Re: Lava, Salz und Mafia

von: Dietmar

Re: Lava, Salz und Mafia - 04.10.12 19:12


In Agrigento erreichen wir nach 50 km das Hotel Belvedere. Die besten Zeiten dieses Beherbergungsbetriebes müssen 100 Jahre zurück liegen. Wir bekommen das beste Zimmer con giardino. Ein Hauch der Belle Epoque ist noch spürbar, aber gut versteckt. Immerhin haben wir einen schönen Blick auf den giardino, allerdings 2 Etagen unter uns und auf den Piazza Vittorio Emanuele mit Park und Questura. Wir machen uns stadtfein und fahren mit dem Ringbus zum Tal der Tempel. Die Tempel sind sehr gut restauriert. Die Aufwendungen sind allerdings auch ordentlich auf die Eintrittspreise umgelegt. In der Abendsonne strahlt der Concordia-Tempel weithin.



Die Busladungen verziehen sich zunehmend, so dass es zwischen den alten Steinen auf der Via Sacra ganz gemütlich wird. Die Carabinieri proben offenbar für einen großen Auftritt vor antiker Kulisse:



Vor dem Hera-Tempel soll wohl irgendeine Zeremonie stattfinden. Abends bummeln wir noch durch die mittelalterliche Stadt. Von der Hauptstraße Via Atenea führen viele schmale Gassen in Form von unendlichen Treppen seitlich nach oben. Wer hier eines der zahlreichen B&B gebucht hat … viel Spaß. Wir müssen nur ein paar Stufen hinauf zur Trattoria Manhattan. Der Name passt überhaupt nicht zu diesem kleinen urigen Lokal mit großartiger sizilianischer Küche.

Am nächsten Morgen verfahren wir uns ein wenig, gelangen aber wieder auf die Staatsstraße, die mit etwas Abstand noch einen schönen Blick auf die Tempelanlage bietet. Danach folgt Porto Empedocle, der Fährhafen nach Lampedusa. Der Ort bietet mit etwas Abstand keinen schönen Anblick, deshalb bleiben wir auf der SS 115. Die heutige Tour ist deshalb eher eine „Überbrückungsfahrt“: Viel Schwerlastverkehr, Gegenwind wie gehabt. Dazu kommt heute noch ein Stündchen Regen. Immerhin ist es warm und die Feuchtigkeit verdunstet nach wenigen Minuten durch den Fahrtwind. Die Ortschaften sind hier auch sehr dünn gesät, so dass wir nichts zum Essen finden. Dann nehmen wir eben die Tankstelle mit Gastronomia.

Nun folgen viele Kilometer Orangen-Plantagen. Am Straßenrand kann man sich damit für wenig Geld die Taschen vollstopfen. Schließlich erreichen wir nach 66 km Sciacca, eine kleine Hafenstadt mit engen und steilen Gassen. Das äußerst attraktive und recht preisgünstige B&B „Al Moro“ in einem Palazzo aus dem 13. Jahrhundert wird u.a. von 2 deutschen Damen betrieben. Einen Tipp zum Abendbrot? Das Al Faro, 100 m abwärts, nur über steile Treppen zu erreichen. Wenn gutes Essen lockt, schaffen wir auch das! Bis um halb acht bleibt etwas Zeit, so dass wir uns noch den Fischerhafen anschauen können.



Viel Spaß beim Entwirren!



Am nächsten Morgen schieben wir die Räder zur Vermeidung der Treppen mit großem Umweg die steilen Gassen hinab zur Via Licata. Der Inhaber vom Alimentari gegenüber, bei dem wir unsere eiserne Ration auffüllen, fragt uns ein wenig aus, staunt über unseren Sizilien-Giro und berichtet dann, dass er auch viel Rad fährt, eigentlich aber Marathonläufer ist. Zurzeit bereitet er sich auf den Rom-Marathon vor.



Raus aus dem Ort, schon beginnen wieder die Hügel. Glücklicherweise gibt es eine wenig befahrene Landstraße …



… die aber jeden Hügel mitnimmt. Auf dieser Etappe durchqueren wir keinen einzigen Ort, höchstens kleine Ansiedlungen mit ein paar Häusern. Ansonsten sehen wir nur Äcker und Plantagen, vorzugsweise mit Zitronen. Ab und zu mal eine Azienda, gut eingezäunt und von riesigen aufgeregten Hunden bewacht.



Unser heutiges Ziel sind die Ausgrabungen von Selinunte. Im Ferienort Marinella finden wir nach nur 40 km ein modernes Hotel. Die Kurzetappe soll uns einen ausgiebigen Rundgang durch Selinunte ermöglichen. Vergessen wir einfach den Reiseplan. Am Nachmittag sorgt die Sonne für ein angenehmes Licht, außerdem ist es nicht mehr so warm. Das Gelände ist recht ausgedehnt und topografisch anspruchsvoll. Die alten Steine - einfach schön!



Der lange Aufstieg zur Akropolis verlangt die letzten Reserven. Nun aber schnell auf Nahrungssuche. Am Hafen von Marinella finden wir ein wunderbares Restaurant mit ordentlichem Fischangebot.



Der große Umsatz wird neuerdings auch hier, wie schon oft erlebt, mit Pizza außer Haus gemacht. Ständig knattert eine Vespa heran und ganze Stapel Pappkartons verlassen das Restaurant.

Am nächsten Morgen müssen wir wieder hinauf in die Hügelkette. Aber nur bis Campobello di Mazzara. Der freundliche Ort scheint der Mittelpunt der Gegend zu sein. Einkaufsverkehr, caffè, Friseur.



Anschließend folgt wieder eine rasante Abfahrt zum Meer. Die Uferstraße ab Granitolo ist ruhig und wir kommen trotz Gegenwind recht gut voran.



Hin und wieder sehen wir die Überbleibsel der sizilianischen Verteidigungslinie im 2.Weltkrieg. Dem D-Day im Juli 1943 hat sie wohl nicht lange stand halten können. Immerhin dient dieses Bollwerk jetzt als Straßenschild.



Kurz vor Mazzara Del Vallo fahren wir auf dieser Brücke über einen kaum sichtbaren Fluss namens Dèlia.



Das Gegenstück dazu kommt gleich hinter Mazzara mit diesem unvollendeten Kunstbau. Ok, die umliegenden Ferienhäuser benötigen auch Baumaterial und Geld, die vollendete Brücke hätte nur die Ruhe gestört.



Die Uferstraße verliert sich nun im Nichts. Hier weiß der gpsies-Track, wie man auf ruhigen Wegen, die auf keiner Karte verzeichnet sind, weiter kommt. Vorbei am Klärwerk von Mazzara, dann an peripheren Ferienwohnanlagen und kleinen Wohnhäusern folgen wir ruhigen Landwirtschaftswegen durch ausgedehnte Gemüse- und Weinfelder. Irgendwie sieht es hier aufgeräumter aus als in den weiter östlich gelegenen Inselteilen. Nicht nur die Kirchen sind hübsch verputzt, auch die Wohnhäuser und Feriensiedlungen scheinen etwas mehr Wohlstand zu repräsentieren.



In Petrosino kommt es zu diesem denkwürdigen Rennen zwischen Fahrrad und Rasenmäher. Der Rasenmäher entzieht sich der Entscheidung, indem er an der nächsten Ecke abbiegt.



Nun nähert sich unsere Route wieder der Küste. In der Ferne ist bereits Marsala zu sehen.



Der Wind hält sich etwas zurück, so dass wir noch am frühen Nachmittag nach 67 km Marsala erreichen. Bevor auch hier das Leben richtig los geht, horchen wir ein wenig an der Matratze. Dann hält uns aber nichts mehr. Auf zum Corso, dann Nahrungssuche und noch ein bisschen bummeln. Trotz des auch hier sichtbaren starken arabischen Einflusses ist es aber nicht ganz einfach, mal ein Cous Cous zu bekommen. Oft gibt es das nur mit Vorbestellung.



Nun wird es langsam dunkel. Zum Schlafengehen ist es aber zu früh und außerdem müssen wir ja noch das Hauptprodukt des Ortes kennen lernen. Was es nicht alles für Geschmacksrichtungen gibt! Aber wir probieren alles! Auf dem Corso ist immer noch viel los. Belustigt beobachten wir die jungen Damen mit den riesigen Handtaschen. Mit solchen Transportbehältern ist meine Oma vor einem halben Jahrhundert zum Dorfkonsum gelaufen. Die Weinprobe beenden wir mezzanotte mit reichlich Bettschwere.



Das Hotel Centrale - um einen kleinen Hof angeordnet – besitzt keinen Frühstücksraum, so dass wir – ausgerüstet mit einem Voucher – eine Bar um die Ecke aufsuchen müssen, una pasta e un caffè americano.



Aus der Stadt heraus, fahren wir zunächst wieder ein Stück auf der Uferstraße. Dann beginnt die Via del sale, ein mit EU-Geldern entstehendes Touristik-Projekt. Hier wird aber tatsächlich Salz gewonnen, also kein reines Museum. Den Rohstoff und die Energie (Sonne und Wind) gibt es in unerschöpflicher Menge. Die traditionelle Produktion benötigt eben etwas Zeit. - An kleinen Kanälen warten lang aufgereiht Salzhaufen auf ihre Verladung.



Die Ortschaften sehen gepflegt aus …



… und die Grundstücke werden gut bewacht.



Jedenfalls machen die beiden einen ordentlichen Spektakel. Nun kommen die Salinen mit den großen Verdunstungsbecken ins Sichtfeld. Weithin sichtbar sind die Windmühlen, die allerdings nicht nur zum Salzmahlen, sondern auch zum Wassertransport genutzt werden.



Ein freundlicher Sizilianer lädt uns zu einer Bootstour durch die Kanäle entlang der Salinebecken, durch die Lagune zur Isola Grande ein, aber „ohne Fahrradmitnahme“ ist uns das zu heikel.



Wir fahren noch ein Stückchen entlang der salzigen Lagune …



… und trinken am Besucherzentrum und Salinemuseum einen caffè. Die Dachziegel deuten übrigens nicht auf untergegangene Häuser hin. Sie decken die Salzhaufen ab und dienen der Pressung des weißen Goldes.



Bei zunehmender Wärme und langsam vibrierender Luft fahren wir Richtung Trapani. Vor uns liegt der Monte Erice. Dort wollen wir morgen 750 Höhenmeter angehen, um Antica Erice zu besichtigen.



Zunächst müssen wir an vielen Salzbecken vorbei, sehen noch eine schöne Mühle, …



… fahren am riesigen Hafengelände entlang und erreichen die Altstadt von Trapani. Wieder ein schönes Hotel in einem kleinen Innenhof. Das Zimmer ist eher eine Ferienwohnung und die Räder schlafen in der Küche.

Keine lange Pause, denn wir wollen viel von dieser weißen Stadt am Meer sehen. Der Weg durch die Gassen führt uns an dieser Feierabendrunde vorbei.



Danach treibt es uns durch den Corso Vittorio Emanuele - teils als Fußgängerzone mit viel Fahrradverkehr - Richtung Leuchtturm auf die weit ins Meer ragende Landzunge.



Wie so oft vor sehenswerter Kulisse - hier vor dem Monte Erice - geraten wir in eine Hochzeitsgesellschaft. Es wird reichlich fotografiert und viel gelacht.



Abends kommen wir in einer kleinen Trattoria doch noch zu unserem Cous Cous mit Fisch, favoloso. Mehr als reichlich gesättigt wollen wir uns etwas die Beine vertreten und lassen uns einfach durch die schmalen Gassen treiben. Auf einem kleinen Platz geraten wir in eine Bareröffnung. Ein bisschen Stühlerücken und schon ist Platz für uns. Passend zum Anlass gibt es ein Birra Moretti Grand Cru. Das große Gewächs mit Sektverschluss schmeckt tatsächlich ungewöhnlich, hat aber auch einen ungewöhnlichen Preis.