und reicht mir die Hand. Als ich meine Hand in ihre führe, verbiegt sich einer ihrer sehr langen gelben Fingernägel! Ich befürchte ihr weh getan zu haben, aber es ist nichts passiert. Alles heil. Sie möchte wissen, wie weit ich denn schon heute gefahren sei. “35km“. “Ohh“. “Wie weit noch?” “Bis Dieppe“. Wir plaudern noch ein wenig, sie macht einen sehr fitten und kontrollierten Eindruck. Ich sage ihr, dass ich nun noch Käse kaufen müsse -“pour l´energie!” Sie schaut an mir herunter, klappst mir mit der Hand auf meinen mittlerweile sehr flachen Bauch und meint, ich könnte es vertragen… Sie reicht mir erneut die Hand, verabschiedet sich und wünscht mir einen schönen Tag. Danach schleicht sie davon, wie ein Geist.

In Les Grandes Dalles freue ich mich über eine schöne schnelle Abfahrt durch den Wald. Am tiefsten Punkt geht es auf der anderen Seite wieder -genauso steil- bergauf. Der Verlauf der Straße ist spiegelbildlich- erst bergab, dann bergauf. Das Gelände verläuft ständig so. da kommen doch einige Höhenmeter zusammen. An der Ausfallstraße in St. Valerie-en-Caux passiert es dann. Es geht -natürlich bergauf-, bei langsamer Fahrt. Ich fummel an meinen zum Trocknen auf die Taschen aufgespannten Socken herum. Dabei schlenker ich herum und touchiere ich mit dem Vorderrad den Bordstein. Ich kann das Gleichgewicht nicht mehr halten, springe ab, rolle mich über den Gehweg ab und bleibe im Gras liegen. Nichts passiert, zum Glück. Bei nächster Gelegenheit trinke ich in Veules-les-Roses einen GCC und beschließe heute nur noch die 40km bis Pourville-sur-Mer zu fahren und dort zu bleiben. In Quiberville kommt wieder Leben zurück in meinen Körper, muß an der unmittelbaren Nähe zum Meer liegen und dem Geruch nach Algen und Fischernetzen. Kurz dahinter fahre ich von hinten an einen Rennradler heran. Er ist sehr langsam. Er nimmt mich wahr und fängt sofort an zu quatschen. Nun traue ich mich nicht mehr, ihn mit meinem schweren Bock am Berg nass zu machen, schließlich wurde ich gerade in ein Gespräch verwickelt… Ich schätze ihn auf mindestens 60 Jahre, er sieht ein wenig aus wie Laurent Fignon im Rentenalter. Seine Waden bestehen nur aus Sehnen und schlanken Muskeln. Er ächzt und schnaubt, ist viel zu langsam für mich…. Ich verstehe in fast nicht, er nuschelt so sehr, als hätte er am letzten Berg sein Gebiss verloren. Er möchte wissen, wohin ich fahre. “Zum Camping in Pourville”. Er erzählt viel, ich verstehe nichts. Eigentlich wollte ich sofort auf die Promenade, er aber verspricht mich zum Camping zu begleiten und biegt vorher rechts ab. Zwei Camping zur Auswahl, der eine links, der andere rechts der Straße. Vor den Toren bleiben wir stehen, “Fignon” reicht mir zum Abschied die Hand zum Brudergruß, haut mir auf den Rücken und schleppt sich davon. Der Camping ist toll. Das Zelt baue ich vor einem kleinen Teich auf, in der Mitte davon ist eine Halbinsel, auf der Esel, Pferde, Ziegen und Enten ihre Zeit verbringen.



Pourville-sur-Mer: Ich freue mich sehr, diesen Ort wiederzusehen. Es gibt sicherlich schönere Orte, aber Pourville hat eine sehr starke Wirkung auf mich. Das Wetter ist perfekt, der Himmel ist extrem blau, die Sonne gleißend hell, der Wind …fast schon extrem stark. Nach einem schnellen Zeltaufbau fahre ich sofort an die Promenade. Umziehen dauert mir zu lange. Die Terrasse des Bar Restaurant “Les Regates” ist mir vom Besuch in 2009 mit meiner Liebsten noch in bester Erinnerung. Der kantige Flachdachbau aus den 70ern hat echt Charme, der fast in schwarz gestaltete Innenraum sowieso. Auf den schwarzen Esstischen liegen Schallplatten als Telleruntersetzer, davor stehen schwarze Stühle auf dunkelgrauem gemusterten Teppich. Es gibt ein Paar bunte Platten als Raumteiler, in türkis, rot, gelb, magenta. Durch die lange Fensterfront wird der Blick direkt auf das Meer freigegeben. Die Decke ist weiß und … wie soll ich das beschreiben…mit x-förmigen hohlen Steinen besetzt. Nun, ich verbringe zunächst zwei Stunden in der Sonne auf der Terrasse bei zwei GCC und später einem Leffe und mache so meine Notizen in mein Reisetagebuch. Der Hunger ruft. Als die Küche geöffnet wird steuer ich in den stylischen Innenraum. Ich bin dort der einzige Gast, aber alle Tische sind reserviert. Am künstlichen Aquarium mit Fischen aus Metallfolie und Meerespflanzen aus Papier und Plastikfolie wird mir kurzerhand ein Platz zugewiesen. Ausgiebig verspeise ich Moules à la Creme mit Brot, einem üppigen knackigen Beilagensalat, Leffe und abschließend einen GCC. Für 20,50 Euros.

Nach dem Essen vertrete ich mir noch die Füße auf der Promenade und am Kiesstrand. Zwischen den Kieseln liegt der perfekte Kreidebrocken, um mich und meine Reise an der Mauer der Promenade temporär zu verewigen. Je tiefer die Sonne über dem Meer steht, desto besser wird das Licht. Im Westen ist alles gleißend hell, im Osten ist die Kreideküste so weiß wie das strahlendste Weiß und das Grün oben auf den Klippen so grün wie… mein Fahrrad. Auf dem Strand steht ein Traktor, der das letzte Fischerboot aus dem Wasser zieht, weniger als fünf Menschen sind auf dem Strand… es ist perfekt. Ich denke kurz darüber nach, noch einen Tag oder ein Jahr hier zu bleiben, entscheide mich dann aber dagegen, da es besser als heute nicht werden kann. Zurück auf der Promenade schaue ich noch einmal mit sehr viel Zeit und Ruhe in die Runde, um diesen perfekten Abend und seine Stimmung für lange Zeit zu konservieren.





Zurück auf dem Camping, sehe ich in einem Wohnmobil mit britischem Kennzeichen einen Fernseher mit dem Programm der Euro 2012. Deutschland spielt gegen Portugal. Ich mache mich bemerkbar und gestikuliere, um den Spielstand zu erfahren. Der englische Sir, der mich an den grauhaarigen steifen Mann aus der After Eight Werbung erinnert, schaut mich mürrisch an. In diesem Moment erzielt Mario Gomez das 1:0.

Der Abend geht mit einem Himmel in orange mit kleinen Schäfchenwolken zu Ende. Kein gutes Wetterzeichen.


Tag 10, Sonntag 10.06.2012
Pourville-sur-Mer -> Cocquerel, 124km, Ø 18,5km/h
Start: 08:20, Ziel 19:00
Wetter: bewölkt, später Regen. 15-20°C. Wind SO /O
Chambre D´Hote in Cocquerel, 30 Euro ohne Frühstück
Sehr schöne und gepflegte Unterkunft mit Küche.

Der Raub

Die Vögel sitzen bereits auf der Längsstange von meinem Zelt, der Esel iaaaht, das Pferd wiehert und die Enten schnattern. Es ist 6:30 Uhr. Nur die Ziegen schlafen wohl noch.

Der Himmel ist etwas zugezogen. Ich reise ab und fahre wieder zur Promenade. Die Farbe des Meeres verschwimmt in türkis, blau und grau. Ich folge der Straße nach Osten, am 70er Jahre Bau des “Les Regates” und am noch cooleren 70er Jahre Bau des “L´Huitriere” vorbei. Am Ortsende quält sich die Straße wieder in Kehren auf über 80 m Höhe, wenig später geht es sehr steil bergab am Chateau vorbei hinunter nach Dieppe. Auch nicht die schönste Stadt, aber auch hier fühle ich mich extrem wohl. Unter den Arcaden genieße ich den ersten GCC des Tages. In der Fußgängerzone ist es ruhig, ein kleiner Aufsteller weist den Weg zu einem Artisan Boulanger, E. Sagot. Und das ist er tatsächlich. In der mickrigen Boulangerie im Eckhaus stehen Vater und -vermutlich- Tochter eingeengt hinter dem viel zu kleinen Tresen. Nun erst erkenne ich einen Dritten, der soeben die Brote aus dem Ofen in der Ecke zieht. Der Laden ist schon extrem und die sehr dunkel gebackenen und unglaublich leckeren, feinknusprigen, buttrigen, warmen… Croissants Amandes extrem gut. Da das Chausson aux Pommes und das Kouing Amann nicht schlechter aussehen, sacke ich diese auch gleich ein. Es ist schließlich Sonntag und vielleicht gibt es bald nichts mehr zu kaufen…

An der Hafenkante verspeise ich mein erstes Gebäck, eine Möwe bettelt wie ein Hund einen Meter vor mir. Das Laden meines Handys mit dem E-Werk bereitet mir seit einigen Tagen Probleme. Nachdem ich aufgegessen habe, schaue ich mir die Einstellung am E-Werk unter dem Oberrohr an. Plötzlich sehe ich aus dem Augenwinkel einen Schatten und das Rad wackelt. Als ich mich umdrehe, sitzt die Möwe auf der Rolle auf dem Gepäckträger. Als ich mich in der Hocke umdrehe, springt sie davon. Ich mache also mit meiner Überprüfung weiter. Momente später will ich dann weiter fahren. Nanu, warum liegt den mein Baguette auf dem Asphalt? Die Möwe blickt ziemlich doof rein… Na warte, wenn du das einmal versucht hast, dann traust du dich auch ein zweites Mal. Ich stopfe das Baguette wieder zurück tief in die Aussentasche, neben die Weinflasche. Das Baguette ist ziemlich fest eingeklemmt. Ich zücke meine Kamera, schalte sie ein und trete drei Schritte zurück. Die Möwe fliegt oder springt wieder auf die Rolle, packt mit dem Schnabel die Baguettetüte und reißt sie mit Inhalt heraus. Das Baguette fällt auf den Asphalt. Das ging so schnell, dass ich gar nicht mehr eingreifen konnte. Ich gehe auf MEIN Baguette zu, die Möwe schnappt es wie ein Hund, das Baguette hat sie nun quer im Schnabel, und fliegt damit über die Hafenkante. Sie hat es mir geklaut! Über dem Hafenbecken lässt sie es fallen…



Ich verlasse Dieppe über Puys die Küste entlang. Zwei Rennradler begleiten mich. Im weiteren Verlauf passiere ich Criel, Le Treport und Ault. Von Le Treport mache ich einen kleinen Abstecher nach Eu, um das doch sehr üppige Chateau d`Eu zu sehen.
Am Ausgang von Ault ist es wieder heftig steil. Es ist Sonntag Mittag. Es regnet. Am steilsten Stück liegt rechts ein kleines Restaurant und es duftet nach Muscheln. Ich kämpfe mich den Berg hoch, schau nach rechts. Die Restaurantgäste mit Fensterplatz schauen zu mir und feuern mich an… Danke. Bon Appetit.

Hinter Ault wechselt die Landschaft. Die Kreideklippen senken sich ab und es beginnt eine Dünenlandschaft. Der Küste entlang folgt ein kleiner Radweg durch die Dünen. Der ist sehr schön, allerdings verschluckt der Regen sehr viel von der tollen Aussicht. In Le Hourdel mündet die Somme in den Atlantik. In St. Valerie-sur-Somme treffe ich im starken Regen auf eine Promenade an der Somme. Auf der Ecke steht ein kleiner Verkaufsstand mit frischen gebrannten Erdnüssen und Nougat. Es duftet so gut! Nachdem mich der Verkäufer mit einer Kostprobe verwöhnt hat, kaufe ich mir frische, gebrannte warme Mandeln.



Im weiteren Verlauf folge ich einem Radweg entlang dem Canal de la Somme. Der Weg geht schnurstracks geradeaus bis Abbeville und ist nicht so toll. Abbeville wird den Wettbewerb der schönsten Städte nicht gewinnen, dennoch ist die Kirche St. Vulfran phantastisch. Die nächsten Orte an der Somme sind unspektakulär, aber nett, In Cocquerel ist ein Wegweiser zu einem Chambre D`Hote. Hier beende ich meinen Regentag, trockne meine Ausrüstung und dusche lange sehr heiß.



Am Abend kommt doch noch kurz die Sonne raus und von meinem Zimmerfenster habe ich einen schönen Ausblick über die Picardie mit ihren sanften Hügeln und Wäldern.


Tag 11, Montag 11.06.2012
Cocquerel -> Plouvain, 153km, Ø 20,5km/h
Start: 08:15, Ziel 19:45
Wetter: Regen. Ab 16:00 trocken, aber bewölkt. 16-18°C. Wind NW
Camping in Plouvain, 8,56 Euro, mangelhaft

Land der Toten und die “Schimcher”

Kurz nach dem Aufstehen schüttet es wie aus Kübeln. Durch den Starkregen fließt das Wasser auf der Straße vor meiner Unterkunft wie ein Fluss den Hang hinab. Long ist ein sehr schönes Dorf. Nach fünf Kilometern habe ich eine Reifenpanne. Na super. Während ich den Hinterreifen flicke, hört es auf zu regnen. In Flixecourt steht an der Straße ein phänomenales Chateau. Nicht nachvollziehbar, warum das in der Michelin-Karte nicht benannt ist. Hier verlasse ich die Somme und fahre nach Naours mit seiner unterirdischen Stadt. Die 11 Euros für den Eintritt sind happig, dennoch lohnt der Besuch. Ausserdem habe ich die Möglichkeit, etwas Zeit im Trockenen zu verbringen. In über 30 Metern Tiefe wurden Gänge, Räume, Ställe, Brunnen, Kamine und eine Kapelle in den weichen Kalkstein geschlagen.



Die Weiterfahrt geht durch sanfte Hügel nach Amiens. Die Kathedrale- das größte Sakralgebäude Frankreichs- und der Tour Perret sind schon weitem sichtbar. In Amiens grüßt dann wieder die Sonne. Die Fußgängerzone ist schon sehr charmant. Auf dem Vorplatz der Kathedrale gönne ich mir eine kleine Pause, anschließend werfe ich einen Blick hinein. Der lichtdurchflutete Innenraum ist beeindruckend groß und prächtig. Wenn ich mir überlege, dass sich neben mir vielleicht noch zehn weitere Personen darin aufhalten und an Notre-Dame in Paris eine Menschenschlange von 100 Metern gewartet hat…



Über den Quai Belu mit seinen netten kleinen Kneipen und Restaurants verlasse ich Amiens und steuer Richtung Corbie. Mönche aus Corbie haben seinerzeit das Kloster Corvey in Höxter gegründet. Sein Name wurde von Corbie abgeleitet. Ausser der Abtei mit seinen Einschußlöchern aus dem Krieg gibt es hier nicht viel zu sehen. Ab Corbie folge ich der Ancre bis Albert. Alle paar hundert Meter ist die Straße von Soldatenfriedhöfen gesäumt. Im ersten Weltkrieg sind hier in dieser Gegend über 1 Million Menschen im Krieg gefallen. Die Friedhöfe sind so zahlreich, dass zum Teil nicht mehr nur nach den Nationalitäten getrennt wird, sondern auch nach Divisionen. Albert ist eigentlich ganz nett, jedoch durch den Veteranentourismus sehr stark anglisiert. Kurze Zeit später steht in Thiepval ein megagroßes Monument zur Erinnerung an die gefallenen französischen und englischen Soldaten. Das dunkle und graue Wetter passt zur Geschichte, es bleibt aber trocken. Der weitere Verlauf nach Arras ist wieder recht eintönig.



In Arras suche ich den Camping auf, der ist aber leider geschlossen. Ich verpasse es dadurch leider total, etwas von der netten Altstadt zu sehen. Am Bahnhof frage ich Polizisten nach einer anderen Unterkunft. Es gibt eine hinter der Brücke, links. Die Polizistin mit den Brandnarben im Gesicht erklärt mir den Weg zu einem Chambre D`Hote. Ich verstehe nichts. Sie sagt immer “Schimcher”….”Schimcher”… Ich weiß gar nicht, was sie meint, bis sie mir das Wort in mein Büchlein schreibt… “Cimetiere”. Alles klar im Pas-de-Calais…

Der nächste Camping ist in Plouvain, östlich von Arras. Hier sollte ich nun die Nacht verbringen. Ich werde von den “Gästen” freundlich empfangen. Hier scheinen bereits belgische Verhältnisse zu herrschen: Wer sein Heim verloren hat, der wohnt auf dem Campingplatz. Ich frage nach der Rezeption, die gibt es aber nicht wirklich. Neben den sanitären Anlagen steht ein Wohnwagen, hier wohnt der Betreiber. Er kommt angetorkelt. Er sieht nicht nur so aus wie ein Obdachloser, er stinkt auch von oben bis unten zugepisst in seinen zerrissenen Klamotten wie einer. Er ist nicht in der Lage, mir einen Preis zu nennen. Ich bleibe trotzdem. Später, nachdem ich mein Zelt aufgebaut habe, nennt er mir den Übernachtungspreis: 8,52 Euro. Auf die 20 Euro die ich ihm reiche, ist er nicht in der Lage das bereits passend abgezählte Geld herauszugeben. Das macht dann seine Frau. Die sanitären Anlagen sind im gleichen Zustand wie sein Betreiber. Ich packe nur den Schlafsack und die Isomatte aus und schlafe bald ein.


Tag 12, Dienstag 12.06.2012

Plouvain -> Gent, 151km, Ø 20,5km/h
Start: 07:15, Ziel 18:00
Wetter: bewölkt, ab nachmittags Regen. 16-18°C. Wind NW / N
Goeiemorgen B&B in Gent, 40 Euro ohne Frühstück und ohne Bettwäsche (verhandelt)
Sehr schöne und gepflegte Unterkunft mit Küche und Wohn- Esszimmer im Kunstenkwartier

Wohlfühlfaktor zum Abschluß

Um 07:15 Uhr sattel ich bereits auf, um 7:25 Uhr halte ich schon vor der kleinen Boulangerie an der Brücke in Biache-Saint-Vaast. Die Regale sind noch nicht eingeräumt. Ich bekomme mein Croissant Amandes direkt vom Regalwagen. Es ist noch fast heißt und macht noch süchtiger!

Douai ist nett. Eine gemütliche kleine Altstadt gibt es hier. Auf einer Terrasse eines Cafes am Place D´Armes gibt es meinen Starter in den Tag. Die Einfahrt nach Lille ist entlang der stark befahrenen D549 eine Katastrophe, aber ein einfacher und direkter Weg in die Altstadt. Am zentralen Grand Place rufe ich beim Bed on Boat / Bon Vivant in Gent an, um nach meiner Übernachtung in Gent zu fragen, aber leider sind die ausgebucht. Das bedeutet nun, dass ich rechtzeitig in Gent ankommen muß, um eine Übernachtung zu organisieren. Mehr als die alten Gebäude um den Grand Place bekomme ich nicht zu sehen, aber Lille werde ich bei nächster Gelegenheit etwas intensiver besuchen.



In Lille suche ich den Kanal La Marque Canalisee, klappt auch zunächst, jedoch verliere ich die Weiterführung in Roubaix. Somit fahre ich einmal quer durch diese bekannte Stadt des Radsports. Überall sind Hinweise darauf zu finden. In der Nähe von Wattrelos treffe ich dann auf den Canal de Roubaix, der mich nach Belgien führt. Der Grenzübertritt ist nicht zu spüren. Erst, als die Beschilderung zweisprachig ist, weiß ich Bescheid. Kurz hinter der Grenze ist ein kleines gemütliches Cafe, oder eine Bar, am Wegesrand. Zeit für einen GCC in Wallonie. Nach maximal 10 km bin ich in Flandern und folge nun ab Spiere der Schelde. Entlang der Schelde ist es recht langweilig. Eine Ausnahme bildet Oudenaarde mit hübschen und prächtigen Gebäuden links und rechts vom Fluß. Mein besonderes Highlight ist jedoch die hydraulische Hubbrücke im Zentrum. Die Brücke ist auf vier riesigen Kolbenstangen von hydraulischen Zylindern gelagert. Diese fahren gleichmäßig aus und bewegen die Fahrbahn bis auf das eingestellte Maß senkrecht nach oben. Der Kanalfrachter, der unten darunter herrauscht, hat zwischen Dach der Steuerkabine und der Brücke vielleicht 30cm Platz. Dann wird die Brücke wieder abgesenkt und der Straßenverkehr darüber freigegeben. Im kleinen Altstadtkern gehe ich noch mal Einkaufen. Speculoos Crunchy für das Frühstück am Sonntag daheim. Mmmhhh.

Kurz vor Gent steht am Radweg ein Gedenkstein zu Ehren von Wouter Weylandt, Dimitri De Fauw und Frederiek Nolf, alle in Gent und Belgien unvergessene Radrennstars.



Wie so oft auf meiner Reise läuft es einfach rund. Ich habe noch keine Unterkunft und es ist ein internationales Fest in Gent. An einer roten Ampel spricht mich ein junger Mann an und interessiert sich für meinen Besuch in dieser tollen Stadt. Ich erkläre ihm, dass ich eine Unterkunft suche. Natürlich kennt er ein B&B in der Nähe, im Kunstenkwartier. Es ist noch ein Zimmer frei. Das Haus ist sehr modern und künstlerisch toll gestaltet und ist einfach…phantastisch. Im Erdgeschoß gibt es eine Gemeinschaftsküche und einen Wohnraum für die Gäste der drei Doppelzimmer. Els und Johan, die Betreiber vom Goeiemorgen B&B, sind unglaublich nett. Hier kann man sich nur wohlfühlen.

In den letzten 12 Monaten bin ich nun schon zum dritten Mal in Gent. Die Stadt ist einfach toll und ich komme immer gerne wieder. Im Kunstenkwartier esse ich dann zum Abschluß standesgemäß in einer Frituur einen Spieß mit Gehacktem im asiatisch gewürztem Teigmantel, eine Groote Frieten met Pindasaus und einem Duvel dazu.



Aus der nahegelegenen Eisdiele gönne ich mir zum Dessert noch ein Spekulaas-Eis. Den Abend lasse ich bei einigen Trappistenbieren ausklingen. Der Abend ist vorbei. Diese Reise ist vorbei. Es war einfach nur geil.



Tag 13, Mittwoch 13.06.2012
Rückreise

Mein Zug fährt gleich ab. Ich schiebe mich und mein Rad durch die wunderschöne Halle vom Bahnhof Gent-Sint-Pieters. Gäbe es dort nicht einen Stand, an dem mit Zartbitterschokolade überzogene Erdbeerspieße verkauft würden, hätte ich auf dem Bahnsteig länger warten müssen.

Die Heimfahrt über regnet es fast die ganze Zeit. In der Nähe von Verviers sind schon kleine Flüsse über die Ufer getreten, die Regenmassen fließen nur so die Felsen hinab. In ein Paar Stunden bin ich Zuhause. Ich habe alles richtig gemacht.