Re: Von Wernigerode nach Nürnberg

von: Radschabe

Re: Von Wernigerode nach Nürnberg - 12.07.13 19:48

18.Juni, Tag 30
103 km / bei Cepina

Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker, so früh wie im ganzen Urlaub noch nicht. Ich habe ganz ordentlich geschlafen und bin nun auf den 2.Teil der Alpen heiß. Wegen der hohen Schwierigkeit des folgenden Abschnittes habe ich mich für das frühe Aufstehen entschieden. Beim ersten Pass nach Aprica kommt mir dieser Fakt auch sehr entgegen. Die Straße am Berg hat eigentlich nur 2 richtig lange Serpentinen. Und die liegen am Morgen wunderbar im Schatten. Es ist nicht sehr steil, der Verkehr hält sich auch in Grenzen. Es war rundum gelungener Frühsport. Nach kurzen Verpflegungspausen und der Abfahrt ging es ab Edolo dann wieder bergauf. Fährt man wie ich hoch zum Gaviapass, gilt es nun auf 35 km ganze 1900 Hm zu überwinden. Das ist schon eine ordentliche Herausforderung. Im kleinen Örtchen Temu entere ich noch einen kleinen Laden. Hier treffe ich einen holländischen Rennradler. Er ist heute über 200 km unterwegs und bolzt noch mehr Pässe weg. Genau wie er, mache ich mich nun in den eigentlichen Anstieg zum Gaviapass. Zunächst verläuft hier alles recht human – breite Straße, nicht zu steil. Nach ein paar Kilometern ändert es sich schlagartig. Zunächst wird es brutal steil und wenig später die Straße quasi einspurig. Ab hier ist es eine der tollsten Auffahrten, die ich je erlebt habe. Autos hupen wieder in die unübersichtlichen Abschnitte. Und trotzdem gibt es auch haarige Begegnungen. Ein Auto direkt hinter mir kann nicht überholen und dann kommt auch noch eins im Gegenverkehr. Es dauerte schon ein paar Minuten, bis das Auto wieder hinter mir war und mich überholen konnte. Will man hier mit dem Auto hoch oder runter, sollte man schon etwas Mut und Nervenstärke mitbringen. Für mich und mein Velo ist alles viel einfacher. Man hört überall, wo der Verkehr unterwegs ist. Dieser Abschnitt macht richtig Spaß, weil auch die Motorradfahrer auf einmal ganz handzahm sind. Da hier heute nicht ganz so viele Radler unterwegs sind, ersetzen sie diese, in dem sich mich anfeuern oder einfach nur den Daumen nach oben zeigen. Das Wetter drohte hier etwas umzuschlagen. Immer wieder grollen Donner über die Berge, aber ich sollte heute Glück haben. Immerhin war es nicht mehr ganz so heiß. Richtige Abkühlung gab es dann im langen unbeleuchteten Tunnel. Hat man den erstmal durchstanden, kann man die letzen Kilometer in spektakulärer Landschaft voll genießen. Oben plausche ich dann mit deutschen und österreichischen Motorradfahrer. Wir machen gegenseitig Fotos. Dann kommen noch ein paar belgische Rennradler des Weges. Sie haben ein großes Wohnmobil als Begleitfahrzeug. Als ich ihnen meine Reise beschreibe, sind sie sehr beeindruckt. Während sie sich im Fahrzeug umziehen, schmeiße ich mir nur meine Regenjacke über, die mich aber hier nur vor dem Wind schützen muss. Die folgende Abfahrt kann ich genießen. Zum einen mache ich immer wieder Fotos und zum anderen freue ich mich, noch viel Zeit mit nach Bormio zu bringen. Als ich mich dort nach einem Supermarkt umschaue, sprechen mich 2 Australier an, die hier für ein Viertel Jahr in Europa unterwegs sind. Liz und Charles haben viele Fragen und wir haben ein tolles Gespräch, welches bestimmt 30 Minuten dauerte. Nach einem abschließenden Foto trennen sich hier die Wege aber auch schon wieder. Ich gehe einkaufen und rolle dem Zeltplatz entgegen. Hier kann ich bei gutem Campingwetter den Abend genießen. So schwer der Tag auch war, das Erlebte war phantastisch.


































































19.Juni, Tag 31
102 km nach Pfunds

Am nächsten Morgen habe ich dann schon etwas schwere Beine. Ich finde kaum eine ordentliche Sitzposition auf dem Rad. Der Hintern scheint heute besonders weh zu tun. Man könnte sagen, dass die Bedingungen perfekt sind, um das Dach der Tour zu erklimmen. In Bormio sind am Morgen schon sehr viele Rennradler unterwegs. Fast alle wollen zum Stilfser Joch. Von hinten radeln auch die Belgier vom Vortag heran. Zudem sprechen mich hier Unbekannte an: „Du bist doch der aus Deutschland mit den 4000 km…“ Im Hotel der Belgier muss meine Geschichte gut angekommen sein. Dann wurde es aber wieder ernst und harte Arbeit war gefragt. Und das ja auch über mehrere Stunden. Ein Rennradler versuchte mich den Berg hochzuschieben. Ein zweckloses Unterfangen. Ich gönnte mir immer mal wieder ein paar Pausen. Ich merkte auch schon, dass mich diese schweren Etappen etwas platt gemacht haben. Die große Power hatte ich hier nicht mehr. Auf den letzten Kilometern wurde es in der Schneelandschaft recht kühl, so dass es fast unangenehm war, hier mit T-Shirt zu fahren. Auf der anderen Seite war ich schon froh, dass die Sonne nicht so auf mich einprügelte. Oben war der Pass natürlich völlig überlaufen, so dass man den Erfolg gar nicht richtig genießen konnte. Die Abfahrt in Richtung Nordosten ist natürlich schon spektakulär, so wie man es von den Fotos her kannte. Allerdings sind hier auch gute Bremsen gefragt. In Prad treffe ich ein letztes Mal die belgische Radsportgruppe. Am Wohnmobil haben sie sich zum Mittag versammelt. Ich suche mir eine Imbissbude. Für teuer Geld gab es Pommes und einen hausgemachten Cheeseburger. Hier treffe ich dann auch die Entscheidung, das Timmelsjoch aus dem Programm zu nehmen. Den wäre ich eigentlich morgen gefahren, aber mein Kopf sagte mir, dass er darauf keine Lust hat. Und so machte ich mich auf den Weg zum Reschenpass, den es dann aber noch heute zu bewältigen galt. Als der Pass ausgeschildert ist, geht es sofort kräftig in den Berg hinein. Ich wundere mich, da er noch über 20 km entfernt ist und ja nur 500 Hm zu bewältigen sind. Nach kurzer Pause im Supermarkt geht es auf dem Reschenpass-Radweg sofort kräftig weiter. Die Sonne brennt, mein Thermometer zeigt 43 Grad an und die Steigungsprozente fliegen mir um die Ohren. Ich bin platt, richtig platt. Die Bauern hier fluten die Felder. Mein Basekap und meine Handschuhe tauche ich immer wieder in das kühle Nass. Da kommt ein Radler aus Bremen des Weges daher. Wir setzten uns auf eine Bank und machen eine Pause, die mir mal richtig gut tut. Auch danach tue ich mich hier recht schwer. Der Radweg führt zum Pass ziemlich rampenartig hinauf. Einen richtigen Rhythmus bekommt man nicht. Als ich die Passhöhe erklommen hatte, es aber noch über 10 km bis zum Passen waren, wurde mir alles klar. Oben sind noch 2 Seen, so dass man sich hier auf einer Art Plateau befindet. Landschaftlich wird man hier natürlich einmal mehr ziemlich verwöhnt. Deutsch gesprochen wurde schon eine ganze Weile, für mich war es nun Zeit nach Österreich zu kommen. Die folgende Abfahrt führte durch viele Tunnel und Baustellen. Kann sogar sein, dass die Straße eigentlich für Radfahrer gesperrt ist – in der Gegenrichtung ganz bestimmt. Aber bergab ist das ja nicht so das Problem. Der Navi kam mit der Standortbestimmung gar nicht klar und hat die Aufzeichung völlig falsch gesetzt. Kurz vor Pfunds habe ich dann den ersten Zeltplatz geentert. Dieser hatte noch einmal eine fantastische Lage, mit einer schönen Optik auf die Berge.