Re: Andalusien Ostern 2011

von: Tom72

Re: Andalusien Ostern 2011 - 27.01.13 20:58

13. Tag (20.04.2011), Jimena de la Frontera-Gibraltar, 62 km

Heute soll es nach Algeciras gehen, von wo ich morgen mit der Fähre einen kurzen Abstecher nach Marokko machen will (das war nach der ursprünglichen Planung lediglich eine Option, inzwischen habe ich mich aber dafür entschieden), das sind nur etwa 40 Kilometer. Da die aus der Sierra de los Alcornocales Richtung Süden hinausführende Straße zwischen Algeciras und Gibraltar auf die Küste trifft, wird die Zeit also reichen, sich auch noch Gibraltar anzusehen (das sind dann noch ein paar Kilometer mehr).

Zunächst steige ich zu Fuß die Gassen des steil am Hang liegenden Dorfes hinauf zur den Ort überragende Burgruine Castillo Algibe. Auch Jimera zählt zu den „weißen Dörfern“, wirkt aber angenehm verschlafen und nach meinem Eindruck kaum von Touristen „heimgesucht“. Auf der Burgruine bin ich der Einzige, was auch am Wetter liegen kann – immer noch trüb, trotzdem hat man einen schönen Ausblick auf die Sierra und das unterhalb liegende Jimena. Über der Burg kreisen majestätisch mehrere Geier, vielleicht die für die Region typischen Gänsegeier.





Die A 405 Richtung Süden und Richtung Mittelmeer hat für den Verkehr aus der Sierra zur Küste eine gewisse Bedeutung und ist daher nicht so idyllisch wie die kaum befahrenen Sträßchen der letzten Tage, der Verkehr hält sich aber dennoch in erträglichen Maßen. Das bereits bekannte Schild „Precaución ciclistas“ weist auf die Beliebtheit der Strecke bei Radfahrern hin. Überwiegend abwärts geht es durch die flacher werdende Berglandschaft (Jimena liegt nur noch auf 202 m Höhe und damit schon wesentlich niedriger als die Gegenden, in denen ich die Tage zuvor unterwegs war). Es nieselt ab und zu, nur einmal regnet es etwas stärker, so daß ich Zuflucht in einer Gaststätte in Castellar de la Frontera suche. Im Ort weist ein großes Schild auf die eigentliche Attraktion, das Festungsdorf Castillo de Castellar, hin, das sehr sehenswert sein soll und laut meinem Reiseführer einen Blick auf eine grandiose, wildromantische Felslandschaft bietet. Die Zeit für den langen Anstieg habe ich aber nicht, und bei dem Wetter würde es sowieso nicht viel bringen.

Schließlich gibt es sogar einen Radweg entlang der Straße, und ich sehe die vielen Storchennester auf den Strommasten entlang der Bahnlinie Ronda(-Jimena)-Algeciras, von denen mir heute in der Pension bereits ein Gast erzählt hatte. Nun verlasse ich die A 405 und gelange nach einigem Fragen und einigen Irrungen vorbei an rieseigen Industriegebieten (wohl Erdölraffinerien) schließlich ans Meer, an einen kleinen Sandstrand bei Carteya-Guadarranque.



Der Blick über die Meerenge nach Marokko bleibt mir zu meiner Enttäuschung, aber erwartungsgemäß wegen des schlechten Wetters verwehrt. Ich kann lediglich nach Osten und Westen entlang der Küste der Bucht von Algeciras blicken (ich bin ungefähr in der Mitte der Bucht halbwegs zwischen Algeciras zur Rechten und Gibraltar zur Linken). Soweit man es wegen des Nebels erkennen kann, ist die Küste überwiegend gesäumt von Industrieanlagen und Landungsbrücken und Kränen für Frachtschiffe oder Öltanker. Die Städte Algeciras und Gibraltar kann man in der Ferne gerade noch erahnen; bei klarer Sicht wäre das Panorama sicher sehr beeindruckend gewesen. Aber welch ein interessanter Kontrast: ca. 40 Kilometer und wenige Stunden vorher bin ich in dem Bergdorf Jimena in der einsamen Bergwelt der Sierra de los Alcornocales gestartet, und nun stehe ich zwischen Ölraffinerien am Mittelmeer mit Blick auf die in der Bucht liegenden Tankschiffe.

Jetzt steht der Abstecher ins ca. 10 Kilometer entfernte Gibraltar auf dem Programm. Ich fahre ein kleines Sträßchen an der Küste entlang, vorbei an weiteren weitläufigen Raffinerieanlagen.



Dann geht es ein Stück über eine verkehrsreiche, mehrspurige Straße, bis ich schließlich auf die Uferpromenade von La Línea de la Concepción, der spanischen Nachbarstadt von Gibraltar, komme.



Hier mache ich auf einer Bank mit Selbstauslöser ein Foto von mir mit Gibraltar und dem die Stadt überragenden Felsen im Hintergrund. Das wäre jedenfalls das Motiv bei besserem Wetter gewesen, tatsächlich kann man wegen des Nebels leider die nur wenige Kilometer entfernte Stadt gerade noch erahnen, und den Felsen muß man sich dazudenken, und so kann ich nur dem Bild in meinem Reiseführer entnehmen, was mir der Nebel verbirgt.

Dann kommt auch schon die Grenze. Kurz dahinter müssen Autos, Radfahrer und Fußgänger vor einer geschlossenen Schranke warten. Mir wird sofort klar, daß ich gerade rechtzeitig komme für ein interessantes Schauspiel, denn quer über die schmale Landzunge, die Gibraltar mit Spanien verbindet, verläuft die Startbahn des Flughafens, und die einzige Straße, die von der Grenze nach Gibraltar hineinführt, verläuft mitten über die Startbahn. Kurz darauf rollt eine Boeing 737 von Easyjet nur wenige Meter hinter der Schranke über die Straße, deren Verlauf nur durch einige quer über die Startbahn führende Linien markiert ist, auf ihre Startposition, um wenige Minuten später beim Start noch mal genauso nah vorbeizukommen und direkt vor den Wartenden abzuheben. Dann gehen die Schranken auf, und Kfz, Radfahrer und Fußgänger überqueren die Rollbahn, auf der kurz zuvor noch die Boeing gestartet war. Es ist außer den Markierungen für die Straße und für die Fußgänger sogar eine eigene Spur für Radfahrer aufgemalt.



In Gibraltar schaue ich mir zunächst das schicke Viertel am Yachthafen an und anschließend die Innenstadt. Da mein Plan immer noch ist, heute bis Algeciras zu fahren, will ich mir nur noch die berühmten Affen oben auf dem Felsen ansehen und dann Gibraltar wieder verlassen. Also suche ich die Talstation der Seilbahn, die dort hinaufführt, hole mir aber erst am Geldautomaten ein paar britische Pfund. Das Stadtbild ist „very british“, es gibt die typischen roten Briefkästen, rote Doppeldeckerbusse (aber nicht die klassischen „Routemaster“), typische britische Polizeiautos. Man versucht hier offenbar, das typisch Britische besonders zu betonen, um seine Verbundenheit mit Großbritannien und den Anspruch, die paar Quadratkilometer Großbritannien im Mittelmeer gegen jegliche spanische Begehrlichkeiten zu behaupten, zu demonstrieren. Allerdings fährt man rechts. Ich komme an vielen alten Festungsmauern vorbei; zahlreiche Überwachungskameras sind ein weiterer an Großbritannien erinnernder Aspekt.

Unten an der Seilbahn schließe ich das Rad an, nehme bis auf eine Tasche alles Gepäck mit. Die Seilbahn ist teuer (wie übrigens alles in Gibraltar). Zunächst hat man noch einen Ausblick auf die Stadt, dann verschwindet die Gondel im Nebel, und oben ausgestiegen, sieht man nur ein paar Meter weit. Der sicher grandiose Blick über die Stadt, die Bucht von Algeciras und nach Afrika fällt heute wegen des Nebels aus, und auch der Wanderweg, den es dort oben gibt, macht heute natürlich keinen Sinn. Zum Glück tummelt sich eine Horde der Affen, deretwegen ich hier oben bin, direkt an der Bergstation, und so kann ich meinen Aufenthalt hier oben zeitlich stark einschränken.



Die Affen sind recht possierlich, tun aber außer rumsitzen, sich gegenseitig lausen und genüßlich gähnen nicht viel Spannendes. Füttern, sie ärgern oder sonstwie zu Späßen zu animieren ist leider laut einigen unmißverständlichen Schildern bei Buße eines dreistelligen Pfundbetrages verboten. Also steige ich, nachdem ich mich mit einem der putzigen Gesellen habe fotografieren lassen, wieder in die Seilbahn.

Ich beginne zu überlegen, ob ich nicht doch über Nacht hierbleiben soll. Erstmal muß ich was essen und fahre wieder durch die Altstadt. Auch die Pubs sehen von außen und von innen typisch britisch aus, und alle werben mit „Original British Pub Food“. Vor dem Pub „The Angry Friar“ lasse ich mich nieder (das Wetter gestattet es einigermaßen, draußen zu sitzen) und bestelle Fish and Chips und ein Pint englisches Ale. Ein amüsanter Kontrast zur bisher genossenen spanischen Küche.



Ich konsultiere noch mal meinen Reiseführer, dem ich entnehme, daß Algeciras absolut nicht sehenswert sei und vor allem durch eine hohe Kriminalitätsrate geprägt sei. Also beschließe ich, heute hier zu bleiben. In Algeciras hatte ich ohnehin nur deswegen übernachten wollen, um morgen eine zeitige Fähre nach Marokko zu bekommen, aber ich denke nun, daß es wesentlich interessanter ist, den Abend hier zu verbringen.

Ich suche erstmal ein Internetcafe und erkundige mich nach den Öffnungszeiten. Bis Mitternacht. Gut, dann werde ich später noch mal vorbeikommen, um nach Fährverbindungen für morgen zu recherchieren, sei es von hier, sei es von Algeciras.

Ich quartiere mich in einem sehr einfachen und für Gibraltar verhältnismäßig preiswerten Backpacker-Hostel ein, das nur schwach ausgelastet ist und in dem ich der Einzige im Vierbettzimmer bin.

Nun radle ich zur Südspitze Gibraltars, dem Europa Point. Das letzte Stück der Straße verläuft durch in den Fels gesprengte enge Tunnel. Europa Point bietet neben dem Leuchtturm und dem Blick über die Straße von Gibraltar und auf Marokko, der heute wetterbedingt nicht stattfindet, eine recht neue Moschee, finanziert mit Geldern aus Saudi-Arabien, wohl eine der größte Moscheen außerhalb der islamischen Welt.



Nach dem Abendessen und einem oder zwei Pint Guinness in einem weiteren typisch britischen Pub (beim Bezahlen fällt mir auf, daß Gibraltar eigene Pfundnoten hat) suche ich das bereits tagsüber gefundene Internetcafe auf (oder besser gesagt, eine Kombination aus Pub und Internetcafe) und recherchiere nach Fährverbindungen, um morgen eine Tagesetappe in Marokko an der Küste entlang zu fahren. Ich hatte mir überlegt, von Ceuta nach Tanger zu radeln, aber das wäre eine ziemliche Strecke, wenn ich abends mit der Fähre noch zurück nach Spanien will, zumal die Strecke auch über das Gebirgsmassiv bei Ceuta (die südliche der „Säulen des Herkules“) führen würde. Da ich sowieso keine passende Fährverbindung von Gibraltar nach Ceuta finde, entscheide ich mich für Algeciras nach Tanger-MED 11.00-11.30 Uhr und Tanger nach Tarifa 18.00-20.00 Uhr. Tanger-MED ist der recht neue, riesige Fracht- und Fährhafen halbwegs zwischen Ceuta und Tanger. Abfahrts- und Ankunftszeiten entsprechen nicht den Fahrzeiten, sondern berücksichtigen, daß Marokko in einer anderen Zeitzone liegt und keine Sommerzeit hat. Sehr verwirrend.

Die Internetkneipe ist bevölkert von jungen Leuten, die im Fernsehen ein Fußballspiel Real Madrid gegen Barcelona verfolgen. Die Sympathien liegen, das merkt man schnell, eindeutig bei Madrid, und als sie gewinnen, herrscht ausgelassener Jubel (später erfahre ich, daß es das Finale des Copa del Rey war). Als die Kneipe dann zumacht, fängt ein offenbar angetrunkener Jugendlicher, der das nicht einsehen will, an zu pöbeln, und eine Schlägerei droht, bis die resolute Wirtin die Lage deeskaliert. Paßt wieder zum britischen Klischee, denke ich mir. Auf dem Heimweg durch die Stadt bekomme ich mit, wie überall der Sieg von Real gefeiert wird (warum die Gibraltesen offenbar allesamt Madrid-Fans sind, weiß ich nicht), und es bestätigt sich das Klischee über das britische Trinkverhalten erneut, als kurz vor meiner Unterkunft ein junges Mädchen einem andern beim Sich-Übergeben assistiert. Dann denke ich mir aber, daß man nicht aus Einzelbeobachtungen, die ein Stereotyp bedienen, zu viele Schlüsse ziehen sollte. Ich bin zufrieden mit meiner Entscheidung, heute in „Gib“ geblieben zu sein.

Fortsetzung folgt…